Mysterium von Deepdream (Eine Self-Insert-Story) ================================================================================ Kapitel 2: Verloren zu sein --------------------------- Noch immer war sie in Fassungslosigkeit erstarrt und bemerkte kaum den Regen. Katatonisch wanderte ihr Blick von einer Brust zur anderen. Fast so als erwarte sie eine Halluzination zu haben, aus der sie jeden Moment auffahren würde. Doch nichts geschah. Wie aber konnte das sein? Was war ihr nur widerfahren? Die Gänsehaut, die sich über ihre Unterarme ausbildete, nahm sie erst wahr, als ihre Zähne bereits zu klappern begannen. Derweil zitterte allerdings bereits ihr gesamter Körper wie Blätter im Sturm. Ob das Zittern alleine von der Kälte oder aber zu gewissen Teilen vom Schock herrührte war unklar, ihr aber grundlegend egal. Viel zu surreal erschien ihr alles. Ein weiteres Mal schüttelte es sie, diesmal noch weitaus heftiger als zuvor. Trotzdem brachte sie kaum die Kraft dazu auf, aus ihrer Starre zu erwachen und sich zu rühren. Wahrscheinlich hätte sich an diesem Zustand auch weiter nichts verändert, hätte sie der Donnerschlag nicht aus ihrer Apathie gerissen. Unter dem nachfolgenden Blitz zuckte sie sogar noch stärker zusammen. ... <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Mysterium <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Kapitel 2 - Verloren zu sein <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Der Autor besitzt keine Rechte in den Charakteren und wird auch nicht für diese Tätigkeit bezahlt. Er versichert hiermit, dass er diese Geschichte lediglich zu seinem persönlichen Vergnügen und dem der Leser verfasst hat. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> ... Schließlich zog sie mit leichter Mühe ihren BH wieder über die Brust und das Top herab. Der Stoff war inzwischen nasskalt und klebte unangenehm auf der empfindlichen Haut. Haut, die bereits im Begriff war allmählich taub zu werden, außerdem zwickte sie schon beinahe schmerzhaft - ein Schmerz, an den sie sich vermeintlich würde gewöhnen müssen. Sie war nämlich nun ein Mädchen und Mädchen froren leichter. Sie konnte es einfach nicht glauben, dass alles konnte nicht wahr sein! Ihr ganzes Leben war von einem Augenblick zum nächsten auf den Kopf gestellt worden. Erneut krochen ihre Augen über den nassen Stoff. Nasser Stoff, der einen Umstand ganz deutlich hervorhob – und zwar, dass sie nicht mehr länger ein Junge war. Das war nicht fair. Nicht fair. Sie kniff ihre Augenlider zusammen und unterdrückte einen Wutschrei. Ein Wutschrei, der nichts an ihrer Situation verändert hätte. Eine Erkenntnis, die so kalt wie der Regen und so erschütternd wie der Donnerschlag selbst war. Aber nichtsdestotrotz eine Erkenntnis mit der sie sich gezwungenermaßen abzufinden hatte. Nicht, dass ihr eine Wahl geblieben wäre. Denn das Leben war eben einfach nicht fair. Ein Stoßseufzer entrang sich ihrer Kehle und sie warf einen nutzlosen Blick in ihre Umgebung. Egal wie ihre Lage auch gerade aussehen mochte, eine Lungenentzündung würde ihr dabei nicht helfen. Ihr zielloser Blick blieb an dem Rucksack hängen. Der Regen trommelte hart auf ihn herab, während er auf dem pechschwarzen Asphalt auf seine Besitzerin gewartet hatte. Der Rucksack bestand aus dunkelbraunem Leder, das sich durch den steten Niederschlag fast schwarz gefärbt hatte. An mehreren Stellen wies er dennoch unmerkliche Erhellungen auf - Abnutzungserscheinungen und aufgerautes Leder. Drei Schlaufen sicherten die überhängende Lederklappe, die dazu gedacht war, das Innere vor den Wettergegebenheiten zu schützen. Zwei Tragegurte hingen lose und fast erwartungsvoll in der Luft. Kurz zögerte sie. Sie konnte schließlich nicht wissen, ob dieser Rucksack nicht jemand anderem gehörte. Wenn sie ihn nun an sich nahm und er jemandem gehörte, so wäre das doch Diebstahl. Dann schüttelte sie in einer bitteren Geste den Kopf über ihre eigene Dummheit. "Und wenn schon." Außer ihr befand sich niemand hier und wenn ihr schon das zweifelhafte Glück zuteil wurde, irgendwo im Nirgendwo als ein Mädchen zu erwachen, dann konnten ihr moralische Bedenken gestohlen bleiben. Mit diesem inneren Entschluss ergriff sie den Rucksack an einem Gurt und zog diesen über ihre Schulter. Ihre Schritte waren kraftlos, als sie sich davon schleppte. Hohe Mauern ragten