Shit fire and apple butter! von mystique (∼ Teufel nochmal! ∼ KaibaxWheeler) ================================================================================ Kapitel 1: ∼ Fair do’s! ∼ ------------------------- Titel: Shit fire and apple butter! – Teufel noch mal! Pairing: KaibaxWheeler/WheelerxKaiba Disclaimer: Nix meins. Nix Rechte. Nix Geld. Widmung: Für Friends. Meine persönliche Entschuldigung dafür, dass ich momentan zum Posten nur so wenig Zeit habe. Es tut mir ehrlich leid – das hier ist für dich! Es gab Tage, die waren bereits beim ersten Öffnen der Augen zum Scheitern verurteilt. Es gab Tage, an denen merkte man beim Verlassen des warmen Bettes, das sie unmöglich gut gehen konnten. Angekündigt durch einen schönen Traum, unterbrochen von dem schrillen Klang eines Weckers, welcher unwirsch vom Nachttisch gefegt wurde, bevor man schließlich wieder in einer Mischung aus Dämmerschlaf und Halbwachsein versank, bis man von einem kalten Grauen gepackt hoch schreckte, sich desorientiert umsah und partout keine Uhr fand, da die einzige Zeitanzeige im Raum in Einzelteile zerlegt auf dem Boden verteilt worden war. Fluchend rappelte man sich auf, wankte aus dem Bett, trat nebenbei auf mehrere Schrauben und Überbleibsel des lästigen Weckers, fluchte, während man auf einem Bein durch das Zimmer hüpfte, zum Schrank, ihn öffnete und sogleich von einer Flut Gerümpel erschlagen wurde, die einem in freudiger Erwartung entgegenkam. Stöhnend rappelte man sich auf, griff nach dem nächst besten Hemd, welches man in die Finger bekam, schlüpfte eilig in die Hose des vorigen Tages, zog sich nebenbei die Socken über, während man sich den Kopf an der Schräge der Zimmerdecke stieß und mit einem Aufschrei zurückstolperte. Alles und die Welt verfluchend versuchte man sich zu sammeln, stolperte aus dem Zimmer, schnappte sich nebenbei die Schultasche und eine Jacke, griff auf dem Weg durch die kleine Küche nach dem nächsten Essbaren, was man erreichte und verließ mit einem Blick auf die Uhr, gepaart mit einem unschönen Fluchen die Wohnung. Erst auf der Straße würde man bemerken, dass man in der Eile vergessen hatte, dass der Winter sich mit Temperaturen um den Gefrierpunkt bemerkbar machte, ein T-Shirt und eine Jeansjacke folglich denkbar unangebracht waren, dass die Hose zu den Kaputten gehörte, die eigentlich längst hätte geflickt werden müssen, da sie an Stellen Löcher aufwies, bei deren Lage die eigene Lehrerin mit unbestreitbarer Sicherheit mehr als nur rot werden würde und dass das in Eile mitgenommene „Frühstück“ sich als alter Toast mit einem undefinierbaren Aufstrich von letzter Woche herausstellte. Ein Tag, der sich seinem Tiefpunkt bereits in den ersten Minuten seines Bestehens genähert hatte. Der mit Sicherheit noch weitere Tücken und Fettnäpfchen bot. Ein Tag wie er im Buch stand. 1. Akt Genauso einen Tag hatte ich heute. Nicht wirklich ermutigend, das kann ich nur bestätigen. Ehrlich gesagt war es mehr als scheiße. Ich wollte schreien. Leider machte sich das nicht besonders gut, mitten im Matheunterricht. Und einen weiteren Eintrag ins Klassenbuch konnte ich mir nicht erlauben. Ich hatte bereits mehrfach ungläubige Blicke über mich ergehen lassen müssen, weil ich entgegen der Vorschrift in Alltagskleidung in der Schule erschienen war. Wenn ich nicht acht gab, würde man mich über Kurz oder Lang zum Direktor bestellen, doch anscheinend war mir das Glück heute wenigstens in dieser Hinsicht freundlich gesonnen, denn die Lehrer drückten heute beide Augen zu meinen Gunsten zu. Offenbar sah man mir mein Elend bereits so weit an, dass man es mir nicht noch weiter verstärken wollte. Vielen Dank. Momentan lag ich mehr auf meinem Platz, als dass ich wirklich saß. Mir war langweilig, es war verdammt kalt, da die Schule es nicht für nötig hielt, die Heizungen anzustellen. Elende Geizhälse. Wahrscheinlich wäre ich nicht annähernd so gereizt gewesen, hätte ich nicht ein dünnes Shirt und eine nicht viel dickere Jeansjacke getragen, welche die Kälte mehr zu speichern, denn die kümmerliche Wärme des Klassenraums aufzunehmen schien. Selbst meine Sommerschuluniform war wärmer als meine derzeitige Kleidung. Dementsprechend blank lagen meine Nerven und meine Stimmung war bereits den ganzen Morgen über frostig. Dazu kam noch eine Doppelstunde Mathe. Diesen Tag konnte ich abharken und geistig in die Schublade mit der Beschriftung ‚Meine schlimmsten Tage – Fortuna muss mich heute mal wieder hassen’ verstauen, gleich hinter die Akten ‚Kaiba hat mich mal wieder im Duell geschlagen’ und ‚Serenity geht jetzt mit Duke’. Herrlich. Mir wurde schlecht. Mein Blick wanderte durch die Klasse, vorbei an der beschriebenen Tafel, deren Sinn sich mir mittlerweile entzog, verstand ich das Niedergeschriebene ohnehin nur mit Yugis oder Téas helfenden Händen, weniger durch den strengen Blick meiner Mathelehrerin. Wieso trugen Mathelehrerinnen eigentlich immer eine strenge Brille und hochgesteckte Haare? War das eine Eigenheiten unter den Ausübenden dieses Berufs? War es vorausgesetzt, dass Mathelehrerinnen hochgesteckte Haare und eine schmale Brille trugen, hinter deren Gläsern ein wachsamer Blick ruhte? Wieso beschäftigte ich mich überhaupt damit? Das ging mich doch nun wirklich nichts an, zudem interessierte es mich auch nicht. Besser ich wechselte rasch das Thema, bevor ich noch begann, mich tastsächlich mit Mathe auseinander zu setzen ... Ein Schauer jagte mir den Rücken hinab und er war in der Tat noch kälter als meine Umgebung, brachte mich ungewollt für wenige Momente zum erzittern. Dieser Raum war eindeutig nicht gut für mich. Ebenso wenig wie die Stunde. Ein schwaches Knurren, eher ein Vorbote, als eine wirkliche Warnung – die würde ich noch früh genug spüren oder besser gesagt hören – brachte mich dazu, meinen Kopf schwer und träge auf meine Handfläche zu stützen, den Hunger ignorierend und die halbgeschlossenen Augen auf den Rücken meines Vordermannes gerichtet. Und wie sollte es anders sein, war dieser niemand geringeres als mein bester Freund, ‚Die Welt wäre ohne mich nur eine schlichte Kugel ohne Mittelpunkt’-Großkotz Kaiba. Herrlich. Sein Haar fiel ihm über den umgeschlagenen Kragen seiner Schuluniform, reichte ihm ein Stück über den Nacken hinaus und verlor sich schließlich in einzelnen Strähnen. Mehr aus Langeweile denn aus Interesse betrachtete ich ihn eingehend. Immer noch besser als mich mit den Runen an der Tafel zu beschäftigen. Seine Schulterblätter zeichneten sich schwach unter seiner Schuluniform ab, doch mehr war von ihm nicht auszumachen, saß er doch so gerade auf seinem Platz, dass man der Trügerischen Ansicht zum Opfer fiel, er habe einen Besen verschluckt. Seto Besenschlucker Kaiba, kein wirklich schlechter Name. Meine Aufmerksamkeit ließ nach, je länger ich ihn betrachtete. Was war auch interessant daran, die Kehrseite seines Erzfeindes zu beobachten? Richtig: Nichts. Ich griff nach meinem Kugelschreiber und begann abwesend auf meinem Block zu kritzeln. Die Stimme meiner Lehrerin rückte immer weiter in den Hintergrund, meine Gedanken schweiften immer mehr ab. Ich vergaß, wo ich saß, hörte nicht einmal mehr das penetrante Ticken der Uhr im Klassenraum. Irgendwann schreckte ich auf, wusste selbst nicht wieso und sah mich um. Alles war wie vorher. Meine Mitschüler blickten gebannt nach vorne, als würde dort ein Affe auf einem Fahrrad ein Kunststück vorführen, meine Lehrerin hielt noch immer einen Vortrag, hatte jedoch sicherlich bereits das nächste Kapitel des Buchs erreicht und Kaiba saß noch immer vor mir. Ich brauchte einige Momente, um zu realisieren, dass er den Kopf gedreht hatte und seine Augen auf mir ruhten. Ich blinzelte perplex, sah verstohlen nach links und rechts, doch sein Blick galt eindeutig mir. Ich legte den Kopf schief, wusste nicht, wie ich diesen unerwarteten Blickkontakt deuten sollte, passte es doch überhaupt nicht zu Kaiba, im Unterricht einmal nicht aufzupassen, obwohl er ohnehin alles konnte. Doch er sah mich an, wandte sich auch nicht wieder ab. Niemand schien davon Notiz zu nehmen, auch Yugi, der einen Tisch neben mir sah, nahm es nicht wahr, starrte weiterhin nach vorne. Hatte ich etwas verpasst oder wieso benahmen sich alle heute wie Kontrollierte? Ich schüttelte den Kopf und erinnerte mich augenblicklich daran, dass Kaiba mich noch immer ansah. Ich erwiderte den Blick und hob fragend die Schultern an, bedeutete ihm damit, dass ich keine Ahnung hatte, was er von mir wollte. Hatte ich mit einer Antwort auf meine stumme Frage gerechnet, so wurde ich enttäuscht. Kaiba verharrte noch einige Sekunden, dann drehte er sich wieder nach vorne und das Gefühl etwas verpasst zu haben ließ genauso jäh nach, wie seine Aufmerksamkeit geschwunden