Die Unsterblichen von Merlin06 ================================================================================ Prolog: Einleitung ------------------ Er stand auf einem gusseisernen Geländer und starrte begierig in die Finsternis. Er war aufgeregt und seine Hände zittern ein wenig, aber sein Geist war so klar wie diese Nacht. Der Schnee fiel leise und sanft in die unendlich tiefen Häuserschluchten unter ihm und legte sich auf dem schwarzen Asphalt zur Ruhe. Die Sterne funkelten ihn argwöhnisch an, vielleicht bemerkten sie, dass er etwas im Schilde führte. Nervös schob er den Ärmel seines gefütterten Ledermantels über sein Handgelenk und blickte auf seine sehr außergewöhnliche Uhr. Sie zeigte nicht die Zeit, sondern alle 9 Planeten des Sonnensystems. Er schloss für einen Augenblick die Augen und zählte ab zehn rückwärts. Als er bei null angekommen war sah er selbst durch seine Augenlider hindurch ein gleißendes Licht und hörte ein weiches, kurzes Zischen, wie beim Öffnen eine Colaflasche. Als er die Augen öffnete und sich von der Silouete der Stadt abwand, sah er einen Mann, der fast genauso gekleidet war wie er, nur ein intensiv roter Schal, den der andere umgelegt hatte unterschied sie voneinander. Die Menschen, die wie schwarze kleine Ameisen selbst nahe Mitternacht auf den Straßen herumwuselten, hatten von dem Geschehen hoch über ihren Köpfen nichts mitbekommen. Der Andere starrte ihn an und zuckte leicht mit der Augenbraue. Dann schritt er auf ihn zu und blieb erst stehen, als sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Er stieß einen leichten Seufzer aus und ging einen Schritt rückwärts. Die wenigen Augenblicke hatten gereicht, dass er den Duft des anderen aufgenommen hatte. Es war ein süßlicher, fast schwerer Duft, ähnlich dem von Flieder. Athan nahm all seinen Mut zusammen und sprach zuerst: „Ich bin froh dass du gekommen bist...“. Plötzlich fing der andere an zu lachen und packte ihn zu einer festen Umarmung. Auch Athan lachte erleichtert. Doch die Freude im Gesicht des anderen währte nur kurz. Er runzelte die Stirn und fragte mit seiner rauen Stimme: „Was ist denn los, warum hast du mich gerufen?“. Athan setzte eine ernste Miene auf, zögerte einen Moment und sagte: „Du musst mir helfen, ich habe den Verdacht, dass uns jemand entdeckt hat und anfängt zu begreifen. Ich konnte ihn noch nicht aufspüren. Aber meine Familie ist in Gefahr, ich lasse nicht zu dass meinen... unseren Brüdern und Schwestern etwas zustößt. Bitte... ich... brauche dich.“ Der andere wandte sich ab. Sein schwarzer Ledermantel wehte leicht im Wind und in der Helligkeit der Stadt war er nur ein Schatten. Keinerlei feine Konturen seines schlanken Körpers konnte man in diesem Zwielicht erkennen. Er schaute hinab auf die Stadt und sein Gesicht war wie versteinert, doch das konnte Athan nicht sehen. Dann schnellte er plötzlich in einer reflexartigen Bewegung herum und stürzte sich auf seinen Bruder ohne Schal. Sie schlitterten auf dem vereisten Dach einige Meter und im gleichen Moment schlug dort, wo sie gerade gestanden hatten ein meterhoher Feuerball auf, brannte einige Sekunden und verlosch. In der nächsten Sekunde sah man auf dem Dach eines Hochhauses in New York ein gleißendes Licht erscheinen und man konnte ein leises Zischen hören... Kapitel 1: Seelenverwandschaft ------------------------------ Alles was er spürte kam ihm unwirklich vor. Sein Rücken tat weh und ein stechender Schmerz breitete sich in seinem Gehirn aus. Er war unfähig sich zu bewegen, oder er wusste einfach nicht mehr wie... Dann hörte er Stimmen, laute Stimmen... Eine kam ihm bekannt vor. „Was denkst du dir hier aufzukreuzen nach allem... Wie kannst du es wagen?! „, „Ich wollte nicht das er verletzt wird, ich hatte die Vision erst Sekunden vorher, sonst hätte ich ihn gleich...“ „Schweig!“. Ja er erinnerte sich, die Kälte, das Dach, dann Feuer... Er schlug die Augen auf und fand sich in einem großen gemütlichen, jedoch modern eingerichtetem Zimmer wieder, sein Zimmer. Die Stimmen verstummten und eine kleingewachsene, jedoch umwerfend attraktive, hochmütig wirkende Frau kam herein geschritten. Sie setzte sich auf die Bettkante und legte ihm die eisigen Finger auf die Stirn. „Du hättest ihn nicht rufen sollen Athan...“ Athan, eigentlich Athanassios überhörte diese Bemerkung, lächelte die strenge Frau an und sagte: „Ganz gleich was geschehen ist, nur er kann uns noch helfen. Er hat die besten Verbindungen zum Orden.“ Die Frau runzelte die Stirn: „Du musst vorsichtig sein. Er ist gefährlich, dass hat er gezeigt, du erinnerst dich hoffentlich...“ Er setzte ein übertrieben freundliches Gesicht auf. „Würdest du ihn hereinbitten?“. Ohne ein weiteres Wort verließ die Frau den Raum und gab dem schwarzhaarigen Mann, der vor der Tür stand einen forschen Wink mit der Hand. Langsam ging er in das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. „Sie hat Recht, ich bringe nur Ärger...“ „Dummes Gerede, nur du kannst uns noch helfen...“ Der andere setzte sich aufs Bett, genau dorthin wo die Frau zuvor gesessen hatte und machte eine besorgte Miene. Athan richtete sich auf, der andere wollte ihn davon abhalten, aber Athan wies ihn ab. „Ich bin unsterblich, schon vergessen? So ein paar Schmerzen machen mir nichts aus. Du hättest mich überhaupt nicht retten müssen, ich wäre sowieso wiedergekommen...“ „Ich weiß...“ erwiderte der andere, „...aber ich weiß auch wie schmerzhaft das für dich ist Athan, nicht nur körperlich...“ Dann herrschte eine Weile Stille... Sie starrten in verschiedene Richtungen und versuchten sich nicht ansehen zu müssen, sie wussten beide, was bei ihrem letzten Treffen passiert war,... Doch plötzlich schien der andere es sich anders zu überlegen und rückte ganz nah an Athan heran. „Ich habe dich so vermisst“ Er strich ihm das vom geschmolzenem Schnee nasse Haar aus dem Gesicht und atmete den Duft von Flieder tief ein. „Ich weiß, ich dich auch.... Linus.“ Athan schlang seinen verletzten Arm um Linus Hals und ihre Lippen berührten sich, als Linus seine starke Hand in Athans langem, braunem Haar vergrub. Als sie sich voneinander lösten wandte Linus, schwer atmend sein Gesicht von Athans ab. Er hatte es schon wieder getan... „Ich bin so ein Idiot...“ Doch Athan legte die Hand auf seine Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich auch...“ Linus atmete tief ein und wieder aus. Er durfte es nicht noch einmal passieren lassen. Er blendete den Duft aus und konzentrierte sich auf innere Leere, genau wie sein Vater es ihm beigebracht hatte. „Du sagtest ihr werdet gejagt, ist es ein Nocturni oder ein Zivilist?“ Athan schüttelte resigniert den Kopf. Schon wieder lenkte er ab, wie er es immer tat... „Ich sagte dir doch ich weiß es nicht. Ich habe Tag und Nacht versucht ihn auszuspionieren, aber nie habe ich ihn länger als eine Stunde beobachten können. Er ist wie ein Schatten, wenn man ihn erhaschen will fängt man nichts als Luft. Er wechselt die Waffen wie seine Socken, einmal hat er mich irgendwie entdeckt und ist mit einer Armbrust auf mich losgegangen!