zu ihren Seiten auf und verstärkten in ihr das Gefühl des Verlorenseins und der Furcht. Wobei diese Gefühle sich wie fanatisch an einen Gedanken klammerten, der scheinbar ständig ihr Bewusstsein kreuzte. Was war nur vorgefallen? * Verwirrt schüttelte sie ihren Kopf und erhaschte den ersten Anflug von Kopfschmerzen. Somit versuchte sie erst einmal Ordnung in ihre diffusen Erinnerungen zu bringen. Sie musste alles rekonstruieren. Vielleicht würde sie ja auf diese Weise eine Antwort finden. Eine Antwort, die zumindest klärte, wie sie hier hergekommen war - wenn schon nicht, wo dieses hier genau war. Doch alles schön der Reihe nach. Das Mädchen schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern. Sie begann bei dem Vorfall in ihrem Zimmer. Vor ihrem inneren Auge spielte sie die Geschehnisse nochmals ab. Sie fing an bei dem mysteriösen Pop-up-Fenster, das ihre Poster – so völlig irre wie es auch klingen musste - irgendwie zum Leben erweckt hatte. Zum Leben erweckt, um sie anzugreifen! Diese verdammten Schnipsel hatten sie wirklich attackiert! Unter Anstrengung zwang sie sich zur Ruhe. Sie musste sich jetzt unbedingt konzentrieren. Also, was war danach geschehen? Mit großer Mühe kämpfte sie sich durch das Gewirr von Eindrücken, die nun auf sie einprasselten. Es dauerte einige Sekunden und kostete sie eine Verschlimmerung ihrer Migräne, bis sie fand, wonach sie gesucht hatte. Der Schlüsselpart war das weiße Licht gewesen, das ihren Monitor ersetzt hatte. Ab da war für sie alles in einem grellen Weiß verschluckt worden, fast so als ob sie mit einem Flugzeug durch die Wolken flöge. Dabei hatte sie jedoch die Empfindung erlebt regelrecht zu zerfließen, so, als wäre sie ein Regentropfen, der in einen Teich fällt und darin verschwindet. Auf eben diese Weise war langsam ihr Bewusstsein zerfasert, bis ihr selbst der eigene Name abhanden gekommen war. Verloren hatte sie sämtliches Gefühl für Zeit und Raum, ihr Körper war taub gewesen und sie hatte zugleich gefroren und geschwitzt. Es war eine derart wirre Kombination von Empfindungen gewesen, dass ihr im Nachhinein nicht einmal klar war, ob sie dabei geweint oder gelacht hatte. Hatte sie überhaupt noch Augen zum Weinen und einem Mund zum Lachen besessen? Urplötzlich war sie dann aus dem Weiß herausgeschleudert worden. Noch nie hatte sie ähnliche Schmerzen auch nur erahnt. Es fühlte sich an, als würde sie nochmals geboren wurde. Vulkanartige Hitze hatte ihr Fleisch verbrannt, Blasen quellen und Schwielen aufplatzten lassen, ehe eine Flut aus Eis ihren Körper mit feinen Nadeln penetriert hatte. Der Schmerz war so überwältigend und grauenvoll gewesen, dass sie unmöglich eine geeignete Entsprechung dafür finden konnte. Mit nichts war die Qual zu vergleichen, die sie durchlebt hatte und selbst jetzt noch schlich dieser Schmerz als Phantom am Rand ihres Bewusstseins entlang. Gedankenverloren wanderte sie an den Mauern vorbei, wobei ihr der Regen unerbittlich ins Gesicht peitschte und der Wind sie schnitt. Wie lange sie so ging, war ihr selbst nicht klar. Grundlegend hätte sie nämlich nicht einmal sagen können, wo genau sie sich befand. Soweit sie wusste, könnte sie an jedem beliebigen Platz der Welt sein. Überall, nur nicht zuhause. Abermals fuhr sie unter einem besonders heftigen Donnerschlag zusammen. Beinahe hätte sie das Gewitter über sich vergessen, so stark hatten sie ihre Überlegungen beschäftigt. Viel zu wahnsinnig und surreal waren die letzten Stunden gewesen, als dass etwas so triviales wie ein Gewitter sich damit hätte messen können. Aber waren es denn überhaupt Stunden oder aber Tage gewesen? Wie viel Zeit war eigentlich vergangen? Das gab ihr zu denken und lenkte sie gnädigerweise von der rasant wachsenden Ungewissheit ab, die sich zusehends höher türmte. Kurz hielt sie in ihrem Marsch inne und blickte hinauf in die grauen Wolken. Vielleicht war es ja Nachmittag, es konnte jedoch auch bereits früher Abend sein. Zu dunkel färbten Wolkenberge das Firmament als dass das Mädchen die Tageszeit hätte bestimmen können. Ein schwacher Schmerz kroch ihr über die Schulter. Gedankenverloren verrückte sie den Riemen etwas, um eine Reizung ihrer Schulter zu vermeiden. Dann ging sie weiter. Störrisch und niederträchtig schlugen ihr Wind und Regen ins Gesicht, während das Regenwasser zu beiden Seiten in