Wolf - Lover von Ixtli ================================================================================ Kapitel 7: Auf Leben und Tod ---------------------------- ~ * ~ Nachdem Ferlan am Tage seiner Verbannung bis zum Abend ziellos im Wald herumgelaufen war, begann er nun, sich für die hereinbrechende Nacht einen Schlafplatz zu suchen. Er hatte seine Reise entgegen den Bestimmungen des Rates unterbrochen und war nicht, wie Alinor es befohlen hatte, einen Tagesmarsch von der Siedlung entfernt. Ferlan hatte es vorgezogen, im nahen Umkreis herumzuschleichen und auch jetzt noch trieb er sich nicht weit vom Dorf entfernt in einem kleinen Waldstück herum - Immer die Furcht im Nacken, von Bewohnern seines Stammes entdeckt zu werden. In einem Abschnitt des Waldes, der zum größten Teil aus riesigen Tannen bestand, beschloss Ferlan, die Nacht zu verbringen. Er trug einige große Zweige zusammen und lehnte sie so gegen einen umgestürzten Baumstamm, dass dahinter eine schmale Nische entstand, die gerade groß genug war, um sich hinzulegen. So versteckt würde er vor den wachsamen Blicken eines Spähtrupps gut geschützt sein. Völlig erschöpft machte es sich Ferlan auf dem weichen Waldboden bequem. Die Sachen, die ihm Aredh bereit gelegt hatte, hatte er in ihrem Versteck gelassen. Außer etwas Wasser und einer warmen Decke hatte er nichts davon mitgenommen. Wenn er genau wusste, wohin er wollte, dann würde er alles zusammenpacken, aber zuerst ging es nun darum, die Gegend auszukundschaften. Ferlan breitete eine Hälfte der Decke auf dem nadeligen Boden aus und zog sich den anderen Teil über den Körper. Sich ständig von einer Seite auf die andere wälzend, verbrachte Ferlan den ersten Teil der Nacht. An Einschlafen war nicht zu denken, egal wie müde er auch war. Der Duft nach feuchtem Moos und die verrottenden Tannennadeln umwehten Ferlans Nase und die nächtlichen Geräusche ließen ihn einfach keine Ruhe finden. Von den Erinnerungen an zu Hause ganz zu schweigen. Dort waren ihm diese Laute nie richtig aufgefallen und den Geruch des Waldes hatte er eigentlich immer geliebt, aber hier, wo es still und einsam war, hörte man jeden Luftzug, der durch die Wipfel der Bäume rauschte und die Äste dabei unheimlich knacken ließ. Hier störte ihn mit einem mal der Duft, den jeder Wald hatte. Nach einer Weile hatte Ferlan genug. Er streifte sich die Decke von den Schultern, stieß die Äste um, die sein Versteck schützen sollten, und stand auf. Ferlan streckte sich und strich sich über Arme und Beine, in denen es kribbelte. Die gekrümmte Haltung, in der er die ganze Zeit auf dem Boden gelegen hatte, hatte seine Muskeln einschlafen gelassen. Ferlan versteckte seine Decke wieder hinter den Ästen, setzte sich auf den umgestürzten Baum und dachte nach. Schliefen schon alle zu Hause? Seine Mutter sicher nicht. Und die anderen? Konnte Tyrna nach alledem überhaupt ruhig schlafen? Ferlan bekam eine Gänsehaut, als er an seinen Schwager dachte und verwarf das aufkommende ungute Gefühl sofort wieder. Ein ungewöhnliches Geräusch, das nicht zu den anderen der Umgebung passte, ließ Ferlan einige Augenblicke später von seinem Sitzplatz aufschrecken. Sich hinter den gefallenen Baum duckend, sah er zu, wie ein dunkler Schatten zwischen den Tannen umherhuschte. Ein Tier? Ferlan kniff die Augen zusammen und wartete ab. Jetzt tauchte die Gestalt wieder auf, aber ein Tier war es nicht - Kein Tier ging aufrecht auf zwei Beinen... Den Atem