Dark Angel von Tomonyan (.:9.3.10 Kapitel 18 on:.) ================================================================================ Kapitel 15: Sakitos Past ------------------------ Dark Angel Kapitel: 16/? Autorin: IBUKl Pairing: Ni~yaxSakito, ReitaxAoi Genre: Shounen-ai, Romantik, Darkfic etc... Kommentar: Sooo locker flockig geht es schon weiter ^^ Und ich glaube ich muss nicht viel zu diesem Kapitel sagen, außer, dass der Titel für sich spricht und mir das Schreiben sehr viel Spaß gemacht hat. Aber ich habe dieses Mal auch eine Bitte an euch. Und zwar würde mich brennend interessieren, was ihr denkt wie es mit Dark Angel nun weiter geht. In welche Richtung. Was sind eure Ideen ^^ Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr das in euren Komments mal schreiben würdet. Und einen besonderen Dank an meine Betas Nameless_Ruki und Mi-saki. Ich hab euch irre lieb *kuschel* Also dann viel Spaß euch allen ^^ Eure Satty Kapitel 15: Sakitos Past Eifrig zogen die Tage dahin und im Nachhinein würde nicht mehr zu sagen sein wie schnell Sonne und Mond sich gewechselt hatten, als der letzte Tag, die letzte Nacht hereinbrach. Schwerfällig legte sich die Dunkelheit wie ein alles verzehrender Schatten über das Licht und vertrieb die Sonnenstrahlen aus den kleinsten Ecken. Einsam und allein saß eine schlanke Gestalt auf den Überresten des alten Wasserturms. Schien regungslos und wie erstarrt. Es wirkte fast so als verschmelze sie mit den Schatten zu einem, als wäre sie ein Teil des Ganzen. Nichts deutete auf ein Lebenszeichen, auf einen lebenden Organismus, der Essen und Trinken musste wie alle anderen lebenden Geschöpfe dieser Erde auch. Nur ein Paar weitgeöffneter Augen, ungleich denen eines Menschen, sahen wach und klar in den sterbenden Tag, beobachteten und waren stille Zuschauer des verklingenden Tageslichts. Sakito wusste nicht, wie lange er schon hier war und wartete. Er wusste auf wen er wartete, doch ob dieser Jemand kommen würde, lag im Ungewissen. //“Entscheide, was für dich das Richtige ist. Niemand kann dir diese Entscheidung abnehmen.“// Diese Worte hatte er Reita in seinem letzten Brief mitgeteilt. //Ich hoffe für dich, dass du das Richtige tust, Reita.// Leise seufzte er, schloss für einen Moment die katzengleichen Augen, ließ sich zurücksinken und breitete die Arme aus, blickte nun in den Himmel hinauf, der sich langsam aber sicher auf die Nacht einstellte. Es sollte eine der seltenen Nächte werden, in denen die dicke Wolkendecke aufbrach und den Blick auf die Sterne preis gab, sie nicht durch dicke Smog- und Abgaswolken verborgen hielt. Vereinzelt leuchteten die kleinen Lichter am dunklen Firmament auf und zielsicher suchte er nach einem dieser Himmelskörper. *** „Schau mal da oben. Siehst du den großen Bären?“ „Ein Bär? Wo?“ „Dort… schau. Diese sieben Sterne.“ „Ich sehe keinen Bären!“ Angestrengt versuchte der kleine Junge den Deutungen seines Mentors zu folgen. Er runzelte die Stirn und immer wieder glitten seine hellen Augen über das dunkle Firmament. Auf einmal spürte er wie seine Hand umschlossen wurde und man sie zu führen begann. „Man nennt ihn auch den großen Wagen. Sieh da. Diese drei Sterne, genannt Alioth, Mizar und Benetnasch, symbolisieren die Deichsel. Und diese vier dort den Kasten des Wagens. Man nennt sie Megrez, Phekda, Merak und Dubhe.“ Sein Finger wurde durch die Luft geführt und unsichtbar zogen sie eine unsichtbare Linie und nun begann er zu sehen. „Ah daa… jaa ich seh ihn.“ Die schönen Augen leuchteten und begierig folgte er den Sternen, die sich nun zu einem Bild zu formen begannen. Voller Neugier und Erstaunen versuchten die Kinderaugen mehr von dieser unbekannten, unerreichbaren Welt zu erfassen, jeden Stern in sich aufzunehmen und zu verstehen. Nicht eine Sekunde konnte der kleine Junge, der kaum 10 Lebensjahre zählte, den Blick abwenden, suchte immer wieder den Himmel ab und fand neue Lichter. Ein leises Lachen erklang neben ihn und eine große Hand legte sich auf seinen Kopf, wuschelten durch die braunen Haare. „Das gefällt dir oder, Sakito?“, brummte eine raue, aber angenehm klingende Stimme. Der Junge wandte nun erstmals den Blick vom Himmelsfirmament ab und richtete ihn auf den Mann neben sich, erfasste das vernarbte Gesicht, welches nun zu einem amüsierten Grinsen verzogen war. Er nickte begeistert. „Hai! Das ist so unglaublich schön…“, erwiderte der Junge und lächelte leicht. Er hatte diese Sterne schon sehr oft gesehen, doch niemals auch nur versucht mehr hinter ihnen zu sehen, als nur irgendwelche Lichter. „Magst du eine Geschichte hören?“, fragte der barhäuptige Mann mit einem Mal. Sakito sah ihn erstaunt an. „Eine Geschichte? Was für eine?“, fragte er neugierig und erwartungsvoll leuchteten seine Augen auf. Erneut erklang ein raues Lachen. „Weißt du Sakito. Jeder dieser Sterne und jedes Bild haben eine Geschichte, die davon erzählt, wie sie an den Himmel gekommen sind. Und die Geschichte des großen Bären beginnt vor langer, langer Zeit, mehreren tausend Jahren sogar.“ Die Augen des Kindes wurden groß. „Tausend Jahre? Das ist wirklich seeeehr viel.“ Das Erstaunen war den kindlichen Gesichtszügen anzusehen und einen Moment versuchte der Junge anhand seiner Finger zu errechnen wie lange eine solche Zeitspanne war. Doch er gab es auf und sah blinzelnd wieder auf. Ein sanfter Blick trat seinen entgegen. „Ja das ist wirklich eine lange Zeit. Aber möchtest du die Geschichte hören?“ „Ja! Bitte Shark, erzähl sie mir.“ Begeisterung und Freude leuchteten wieder auf. Der Mann lachte. „Na gut… dann hör gut zu. Vor vielen tausend Jahren und in einem unbekannten Land namens Griechenland gab es einen großen Gott, genannt Zeus, der Blitz und Donner beherrschte. Seine Frau war die wunderschöne Göttin Hera. Zeus jedoch mochte viele und so verliebte er sich in die Nymphe Kallisto. Kallisto erwiderte diese Liebe und gebar einen Sohn, den sie Arkas taufte. Hera aber war eifersüchtig auf die schöne Nymphe und verwandelte sie in einen Bären, der durch die Wälder ziehen musste. Jahre später traf Arkas bei der Jagd auf seine Mutter, ohne sie zu erkennen. Zeus, der immer noch an Kallisto dachte, wollte verhindern, dass Arkas seine eigene Mutter tötete. So verwandelte er auch Arkas in einen Bären und versetze beide an den Himmel. Seit dem erhellen Kallisto in Form des großen Bären und ihr Sohn Arkas als kleiner Bär den Himmel.“ Shark endete und sah erwartungsvoll zu dem Jungen hinab. Sakito hatte still gelauscht und war noch immer fasziniert von dieser schönen Geschichte. „Das ist wirklich eine schöne Geschichte. Also sind Kallisto und Arkas nun immer vereint.“ Mit einem glücklichen Lächeln streckte er die Arme aus, versuchte die beiden Sternenbilder zu verbinden. *** Ein trauriges Lächeln ruhte auf den vollen Lippen, als Sakito sich zurücklegte und erneut in den Himmel blickte. Die Wolkendecke brach immer weiter auf und offenbarte mehr der leuchtenden Lichter, sodass der hübsche Junge nun auch das Bild des kleinen Bären entdeckte. Kallisto und Arkas… selbst nach so vielen Jahren erinnerte er sich an die Geschichte, die Shark ihm damals erzählt hatte. Es war eine der wenigen Erinnerungen, die er nicht mit Angst, Schmerz oder Leid verband. Eine kurze Zeit des Friedens und Glücks, was seinen naiven Kinderverstand hatte denken lassen, dass sie für immer andauern sollte. Langsam streckte er nun die Hände in den Himmel, erinnerte sich an das Gefühl von damals zurück und versuchte den Großen Bären zu berühren. „Was machst du da?“, erklang mit einem Mal eine dunkle Stimme hinter ihm. Sofort schreckte Sakito hoch, hatte die Hand schon an einem Wurfstern und schon flog der spitze Gegenstand mit einem Blitzen durch die Dunkelheit. Eine blitzschnelle Bewegung und der Fremde hatte das Geschoss abgefangen. Ein leises Lachen. „Schon gut, ich bins doch nur. Sag bloß ich hab dich erschreckt?“, lachte Ni~ya leise und trat näher heran in das leichte Licht. Sakito atmete hörbar aus und die Spannung seines Körpers ließ locker. „Ach du bist es nur.“, kam es über die Lippen des Brünetten, der sich jetzt wieder langsam entspannte. „Ja nur ich. Hast du etwa gedacht es wäre Reita?“ Der Spott lag deutlich in der Stimme des Blonden, der sich jetzt gegen das Geländer lehnte und ebenfalls hoch in den Himmel blickte. Sakito seufzte. „Die Nacht ist noch nicht vorbei und solange werde ich auch warten.“, meinte er nur stur, wusste inzwischen deutlich wie Ni~ya zu der ganzen Sache stand. „Klar und solange verbrauchen wir weiter wertvolle Zeit. Der Spürhund wird nicht mehr lange brauchen und er hat Spur aufgenommen.“ „Das sagtest du bereits.“, knurrte der Jüngere jetzt. „Ist ja auch nur so. Ich meine ich bin nicht scharf dahin zurückzugehen, aber wenn du…“ „Sei einfach ruhig, okay! Natürlich will ich das nicht, aber ich habe versprochen zu warten und das werde ich auch. Die paar Stunden hin und her. Wir haben jetzt eine Woche gewartet, also wird das wohl auch noch möglich sein!