“ Athan kicherte, als ob ein Pfeil ihn töten könnte, aber Vorsicht ist manchmal besser,...“ Seitdem bin ich vorsichtiger geworden und habe mich und die Familie nur noch verteidigt. Wir mussten unsere Jobs aufgeben und die Kleine kann nicht mehr in die Schule. Ich meine sie ist nicht wirklich in Gefahr, wenn dieser Kerl keine Waffen mit schwarzer Magie einsetzt aber ich will nicht, dass sie schon mit 19 ihre erste Auferstehung hat, das wäre viel zu früh! Außerdem, wenn er von den Nocturni als Spion geschickt wurde, sollten wir kein Risiko eingehen,... Aber bis jetzt hat er noch keine Magie eingesetzt...“ „Athan, er hat uns auf dem Dach erwischt, mit Drachenfeuer, ist das etwa nicht magisch?“ Athan schaute verwirrt drein „Drachenfeuer?“ Und dann erinnerte er sich an die Hitze, bevor die kühlen Blitze aus reinem Licht sie eingehüllt hatten... Sein Gesicht war weiß. Er hätte vorsichtiger sein sollen... „Es war nur eine Frage der Zeit.“ Sagte er halb zu Linus, halb zu sich selbst. Linus strich erneut mit seiner Hand über Athans Gesicht und sagte: „Wir schaffen das zusammen.“ Athan fühlte sich unwohl, schwach und hilflos in seinen Armen. Aber irgendwie ließ ihn sein Herz nicht los. Es gehörte Linus und sie waren für immer aneinander gebunden, das wusste er wieder als Linus ihn erneut küsste, diesmal vorsichtiger. Doch just in diesem Moment platzte die Tür auf und eine junge Frau, fast noch ein Kind kam mit strahlendem Gesicht in das Zimmer gestürmt. Schnell ließen die beiden voneinander ab, aber die Frau schien nichts bemerkt zu haben, rannte freudig auf den anderen zu und rief euphorisch: „Linus!“ Darauf folgte eine stürmische Umarmung. Sie schien die wachsame Ader ihrer Mutter nicht geerbt zu haben... „Oh ich bin so froh dich wieder zu sehen.“ „Ich freu mich auch.“ Sagte Linus, der inzwischen seine Scham vergessen hatte und über das ganze Gesicht strahlte. „Sibill du siehst hervorragend aus, wie geht es dir?“ fragte Linus. Sie hatte ihn schon immer gemocht und irgendwie schien sie ihn zu verstehen. Sie war die einzige in der Familie, die ihm nach dem Geschehnis keine Vorwürfe gemacht hatte. „Gut, seitdem ich nicht mehr in diesem muffigen Donutladen arbeiten muss, aber das Collage fehlt mir trotzdem ein wenig. Da waren so viele interessante Nicht-Menschen, stell dir vor, ich habe sogar einen Werwolf getroffen!“ Linus rümpfte die Nase. Sie umgab sich also immer noch mit gefährlichen Andersmagischen. „Ein Werwolf? Ist das nicht gefährlich für ihn unter Zivilisten?“ Sibill schüttelte den Kopf und schaute Linus vorwurfsvoll an. „Du meinst wohl eher: »Ist das nicht gefährlich für die Zivilisten?«. Nein ist es nicht, er hat aller 3 Wochen, wenn wieder Vollmond ist eine Befreiung, weil sein Vater ihn für ein „Projekt in seinem Familienunternehmen“ braucht. Er hat außerdem nur ein Teilzeitstudium belegt.“ Linus seufzte, „Wem hast du denn sonst noch erzählt dass du eine Phönix bist?“ Augenblicklich lief Sibill rot an und auf ihrer Nase setzten sich die Sommersprossen deutlich von ihrem Hautton ab. „Ich..., nur meiner Clique...“ Sie schaute beschämt zu Boden. „Und wie viele Leute sind das?“ Sibill zählte die Namen zur Verdeutlichung an ihrer Hand ab. „Ach nur Wolf, Water und Seven... Sie sind alle unter Schutz, sie würden niemanden von uns verraten!“ Linus schien nicht gerade überzeugt. Augenblicklich war die tolle Stimmung verflogen und eine unangenehme Stille legte sich über die drei. Dann fing Athan an zu sprechen: „Ist schon gut Sibill, du hast ihnen ja nicht verraten, wo wir uns verstecken, nehme ich an?“ Sibill atmete erleichtert aus. „Nein, habe ich nicht. Wir reden nicht über unser zu Hause...“ Linus hatte sich wieder gefangen und schaute Sibill mit einem entschuldigten Blick an, doch hinter seiner Stirn machte sich Wut breit... Jetzt kannten sie die Quelle, wenn eine Familie von Sibills Freunden erwischt worden war, dann wussten sie alles über die anderen Mitglieder der Clique... „Lasst uns essen gehen“, sagte Athan, dessen blaue Flecken an Arm und Rücken langsam zu verschwinden schienen. Er setzte sich auf und nickte Linus freundlich zu. Dieser brachte Athans Sachen, die die alte Frau über die Lehne eines schwarzen Holzstuhls gelegt hatte. Nicht ohne Linus vorher einen missbilligenden Blick zuzuwerfen... Sibill trampelte inzwischen die Treppe hinunter. Dann fragte Athan: „Woher wusstest du eigentlich wo unser Standort war? Ich hatte es dir nicht gesagt.“ Linus grinste schadenfroh: „Ich hab die alte Schachtel gerufen und ihr ein Geist-Bild von dir geschickt, nachdem ich dich in den Central Park gebeamt hatte, sie hat mir ein Tor materialisiert und am Ende mit einem Morgenstern auf mich gewartet. Den hat sie aber schnell fallen gelassen, als sie dich gesehen hat.“ Athan nickte bloß, auf seinem Gesicht war ein schelmisches Lächeln zu sehen, jedoch auch ein ernster Ausdruck in seinen Augen... Sie gingen zusammen die lange Wendeltreppe des großen Anwesens hinunter. Goldene Lichter, die von alten, eleganten Gaslampen ausgingen, erhellten die große Eingangshalle, in der die Treppe endete. Ihre Schritte hallten wider, wie in einem großen Bahnhof und als sie das Ende der Halle erreicht hatten, öffnete sich eine von drei Türen, auf der jeweils das Zeichen der Familie prangte: ein Phönix, der mit dem Schnabel den Mund einer Frau berührte. Es zeigte die Entstehungsgeschichte der Phönixfamilie. Linus erinnerte sich an das erste Treffen mit Athan und wie er diese Geschichte erzählt hatte: s„Unsere Familie ist uralt.“, begann er „Es heißt vor langer Zeit soll sich ein Phönix in eine Menschenfrau verliebt haben, aber sie konnte seine Liebe nicht fühlen, heiratete einen anderen Menschen. Der Phönix begriff, dass sie niemals zusammenfinden würden und gab ihr ein Geschenk als Zeichen seiner ewigen Liebe: Die Unsterblichkeit durch Auferstehung. Diese Frau ist meine Urahnin, seitdem hat sich unsere Familie extrem vergrößert, bis zum Nocturni Krieg...“ „Du zerfällst also zu Asche wenn du stirbst?“ hatte Linus erstaunt gefragt. „Ja. So könnte man das ausdrücken...“ „Und dann bist du wieder ein Baby?“ Linus schaute entsetzt. „Hahaha... Nein, ich bin wieder genauso wie vorher, außer ich will jünger aussehen, dann kann ich den Vorgang vorher stoppen, aber dann bleibe ich so bis ich wieder auferstehe und das ist ganz schön lästig...“ „Kommst du?“ rief Athan, der schon hinter der Türschwelle stand und ungeduldig seufzte. „Ja natürlich...“ Sie betraten einen Raum, der noch prunkvoller war als die Eingangshalle. In der Mitte stand ein großer, hölzerner Tisch, der über und über mit Speisen bedeckt war. Es waren sieben Gedecke aufgelegt. Am Tischende saß die „alte Schachtel“ die Frau, die als erste in Athans Zimmer gekommen war. Sie sagte „Schlimm genug, dass du ihn mitbringst, jetzt muss ich ihn auch noch bewirten.