Süßes Gift von Lucivar_Yaslana (Auch der Tod hat eine gute Seite...) ================================================================================ Kapitel 6: Machtspiel --------------------- Rom- Borgia Residenz im November Alles vorbei. So zumindest war die endgültige Meinung eines der wohl mächtigsten Männer Roms. Aus und vorbei, die Zukunft stand wacklig und drohte zu zerfallen. Am 28. Oktober war, nach extrem kurzer Amtszeit, Papst Pius III. verstorben. Manche glaubten an eine Verschwörung, an einen Mord, andere wiederum waren sich sicher, dass jener Erste des Vatikans auf natürliche Weise gestorben war. Cesare Borgia, dessen Anspannung wieder ins Unermessliche gewachsen war, gehörte zum ersten Teil. Seiner Meinung nach steckte Rovere dahinter, um endlich an die Macht zu gelangen, wie er es schon so oft versucht hatte. Nur diesmal schienen selbst die mächtigen Borgia machtlos, der Papst wurde ohne weitere Untersuchungen beigesetzt. Dies war natürlich von Rovere angeordnet und mit Bestechungen abgesichert worden, was schon sehr verdächtig war. Cesare hatte schließlich das Kardinalsamt abgelegt, welches ohnehin purer Hohn gewesen war, und konnte somit nichts ausrichten; alles war sehr sorgfältig geplant gewesen. Der Schwarzhaarige schäumte, doch das war nichts im Vergleich zu dem, was ihn wenige Tage später erwartete. In diesen Tagen wagten sich weder Taddeo noch Chiaro in seine Nähe, so unermesslich war sein Zorn. Sämtliche Attentate, die er veranlasst hatte, waren gescheitert und selbst einzugreifen würde seine ohnehin schon wacklige Machtposition nur noch mehr gefährden. Zum ersten Mal wusste er keinen Weg, konnte nur zusehen, was passierte und dies machte ihn nur noch rasender. Doch es sollte sich nicht besser, im Gegenteil: Sein Verderben nahm seinen Lauf, als Rovere letztendlich sein Ziel erreichte: Er wurde Papst. Papst Julius II. Wenigstens musste Cesare nicht die Schmach auf sich nehmen, ihm als Kardinal zu „dienen“ – dennoch: Seine Macht war vorerst so gut wie dahin. Ihm blieb nur der Versuch, sich mit Rovere gut zu stellen, so sehr ihm dies auch widerstrebte, wobei er sich fragte, wer diesen Mann wohl gewählt hatte. War sein Einfluss wirklich so groß? Oder hatte er gar gegen einige Vertreter des Vatikans etwas in der Hand? Für ihn war es klar- Erpressung. Anders konnte er es sich nicht erklären. Sicher war jedoch, dass er zunächst am Ende war. Merkwürdigerweise jedoch verhielt er sich gefasst und wie immer, zumindest nach außen hin. Doch als Chiaro einmal ohne Ankündigung Cesares Gemächer betrat, fand er diese völlig verwüstet vor, wie damals, als jener noch gegen seine Dämonen angekämpft hatte. Dieses Mal jedoch war es der pure Zorn, der ihn dazu veranlasst hatte. Und Chiaros Hilfe war nicht vonnöten, denn seine „Aura“ wirkte seit ihrer Vereinigung nicht mehr. Stattdessen hatte der andere ihn angeschrien und fortgejagt- kurz darauf war Volpe verschwunden. Als er ihn das nächste Mal sah, bedachte dieser ihn mit einem überlegenen und durchaus bösartigen Blick. Es war völlig klar, was geschehen war, ohne dass auch nur einer von ihnen ein Wort darüber verlor. Demzufolge war Michelotto die größte Zeit über allein, es war müßig, schließlich gab es für ihn nichts zu tun im Hause Borgia. Allmählich fragte er sich, warum er sich überhaupt noch dort aufhielt. Für den Dämon war er völlig irrelevant geworden, er rührte ihn nicht an, sprach