“ Sakito klang gereizt und funkelte den Blonden von unten herauf an. Ni~ya hob nur leicht die Hände, grinste jedoch noch immer spöttisch. „Ist ja schon gut. Warten wir eben…“ Und damit war das Thema erst einmal beendet, worüber Sakito auch sehr froh war. Es hatte mehr als eine Diskussion in den letzten Tagen gegeben, wo es um dieses Thema gegangen war. Jeder hatte seinen Standpunkt verdeutlicht und damit war es gut. Es war die letzte Nacht, die letzten Stunden und wenn Reita bis zum Morgengrauen nicht auftauchen würde, dann hatte er seine Entscheidung getroffen. Sakitos Gedanken begannen wieder zu kreisen, drehten sich um die vergangene Woche, die er zusammen mit Ni~ya verbracht hatte, in dem Versteck, was sie ausgewählt hatten. Ein alter Bunker etwas außerhalb der Stadt. Wirklich viel hatte sich nicht zwischen ihnen geändert. Noch immer gingen sie vorsichtig miteinander um, redeten nicht sehr viel und noch immer wusste keiner etwas von dem jeweils anderen. Eine verfahrene Situation, die dem Braunhaarigen des öfteren Kopfzerbrechen bereitete. Er hatte Ni~ya soviel fragen, etwas über sein Leben nach der Flucht erfahren wollen und dennoch hatte er immer geschwiegen. Er hatte mehrmals angesetzt eine seiner Fragen zu stellen, doch noch bevor auch nur ein Ton seinen Mund verlassen konnte jedes Mal wieder abgebrochen. Und dennoch war er über die Anwesenheit des Blonden erfreut gewesen, hatte sich wieder etwas sicherer gefühlt, als in all den Jahren seiner einsamen Reise. Noch immer spürte er eine innere Verbundenheit zu dem Älteren, selbst wenn ihre Welten inzwischen auseinander gegangen waren und sie sich beide verändert hatten. Dieses leicht geknüpfte Band ihrer Kindheit würde wohl auf ewig bestehen bleiben. „Ziemlich selten, dass die Wolkendecke hier aufbricht und man die Sterne so deutlich sehen kann, oder?“ Ni~yas Stimme riss Sakito aus seinen Gedanken und der Jüngere wandte den Kopf zu dem Älteren, sah ihn an, nickte dann leicht. „Hai…“, antwortete er etwas leiser und sah nun auch wieder nach oben. Irgendwie hatte er solch eine Frage von Ni~ya nicht erwartet. Sakito drohte sich erneut in den weiten des Sternenhimmels zu verlieren, als der Blonde jedoch weiter sprach. „Unendlich weit. Sie verleihen ein Gefühl von Freiheit.“, sprach er und Sakito wusste nicht, ob er es zu sich selbst sagte oder nicht. Dennoch zeugte diese Aussage von einem anderen, bis hierhin noch fast unbekannten Punkt des Blonden. In der ganzen Zeit, die sie nun schon zusammen verbrachten, war Ni~ya stets kalt und fast emotionslos gewesen. Jetzt jedoch war sein Gesicht entspannt und vollkommen weich, ein Anblick, der Sakitos Herz einen Moment höher schlagen ließ. Schnell wandte er seinen Blick wieder ab und den Sternen zu, wollte nicht, dass der andere irgendetwas bemerkte. „Hai diese unendliche Weite ist kaum zu greifen. Ich liebe Sterne…“ Auch Sakito schien langsam einen Teil seiner kalten Maske fallen zu lassen. Zum ersten Mal in wie vielen Jahren? Er wusste es nicht. Doch irgendwie schien irgendwas in der Luft zu liegen, dass sie beide entspannen ließ. Ni~ya setzte sich nun auch zu dem Jüngeren, zündete sich eine Zigarette an, schwieg jedoch. Es war eine angenehme Stille, nicht so drückend wie in den letzten Tagen und Wochen. Es war einfach eine ruhige Umgebung und ein zeitloser Augenblick. Und irgendwann kam eine Frage über Sakitos Lippen, noch ehe er nachdenken konnte. „Was ist damals mit dir geschehen, nachdem du wieder gefangen genommen wurdest?“ Sakito blickte zu Ni~ya, etwas scheu, weil er nicht wusste wie der Ältere mit dieser Frage umgehen würde. Ni~ya jedoch blieb ruhig, blies den blaugrauen Dunst in die Luft hinaus und wandte sich dann dem Jungen neben sich zu. „Ich habe nur darauf gewartet, dass du diese Fragen stellen würdest.“, begann er und winkelte eines seiner Beine an. „Damals als du weggegangen bist und ich verletzt liegen bleiben musste, hatte ich nur den einen Gedanken. Den, dass du in Sicherheit bist, weg von alledem. Und dieser Gedanke hat mich auch beflügelt durchzuhalten. Die Hölle noch einmal zu durchleben. Das erste was passierte, war, dass ich inhaftiert und unendliche Male verhört wurde. Sie fragten mich wo ihr seid, doch ich habe nichts Preis gegeben, da ich es ja selbst nicht wusste. Irgendwann haben sie dann aufgegeben. Danach gingen die Tests wieder los, das Training, eben der ganze Horror. Aber ein Jahr später bekam ich die Gelegenheit zur Flucht und hab sie ergriffen. Durch das Erdbeben gingen einige Explosionen hoch und einige Teile des Labors wurden zerstört. Das war für mich die Gelegenheit zur Flucht. Und der Rest ist einfach eine Reise durchs Land auf der Suche nach euch oder vielleicht auch eher nach dir.“ Ein leichtes Lächeln glitt über die Züge des Älteren und er lachte leise, als sich auf Sakitos Wangen ein kleiner Rotschimmer bildete. Solche Offenbarungen hatte er niemals erwartet und sie überraschten ihn, ja schockten ihn schon fast. Er fand kaum ein Wort, dass er erwidern konnte und so nickte er nur leicht. Ni~ya selbst grinste weiter. Er hatte so etwas erwartet, hatte er doch bereits von vornherein darauf gewettet, dass sich unter dieser ganzen Maskerade noch immer der kleine Junge von damals verbarg. „Und wie ist es dir ergangen? Was hast du alles erlebt?“, stellte Ni~ya die Gegenfrage, zog erneut an seiner Zigarette. Sie wirkten wie zwei Freunde, die sich nach einem langen Urlaub oder den Ferien wieder trafen. Doch für Sakito war dieses Gefühl spätestens jetzt vorbei. Auch wenn er noch leicht lächelte, erreichte dieses Lächeln seine Augen nicht. Natürlich bemerkte Ni~ya es und dachte einen Moment darüber nach, ob es vielleicht die falsche Frage gewesen war. „Ist alles in Ordnung? Du musst es nicht erzählen, wenn du es nicht möchtest.“, sagte er, doch Sakito schüttelte den Kopf. „Nein ist schon okay.“, sagte er mit einem leichten Grinsen. Es war ja das, worauf er selbst gewartet hatte, eine Möglichkeit mit Ni~ya zu sprechen, sich ihm anzuvertrauen, der einzigen Person, wo er es auch wirklich wollte. Er hob den Kopf und sah Ni~ya an. „Möchtest du alles wissen?“, fragte er. „Wenn du mir alles erzählen willst, werde ich dir gern zuhören.“, lautete die Antwort. So nickte der Jüngere und begann leise zu erzählen. „Als du gefangen genommen wurdest hatten sie Hunde auf mich gehetzt. Doch das Einzige was ich davon noch weiß ist, dass ich einen Abhang hinabstürzte und ins Wasser fiel…“ *** „Wie lange muss er denn noch liegen bleiben, Mama?“ „Bis er aufwacht, Miyako.“ „Aber er schläft doch schon sooo lange.“ „Er war auch sehr krank, Kleines. Da ist das ganz normal.“ Leise und undeutliche Stimmen drangen in die bleierne Schwärze ein, die ihn umgab. Ein kleines Geräusch und etwas Kühles legte sich auf seinen Kopf. „Mama schau mal… er bewegt sich!“ Langsam begann der kleine Körper sich zu regen. Schmerzen schossen durch seinen Leib, als er versuchte die Augen zu öffnen, jedoch nichts anderes als Dunkelheit um sich herum wahrnahm. Erinnerungen der Flucht schossen auf ihn ein, das Gesicht Ni~yas, den er zurückgelassen hatte und dann kam die Angst. Wo war er? Hatte Menticore ihn wieder gefangen genommen, ihn zurück in die Hölle geschleift? Er wollte sich wehren, sich regen, wollte weg von dort wo er war, doch zwei starke, wenngleich warme und sanfte Hände hielten ihn fest. „Ganz ruhig bleiben.“, sagte eine sanfte Frauenstimme. Doch Sakito verspürte Angst. Er wusste nicht wo er war. „Mama, Mama, was macht er…?“ Eine Kinderstimme mischte sich in das Geschehen ein und bei einer weiteren hektischen Bewegung rutschte der kühle Lappen, der bis dahin auf seiner Stirn und den Augen gelegen haben musste, herunter und helles Licht, ausgehend von einer Deckenlampe stach ihm in die empfindlichen Augen. Ein leises kehliges Geräusch kam über seine Lippen und er presste die Augenlider zusammen, verspannte sich noch mehr unter dem Griff, der ihn hielt. „Du musst ruhig bleiben, Junge. Du hattest hohes Fieber.“ Wieder diese sanfte Frauenstimme, doch er konnte ihr nicht trauen. Er musste weg, Ni~ya… er musste ihm helfen. Er wollte sich weiter wehren, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Die verkrampften Muskeln, spannten sich weiter an und er sackte zusammen. „Wo… wo bin ich…?“, krächzte er hilflos, voller Angst, blieb aber nun liegen und der Griff entfernte sich langsam, wandte sich in ein zartes Streicheln. Langsam öffnete er erneut die Augen, erkannte nun undeutliche Umrisse einer Wohnung, eines Raumes. Ein Schrank, hölzerne Verkleidung an den Wänden und eine Frau mit dunklen Haaren, die neben dem Bett saß, in dem er liegen musste. Er fühlte den weichen Untergrund. „Du musst keine Angst haben. Wir tun dir nichts. Du bist bei uns in guten Händen.“ Die Lippen der Frau bewegten sich, also musste ihr diese Stimme gehören. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel erweckte seine Aufmerksamkeit und im nächsten Moment klammerte sich ein kleines Mädchen an die Arme der Frau, wohl ihre Mutter. Die dunklen Augen des Kindes sahen ihn neugierig aber auch etwas ängstlich an. „Mama guck mal seine Augen.