“ „Du weißt genau, dass er mich mitgebracht hat, er hat mich gerettet, du solltest vielleicht etwas dankbarer sein.“ Die Frau verzog das Gesicht und schaute Linus böse an. „Ist schon gut“, sagte er. „Ich sollte wohl besser gehen...“ Dieser Ausdruck in ihren Augen, der ihn in seinen Träumen verfolgte war wieder da... Linus trat hinaus in die Halle und bewegte sich auf den Ausgang zu. Athan warf einen Blick auf die Frau, der hätte töten können und knallte die Tür des Esszimmers zu als er ebenfalls in die Halle hinausstürmte. Er erreichte Linus, der schon fast den Ausgang erreicht hatte und berührte ihn an der Schulter: „Bleib, bitte! Sie hat es nicht so gemeint, es ist ihre Art so mit Andersmagischen umzugehen, das weißt du doch...“ „Sie hat es genau so gemeint wie sie es gesagt hat!“ schrie Linus, aus dessen Augen wildes Feuer sprühte. Dann drehte er sich von Athan weg. „Ich bringe dir nur Unglück, ich will nicht, dass es so ist wie letztes Mal, ich war schuld das du fast...“ seine Stimme brach und er legte die Hand auf den Türknauf, doch Athan hielt ihn fest an der Schulter gepackt. „Das ist nicht wahr, ich war genauso schuld daran. Außerdem können wir es nicht mehr ungeschehen machen. Und ich lebe doch noch oder?“ Linus drehte sich wieder um, ließ aber die Hand auf dem Knauf. „Darum geht es nicht, ich bin eine Gefahr für dich...“ dann drehte seine Hand den Knauf und der Verteilungszauber setzte ein, als Linus Athans Hand weg schlug und hinaustrat. Athan verschloss sein Gesicht, ging wieder ins Esszimmer, wo schon seine gesamte Familie versammelt saß: Sibill seine Nichte, die junge attraktive Frau mit dem hochmütigen Gesichtsausdruck: Dorothee seine Schwester und neben ihr, ihr Mann Falk, dann auf der anderen Seite seine zwei Brüder Ben (Benignus) und Cyrus, am Tischende, seine Mutter Zaida. „Ich habe keinen Hunger.“, sagte Athan und es war eine glatte Lüge, aber er konnte es nicht ertragen mit ihr an einem Tisch zu sitzen, nicht heute. Er schloss die Tür, diesmal sanft und schritt die Treppe hinauf. Er hatte so gehofft, dass sie ihn wenigstens akzeptieren würde, wenn er ihn gerettet hatte. Vielleicht hatte sie es gewusst, dass er, Athan das Drachenfeuer selbst erschaffen hatte... Sein Plan war gescheitert, jetzt musste er wieder allein nach dem unbekannten suchen. Es wäre ja zu schön gewesen mit ihm die Familie zu retten... Als er in seinem Zimmer ankam, war immer noch die Kuhle in seiner Weichen Matratze wo Linus gesessen hatte. Er legte sich auf sein Bett und suchte das hölzerne Kopfende ab. Dann fand er was er gesucht hatte und öffnete das Geheimfach. Darin lag ein goldener Schlüssel. Er nahm ihn heraus und drehte ihn in der Hand, dann ging er zu seiner Zimmertür und schloss sie mit dem magischen Schlüssel ab. Heute konnte niemand in sein Zimmer gelangen, selbst nicht, wenn man den richtigen Schlüssel hatte. Er legte den Schlüssel wieder in das Fach und verschloss es mit einer komplizierten Handbewegung. Das Holz schien nachzuwachsen... Dann zog er ein Bündel unter dem Bett hervor, ein Gegenstand, der in ein dreckiges Tuch gewickelt war. Athans Hände zitterten, als er ihn auspackte. Es war ein in weißes Leder gebundenes Buch. Als er es aufklappte ertönte eine leise Melodie, von einem Klavier gespielt. Auf den pergamentenen Blättern waren Fotos aufgeklebt. Sie zeigten einen jungen Mann mit kurzem, schwarzem Haar und durchdringenden blauen Augen, der einen anderen mit braunem Haar und gerötetem Gesicht mit seinem Arm umklammerte. Er und Linus, als sie noch gemeinsam zur Schule gingen. Das nächste Bild zeigte wiederum die beiden, jedoch mitten in einer Schneeschlacht. Das war der Tag, an dem sich die beiden fürchterlich erkältet hatten und Linus jedoch als einziger der beiden im Bett bleiben musste, da Athan schon nach einem Tag wieder gesund war. Tränen tropften auf die makellosen Seiten und zum ersten Mal sah er sich auch die zweite Seite des Buches an, das er vor zwei Jahren von Linus zum Geburtstag bekommen hatte, kurz bevor... Die beiden lagen im Bett, halbnackt und Arm in Arm, Linus hatte den Kopf auf seine Schulter gelegt und atmete schwer. Athan streichelte sein Haar. Sie waren in Linus Haus. Er lebte allein, seitdem seine Eltern gefallen waren. Athans Herz schlug schneller, als Linus den Kopf hob und in seine warmen, braunen Augen sah. Er wusste, welche Schmerzen Linus hatte, welche Energie es ihn kostete so nah bei ihm zu sein, aber sie waren es schon so oft gewesen, hatten schon so oft so dagelegen. Keiner von den beiden ahnte dass es diesmal anders ausgehen könnte. Sie waren sich so sicher, zu sicher. Athan machte eine erschrockene Bewegung, als Linus sich über ihn schob um ihn zu küssen. Das war das Ende. Linus Augen veränderten sich, sie waren nicht mehr so still wie ein klarer See, das tiefe Blau wurde zu violett und Athan spürte einen kurzen süßen Schmerz als Linus seine Fangzähne in seinen Hals bohrte... Linus schrak auf, er atmete schwer und hatte immer noch die Erinnerung an den Geschmack von Athans Blut auf der Zunge. Es war ein so realer Alptraum gewesen... Er hatte sich genauso gefühlt wie damals, geborgen und sicher und dann hatte sich alles so schnell verändert? Wie hatte er das zulassen können? Er ging von seinem Bett hinüber zu einem heruntergekommenen, schmutzigen Waschbecken. Die Fliesen platzen schon an einigen Stellen von den Fugen ab und ließen kleine und große Risse entstehen, in denen sich Spinnen einnisten konnten. Er sah sein Gesicht in dem angelaufenem Spiegel: so schön, so rein, so gefährlich. Er öffnete den Mund und starrte seine Zähne an, die sich allmählich wieder auf die für Menschen übliche Länge verkürzten. Dann drehte er den Wasserhahn auf und ließ sich das kalte Wasser erst über die Hände, dann über den Nacken laufen. „Allein wird er es nicht schaffen...“ sagte er leise zu sich selbst. „Aber ich kann, ich darf nicht in seiner Nähe sein. Es ist zu gefährlich.“ Er versuchte sich selbst zu überzeugen, er versuchte es, aber es schien ihm nicht zu gelingen. Eine sanfte Stimme in seinem Kopf sagte „Ich habe dich auch vermisst“ und er sah in braune Augen... Athan war inzwischen bis zur Mitte des Buches vorgedrungen. Dann blätterte er wieder um. Die Erinnerungen waren zu schön um wahr zu sein. Seine anfängliche Trauer war verflogen. Er freute sich über die Bilder, die sie beide in unbeschwerten Zeiten zeigten. In der Mitte der Seite war ein Bild, das anders als die anderen mehrere Personen als sie zwei zeigte. Er war auf diesem Bild bei ihnen im Haus, bei Linus Familie. Sie standen in einer lockeren Gruppe zusammen. Linus, Er und Linus Eltern. Alle lächelten. Sie waren so froh, dass er einen Freund gefunden hatte, ihnen war es egal, ob er Vampir war oder nicht. Sie wussten, dass Linus nie jemanden etwas zu Leide tun würde. Sie hatten ihn so erzogen, dass er andersmagische und Zivilisten nicht als Beute ansah. Sie waren eine von der Vampirgesellschaft verhasste Sippschaft, die sich nur von Tierblut ernährte. Niemals hätten sie einen Menschen oder Magischen angerührt. Doch bei ihnen beiden war es anders. Linus hatte es ihm erklärt, als sie sich das erste Mahl mehr als freundschaftlich näher gekommen waren, bevor er ihn wegschickte... Mein Vater hat es mir einmal erklärt, aber ich habe ihm nicht geglaubt...