war. Ich starrte seinen Rücken lange an. Hatte mir dieser Blick etwas sagen sollen? Hatte ich etwas nicht verstanden? Hätte mir die unerwartete Gunst seiner Beachtung etwas sagen sollen? Wenn das der Faöll gewesen sein sollte, war dies ein missglückter Versuch gewesen. Ich verbrachte den Rest der Stunde mit ergebnislosen Grübeleien über Kaiba und sein Verhalten, was letztendlich nur dazu führte, dass ich gereizt war und die altbekannte Wut auf ihn in mir wallte. Wenn er sich schon so verhalten musste, konnte er das nicht bitte tun, wenn ich es nicht sah? Konnte er nicht einfach sagen, was er von mir wollte? Musste er mich so verwirren? Litt er unter einem inneren Zwang, der ihn jedes Mal dazu brachte, mich zu irritieren? Offenbar. Und warum ließ ich mich von einem Blick derart aus der Fassung bringen? Warum benahm ich mich, als stecke ein tieferer Sinn dahinter? Die Antwort auf diese Frage war beunruhigend simpel: Weil Kaiba nie etwas ohne nachvollziehbaren Sinn tat. Es läutete zur Pause und ich packte erleichtert meine Sachen zusammen. Ich hatte nicht die Geduld um nach dem Sinn zu suchen, der für Kaiba offensichtlich gewesen sein musste, hatte er mich doch zum Beweis dessen Existenz angesehen. Als nächstes stand Sport auf dem Stundenplan und ich war ehrlich erleichtert, diesen kalten Klassenraum hinter mir lassen und in der Sporthalle Wärme tanken zu können. Was mir jedoch in meiner Ausführung entging, war die Tatsache, dass wir vor Sport eine halbstündige Pause hatten. Meine Laune verdüsterte sich, je mehr ich mich mit Yugi und den anderen der Tür nach draußen näherte. Tristan musste sogar Gewalt aufbringen, um mich dazu zu bringen, einen Schritt in die eisige Kälte zu machen und innerlich schwor ich ihm für diesen Verrat aufs übelste Rache! Nun standen wir bibbernd in einer Ecke des Schulhofs, die Jacken – oder in meinem Fall das, was sich Jacke schimpfte – fest um uns geschlungen, die Gesichter von den Schals verborgen – in meinem Fall Fehlanzeige – die Hände in den Jackentaschen vergraben. Während Yugi, Téa und Tristan versuchte, sich mit Geschichten vom Wochenende von der Kälte abzulenken, schweifte meine Blick über den verlassenen Schulhof. Natürlich war er nicht wirklich verlassen – etliche Schülergruppen waren dicht aneinandergedrängt aufzufinden, doch mein Blick war durch die Kälte derart getrübt, dass sie mit ihrer Umgebung zu verschmelzen schienen. Darum brauchte ich auch Minuten, um zu realisieren, dass die anderen mich mehrmals angesprochen hatten. „Äh ... was?“ Zähneklappernd wandte ich mich ihnen zu. Téa musterte mich sorgenvoll, bot mir ihren Schal an, doch ich lehnte dankend ab. Rosa war nicht unbedingt meine Farbe. Ich war ein Sommertyp. Tristan schlug vor, einen Weg in die Sporthalle zu suchen, doch bevor nicht der Gong erklang würde man uns nicht in die Halle lassen, selbst bei einem Orkan mit der Windstärke neun würde die Schulleitung erst eine Konferenz abhalten, in der demokratisch entschieden werden musste, ob die Schüler im Schulgebäude bleiben konnten oder nicht, bevor man uns widerstandslos einließ. Das nannte man Schulregeln. Und die galt es einzuhalten. Da ich jedoch zu diesem Zeitpunkt sogar zu erstarrt war, um auch nur an den langen Weg zur Halle denken zu können, winkte ich gequält lächelnd ab. Ein Joey Wheeler ließ sich doch von etwas Kälte nicht umhauen. Zehn eisige Minuten später war ich mir da nicht mehr so sicher. Meine Zähne klapperten mittlerweile so laut, dass Téa sich mit vorwurfsvoller Miene die Ohren zuhielt, Tristan mit den Nerven am Ende war und Yugi beruhigend auf ihn einredete. Was konnte ich denn dafür, dass mir kalt war? Was für ein Scheißtag. Ich sprang ungeduldig von einem Bein aufs andere, die Hände in meiner Jacke vergraben, das Gesicht zu einer Maske des Leids verzogen. Wheelers waren für gewöhnlich nicht zimperlich, aber wenn ihnen kalt war, war ihnen kalt. Und mir war verdammt kalt! Ich hätte alles für eine warme Jacke getan und eine Heizung erschien mir momentan als ein Relikt des Himmels. Viel zu schön, als dass ich auch nur in ihre Nähe hätte kommen können. Als die halbe Stunde endlich um war und der erlösende Gong erklang, hatte ich jegliches Gefühl in meinen Beinen verloren und Müdigkeit nahm sich meiner an. Tristan hatte Duke, welcher die Pause dank der Tatsache, dass er einer der Schülersprecher war, im Schulgebäude hatte verbringen dürfen – ich hasste ihn dafür! – zu sich gewunken und gemeinsam hatten sie mich zur Sporthalle bugsiert. Ich hatte lautstark protestiert, doch angesichts der Taubheit in meinen Beinen verklang dieser Protest schneller als mir lieb war. Erst in der Sportumkleidekabine setzte man mich auf einer der Bänke ab. Fluchend rubbelte ich mir die Beine, bis das Blut wieder zu zirkulieren begann und sich ein unangenehmes Kribbeln in ihnen ausbreitete. „Wärme, ich brauche Wärme!“ Mit diesen Worten war ich noch immer bibbernd in den Waschraum verschwunden. Die warnenden Rufe der anderen ignorierend hatte ich einen der Wasserhähne auf heiß gestellt und voll aufgedreht, meine Hände unter den Wasserstrahl gehalten. Alles was meine Freunde anschließend von mir hörten, war ein schmerzerfüllter Schrei, dann vergingen Sekunden, in denen sie mein gedämpftes Fluchen hörten, während ich den Temperaturregler hastig auf kalt stellte, da das heiße Wasser meine unterkühlte Haut zu verbrennen schien. Ich verfluchte die Schule und ihre gesamte Einrichtung – besonders jedes verdammte Waschbecken und jeden elenden Wasserhahn! Erst nach einigen Minuten schaffte ich es, den Waschraum zu verlassen und mehr stolpernd als gehend in die Umkleide zurückkehrte, mit krebsroten, brennenden Händen. Und wo gerade von absolutem Versagen die Rede war, fehlte nur eine Kleinigkeit, um es zu vervollständigen – die erste Person, die ich wahrnahm, war Kaiba, der mich spöttisch anlächelte. „Na Wheeler, hat sich der Köter die Pfoten verbrannt?“ Seine Stimme war wie Gift, welches mich erfüllte, mich langsam von innen heraus zerfraß. Genau Kaiba, stochere in der offenen Wunde herum, zeige mir auch noch, wie dumm ich mich manchmal verhalte. Reibe es mir unter die Nase, denn ich merke es ja selbst nicht! Diese Worte hätte ich ihm, vorzugsweise gepaart mit meine Faust, ins Gesicht geschleudert, doch ein Rest Verstand hinderte mich daran. Eine Stimme in meinem Kopf, wahrscheinlich mein Gewissen – ich würde es bei Gelegenheit verbannen – warnte mich davor, Kaiba eine zu verpassen. Und das wusste ich. Ja, ich wusste es, aber es fiel so schwer, es zu akzeptieren. Umso schwerer, wenn man vor dem geistigen Auge bereits sich selbst auf Kaiba herumhüpfen sah, welcher einen mehr als nur besiegten Eindruck machte. Dieser Gedanke war so verlockend ... doch unmöglich in die Tat umzusetzen. Bevor ich Kaiba zu nahe wäre, hätten Duke und Tristan mich erreicht und zurückgeschleift. Es war sinnlos. Gar nicht erst einen Versuch wert. Schade eigentlich. Dabei war es sicher witzig, auf Kaiba rumzuhüpfen. „Was denn Wheeler, keine Konterung? Du enttäuscht mich.“ Ich versuchte ihn zu ignorieren, schritt erhobenen Hauptes zu der Bank, auf der meine Tasche stand und begann, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, mich umzuziehen. Es fiel mir ausgesprochen schwer, kribbelten meine Finger doch verheißungsvoll und ich verspürte den unbändigen Drang, sie um seinen Hals zu legen. Wenn das so weiterging war ich bald reif für die Anstalt. Erschreckende Vorstellung. Ich bemerkte die verdutzten Blicke meine Freunde nicht und während ich mich meines Shirts entledigte, herrschte bedrückende Stille in der Kabine. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Kaiba stand zu meiner Verwunderung noch immer an derselben Stelle wie eben, starrte mich unverwandt an. Für wenige Momente war mir, als würde er mir tatsächlich auf den Hintern stieren und schlagartig wurde mir bewusst, dass die Jeans dort ebenfalls einen schmuckvollen Riss aufwies – jedoch ein Stück weiter unten – doch genauso rasch hatte er sich abgewandt und mir den Rücken gekehrt. Ich musste es mir eingebildet habe. Kaiba würde mir nie auf den Hintern starren. Nicht er. Nicht mir. Als wir uns fertig umgezogen hatten, betraten wir die Sporthalle. Anfangs hat es mich mehr als alles andere gewundert, dass Kaiba tatsächlich dem Sportunterricht der Schule beiwohnte, hatte ich doch eigentlich immer vermutet, er würde sich gewissenhaft jede Woche einen Termin an genau diese Stelle legen, doch auch hier hatte ich mich offensichtlich geirrt. Im Nachhinein wunderte es mich nicht mehr im Geringsten. Kaiba war ein dieser Menschen, die es offenbar als Hobby sahen, anderen zu demonstrieren, wie gut sie waren, wie unschlagbar und nicht zu überbieten und in Sport hatte Kaiba neben allen anderen Fächern auf seinem Stundenplan eine weitere Möglichkeit gefunden genau das zu tun. Es war unglaublich, dass ein Büromensch wie Kaiba derart sportlich war und ich wurde jedes Mal ganz grün vor Neid, wenn er mir wieder einmal ins Gedächtnis rief, wie viel mehr er konnte, als ich. Warum Kaiba? Warum bekamen Leute, die ohnehin schon so gut wie alles besaßen noch eine Extraportion Glück und Können oben drauf, während Leute wie ich es sich hart erkämpfen mussten, wobei es ihnen ohnehin verwehrt blieb? Unfair. Gemein. Blöder Kaiba. Genauso wie sein verdammtes Ego! Von dem besaß er nämlich so viel, dass ein ganzes Klassenzimmer nicht ausreichen würde, um es zu beherbergen. Ich bezweifle sogar, dass unsere Schule dafür groß genug wäre. Ja, vielleicht übertrieb ich ein wenig, doch Kaibas Ego war tatsächlich enorm. Nervig. Die Stunde verstrich genauso schleppen, die wie Stunde zuvor. Entgegen meiner Erwartung blieb die erhoffte Wärme jedoch aus, da zum einen auch hier die Heizung nicht angestellt wurde und zum anderen unser Sportlehrer fehlte. Stattdessen ließ man uns eine viertel Stunde warten, die ich eigentlich nutzen wollte, einige Runden in der Halle zu drehen, um meinem Wärmereserven aufzufüllen, jedoch daran gehindert wurde, da Yugi eine Diskussion mit Duke bezüglich Duel Monsters begann und ich ihn als ein Profi doch bei einem Laien wie Duke unterstützen musste. (Außerdem war ich nach der Ausgehgeschichte mit Serenity ohnehin ziemlich schlecht auf den Duke zu sprechen.) Als die Diskussion schließlich beendet war, Duke sich schmollend zurückgezogen hatte und ich endlich meine Runden drehen wollte, wurde die Tür zur Sporthalle ruppig aufgestoßen und unser Geschichtslehrer stapfte mit finsterer Miene herein. Augenblicklich wurde es totenstill und ich erstarrte mitten in der Bewegung. Während wir darüber informiert wurden, dass unser Sportlehrer sich das Bein gebrochen hatte – eine nicht gestreute, glatte Treppe, sowie eine alte Dame mit ihrem Dackel waren in diese Geschichte involviert – sank meine Laune in den Minusbereich. Die Kälte kroch langsam aber sicher an mir hoch, meine nackten Beine - trug ich doch eine kurze Sporthose - und meine entblößten Arme entlang, bereitete mir eine Gänsehaut. Schließlich wurde ein Kompromiss gestellt, welcher besagte, dass wir uns kurzerhand auf dem dreckigen Hallenboden niederließen – und wir die Eroberungsfeldzüge der Schogune erzählt bekamen. Je länger dieser Vortrag dauerte, desto müder wurde ich. Die Kälte hatte mich erschöpft, mein Körper fühlte sich irgendwie taub und starr an und nach und nach sank mein Kopf zur Seite, bis ich schließlich an der Wand der Halle lehnte, die Stimme meines Lehrers verklang. „Joseph!“ Ich schreckte mit einem Aufschrei hoch. Schluckend hob ich den Blick sah mich direkt einem Paar zornig funkelnder Augen und einem vor Verärgerung verzogenen Gesicht gegenüber. Verschlafen strich ich mir über die Augen, war zu benommen um zu realisieren, dass es mein Lehrer war, der mich aus meinem Schlaf gerissen hatte. „Sei froh, dass dies hier keine reguläre Stunde war. Wenn du zuhause nicht genügend Schlaf bekommst, dann geh gefälligst früher ins Bett, aber gleiche deinen Schlafmangel weder in meinem, noch in einem anderen Unterricht aus!“ Ich schluckte meine Erwiderung, in welcher ich ihm klar machen wollte, dass es im Endeffekt die Schuld der Schule war, dass ich so müde war, wenn sie es nicht für nötig sah die Heizungen anzustellen, hinunter. Denn mein Verstand lichtete sich langsam, die Müdigkeit ließ leicht nach und ich konnte wieder einigermaßen klar denken. Darum ließ ich es. Vorerst. Früher oder später würde ich mich noch dazu äußern. Nun jedoch rappelte ich mich auf und verließ mit einer gemurmelten Entschuldigung die bereits leere Halle. In der Umkleide traf ich auf Yugi und die anderen, die bereits vorgeschickt worden waren, da mein werter Lehrer es sich nicht hatte nehmen lassen wollen, mich persönlich zu wecken. Na herzlichen Dank auch. Da ich mit reichlicher Verspätung zu ihnen gestoßen war und es bereits kurz vor Stundenende war, verabschiedete ich mich rasch von ihnen, versprach Yugi nebenbei noch, mich heute Abend bei ihm zu melden, dann verließen sie die Kabine. Auch Tristan musste schon los, hatte er doch einen Nebenjob, der direkt nach der Schule anfing und er musste sich jedes mal beinahe einen Abbrechen, um rechtzeitig dort anzukommen. Schulter zuckend wandte ich mich ab, ließ mir im Gegensatz zu meinen Mitschülern Zeit, die nach und nach mit einem letzten Gruß verschwanden. Ich würde erst einmal eine schöne heiße Dusche nehmen – jetzt wo niemand mehr da war, war das ganze doch gleich viel angenehmer. Die Aussicht auf das warme Wasser ließ meine Laune steigen. „Sieh an, Wheeler, aus dem Reich der Träumenden zurückgekehrt?“ Augenblicklich schoss meine Laune zurück in den Keller. Ich drehte mich um. Kaiba stand in der Tür zur Kabine, die Tasche geschultert. Hatte ich ihn beim Reinkommen nicht bemerkt oder war er noch einmal zurückgekommen? „Was willst du, Kaiba?“ Er verschränkte die Arme. Seine Augenbraue schwang in die Höhe. „Ich muss zugeben, in der heutigen Sportstunde hat mir etwas gefehlt. Es war schade, deinen neidvollen Blick nicht auf mir ruhen zu sehen.“ Ja hatte der Typ den total ein Rad ab?! Was dachte der sich denn, wer er war? Das Zentrum der Welt?! Der Blick den er mir nun schenkte macht mir klar, dass ich mit dieser Vermutung nicht einmal so falsch lag. Leise knurrend verzog ich den Mund. Kaiba nervte. Sogar noch mehr als sonst. Mir war verdammt kalt, ich wollte nur unter eine heiße Dusche und der Typ zögerte das ganze nur unnötig heraus! „Kaiba, ich hoffe, du bist nicht hier, bloß um mir das zu sagen.“ Ich wandte mich ab, griff nach einem Handtuch und warf es mir über die Schulter. Kaiba hatte einige Schritte in die Kabine gemacht. Noch immer musterte er mich, stellte wie nebenbei seine Tasche ab. Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Warum war er noch hier? Normalerweise war er der erste, der nach Schulschluss weg war. Warum nicht auch heute? „Weißt du Wheeler, mir ist aufgefallen, dass du heute anders warst als sonst. Erst bist du abwesend, dann vollkommen aufgedreht, dann schläfst du im Unterricht ein. Normalerweise ist es immer nur eine von den drei Möglichkeiten.“ Ich starrte ihn ungläubig an. Was sollte das heißen? Woher wusste Kaiba, wie meine Launen waren? Beobachtete er mich etwa? Kaiba?! Unmöglich! Alle, bloß nicht Kaiba! Woher kamen dann bloß diese Zweifel ...? „Also, das ... äh ...“ Na klasse, jetzt stotterte ich auch noch herum. Super Kaiba, schönen Dank auch, mein letzter Rest Würde hatte sich soeben verabschiedeten. Mein Blick verfinsterte sich. Mir war kalt, Kaiba nervte und ich wollte eine Dusche, verdammt noch mal! Scheiß auf Kaiba, der war mir egal! Solange mir derart kalt war würde ich nie einen anständigen Satz in seiner Gegenwart zustande bekommen. „Kaiba, ich habe jetzt keinen Nerv für dich. Ich will duschen.“ „Was denn, obwohl heute überhaupt kein Sport war? Hast du keine Dusche bei dir zu Hause, Wheeler? Ich vergaß – sicher ist sie viel zu klein dafür, nicht wahr?“ „Nein, ich habe eine Dusche, ich will nur jetzt duschen. Hier.“ Meine Stimme wich von Sekunde zu Sekunde mehr einem Knurren. „Gibt es einen Grund für deine Ungeduld? Warum so aggressiv, Köter?“ Es war ihm nicht entgangen. Warum sollte es auch? Alles was schlecht war fiel ihm an mir sofort auf. Er schien beinahe ein Gespür dafür zu haben. Ich setzte mich in Bewegung, wollte stur an ihm vorbei in den Waschraum gehen. Wenn ich ihn ignorierte, würde es ihm vielleicht irgendwann langweilig und er würde verschwinden. So hatte ich es mir zumindest vorgestellt. Die Praxis stellte sich als komplexer heraus. Weitaus komplexer. Kaum dass ich auf gleicher Höhe mit ihm war schnellte sein Arm hervor und er packte mich an der Schulter. In einer plötzlichen Bewegung drehte er sich herum und presste mich hart an die Wand der Umkleidekabine. Dadurch presste er mir außerdem sämtliche Luft aus den Lungen und ich keuchte überrumpelt auf. Kurzzeitig wurde mir schwarz vor Augen und als sich meine Sicht wieder klärte, erblickte ich seine Gesicht nur ein kleines Stück von meinem entfernt, direkt vor mir. Ich wollte zurückweichen, doch die Wand in meinem Rücken hinderte mich daran. Auch seine Hände, die auf meinen Schultern lagen vereinfachten mein Vorhaben nicht unbedingt. „Kaiba, zum Teufel, was soll das?!“ Empört starrte ich ihn an und er erwiderte meinen Blick unberührt. Das hatte er schon immer erschreckend gut gekonnt. Mein Magen drehte sich um. „Was soll was, Wheeler?