“ Unsicher deutete das Mädchen auf ihn. Sakito war verwirrt. Wo war er? Wer war das? Wie war er hierher gekommen? Und vor allem was wollten diese Menschen von ihm? Der Jahrelang antrainierte und eingeschärfte Verstand sagte ihm: Verschwinde! Oder eliminiere deine Gegner! Doch er konnte es nicht. Er konnte sich nicht einmal bewegen. „Sei leise Miyako. Mit nackten Fingern auf andere zeigen ist unhöflich und er ist unser Gast, also sei lieb.“, schimpfte die Frau leise, ehe sie ihre sanften braunen Augen wieder ihm zuwandte. „Wie geht es dir?“, fragte sie. Doch Sakito antwortete nicht. Misstrauen und Angst beherrschten seinen kleinen Körper. Die Frau seufzte. „Du musst nicht reden, wenn du nicht möchtest, aber du solltest dich noch ausruhen und etwas essen. Du hast viele Tage lang geschlafen.“ Geschlafen? Viele Tage? Dabei musste er doch… Ni~ya… Müde schlossen sich seine Lider wieder. Ihm war heiß und er war müde, so unendlich müde… *** Er erinnerte sich an diese Szene als wäre es gestern gewesen. An die wachen, neugierigen Kinderaugen Miyakos und die sanfte Stimme ihrer Mutter Kumiko. „Sie sagten mir, dass sie mich am Flussufer gefunden und mitgenommen hatten. Ich lag wohl etliche Tage im Fieber, weil das kalte Wasser meinen Körper vollkommen entkräftet hatte. Ich blieb einige Monate in ihrer Familie, die mich mit offenen Armen aufnahm und ich fühlte mich auch wohl. Doch ich konnte dort nicht bleiben, denn ich war immer noch zu nahe an Menticore und die Angst war mein ständiger Begleiter. Schließlich kam das große Beben und zerstörte wie auch viele andere Städte und Häuser das kleine Dorf. Und da war mein Entschluss gefasst. Ich wollte ihnen nicht noch mehr zur Last fallen und schlich mich schließlich auf einen alten Transporter, der mich die Küste entlang in den Norden brachte. Ab da kämpfte ich mich zu Fuß weiter durch das Land, immer auf der Hut vor fremden Menschen. Einen Unterschlupf fand ich irgendwann dann in einer Höhle in einem Park, wo ich weitere Monate lebte.“ Es war eine einseitige Geschichte und doch auch begleitet von ständiger Einsamkeit und Vorsicht. „Die Monate im Hause von Miyako und ihrer Mutter kamen mir bald vor wie ein Traum, denn das Elend, dass das Beben zurückgelassen hatte, wurde immer spürbarer. Selbst ich blieb nicht ganz verschont und musste meinen Unterschlupf aufgeben. So zog ich weiter, ernährte mich von Gräsern oder auch einfachen Früchten, die ich irgendwo fand. Bis mein Weg mich nach Osaka führte…“ *** Es war eine kalte Winternacht und eisiger Wind blies durch die verlassenen Straßen. Auch hier hatte das Beben verheerende Folgen zurückgelassen. Einige Monate waren vergangen und dennoch blockierten einige Trümmerteile zusammengefallener Häuser die Straßen. Langsam wagte er sich vor, wusste nicht genau was ihn hier erwarten würde. Es war eine fremde Stadt, fremde Menschen und eine Angst, die ihm noch immer im Nacken saß. Einige Monate hatte er Ruhe gehabt, konnte sich sicher fühlen, doch das alles war nur ein Trugbild gewesen. Mehr als ein Jahr war er nun in Freiheit und dennoch hatte er nichts von dem sehen können, was Ni~ya ihm mit so schönen Worten beschrieben hatte. Die grünen Wiesen waren jetzt nicht mehr als dürres, hartes Gestrüpp, gefroren durch die eisige Winterkälte und aufgewühlt durch das schlimme Beben. Er zog die Decke enger um seinen Leib um sich vor der beißenden Kälte zu schützen. Es war ein harter Winter, das fühlte er instinktiv. Den letzten hatte er noch in der warmen Hütte von Miyako und ihrer Mutter verbracht, doch jetzt stand er auf eigenen Beinen. Den Unterschlupf, den er selbst für einige Zeit sein Zuhause genannt hatte, hatte er nicht gegen die ganzen Obdachlosen schützen können, die ihn selbst besetzen wollten. Also hatte er nachgegeben und war nun hier gelandet. Doch das alles war egal. Alles was er brauchte war nun eine sichere Unterkunft für die Nacht, denn hier draußen würde selbst er kaum überleben. Sakito kämpfte gegen die eisigen Windböen an, verschwand immer wieder in engen Gassen und suchte zwischen den verfallenen Häusern nach einem windgeschützten Winkel. Sein Körper war von der Reise ausgezerrt und er hatte lange nichts gegessen, doch der junge Organismus war stark und ebenso auch der Wille des Kindes. War er in Menticore selbst noch ängstlich und schüchtern gewesen, hatte er in dem einem Jahr gelernt, dass er damit nicht weiter kam. Mit verbissenem Gesichtsausdruck zog er weiter durch die Stadt, wich immer wieder anderen Gestalten aus, die er dank seiner Sinne immer etwas früher wahrnahm und schlug dann eine andere Richtung ein. Zuviel Gesindel und Diebespack war um diese Tageszeit unterwegs und sahen in einem Kind wie ihm eine leichte Beute. Übergriffe solcher Art hatte er schon kennen gelernt, doch immer war es ihm gelungen einer ernsten Situation rechtzeitig zu entkommen. Doch auch jetzt schien es so, als wolle man ihm einer Prüfung unterziehen, denn als er wieder an einer Ecke abbog, stand er sich plötzlich einer Gruppe von etwa 5 Männern gegenüber, die sich um eine brennende Tonne versammelt hatten. Er hatte sie durch den Wind nicht hören können und doch war es zum Umkehren zu spät, denn einer der Männer wurde auf ihn aufmerksam. Sofort stieß er seine Kameraden, allesamt in lumpige Fetzen gekleidet an und deutete auf ihn. Sofort wandten sich die Männer ihm zu und breites Grinsen zierte die ausgezehrten Gesichter. „Na was haben wir denn da für ein zartes Täubchen…“, brummte ein bulliger Kerl und kam auf ihn zu. Sakito wich keinen Schritt zurück, sondern starrte die Gruppe an, die sich jetzt alle auf ihn zu bewegten. Die dunklen Augen der Männer funkelten unheilbringend. Es war nicht selten, dass in diesen Zeiten, wo das Essen mehr als knapp war und die Kälte jede Vernunft raubte, auch Fälle von Kannibalismus vorkamen. Sakito hatte es mit eignen Augen gesehen. Leichen, angenagt von Ratten, aber auch Menschen lagen in Straßengräben und waren der starken Witterung ausgesetzt. Ein Bild des Grauens. Hunger, Kälte und Elend ließ aus den Menschen wilde Bestien werden, Monster die sich einander nicht mehr achteten. Die Männergruppe hatte ihn umrundet und zog einen engen Kreis um den kleinen Kinderleib. Sakito verharrte ruhig, ließ die Männer auf sich zukommen, in deren Augen er nur ein Stück Freiwild zu sein schien. Die Decke hing immer noch über seinen Schultern, doch seine Sinne waren angespannt, ebenso die Muskeln unter der Haut. „Greif ihn dir, Maru!“, rief mit einem Mal einer der Kerle und der Typ, der links hinter ihm stand setzte sich in Bewegung. Doch Sakito sah die Bewegung schnell und wich geschickt aus. Die Decke wie ein Schutzwall eng um sich gezogen, tauchte er unter dem angedeuteten Schlag durch, sprang hoch und trat mit voller Wucht gegen den Rücken des Mannes, der daraufhin ins Straucheln geriet. Schnell waren nun auch die anderen Männer zur Stelle. Unkoordiniert griffen sie an, versuchten Sakito zu packen, doch stets war er schneller als sie. Sein ganzer Körper war auf solche Situationen ausgerichtet und trainiert worden und die feinen Sinne taten ihr übriges. Bald schon wurden die Männer zunehmend aggressiver, brüllten ihn mit wüsten Beschimpfungen an, doch Sakito traf es nicht. Er achtete nicht darauf, sondern konzentrierte sich vollkommen darauf auszuweichen und anzugreifen. Der Erste lag bald am Boden, dann der Zweite und es blieben noch drei. Ihm war warm geworden. Das Blut und Adrenalin wärmte seine Muskeln. Der kleine Körper, längst nicht voller Kraft war schnell und wendig und seine Tritte und Schläge waren präzise und stark. Bald schon schien es den übrigen drei Gesellen zu blöd zu werden und sie zückten ihre Messer, griffen nun mit den abgestumpften Klingen an, die jedoch noch immer in der Lage waren Fleisch zu spalten. Einen Schlag wehrte er ab, der nächste verletzte ihn leicht am Oberarm, doch schon traf wieder ein Tritt seinerseits ins Schwarze, genau gegen den Kehlkopf von einem der Männer, der daraufhin gurgelnd zu Boden ging. Wild und unausgeglichen, nicht einsehen wollend, dass sie gegen den Jungen keine Chance hatten, griffen die anderen beiden mit noch härterer Wut an, doch auch das brachte ihnen nichts. Sie hatten sich einfach den Falschen ausgesucht. Bald schon stand nur noch einer auf den Beinen, während die anderen sich windend oder bewusstlos um den Kampfplatz herum verstreut lagen. Und endlich schien der Kerl ein Einsehen zu haben. Er warf das Messer auf den Boden und wich ängstlich, fast schon panisch vor dem Jungen zurück. „Du… bist nicht normal!“, schrie er, starrte bleich in die goldenen Katzenaugen, die kalt blieben. „Monster!“, rief er und stolperte weiter zurück, über eine am Boden liegende Dose, verlor das Gleichgewicht und fiel. Sakito vollkommen emotionslos, aufgeheizt durch den Kampf, setzte langsame Schritte nach vorn. Seine Augen glänzten in dem Licht, welches die brennende Tonne abwarf animalisch, kaum mehr menschlich. Panik breitete sich auf dem Gesicht des Mannes aus, der versuchte aufzustehen, es jedoch kaum schaffte. „Komm nicht näher! Bleib weg von mir, Monster!