Chihiros zweite Reise von Limikkin (Rückkehr nach Aburaya) ================================================================================ Kapitel 6: Zugfahrt ------------------- Der Bahnhof in der Nähe des Aburaya wirkte belebt. Viele schwarze, durchsichtige Gestalten lungerten auf der Beton-Plattform mitten im Ozean herum. Einige von ihnen wirkten etwas kräftiger, andere waren so dürr, dass man sie sehr schnell übersehen konnte. Zwischen all diesen seltsamen Schattenwesen standen drei stofflichere Kinder: Chihiro, Hei und Kohaku. Durch ihre schimmernde Kleidung fielen sie auf, man konnte sie schon von weitem erkennen. Doch eines hatten alle Anwesenden gemein, jeder hielt eine oder mehr Fahrkarten für den Zug in den Händen. „Kohaku, was machst du denn hier?“, die Stimme einer Frau schallte über den Platz. Sie stieg gerade aus einem bootsähnlichen Fass. Ihr langes, schwarzes Haar war in einem ordentlichen Zopf geflochten und hing ihr hüftlang über den Rücken. Sie trug die Arbeitskleidung des Badehauses und war geschminkt wie eine Geisha. Jetzt lief sie erfreut auf die kleine Gruppe, die Seniba besuchen wollte, zu und winkte heftig. Kohaku nickte ihr zu. „Hallo, Rin!“ Chihiros Herz, das sich beim Anblick der hübschen Frau zunächst zusammengezogen hatte, machte jetzt einen Sprung vor Freude. „Rin?...DIE Rin?“ Sie preschte nach vorne und umarmte ihre ehemalige Mitarbeiterin stürmisch. „Hooo...Ruhig!“ Erstaunt versuchte diese, sich von dem Mädchen zu befreien. „Kohaku, wenn schleppst du denn da mit dir rum?“ Der Angesprochene lacht laut und blickte Rin schelmisch an. „Erinnerst du dich etwa nicht mehr an Sen, der du vor einer halben Ewigkeit mal geholfen hast? Kamaji hatte dich damals darum gebeten!“ Plötzlich erhellte sich auch das Gesicht der Umarmten. Sie drückte Chihiro ein Stück von sich weg und betrachtete sie ganz genau. „Tatsächlich! Du hast dich ziemlich verändert, Sen. Du bist hübsch geworden, und größer!“ Dann wandte sie sich zu Hei um, der nervös neben Kohaku stand und immer wieder zu den Schattenwesen hinsah. Er schien sich hier nicht wohl zu fühlen. „Und wer ist das Kohaku? Er ist genauso wenig von hier, wie Sen es ist!“ Kohaku setzte an zu antworten, doch in diesem Moment näherte sich der Zug und blieb vor der Plattform stehen. „Lass uns im Zug weiterreden!“ Die Schatten waren schon in den Zug eingestiegen, als endlich auch Chihiro, Hei, Kohaku und Rin an der Reihe waren. Der Schaffner war ebenso wie die Schatten nur ein schwarzer Schemen, durch den man in das Innere des Wagons hineinsehen konnte. Allerdings war seine Substanz an einigen Stellen dichter, wodurch es wirkte, als habe er ein Jackett an und einen Schaffnerhut auf dem Kopf. Verlangend streckte er die Hand nach den Karten aus und entwertete sie, nachdem er sie in Empfang genommen hatte. Dann trat er zur Seite und ließ die vier weiteren Fahrgäste einsteigen, bevor er seinen Blick noch kurz über die Plattform und das dahinter liegende Meer gleiten ließ und danach die Tür schloss. Es schienen keine weiteren Gäste mehr zu kommen, der Schaffner verschwand in Richtung der Lokomotive, um das Signal zur Abfahrt zu geben. In der Zwischenzeit ließen sich Kohaku, Chihiro, Hei und die zu ihnen gestoßene Rin auf einem Vierersitz nieder und begannen, sich ausgiebig über vergangene Ereignisse zu unterhalten. Als jeder seine Geschichte erzählt hatte, drehte sich Kohaku zu Rin und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Sag einmal, Rin, normalerweise erlaubt es Yubaba doch keinem ihrer Angestellten, sich weiter als eine Meile oder länger als zwei Stunden vom Aburaya zu entfernen! Wieso hast du die Erlaubnis.“ Die junge Frau lächelte. „Kamaji hat mich gebeten, seine Kräutervorräte aufzustocken. Dazu muss ich an einen weit entfernten Ort fahren und Yubaba musste es erlauben, damit sie keine Verluste macht.“ Chihiro lachte leise in sich hinein. Das war so typisch Yubaba, mit Verlusten und Geld konnte man sie leicht ködern und sie nach der eigenen Pfeife tanzen lassen. „Und so wie du aussiehst, nutzt du das gleich aus!