“ Linus atmete schwer, er leckte sich die Lippen und grub die Fingernägel in seinen Arm. „Was meinst du, ich verstehe dich nicht!“ sagte Athan, völlig verwirrt über das, was sie gerade getan hatten. Er verstand es nicht, sie hatten sich geküsst... „Du bist mein Bestimmter, mein Seelenverwandter, nenn es wie du willst,...“ Athans Herz schlug schneller und Linus vergrub die Nägel tiefer in seinem Arm. „Geh, bit-te“ wimmerte Linus, Athan war wie versteinert. „GEH!“ schrie Linus. Seine Stimme hatte sich verändert, sie war verzerrt und seine Augen waren violett... Athan rannte aus dem Zimmer. Seine Finger zitterten als er zu dem ersten Bild gelangt war, auf dem die Beiden sich küssten... Linus Eltern waren nicht gerade begeistert gewesen, aber sie hatten nichts gegen ihre Beziehung einzuwenden gehabt. Nur bei Linus Eltern hatten sie sie selbst sein können. Dort mussten sie sich nicht verstecken, die zwei Seelenverwandten. Auf der nächsten Seite war eine Seite aus einem Buch aufgeklebt: Seelenverwandtschaft Die Seelenverwandtschaft ist eine besondere Macht der Magie. Sie entsteht durch die Tatsache, dass alle unsere Seelen am Anfang eines ihrer vielen Leben, in dem Fluss der elementaren Energien schwimmen. In diesem Fluss sind alle Seelen eins, aber auch wieder nicht. Jede Seele ist durch noch nicht manifestierte Energie von den anderen getrennt. Aus dieser noch nicht manifestierten Energie entstehen „neue“ Seelen und in sie verwandeln sich Seelen, deren Lebenszeit im universalen Sinne abgelaufen ist. (Auch nachzulesen auf Seite 2 Der Sellenfluss und das Universum) Entstehen aus dieser unverfälschten Materie neue Seelen, dann kann es sein, dass sich Zwillingsseelen entwickeln. Aus der unverfälschten Materie entsteht eine Seele, die sich dann nochmals teilt und so zwei eigenständige Seelen bildet. Diese Seelen sind zwar in ihrem Ursprung gleich, können aber auf völlig verschiedenen Erdteilen, in völlig verschiedenen Geschöpfformen auftreten. Treffen sich nun diese Seelen, dann fühlen die Träger dieser Seelen eine unaussprechliche Verbundenheit. Es herrscht eine Liebe, die tiefer geht, als alle irdischen Lieben. Diese Personen sind, nachdem sie sich erst einmal getroffen haben unfähig ohne einander normal zu leben. Meist verursacht das bei den zwei Seelenträgern unheimliche Schmerzen, denn sie sind unfähig sich vollkommen zu trennen, aber auch unfähig sich vollkommen zu vereinen. Weitere Probleme treten auch auf, da die Seelen nicht weiblich oder männlich sind. Somit ist nicht vorauszusehen, welche zwei Seelen sich, im normalen Sinne zueinander hingezogen fühlen, deshalb gibt es auch Verbindungen irdischer Liebe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen. Das jedoch verursacht das Problem, dass die Seelenverwandten auch zwei Männer oder zwei Frauen sein können, deren Verbindungen in den meisten Gesellschaften verpönt sind. Seelenverwandtschaft ist also im Allgemeinen schmerzhaft. Historisch bekannt sind mehrere Seelenverwandtschaften: Die Verbindung von Paris und Helena, die zum Sturz von Troja führte, außerdem die unglückliche Liebe zwischen einem Phönix und der schönen Aurelia, die mit der Bildung der Phönixfamilie endete und mehrere Verbindungen zwischen Zauberern. Im großen Buch der Vampire, dass von der mächtigsten und ältesten aller Vampir-Familien den Glorias geführt wird, ist die Rede von Seelenverwandtschaft zwischen Vampiren und Andersmagischen oder Menschen. Diese Verbindung zeigt sich durch einen unwiderstehlichen Duft, den der Seelenverwandter des Vampirs ausstößt. Der Vampir verfällt in eine Art Trance und kann diesem Duft nicht widerstehen. Durch diese Tatsache finden Vampire öfter als alle anderen Geschöpfe ihre Seelenverwandten, jedoch ist von nur wenigen Verbindungen solcher Art bekannt, dass sie ohne den Tod des Nicht-Vampirs bestehen konnten. Athan stockte der Atem. „So ist das also...“ Er strich liebevoll über die Seite mit dem Buchausschnitt und blätterte um, auf die letzte Seite. Und dort stand, in feiner Handschrift geschrieben der Satz: „Was man wirklich liebt, zerstört man nicht.“ Darunter das Initial: Linus Glorias Linus hockte an seinem Bett, er fühlte Athan, er fühlte seinen Schmerz, fühlte wie er anfing zu weinen, fühlte seine Tränen... Sein Herz fing an sich zu verkrampfen, er war Athan und seine Finger strichen über den Einband eines in weißem Leder gebundenen Buches. Seine Hände zitterten und die Tränen ließen die feine Handschrift auf der letzten Seite verschwimmen. Weißes Licht umhüllte Linus Körper und Athan hörte ein Zischen, ehe starke Arme sich um seinen Körper schlangen und eine Hand seine Tränen weg wischte. Athan schluchzte und Linus atmete seinen Duft ein, so süß wie Flieder... „Schon gut.“ Er streichelte Athans Gesicht und Athan lehnte sich an ihn. Er ließ sich fallen und der ganze Schmerz, den er verdrängt hatte die ganze Zeit stürzte aus ihm heraus. Er konnte nicht sprechen, die Tränen versiegelten seine Stimme. Er atmete stoßartig und alle seine Glieder waren verkrampft. Linus dachte alles was Athan dachte, es war, als wären sie verschmolzen. Zum ersten Mal wusste Athan was Linus wirklich, wahrhaftig spürte. Er spürte dasselbe... Er roch diesen Duft, so süß wie Flieder... und der Duft legte sich auf seine Zunge. Linus Arme wurden steif und Athan konnte wieder sprechen. „Lass es zu Linus. Ich kann durch dich nicht sterben, weil du mich liebst.“ Eine einsame Träne rann Linus Gesicht entlang als Athan ihn küsste. Er wehrte sich nicht gegen die Gier, er wehrte sich nicht gegen die Bilder, die in seinem Kopf erschienen von dem Tag als er Athan zum ersten Mal gebissen hatte. Er fühlte wie Athans Hände seinen Körper entlang strichen und er zitterte. Doch nichts passierte, das Tier in ihm erwachte nicht. Seine Augen blieben blau und Athan schlief in seinen Armen ein, nackt und hilflos. Und keinen einzigen Kratzer am ganzen Körper tragend. Kapitel 2: Keine Ruhe --------------------- Sie wurden am nächsten Morgen von einem lauten Klopfen an der Tür geweckt. Jemand versuchte mit einem Schlüssel die Tür auf zu bekommen, doch dieser wollte sich offenbar nicht drehen. Linus wandte seinen Kopf in Richtung Tür, darauf gefasst jeden Moment die alte Schachtel darin auftauchen zu sehen. Doch das Klopfen ließ nach und verstummte dann ganz. Athan blinzelte. Er roch immer noch Flieder. Linus streichelte über seinen Kopf und verwuschelte das lange Haar. „Ich habe doch nicht geträumt oder?