“, kreischte er und doch blieb Sakito unbekümmert. Er war nicht mehr er selbst, sondern hatte dem Tierwesen das Kommando überlassen. Seine Hände, die die Decke noch immer umklammert hatten, hatten sich in den rauen Stoff gekrallt. Sein Opfer war auserkoren. Dieses wand sich an der Wand in seinem Rücken und schrie immer mehr um Hilfe. Seelenruhig kam Sakito näher, bis er schließlich genau vor dem Mann stand. Unmenschlich schnell packte er zu, umfasste die Kehle des Mannes und zog den Leib nach oben, drückte ihn gegen die Wand. Blutdurst hatte ihn befallen, wie immer wenn er dem Tier den Vorrang ließ. Seine Finger zogen sich krallenartig um den Hals zusammen. Der Mann gurgelte und wimmerte, schlug seine Hände in die dünnen Handgelenke des Braunhaarigen. Doch Sakito war stärker. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und er hätte den Mann erwürgt, als jedoch mit einem Mal Stimmen laut wurden. Er drehte den Kopf, bemerkte Schatten, die sich näherten. Die Rufe des Mannes schienen andere angelockt zu haben. Sakito wandte sich wieder seinem Opfer zu, sah ihm noch einmal in die Augen, die voller Panik und Angst gefüllt waren und sein Durst war befriedigt. Ein schneller Schlag auf die Schlagader und der Mann verdrehte die Augen nach innen und sackte zusammen. Sakito ließ ihn los, straffte die Decke wieder und drehte sich dann um. „Was ist denn hier passiert?“, rief einer der ankommenden Männer. Es waren vier an der Zahl. Dunkel gekleidet und mit Messern und Pistolen bewaffnet. Helle Augen, von einer Farbe, die Sakito nicht zuordnen konnte, überblickte das Kampffeld. „Das ist doch der Ort an dem Takuma und seine Gang sich aufhallten.“, sagte ein anderer Mann und trat vor. Noch hatten sie Sakito nicht bemerkt, der sich schnell in den Schatten der brennenden Tonne geduckt hatte und von der aus er das Geschehen verfolgte. Die Männer traten an die Bewusstlosen heran, berührten sie mit den Fußspitzen um zu testen ob sie noch lebten. „Leben tun sie alle noch. Doch was ist passiert und wer hat um Hilfe geschrien?“ Ratlosigkeit stand in den fremden Gesichtern geschrieben. Sie packten die Messer wieder weg, nur einer behielt einen kleinen altmodischen Revolver in der Hand. Es ging keine Bedrohung von diesen Männern aus, das spürte Sakito instinktiv und trotzdem hatte er seine gesamte Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor sich gerichtet, sodass er nicht bemerkte, wie sich ihm von hinten jemand näherte. Als sich mit einem Mal jedoch eine große Hand auf seine Schulter legte, zuckte er zusammen, sprang auf und die brennende Tonne kippte um. Brennende Glut verstreute sich auf dem eisigen Boden, während die Tonne mit lautem Scheppern über den Asphalt rollte und an einer Hauswand schließlich liegen blieb. Sofort richteten sich die Augen der Männer auf den Jungen, die Messer wieder alle in Alarmbereitschaft gezückt. Sakito jedoch starrte in zwei eisblaue Augen, war im Moment noch vollkommen erstarrt vor Überraschung und Schock. „Shark! Wer ist das?!“, riefen die anderen Männer, sahen auf das bizarre Bild, das sich ihnen bot. Das vernarbte Gesicht, welches Sakito zugewandt war, grinste spöttisch und mit einer Art undefinierbarer Faszination. Die große Hand, die auf Sakitos Schulter ruhte, war stark und hielt ihn fest. „Das ist der Junge, der hier mal tüchtig aufgeräumt hat.“, grinste der Mann mit dem Namen Shark nun und blickte auf zu seinen Kameraden. Diese stutzten. „Was? Dieser Junge soll alle 5 überwältigt haben?“ Unglauben sprach aus den Gesichtern. Doch der Narbenmann nickte. „Sehr wohl. Ich hab das Schauspiel beobachtet und bin fasziniert von der Kampfkunst dieses Burschen.“ Er klopfte Sakito auf die schmalen Schultern und schob ihn etwas nach vorne. Der Junge wollte sich wehren, doch er kam gegen diesen Griff nicht an. Er wand sich leicht, war verwirrt. Was sollte das alles hier? Noch immer schienen die Männer ungläubig, ehe einer lachte. „Guter Witz, Kumpel. Diese halbe Portion hat die lahmgelegt, denen ein Teil unseres Clans unterlegen war? Niemals.“ „Glaub es oder glaub es nicht, Minase. Ich weiß, was ich gesehen habe.“ Freudig funkelten die hellen Augen ihm entgegen. Sakito war verwirrt, zutiefst verwirrt. Was wollten diese Kerle? Warum griffen sie nicht an und warum griff er sie nicht an? „Sag mein Junge wie heißt du?“, fragte Shark nun an ihn gewandt und noch ehe der Junge wusste, was er tat, sagte er. „Sakito.“ Ein leises Lachen und der Griff lockerte sich, wandte sich in ein sanftes Klopfen. „Sehr schön Sakito. Also was ist. Ich denke du wirst Hunger haben und ein Plätzchen zum Schlafen suchen, oder? Du bist herzlich eingeladen uns zu begleiten.“ Und ehe er noch etwas sagen konnte, wurde er in den Schwitzkasten genommen und mitgezerrt. *** Sakito lächelte, als er seine Erzählung abbrach und Ni~ya ansah, der jedoch fragend dreinblickte. „Wer waren diese Leute?“, fragte der Blonde, empfand er es doch als recht seltsam, dass Sakito sich damals nicht gewehrt hatte. „Das waren Mitglieder der DevilSharks, einer Straßengruppe in Osaka, die es sich nach dem Beben zur Aufgabe gemacht hatte, Ordnung in der Stadt zu halten. Sie alle hatten bei dem Erdbeben ihre Familien verloren und sich zusammengeschlossen. Shark war so etwas wie ihr Anführer und hat mich schließlich in die Gruppe aufgenommen. Er sagte mir später, dass ich Ähnlichkeit mit seinem verstorbenen Sohn habe, der in demselben Alter gewesen ist. Er wurde für mich so etwas wie ein Vater, selbst wenn man sich das kaum vorstellen kann. Er ist bis heute auch der einzige Außenstehende, dem ich von meiner Vergangenheit erzählt habe.“ Einen Moment verharrte Sakito in Schweigen, dachte an die gemeinsame Zeit mit der Gruppe zurück, die ihn mit offenen Armen aufgenommen hatte und an Sharks sanftes Lächeln. „Ich durfte bei der Gruppe bleiben, wurde in sie integriert und hatte wirklich das Gefühl ich hätte ein Zuhause gefunden. Es war annähernd so wie bei Miyako und ihrer Mutter, doch auch bei Sharks Gruppe hatte ich das Gefühl etwas würde fehlen. Ich wusste nie genau was es war.“ Eine kurze Pause. „Na ja jedenfalls brachte Shark mir das Diebeshandwerk bei und erkannte schnell, dass ich durch meine besonderen Fähigkeiten ein großes Talent darin hatte. Wir stahlen jedoch nur um zu leben, nahmen von den Reichen und verkauften viele Dinge auf dem Schwarzmarkt. Regelmäßig gaben wir auch anderen Gruppen von unserer Beute etwas ab. Ich weiß nicht genau, in gewisser Weise erinnerte Shark mich ständig an dich. Auch er erzählte mich nachts Geschichten von anderen Welten, Mythen, Legenden. Und auch viel über die Sterne.“ Er sah nach oben in den Sternenhimmel, ehe sein Blick zu Ni~ya glitt, der leicht lächelte. „Er muss ein gebildeter Mann gewesen sein, wenn er soviel weiß. Das, was ich dir damals erzählt habe, waren mehr alte Erinnerungen und vielleicht auch ein wenig Fantasie, doch du hast dich jedes Mal so gefreut.“ Er drehte seinen Kopf leicht und lächelte Sakito offen an. Sakito blinzelte leicht, ehe auch er lächelte. Es war das Lächeln, welches Ni~ya ihm auch damals immer geschenkt hatte. Ein Lächeln voller Zärtlichkeit und Wärme. „Ja das war er. Es war eine schöne Zeit, die ich bei ihnen verbringen konnte. Sie waren meine Familie gewesen.“ „Aber was ist passiert, dass du in der Vergangenheit sprichst?“ Sakitos Gesicht verdunkelte sich und er ballte leicht die Hände zur Faust. Ni~ya bemerkte die Verkrampfung sofort und wurde noch aufmerksamer. „Nun ja… die DevilSharks waren eine starke Gruppe und hatte viele Mitglieder. Und sie waren der Polizei ein Dorn im Auge. Immer wieder entgingen sie ihren Fallen und Angriffen. Na ja aber irgendwann schien auch die Regierung sie nicht mehr dulden zu wollen. Und dann… kamen sie. Soldaten und die Spezialeinheit von Menticore… in der Nacht in der ich wohl am Schwächsten war…“ *** Ausgelassen war die Stimmung in dieser Nacht. Es wurde gefeiert, gelacht und getrunken. Ein weiterer Meisterschlag war ihnen gelungen. Dank des Jungen, den sie aufgenommen hatten, war ihnen ein Coup gelungen, durch den sie nun für lange Zeit ausgesorgt haben mussten. Wein und andere Köstlichkeiten flossen in Mengen. Alles Diebesgut, welches streng gebunkert worden war. Alle Mitglieder der DevilSharks hatten sich zusammen gefunden und stießen immer wieder auf Sakito an, der eher ruhig daneben saß und sich nur widerwillig so feiern ließ. Doch keiner achtete wirklich auf ihn. Sie waren viel mehr mit sich selbst beschäftigt. Es war laut in dem alten Herrenhaus, zu laut für das feine Gespür des Jungen. Einzig allein Shark schien es zu bemerken, denn er riss sich von einem Gespräch los und kam zu seinem Schützling. „Hey Sakito… was ist los? Magst du nicht ein wenig mit uns feiern? Immerhin haben wir dir das hier alles zu verdanken.