“ Rin musterte Chihiro grinsend. „Woher weißt du das bloß? Natürlich nutze ich das aus, immerhin muss ich das ganze Jahr über für sie schuften, vor allem an Feiertagen und Wochenenden, wo besonders viele und schmutzige Gäste kommen. Aber jetzt seid ihr mal dran.“ Sie lenkte von dem Thema ab. „Wohin seid ihr unterwegs? Sucht ihr diese Sakura, von der ihr mir eben erzählt habt?“ Ein leichtes Stöhnen entwich Hei. Sein Gesicht wurde bleich und er richtete den Blick aus dem Fenster. Er sah so gequält drein, dass Kohaku ihm einen Arm um die Schulter legte und beruhigend auf ihn ein sprach. „Nein,“ antwortete Chihiro leise: „Wir suchen Seniba auf, um ein Mittel zu finden, wie wir sie zu uns zurückholen können! Sie scheint sich nicht mehr an uns zu erinnern...“ Bedrückendes Schweigen breitete sich aus und die vier Fahrgäste begannen, ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Quietschend hielt der Zug Stunden später an einem verlassenen Ort. Wie an ihrem Abfahrtsplatz befand sich hier eine Plattform, doch diese wahr nicht so sauber und unberührt wie die andere, sondern von Pflanzen überwuchert und mit Moos übersät. Schon etwas länger waren sie durch sumpfiges Gebiet gefahren, doch hier war es am dichtesten. Direkt hinter der Plattform begann ein Wald, durch den kein Licht zu dringen schien. Kohaku, Chihiro und Hei verabschiedeten sich von Rin und verließen den Zug. Als der Zug abgefahren war, schien die untergehende Sonne auf den Bahnsteig und erhellte ihn in einem schönen Orange. Chihiro drehte sich herum und blickte auf das Meer hinaus. Die Wasserpflanzen, die hier an der Oberfläche schwammen, hatten die Farbe der Sonne angenommen und es wirkte, als würde sich der Himmel unter dem Meer befinden und die Pflanzen wären schwebende Wolken. Verträumt betrachtete das Mädchen die Sonne, die wie eine rot-goldene Scheibe am Horizont schwebte. Hei und Kohaku erinnerten Chihiro sanft daran, dass sie sich etwas vorgenommen hatten und so schnell wie möglich zum Haus der Hexe gelangen wollten, damit sie nicht mitten in der Nacht noch durch den Wald mussten. Mürrisch wandte sich Chihiro von dem berauschenden Anblick ab und folgte den beiden in den dunklen Wald hinein. Ein Weg, gesäumt von fluoreszierenden Pilzen, führte sie durch die Finsternis. Die Luft war erfüllt von leuchtenden Glühwürmchen, die in der warmen Sommernacht einen Liebesreigen aufführten. Wenig später verließen die drei den Wald bereits wieder. Jedenfalls zum Teil, denn links von ihnen ging er weiter, rechts allerdings erstreckte sich ein Moor. Der Himmel hatte bereits einen dunkleren Ton angenommen. „Es ist nicht mehr weit!“ Chihiros Stimme durchschnitt die Stille. Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet, auf eine Lampe, die am Wegrand stand. Der Stiel, an dem die Lampe hing, steckte in einem weißen Handschuh. Hei folgte Chihiros Blick und entdeckte die Lampe ebenfalls. Ein erstickter Schrei entfuhr ihm, als der Stiel sich leicht beugte und sich die Lampe langsam hüpfend in Bewegung setzte. Rasch liefen sie hinter ihrem Führer her, obwohl sie sich nicht unbedingt hätten beeilen müssen, da er immer dann stehen blieb, wenn sie nicht mehr nachkamen. An einem Grundstück mitten im Wald angekommen, hängte sich die Lampe von selbst an das Tor und beleuchtete ihnen den Rest des Weges bis zur Tür. Chihiro lächelte. „Ein Déjà-vu! Als ich das erste mal kam, hat sie mich auch geführt. Scheinbar ist das Senibas Dienstbote.“ Gemeinsam näherten sie sich dem Haus und vorsichtig klopfte Chihiro an die Tür. Ein Geräusch war aus dem Inneren des Gebäudes zu hören, dann ein Fluchen. „Mach du mal auf, meine Knochen werden immer älter!“ Dann der Ton eines zurückgeschobenen Stuhls. Jemand schlurfte auf die Tür zu und drückte den Hebel nach unten. Langsam schwang sie auf und das Kein-Gesicht erschien im Türrahmen. Ein leichtes Funkeln erschien in den leeren Höhlen seiner Maske, dann öffnete es die Tür soweit, dass Chihiro, Hei und Kohaku hinein schlüpfen konnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)