“ fragte er verdutzt und Athan lächelte ihn an. Keiner von ihnen begriff, warum es nicht genauso ausgegangen war wie das letzte Mal, als sie sich so nahe waren. Aber sie machten sich keine Gedanken darüber, Die Verbindung zwischen ihnen war so stark wie nie. Sie spürten, was der andere spürte und sie wussten was der andere dachte sie konnten sich nicht voneinander lösen, auch wenn ihre Körper nicht mehr verbunden waren. „Du solltest hier oben bleiben, während ich runtergehe und frühstücke.“, sagte Athan und Linus nickte nur. Als Athan die Treppe herunterging spürte er Linus Sorge, dass die alte Schachtel sie letzte Nacht gehört haben könnte und lachte in sich hinein. Es war ihm egal, alles um ihn herum war ihm egal. Seine ganzen Gedanken drehten sich um Linus, nichts anderes beschäftigte ihn. Als er die Esszimmertür aufmachte, saßen dort nur vier Gestalten, die Familie seiner Schwester und sein jüngster Bruder Cyrus. Alle schauten betreten drein und schwiegen. Er wollte gerade fragen was los sei, da platzte Ben in das Zimmer und rief: „Sie haben noch eine Familie erwischt, die Jensens, die Zauberfamilie in London...“.Seine Stimme erstarb, als er Athan sah, der noch immer in der Tür stand. Seine Augen wandten sich von den seinen ab und er starrte zu Boden. Athan wusste nicht was los war. Was sollte das? Doch als Ben anfangen wollte zu reden, stand seine Schwester auf, packte ihn am Arm und führte ihn sanft aber bestimmt in ein Nebenzimmer, in dem mehrere Kanapees standen und in das die frühe Morgensonne durch leichte Seidenvorhänge schien. In ihren Augen lag ein trauriger Glanz, als ob sie gleich anfangen wollte zu weinen. „Die Häuser von mehreren geschützten wurden entdeckt, auch das von Linus. Die Nocturni haben alles nieder gesprengt. Seine Leiche wurde noch nicht gefunden, aber- sie denken er ist tot.“ „Nein“ sagte Athan mit einer Bestimmtheit, die eine Schwester erschrak. „Er ist nicht tot.“ Sie schaute ihn mitleidvoll an und sagte: „Athan ich weiß es ist schwer für dich, aber es gibt so gut wie keine Möglichkeit dass er – „ Athan war wütend „Nein versteh doch er ist nicht tot, er-“ KRACH eine gewaltige Explosion verhinderte, dass er noch ein Wort sagen konnte. In der Wand hinter ihnen prangte ein großes Loch, die Seidenvorhänge brannten und drei schwarze Gestalten mit eigenartigen Rüstungen kletterten hindurch und feuerten urplötzlich Kugeln aus schwarzem Feuer ab. Athan wurde am Arm getroffen, doch Millisekunden später sah er ein weißes Licht, dass ihn und seine Schwester mitriss in das Esszimmer. Mehrere Gestalten rannten auf einen Tunnel zu, der sich jedoch schon zu schließen begann. Sibill war zu spät und prallte mit dem Kopf an einen Küchenschrank, als sich das Portal schloss. Geistesgegenwärtig schnappte sich Athan ihre Hand und dann die Linus, seine Schwester packte dessen andere. Dann drangen die Gestalten durch die magisch verschlossene Tür der Küche, doch das einzige, was sie noch wahrnahmen war ein gleißendes Licht und ein Zischen. Die vier landeten auf weichem Heidekraut, weit und breit war nichts zu sehen, als mit Gras bewachsene Hügel, auf denen sich schmale weiße Streifen des ersten Schnees abzeichneten und winzige kahle Sträucher, die einsam an einer Steinmauer wucherten. In einem begrenzten Areal weideten immer noch Schafe und überall war es friedlich. „Wo sind wir?“ fragte Athan verdutzt. Seine Wunde fing inzwischen an sich zu schließen, doch er spürte ein leichtes Brennen, weil seine Magie und die Magie des schwarzen Feuers in seinem Körper miteinander kämpften. Linus grinste, „In Schottland“. „Was zum Teufel machen wir in Schottland?!“, schrie Dorothee, völlig außer sich. Linus überhörte sie und beobachtete die Schafe, die sich in der Spätmittagssonne ausruhten. Die meisten von ihnen hatten sich ein schattiges Plätzchen gesucht. Linus hatte inzwischen eine Sonnenbrille aus seinem schwarzen Ledermantel geholt und sie aufgesetzt, Durch die tiefschwarzen Gläser konnte Athan die blauen Augen dahinter nur noch erahnen. Linus Klamotten waren zerknittert und offensichtlich in höchster Eile angelegt worden. Seine schwarzen Haare glänzten in der Sonne und bildeten einen schönen Kontrast mit dem hellblauen Himmel. Dorothee hatte sich schon auf den Weg gemacht den Hügel hinunter zusteigen auf dem sie gelandet waren. Sibill folgte ihr nicht, sondern wartete auf Athan und Linus, die sich eng nebeneinander gehend auch auf den Weg machten. „Warum hast du uns eigentlich nach Schottland gebracht?“ fragte Athan neugierig. „Weil hier überall Mittagessen herumläuft...“ Athan fand diese Bemerkung überhaupt nicht komisch, im Gegensatz zu Sibill, die in dröhnendes, fröhliches Gelächter ausbrach. Dann schien ihr jedoch ein Licht aufzugehen und sie sah Linus aufgeregt an. „Du bist doch ein Vampir oder?“ Linus nickte zustimmend, offenbar etwas verwundert. „Warum zerfällst du dann nicht zu Asche?“ Diesmal war es Linus, der in schallendes Gelächter ausbrach und sich gar nicht mehr fangen konnte. Nach mindestens zehn Minuten, Sibill schaute inzwischen gelangweilt drein, wischte sich Linus die Lach-Tränen aus den Augenwinkeln und räusperte sich. „Ich bin ein Glorias, ganz einfach.“ Sibill schien immer noch nicht zu begreifen, denn ihr bedepperter Gesichtausdruck, hatte sich noch nicht verändert. Linus seufzte, „Also, wir Vampire sind nichts anderes als Menschen, bloß mit einer Genmutation versehen, dass sagen zumindest unsere Wissenschaftler,... Die Vampire, die Glorias sind schon uralt, unsere Familie ist die Reinform der Vampire. Je reiner das Blut, desto schwieriger ist es einen Vampir zu vernichten, aber da du ja nicht mehr in die Zauberschule gehen konntest, kannst du das auch nicht wissen. Nach einer alten Sage, wurde der Urvater der Vampire, eigentlich ein Zauberer, verflucht. Er sollte ewig den Hunger nach Blut verspüren und niemals satt sein, außerdem sollte er ein ewiges Leben fristen müssen. Das war die Strafe für ein sehr schweres Vergehen. Also um zu deiner eigentlichen Frage zurückzukehren, da ich ein Reinblüter bin, kann ich in die Sonne gehen, ohne gleich zu Asche zu verbrennen, allerdings ist UV-Licht nicht gut für die Augen von Vampiren, da sie für die Jagd bei Nacht ausgelegt sind. Daher die Brille.“ Linus tippte mit den Fingern an das Gestell. Sibill schien noch nicht überzeugt. „Aber es gibt doch auch Vampire die in der Sonne verbrennen oder?“ Linus nickte, „Diese Vampire sind entweder weit von der Blutlinie entfernt oder... Nosferatu.“ „Nosferatu?