“ Er lächelte und wieder wirkte das narbige Gesicht dadurch entstellt. Aber der warme Funken, der in die hellen Augen sprang, war herzlich. Sakito schüttelte den Kopf. „Nein ich mag nicht. Mir ist nicht danach zu Mute.“, meinte er ruhig. „Es ist zu laut für dich, oder? Willst du vielleicht ein bisschen an die frische Luft?“ „Nein, nein. Feier du ruhig. Ich leg mich ein bisschen hin.“ Sharks Augenbrauen wanderten in die Höhe. Er stellte den Becher, welchen er in der Hand gehalten hatte auf ein altes Regal und setzte sich neben den Jungen auf das alte Sofa. „Ist mit dir alles okay? Wann hast du das letzte Mal Tryptophan genommen?“, fragte er ernst. Sakito stöhnte. „Vor drei Tagen.“, meinte er monoton. „Also vor dem ganzen Stress! Sakito! Du weißt, dass du das brauchst!“ Sharks Stimme wurde ernster und auch schärfer. Der 12-Jährige überdrehte die Augen. „Ja, ja ich weiß.“, murrte der Junge. „Dann halte dich auch dran. Los jetzt. Du holst dir deine Injektion. Vorher will ich dich hier nicht mehr sehen! Abmarsch!“ Murrend stand Sakito auf. Trotz war in den Katzenaugen zu sehen, doch er gehorchte. Shark blieb zurück und sah dem Jungen kopfschüttelnd nach. Sakito selbst machte sich auf den Weg zu seinem Schlafgemach, dass weiter in dem hinteren Teil des Gebäudes lag. Er war froh darüber, denn der Lärm und die ausgelassene Stimmung waren nicht ganz sein Fall. Nicht heute. Er wusste nicht, was mit ihm los war. Doch ein komisches Gefühl beschlich ihn schon den ganzen Tag. Es war eine Art innerer Unruhe, die er jedoch kaum greifen konnte. Leise schloss er die Tür hinter sich und blickte sich in dem kleinen Raum um, den er nun seit fast zwei Jahren sein Eigen nannte. Ein schmales Bett mit einer abgelegenen Matratze, ein kleiner Schrank und eine Kommode. Mehr passte nicht in den Raum, dessen Tapeten sich schon langsam abzuschälen begannen und der grau und trist war. Und dennoch fühlte er sich hier wohl. Er setzte sich auf das Bett und öffnete die oberste Schublade der Kommode, suchte nach einer verpackten Spritze und einem kleinen Röhrchen mit Tryptophan, nahm beides zur Hand und sah es in dem dämmrigen Licht der kleinen Laterne an, die er entzündet hatte und die ihm als Lichtquelle diente. Lange betrachtete er die beiden Gegenstände und seufzte. Er wollte dieses Mittel nicht nehmen, doch ohne es würde er sterben, dass hatte er schon in Menticore gelernt. Er hatte damals nie gewusst, was ihm immer gespritzt worden war, doch draußen auf seiner Flucht hatte er es schnell lernen müssen. Damals noch bei Miyako und ihrer Mutter hatte der Arzt dieses Mittel bei ihm verwendet und als er nach seiner Krankheit wieder einen epileptischen Anfall bekommen hatte, war klar gewesen, dass er dieses Mittel regelmäßig nehmen musste. Zu Zeiten vor dem Beben war es nicht schwer gewesen das Mittel aufzutreiben, doch danach war es zur reinsten Problematik geworden. Aber auch jetzt, seit er bei den DevilSharks lebte, war es einfach geworden. Der Tribe verfügte über genügend Kontakte und finanzielle Mittel, ihm die notwendige Medizin in ausreichenden Mengen zu besorgen. Ja seit zwei Jahren hatte er so etwas wie ein Zuhause gefunden und er fühlte sich wohl hier, sah in Shark schon eine Art Vaterersatz. Auch wenn er nie wirklich kennen gelernt hatte, was ein Vater war, so wusste er doch, sollte er so sein wie der Clanführer. Sakito schüttelte leicht den Kopf und zog die Spritze auf. Was sollten diese nichtssagenden Gedanken? Er setzte sich an den Kopf des Bettgestells und injizierte sich geübt das Mittel in die Venen. Dann klappte er die Augenlider zu und spürte fast sofort die berauschende und beruhigende Wirkung, die ihn wie immer für einige Minuten in eine Art Rauschzustand und Trance abdriften ließ. Seinen Körper würde es stabilisieren und vielleicht auch dieses komische Gefühl vertreiben. Er wusste nicht wie viel Zeit vergangen war und ob er in einen leichten Dämmerschlaf verfallen war, doch als sich eine große Hand auf seinen Kopf legte und diesen leicht tätschelte, wachte er ruckartig auf. Sofort schlug er nach der Hand und starrte mit erschreckten Augen in Sharks lächelndes Gesicht. „Keine Bange ich bin’s nur. Wollte nur mal sehen wo du bleibst, weil du nicht wiedergekommen bist.“, sagte der Mann ruhig. Sakito hatte sich sofort wieder entspannt und nickte leicht. „Ich bin nur ein wenig weggetreten, aber du hattest recht. Es tut mir leid.“, murmelte er und senkte leicht den Kopf. Shark lachte jedoch nur rau und wuschelte durch den brünetten Schopf. „Ist doch kein Problem, Kleiner. Aber vielleicht war es wirklich etwas viel für dich da unten. Du bist eben nicht der Typ für so was.“ Warm strahlten die hellblauen Augen ihm entgegen. „Geht’s dir denn jetzt besser?“ „Ja schon… das Mittel wirkt wie immer.“, meinte der Transgeno nur knapp und rieb sich kurz über die Augen. „Das ist gut. Sakito es ist wichtig, dass du es regelmäßig nimmst, aber das weißt du ja. Ich will dir keine Standpauken halten, aber in dem Punkt bin ich hart.“ „Weiß ich doch ‚Papa’!“ Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen. Shark lachte. „Nana werd nich frech, Bengelchen. Aber irgendwie klingt das gar nicht so verkehrt, wenn du Papa sagst.“ Einen Moment schien Wehmut in den hellen Augen aufzutauchen, doch der Funke war schnell wieder verschwunden. Er strubbelte noch einmal durch die Haare, die Lieblingsgeste seinerseits. „Mach mal ein bisschen Platz für den alten Herrn. So ist das doch viel zu eng.“, meinte er plötzlich und Sakito sah ihn fragend an. „Solltest du nicht unten bei den anderen sein. Ich meine… sie feiern und du bist ihr Boss und…“ „Ach ich glaube die kommen auch ganz gut ohne mich aus.“, winkte Shark ab und unterbrach den Jungen damit mitten in seiner Aussage. „Außerdem ist es doch die Pflicht eines jeden ‚Vaters’ sich um seinen Sohn zu kümmern oder?“ Schalk und Jungenhaftigkeit blitzten auf. Sakito schüttelte nur den Kopf, rutschte dann aber zur Seite. „Okay und was will mein lieber Papa dann von mir?“ Auch er grinste spöttisch zu Shark auf, der den Jungen einen Moment beobachtete. Zwölf Jahre zählte er jetzt und trotzdem schien nichts kindliches mehr in diesen unglaublichen Augen zu sein. Nein ernst und streng wie die eines Erwachsenen blickten sie in die Welt, lachten nur selten. Und wie so oft stellte sich Shark die Frage, was Sakito alles erlebt hatte, dass er in diesem jungen Alter schon so verschlossen und ernsthaft war. Ja selbst damals schon, als er ihn das erste Mal gesehen hatte, diese schmächtige kleine Gestalt, die es mit links schaffte fünf ausgewachsene Männer niederzustrecken. Ja schon damals hatte er ein großes Interesse an dem Jungen gefunden, was im Laufe der Wochen und Monate schließlich ganz allmählich von Bewunderung, zu Mitgefühl und dann zu väterlicher Liebe übergegangen war. „Ich mag gern mehr über dich wissen, Sohnemann.“, setzte er das Spielchen fort. Auf diese Art und Weise war er schon immer an den verschlossenen Jungen herangekommen, der jetzt überrascht und fragend aufsah. „Mehr über mich wissen? In welchem Sinne?“ „Na eben alles. Was war bevor du hergekommen bist, wo du aufgewachsen bist, wer deine Eltern sind und so was…“, begann Shark präzise das zu hinterfragen, was Sakito ihm bis heute wehrhaft verschwiegen hatte. Auch jetzt wieder wurden die Züge des Brünetten hart und ernst und er sah stur auf die Matratze. Shark sah sich wieder einer Niederlage gegenüber, als Sakito weiterhin schwieg, wollte schon ein anderes Thema anschlagen, als doch leise Worte über die Lippen des Jungen kamen. „Ich hatte noch nie Eltern. Keinen Vater, keine Mutter. Ich weiß nichts von ihnen…“, begann er, ruhig, fast kalt. Shark war überrascht, ja schon fast erschrocken, wie gleichgültig diese Aussagen über die Lippen des Kindes kamen, denn nichts anderes war Sakito mit seinen 12 Jahren in seinen Augen. Ein Kind, was elterliche Zuwendung ebenso brauchte, wie Essen und Trinken. Doch er schwieg, hörte weiter zu. Sakito wusste nicht, was ihn dazu trieb sich zu öffnen, so plötzlich ohne Vorbereitung, doch das waren wohl solch seltene Momente, in denen Herz und Verstand gegeneinander arbeiteten. „Aufgewachsen bin ich einem Laborkomplex, wo ich vom Kleinkindalter an auf Kämpfen, Töten und Funktionieren trainiert wurde. Bis zu meinem neunten Lebensjahr habe ich keine Sonne und ganz selten mal einen Funken Himmel gesehen, sondern immer nur Neonlicht, Dunkelheit und stickige Luft. Dann bin ich mit einigen anderen abgehauen und habe seit dem meinen Weg so gesucht.