den Rinnsteinen vorbeiplätscherte. Ihre Schuhsohlen schmatzten leise auf dem Untergrund und nasse Haarsträhnen peitschten ihr wie Kabel gegen Wangen und Stirn. Tränen liefen ihr aus den Augenwinkeln, bedingt durch den harschen Wind und der nagenden Verzweiflung in ihrem Herzen. Nichtsdestotrotz bewegte sie sich ununterbrochen fort. Es war schließlich nicht so, als ob sie etwas anderes hätte tun können. Die Krämpfe in ihrem Magen kämpfte sie derweil mehr schlecht als recht zurück - sie musste sich augenblicklich unbedingt konzentrieren. Hier irgendwo musste ja wohl schließlich eine Möglichkeit zum Unterstellen aufzutreiben sein. Irgendein Ort, an dem sie vor dem Wetter, wenn schon nicht vor der Kälte geschützt sein würde. Doch sie fand nichts. Stattdessen kroch die Zeit dahin und ihr wurde immer kälter. Die Arme hielt sie fest vor ihrer Brust verschränkt und das Klappern ihrer Zähne geriet zu einem monotonen Rhythmus. Fast im Sekundentakt schlugen ihre Zähne aufeinander und indizierten ihr damit, dass es bald an der Zeit wäre, einen Unterschlupf zu finden. Als ihre Zehen und Finger zu pochen begannen, wurde dieser Wunsch nur umso drängender. Gerade als sie die Hoffnung schon fast aufgeben wollte, erblickte sie schließlich etwas aus dem Augenwinkel. Ihr Herz schlug unvermittelt höher, als sie sich dorthin wandte. Es war eine Treppe. Sie führte circa fünfzehn Meter schräg einen kleinen Berg hinauf. Was ihr jedoch das erste Lächeln seit Stunden entlockte, war der Tempel, der sich auf dem Berg stolz und prächtig erhob. Sie verlor erst gar keinen Gedanken daran, in welchem Land derartige Gebäude üblich waren. Solche Fragen schob sie erstmal von sich und behielt das Wesentliche im Blick und zwar die Chance auf einen Platz im Trockenen. In einem gehetzten Trab lief sie die Treppenstufen hoch. Regenwasser floss durch zwei Rillen zu ihrer linken und rechten Seite ab. Trunken vor Glück stolperte sie die letzten Treppen hoch und stützte sich schwer am Tor auf. Das Tor überschattete ein schmales Vordach, an dem Wasserschleier rege zu Boden fielen. Durch einen dieser Schleier war auch sie gestolpert, als sie unter das Vordach getreten war. Lächelnd musterte sie die glatte Oberfläche des Tors vor sich. Ihr Lächeln schwand als sie realisierte, dass sie nirgendwo eine Klinke oder etwas ähnliches finden konnte. Probeweise drückte das Mädchen gegen das Holz und erntete nur ein ungesundes Knarren des Tores. Das Tor war zu. Sie konnte es nicht fassen. Wie verrückt vor Euphorie war sie hinaufgestürmt, nur um jetzt ausgeschlossen zu sein? Irgendwo hinter diesem Tor wärmten sich einige Typen die Füße, während sie hier draußen jämmerlich fror? Zorn loderte in ihr wie eine heiße Flamme auf. Selten hatte sie dieses Gefühl so ausgeprägt, so leidenschaftlich erlebt und sie ertappte sich dabei, dass sie den Gefühlsausbruch genoss. Sie konnte förmlich spüren wie die Wut in ihr kochte und heranwuchs. Doch brachte sie ihre Wut keinen Schritt näher ans Ziel. Als ihr das klar wurde, verließ sie die Empfindung schlagartig. Ähnliches geschah in ihren Beinen, die nun endlich nach der Tortur mehrerer Stunden unter stetem Niederschlag nachgaben. Mit einem heiseren Aufkeuchen fiel sie vorwärts und fing sich noch knapp an dem Tor ab, ehe sie zu Boden stürzen konnte - dann beendeten ihre Knie ihren Dienst und sie sackte kraftlos nieder. Noch ehe sie es mitbekam, rollten bereits erste Tränen an ihrer Wange herab. Es war einfach nicht fair. Was hatte sie getan, um dieses Schicksal zu verdienen? Ihr war kalt, sie fühlte sich grässlich, war verloren in der Fremde und zu allem Überfluss von einem falschen Geschlecht. Immer mehr Tränen kullerten über ihre Haut und sie begann lauthals zu schluchzen. Es war einfach zuviel. Sie konnte nicht mehr. Ihre Stirn stützte sie am Tor, während die Kälte an ihr hochkroch. Zwar hatte sie den Regen hinter sich gelassen, der Wind fühlte ihr aber dennoch unter die feuchten Kleider. Vereinzelt fegte er zudem einige verirrte Regentropfen über ihren Rücken, während der Donner hoch über ihr beständig dröhnte. Zitternd kauerte sie sich behelfsmäßig unter dem Vordach zusammen. Ihren Rucksack presste sie zwischen ihren Rücken und das Tor. Ihr Kopf hämmerte, der Donner ließ sie zusammenfahren, die Kälte frieren und das Gefühl verloren zu sein - ein Niemand zu sein - senkte unter Trauer und Hoffnungslosigkeit allmählich und ganz langsam ihre Augenlider. Der Regen sollte noch bis tief in die frühen Morgenstunden andauern. Silberweiß hob sich der Mond am Himmel empor, doch er blieb ungesehen. Die Decke aus Wolken nämlich, die an diesem Abend über der unbekannten Stadt schwebte, verdeckte ihn völlig. Dafür prasselte ein beständiges Stakkato an Regentropfen auf die Dächer herab, füllte die Kanäle auf und trieb zusammen mit dem Wind Falllaub durch die Straßen. Der Niederschlag sollte wie vorab erwähnt noch ungewöhnlich lange andauern, der Wind jedoch flaute bereits kurz nach Mitternacht ab. Der nächste Morgen brach mit einem hellen Schiefergrau von Himmel und Regenpfützen auf den verwaisten Straßen herein. Als das Mädchen die Augen aufschlug, lag es nicht mehr länger unter dem Vordach. Verwirrt sah sie sich um. Sie befand sich in einer dunklen Kammer. Undeutlich konnte sie die Wände erkennen und schloss daraus, dass die Kammer relativ klein sein musste. Aufgrund des schlechten Lichts hätte sie besagte Wände nämlich gar nicht erst wahrnehmen können, wären diese weiter entfernt gewesen. Neugierig suchte sie den Raum mit ihren Augen ab. Nur schemenhaft konnte sie dabei die Konturen einzelner Möbel ausmachen, immer vorausgesetzt es waren tatsächlich Möbel. Aber zumindest fand sie auf diese Weise ihre Lichtquelle. Etwas Tageslicht fiel durch eine Ritze zwischen zwei Fensterläden zu ihr herein und spendete ihr somit genügend Helligkeit, um ihr dieses vages Bild ihrer Umgebung zu ermöglichen. Trotzdem löste die eilige Sondierung nicht ihre wichtigste Frage. "Wo bin ich?" "In unserem Tempel", und mit diesen Worten öffnete sich die Tür zu ihrer Kammer. Unscharf konnte sie einen gedrungenen Mann mit Glatze ausmachen - zuviel Licht strahlte ihn von hinten an. "Geht es dir inzwischen besser?", seine Stimme klang aufrichtig besorgt und er betrat in maßvollen Schritten den abgedunkelten Raum. Er wartete gar nicht erst ihre Antwort ab und trat gleich zum Fenster. Mit einem Quietschen schwang er es nach innen auf und öffnete die Läden. Als Resultat stürzte eine Flut aus Licht auf sie ein und hinterließ sie für einen Augenblick völlig geblendet. "Deine Augen dürften sich gleich daran gewöhnt haben." Und tatsächlich normalisierte sich ihre Sicht wenige Sekunden später bereits. Zwar tanzten noch einige Funken vor ihren Augen, doch konnte sie nun wesentlich mehr erkennen. Ihre erste Vermutung bestätigte sich als sie sich ein weiteres Mal umsah. Sie befand sich tatsächlich in einer kleinen Kammer. Ein Schreibtisch, ein kleiner Schrank und ein Gebetsschrein stellten die einzigen Objekte in dem Raum dar. Fassungslos fixierte sie letztgenannten Gegenstand. Sie hatte sich nicht geirrt, an der gegenüberliegenden Wand hing ein spartanischer Gebetsschrein wie ihn buddhistische Mönche zu ihren Gebeten verwendeten. Wie konnte das aber sein? Was tat ein buddhistischer Tempel hier? Und überhaupt, wo genau war hier? "Wenn du Hunger hast, bereite ich dir etwas zu. Kleide dich an und warte einfach vor deiner Tür, ich schicke dann jemanden der dich holt." Kaum das seine Worte verklangen, setzte er sich auch schon in Bewegung und verließ die Kammer. Nicht jedoch, ohne zuvor die Tür gewissenhaft hinter sich zu schließen. Das leise Klicken des einrastenden Schlosses zerrte sie zurück in die Wirklichkeit. Das hieß, sie konnte ihren Magen nicht nur knurren hören, sondern auch fühlen. Es war allerhöchste Zeit, dass sie etwas zu sich nahm. Und wieso sollte sie ein so freundliches Angebot ablehnen? Dann erst registrierte sie einen wichtigen Aspekt, den sie vorher einfach überhört hatte. Ankleiden? Hieß das etwa, sie war nackt? Ihr Blick wanderte an ihr herab. Sie trug nur noch ihren BH und als sie die Zudecke zurückschob, erblickte sie ein Paar Pantys. Beide Unterwäschestücke waren von einem geradezu grellen Gelb und wirkten bereits ein wenig verwaschen. Das ließ Rückschlüsse darauf zu, dass die Unterwäsche schon mehrfach getragen wurde. Aber von wem? Von ihr? In dem Moment kam ihr in den Sinn, dass sie sich die wichtigste Frage noch überhaupt nicht gestellt hatte. "Wer bin ich?" Mit Bestürzen musste sie feststellen, dass sie die Antwort darauf nicht kannte. Es klang unfassbar, aber sie hatte ihren Namen vergessen. Weder Vorname noch Familienname