“ Linus schien bedrückt. Er hasste es an die dunklen Seiten seiner Familie erinnert werden zu müssen „Die Vampire haben vor längerer Zeit versucht andere magische Wesen mit sich selbst zu kreuzen, um stärkere Wesen zu erschaffen. Das ist leider etwas nach hinten losgegangen. Die Nosferatu sind die Ergebnisse dieser Kreuzungen. Man zählt aber auch beschworene Gebissene zu ihnen. Es ist möglich einen Menschen zu beißen, ihn damit zu töten und mit Beschwörungsformeln wieder zum Leben zu erwecken. Dieser Mensch wird dem Vampir, der ihn gebissen hat ewig untergeben sein. Aber seit 1875 ist das verboten, da manche Vampire das, naja sagen wir zum großen Nachteil anderer genutzt haben...“ Sibill verzog das Gesicht. „Lebende Leichen, igitt...“ Erst jetzt schien Linus, nach einem kurzen Seitenblick auf Athan dessen Wunde zu bemerken. Er schaute besorgt und wollte sie sich näher anschauen. Doch Athan schüttelte den Kopf und sagte „Nur ein Kratzer...“. Linus schien jedoch nicht überzeugt, denn er sah Athan weiterhin aus den Augenwinkeln heraus an. Dorothee hatte schon an Vorsprung gewonnen, bis sie plötzlich stehen blieb. Als die anderen sie erreicht hatten schaute sie Linus nachdenklich an. „Warum sind wir wirklich hier, das mit dem Mittagessen habe ich gehört...“ Linus schaute ihn den blauen Himmel. In seiner Brille spiegelten sich die Wolken. Es schien der geeignete Zeitpunkt zu sein... „Ich glaube jetzt ist es soweit.“ Und so ungewöhnlich diese Worte auch waren, so stark war doch ihre Wirkung. Mitten aus dem Nichts materialisierte sich eine große, schwere Eichentür, auf der sich, eingeritzt in das feine Holz, zwei Schwerter kreuzten. Linus legte die Hand auf die Tür und augenblicklich öffnete sie sich. Sibill wäre fast der Kiefer ausgerenkt, so weit stand ihr Mund offen. Linus hatte sie in ein Geheimversteck des Ordens geführt, der Orden, von dem auch das Haus der Familie geschützt worden war. Nach einem kleinen Schubser von Linus traute sich Athan den kleinen Raum, der dahinter lag, zu betreten. Spinnenweben klebten ihn im Gesicht und seine Schritte wirbelten Staub auf. Hier war schon lange niemand mehr gewesen. Als auch Sibill und Dorothee eingetreten waren, schloss Linus die Tür wieder, indem er eine Hand an das angestaubte Holz legte. Alle schauten sich erstaunt um. Der Raum war klein, jedoch nicht ungemütlich. Alles war mit Holz ausgekleidet und eine ebenfalls hölzerne Treppe führte in eine weitere Etage. Es gab eine Sitzecke mit einem kleinen Tisch und fünf Sesseln drum herum. Ein großer Perserteppich bedeckte die Hälfte des Bodens und goldene Kerzenleuchter erhellten den Raum, als Linus mit den Fingern schnippte. Alles war mit Staub und Spinnweben bedeckt, doch Dorothee hatte schon einige magische Tricks angewandt, um den Raum zu säubern, bevor Linus widersprechen konnte. Athans Wunde am Arm schmerzte, doch sie schloss sich langsam wieder. Er sagte zu sich in Gedanken: „Nur ein Kratzer...“ Als Dorothee und Sibill sich, immer noch verwundert in zwei der ledernen Sessel gesetzt hatten zog Linus Athan in eine abgeschiedene Ecke des Raumes und schaute ihn besorgt an. Er spürte dass etwas nicht stimmte... „Wie geht’s deinem Arm?“ „Soweit gut...“ doch ein leichtes Aufstöhnen, als Linus seinen Hemdärmel hochzog verriet ihn. Dunkle Ränder waren rund um die Wunde entstanden, dort wo sich die schwarze Feuermagie angesammelt hatte. Linus Gesicht war vor Schreck erstarrt. Er schob Athan in einen Nebenraum, durch eine Tür, die in der Wand verborgen lag. Mit einem Wisch der linken Hand verschwanden wiederum Staub und Spinnweben und Linus verfrachtete Athan auf einen Holzstuhl, der an einem schwarzen Schreibtisch, der reich verziert war angelehnt stand. Dann schaute er sich die Wunde genauer an. Athan wurde heiß, als Linus Finger schnell aber sicher sein Hemd aufknöpften. Linus wollte sicher sein, dass die Magie sich nicht ausgebreitet hatte... „Mir fehlt nichts, ehrlich.“ Sagte Athan, dem sich vom Anblick der Brandblasen mit den schwarzen Rändern auf seinem Arm der Magen gehoben hatte. Linus riss nun den Ärmel des Hemdes auf und schob es dann sanft von Athans Körper. Ein unheimlich betörender Duft wehte ihm um die Nase, doch seine Gedanken blieben klar. Er hatte auch die Kerzen dieses Raumes angezündet und untersuchte nun ganz genau Athans Körper auf die winzigsten schwarzen Linien. Doch er konnte nichts entdecken. Der Arm hatte aufgehört sich zu regenerieren, jedoch war immer noch eine Wunde zu sehen. Linus runzelte die Stirn. „Ich glaube ich muss die Magie raussaugen...“ DU MUSST WAS???“ Linus verkrampfte sich, dass hatte er erwartet. Seine Worte überaschten ihn selbst, wie konnte er glauben, dass alles gut gehen würde wenn...Doch es war die einzige Chance... „Dein Körper kann die schwarze Magie nicht mehr lange einschließen ich muss sie entfernen.“ Athans Magen streikte, doch er nahm sich zusammen. Bilder von Blut in Linus Gesicht kamen ihm in den Sinn... rote Augen starrten ihn an... „NEIN“ Linus schien entsetzt „Aber Athan, die Magie bringt dich um!“ Athans Herz verkrampfte sich, er konnte nicht mehr atmen. Er wollte nie mehr sehen, wie Linus Augen sich rot färbten, genauso rot wie sein Blut... „Ich... Ich spucke es aus.“ flehte Linus. Athan hatte sich abgewandt, er konnte es nicht zulassen, dass Linus zum Monster würde, niemals, eher würde er sterben... Ein stechender Schmerz ließ Athan schreien. Ein schwarzer Faden schlängelte sich von der Wunde zu Athans Hals. Ab da an ging alles blitzschnell. Athan verlor das Bewusstsein, Linus Augen wurden violett und seine Eckzähne wurden spitz. Dann bohrten sich seine Fangzähne in die Wunde und er fing an, das schwarz gefärbte Blut heraus zu saugen... Dorothee schaute sich in dem gemütlichen Raum um und ihr Blick wanderte zu großen, goldenen Bilderrahmen, in denen wunderbare Ölgemälde von blassen, rotäugigen Gestalten aufgehängt waren. Sie hatten alle den gleichen hochnäsigen Gesichtausdruck, die gleiche blasse marmorne Haut und in ihren Haaren spiegelte sich das Licht. „Vampire...“ sagte sie verächtlich. Sibill jedoch schienen diese Gemälde zu gefallen und sie stand auf um sich eines von einem blonden Mädchen näher anzuschauen, als sie bemerkte dass Linus und Athan verschwunden waren. Sie grinste in sich hinein „Nicht mal eine Stunde halten die es ohne einander aus...“ Doch plötzlich ertönte ein Schrei, gedämpft, als ob er hinter der Wand entstanden wäre. Dorothee sprang von ihrem Stuhl auf. Auch sie hatte den Schrei bemerkt. Sie schaute sich verwirrt im Raum um, dann bemerkte sie, dass Linus und Athan fehlten,... Plötzlich ertönte wieder ein Schrei und Dorothee rannte zu dem Teil der Wand, aus dem er zu kommen schien, tastete ihn in Panik ab... Sie sah Athan vor sich, blass, leere Augen starrten in die Ferne... „Nein verdammt...