anhaltend sah Ferlan zu, wie sich ihm die unbekannte Person näherte. Sie schien etwas zu suchen, denn von Zeit zu Zeit blieb sie stehen, drehte den Kopf hin und her und schlich dann schließlich weiter. Langsam wurde Ferlan nervös. Wer war der Fremde und was wollte er um diese Zeit hier im Wald? Waren es Späher aus der Siedlung? Liefen hier etwa noch mehr herum? Gespannt blieb Ferlan in seinem Versteck. Die Person war nur noch wenige Meter von ihm entfernt und zur Hälfte von ein paar Bäumen verdeckt. Das Rascheln des Laubes und der Nadeln kam näher und Ferlan wurde immer unruhiger. Sollte er aus seinem Versteck hervor kommen und sich der Gestalt stellen? Unbewaffnet? Ferlan zögerte. Er war kurz davor, aufzustehen und etwas zu sagen, als er endlich erkannte, wer der Unbekannte war: Tyrna! Voller Anspannung saß Ferlan hinter dem Baum und wartete ab. Was machte Tyrna hier? Hatte der Große Rat es sich anders überlegt und man suchte ihn nun, damit er wieder zurück durfte? Ferlan unterdrückte ein Lachen. Weshalb sollten sie ihn wieder nach Hause lassen?! Es musste einen anderen Grund geben, weshalb Tyrna hier herumschlich. Vorsichtig lugte Ferlan wieder hinter dem Baumstamm hervor. Die Wolken, die den Mond und die Sterne die ganze Zeit verdeckt hatten, verzogen sich und im bläulich schimmernden Licht blitzte etwas in Tyrnas Hand auf. Etwas Silbernes. Etwas langes Silbernes... Ferlan hielt die Luft an. Jetzt war ihm klar, was sein Schwager hier suchte: Ihn - Ferlan! ~ * ~ Ferlans Gedanken rasten und fieberhaft dachte er nach, was er jetzt tun sollte. Fliehen? Tyrna würde ihm nachrennen. Hier sitzen bleiben? Aber der Schwarzhaarige würde wohl sowieso nicht eher ruhen, bis er Ferlan gefunden hatte und ewig konnte er ihm nicht aus dem Weg gehen. Dafür war er noch zu nahe an der Siedlung. Am besten würde er wohl Tyrna ansprechen und fragen, was er wollte. Zeit zum fliehen blieb ihm dann immer noch. Und wenn nicht... Ferlan schüttelte die Gedanken ab und wartete, bis Tyrna ein Stück an dem Baum vorbei gegangen war. Er stand auf, lockerte seine angespannten Muskeln und kam hinter dem Stamm hervor. Tyrna fuhr herum, als er die Schritte hinter sich hörte und blickte direkt in das wie versteinert wirkende Gesicht des Jüngeren. Stumm stand Ferlan vor seinem Schwager, der im ersten Moment ziemlich überrascht drein gesehen hatte, sich aber angesichts der in seinen Augen nicht ernstzunehmenden Person wieder entspannte. "Endlich..." Ein kaltes Lächeln zog sich über Tyrnas Gesicht. "Ich hab dich schon gesucht..." "So..." Ferlan bemühte sich, wo gut es ging in einem ruhigen Tonfall weiter zu reden. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, aber er wollte Tyrna nicht zeigen, wie sehr er sich vor dieser Konfrontation fürchtete. "Jetzt hast du mich ja gefunden. Und nun?" "Was ,Und nun'? Du wirst dir doch denken können, was ich hier will!" Tyrnas Augen verengten sich und das Lächeln um seinen Mund wurde noch etwas breiter. "Natürlich weiß ich, weshalb du mir folgst", Ferlan machte einen Schritt nach hinten. Sicher war sicher. "Was ich gerne erfahren würde, ist, warum?" "Das Urteil des Rates war viel zu mild für das, was du angerichtet hast! Was du uns angetan hast! Bedana, Melva und mir. Und Len, vor allem!" Tyrna hatte den Schritt, den sein jüngeres Gegenüber sich von ihm entfernt hatte, wieder aufgeholt. "Denkst du, ich würde je vergessen können, was geschehen ist?! Für was hältst du mich? Ich kann seit