befand sich mehr in ihrem Gedächtnis. "Oh mein Gott...". Sie hatte tatsächlich vergessen, wer sie war. Sie wusste zwar noch immer, dass sie ein Junge war, bevorzugt an ihrem Computer sich die Zeit vertrieb und hier absolut nicht hingehörte, das Wichtigste jedoch fehlte ihr - ihre Identität. Entsetzt durchsuchte sie ihre Erinnerungen nach einem winzigen Hinweis auf ihren Namen. Ihr Gedächtnis antworte jedoch mit Schweigen. Sie hatte einmal in einer Fernsehsendung über psychische Phänomene davon gehört. Man nannte es selektive Amnesie, also das Vergessen bestimmter Informationen, während ansonsten das gesamte Gedächtnis erhalten blieb. Konnte es sein, dass ihr genau das widerfahren war? Zumindest wäre es eine durchweg plausible Erklärung für ihren Gedächtnisverlust. Aber musste man sich dafür nicht irgendwo kräftig den Kopf stoßen? Ihr Kopf begann wieder zu pochen - eine freundlich gemeinte Warnung lieber vorerst eine Denkpause einzulegen. Etwas unsicher erhob sie sich von ihrer Schlafstätte. Ihre Beine waren noch schwach und die Muskulatur schlaff, weshalb sie ein wenig torkelte. Schon bald jedoch hatte sie sich soweit gefangen, um problemlos stehen zu können. Aufmerksam blickte sie sich nach den versprochenen Kleidern um und fand sie auch vor. Eine schwarze Hose mit weiten Beinen und ein schmuckloses T-Shirt gleicher Farbe. Ohne ihren Körper auch nur eines einzigen weiteren Blickes zu würdigen, schlüpfte sie schnellstmöglich in die Hose, die ihr erstaunlicherweise auf Anhieb passte. Wahrscheinlich hatte der ältere Mann diese Hose mit ihrer alten verglichen, um die richtige Größe zu erhalten. Das T-Shirt wiederum saß locker und eignete sich hervorragend, um sie von ihrem Körperzustand abzulenken. Als sie einen näheren Blick auf ihre Schlafstätte warf, war sie nicht überrascht einen Futon anzutreffen. Kein Bett wie sie es gewöhnt war, sondern lediglich eine flache Matratze, lag zu ihren Füßen. Erstaunlich, dass sie dennoch so gut und bequem hatte schlafen können. Ein Klopfen lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder zur Tür. "Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber Tenko lässt anfragen, ob sie nun zu Frühstücken wünschen." Diese Stimme war eindeutig jünger und musste einem anderen Mönch gehören. "Ja, sehr gerne", antwortete das Mädchen dankbar und machte sich auf dem Weg zur Tür. Zufrieden bemerkte sie, dass ihre Beine scheinbar wieder erstarkt waren. Sie hatte keine Probleme mehr ihr Körpergewicht zu tragen. Knarrend drückte sie die Türklinke herunter und die Tür auf. Wie sie erwartet hatte, wartete bereits ein junger Mönch vor ihrer Tür. Er trug ebenso wie Tenko - sie schätzte, dass es sich dabei um den älteren Herren handeln musste - eine braune Leinenhose und ein weites weißes Gewand mit langen Ärmeln. Auf seinem Gesicht beherbergte er ein Lächeln, ehe er ihr zunickte und sich zum Gehen wandte. "Folgen Sie mir bitte, Sie könnten sich ansonsten leicht verlaufen." Mit zielsicheren Schritten setzte sich der junge Mönch vor das Mädchen und schlug ein gemächliches Spaziertempo an. Bereitwillig folgte dieses ihm und blickte sich währenddessen neugierig um. Zuerst passierten sie lediglich einen Korridor, in dem sich alle paar Meter Tür an Tür reihte. Sonnenlicht fiel durch drei längliche Deckenfenster ein. Interessiert beobachtete sie den klaren, blauen Himmel, der erst vor etwa einer Stunde die grauen Wolken vertrieben hatte. Wenige Augenblicke später traten sie durch eine Tür am Ende des Korridors. Der Mönch trat hindurch und Sai kam ihm hastig nach. Ein kurzer Gang verlief vor ihnen, in den durch zwei Seitenfenster Licht einfiel. Ein grüner Läufer bedeckte den Boden. Seitlich befanden sich drei Türen. Ihr Führer nahm gleich die erste und abermals blieb sie dicht an ihm dran. Er hatte Recht behalten. Spätestens jetzt wäre es für sie unmöglich gewesen herauszufinden, wo sie hin musste. Sie beide befanden sich nämlich in einer Art niedrigen Halle. Der Geruch von Weihrauch hing schwer, aber nicht unangenehm in der Luft. Die einzigen Lichtquellen waren die überall im Raum verteilten Kerzen. Sanftmütig flackerten ihre Flammen und erhellten durch diese einen Schrein. Allerdings handelte es sich bei besagtem Schrein um nicht weniger als ein Meisterwerk der Schnitzkunst. Feine Reliefen waren in sein Holz eingekerbt, verschiedene