“ Seine Stimme war meinem Ohr gefährlich nahe und angesichts seines warmen Atems auf meiner kalten Haut bekam ich eine Gänsehaut. Ich verfluchte sowohl Kaiba als auch mich. „Na das!“, beharrte ich standfest. „Was soll das?! Lass mich sofort los! Ich wollte duschen!“ „Warum denn, Wheeler? Du hast doch die ganze Stunde über geschlafen.“ Eine seiner Hände wanderte meine Schulter hinab, über den Ärmel meines T-Shirts hinweg und strich wie zufällig über meinen Arm. Erneut bekam ich angesichts seiner warmen Hände eine Gänsehaut. Verdammt, warum war er überhaupt warm? Kaiba wäre der letzte, bei dem ich Körperwärme erwartet hätte. In meinen Augen war er ein zum Leben erwachter Eiswürfel. „Was denn, du bist ja ganz kalt.“ Erneut vernahm ich seine Stimme, dieses Mal jedoch dicht neben meinem Ohr. Ich versuchte, ihn von mir zu stoßen, doch er wusste dies zu verhindern. „Kaiba, lass los.“ „Ist dir etwa kalt, Wheeler? Frierst du?“ Ich schwieg. Was hätte ich auch tun sollen? Hätte ich es bestritten, hätte er es mir ohnehin nicht geglaubt, hätte ich zugestimmt ... nun ja, bevor der Tag kam, an dem ich Kaiba zustimmte, musste noch einiges geschehen. Zumindest Duke sollte bis dahin aufgehört haben, mit Serenity auszugehen! „Ich werte das als ein ja.“ Ich biss mir auf die Lippen als er mit seiner Hand begann, meinen Arm leicht auf und ab zu streichen. Eine angenehme Wärme breitete sich an den Stellen aus, gleichzeitig zog sich in mir alles zusammen. Was tat Kaiba hier? Warum tat er es? Kapierte der Typ nicht, wer ich war? Ich war Joey Wheeler, sein erklärter Erzfeind, der Köter, die Töle und was er mich sonst noch alles genannt hat. „Was ist Wheeler, warum so verkrampft?“ „Was soll das werden Kaiba?“ Endlich hatte ich es geschafft, zumindest eine meiner Fragen laut zu stellen. Seine Hand verharrte und sein Gesicht kam meinem bedrohlich nahe. „Ich weiß nicht. Ich habe nur gerade das Bedürfnis, mich mit dir zu befassen. Und da dir kalt ist ... nun, sie es als kleines Warm up, damit du dir die Dusche sparen kannst.“ Und mit diesen Worten beugte er sich vor und presste er seine Lippen auf meine. Ich schnappte nach Luft, versuchte, mich loszureißen, doch seine Hände drückten mich unnachgiebig gegen die Wand. Ich starrte ihn aus geweiteten Augen geschockt an, konnte nicht begreifen, welcher Teufel ihn dazu geritten hatte, das zu tun, doch er blickte mich nur mit einer Mischung aus Belustigung und Bestimmtheit an, der ich deutlich ansah, dass er mich so schnell nicht wieder freigeben würde. Er öffnete den Mund, strich mit seiner Zunge über meine geschlossenen Lippen. Durch diese Handlung überrumpelt keuchte ich in den Kuss und diesen Moment nutzte er aus und überrumpelte mich erneut und voller Dreistigkeit. Meine Lider senkten sich flatternd, doch kurz bevor ich die ganz Augen schloss, bemerkte ich das zufriedene Funkeln in seinem Blick, das selbstgenügsame Zucken seiner Mundwinkel, was mich dazu bewog meine Augen wieder zu öffnen und ihn durchdringend und provozierend anzusehen. Er sollte merken, dass er mit einem Joey Wheeler nicht so leichtes Spiel hatte, wie er sich das dachte. Zu meinem Missfallen registrierte ich jedoch, wie seine Behandlung allmählich Wirkung erzielte. Hitze breitete sich in mir aus, dort, wo seine Hände meine Haut berührte, als er wiederholt mit ihnen über meine Arme strich, schien die Haut zu brennen. Ich verstand die Reaktionen meines Körpers nicht, doch erfüllten sie mich mit Unbehagen. Meinem Verstand schien zu entgehen, dass es Kaiba war, der mich küsste, dass er männlich war genau wie ich und dass ich ihn normalerweise zu hassen hatte, genauso wie die Tatsache, dass, mit Rücksichtnahme auf diese Fakten, der Kuss eigentlich bei keinem Teil von mir auf Gefallen hätte stoßen dürfen. Es war erschreckend, wie viel meinem Verstand in jenem Moment entging. Er war vielmehr auf andere Dinge fixiert, hinzu kam, dass meine Wahrnehmung nur auf Kaiba beschränkt war. Obwohl er es war, der diesen Kuss begonnen hatte, konnte ich nicht zulassen, dass er mich derart vorführte. Ich war nicht umsonst ein Joey Wheeler, dessen Motto es war, sich nie geschlagen zu geben. Genauso wie hier! (Im Nachhinein würde ich behaupten, Kaibas Handlung habe mich überfordert und meine nun folgende Reaktion entstammte aus einem Kurzschluss heraus.) So kam erwiderte ich den Kuss unvermittelt, entlockte ihm ein überraschtes Aufkeuchen, welches mich mit Zufriedenheit erfüllte. Überrascht Kaiba? Ich befreite eine Hand aus seinem Griff, vergrub sie rücksichtslos in den Haaren in seinem Nacken und zog ihn weiter zu mir. Er wollte mir die Kontrolle genauso wenig geben wie ich ihm und ich glaube das war es, was uns so faszinierte. Niemand war bereit, nachzugeben, unsere Bemühungen, den anderen zum unterliegen zu bringen, verstärkten sich. Als er jedoch mit seiner freien Hand unter mein Shirt fuhr und über meinen Bauch tastete, schaffte er es, mich zu überrumpeln. Aufjapsend schnappte ich nach Luft, löste somit den Kuss und starrte ihn fassungslos an. „Kaiba, du hinterhältiger –“ Seine Lippen hinderten mich daran, ihn mit einem angebrachten Schimpfwort zu bestücken und seine Hand an meinem Bauch wusste mich effektiv abzulenken. Mir wurde von Sekunde zu Sekunde wärmer, vergessen war die Kälte, die noch bis vor kurzem meinem Körper in Beschlag genommen hatte. Selbstsicher erwiderte ich den Kuss, der nun von neuem entbrannte, wusste nicht, woher ich die plötzliche Sicherheit nahm, vergaß, dass es der Mistkerl Kaiba war, dem diese Lippen gehörten, vergaß, dass wir uns hier in der Sportumkleide der Schule befanden. Bis er sich unvermittelt von mir löste und einen Schritt nach hinten machte. Ich knurrte unzufrieden, streckte die Hand aus um ihn zu packen, zu mir zu ziehen, doch er wusste dies mit einem bestimmten Griff um mein Handgelenk zu verhindern. „Nicht doch, Wheeler, lass gut sein.“ Fassungslosigkeit breitete sich in mir aus. Ungläubig starrte ich ihn an. „Was ist Kaiba, erst anfangen und dann den Rückzieher machen oder was?!“ Meine Stimme zitterte, zeugte von der unterdrücken Wut, der Frustration, dem brennenden Wusch, ihm den Hals umzudrehen, für das was er in mir entfacht hatte. Er schüttelte den Kopf. Ein amüsiertes und ebenso spöttisches Lächeln lag auf seinen Lippen. „Es war nur die Rede von Aufwärmen. Und in meinen Augen bist wärmer als eben.“ Damit mochte er Recht habe, tatsächlich war mir alles andere als kalt, doch war es mehr als nur unverschämt von ihm, jetzt einfach aufzuhören! Ich hatte ihm noch zeigen wollen, dass er es nicht schaffte, mich zu überwältigen und jetzt würde es dazu nicht mehr kommen?! Das Verlangen, ihm meine Faust ins Gesicht zu rammen, machte sich in mir breit, wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Dieser verdammte Mistkerl von einem Kaiba! Meine Wut musste mir deutlich ins Gesicht geschrieben sein, denn er machte erneut einen Schritt auf mich zu und beugte sich wieder vor. Er brachte seine Lippen dicht an mein Ohr. „Bild dir nicht zuviel darauf ein. Das alles hat nie stattgefunden.“ Ein Schauer jagte bei diesen Worten meinen Nacken hinab. Selbstzufrieden grinsend lehnte sich Kaiba zurück. Er beugte sich zur Seite, griff nach seiner Tasche und schulterte sie. „Man sieht sich Wheeler.“ Mit diesen Worten und einem letzten viel sagenden Blick verließ er die Umkleide. Ich starrte ihm nach, kam mir vor wie in einer billigen Soap. Ich konnte nicht glauben, was eben geschehen war. Kaiba und ich hatten uns – Kaiba hatte mich – Er hatte gesagt – Wie elendig dreist! Alleine das Wort ‚Kaiba’, zusammen mit ‚uns’ vereint in einem Satz klang befremdlich, doch wurde dies bei Weitem in den Schatten gestellt von dem, was wir getan hatten. Was er getan hatte. Wir. Er. Vor allem er! Seit wann konnte Kaiba küssen? Ich hatte erwartet, jemand wie er kannte nicht einmal das Wort und wenn doch, dann nur aus dem Wörterbuch, zusammen mit einer Wortgenauen Definition und mehr nicht. Aber das?! Wer hätte das erwarten können? Das übertraf meine Vorstellungen. Mein Weltbild war zerstört. Ich lehnte mich Halt suchend an die Wand hinter mir. Die Dusche konnte ich vergessen, mir war mittlerweile so warm, dass mir bei dem Gedanken an eine Dusche der Schweiß auf der Stirn stand. Meine Lippen brannten, ich hatte den Geschmack von Kaiba auf der Zunge. Spätestens jetzt hätte die Übelkeit einsetzen müssen. Doch abgesehen von einem brennenden Gefühl der Frustration spürte ich nichts. „Ach, verdammter Scheiß!“ Meine Stimme durchbrach die Stille der Kabine, klang mir so unwirklich in den Ohren, dass ich in den ersten Momenten bezweifelte, dass es sich um meine eigene Stimme handelte. „Kaiba, das kriegst du zurück, verlass dich drauf!