“, fasste er seine gesamte Geschichte in wenigen Sätzen zusammen und auch wenn diese Worte ebenso kalt gesprochen waren, lösten sie doch in ihm selbst etwas anderes aus. Tatsächlich spürte er ein leichtes Zittern, besonders als Ni~yas Gesicht wieder vor ihm auftauchte, wie er ihn angeschrien hatte zu verschwinden, wenigstens sich zu retten. Sharks sonst so gefasste Miene war nun erschrocken. Wie sollte er auch damit umgehen, hätte er doch so etwas niemals erwartet. Lange vermochte er nichts zu sagen, sondern schwieg, während Sakito selbst in seine Gedanken vertieft war. Und schließlich waren es keine Worte, die über die Lippen des Mannes kamen, sondern eine Umarmung, die Sakito fest umschloss, der unerwartet zusammenzuckte. Doch seine Fassade schien zu bröckeln. Ewig war er stark, ewig war er kalt und doch im Inneren seines Herzens nur ein Kind. Er weinte nicht, aber er erwiderte die Umarmung als Zeichen, dass er es annahm, lehnte sich gegen den starken Körper des Mannes neben ihm. Es wurde ein langes Gespräch, welches folgte, indem Sakito sich vollkommen öffnete, von den Experimenten, seinem Leidensweg und auch seinem tierischen Ich erzählte, welches er seit damals nicht mehr hatte erscheinen lassen. Und still hörte Shark zu, hatte jedoch schwer damit zu kämpfen, das Ganze zu verarbeiten. Doch in dieser Nacht wurde das Band noch fester, noch enger und vielleicht fand Sakito wirklich das, was er nie gehabt hatte. Einen Vater. *** Traurig sah Sakito in den Himmel hinauf, als er sich an diese Szene erinnerte, die sich so sehr in sein Herz gebrannt hatte und welches nun wieder bittere Tränen verlor. Ja er hatte seinen Vater gefunden und ihn geliebt. Ni~ya war die plötzliche Unterbrechung nicht entgangen und still beobachtete er den Jüngeren neben sich, der wieder einmal weich und verletzlich wirkte. Er wollte etwas sagen, doch da sprach Sakito weiter. „Gestört worden wir, als Schreie und Tumult laut wurden…“ *** Sakito hatte sein Gesicht gegen Sharks Schulter gelehnt, schwieg. Er war ausgelaugt, müde vom Reden und doch innerlich aufgewühlt und aufgeregt. Shark strich dabei immer wieder über den Rücken des Jungen, ließ ihm einfach die Zeit, die er brauchte. Für sie beide war es eine Bürde, die sie zu tragen hatten. Sakito alles erneut zu durchleben und Shark alles aufzunehmen und zu verarbeiten. Und doch fand die Zweisamkeit ein jähes Ende, als Schreie und laute Rufe zu ihnen durchdrangen. Alarmiert fuhren beide auseinander. Shark war schnell auf den Beinen. „Sakito bleib hier! Ich gehe nachschauen, was passiert ist!“, sagte er streng und stürmte aus dem Zimmer. Sakito selbst blieb noch erstarrt und verwirrt sitzen, musste das Neue erst erfassen und durchdringen lassen. Doch dann drangen Schüsse dumpf zu ihm vor und das war der Moment an dem er sich nicht länger halten konnte. Durch das Tryptophan gestärkt, schwang er seine Beine locker über den Bettrand und sprang auf. Schnell war er in den engen Korridor gestürmt und schon wurde der Tumult lauter. Schreie, wilde Rufe und auch hin und wieder Schüsse waren deutlich zu hören. Sofort war der Junge in Alarmbereitschaft. Die emotionale Schwäche, die ihn vor ein paar Minuten noch fast gelähmt hatte, war nun verschwunden und stattdessen seine Sinne geschärft und ausgefahren. Vorsichtig tastete er sich vor, schlich von Schatten zu Schatten an der Wand entlang, bis er die schmale Treppe erreichte, die nach unten führte. Mit jedem Schritt wurden die Geräusche lauter und jetzt waren auch das Klirren von Klingen und Kampfesgeschrei dabei. Es wurde gekämpft! Er biss die Zähne zusammen und seine Augen wurden schmaler, als er die Treppe langsam nach unten huschte, seine Ohren auf die gesamte Umgebung gerichtet. Er wich geschickt aus, als mit einem Mal ein Körper auf die Treppe prallte, die Augen aufgerissen, nach hinten verdreht und den Mund seltsam verzogen. Es war nicht die erste Leiche, die Sakito in seinem jungen Leben zu Gesicht bekam, bei weitem nicht und doch spürte er einen kurzen Stich im Herzen, als er in dieser hier Minase erkannte. Doch er musste weiter. Das Kampfesgetümmel war jetzt allgegenwärtig und er sah die Schatten hin und her springen. Im verzerrten Licht der brennenden Öllampen erkannte er das Chaos nun mehr als deutlich. Tische waren umgestoßen worden, Stühle lagen zerbrochen am Boden, ebenso die ganzen zersprungenen Flaschen, die vorhin noch ordentlich auf den Tischen gestanden haben, ebenso das Essen, dass die Frauen ihrer Gemeinschaft mit viel Mühe zubereitet hatten. Doch grausam waren die leblosen Körper und abgetrennten Körperteile, die sich in das Schaubild einfügten. Er hatte nicht lange Zeit alles, was er sah, zu bearbeiten, denn schon flogen Schüsse durch die Luft. Mit einer Sprungrolle brachte er sich aus der Bahn der tödlichen Geschosse, verschwand schnell hinter einem umgestürzten Tisch. Er presste sich an die Tischplatte und versuchte seinen jagenden Puls zu verlangsamen. Seine Hand presste sich auf seine Brust, wo das Herz im wilden Takt schlug, doch seine Ohren und Augen blieben scharf wie ein gespannter Bogen. Aus dem Lärm kristallisierten sich bald einzelne Stimmen heraus, Stimmen von Freunden, aber auch Fremden, die mit einem anderen Dialekt immer wieder Rufe ausstießen. Einem Dialekt den er nur zu gut kannte. Er schüttelte den Kopf. Nein… er durfte sich nicht Hirngespinsten hingeben, sondern musste aufpassen, auf der Hut sein. Er drehte sich, wagte es nun über den Tisch zu blicken, erkannte nun mehr. Soldatenuniformen, scharfe Schusswaffen, die immer wieder zum Einsatz kamen und einen weiteren Leib zerfetzten, ein weiteres Leben in wenigen Sekunden auslöschten. Doch darauf konzentrierte er sich nicht. Er suchte einen Augenblick zum Angreifen, der sich ihm schnell bot. Einer der Feinde stand nun mit dem Rücken zu ihm, legte erneut das Gewehr an, zielte auf eine kämpfende Person, doch die Schüsse würden sich nicht lösen! Sakito sprang aus seinem Versteck hervor, die Augen scharf verengt, die Pupillen katzengleich zusammengezogen und die Finger wie Krallen gekrümmt. Er prallte genau auf den Rücken des Fremden, der von der Wucht des Sprunges überrascht aufschrie und dann zu Boden kippte, Sakito noch immer auf den Rücken. Schnell hatten seine Finger geübt den Kopf umfasst und es kostete ihn wenig Mühe den Hals herumzudrehen. Ein hässliches Knacken und der Körper erschlaffte. Aber er kümmerte sich nicht darum, sondern zog dem Toten das Gewehr aus den Händen und legte es selbst an. Seine Augen erfassten die fremden Uniformen und nur wenige Salven brauchte es und drei weitere Tote gingen zu Boden. Doch durch diesen Angriff hatte Sakito seinen Vorteil verspielt, denn jetzt wurden die fremden Soldaten auf ihn aufmerksam. „Schnappt euch das Kind!“, brüllte einer und einige legten ihre Waffen an, schossen auf ihn, doch Sakito wich fast spielerisch aus. Geschockt starrten seine Gegner ihn an. Sakito triumphierte, doch wahrscheinlich zu schnell. Sein Bein verhedderte sich in einem losen Seil und er fiel. Sofort fielen weitere Schüsse, die dieses Mal ihr Ziel auch trafen. Sakito schrie auf, als eine Kugel sich in seine Schulter und eine andere in sein Bein grub und er zitternd zusammensank. „Das war’s! Bring’s zu ende!“, rief wieder einer und ein Soldat näherte sich, ein gezücktes Messer in der Hand. Sakito sah ihn kommen und doch würde er noch lange nicht aufgeben. Seinen Körper in trügerischer Haltung geduckt und die Augen scheinbar vor Schmerz verzehrt, wartete er ab. Doch sein Schlag sollte nicht zur Tat kommen, denn ein gewaltiger Schatten tauchte vor ihm auf, warf sich gegen den Soldaten und schlitzte diesem mit einer einzigen Bewegung die Kehle auf. Sakito war überrascht, richtete sich auf, auch wenn ein brennender Schmerz durch Bein und Schulter jagte. „Shark…“, brachte er hervor, als er seinen Ziehvater erkannte, der ihn nur mit verkniffener Miene hochzog. „Ich hab dir gesagt, du sollst oben bleiben, Gott Verdammter!“, grollte der Gruppenführer und deutlich sprach der Zorn, aber auch Angst und Sorge aus seiner Stimme. „Aber ich muss doch…“ „Nichts musst du! Du bist ein Kind! Los verschwinde und versteck dich!“, wurde er wirsch unterbrochen. Sakito wollte noch etwas sagen, als jedoch ein Ruck durch den großen Körper ging und Shark das Gesicht verzog. Die starken Arme konnten den Jungen nicht mehr halten und er knickte leicht ein. Sakito blickte erschrocken über die Schulter des Mannes, starrte in das grinsende Gesicht eines jungen Mannes, der eine Automatikpistole in der Hand hielt. Feingeschnittene Züge, intelligente Augen, umrahmt von braunem Haar. „Was für ein rührendes Bild. Vater und Sohn im Tode glücklich vereint.