dem Tag nicht mehr schlafen, nicht essen und ich denke auch nicht, dass sich das in der nächsten Zeit ändern wird!" rief Ferlan. Seine Verzweiflung schwang in seiner brüchigen Stimme mit, aber Tyrna merkte nichts davon, oder wollte es schlicht und einfach nicht merken. "Du bist nur noch eine lästige Unannehmlichkeit, die beseitigt werden muss. Sonst nichts!" antwortete Tyrna überheblich. "Um deine Mutter tut es mir leid. Dass sie ausgerechnet auf diese Weise erfahren musste, was sie da großgezogen hat!" Ferlan merkte, wie die Wut in ihm sich in Hass zu wandeln begann. "Leider hat sie ja noch immer nicht gemerkt hat, dass sie mit dir noch weitaus schlechter dran ist!" Für Ferlans Wutausbruch hatte Tyrna nur Spott übrig. "Dein Pech, dass du dich nicht an die Anweisungen des Rates gehalten hast und noch immer hier bist... Aber gut für mich. Niemand wird je merken, dass du nicht weit gekommen bist!" Tyrna hob den Dolch in seiner Hand hoch und strich mit den Fingern seiner freien Hand über die Klinge. Noch bevor Ferlan reagieren konnte, schnellte Tyrna nach vorne, stieß den Dolch in Richtung des Jüngeren, aber Ferlan, der sich wieder gefasst hatte, reagierte endlich und wich dem Schwarzhaarigen im letzten Augenblick aus. Ehe Tyrna sich wieder zu seinem Gegner herumdrehen konnte, hatte der ihm einen Schlag in den Rücken verpasst, der den Dunkelhaarigen zu Boden gehen ließ. Der kleine Dolch entglitt der Hand des Älteren, flog durch die Luft und kam nicht weit von Tyrna entfernt auf dem Boden auf. Tyrna versucht nach dem Dolch zu greifen, aber Ferlan schnellte hervor, warf sich mit einem Schrei auf den auf dem Bauch liegenden Tyrna und griff sich die Waffe. Tyrnas Rippen knackten bedenklich, als ihm sein Gegner ein Knie in den Rücken stieß. Ferlan grub eine Hand in die Haare seines Schwagers, drückte dessen Kopf nach unten in den Waldboden und presste ihm die stumpfe Klingenseite des Dolches an die Kehle. "Na, siehst du nun, wie schnell der Jäger zur Beute werden kann?!" zischte Ferlan atemlos. Schweißperlen traten auf Tyrnas Stirn, als er sich in dieser misslichen Situation wieder fand. Vergeblich versuchte er seinen Kopf zu heben und Ferlan anzusehen, der rittlings auf seinem Rücken saß und dem größeren Tyrna damit alle Bewegungsfreiheit nahm. "Lass mich gehen und ich lasse dich dafür am Leben!" knurrte Ferlan, als der Schwarzhaarige beharrlich schwieg. Ein kehliges Lachen war die Antwort. Ferlan stieß Tyrnas Kopf erneut in den Schmutz, was dieser mit einem unterdrückten Aufschrei quittierte. "Du hast mich anscheinend nicht richtig verstanden!" Ferlan presste den Dolch - dieses Mal mit der scharfen Seite - noch etwas fester gegen den schutzlosen Hals seines Schwagers. Mit Genugtuung nahm er dessen zunehmende Angst wahr. "Lass mich gehen und du siehst mich nie wieder! Ist es nicht das, was du wolltest?" "Eigentlich nicht..." flüsterte Tyrna heiser. "Aber gut... Du kannst gehen..." Misstrauisch wartete Ferlan noch ab, aber Tyrna bewegte sich kein Stück. Alles was man von ihm hören konnte, waren seine unregelmäßigen Atemzüge. "Verschwinde endlich! Sonst überlege ich es mir noch anders!" stieß Tyrna ungeduldig aus. Ferlan zweifelte, erhob sich aber schließlich doch, die Waffe immer auf den Rücken des Liegenden gerichtet. So leichtsinnig, jetzt eine falsche Bewegung zu machen, wäre Tyrna sicher nicht. Er war schließlich völlig unbewaffnet, während Ferlan noch den Dolch hatte. * * * * * Tyrna