“ doch dann klopfte sie an die versteckte Tür, die sich darauf hin öffnete. Überall war Blut, Linus hatte sich über Athan gebeugt und Athan war bewusstlos. Dorothee dachte nicht nach und rannte auf Linus zu, einen Feuerball in ihrer Hand beschwörend, Linus schreckte auf, seine Augen waren violett, aus seinem Mund tropfte Blut, er war damit über und über bespritzt. Sie schoss den Feuerball auf Linus doch ein feines Netz aus weißem Licht spannte sich über die beiden und bildete eine Schutzkapsel. Im selben Moment stürmte Sibill ins Zimmer, zog ihre Mutter aus dem Weg, bevor der zersprengte Feuerball in viele heiße Fünkchen zerstob und zerrte sie aus dem Raum. Athan schlug die Augen auf. Alles was er sah, erschien ihm diffus, ein weißes Licht blendete ihn. War er tot? Eine warme Hand berührte seine Wange. „Du bist nicht tot“ Es roch eigenartig, irgendwie metallisch. Doch dann hatten sich seine Augen an das Licht gewöhnt und er sah Linus Gesicht. Sein Mund war blutbeschmiert und seine Augen verfärbten sich langsam wieder blau. Dann sah er sich um, auf dem Boden war eine Lache mit Blut, jedoch war es mit schwarzen Schlieren durchzogen. „Ist alles OK? Geht es dir gut?“. Athan konnte nicht sprechen. Er sah nur Blut. Immer wieder schaute er von der Lache zu Linus, dann jedoch auf seinen Arm, die Wunde war etwas gerötet, rund um zwei Bisslöcher schloss sich die Haut, die schwarzen Ränder waren verschwunden. Dann wurde alles schwarz um ihn herum und seine Augen schlossen sich. „NEIN!“ Linus schrie und Dorothee, die am Boden lag, nahm wahr wie er Athan schüttelte, dann legte sich seine Hand um Athans Hals. Athans Kopf lehnte an Linus Brust. Die Augen waren geschlossen. Doch Linus lächelte und beugte sich über ihn... Dorothee riss sich von Sibill los, die ihren Arm umklammert hielt und stürmte auf Linus los. Ihre Schritte erzeugten ein Platschen, durch das ganze Blut, das den Boden bedeckte. Linus Lippen bewegten sich immer im gleichen Rhythmus und eine Träne lief an den lächelnden Mundwinkeln entlang. Dorothee packte Linus Schulter und riss ihn von Athan weg. Doch der lächelte nur und schaute zu Sibill herüber, die langsam, mit schmerzverzerrtem Gesicht, sich die Schulter haltend durch die Blutlache auf sie zuging. Dann sagte er laut. „Er ist nicht...nicht tot...“ Dorothee überprüfte Athans Puls und atmete dann auf. „Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen?!“ schrie Dorothee Linus an. Doch der war plötzlich erschrocken. Sibill warf ihrer Mutter einen wütenden blick zu. Sie hatte sofort begriffen, dass das alles mit Athan Verletzung zu tun hatte... „Er hat ihm das Leben gerettet!“ Dorothee wand sich ab und streichelte Athans Haar... Linus schien nervös zu werden, seine Klamotten, seine Hände, alles war blutbeschmiert. Er grub sich die Fingernägel in den Arm und versuchte aufzustehen, doch er rutschte auf dem glitschigen Dielen aus. Sibill nahm seine Hand und führte ihn mit dem gesunden Arm aus dem Raum. Als sie sich aus dem Raum entfernt hatten entspannte sich Linus etwas und sagte mit zittriger Stimme: „Badezimmer“ und deutete auf die Treppe. Sibill begleitete ihn. Sobald sie im Badezimmer waren riss sich Linus das blutdurchdrängte Hemd vom Leib und warf es in einen vergammelten Wäschekorb. Dann schaute er Sibill dankbar an. Sie hatte verstanden und lief eilig die Treppe hinunter. Die Wunde an ihrer Schulter schloss sich und sie renkte sich die Schulter mit einem knackenden Geräusch wieder ein. Linus entkleidete sich und stieg in die rostige Dusche, Das eiskalte Wasser kam ihm grade recht. Er spülte das Blut von seinem Körper und spülte auch seinen Mund mit Wasser aus. Er spürte wie seine Fangzähne sich verkürzten und seine Finger hörten auf zu zittern. Erst jetzt realisierte er, dass er das Blut nicht getrunken hatte. Er hätte jeden einzelnen Zug genießen können. Er hätte Athans Blut langsam seine Kehle herunter rinnen lassen können um es warm in seinem Körper zu spüren, doch er hatte den köstlichen Saft ausgespuckt. Er hatte keinen einzelnen Tropfen getrunken... Als Sibill wieder unten angekommen war, erblickte sie ihre Mutter, die den ohnmächtigen Athan auf das alte Sofa getragen hatte. Das Blut war von seinem Hemd verschwunden und auch Dorothees Klamotten waren sauber. Sie schaute Sibill an und fragte besorgt: „Schatz geht es dir gut? Es... es tut mir leid!“ Sibill schaute ihre Mutter abfällig an. „Weißt du wie viel Kraft ihn das gekostet hat? Und hast du das ganze Blut gesehen? Er hat es nicht einmal getrunken Mutter!“ Doch Dorothee war wieder ganz die alte „Was fällt dir ein in so einem Ton mit mir zu reden! Er ist immerhin ein Vampir! Und ich bin immerhin noch deine Mutter...“ Doch ehe Sibill den Mund aufmachen konnte, fiel ihr Linus ins Wort, der in einem altmodischen Hemd und eng anliegenden Stoffhosen die Treppe herunter geschritten kam. Seine Haare waren nass und seine Haut schimmerte leicht im Kerzenlicht. „Ist schon gut... Wie geht es ihm?“ „Gut“ sagte Dorothee forsch, offenbar verwirrt über Linus Erscheinung. Genau in diesem Moment schlug Athan die Augen auf. „Linus...“ flüsterte er leise „Ich bin hier.“ Linus hatte sich über das Sofa gebeugt, sehr zu Dorothees Ärger, die immer noch Athans Kopf hielt. Athan lächelte „Tut mir Leid ich hätte dir mehr vertrauen sollen.“ Linus runzelte die Stirn, „Bist du sicher das es ihm immer noch gut geht?“ Ein fragender Blick traf Dorothee. „Natürlich, ich...“ Athan hatte sich blitzartig zu Linus aufgerichtet und seinen Arm um ihn geschlungen. Linus erschrockener Blick alarmierte Dorothee, die im Bruchteil einer Sekunde schon wieder einen Feuerball beschworen hatte. Linus nasse Haare legten sich auf Athans Haut, als dieser ihn küsste. Seine zitternde Hand strich Athan nackten Rücken entlang. Dorothee zögerte, hatte jedoch den Feuerball immer noch über der Handfläche schweben. „MUM.. Also echt...“ Dorothee ließ den Feuerball erlöschen, wand ihr Augen aber zögerlich ab. Sibill schliff sie mit dem jetzt wieder gesunden Arm aus dem Zimmer. Kapitel 3: Schneeweiß --------------------- Linus hatte Athan, der noch zu schwach war zu laufen, in die obere Etage getragen, in der sich die Schlafzimmer befanden. Athan lag, tief schlafend, in den Armen von Linus auf dem Bett. Dieser hatte auch die Augen geschlossen und atmete ruhig. Der Duft von Athan umnebelte sein Gehirn, füllte seine Gedanken aus, trotzdem verspürte er nicht den geringsten Jagdtrieb. Er streichelte Athans Haar, und beobachtete wie sich seine Brust friedlich hob und senkte. Er war ein wenig stolz auf sich selbst... Dorothee ging in dem kleinen Schlafzimmer, dass sie sich zu ihrem Zimmer erwählt hatte, aufgeregt hin und her. Sie überlegte, wie sie ihre Familie kontaktieren konnte. Doch plötzlich wurden ihre Gedanken auf etwas anderes gelenkt. Ein eingestaubter Bilderrahmen, der auf dem kleinen antiken Nachtschränkchen stand. Sie nahm ihn in ihre schlanken Finger und strich forsch die Staubschicht mit den Fingern weg. Was sie dort sah, war höchst eigenartig... Linus, Dorothee