“ Natürlich hörte er mich nicht mehr. Wahrscheinlich hatte er längst das Gebäude verlassen, dennoch fühlte ich mich jetzt ein bisschen besser. Ich stieß mich von der Wand ab und wankte zu meinem Platz. Abwesend zog ich mir meine Sachen an, mein Blick blieb an dem T-Shirt und der Jacke hängen. Und alles nur, weil ich verschlafen hatte und in Eile gewesen war ... Ich schüttelte den Kopf. Kaiba würde schon noch sein Fett weg bekommen. Spätestens morgen in der Pause würde ich ihm heimzahlen – wenn nötig auf der Jungetoilette wo uns niemand sah – dass er mich einfach so stehen gelassen hatte. Er hatte es drauf angelegt, nun musste er auch die Konsequenzen tragen. Im Nachhinein hätte ich mit Freude behauptet, bei dem Ereignis nach dem Sportunterricht zwischen Dusche und Umkleidekabine handelte es sich nur um einen Tagtraum, eine Einbildung hervorgerufen von Schüttelfrost und starker Unterkühlung. Mir kamen noch weitaus mehr Gründe dafür in den Sinn, jedoch war der Großteil von ihnen nicht annähernd überzeugend, geschweige denn im Bereich des Möglichen und wurde gekennzeichnet von den Namen Pegasus, Marik und in einer zehnminütigen Phase der absoluten Selbstzerstörung traf ich sogar auf Dartz. 2. Akt Am Tag nach dem Zwischenfall erschien ich mit meiner Schuluniform in der Schule, jedoch wurde sie begleitet einem handgestrickten Schal von Serenity. Handschuhe zierten meine Hände und eine dunkle Mütze verdeckte den Großteil meiner Haare. Auf die fragenden Blicke meiner Freunde reagierte ich mit erfundenen Ausreden (Pegasus, Marik oder Dartz wurden dabei nicht genannt) und verhielt mich ansonsten auffällig schweigsam. Kaiba ließ sich mit keiner Regung anmerken, was er von meinem Äußeren hielt. Er musterte mich flüchtig im Vorbeigehen, doch entgegen meiner Erwartung machte er keine Anstalten, mich darauf anzusprechen oder mit einem spöttischen Kommentar darauf zu reagieren. Seine Gleichgültigkeit machte mich rasend! Wer von uns beiden hatte gestern mit dem verrückten Benehmen angefangen? Wer war es denn, der im besten Moment – hatte ich das jetzt tatsächlich so betitelt? Oh Gott – ohne Vorwarnung stoppte und mich eiskalt stehen ließ? Ich hatte eine Erklärung verdient. Genau genommen hatte ich viel mehr verdient! Neben einer Erklärung verdiente ich es auch, dass er ... was verdiente ich meiner Meinung nach denn noch? Eine Entschuldigung? Ich konnte unmöglich den Wunsch nach einer Fortsetzung des Begonnenen verspüren. Außerdem hatte es ihm zufolge nie stattgefunden. Noch ein Grund, warum ich auf eine Begründung brannte. Meine Hände zuckten und ich kämpfte mühevoll den Drang nieder, sie in meinen Haaren zu vergraben. Ich hätte dadurch nur unnötig die Mütze verschoben. Der Schultag zog sich in die Länge, wie ein schlechter Film, den man gezwungen war, mit an zu sehen, obwohl man sich nichts sehnlicher wünschte, als das erste Aufflackern des Abspanns. Nur dass mein Abspann noch bedeutend weiter entfernt schien. Unvorstellbar weit. Zugegeben rechnete ich nicht wirklich mit einer Wende. Tatsächlich rechnete ich, je weiter der Tag in beunruhigend abnehmender Geschwindigkeit voranschritt, mit überhaupt nichts mehr. Es gab einen Punkt, da war ich der festen Überzeugung, dass ich noch nicht einmal sein Ende erreichen würde. Doch ich hatte mich geirrt. Dieser Fakt war wiederum so vorhersehbar, dass meine Beschränktheit geradezu lächerlich war. Die Wende erfolgte in Form eines Feueralarms in der letzten Stunde. Schrill läutete die Glocke durch die Lautsprecher und nicht wenige zuckten zusammen, Fluche ertönten, angesichts eines verwackelten Wortes auf dem eigenen Block, gleichsam wie Gelächter und freudiges Murmeln obgleich der willkommenen Abwechslung. Ich verharrte auf meinem Platz, starrte stumm auf die Tafel und musste mich beherrschen um nicht in haltloses hysterisches Gelächter aus zu brechen. Es war Winter, draußen lief man Gefahr ohne Schutz blaue Finger zu bekommen und trotzdem gab es Feueralarm? „Joey, nun komm doch.“ Téas Worte waren voller Nachdruck, doch ich regierte nicht. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie Tristan zu sich winkte und Momente später spürte ich einen festen Griff um meinen Oberarm, der mich zwang, aufzustehen. „Alter, beeil dich.“ Er zog mich unbarmherzig hinter sich her und ich war zu überrumpelt, um mich zu wehren. Erst auf dem schülerüberfüllten Flur löste ich mich aus der Starre. „Tristan, ich kann alleine gehen.“ Doch er hatte keine Möglichkeit mehr, zu reagieren, denn ich wurde unsanft von der Seite angestoßen, strauchelte und musste mich an dem Türgriff eines Klassenraumes festhalten, um nicht zu fallen. Als ich aufblickte, hatte ich Yugi, Téa und Tristan inmitten all der Schüler aus den Augen verloren. Fluchend richtete ich mich auf. Warum waren alle so derart unkontrolliert bei einem Feueralarm? Konnte denn niemand darauf achten, wo er hinlief? War es denn so schwer? Kopfschüttelnd klopfte ich mir den Staub von der Schuluniform. Niemand musste sich bei Feueralarm beeilen, ich hatte alle Zeit der Welt. Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir, dass der Schulhof bereits voller frierender Schüler war und dieser Anblick weckte meinen Widerstand. Ich wollte unter keinen Umständen bei einem Übungsalarm in die Kälte nach draußen. Ohne mich. Ich hatte weder den Schal, noch Mütze und Handschuhe bei mir, ich würde ganz bestimmt nicht bei den Temperaturen das Gebäude verlassen. Betont gemächlich schlenderte ich über den Flur, bis auch die letzen Nachzügler an mir vorbei waren. Erst dann machte ich kehrt und setzte meinen Weg in die entgegengesetzte Richtung fort. Kaum um die Ecke gebogen, erstarrte ich und unterdrückte einen Fluch. Kaiba stand vor mir und blickte ausdruckslos auf mich hinab. Hatte ich erwähnt, dass ich noch immer vor Wut bebte, sobald ich an ihn dachte, geschweige denn ihn sah? Mein Körper spannte sich an und ich biss mir auf die Lippen. Es war verrückt, doch seit ich Kaiba kannte löste seine alleinige Präsenz das Gefühl in mir aus, ihm immer unterlegen zu sein, sogar dann, wenn es nicht einmal darauf ankam, wer nun unterlag. (Dieses Gefühl steigerte sich in derartige Höhen, dass ich mich sogar mehrfach in den Pausen dabei ertappte, argwöhnisch zu ihm hinüberzublicken, in der Sorge, er würde sein Frühstück schneller beenden als ich. Mein Eifer ihn zu überbieten artete sich in eine Manie aus, die ich unmöglich von mir aus bekämpfen konnte. Es war als wäre ein Teil von mir darauf abgestimmt, Kaiba zu bekämpfen, sollte er mich auch noch so oft bloßstellen ohne sich dafür überhaupt anstrengen zu müssen.) „Wenn du etwas zu sagen hast, Wheeler, dann sprich.“ Seine Stimme, kühl und distanziert und gleichsam vertraut, zerschlug meine Starre, wie ein Hammer das Eis. Blinzelnd starrte ich ihn an, bis mir klar wurde, dass er sich, ebenso wie ich, verbotenerweise noch im Schulgebäude aufhielt. Ich hob die Arme und verschränkte sie vor der Brust, wie er es oft zu tun pflegte um seine Gegenüber zu verunsichern. Nun kam ich ihm mit dieser Geste zuvor und er konnte es mir nicht gleichtun, weil er dadurch etwas machen würde, was er, wie ich wusste, nicht ausstehen konnte: Sich auf eine Stufe mit mir stellen. Seine Augenbrauen wanderten in die Höhe, ein Muskel in seinem Gesicht zuckte kurz, dann war es wieder so ausdruckslos wie ein weißes Blatt Papier. „Bist du nun so einfallslos, dass du mich nachahmen musst?“ Ein Grollen drohte sich seinen Weg meine Kehle hinauf zu suchen, doch ich schluckte es, zusammen mit einer Beleidigung. Wie hatte ich auch annehmen können, Kaiba würde es nicht auffallen? Er hielt sich für schlau, er war schlau und ihm würde diese Eindeutigkeit nicht entgehen, also warum hatte ich es dann darauf angelegt? Es wurde Zeit, meine Vorgehensweise zu ändern. Ich löste die Verschränkung meiner Arme, war sie doch viel zu defensiv für jemanden von meinem Charakter und stemmte die Hände stattdessen provokant in die Hüften. „Kaiba, was für eine Überraschung.“ Ich neigte den Kopf und grinste ihn unverschämt an. „Bist du hier, um wieder über mich herzufallen, wie gestern?“ Wäre ich mir nicht sicher gewesen, dass sich außer uns niemand mehr in diesem Gebäude, geschweige denn in einem Radius von zwanzig Metern und mehreren Wänden befand, ich hätte es nie gewagt, diese Worte laut auszusprechen, geschweige denn sie zu denken. Doch da ich mit Überzeugung behaupten konnte, dass alle Schüler und Lehrkräfte zurzeit auf dem Schulhof standen und zitternd auf die Durchsage warteten, die ihnen mitteilen würde, dass sie das Schulgebäude wieder betreten durften, sprach ich die unverzeihlichen Worte aus. Laut. Provozierend. Überlegen. Erfolglos. Kaiba zeigte mit keiner Regung, dass sie ihn berührten, obwohl ich sie so eindeutig und dreist gewählt hatte wie nur irgend möglich. Er zuckte nicht einmal. Das war nicht normal. Ich musste noch einen draufsetzen. „Ich meine, außer uns ist niemand mehr im Gebäude, wir sind ganz alleine. Ich bin sicher der alleinige Gedanke daran dürfte dich erfreuen, nicht wahr?