atmete tief ein, als das Gewicht von seinem Rücken verschwand. Er drehte sich herum und setzte sich auf. Von unten herauf warf er Ferlan einen abwartenden Blick zu, der unbeweglich vor ihm stand und auf ihn hinab starrte. Zitternd strich Tyrna über die noch schmerzende Stelle an seiner Kehle, wo bis vor wenigen Augenblicken noch der Dolch war. Er zog seine Hand wieder hervor und betrachtete sich das Blut, das auf seinen Fingerspitzen zurückgeblieben war. Er hatte Ferlan wohl unterschätzt. "Keine Sorge, es ist nur ein Kratzer", sagte Ferlan mit einem Nicken zu den Händen seines Schwagers. "Das hoffe ich für dich", murmelte Tyrna. Er schüttelte sich ein paar Blätter und Tannennadeln aus den Haaren und wollte aufstehen. "Bleib dort sitzen, bis ich weg bin!" wurde er von Ferlan in seinem Tun unterbrochen. Drohend hielt der Blonde seinem Gegenüber den Dolch vor die Nase. "Wie du meinst." Das Gesicht des Dunkelhaarigen bekam einen zufriedenen Ausdruck. Regungslos sah Tyrna Ferlan zu, wie der sich rückwärts von ihm entfernte. Gebannt starrte der Ältere auf Ferlans Füße. Er hob den Kopf und sah den blonden jungen Mann an. Ein Grinsen zog sich über Tyrnas Gesicht. Irritiert durch das Mienenspiel des Schwarzhaarigen, achtete Ferlan nicht mehr weiter auf den Weg und kam ins Straucheln. Tyrna ergriff die Gelegenheit und trat von der Seite her gegen Ferlans Knie. Ferlan knickte ein und Tyrna schnellte flink nach vorne und trat noch einmal zu. Äste knackten und Laub wirbelte umher, als Ferlan zu Boden fiel. "Du dummes, naives Kind!" lachte Tyrna gehässig. Er saß auf dem am Boden liegenden Ferlan und hatte dessen Hand mit dem Dolch gepackt. Mit einem heftigen Stoß nach hinten, entwand er dem Jüngeren das Messer. "Vielleicht hätte ich dir statt dem Umgang mit Waffen, den richtigen Kampf Mann gegen Mann beibringen sollen!" "Warum kannst du mich nicht einfach gehen lassen?" schrie Ferlan. "Weil ich dann nie Ruhe finden könnte, wenn ich wüsste, dass du irgendwo da draußen bist!" Tyrna spie die Worte förmlich aus. "Irgendwann würdest du wieder zurückkommen!" "Bestimmt nicht!" stritt Ferlan ab. "Nicht so lange es dich noch gibt!" Tyrnas Gesicht verzog sich unmerklich. Schneller als Ferlan reagieren konnte, hob er den Arm mit dem Dolch in der Hand. Die Klinge sauste hinab und bohrte sich dicht neben Ferlans Kopf in den Waldboden. Schockiert sah Ferlan seinen Schwager an. Hatte er Tyrnas Worte die ganze Zeit nur als Warnung abgetan, wusste er nun mit Sicherheit, dass der Schwarzhaarige ihn wirklich töten wollte und wohl erst Frieden geben würde, wenn einer von ihnen seinen letzten Atemzug getan hatte. "Der nächste Schlag geht nicht mehr daneben!" zischte Tyrna bedrohlich. Er begann zu grinsen, hob die Hand zum nächsten Angriff - und sank mit einem Stöhnen über Ferlan zusammen. ~ * ~ Ferlan ließ den Stein fallen, mit dem er Tyrna niedergeschlagen hatte und versuchte, sich von dem schweren Körper seines Schwagers zu befreien. Er rutschte unter dem Arm des Dunkelhaarigen drunter durch und warf dessen schlaffen Körper herum. Nach Atem ringend kniete Ferlan neben dem leblos scheinenden Tyrna, der mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag und sich nicht mehr rührte. Blut rann ihm aus einer langen Platzwunde an der linken Schläfe hinab und versickerte im Ansatz seiner schwarzen Haare. Hatte er Tyrna umgebracht? Ferlan wollte aufspringen und davon laufen, aber das Gewissen, über das Tyrna sich immer