war sich ganz sicher, dass er es war, stand neben einer schlanken Frau mit blonden Haaren, die er mit einem Arm umschlungen hatte... Daneben stand ein großer schlanker schwarzhaariger Vampir, der jedoch etwas größer war als Linus, und eine kleine Frau, deren wilde Locken unwirsch hochgesteckt waren. Es war ein schwarz-weiß Foto, deshalb konnte sie die Augenfarbe der beiden nicht erkennen... Aufgeregt fummelte sie die fein gearbeiteten Silberklammern des Rahmens auf und entnahm das Bild. Das war eindeutig Linus! So ein widerliches Vampirgesicht hatte sie bis jetzt nur einmal gesehen! Sie steckte das Bild in ihre Jackentasche, entschlossen Linus später zur Rede zu stellen. Endlich würde sie diesen Vampir loswerden und Athan konnte sich eine hübsche Freundin suchen... Sibill saß gelangweilt in ihrem Bett. Sie konnte einfach nicht schlafen, nachdem was an diesem Tag passiert war. Sie hatte schon versucht einzuschlafen, jedoch war sie immer wieder beim kleinsten Geräusch aufgeschreckt und hatte sich nervös auf die eine oder andere Seite des Bettes gewälzt. Ihr Zimmer war etwas freundlicher eingerichtet als der übrige Teil des Hauses, es gab weiße Vorhänge, die mit frühlingshaften Blumenmotiven bestickt waren und das Bett war aus weiß lackiertem Holz. Aber auch in diesem Zimmer roch es eigenartig alt und... tot... als ob hier nie jemand gewohnt hätte, als ob dieses Haus in ewigen Schlaf verfallen gewesen sei, bevor sie es betraten... Das Kerzenlicht erhellte den Raum und gab ihm wenigstens etwas Lebendiges. Sibill starrte aus dem Fenster und sah die Sterne. Sie waren so hell hier auf dem Land. Jeder einzelne war Milliarden von Kilometern entfernt... Sie schaute sich die Umgebung an: weites Grasland, nirgends war ein Haus zu sehen und alles war in den Schatten der Nacht eingehüllt. Sie beobachtete wie eine Spinne vorsichtig den hölzernen Fensterrahmen hinaufkletterte und oben, an der Ecke des Fensters anfing mit einer übernatürlichen Schönheit und Geschicklichkeit ihre Spinnenfäden, die silbern im Sternenlicht glänzten zu einem feinen Netz zusammen zu spinnen, als es plötzlich an ihrer Zimmertür klopfte. Sie richtete erschreckt die Augen auf die hölzerne Tür. Dann klopfte es wieder, diesmal lauter. Mit zitternder Stimme, sich fragend, wer zu dieser späten Stunde noch etwas von ihr wollen könne, sagte sie: „Es ist offen!“ Die Tür ging mit einem schnellen ruck auf und die Kerzen flackerten von dem Luftzug. Ein schwarzhaariger schlanker Mann mit strahlenden grünen Augen kam in das Zimmer gestürzt, packte Sibill am Arm und zerrte sie aus dem Raum. Sibill wehrte sich, doch als der Mann sagte: „Wir müssen weg, die Nocturni kommen!“ Da war ihr egal, dass sie diesen Mann nicht kannte, sie musste ihm vertrauen. Das hatte sie irgendwie im Gefühl... Schon rannten sie zum Schlafzimmer der anderen, holten erst die entsetzte Dorothee, dann Linus, der Athan in den Armen trug, da sein Blut noch nicht vollkommen wieder nachgebildet war und rannten noch ein Stockwerk höher. Wir rennen in die Falle, dachte Sibill, oben gibt es keinen Ausgang! Doch außer ihr, schien das noch niemanden aufgefallen zu sein. Sie hatten den oberen Absatz der Treppe schon erreicht, als sie Geräusche hörten, Schritte die ihnen aus dem Eingangsraum entgegenhallten. Das schöne Gesicht des unbekannten verzerrte sich vor Schreck, er machte hektische Handbewegungen und sprach seltsame Formeln in einer alten Sprache. Linus starrte konzentriert auf den Punkt, auf den der unbekannte seinen schmalen Zeigefinger legte, als er aufgehört hatte zu reden. Dann schien es, als schmölze das feine Mahagoniholzfurnier und die Muster des Holzes verschoben sich eigenartig. Dann plötzlich lösten sich blitzartig tentakelartige schwarze Fäden aus dem Holz, bildeten einen schützenden Käfig um sie herum und zogen sie dann schnell in das Furnier. Sibill hatte schreckliche Angst, als plötzlich ein Strudel von lauter Farben sie umfing und unsichtbare Kräfte sie hineinzerrten. Doch dann war alles so schnell vorbei, wie es angefangen hatte. Der Farbstrudel spuckte sie aus, als wären sie ihm nicht schmackhaft genug und sie landeten verwirrt in einem großen Schneehaufen. Um Sibill herum gab es nur Weiß, nichts als weiß. Das Weiß des Schnees ging nahtlos in das weiß des Himmels über und die Linie des Horizonts war kaum zu erkennen. Linus wühlte mühsam sich und Athan aus dem Schnee heraus. Auch Dorothee und Sibill kämpften sich aus dem kühlen weiß. Athan schien es nicht so gut zu gehen, denn er war fast so blass wie der Schnee. Seine braunen Augen waren das einzige in seinem Gesicht, das noch lebendig schien. Linus barg ihn vorsichtig in seinem Arm und schrie auf einmal den Unbekannten an. „Wo zum Teufel hasst du uns hingebracht??? In die Antarktis!? Bist du bescheuert?!“ Sein Gesicht ähnelte jetzt so sehr der Bestie, die Sibills Mutter fürchtete, es war verzerrt und Linus blaue Augen waren kalt wie nie. Der Fremde schüttelte den Kopf: „Ich-Ich wusste nicht dass uns das Tor hier hinführen würde. Ehrlich!“ „Sag mal was bist du eigentlich für ein Beschützer der nicht einmal weiß wo sein Notausgang hinführt?“ Linus wurde immer lauter und nur das leise Echo, das vermutlich von hohen Schneewehen zurückgeworfen wurde, antwortete ihm. Sibill wusste nicht, was sie tat als sie sagte „Er kann doch nichts dafür!“. Der Fremde und Linus schauten sie an. Der eine verwundert, das Mädchen, das er vor ein paar Minuten zum ersten Mal gesehen hatte ihn in Schutz nehmen konnte, der andere einfach nur verärgert. „Gebt mir eure Hände.“ Sagte Linus. „Ich habe kein Lust mir hier weiter den Arsch abzufrieren.“ Jeder legte seine Hand auf Linus Körper und kaum hatte es auch der Fremde getan, wurden sie auch schon von gleißendem Licht eingehüllt. Schlagartig wurde es warm und der Schnee, der auf ihre Klamotten gefallen war schmolz in wenigen Sekunden. Um sie herum herrschte ein diffuses Licht und es stank fürchterlich nach verrottetem Fisch. Als Sibill sich umsah wusste sie, wo dieser Gestank herkam. Linus hatte sie direkt in eine dunkle Hintergasse gebeamt, in der dutzende übervolle Mülltonnen einen Ekel erregenden Dunst in die heiße Luft abgaben. Sibill wollte Linus schon fragen, wo sie denn eigentlich hier gelandet waren, doch als sie den Mund aufmachte schaute er sie über Athans verwirrtes Gesicht regelrecht bösartig an. Dieser Blick verschreckte sie so sehr, dass sie sofort den Mund hielt. Als sie aus der Gasse heraustraten, Athan stand inzwischen dank seines Phönixblutes auf eigenen Füßen, sahen sie das Meer. Es schimmerte blau hinter der verfallenen Hafenmauer. Fischerboote tummelten sich an den hölzernen Stegen und die rege Geschäftigkeit der Fischer ließ sie in der Masse verschmelzen, als sie sich ihren Weg durch die verschwitzten Hafenarbeiter suchten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)