“ „Wovon sprichst du?“ Seine Worte hatten dieselbe Wirkung wie ein Eimer kalten Wassers mitten ins Gesicht oder ein hinterhältiger Tritt von hinten. Tatsächlich hatte ich durch sie für wenige Augenblicke das schreckliche Gefühl, alles was in der Umkleidekabine geschehen war gehörte nur zu einem (Alb)Traum der schlimmsten Art, doch dann rief ich mir ins Gedächtnis, dass die Kälte, die ich bis zu dem Zwischenfall gespürt hatte unmöglich unecht und die Wärme, die mich nach dem Geschehen unglücklicherweise erfüllt hatte genauso wenig meiner Fantasie entsprungen war. Nein, es war alles andere als ein Traum gewesen. Es war Realität, bittere, erschütternde und verstörende Realität und Kaiba - dieser verlogene Hund von einem miesen Schauspieler - war zu feige, um es zuzugeben. „Als ob du das nicht wüsstest, Kaiba. Ich geb’ dir einen Tipp: Warm Up. Klingelt da etwas?“ „Bist du mit deinem Kopf zu oft gegen die niedrige Decke deiner Hundehütte gestoßen oder warum behelligst du mich mit derartigem verbalen Müll?“ Das war Kaiba. Niemand außer ihm schaffte es, Beleidigung und Fremdworte in einem Satz zu kombinieren, sodass man nicht in der Lage war, gleichrangig zu Kontern. „Und was ist mit dir? Hat dir die Kälte den Verstand schockgefrostet oder warum lässt du dich zu Aktionen wie der von gestern hinreißen?“ „Ich weiß nicht, was du meinst.“ „Natürlich nicht.“ Ich schnaubte. „Natürlich weißt du es nicht, denn du bist ja dafür bekannt, sehr vergesslich zu sein. Oder nein“, ich gab mich gespielt bestürzt, „liegt es vielleicht daran, dass es deiner Meinung nach überhaupt nicht geschehen ist? Kaiba, kann es sein, dass du alt wirst?“ „Ist dir bewusst, was du von dir gibst, Wheeler?“ „Und ist dir bewusst, dass du gerade versuchst abzustreiten, dass dir etwas an mir gefallen muss, weil du sonst nie so gehandelt hättest? Denn ich befürchte Kaiba, dass du bereits vollkommen in den Tiefen der Verdrängung versunken bist.“ „Rede deutlich oder geh.“ „Man sagt Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.“ „Dann hast du viel nachzuholen, Wheeler.“ „Wer redet denn von mir? Du solltest langsam akzeptieren, was gestern passiert ist und es zugeben, anstatt es unnötig kompliziert zu machen, indem du es bestreitest. So kommen wir nämlich nie zu einer Lösung.“ Meine eigenen Worte überraschten mich, denn ich hatte eigentlich nicht so etwas sagen wollen. Es war mir rausgerutscht und ließ sich jetzt nicht mehr rückgängig machen. „Wer sagt, dass ich zu einer Lösung kommen will?“, entgegnete er gereizt und verschränkte nun die Arme. Die alleinige Geste war in meinen Augen Geständnis genug um mich davon abzuhalten, ihn zu packen und zu schütteln, bis er mir zustimmte. „Du. Indem du noch immer hier stehst.“ „Du versperrst mir den Weg“, erwiderte er trocken. „Ich wusste nicht, dass ich so breit bin“, gab ich spöttisch zurück und blickte mich um. „Wenn ich es recht sehe ist der Gang ziemlich breit und der Platz neben mir sieht ausreichend aus, um dich vorbei zu lassen. Warum stehst du dann noch immer hier, Kaiba? Ah, kann es wohlmöglich sein, dass du nicht gehen möchtest? Ist es meine Nähe die du suchst?“ Mein Spott wurde beißender. „Oder sehnst du dich nur nach Körperwärme, weil du dich nicht warm genug angezogen hast? Aber halt, war es nicht gestern auch irgendwo so?“ Ich ignorierte, dass mich der Zwischenfall von gestern eigentlich noch immer zu sehr verstörte, als dass ich bereits war, über ihn herzuziehen. Nun galt es, Kaiba aus der Reserve zu locken. „Du nanntest es ein Warm Up, bevor du mich geküsst hast“, ich unterdrückte ein Zögern und sprach unbeirrt weiter, darauf hoffend, dass Kaiba diese Unsicherheit nicht auffiel, „und ich muss dich wohl kaum daran erinnern, dass du es warst, der angefangen hat. Es sei denn, an dieser Schule gibt es einen anderen jungen mit deinem Aussehen und deinem einmalig großen Ego. Sag, fällt dir jemand ein, der auf diese Beschreibung zutrifft.“ Ich blickte ihn erwartungsvoll an und er erwiderte meinen Blick unbewegt, dann räusperte er sich und meinte reserviert: „Ich weiß nicht, was sich in deinem Kopf abspielt, Wheeler, und offen gestanden liegt mir nichts ferner als dies herauszufinden, aber wenn das, was du mir soeben verkündet hast, dem entspricht, rate ich dir, den Schulpsychologen aufzusuchen.“ „Vielleicht solltest du mitkommen Kaiba, dann kann er sich auch mit deiner manischen Verdrängung befassen. Wir machen eine Gruppentherapie, was meinst du?“ Ich lächelte süßlich. „Ich habe gehört zu zweit lassen sich traumatische Ereignisse weitaus besser bewältigen, als alleine.“ Er schwieg, Zum ersten Mal schienen ihm die Worte zu fehlen. Ich beschloss, noch einen Schritt weiter zu gehen. „Es sei denn du ziehst eine Stressbewältigung vor. Um ehrlich zu sein kam mir dein Verhalten gestern viel mehr wie eine Alternative zu Frustabbau vor. Oder habe ich deine Absichten falsche eingeschätzt?“ „Was redest du?“ „Bin ich zu schnell für dich? Soll ich es dir aufschreiben, Kaiba? Stress-Bewältigung “, zog ich das Wort unnötig in die Länge und unterstütze die Betonung mit ausladenden Gesten, „Frust-Abbau. Probleme. Du verstehst?“ „Himmel Wheeler, ich bin nicht dumm!“ „Schön das zu hören. Aber Selbst-Diagnosen sind nicht zwangsläufig zutreffend.“ Er schien die Geduld zu verlieren. „Hör auf, wie ein Psychologe zu reden und sei still!“, wies er mich scharf zurecht. „Kommst du damit nicht klar? Überrascht, dass ich doch mehr weiß, als du erwartet hast?“ „Komm auf den Punkt oder geh.“ „Du bist heute ziemlich schwer von Begriff, kann das sein?“ „Wheeler ...“ „Ich geb dir eine Definition von dem, was ich von dir wissen will, Kaiba. Sag nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, aber ich habe langsam echt die Schnauze voll von deiner Ignoranz. Und jetzt sei still und lerne.“ Und mit diesen Worten griff ich nach dem Kragen seiner zugeknöpften Schuluniform – Kaibas Uniform war grundsätzlich immer zugeknöpft, egal welches Wetter draußen war – und beugte mich vor. Es war nicht der erste Kuss, den ich hatte. Ohnehin hätte ich spätestens seit gestern nicht mehr von meinem ersten Kuss reden können, doch ich konnte mich auch nicht als unerfahren bezeichnen. Meine erste Erfahrungen hatte ich mit Tristans Schwarm aus der achten Klasse gehabt, Schleifchen, doch ich war damals viel zu jung gewesen, um viel mit dieser Errungenschaft anfangen zu können. Einmal hatten Téa und ich und geküsst, doch galt dies mehr der Übung, weil sie ohnehin in Yugi – nein, den Pharao, nein, doch Yugi! - verliebt war und ich außer freundschaftlichen Gefühlen nichts für sie empfand. Letztendlich war es zu einer Beinahe-Erfahrung mit Mai gekommen, doch das war ebenfalls länger her und eben keine direkte Erfahrung. Gut, zugegeben, ich war bis zu dem jetzigen Zeitpunkt erst zwei – nein, mit gestern waren es drei Mal – geküsst worden und konnte demzufolge doch nicht von einer ausgeprägten Vorkenntnis sprechen, doch was ich feststellte – und es war gleichsam beunruhigend wie beängstigend – war, dass die Küsse, bei denen Kaiba den Partner darstellte, weitaus mehr Wirkung auf mich hatten, als alle anderen zwei, die ich vorher hatte. Wollte mir das Schicksal einen Wink geben? War ich dazu verdammt, Serenity die Aufgabe zu überlassen das Wheeler-Erbe fortzusetzen, weil sich nun herausstellte, dass ich, Joey Wheeler, kein sichtbares Problem damit hatte einen Jungen - und noch dazu Kaiba! – zu küssen? Ironie des Schicksals? Oder nur ein Überschuss an Hormonen? Kälteschock? Kurzschlussreaktion? Nichts davon und ich musste mir zerknirscht eingestehen, dass die meiste Wirkung des Kusses durch den Überschuss an Gedanken, die ich mir machte, verloren ging. Mein Griff um Kaibas Kragen lockerte sich, als ich mich von ihm löste und einen Schritt zurück machte. Ich brauchte keinen Spiegel um zu Wissen, dass ich augenblicklich ein Bild der Verwegenheit abgab. „Definition genug, Kaiba?“ Mein Atem ging schwer und ich hatte für wenige Momente das Gefühl, er blicke durch mich hindurch, bevor seine Augen sich verengten „Hast du vollkommen den Verstand verloren?“ Die Frage stellte ich mir auch. Aber nicht, wegen meiner Handlung sondern wegen dem penetranten Wunsch, ihn erneut zu packen und zu küssen, dieses Mal jedoch ohne so viel zu denken. Das war nicht normal. Serenity hatte wahrlich ein schweres Los gezogen. „Möglich.“ „Was sollte das?“ Ich widerstand dem Drang, mich zu schütteln, um die Benommenheit loszuwerden und blinzelte stattdessen mehrmals, bis ich wieder das Gefühl hatte, mich unter Kontrolle zu haben. Mit einem Grinsen auf den Lippen sah ich Kaiba an und zuckte die Achseln. „Was sollte was, Kaiba?