Fächer beheimateten kleine Phiolen aus farbigem Glas und aus einem goldenen Kännchen drang weißer Rauch in die Luft. Es fiel ihr schwer sich von dem Anblick loszureißen, ihr Führer wartete allerdings bereits vor einer anderen Tür auf sie und sie wollte ihn nicht noch länger warten lassen. Als sie sich diesem näherte, lächelte dieser bloß wissend und öffnete ihr die Tür. Lautlos ging die Tür auf und gab den Blick auf einen langen Holztisch frei. Wie es schien war er bereits eingedeckt worden, denn mehrere Schälchen standen sorgfältig nebeneinander platziert. "Tritt schon einmal ein. Tenko wird sich umgehend zu dir gesellen." "Danke" und noch ehe sie sich zu dem jungen Mönch umgedreht hatte, war diese spurlos verschwunden. Verwirrt zog sie die Stirn kraus und starrte angestrengt in die Dunkelheit des Schreinraumes, aber dennoch blieb er unauffindbar. Er war einfach weg. "Wie ich sehe, hat dich Meji hergeführt. Ein tüchtiger Junge, wenngleich er es auch stets so eilig hat wie der Wind." Erschrocken wirbelte das Mädchen herum und erspähte Tenko, der bereits am Tisch Platz genommen hatte. Sie hätte schwören können, dass er vor einem Augenblick noch nicht dort gesessen hatte. Ihr Magenknurren schreckte sie aus ihren Überlegungen auf und ein wenig peinlich berührt, näherte sie sich dem Tisch. Tatsächlich war bereits aufgetafelt worden. Zwei makellose Schalen mit Reis standen nebeneinander auf dem Tisch, daneben lagen je zwei Essstäbchen. Als sie sich neben den alten Mönch setzte, registrierte sie auch die weiteren Schälchen. In diesen befanden sich diverse Beigaben, darunter Gurkenstückchen, Tomatenwürfel, Mohrrübenscheiben und verschiedene Fleischsorten. Es roch köstlich und sie spürte wie ihr der Speichel im Mund zusammenlief. Ein Räuspern lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Tenko. Dieser musterte sie mit einem belustigten Funkeln in den Augen, seine Mine blieb jedoch starr. "Interessante Sitzgewohnheit muss ich gestehen, vielleicht ein wenig unkonventionell", sprach er im beifälligen Plauderton und sah sie dabei unverwandt an. Das Mädchen blickte irritiert an sich herab und stellte nur ihren üblichen Schneidersitz fest. Dann schweifte ihr Blick zum Mönch über und sie verstand. Während sie sich nämlich ein wenig unrühmlich niedergelassen hatte, kniete Tenko vor dem Tisch und saß dabei auf seinen Fersen. "Bitte entschuldigen Sie...", setzte sie an, wurde jedoch von einer beschwichtigenden Handgeste unterbrochen. "Schon gut mein Kind. Du musst dich nicht entschuldigen. Ich lud dich schließlich an meinen Tisch ein, dass heißt auch, dass ich dich dazu einlud, mit mir deine Gewohnheiten zu teilen." Ein leichtes Grinsen umspielte seine Lippen, als er wie in einem Nachgedanken noch etwas hinzufügte. "Wenngleich ich auch ein wenig über die dargebotene Ungeniertheit überrascht war." Eine milde Schamesröte stahl sich auf ihr Gesicht, als sie betreten ihren Reis betrachtete. "Mach' dir keine Sorgen darüber. Iss. Du wirst hungrig sein." Dankbar nahm sie die Einladung an und begann zu essen. Mehrfach nahm sie sich etwas von den vielen Beilagen. Manchmal ein wenig Gemüse, ein anderes Mal etwas Fleisch. Plötzlich verharrte ihr Essen wenige Zentimeter vor ihrem Mund. Ihre Augen waren schreckgeweitet. "Ist alles in Ordnung? Mundet dir mein Essen nicht?", fragte der Mönch sogleich besorgt. Das Mädchen allerdings achtete gar nicht auf ihn. Sie war zu beschäftigt damit, die beiden Stäbchen anzusehen, die soeben zu zittern begonnen hatten. Die beiden Stäbchen, die scheinbar mühelos den Reis und eine Mohrrübenscheibe balancierten. An und für sich war das nichts außergewöhnliches, schließlich dienten Stäbchen zu diesem Zweck. Was sie jedoch erschreckte war die Leichtigkeit im Umgang mit den Stäbchen. Als sie noch ein Junge war, hatte sie nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, jemals Stäbchen zu verwenden. Umso amüsierter war sie dann auch gewesen, wenn sie andere Leute dabei beobachtete, wie diese mühevoll und ungeschickt mit den Stäbchen hantierten. Das Problem war, dass sie wusste, dass es ihr eigentlich unmöglich sein sollte, die Stäbchen so sicher zu führen. Ein Nichtschwimmer sprang ja auch nicht einfach so in einen Pool und planschte daraufhin in diesem herum. Es erforderte Übung und Erfahrung um solche Dinge bewerkstelligen