nicht einmal mit ihm. Volpe ersetzte ihn voll und ganz und offensichtlich sehr erfolgreich. Es war für ihn völlig unbegreiflich, wieso er so viel Wert darauf legte, Spielzeug eines Tyrannen zu sein. Doch das war wohl weniger Chiaros Problem. Sollte Cesare seinen Zorn an Taddeo auslassen, so waren alle Beteiligten glücklich und zufrieden. Vielleicht, so hoffte der Blonde zumindest insgeheim, wich der andere ihm nur aus und vergriff sich an seinem Vasall, damit er, Chiaro, vor seinen Taten und vor allem seiner diabolischen Kraft sicher war. So verbrachte er die Tage mit Training und ausgedehnten Spaziergängen durch die ewige Stadt, deren Temperaturen nun bereits sehr unangenehm niedrig waren. Zudem regnete es häufig, doch er störte sich nicht wirklich daran. Eines kalten Novembertages, es war nahezu Anfang Dezember und sehr kalt, kam ein Bote in seine Gemächer. Noch immer hatte er nichts vom Borgia gehört, welcher immer öfter auf Reisen war, um seine Macht zu festigen und zu stärken. Überrascht hatte er Schleifstein und Tuch zur Seite gelegt und das Schwert zurück in seine Scheide gesteckt, als man ihm das Schriftstück überreichte. Er dankte dem Boten und faltete das Schreiben auseinander, nur um einmal mehr überrascht zu werden. Nicht etwa Cesare, wie er vermutet und fast schon gehofft hatte, schrieb ihm, sondern Niccolo. Aufgeregt überflog er die Zeilen. Der Schreiber hatte sein Werk nun begonnen und lud ihn zu sich nach Florenz ein. Chiaro las den Brief mehrmals, um zu glauben, was darin stand. Er war wahrhaft überrascht, jedoch auf eine angenehme Art und Weise und wollte dieser Einladung unbedingt nachkommen. Zunächst jedoch würde er mit einer gewissen, noch immer dezent wütenden, Person darüber sprechen. Die passende Gelegenheit ergab sich ein paar Tage später, als jener zurückkehrte und sich sofort zurückzog, sich in seinen Gemächern einschloss, da ihn niemand stören sollte. Daher war er allein, ideal für diese Unterredung. Niccolo hatte auch geschrieben, dass er ihm Frühjahr nach Frankreich reisen würde, zum König. Vielleicht wollte er mitkommen? Nachdenklich klopfte er an die Tür, kein Laut folgte. Wissend, dass Volpe momentan unterwegs war, öffnete er die Tür und betrat den Raum. Der Gesuchte war in Gedanken vertieft in einem seiner prunkvollen Sessel versunken. Es war erstaunlich, wie schnell das von ihm unter Wut angerichtete Chaos beseitigt worden war. Chiaro räusperte sich und der kalte, leere Blick des anderen richtete sich auf ihn. Ohne es zu formulieren war klar, dass er alles andere als begeistert über seinen Besuch war. Da er nichts sagte, begann der Blonde zu sprechen. „Ich habe einen Brief von Machiavelli erhalten. Er lädt mich zu sich nach Florenz ein.“ Er machte eine kurze Pause, in der er vergeblich auf eine Reaktion wartete. „Ich werde sie annehmen.“ Noch immer keine Reaktion. Frustriert setzte er eine kühle Miene auf. „Ich dachte, du solltest es erfahren.“, fügte er schließlich hinzu und verließ den Teil des Gebäudes, ging zurück zu seinem Zimmer und begann damit, seine Habseligkeiten einzupacken. Schon in ein paar Tagen gedachte er zu fahren, sandte jedoch einen bestätigenden Brief an Niccolo voraus. Trotz aller Geschäftigkeiten blieb ihm der kalte, desinteressierte Blick von Cesare allgegenwärtig und ständig vor Augen. Florenz, Februar 1504 Der Winter war nach seiner Ankunft endgültig angebrochen und Chiaro musste feststellen, dass es in Florenz keinen Deut wärmer war als in Rom, ganz zu seinem Leidwesen. Der Brief war rechtzeitig angekommen und Niccolo hatte ihn wärmstens empfangen. Er bewohnte ein schönes Bürgerhaus und hatte ihm ein Zimmer darin vorbereitet. Cesare hatte er nach seiner Ankündigung nicht noch einmal gesehen, geschweige denn eine Nachricht von ihm erhalten. Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! In Florenz hatte er, um sich zu beschäftigen und auch um Niccolo nicht zu belasten, eine Anstellung innerhalb der Stadtwache angenommen und verbrachte wieder viel seiner Zeit mit Training. Er lebte sich recht schnell ein und fühlte sich weitaus wohler als in Rom, unter dem dortigen Druck der Mächtigen in dieser finsteren Residenz. Machiavelli hatte ihm nahe gelegt, lieber in Florenz zu bleiben, wenn er nach Frankreich reisen würde. Auch wenn er sich dabei etwas unwohl fühlte, fremden Besitz zu verwalten, stimmte er zu. Schließlich, so hatte Niccolo grinsend zugegeben, hatte er ihn auch aus diesem Grund eingeladen. „Den Leuten hier kann man nur soweit trauen, wie man einen Stein werfen kann.“, pflegte er zu sagen und Chiaro fand diese Einstellung zwar einerseits vernünftig, andererseits aber stark übertrieben, schließlich waren die meisten Leute sehr freundlich und relativ hilfsbereit und zuvorkommend. Aber Niccolo kannte sich hier besser aus als er, vielleicht war eben diese Freundlichkeit wirklich nur eine Maskerade, keine Seltenheit in großen Städten, wobei die Menschen in Rom beispielsweise teilweise nicht einmal mehr freundlich taten. Jedoch war bis zum April, der Monat in dem Niccolo abzureisen gedachte, noch jede Menge Zeit, in der Chiaro die Arbeit des Freundes besser kennen lernen konnte,; Zeit, sich einzuleben; Zeit, um sich von Cesare und dessen Gefolge, vor allem die damit verbundenen Qualen, abzulenken und ein freies, wenn nicht neues Leben zu genießen. Sicherlich hätte er nach seinem Sohn suchen können, doch wozu? Um ihn jenen Leuten wegzunehmen, die ihn aufzogen und ihn lieben wie ihr eigenes Kind und sich weitaus besser um es kümmern konnten als er? Nein, seine Chance war vertan, seine geliebte Lucrezia tot. Begraben. Schon lange war sie seinen Gedanken fern geblieben, doch nun kehrte sie zurück, vergiftete seinen Verstand und sein Herz aufs Neue. Nur der Dämon hatte sie vertreiben können, jedoch war ihm nicht wirklich klar, wer von beiden das kleinere Übel war. Er hatte sie betrogen, erst im Herzen, dann auch völlig mit Leib und Seele – je mehr er darüber nachdachte, desto mehr quälte es ihn, Wozu? Sie hatte Cesare ebenso geliebt; er hatte ihn genommen, ein einziges Mal… ohne Liebe, ohne Glück. Zurück blieb Leere, durch welche die anklagende Stimme der holden Borgia drang. Es war alles so nutzlos, ohne Belang. Der Blonde stützte den Kopf auf die Hände und seufzte. Es dämmerte und die kühle Frische des Tages wandelte sich in die stechende Kälte, die ihn jedes Mal zurück ins Haus vor den Kamin drängte. So auch jetzt, wo Machiavelli auf ihn wartete, lächelnd und aufmunternd nach seinem Befinden fragend. Chiaro verschloss seinen Geist und die finsteren Gedanken, die ihn nun regelmäßig heimsuchten, lächelte und setzte sich zu ihm. Wenige Tage später, etwas mehr als eine Woche, geschah etwas, womit wohl niemand gerechnet hatte. Es war keinen Deut wärmer geworden, weshalb Chiaro dazu übergegangen war, Neuankömmlinge der