lustig gemacht hatte, hielt den jungen blonden Mann von seinem Vorhaben ab. Widerstrebend beugte er sich zum Oberkörper des Dunkelhaarigen herab und presste sein Ohr gegen Tyrnas Brustkorb, der sich noch minimal hob und senkte. Das Herz schlug auch noch. Tot war Tyrna also nicht. Erleichtert richtete sich Ferlan wieder auf und fuhr sich über seine Stirn. Er konnte Tyrna wohl schlecht hier sterben lassen. Ferlan sah sich um. Sie waren zwar nicht allzu weit vom Dorf entfernt, aber bis man Tyrna am nächsten Morgen finden würde, wäre er sicher schon verblutet oder an einer Unterkühlung gestorben. "Eigentlich hättest du es gar nicht anders verdient, als hier im Wald zu verrecken!" stieß Ferlan verärgert aus. Tyrna war hergekommen, um ihn umzubringen und nun schaffte er selbst es nicht einmal, den Mann, der ihm fast das Leben genommen hatte, auch seinem Schicksal zu überlassen... "Du kannst den Göttern danken, dass du eine Familie hast!" fluchte Ferlan weiter, während er den Schwarzhaarigen nach Waffen und anderen Habseligkeiten absuchte und die gefunden Sachen - ein paar Münzen und eine winzige Bronzefigur - in seine eigene Tasche steckte. Mit fliegenden Fingern löste Ferlan Tyrnas Gürtel mitsamt der Hülle des Dolches und wand ihn sich um seine eigene Hüfte. Hastig und den wie schlafend Daliegenden dabei nicht aus den Augen lassend, kroch Ferlan auf allen Vieren über den Waldboden, auf dem sie gerade eben noch gekämpft hatten und durchwühlte ihn, bis er das kühle Metall des Dolches unter seinen Fingerspitzen spürte. Er säuberte ihn von Blättern und Schmutz und steckte ihn schnell ein. "Tyrna!" Ferlan rüttelte den Bewusstlosen an den Schultern, um ihn wach zu bekommen. "Tyrna!" rief er noch einmal etwas lauter, doch es nützte nichts. Der schwarzhaarige Hüne blieb stumm. Ferlan gab nicht nach und rüttelte den Älteren, bis er endlich die Augen aufschlug. "Was - was tun wir hier...?" flüsterte Tyrna erstickt. Er verdrehte die Augen und sank kopfüber auf den Waldboden. Wieder begann Ferlan damit seinen Schwager wach zu bekommen. "Tyrna", sagte Ferlan, als der Dunkelhaarige zum wiederholten Male etwas zu Bewusstsein kam. "Komm, wir müssen ins Dorf zurück." Ohne Protest ließ Tyrna zu, dass Ferlan ihm auf die Beine half. Er schien von dem Vorgefallenen nichts mehr zu wissen. Einen Arm um die Schultern des blonden jungen Mannes gelegt, folgte er diesem mit wackeligen Schritten durch den Wald. Nur schleppend langsam näherten sich die beiden Gestalten einer Lichtung, die in der Nähe der Siedlung lag. "... Ferlan... nicht so schnell..." Tyrnas Beine gaben nach. Er versuchte noch, sich am Hemd seines Begleiters festzukrallen, aber die Ohnmacht war stärker. Tyrnas Körper sank auf der Stelle zusammen, an der sie gerade standen und Ferlan, der den Größeren noch im Arm hatte, wurde unweigerlich von dessen Gewicht mitgerissen. "So ein elendiger Mist!" schrie Ferlan wütend. Sie waren jetzt zwar näher als eben, aber noch immer nicht nah genug, dass man Tyrna rechtzeitig finden würde. Ferlan wischte sich über seine Stirn, die schweißnass glänzte. Müde blickte er sich um und wartete auf eine Idee, die ihn und Tyrna aus dieser Situation befreite. Es dauert nicht lange und Ferlan wusste was zu tun war. ~ * ~ Die Häuser, in denen noch Licht brannte, meidend, schlich Ferlan im Zickzackkurs durch seine alte Siedlung, bis er an seinem Ziel ankam. Ratlos stand Ferlan vor der Hütte seines Freundes. Alle Türen waren