“ Sakito riss die Augen auf, als sich der Lauf der Waffe auf ihn richtete. Das sollte es sein… sein Ende? Doch die Schlacht war noch nicht geschlagen. Leben kam wieder in den starken Körper Sharks, der sich mit einem Mal aufrichtete, Sakito von sich stieß und sich umdrehte. Das Bild sollte sich auf ewig in Sakitos Gedächtnis brennen. Wie ein Riese baute sich die Gestalt seines Ziehvaters vor ihm auf, drehte sich um und brüllte. Der Fremde schien ebenso überrascht wie der Braunhaarige, doch schnell hatte der sich wieder gefangen, richtete die Waffe auf den großen Mann und drückte ab. Blut spritze auf Sakitos Gesicht, als die Kugeln sich in Sharks Leib bohrten, einige ihn durchschlugen, doch immer weiter lief der Mann, sank nicht ein. Seine großen Hände legten sich um den Hals des Fremden, der erschrocken die Luft ausstieß. Doch dann schien der Moment vorbei. Sakito hörte nur den Knall. Mit einem Mal verschwand alle Kraft aus dem starken Leib, der Druck ließ nach, die Hände sanken nach unten und Shark brach zusammen, begrub den Fremden unter sich. Es schien ein Moment in dem alles aussetzte. Er hörte nur das Rauschen seines eigenen Blutes in seinen Ohren und seine Glieder sackten ab. Shark war tot, regte sich nicht mehr. Ein kleines Loch zwischen den Augen, zeugte von dem was passiert war. Ein einziger Schuss, sauber und präzise… Sakitos leere Augen sahen noch einmal in das Gesicht des Mörders. Eine vermummte, ebenfalls junge Gestalt und Augen, die der Hölle selbst entsprungen zu sein schienen. Mordlust, reine Mordlust strahlte aus ihnen, kein Erbarmen, keine Regung. Einen Moment sahen sie sich an, dann wandte sich der Fremde mit einem Grinsen ab. Er zog den Fremden unter dem Leib des Toten hervor, zog nur noch einmal die Waffe und schoss auf eine der Öllampen. Sakito erkannte noch den Löwen, durchstoßen von einem M. Der Rest versank in einem alles verzehrenden Flammenmeer. *** Stille… Nur das Rauschen einer leichten Windbö, die die beiden Gestalten umwirbelte. Mehr war nicht zu hören. Sie beide schwiegen, Sakito verbittert in die Bilder seiner Vergangenheit gefangen, Ni~ya nicht wissend was er sagen sollte. Es waren bittere Verluste, dass konnte sich der Blonde vorstellen und wieder einmal geraut von dem Ort, den sie alle hinter sich geglaubt hatten. Vorsichtig streckte er den Arm nach dem Jüngeren aus, umfasste die schmalen Schultern und zog Sakito enger an sich. Er wusste selbst nicht genau, warum er das machte, was ihn dazu verleitete und doch hatte er ein Gefühl, dass es genau das Richtige war. Sakito, der sich im ersten Moment noch verspannt hatte, sah nun zu Ni~ya auf, verwirrt, verunsichert und mit der Frage in den Augen, warum? Ni~ya antwortete nicht, sondern lächelte nur milde. Es vergingen weitere Minuten, die sie schwiegen, in denen Sakito sich selbst noch unsicher etwas mehr an Ni~ya lehnte, seinen Kopf auf die Schulter des blonden Transgeno legte. „Keiner hat überlebt. Sie alle sind gestorben, entweder vorher erschossen oder durch die Flammen. Ich selbst konnte mich nur retten, weil ich durch ein Fenster sprang…“, murmelte er leise und die Trauer, die aus seiner Stimme sprach, war echt. „Immer wieder nehmen sie uns das, was uns wichtig ist.“, erwiderte Ni~ya nur ruhig darauf und stieß leicht die Luft durch die Nasenflügel nach außen. Sakito nickte nur leicht. Diese Nähe zu dem Anderen und die leichte Umarmung gaben ihm Ruhe und auch etwas Kraft zurück. „Hai und ich hasse sie dafür! So unendlich sehr!“ Seine Stimme wurde tiefer und als Ni~ya den Blick zu dem Kleineren wandte, erkannte er das sich die Gesichtszüge des Jüngeren wieder verhärtet hatten. Die hellen Augen starrten in die Dunkelheit und er hatte eine Faust geballt. „Schwerverletzt fand ich etwas Hilfe bei einem anderen Tribe, den ich aber schnell wieder verließ. Nach diesem Vorfall schwor ich mir, mich nie wieder länger als nötig aufzuhalten. Die anderen suchten das Haus noch einmal auf, aber es war bis auf die Grundmauern niedergebrannt und von den Leichen waren nicht mehr als nur noch die Knochen und Asche übrig. Wir trugen sie ohne Überreste zu Grabe und da schwor ich bittere Rache. Kaum war ich genesen machte ich mich auf den Weg. Nie wieder sollten sie mir wehtun, nie wieder sollten sie anderen etwas antun und der Wille sich zu rächen wurde immer stärker.“ Er wurde leiser und endete schließlich, fügte aber nach kurzen Schweigen noch etwas hinzu. „Aber auch die Sehnsucht nach dir…“ Ni~ya blinzelte überrascht, ehe er lächelte. Er strich mit einem kurzen Zögern über Sakitos weiches Haar und drückte dessen Kopf an sich. „Du bist so stark geworden…“, murmelte er, sagte aber nicht mehr. Sakito war ebenfalls ruhig und schloss die Augen, ließ sich einen Moment fallen. Es war alles so unreal, so unwirklich und doch ein bitterer Scherz des Schicksals. Er saß hier mit Ni~ya, Arm in Arm und dennoch war sein Herz schwer von den leidvollen Erinnerungen. Shark… Sakito blinzelte um die kleine Träne zurückzudrängen, die im Begriff war in ihm aufzusteigen. Er beschloss mit seiner Geschichte fortzufahren. „Ich reiste einige Zeit einfach so umher um den Kopf frei zu kriegen und um in Ruhe zu trauern. Doch in dieser Zeit wurde auch mein Entschluss immer stärker und schließlich beschloss ich nach Menticore zurückgehen…“ Ni~ya riss die Augen auf. „Du hast WAS?!“, stieß er aus. Sakito zuckte zusammen, rückte etwas weg. „Ich hatte beschlossen zu Menticore zurückzukehren, um dich zu befreien.“, beendete er den Satz bei dem Ni~ya ihn unterbrochen hatte. Dem klappte der Kiefer wieder zu. „Du… wolltest mich befreien? Alleine?“ Die Überraschung, die in seiner Stimme mitklang, war wahr. Sakito nickte. „Hai. Ganz alleine…“ Er lächelte ihn unsicher an. „Und ich habe es auch versucht, auch wenn ich vor Angst gebebt habe, war mein Wille stärker…“ *** Dunkel und unheilbringend ragte das Gebäude vor ihm auf, dessen Anblick allein genügte um ihn tausend Tode sterben zu lassen. Und dennoch war sein Wille stark, stärker als seine Angst. Die Nacht war hereingebrochen und er lag verdeckt von Büschen auf einer Anhöhe. Wie lange wusste er nicht, aber es mussten Stunden sein, in denen er nichts weiter tat, als zu beobachten. Seit zwei Jahren war er nun vollkommen allein unterwegs und allein drei Monate hatte es gebraucht, sich wirklich durchzuringen diesen Schritt zu tun. Für jeden normalen Menschen war es klar, dass solch ein Unterfangen wahnsinnig war. Allein dieser Gedanke war zum Scheitern verurteilt und dennoch war Sakitos Verzweiflung groß genug, es zu versuchen. Er wollte Ni~ya da raus holen! Er sollte nicht länger leiden. Er sollte frei sein wie er und dann… dann würde er nicht mehr allein sein. Er hatte lange mit dem Verlust des Clans und besonders mit dem von Shark, den er jetzt wirklich als seinen Vater ansah, zu kämpfen gehabt. Lange hatte er getrauert und Rache geschworen und dieser Gedanke war übermächtig geworden, hatte jeden Tag seinen Kopf bestimmt, seinen Weg geleitet. Sehnsucht, Trauer und Hass zusammen hatten ihn wahnsinnig werden lassen. Und jetzt war er hier. Zurück an dem Ort, der für ihn die wahre Hölle auf Erden darstellte. Und wenn er ehrlich war, schlotterten seine Knie wie Espenlaub. Doch er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Was sollte das? Er war soweit gekommen, hatte soviel auf sich genommen, nur um jetzt schlappzumachen? Nein! Definitiv nein! Er hatte in den letzten Wochen viel gearbeitet, wobei sich das, was er bei Shark und seinen Leuten gelernt hatte, sehr ausgezahlt hatte. Er hatte Erkundungen eingeholt, unauffällig und sehr langsam, war das Gelände nachts immer wieder abgegangen und hatte sich schließlich bis hierher vorgewagt. Der hohe Zaun, den sie damals überwunden hatten, lag nur wenige hundert Fuß vor ihm. Und darum patrouillierten unaufhörlich Wächter mit den Hunden. Ein krampfhafter Anblick. Solche Hunde, scharf gemacht und abgerichtet zu töten, waren ihnen damals auf den Hals geschickt worden, doch dieses Mal war er vorbereitet. Er hatte seinen ganzen Körper unter der dunklen, engen Kleidung mit einem Mittel eingerieben, was den Geruchssinn der Hunde in die Irre führte und er somit unbemerkt blieb, solange er sich entgegengesetzt dem Wind bewegte. Auch das hatte er ausgekundschaftet, doch jetzt war es an der Zeit diese Mühen zu belohnen. Er atmete noch einmal tief durch und setzte sich dann die Maske über das Gesicht. Von ihm war nichts zu sehen, außer den Augen, die er brauchte um in dieser Dunkelheit gut sehen zu können. Schließlich war der Augenblick gekommen. Sakito wusste automatisch, entweder jetzt oder nie und lief los. Der Wind hatte aufgefrischt und wie vorbereitet, bewegte er sich entgegengesetzt. Es war ein leichtes zwei Wachen und die Hunde auszuschalten. Er besiegte sie mit ihren eigenen Waffen. Ob nun zwei Leichen mehr oder weniger würde keinen interessieren, immerhin wussten diese Menschen genau, was sich hinter diesen Mauern und unter der Erde abspielte. Er griff nach der Kleidung und warf sie sich über. Natürlich war sie viel zu groß, doch in der Dunkelheit würde das nicht auffallen. Er hatte sorgfältig beobachtet, hatte Gang und Sprache analysiert und setzte beides jetzt um. Er bewegte sich um das Gelände und betrachtete es aus der Nähe, scannte jede Kamera, die er erblickte und speicherte sie in seinem Kopf ab. Als sich jedoch andere Wachen näherten, musste er diese Tarnung aufgeben. Zwei gezielte Schläge gegen den Kopf und auch diese Wachen waren ausgeknockt. Die Hunde schlicht und einfach bewusstlos geschlagen. Es blieben noch vier Wachen, die immer um das Außengelände patrouillierten. Ihm blieb also etwas Zeit, bis die anderen auftauchten. Also musste er jetzt zuschlagen. Er warf die Klamotten ab und sprang den Zaun nach oben. Er überwand ihn leicht, passte den Moment genau ab, als die Kamera in die andere Richtung wanderte und flitzte über den leichten Hang nach