Stadtwache zu trainieren. Dies tat er sehr erfolgreich und die meisten seiner „Schüler“ mochten ihn sehr, wenn nicht, respektierten sie ihn zumindest, vor allem seit er einem aufmüpfigeren Großmaul im Duell selbiges souverän gestopft hatte. Er war recht spät zurückgekehrt und schickte sich an, ein heißes Bad zu nehmen, doch Niccolo hielt ihn noch mit dem Abendessen auf. Baden konnte er später noch, war der Blonde doch genau zur Essenszeit hereingeschneit. Als sie gerade geendet hatten, klopfte es an der Tür und ein Bote kündigte hohen Besuch an. Niemand wusste, um wen es sich handelte, es wurde kein Besuch erwartet. Man setzte sich in das etwas edler ausgestattete Lesezimmer, welches öfter als Empfangsraum genutzt wurde. Als die Tür aufschwang, durchfuhr es Chiaro wie ein Blitz. Entgeistert starrte er den Neuankömmling an, der kein geringerer war als Cesare Borgia. Was zur Hölle tat er hier? Niccolo hatte sich erhoben und grüßte ihn freundlich, dessen Blick den Blonden nur kurz gestreift hatte. „Was führt Euch hierher? Wir haben nicht mit Euch gerechnet.“, gab der Schreiber zu, ließ aber durch sein Lächeln erkennen, dass dieser Besuch ihm ganz und gar nicht ungelegen kam, nutzte er den Borgia doch für sein Werk. „Ich bin hier, um etwas abzuholen.“, wurde er informiert und der Schreiber verschwand nach draußen, als hätte man ihm einen stummen Befehl erteilt. Nun wandte sich der Dämon dem Blonden zu. „Habe ich dir erlaubt, mein Haus zu verlassen? Oder gar Rom?“, fragte er ruhig und erhielt ein empörtes Schnauben zur Antwort. „Ich habe es dir gesagt. Du hast es mir nicht verboten!“, gab Chiaro zurück, noch immer in einem der bequemen Sessel sitzend. „Aber auch nicht erlaubt. Du gehörst mir, vergiss das nicht.“ „Dir? Ich habe versprochen, dich zu töten, niemals dein Eigentum zu sein!“ Der andere lächelte leicht teuflisch. „Du hast versprochen, immer bei mir zu sein. Oder war das nur das Wort Michelottos?“ Mittlerweile war der Blonde aufgesprungen. „Das ist lange her! Und bei dir zu sein heißt nicht, dir zu gehören!“ „Bei mir warst du trotzdem nicht.“ Es entstand eine kurze Pause, die beiden Männer standen sich nun gegenüber, der Schwarzhaarige ruhig wie immer, Chiaro aufgebracht. „Reicht dir dein Mädchen für alles denn nicht?“ „Volpe?“ Cesare lachte leise, aber emotionslos. „Ein Mittel zum Zweck. Ventil meiner Wut…. Was ein vor Verehrung blinder Mensch auf sich nimmt, ist wahrhaft erstaunlich.“, meinte er mit einem gleichgültigen Unterton. Sein Gegenüber schwieg. Sollte er doch Recht behalten haben mit der utopisch anmaßenden Hoffnung, Cesare habe ihn ignoriert, um ihn nicht zu verletzen? Konnte dieser… Dämon… letztendlich tief ins einem Inneren doch noch der junge, unschuldige Cesare sein, der er einst war und der ihn um den Tod gebeten hatte? War es vielleicht noch nicht völlig zu spät? Nachdenklich schickte er sich an, wieder in den Sessel zu sinken, doch Cesare bedeutete ihm, stehen zu bleiben und überbrückte ihre Distanz. Chiaro verlor sich in diesen goldenen Augen wie eh und je, vergaß die letzten Monate. Alles in ihm kreiste um das Feuer vor der Papstwahl, heiß stiegen Flammen in ihm auf. Fast automatisch schloss er die Augen, als der andere sich ihm annäherte und ließ den samtweichen Lippen freien Lauf. Um ihn herum hörte alles auf zu existieren, der Dämon füllte seine Gedanken völlig aus. Er hätte nie zugegeben, oder überhaupt gedacht, dass er