verschlossen und von innen verriegelt und bei den Fenstern war es nicht anders. Bis auf eines... Der Holzladen vor Aredhs Zimmer stand einen Spalt breit offen. Warum sollte er es nicht einmal so versuchen, wie Aredh und einfach durch das Fenster in die Hütte eindringen?! Ferlan unterdrückte das Lachen, das in seiner Kehle aufstieg. Noch ein letztes Mal sah er sich prüfend um und lauschte in die Stille, dann wand er sich dem Fenster zu. Ferlan bemühte sich, den nur angelehnten Fensterladen so leise wie möglich zu öffnen. Er zog sich am oberen Teil des Holzrahmens hoch, schwang die Beine durch die Öffnung des Fensters und schlüpfte ins Zimmer seines Freundes. "Aredh?" Aredh lag in seinem Bett und hatte schon fest geschlafen, als die leise Stimme ihn ansprach. Müde wollte er sich auf die andere Seite drehen, wurde aber an der Schulter zurückgerissen. "Wie kann man nur so fest schlafen?" Ferlan kniete neben dem Bett seines Freundes und piekte dem Schlafenden einen Finger in die Wange. Ein widerwilliges Grummeln war die Antwort und Ferlan musste sich ducken, als Aredhs Hand zwecks Beseitigung des Störenfriedes nur wenige Zentimeter an seinem Gesicht vorbeisauste. Genervt sah Ferlan zu, wie Aredh sich wieder auf die andere Seite drehte und friedlich weiter schlief, ohne auch nur ein Lid gehoben zu haben. "Los, du Faulpelz! Mach endlich die Augen auf!" Ferlan kniff seinem Freund nun feste in den Oberarm, bis dieser mit einem Schrei auffuhr. Aredh fuhr sich mit einer Hand durch sein verwuscheltes Haar und sah sich im düsteren Zimmer um. Seine Blicke blieben an dem jungen Mann hängen, der auf seiner Bettkante saß und ihn angrinste. Selbst im Halbdunkel waren die Umrisse und das blonde lange Haar unverkennbar. "Fer..." Noch ehe Aredh ausgesprochen hatte, hatte sich eine Hand auf seinen Mund gelegt und erstickte den freudigen Ausruf. "Es schmeichelt mir, dass du noch weißt wer ich bin", Ferlan ließ Aredhs Mund frei. "Was machst du hier? Du solltest doch schon längst weg sein, oder nicht?" flüsterte Aredh. Gähnend setzte er sich in seinem Bett auf und streckte sich. "Dank Tyrna musste ich meine Reise unterbrechen..." Irritiert schüttelte Aredh seinen Kopf. "Tyrna?" "Er ist draußen, nicht weit von der Siedlung", Ferlan stand auf und sah auf den im Bett Sitzenden hinab, der ihm aufmerksam zuhörte. "Tyrna ist mir gefolgt und wollte mich töten, aber ich bin ihm zuvor gekommen." Aredh erbleichte. "Ist - ist er tot?" "Nein, obwohl er es schon auf eine Weise verdient hätte", Ferlan lachte kurz auf. "Tyrna liegt etwas weiter im Wald. Bis hierher konnte er noch etwas laufen, aber jetzt ist er wieder bewusstlos. Du musst mit mir kommen! Alleine kann ich ihn nicht bis in die Siedlung tragen." "Kann ich mich vorher noch anziehen?" machte Aredh seinen Freund grinsend auf sein Leichtbekleidetes Äußeres aufmerksam. "Ich halte dich sicher nicht davon ab", Ferlan griff nach Aredhs Hose, die neben dem Bett lag und warf sie dem Wartenden entgegen. Nervös wartete Ferlan, bis Aredh schließlich fertig mit ankleiden war. * * * * * "Wo ist Tyrna denn?" fragte Aredh Ferlan, als sie nebeneinander durch die ruhige Siedlung liefen. Ferlan legte seinen Finger auf den Mund und bedeutete Aredh still zu sein, bis sie in sicherer Entfernung zu den Häusern waren. Schweigend folgte Aredh Ferlan über den Hügel, der die Siedlung wie ein Schutzwall umgab Als sie schließlich an einer kleinen Lichtung ankamen, deutete Ferlan zu einem