unten, presste sich dort eng an die Wand. Er verließ sich ganz auf seine Sinne, lauschte auf jeden Schritt und jede Person, die er wahrnehmen konnte. In der Nähe spürte er einen leichten Luftzug. Der Luftschacht! Vorsichtig schlich er sich an das Gitter, öffnete es schnell und zog sich hoch, verschwand in dem engen Schacht. Hier kam ihm seine schmale Gestalt zu Gute, denn so konnte er ohne Probleme den Schacht entlang kriechen und sich so ganz leicht Zugriff zu den Laboren verschaffen. Das war einfacher, als er es vermutet hatte, aber die Probleme würden da drin kommen. Er wusste nicht wo Ni~ya war, wie es heute hier aussah und wie er vorgehen sollte. Doch er machte jetzt keinen Rückzieher, nein! Er würde das durchstehen. Oh ja! Er schob sich weiter durch die engen Gänge, horchte einfach auf seine Sinne und vertraute auf sich selbst. Irgendwann hörte er Stimmen, die leise sprachen. Er hörte nicht hin, er wollte nichts mit den Grausamkeiten hier zu tun haben. Er wollte nur Ni~ya hier raus holen und dann verschwinden. Schließlich wagte er sich aus seinem Versteck, in einem fensterlosen, endlos langen Korridor, lugte er erst nach den Kameras, die er auch sofort entdeckte. Wie sollte er an denen vorbei kommen? Er musste es einfach riskieren. Der Junge sprang aus dem Schacht und lief immer so, dass er den Kameras ausweichen konnte den Gang entlang. Irgendwann kamen Türen, doch diese führten nur zu irgendwelchen Laboren. Er musste aber nach unten, dort wo die Zellen waren, in denen die Kids gefangen gehalten worden. Ein Schauer nach dem anderen lief seinen Rücken hinab, als er die Kälte spürte, die von einigen Kammern ausging und dieses Neonlicht. Es weckte die alten Erinnerungen und doch musste er klar im Kopf bleiben um das hier durchzustehen. Wenn man ihn entdecken würde, wäre es das Aus. Er schaffte es bis in die unteren Ebenen, fand sogar einige Zellen, doch nie sah er das Gesicht, was er so vermisste. Nach dem er sich so sehr sehnte. Er suchte weiter und war so fixiert, dass er einen Fehler beging. Seine Sinne, die alle nur auf das Eine ausgerichtet waren, achteten zu wenig auf ihre Umgebung und so kam es, dass er mit jemandem zusammen stieß. Einem Wissenschaftler, wie er sofort an den weißen Kittel erkannte. Das blonde Haar und Akten wirbelten umher, als der Wissenschaftler unterdrückt aufstöhnte und sich dann zu Boden setzte. Sakito jedoch brach in Panik aus. „Hey was… HEY!“ Das Rufen schallte durch die Gänge, als Sakito längst zurückhastete. Gott wie dumm war er gewesen… wie dumm! Wie sollte er Ni~ya nur hier finden? Wer wusste ob der andere überhaupt noch hier war? Ni~ya hatte ihm die Freiheit geschenkt, zum Preis für seine eigene und er war so dumm und brach hier ein! Er riskierte das Kostbarste, was ihm je geschenkt worden war. Inzwischen gingen auch die Sirenen los und rotes Licht erfüllte die Gänge. Sakito fluchte. Er musste zurück in den Lüftungsschacht, nur so hatte er eine Chance zu entkommen. Doch wieder schien die Probe zu kommen. Einige Sicherheitsleute streiften seinen Weg. Und waren sofort Feuerbereit. Doch Sakito war schneller. Bevor sie ihre Gewehre geladen hatten, war er zwischen ihnen und hatte zwei ausgeknockt. Dem dritten schlug er die Faust ins Gesicht und dem Vierten knallte er die eigne Waffe in den Nacken. Dann rannte er weiter. Er musste hier raus, ehe die Hunde seine Spur aufgenommen hatten, denn dann konnte er gleich aufgeben. Die Kameras waren ihm egal, denn die hatten ihn längst erfasst. Er wollte nur einen Zugang zum Luftschacht und das möglichst bevor neue Hindernisse auftauchten. Und endlich! Er riss den Deckel herunter. Die Muttern und Schrauben flogen durch die Gegend und prallten an den Wänden ab. Doch da war Sakito schon längst darin verschwunden. Schneller als vorher, krabbelte er durch die Gänge suchte einen Ausweg und er wusste genau, dass ihn die Solarsensoren und die Infrarotschnittstellen bereits gescannt hatten. Man wusste, wo er rauskommen würde, noch ehe er es selbst wusste. Doch das war ihm egal. Er wurde immer schneller, nahm immer mehr Abzweigungen. Er legte nur Wert darauf, dass es nach oben ging. Und irgendwann spürte er den frischen Luftzug, hörte auch die Stimmen, die versammelt waren. „Macht euch bereit Leute! Er kommt gleich raus!“, raunte jemand und er hörte wie die Gewehre geladen wurden. Er musste handeln, sofort. Sakito bündelte seine Kräfte und stieß sich nach vorn. Das Metall gab nach und mit voller Wucht prallte er genau in die Sicherheitsleute hinein. Das Gitter traf einen mitten ins Gesicht und löste Tumult und Verwirrung aus. Sakito nutzte das aus um weiter zu laufen. Und schon hörte er das Hundegebell. Der ganze Außenbereich war ebenso in Sirenen und Alarm getaucht, doch es war egal. Es war auch egal, dass er sich an dem Drahtgitterzaun kleine Verletzungen riss. Die Bluthunde würden ihn sowieso wittern. So oder so! Er hatte nur eine Chance zu entkommen, wenn er schneller war und es zum Fluss schaffte. Den Weg hatte er mehrfach abgelaufen und sich tief eingeprägt. Es waren knapp drei Kilometer. Wenn er es schaffte und in die Fluten sprang, ehe die Hunde ihn hatten, war er gerettet! *** Sie beide waren bei der Erzählung angespannt. Sakito, sowie Ni~ya. Dieser hatte sogar die Hände leicht zu Fäusten geballt. Sakito war unsicher, als er nach der Hand des Älteren griff. „Ich habe es geschafft zu fliehen.“, meinte er leise und senkte den Blick. Ni~ya schwieg. Seine Miene war hart, verkniffen und er erwiderte den schüchternen Händedruck nicht. Doch dann ganz unvermittelt, sah er Sakito an. „Ja du hast es geschafft. Aber zu was für einen Preis. Du hast alles riskiert, Sakito! Das war dumm, mehr als dumm, von dir.“, sagte er ein wenig aufgebracht, doch immer noch mit ruhiger Stimme. Sakito nickte. „Ich weiß… und dennoch. Ich wollte dich da raus holen. Woher sollte ich wissen, dass du schon draußen warst?“, meinte er selbst jedoch viel leiser. „Es hätte schiefgehen können, Sakito. Das ist es, was mich aufregt. Wie du selbst gesagt hast, habe ich damals meine Freiheit geopfert um dir deine zu schenken. Was bringt es dann also, wenn du selbst wieder zu der Hölle zurückkehrst?“ Ni~ya sah dem Jüngeren genau in die Augen. „Du… du hast ja recht. Es war dumm von mir. Es waren Kinderträume denen ich nachgelaufen bin. Auch danach. Ich wollte nicht aufgeben. Der Glaube, dich da drin zu finden war so übermenschlich stark. Ich weiß doch selbst, dass diese Ansichten dumm sind und dennoch haben sie mich all die Jahre weitergetrieben, immer nach vorne, immer weiter. Ich habe die anderen gesucht, mehr als drei Jahre lang und Reita habe ich schließlich gefunden.“ Der Rest waren knappe Worte, knappe Wiedergaben seiner Reise, die ihn überall hingeführt hat, an jeden Ort dieses Landes. Dunkel blickten seine Augen in den sternenklaren Himmel. Er hatte geendet mit seinen Worten und dennoch schien sein Herz so unendlich schwer. Die Schmerzen der Erinnerungen, aber auch die guten Gefühle, alles hatte sich vermengt und gerade mit den letzten Gedanken an seine endlos lange Reise war er der Erschöpfung nahe. Niemals vorher hatte er jemanden seine Geschichte erzählt oder auch nur ansatzweise Gefühle gezeigt. Erst einmal hatte er dies bei Shark gewagt und wie immer in seinem Leben hatte er Schmerz erfahren. Langsam stand er nun auf, lehnte sich an das Geländer, welches den alten Wasserturm umgab, krallte sich fest. Auch Ni~ya stand auf und blickte in die goldgelben Augen, in dessen dunklen Tiefen sich die Lichter der Sterne spiegelten. Auch er wandte nun den Blick in den Himmel. „Eine traurige Geschichte und dennoch hat all dieses Leid dich auch stärker werden lassen. Du bist gereift Sakito.“, meinte er. „Und ich bin wirklich mehr als überrascht, dass du das alles auf dich genommen hast, nur um mir zu helfen.“ Ein ehrliches Lächeln ruhte nun auf Ni~yas Lippen. Sakito erwiderte es gekünstelt. „Na ja. Im Endeffekt waren es Kinderträume denen ich nachgelaufen bin, Erinnerungen, Erzählungen, deine Erzählungen.“ Ohne das Sakito es sehen konnte, begann Ni~ya zu lächeln. Er trat näher an die Person heran, die so stark und erhaben wirkte und doch im tiefsten Inneren nur ein Kind war, das nach seinen Träumen suchte. Seine Arme legten sich um Sakitos schmale Schultern, zogen ihn an seinen Körper. „Ist es nicht das, was diese Freiheit ausmacht? Die Suche nach den Erfüllungen unserer Träume?“, raunte er ihm leise ins Ohr. Sakito blinzelte, drehte Ni~ya seinen Kopf zu, begegnete dem Blick der dunklen Augen und schreckte leicht zurück. Sie waren ihm so nah wie niemals zuvor und der Ausdruck in ihnen nahm ihn gefangen. Wärme, Verständnis… dies strahlte ihm entgegen. Sakito wusste nicht was er tat, doch seine Lider senkten sich und langsam kamen sie sich näher. Es war nur eine kurze Berührung, kaum mehr als ein Windhauch als ihre Lippen sich zu einem verschmolzen. Eine Einheit, nicht mehr allein sein… konnte dieser Traum für ihn wahr werden? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)