ihn so sehr vermisst hatte. Cesares Hand umschloss seinen Nacken, die andere seine Hüfte und presste ihn fester an sich. Ihre Lippen öffneten sich, um ihre Zungen zu vereinen, die ein Spiel begannen, süßer als in jeder Erinnerung und das dem Blonden tausend Schauer über den Rücken laufen ließen. Einige Zeit gaben sie sich diesem kleinen Feuer hin, unwissend, von Niccolo kurz beobachtet worden zu sein. Jener hatte zurückkehren wollen, war aber in der Tür erstarrt und hatte den Raum eilig und leise verlassen- völlig unbemerkt. Er hatte es nicht gewagt, die beiden zu stören, so überrascht er auch war. Der Borgia hätte es ihm wohl mehr oder weniger übel genommen. Doch bald schon lösten sie sich, ein wenig atemlos und sahen einander an, Chiaro völlig in einer anderen Welt, Cesare nachdenklich. Schließlich setzten sie sich, kurz darauf kehrte Niccolo zurück, tat unschuldig und wollte wissen, ob der Borgia zu bleiben oder abzureisen gedachte. „Ich werde abreisen.“, erwiderte jener und sah den Blonden an. „Mit dir.“ Doch der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Ich habe versprochen, auf das Haus aufzupassen.“ „So sehr ich doch auf deine Fähigkeiten vertraue, dafür bist du denkbar ungeeignet.“, kam die prompte Antwort. Chiaro verzog das Gesicht, der Schreiber grinste. „Nun, ich finde sicherlich einen anderen für diese Aufgabe.“, erklärte er langsam, beinahe süffisant. Der Blonde errötete sanft. Er hatte es also gesehen… Cesare allerdings blieb ungerührt. „Dann sind wir uns einig.“, fasste er zusammen und raffte seine Sachen zusammen. „Ihr wollt doch nicht zu dieser Uhrzeit nach draußen und nach Rom reisen?“, fragte ihr Gastgeber unvermittelt. Der Dämon sah ihn mit hochgezogener Augenbraue fragend an. „Warum nicht?“ Ihn zu überfallen würde wohl niemand wagen, so viel war sicher. „Nach Florenz zu reisen, beziehungsweise Rom, ist anstrengend und dauert lange. Ihr solltet Euch ausruhen, bevor Ihr erneut aufbrecht.“ „Ich denke nicht, dass…“ „Gute Idee.“, wurde der Borgia von Chiaro unterbrochen. „Ich muss ohnehin erst noch packen.“ Er stieß seufzend die Luft aus, sagte aber nichts weiter dazu. Somit war es beschlossen. Im weiteren Verlauf des Abends nutzte Niccolo die Anwesenheit seines Gastes voll aus, sie unterhielten sich stundenlang, während er dazu einige Notizen machte. Sein Gast zeigte sich sehr geduldig und beantwortete alle Fragen, die meisten zwar relativ knapp, aber es war besser als nichts. Es wurde spät und Cesare bezog das Gästezimmer. Er verzichtete sogar auf die Gesellschaft seines langjährigen Freundes, der in seinem eigenen Bett schlief. Am nächsten Morgen frühstückten sie gemeinsam, überwiegend schweigend, bevor Chiaro seine Anstellung aufgab und seine Sachen packte, um mit Cesare zusammen nach Rom zurückzukehren. Der Abschied von Niccolo fiel seinerseits herzlich, von Cesares Seite ziemlich kühl aus. Nachdem das Gepäck verstaut worden war, stiegen sie in das Gefährt und begannen ihre Reise. Jene begann sehr schweigsam, keiner von beiden Männern sprach auch nur ein Wort, stumm blickten sie sich an oder aus dem Fenster, völlig in Gedanken versunken und mit ernsten Mienen. Der Blonde ließ die letzten Momente vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Trotz des politischen Tauziehens in Rom war Cesare aufgebrochen, um ihn zu holen, wohl wissend, dass er seien ohnehin schon schwache Position gefährdete. Warum? Steckte