dunklen Fleck, der sich gegen das hellere Gras abhob. "Da hinten ist er." "Na dann los!" Aredh verschränkte seine Hände ineinander und bog sie nach außen, bis die Gelenke seiner Finger knackten. "Bringen wir das Riesenbaby zurück, wo es herkam!" Ferlan lachte leise, bei Aredhs Umschreibung des großen hünenhaften Mannes, der wie ein Häufchen Elend vor ihnen auf der feuchten Wiese lag und noch immer keine Regung zeigte. Aredh fasste Tyrna unter einer Achsel und wartete, bis es Ferlan auf der anderen Seite gleich tat. Zusammen richteten sie den Schwarzhaarigen auf, brachten ihn unter größter Anstrengung einigermaßen auf die Beine und schleiften den Halbbewusstlosen hinter sich her zur Siedlung. "Wohin?" fragte Aredh. "Keine Ahnung!" Ferlans verbissenes Gesicht verriet seine Mühe, den schweren Körper dorthin zu bugsieren, wo er hin sollte. "Es reicht wohl, wenn wir ihn zur großen Scheune am Eingang bringen. Dort ist es warm und morgen früh könnte ich ihn zufällig dort ,finden'." Aredh stolperte über ein paar Äste und landete mit dem Hünen fast ihn einem Graben. "Ja, besser als nichts. Und bevor ihr Beide euch noch die Knochen bricht, liefern wir den Guten einfach dort ab." Ferlan wartete, bis Aredh wieder sicher auf seinen Füßen stand. "Wenigstens hat die Blutung an seinem Kopf nachgelassen." An der Scheune angekommen, in der die Heu- und Futtervorräte für die Tiere lagerten, stieß Aredh mit seinem Fuß das Tor auf und trat mit Ferlan und ihrer Fracht ein. Sie warfen Tyrna gleich neben den Eingang in einen Haufen Heu, versicherten sich, dass er auch nicht allzu sehr im Kalten lag, und verschwanden dann wieder. Ferlan drückte das Tor der Scheune halb zu und wandte sich dann an Aredh, der neben ihm stand. "Geschafft", sagte Aredh grinsend und nickte zur Scheune. Ferlan lächelte schief. "Zum Glück." Er rückte seine Kleidung zurecht und legte Aredh einen Arm auf die Schultern. "Zeit, zum gehen." "Einverstanden!" Aredh ließ Ferlan stehen und marschierte Richtung Dorfausgang. "Ich meinte mich!" rief Ferlan hinter seinem Freund her. Als Aredh nicht auf sein Gesagtes einging, rannte Ferlan dem Verschwindenden nach. "Das weiß ich doch", sagte Aredh, als Ferlan neben ihm ankam. "Ich wollte nur noch ein Stück weit mitkommen." * * * * * "Wieso warst du überhaupt noch hier im Wald?" Aredh sah zu Ferlan, als sie auf ihrem alten Aussichtspunkt am Rande des Tals saßen. Ferlan zuckte mit den Schultern. Warum eigentlich? Weil er hier über zwanzig Jahre gelebt hatte? Weil alles, was er hatte noch immer hier war? "Schon gut. Wahrscheinlich wäre ich auch nicht weiter gegangen", Aredh klopfte Ferlan verständnisvoll auf den Arm. "Dass Tyrna allerdings so schnell keinen Frieden gibt, war abzusehen, aber dass er dafür auch einen Verwandten töten würde..." murmelte Aredh bestürzt. "Ich habe schon so viele verschiedene Seiten von Tyrna kennen gelernt, dass es mich irgendwie nicht verwunderte, als er im Wald auftauchte." Aredh nickte zustimmend. "Und jetzt bringst du denjenigen, der dich von hier vertrieben hatte und sogar töten wollte, zurück, wo du eigentlich hingehörst. Hier, wo deine Familie ist, deine Freunde... Und jetzt, wo Tyrna wieder in der Siedlung ist, gehst du wohl endgültig, oder?" Prüfend sah Ferlan seinen Freund an. Worauf wollte Aredh hinaus? Aredh wich Ferlans Blicken aus und rupfte konzentriert die Grashalme neben sich aus. "Danke, Aredh, dass du immer bei mir warst, wenn es nötig war", begann Ferlan