“, erwiderte ich und imitierte dadurch seine eigenen Worte, die er einen Tag vorher ausgesprochen hatte, in einer Situation, in der ich wahrscheinlich ebenso verwirrt gewesen war wie er momentan. „Versuch nicht, auszuweichen.“ Seine Worte waren bedrohlich leise gesprochen. „Du weißt, was ich meine. Du weißt, was du getan hast und ich verlange eine Erklärung.“ „Ich kann es dir gerne noch einmal zeigen, Kaiba.“ Ich machte einen Schritt auf ihn zu und er tat etwas vollkommen untypisches für seine Verhältnisse und wich zurück. „Lass das.“ „Was, Kaiba?“ „Alles. Bleib, wo du bist!“ „Warum denn? Mache ich dich nervös?“ „Sei nicht albern. Bleib stehen!“ „Du wirkst beunruhigt Kaiba. Ist es wegen mir?“ „Nein.“ „Das glaube ich dir nicht.“ Es war ein sich wiederholender Ablauf. Ich machte einen Schritt und er tat dasselbe, um sich von mir zu entfernen. In der Mitte des Ganges blieb ich stehen, denn etwas hatte meine Aufmerksamkeit erregt. Ich blickte mich um und roch. Kaiba verfolgte meine Handlung argwöhnisch, bis ich mich zu ihm umdrehte und ihn verwirrt musterte. „Sag mal, riechst du das auch?“ Von dieser Frage aus dem Konzept geworfen starrte er mich an. Ich sah seine Nasenflügel beben, als er einatmete, dann tat ich es ihm gleich. „Hier riecht es verbrannt.“ Und die Erkenntnis übermannte uns gleichzeitig. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen und es war, als hätte man mich mit einem Schlag in die Realität zurückgeholt. Nun nahm ich auch die sich nähernde Sirene der Feuerwehr war, die ich bis zu jenem Zeitpunkt nicht bemerkt hatte und der beißende Geruch schien um einige Stufen penetranter zu werden. Wie hatte ich nur annehmen können, bei diesen Temperaturen und zu dieser Jahreszeit gäbe es einen Probealarm? Niemand würde es riskieren, das Datum an einen Tag setzen, an dem die Schüler sich beim alleinigen Stehen auf dem Schulhof einen Schnupfen holen konnten, wenn sie unerwartet aus dem Unterricht geholt würden. „Verdammt!“ Wir waren schon viel zu lange in diesem Gebäude, das Feuer konnte bereits die gesamte erste Etage eingenommen haben, vielleicht auch das Obergeschoss, doch Tatsache war, dass Kaiba und ich so schnell wie möglich hier raus mussten! Ich blickte mich um, und mein Blick fiel auf das Fenster, am anderen Ende des Flurs. In meinem Kopf bildete sich eine Idee. Ich wirbelte herum, meine Hand schnellte nach vorne und bevor Kaiba Zeit hatte zu reagieren, hatte ich ihn bereits am Arm gepackt und zog ihn hinter mir her. „Wheeler, was zum-?! Lass mich sofort los!“ Er schien es aufgegeben zu haben, um Beherrschung zu ringen. Seine Stimme zeugte von seiner derzeitigen Aufgewühltheit. „Klappe, und lauf.“ Der Geruch nahm nicht ab, ich hatte das beklemmende Gefühl er würde sogar noch stärker und als wir vor dem Fenster standen ließ ich Kaiba los, begann stattdessen an den Griffen zu hantieren. Fluchend bemühte ich mich, sie zu öffnen, doch es war lange her, dass sie das letzte Mal benutzt wurden waren. Knurrend riss ich an den Halterungen und nach etlichen Versuchen lösten sie sich schließlich aus und ich konnte das Fenster aufschieben. Die Blicke von hunderten Schülern richteten sich auf mich, als ich mich aus dem Fenster lehnte und hinabblickte. Ein Gemurmel ging durch die Reihen, welches lauter wurde, als man Kaiba bemerkte, der hinter mir stand. Ich spähte nach unten und mein Blick fiel auf die dichten Sträucher, die unter uns wucherten. Wir befanden uns im ersten Stock, der Fall war tief, aber die Sträucher würden uns abfangen, da war ich mir sicher. „Joey!“ Téas Stimme übertönte das allgemeine Gesumme und ich war versucht, sie in der Masse zu suchen, doch dafür fehlte uns jetzt die Zeit. „Kaiba.“ Ich drehte mich zu ihm um und sah, dass er Anstalten machte, sich von mir zu entfernen. Rasch griff ich nach seinem Arm und hielt ihn zurück. „Untersteh dich, jetzt abzuhauen.“ Ich blickte ihn ernst an. „Wir müssen springen.“ Seine Gesichtszüge entglitten seiner Kontrolle. „Bitte was?!“ „Springen“, wiederholte ich. „Aus dem Fenster. Falls du es noch nicht bemerkt hast“, meine Stimme wurde lauter, „hier brennt es und das schon länger und wenn wir nicht springen kann wer-weiß-was passieren!“ Fassungslos starrte er mich an, dann verhärteten sich seine Gesichtszüge. „Ich werde ganz bestimmt nicht springen.“ Ich knurrte. Seine Sturheit machte mich noch wahnsinnig. „Und wie du springen wirst. Ich werde dich aus dem Fenster schmeißen, wenn es sein muss“, zischte ich und zog ihn in Richtung Fenster. Er hielt dagegen und stemmte sich gegen meinen Griff. „Das wagst du nicht, Wheeler.“ „Wollen wir wetten?!“ Ich gab ihm einen Schubs und er stolperte gegen die Wand. Nun stand er am offenen Fenster, doch er blickte mich weiterhin finster an. „Ich werde nicht springen.“ „Du springst. Und wenn du es nicht tust“, ich trat einen Schritt an ihn heran, „dann werde ich vor der gesamten Schule bloßstellen, indem ich dir die Definition von eben noch einmal praktisch verdeutliche. Verstanden, Kaiba?“ Ich hatte das Gefühl, mittlerweile das Feuer hören zu können. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Kaibas Blick war bitterböse, doch ich erwiderte ihn kommentarlos. „Spring.“ „Ich werde nicht springen, Wheeler.“ Und ich verlor die Geduld. Wie ich es geschafft hatte, Kaiba neben mich auf das Fensterbrett zu bringen, konnte ich im Nachhinein nicht mehr sagen. Mehrfach wurde mir beteuert, dass selbst die Theorie dieses Vorgangs ein Akt der Unmöglichkeit war, doch schlussendlich hatten wir beide ein Bein draußen und bevor Kaiba die Möglichkeit hatte, sich zu wehren - geschweige denn umzukehren - zog ich ihn an seiner Schuluniform mit mir nach unten, als ich mich abstieß und mich fallen ließ. Ein Fall aus dem ersten Stock ist tief. Und schnell. Und Sträucher, mochten sie von oben auch noch so dicht aussehen und robust wirken, federten keinen Fall ab. Diese Erkenntnis machte ich, als ich mit den Füßen voran auf der Erde landete, umknickte und mich schließlich nach Sekunden der Schwärze durch einen Stechenden Schmerz in meinem rechten Arm und meiner Schulter zurück in das Hier und jetzt geschleudert sah. Ein Teil meines Körpers hatte für Kaiba das getan, was die Sträucher bei mir verweigert hatten: Seinen Fall abgefangen. Doch nun hatte ich das Gefühl, mein Arm seit taub, mein Fuß pochte schmerzhaft und mein Kopf dröhnte wie bei einem besonders schlimmen Kater. „Wheeler, du bist tot“, hörte ich Kaiba neben mir husten und spürte eine Bewegung, als er sich aufrichtete. Und ich musste ihm zustimmen, denn ich fühlte mich in dem Moment mehr tot als lebendig. Nur eine Sache nahm ich durch das Beben des Bodens, welches mir ankündigte, dass zahllose Füße sich uns näherten, und die panischen Ausrufe Téas, die selbst das Heulen der Sirenen der Feuerwehr übertönten, wahr. Ich hatte Kaibas Schuluniform bis jetzt nicht losgelassen. Noch immer umklammerte meine rechte Hand den Stoff, den sie vor dem Sprung zu Fassen bekommen hatte. Was war ich doch für ein Idiot. 3. Akt „Unglaublich.“ Téa schritt vor mir auf und ab, mit herrische Miene und eine tiefe Falte auf der Stirn, die von ihrem derzeitigen Gefühlszustand zeugte. „Ich kann es einfach nicht begreifen.“ Ich saß im Krankenwagen. Die hinteren Klappen waren geöffnet, meine Beine baumelten draußen während ich mich seitlich an die Innenwand lehnte. Eine Decke war um meine Schultern geschlungen und mein Atem bildete Wölkchen. Mein linker Fuß war bandagiert und mein rechter Arm hing in einer Schlinge, die um meinen Hals gebunden war. In der gesunden Hand hielt ich einen Becher mit Wasser und einer Kopfschmerztablette. Stumm blickte ich auf den Boden des Schulhofs vor meinen Füßen hinab, ließ Téas Tirade stumm über mich ergehen und wagte es unter ihren Blicken nicht, einen Schluck von dem Wasser mit dem Schmerzmittel zu nehmen. „Wie kann man nur so verantwortungslos sein? Springst du einfach aus dem ersten Stock! Du hättest dir den Hals brechen können, ist dir das bewusst? Dir hätte sonst was passieren können und Kaiba erst recht.“ Sie wiederholte die Worte bereits zum dritten Mal. Es war offenbar ihre Art mit dem Trauma fertig zu werden, welches der Anblick meines und Kaibas Sprung aus dem ersten Stock in ihr hervorgerufen hatte. Vielleicht würde sie von nun an nie wieder Gebäude mit mehr als einem Geschoss betreten können ... „Ja Wheeler, nimm dir die Worte zu Herzen“, erklang Kaibas Stimme unheilvoll und machte mir bewusst, dass er unmittelbar neben mir saß und mich bereits seit einer viertel Stunde mit Blicken der gefährlichsten Art bedacht hatte. Im Gegensatz zu mir war er abgesehen von blauen Flecken und einer Prellung seiner Schulter mit einem blauen Auge davon gekommen. Es war mein Arm gewesen, dem er das zu verdanken hatte. Doch er würde es nicht würdigen. Dafür war er viel zu wütend. „Du musst absolut lebensmüde gewesen sein.