Tearsong von Demona ================================================================================ Kapitel 1: Exil --------------- Darkstar, ihr Häuptling, hatte sie verstanden. Sie hatte ihm die Gründe für diese ungeheuerliche Tat gesungen. Aber das Gesetz lautet: Elf tötet niemals Elf. Egal, aus welchem Grund. Aber Darkstar gab ihr ein neues Lied mit auf den Weg, als er sie fortschickte: das Lied der Wölfe. Noch wußte sie nicht, warum, aber wenn der Häuptling einem ein Lied schenkte, war das eine große Auszeichnung. Darkstar hatte sie belohnt, bevor er sie verstieß. Also hatte sie die Höhlen der Zwielichtsänger verlassen, mit nichts weiter als ihrer Kleidung, Proviant für die Reise, ihrem T`ahuk, dem Wanderstab, der Instrument und Waffe sein konnte. Bei Shadoweye war er eine Waffe gewesen, eine tödliche Waffe. Die Töne hatten klagend geklungen, als sie den T´ahuk durch die Luft gewirbelt hatte. Erinnerungen. Tearsong verdrängte die Erinnerungen. Bis auf ein paar Habseligkeiten hatten sie ihr alles abgenommen. Aber das wertvollste hatten sie ihr nicht nehmen können: ihre Lieder. Bei den Zwielichtsängern machten die Lieder das Wesen, die Seele der Person aus. Es gab Lieder, die jeder kannte, die Lehrballaden. Es gab Lieder, die nur innerhalb der Familien weitergegeben wurden. Es gab Lieder, die der Stamm zusammen sang, bei Festen und anderen Zusammenkünften. Und es gab die Seelenlieder. Sie hatte ihr Seelenlied für Blackfeather gesungen, zum ersten Mal hatte sie es gesungen. Er hatte ihr das seine gesungen, und zusammen hatten sie beide Lieder zu einem verflochten. Eine schöne Erinnerung. Blackfeathers zerschlagener Körper, eine grausame Erinnerung. Schon viel Tagesmärsche von den Berghöhlen der Zwielichtsänger entfernt, stimmte sie ihr Suchlied an. Niemand antwortete, sie war allein, ohne Stamm. Ohne Geliebten. Eine schwache Melodie ohne Unterstimmen. Das Grasland lag weit vor ihr, genauso weit wie hinter ihr. Sie hatte keine Orientierungsmöglichkeit, soweit hatte sie sich noch nie von den heimatlichen Höhlen entfernt. Nein, sagte sie sich, nicht heimatliche Höhlen. Keine Heimat mehr für sie. Das Grasland war tückisch, ständig schienen die langen Halme sich zu Fallschlingen zu verweben. Aber wenigstens sang das Gras, eine wellenförmige Melodie, wie die Bewegung, die durch das hohe Gras lief. Tearsong wollte nicht mehr gehen. Sie stützte sich auf ihren T´ahuk und lauschte. Da! Der Gesang von Lebewesen, das Summen, das jeder warme Körper ausstieß. Tearsong wollte zu dem Summen laufen, aber das Gras schien sich immer dichter um ihre Beine zu winden. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie nichts über das Grasland wußte, sie kannte nur die Lieder der Älteren darüber. Sollte sie Angst bekommen? Nein, sie hatte schon alles verloren. Bis auf ihr Leben. Und genau dieses Leben wollte ihr die Schlinggraspflanze nehmen, die sich über ihre Beine an ihr hochwand. Dabei ritzte sie beinahe zärtlich die bleiche Haut des Mädchens, um sie über diese kleinen Wunden mit ihrem einschläfernden Gift zu lähmen. Eine wohlige Müdigkeit überkam Tearsong, nahm ihr die Sorge der Erinnerung. Ein kleiner Teil ihres Verstandes warnte sie, schrie ihr zu, sich loszureißen und diese Müdigkeit zu vertreiben. Aber der Gesang des Schlafes und Vergessens war stärker als das Lied der Gefahr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)