hinter dieser Reise mehr, als es den Anschein hatte? Warum Florenz? Er bezweifelte, dass seine Person Cesares Hauptziel gewesen war… wohl eher hatte er ihn, wenn er schon einmal da war, einfach wieder mitgenommen. Er wagte es nicht, ihn einfach direkt darauf anzusprechen. Stattdessen starrte er weiterhin nach draußen, wo die Welt unendlich langsam an ihnen vorüber zog, sich später unendlich langsam verdunkelte. Zwischendurch musste er auch eingeschlafen sein, anders war das relativ schnelle Dunkelwerden nicht zu erklären. Noch immer sagte sein Mitreisender kein Wort. Er glich einer marmornen Statue und wirkte ebenso kalt-, gefühl- und leblos. Mit einem Mal fuhr ein Ruck durch die Kutsche, sie wackelte und kam abrupt zum Stehen, sodass Chiaro nach vorn flog und auf Cesares Beinen landete. Eine Entschuldigung murmelnd richtete er sich wieder auf und rieb sich den Kopf, er hatte sich jenen beim Sturz am Fenster angeschlagen. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet. „Was ist passiert?“, herrschte Cesare den sich verneigenden Kutscher an. „Es tut mir leid, mein Herr, aber eines der Pferde ist schwer gestürzt. Ich könnte mit dem anderen das nächste Dorf in einer Stunde erreichen und ein neues holen, zwei Stunden, wenn ich das verletzte mitnehme.“ „Ich will so schnell wie möglich weiter. Beeilt Euch.“ Chiaro sah den anderen fragend an. „Wollt Ihr es hier lieben lassen oder gar töten?!“ Ein Moment der Ruhe entstand. Der Kutscher wurde etwas blass, er war es nicht gewohnt, dass man dem Borgia widersprach. Dessen Blick ruhte auf dem Blonden, ruhig, ehe er wieder sprach. „Nehmt es mit.“ „Wie ihr befehlt.“ Der Kutscher, sichtlich erleichtert, verneigte sich erneut, schloss die Tür und verschwand. Man hörte, wie er das Geschirr abspannte und das verletzte Pferd sorgsam behandelte, sodass es halbwegs laufen konnte. Bald schon waren Geräusche und Kutscher verschwunden und ebenso lange herrschte Schweigen in der Kutsche. Sollte dieser Zustand nun ewig andauern? Allmählich zweifelte er daran, dass mitzukommen eine sonderlich gute Idee gewesen war. Andererseits – hatte er überhaupt eine Wahl gehabt? „So schweigsam?“, wurden seine Gedanken jäh unterbrochen. Ein Augenpaar war auf ihn gerichtet, das dazu gehörige Antlitz war zu einem leicht spöttischen Lächeln verzogen, das beinahe wie aufgesetzt wirkte. Chiaro zuckte nur mit den Schultern, sah an ihm vorbei. Ein leises Seufzen war zu hören. „Was belastet dich? Sonst hast du immer etwas zu sagen.“ Noch immer ohne ihn anzusehen, antwortete der andere: „Deine Absichten. Warum warst du in Florenz? Doch nicht, um mich abzuholen!“ Seine Stimme war leise, aber deutlich. Cesare schürzte die Lippen. „Verbündete. Momentan benötige ich jeden von ihnen.“ Auf Chiaros letzten Satz ging er vorerst nicht ein. Die Antwort, die er ihm gegeben hatte, war banal, er hätte sie sich auch selbst geben können, obwohl sie vermutlich ganz der Wahrheit entsprach. Dennoch machte sich eine taube Bitterkeit in ihm breit. Was hatte er auch erwartet? Dass Cesare sich ihm unter honigsüßen Liebesbekundungen an den Hals werfen würde? Eine eisige Stille machte sich für einen Moment zwischen ihnen breit. Der Borgia beugte sich ein Stück zu ihm vor. „Natürlich hätte ich meine Kontakte auch zuerst woanders suchen können.