“ Alleine die Tatsache, dass er lebensmüde und nicht geisteskrank sagte, war Beweis genug für seinen derzeitigen Zustand. In gewissem Sinn stand er noch immer unter Schock, weil ich ihn aus dem Fenster gezerrt und zum Springen gebracht hatte. Doch das Schlimmste an allem würde er mir noch unter die Nase reiben. „Ein Kurzbrand in den Chemieräumen. Ein defekter Brenner. Und du siehst den Geruch von verbranntem Papier als Grund, aus einem Fenster im ersten Stock zu springen.“ Kaibas Worte waren dicht neben meinem Ohr gesprochen und wie Gift, das sich honigähnlich in mir ausbreitete und einen bittersüßen Nachgeschmack ließ. „Wir hätten auch einfach die Treppe nehmen können, aber du wolltest es spektakulär haben.“ Er senkte die Stimme, sie war nun nicht mehr als ein Zischen. „Und glaub nicht, ich hätte vergessen, womit du mir vor deinem beinahe Selbstmordsprung gedroht hast, Wheeler.“ Ein eiskalter Schauer jagte meinen Rücken hinab und ich schluckte schwer. Brennende Scham breitete sich erneut in mir aus. Wer hätte denn ahnen können, dass es nur ein kleiner Brand war? Ich hatte tatsächlich angenommen, der Geruch würde stärker und ich war mir sichert gewesen, die Flammen gehört zu haben. „Das ist das Adrenalin“, hatte mir einer der Feuerwehrmänner erklärt, der mich betreut hatte, bis der Krankenwagen gekommen war. „In dem Moment lässt es dich Dinge wahrnehmen, die so nicht sind. In der Feuerwehrausbildung würdest du das lernen.“ Ich hatte aber keine Feuerwehrausbildung gehabt. Ich hatte uns nur retten wollen. Und das war der Dank. Ein wahrscheinlich gebrochener Arm, ein verknackster Fuß und ein fuchsteufelswilder Kaiba, der auf Rache (und wohlmöglich Schmerzensgeld) aus war. Herrlich. „Es ist wirklich absolut unfassbar, dass solche Dinge immer dir passieren, Joey“, endete Téa ihren Redefluss und ich bemerkte, dass ich ihr in den letzten Minuten nicht zugehört hatte. Ich begegnete Yugis nachsichtigem und gleichsam über mein Wohlbefinden noch immer erleichtertem Blick, dann seufzte ich. „Ja Téa, du hast recht, es war dumm, aber ich hatte Panik okay? Und du“, ich warf Kaiba aus den Augenwinkeln einen bösen Blick zu, „sei gefälligst still, du warst da oben viel zu verschreckt, um überhaupt den Weg zur Treppe zu finden. Das nächste Mal lasse ich dir gerne den Vortritt, aber immerhin kennst du jetzt eine Abkürzung, die man überleben kann.“ Ich grinste müde und lehnte meinen Kopf ebenfalls an die Innenwand des Krankenwagens neben mir. Dieser Tag hatte mich gestresst, alles tat mir weh, ich hatte sämtlichen Lehrern bereits Rechenschaft abgeben müssen, dem Schuldirektor ebenso und bis ich ihn von der Aufrichtigkeit und dem guten Willen meiner Handlung – und davon, dass es kein Racheakt an Kaiba war – überzeugt hatte, war viel Zeit vergangen. Ich öffnete die Augen, als ich Schritte hörte, die sich uns näherten. Ein Sanitäter kam zu uns. „Wir nehmen dich ins Krankenhaus mit“, meinte er ernst. „Dein Arm ist wahrscheinlich gebrochen, er muss geröntgt werden, außerdem ist es besser, wenn du dort noch einmal komplett untersucht wirst.“ Ich nickte, zu erschöpft, um zu widersprechen. „Es wäre besser, Sie kämen ebenfalls mit.“ Erst die Verwendung der höflichen Anrede machte mir klar, dass der Mann nun mit Kaiba sprach. „Noch ist nicht sicher, ob Sie nicht auch Verletzungen haben.“ Da konnte er noch so viele plausible Gründe nennen, Kaiba würde nicht mitkommen. Er konnte sich die teuersten Ärzte leisten, er brauchte nicht ins Krankenhaus. Mit einem belustigten Lächeln schloss ich wieder die Augen. „Gut.“ Ich meinte, mich verhört zu haben. Entsetzt starrte ich Kaiba an, der unbewegt neben mir saß und dem Blick des Sanitäters fest begegnete. Was warn denn hier los? Ich vergewisserte mich mit einem Blick auf den Becher, den ich noch immer in der Hand hielt, dass ich das Schmerzmittel noch nicht geschluckt hatte und dementsprechend keine Halluzinationen haben konnte. Doch wenn dem so war, warum hatte Kaiba dann zugestimmt?! „Kaiba?“ Ein flüchtiger Blick streifte mich. Abschätzend. Distanziert. „Geht es dir gut?“ Der Blick wurde um einige Nuancen kälter. „Du bist momentan die letzte Person, die befugt ist, mir diese Frage zu stellen, Wheeler.“ Also ging es ihm gut. Alleine seine Wortwahl war Antwort genug. Doch warum um alles in der Welt -?! „Dann steigt bitte ein“, forderte und der Sanitäter mit einem Wink auf. Ich brauchte Sekunden, um der Bitte nachzukommen. Ich blickte zu Yugi, Téa und Tristan, welche allesamt noch blass waren (niemand konnte es ihnen verübeln, denn es muss ein furchtbarer Anblick gewesen sein, Kaiba und mich springen zu sehen), mich dennoch aufmunternd anlächelten (selbst Téa!). „Wir kommen nach“, versicherte Yugi mir zuversichtlich und Tristan nickte bekräftigend. „Versprochen.“ Ich lächelte dankbar und rappelte mich auf. Dann humpelte ich zu der Trage in der Mitte des Laderaumes des Krankenwagen und setzte mich. Ich beobachtete fasziniert, wie Kaiba sich ebenfalls aufrichtete und sich auf den Platz, der für Angehörige bestimmt war, setzte. Dann ruhte sein Blick auf mir und ich konnte mich nicht mehr von ihm losreißen. Es war unheimlich. Erst als ein Ruck durch den Wagen ging, wurde mir bewusst, dass die hinteren Klappen geschlossen worden waren. Vorne schlugen die Türen zu, ich hörte von draußen dumpf die Stimmen meiner Freunde, dann startete der Motor. Kaiba sah mich noch immer an. Ich schluckte schwer. Die angespannte Stimmung wurde von Kaiba unterbrochen, der sich unvermittelt während des Fahrens erhob und auf mich zukam. Er lehnte sich locker an die Trage (ich war froh, dass sie offenbar so stabil war) und blickte mich mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Gefallen an. „Dann erkläre mir doch mal, Wheeler, warum ich des deiner Meinung nach wert bin, dass man sich meinetwegen aus dem ersten Stock wirft und trotz allem nicht klein bei gibt?“ Ich blinzelte verwirrt, dann begann ich zu grinsen. Ein Lachen entwich meiner Kehle. „Wer sagt, dass ich deinetwegen gesprungen bin?“ „So, wie du dich an mich geklammert hast.“ „Ich wollte nur vermeiden, dass du im letzten Moment einen Rückzieher machst und dich wohlmöglich aus lauter Angst am Fensterbrett festkrallst.“ „Wiederhol das.“ „Hat dein Gehör unter dem Sturz gelitten, Kaiba?“ „Nicht frech werden.“ Plötzlich war er mir ganz nahe. „Was hattest du kürzlich über Verdrängung gesagt, Wheeler?“ „Oh, sag bloß, du hast mir zugehört.“ Der Wagen bog um eine Kurve und drückte mich unweigerlich näher an Kaiba. „Bekomme ich eigentlich noch eine Antwort auf meine Frage wegen deinem Verhalten gestern?“ „Warum solltest du, Wheeler?“ „Vergiss nicht, dass ich dich mit meinem Körper vor schlimmen Verletzungen bewahrt habe, reicher Pinkel!“ „Das ist das mindeste.“ „Eine Antwort, Kaiba.“ „Nun, sie mein Verhalten als meinen metaphorischen Sprung aus dem ersten Stock, Wheeler, und du hast deine Antwort.“ „Musst du immer so geschwollen reden?“ „Nein.“ „Aber du tust es gerne.“ „Es ist amüsant zu beobachten, wie du dich vergeblich bemühst, meine Worte zu verstehen.“ „Selbstverliebter Narzisst.“ „Und wieder versuchst du zu verdrängen, Wheeler.“ „Klappe, Kaiba. Verdräng du lieber das.“ Ich nutzte meine Chance in einer weiteren Kurve und gab Kaiba eine unmissverständliche Definition von Verdrängung, sammelte meine insgesamt fünfte Erfahrung und legte fest, dass dieser Tag, mochte er auch noch so schmerzhaft gewesen sein, eine angemessene Entschädigung gefunden hatte: Kaiba. ~ There's no time To analyse To think things through To make sense ~ Analyse by Thom Yorke Nachwort(e): Bei dem Titel der Geschichte handelt es sich um eine englische Redewendung, die übersetzt soviel bedeutet, wie der Untertitel bereits verlauten lässt. Teufel nochmal. Ich hoffe, die kleine Wintergeschichte konnte euch ein wenig in Kältestimmung bringen und hat euch nicht nur um kostbare Lesezeit betrogen. Für Rechtschreibfehler entschuldige ich mich aufrichtig. Kritik und Anmerkungen sind wie immer willkommen, ich kann sie gebrauchen. (Also bitte, bitte schreibt mir eure Eindrücke!). Anmerkung: Die Idee zu dieser Fic muss eine wahrhaft erstaunliche Eingebung gewesen sein, denn wir hatten einen Monat nach ihrer Veröffentlichung ebenfalls einen Feueralarm und standen ganze 50 Minuten bei Minusgraden auf dem Schulhof. Wenn das keine Zeichen ist ; ) Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings hinzufügen, dass bei uns niemand aus dem Fenster gesprungen ist = ) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)