das Gespräch. "Und das war sehr oft der Fall", fügte er hinzu, als er sich an Tyrnas Bevormundungsversuche der vergangenen Jahre erinnerte. Aredh wand sein Gesicht dem Redenden zu, schwieg aber auch weiterhin. Ferlan biss sich auf die Unterlippe. Gerne hätte er Aredhs stummes Angebot, ihn zu begleiten, angenommen, aber es wäre nicht fair. Weder den anderen im Dorf gegenüber, denen er so viel Leid beschert hatte, noch Alinor und dem Großen Rat, die das Urteil gerecht gefällt hatten. Und am wenigsten wäre es Enree gegenüber gerecht, der auf die Hilfe seines Sohnes nicht verzichten konnte - körperlich und auch seelisch würde es der alte kranke Mann niemals verkraften, seinen Sohn nicht in seiner Nähe zu wissen. Aredh senkte seinen Kopf. Beim Anblick des gepackten Bündels mit dem Essen und den anderen Sachen, das sie mittlerweile aus dem Versteck geholt hatten, wurde ihm wieder einmal bewusst, dass der Abschied für eine längere Zeit sein könnte. Dass er seinen Freund, den er schon aus Kindertagen kannte, nun endlich loslassen musste. Für immer, im schlimmsten Fall... "Wir sehen uns bestimmt irgendwann wieder", sagte Ferlan, als hätte er die Gedanken seines Freundes gelesen. Ermutigend stieß er Aredh den Ellbogen in die Seite und versuchte ein Lächeln. "Bis es aber soweit ist, ist dein Platz hier bei Enree und Cal." Aredh nickte schweigend. Ein letztes Mal noch beobachteten Aredh und Ferlan gemeinsam, wie sich der Himmel rosa zu färben begann. So vielen Morgendämmerungen hatten sie schon von hier aus beigewohnt, sich unterhalten, gelacht und auch schon des Öfteren geweint. Selbst wenn sich ihre Wege nun trennen würden, die Erinnerung an all diese Erlebnisse konnte ihnen niemand nehmen. Aredh atmete tief ein und erhob sich von seinem Platz. Er wartete bis Ferlan ebenfalls aufstand und schloss ihn in die Arme. "Ich bin froh, dass ich zweimal die Gelegenheit hatte, dir auf Wiedersehen zu sagen", sagte Aredh. Er packte Ferlan an den Schultern und betrachtete sich ihn ganz genau - versuchte sich alles einzuprägen und nie mehr zu vergessen. Ferlan nickte. "Deinen eigenen ganz persönlichen Abschied war ich dir noch schuldig. Du bist immerhin mein bester Freund." Bevor die Situation noch schlimmer wurde, ließ Aredh Ferlan los, winkte ihm endgültig ein letztes Mal zu und trat auf den Waldrand zu. Stumm stand Ferlan nach Aredhs Verschwinden da und sah weiter zu, wie der Morgen hereinbrach, aber seine Augen sahen ins Nichts. Sie registrierten nicht mehr die Schönheit des Waldes. Seine Ohren waren taub für den Gesang der Vögel. Alles, was er wahrnahm, waren Bäume, ein endlos weiter Himmel und eine alles verzehrende Einsamkeit, die sein zukünftiger Begleiter sein würde. Wehmütig blickte Ferlan zurück zu den Spitzen der Bäume, die seine Siedlung umgaben. So schmerzhaft wie gestern, war es nicht mehr. Das Erlebnis mit Tyrna in der vergangenen Nacht, hatte ihm den Abschied leichter gemacht. Im Wald hatte er eine Chance zu überleben - Hier, unter den Augen so Vieler, die ihm den Tod wünschten, nicht... Ferlan blickte hinauf zum Himmel. Weiter östlich, wo die Wolkendecke im Morgengrauen nun bereits golden schimmerte, zogen ein paar Falken ihre Kreise. Mit einem leisen Seufzen schulterte Ferlan die Decke, in die er seine wenigen Habseligkeiten eingewickelt hatte und machte sich auf den Weg Richtung Osten - in seine neue Heimat. ~ * Ende - Kapitel 7 * ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)