“, meinte er dann langsam und leiser als vorher. Nun sah Chiaro ihn direkt an, blickte in die goldenen, dämonischen und ernsten Augen, die ihn zu verschlingen drohten. „Versteh mich nicht falsch, Chiaro. Was würden meine Gegner von mir halten, wenn ich nach Florenz gefahren wäre, nur um dich zurück zu holen? Ich wäre in ihren Augen schwach, etwas, das ich mir nicht erlauben kann. Außerdem wärst du in Gefahr, wenn herauskäme, dass du mir mehr bedeutest als ein treuer Freund.“, erklärte er schließlich und seufzte leise dabei, es war deutlich, dass ihn dieses Geständnis einige Überwindung gekostet hatte. Dem Blonden stieg sanft das Blut in den Kopf. Er hatte nicht damit gerechnet, es so direkt von ihm zu hören. „Ich verstehe…“, murmelte er leise, ohne den Blick zu senken. Die warme Hand des Dämons berührte ihn zärtlich an der Wange, kroch zu seinem Nacken und zog ihn nach vorn. Automatisch schloss er die Augen, als ihre Lippen aufeinander trafen, als das Feuer zwischen ihnen wieder aufloderte. Wie hatte es nur soweit kommen können, dass er diesem Mann so verfallen war? Willenlos gab er sich seiner Umarmung hin, genoss es, von ihm begehr zu werden, egal wie unbequem das Innere der Kutsche auch war. Als er aus seinem süßen Schlaf aufwachte, glänzte bereits der Mond über ihnen und tauchte Wald und Kutsche in sein fahles Licht. Müde blickte er zur Seite, betrachtete den Borgia, der neben ihm zusammengekauert schlief wie ein Kind. Sein Atem ging regelmäßig und sein Antlitz strahlte eine engelsgleiche Sanftheit aus. Wer würde bei diesem Anblick von ihm erwarten, dass sein Körper von Dämonen besetzt war? Eine Bewegung in seinen Augenwinkeln zog seine Aufmerksamkeit vom Schlafenden weg. Eine Gestalt entfernte sich langsam und verschwand zwischen den Bäumen. Leise streifte sich Chiaro seine Kleidung über, öffnete behutsam die Tür und folgte ihr. Er kannte die kleine Gestalt, die vergnügt in den Wald hineinlief und auf einer Lichtung stehen blieb. Als der Blonde, leicht außer Atmen, zu ihr aufgeschlossen hatte, drehte sich der kleine Geist zu ihm um. Der kleine Junge strahlte über sein ganzes Gesicht, während er sich ihm näherte. Cesares Geist war nicht mehr so kraftlos und durchscheinend wie bei ihrer letzten Begegnung. „Cesare…“, murmelte er und der Kleine lächelte freundlich. „Ich danke dir, Chiaro… Ich komme gegen die Dämonen an… ich kann sie nicht besiegen, doch mit ihnen existieren, wieder mehr ich selbst werden. Bitte, verlass mich nicht!“, flehte der Junge und zupfte an Chiaros Kleidung. Jener ging vor ihm auf die Knie, damit er ihm direkt in die Augen blicken konnte. „Das werde ich nicht. Niemals.“, erwiderte er und der Kleine begann zu verblassen. „Du darfst mich nicht verlassen! Sonst bin ich verloren… und du musst mich töten!“, erinnerte er ihn an sein altes Versprechen, dass er ihm einst gegeben hatte. „Ich verspreche es dir.“, gelobte er, dann verschwand der Kleine vollends. Hinter ihm raschelten die Blätter und aus dem Gebüsch trat das Original. Der Blonde erhob sich. „Was machst du hier?“, wollte er wissen, trat auf ihn zu und legte einen Mantel um seine Schultern. Der Blauäugige schmiegte sich leicht an ihn. „Ich brauchte etwas frische Luft.“, antwortete er. Zurück am Ort des Unfalls wurden sie vom Kutscher erwartet, der beinahe verrückt geworden war ob ihres Verschwindens. Beide „Wanderer“ stiegen zurück in das Gefährt und beendeten ihre Reise die sie zurück dorthin führte, wo alles begonnen hatte: Rom. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)