zu können. Übung, die sie nicht besaß und Erfahrung, die sie nie hatte. "Alles in Ordnung?" "Bitte verzeihen Sie, es war nur“, sie zögerte und setzte nach „eine Überraschung." "Inwiefern?", seine Stimme klang forschend und er beobachtete sie aufmerksam. "Nur, dass ich lange nicht von jemandem zum Essen eingeladen worden bin und das erst jetzt richtig realisiere." Sie probierte sich mit diesem fremden Gesicht an einem Lächeln und scheinbar gelang es ihr, denn Tenko erwiderte es. Normalerweise hätte sie sich nun schlecht gefühlt. Das tat sie für gewöhnlich, wenn sie jemandem belog, weshalb sie bevorzugt die Wahrheit sagte oder einfach schwieg. Diesmal jedoch blieb die Empfindung aus. Kein schlechtes Gewissen fiel ihr zur Last, vielmehr verspürte sie die unerklärliche Gewissheit die Wahrheit gesagt zu haben. Dabei hatte sie doch erst vor einigen Tagen mit zwei Freunden einen Abstecher in ein Fast-Food-Lokal gemacht. Da sie jedoch ihr Brieftasche vergessen hatte, spendierte ihr einer ihrer Freunde eine Tüte Pommes. Und dennoch meldete sich ihr Schuldbewusstsein nicht zu Wort - seltsam. "Schmeckt es dir?" "Ja, sehr gut sogar. Nochmals danke für die Einladung." Nochmals probierte sich das Mädchen am Lächeln und siehe da, sie kam abermals gut an. Zufrieden nickte der Mönch und widmete sich seiner Reisschale. So vergingen einige Minuten, in denen nur das Klicken von Stäbchen auf Keramik erklang. Als sie satt war, stellte sie die Schale zurück auf den Tisch. Ein kleiner Rest Reis war zurückgeblieben, doch den Großteil hatte sie gegessen. Tatsächlich hatte sie sogar einen beachtlichen Anteil zu sich genommen, mehr sogar, als sie es als Junge hätte tun können. Sie war sich sicher, dass sie zuvor niemals eine solche Portion hätte essen können - halbverhungert oder nicht. "Du hast einen guten Appetit. Bemerkenswert." Irgendwie wusste sie nicht so recht, ob sie diesen Kommentar als Lob oder Beleidigung auffassen sollte. Deswegen ließ sie ihn vorsichtshalber ignoriert. Mit einem unmerklichen Scheppern stellte auch Tenko seine Schüssel zurück auf den Tisch und warf ihr einen merkwürdigen Seitenblick zu. Seine Mine wurde ernst und verlor ihren spielerischen Zug. Dem Mädchen wurde mit einem Mal sehr unwohl. Sie wusste nicht, was genau diesen plötzlichen Wandel ausgelöst hatte. Aber was auch immer es war, sie trug keine Schuld daran. Zumindest diesbezüglich konnte sie sich sicher sein. "Bist du gekommen, um uns herauszufordern?", seine Stimme hatte einen beinahe geschäftlichen Unterton angenommen. Kühl und selbstsicher betrachtete er sie von der Seite. Der Eindruck eines gedrungenen, lustigen Mönchs war gänzlich abgefallen. Das Mädchen registrierte das alles kaum. In ihrem Kopf kreiste lediglich das eine Wort, auf das er besondere Betonung gelegt hatte. Herausfordern? Sie konnte sich darauf keinen Reim machen und sah ihn nur mit unverhohlener Überraschung an. "Wie meinen Sie das?" Sie musste ganz sicher gehen, dass sie ihn auch richtig verstanden hatte. Vielleicht hatte sie sich ja nur verhört? "Du bist offensichtlich eine Praktizierende, versuch' es nicht zu leugnen. Man sieht es jeder deiner Bewegungen an. Also wiederhole ich meine Frage erneut. Bist du gekommen, um uns herauszufordern?" Praktizierende? Bewegungen? Meinte er wirklich ihre tapsigen Schritte? Sah der alte Greis tatsächlich dasselbe, was sie an diesem Körper wahrnahm? Nein, dass konnte sie einfach nicht ernst nehmen. Der Alte war ja ganz nett, hatte aber einen ernsthaften Knall. Sie würde ihm einfach für das Essen danken und dann ihrer Wege gehen. Nichtsdestotrotz konnte sie nicht der Versuchung widerstehen ein sarkastisches Grinsen spielen zu lassen. "Würden Sie mich ernsthaft als Herausforderung erwägen?" Als seine Miene sich falls möglich noch erhärtete, überkam sie ein kalter Schauder. "Hey, kommen Sie, das war doch nur ein Spaß. Ich bin so wenig Praktizierende wie Sie einer sind." Um ihren Punkt zu unterstreichen, winkte sie mit der Hand ab und überprüfte sein Gesicht auf eine Regung. Der Mann konnte das alles doch schließlich nicht ernst nehmen, oder? Martial-Arts-Mönche, also mal ehrlich. Seine Lippen bildeten einen weißen Strich. Seine Stimme war kalt wie Bergwasser. "Es ist eine Sache unseren Ehrenkodex auszunutzen, um ins Innere unseres Tempels zu gelangen, eine weitere ist es, uns in unseren heiligen Hallen herauszufordern. Doch ich drückte beide Augen zu. Nun aber hast du es zu weit getrieben. Niemand beleidigt unsere Schule oder einen ihrer Praktizierenden - ich fordere dich also heraus." Ihre Augen waren weit vor Schreck. Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Ehrenkodex? Schule? Beleidigen? "Oh-Oh." Anscheinend nahm der alte Mann vor ihr die Kampfkunst doch etwas ernster als sie vermutet hatte. Demnach hatte sie ihn nicht nur spöttisch herausgefordert, indem sie ihn fragte, ob sie ihm denn würdig wäre, - wodurch sie gewissermaßen seine Fähigkeiten kritisiert hatte - sondern hatte auch noch seine Schule und vor allem seine Fähigkeiten nicht nur wie bereits zuvor entwertet, sondern zusätzlich in Frage gestellt. "Es tut mir leid. Ich wollte sie nicht beleidigen. Das war keine Absicht." "Folge mir." Mit diesen beiden Worten erhob er sich vom Tisch und ging auf eine zweiflügelige Schiebetür zu. Er warf einen Blick über seine Schulter zurück. "Komm' und zeige mir dein Können." Dann schritt er auch schon voraus. Entsetzt beobachtete das Mädchen den Rücken des alten Mönchs. Er forderte sie heraus. Eigentlich wäre diese Situation beinahe komisch gewesen, würde sie nicht im Moment Todesängste durchleben. Dies war etwas gänzlich anderes als die Beat'em-up-Games ihrer Kindheit und die Martial-Arts-Filme, die sie sich zu Chips und Cola zusammen mit ihren Freunden angesehen hatte. Das hier war Realität. Der Alte wollte tatsächlich kämpfen und meinte es ernst. Ihre Beine waren weich wie Gummi als sie sich erhob. Sie wusste, jeden Moment würde sie umknicken und ihr Gleichgewicht verlieren. Es war völlig unmöglich, dass ihre Beine sie in diesem Zustand tragen konnten - sie taten es dennoch. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen und kleinen Schritten näherte sie sich der Tür. Die Tür führte nach draußen, in einen gepflegten Garten. Ziersträucher und Blumen wuchsen in prächtigen Farben und selbst das Gras schimmerte auf einheitlicher Höhe. Selbst ein kleiner Koi-Teich fehlte nicht, indem sie einige Zierkarpfen schwimmen sehen konnte. Seerosen wuchsen zudem auf der Teichoberfläche und strahlten in einem sanften Rosa und einem kräftigen Gelb. Seltsamerweise musste sie lächeln, - das denkbar schlechteste, was sie in einer solchen Situation tun konnte - als sie die gelbe Seerose betrachtete. Sobald sie sich Tenko nämlich zuwandte, funkelte sie dieser mit kalter Ruhe an. "So stellt es also eine größere Herausforderung für dich dar, deine Augen von den Koi-Karpfen fortzureißen, als dich mir entgegen zu stellen? Beweise mir deine Überlegenheit." Tenko floss geradezu in seine Kampfstellung. Im einen Moment noch stand er aufrecht da, da zog er im nächsten Augenblick seinen linken Arm wie eine Schlange hoch, während seine rechte Hand wie ein halboffenes Löwenmaul neben seiner rechten Hüfte verharrte. Sein linkes Bein setzte er aggressiv vor, mit seinem Standbein rutschte er einen Schritt zurück. Er war bereit. Und er nahm sie de facto ernst. Diese Situation jedoch ließ keinen Grund zu falschem Stolz. Wenn Tenko nur halb so professionell kämpfte wie er im Augenblick stand, würde ihr Geschlechtswechsel zu einem Mädchen bald ihre geringste Sorge sein. "Kommen Sie, Tenko, bitte lassen Sie das. Nicht, dass jemand verletzt wird." "Verhöhnst du mich auch noch? Beweise endlich, dass deine Worte nicht nur heiße Luft sind", forderte er das Mädchen vor sich heraus. "Zum Teufel! Hören Sie mir zu, ich sage Ihnen doch, dass meine Worte nur heiße Luft sind. Jetzt beweisen sie doch bitte endlich einmal etwas Realitätssinn und kommen Sie zu Verstand! Lassen Sie den Quatsch!" Immer verzweifelter versuchte sie Tenko zu überzeugen. Es musste doch einen Weg geben dem sturen, alten Greis ins Gewissen zu reden. Irgendeine Möglichkeit musste doch bestehen. "Bereite dich nun vor. Ich greife an." Und das tat er auch. Seine Füße huschten über das Gras wie die einer Wildkatze, während seine Arme förmlich hinter ihm herflatterten. Dann schoss seine rechte Hand wie ein Schlangenkopf auf sie zu. Das Mädchen konnte die angespannten Sehnen unter seiner Haut beobachten, wie sich der Bizeps zusehends verkrampfte, der weite Ärmel im Wind flatterte und seine Handkante wie eine Axt vorschnellte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)