Der letzte Drache von Karen_Kasumi ================================================================================ Kapitel 10: Gut und Böse ------------------------ Die Tage, die er an Korells Seite verbrachte, schienen schnell zu vergehen, obwohl sie eigentlich eintönig waren und fast immer denselben Ablauf aufwiesen. Auch das Wetter änderte sich nicht wirklich nennenswert. An manchen Tagen zogen, von einem unsichtbaren schnellen Wind getrieben, ein paar Wolken eilig über sie hinweg, aber nie begann es zu regnen oder zu schneien. Lediglich die Nächte konnten inzwischen empfindlich kühl werden. Aber dies machte allen wenig aus, denn im Vergleich zu der Überquerung der Namuren war es immer noch recht warm, fand Yelin. Nach einer guten Woche war es endlich so weit, dass Korell stark genug war, um reisen zu können. Schon in den letzten Tagen war er ein paar Mal probehalber aufgestanden und nicht wie zuvor in tiefem Schlaf gelegen. Sie verbachten viel Zeit damit, miteinander zu reden. Doch nie wurden ihre Gespräche so tief, wie es sich Yelin gewünscht hätte. Er wusste zwar, dass sie viel, viel Zeit füreinander brauchen würden, doch jeden Tag wurde die Wunde in seinem Herzen tiefer und tiefer, wenn sie fast bewusst jedes Thema mieden, das mit dem Inneren des anderen zu tun hatte. An dem Morgen, an dem sie weiterreisen wollten, wurde Yelin zum ersten Mal wieder wirklich bewusst, dass sie Gefangene waren. Natürlich war auch tief in seinem Inneren nie auch nur der leiseste Zweifel daran aufgetaucht, doch Gefangenschaft war für ihn bisher immer etwas anderes gewesen als dies hier. Erst, als man sie auf die Pferde der Gefallenen setzte und ihnen, als sie auf ihrem Rücken saßen, wieder die Hände zusammen band, brannte sich die Erkenntnis wieder schmerzhaft in seinen Geist. Lorphyr hatte natürlich recht, wenn er dies tat und sie noch dazu genau in der Mitte des Zuges reiten ließ, von wo aus ein Entkommen fast unmöglich war. Auch er selbst hätte an seiner Stelle gewiss nicht anders gehandelt. Aber nun konnte er sich der Gewissheit nicht mehr entziehen, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie auf die Feste gebracht werden würden. Und endlich erblickte er auch Thame und Physales wieder. Der kleine Gúdo war noch immer hinter dem Glas gefangen und baumelte von der Packtasche des Anführers. Thame hingegen schien genauso wie sie gefesselt worden zu sein, ritt aber sehr viel weiter vorne, so dass eine Verständigung nahezu unmöglich war. Allerdings hatten sie noch immer Zeit genug dazu gefunden, erleichterte Blicke auszutauschen, dass es dem anderen gut ging. Genauso wie sie schien auch die Alte mit dem Nötigsten versorgt worden zu sein. An diesem Tag ritten sie noch nicht die gesamte Zeit. Schon zum späten Nachmittag hin stellte sich nämlich heraus, dass Korell es nicht schaffen würde, sich bis in die Abendstunden noch anständig im Sattel zu halten. Doch auch so waren alle überrascht, dass er es so lange durchhalten konnte. Alle hatten insgeheim damit gerechnet, dass sie zum Mittag schon wieder hätten Halt machen müssen. Yelin wusste natürlich, was für diesen erstaunlichen Schub an Kraft verantwortlich war: Es war schlicht und einfach die Tatsache, dass Korell wieder auf einem Pferd saß. So wie damals schien er auch jetzt fast aufzublühen, als er das sanfte Fell des Tieres berührte. Er liebte Pferde über alles und allein die bloße Nähe des Tieres schien ihm noch zusätzliche Kraft zu verleihen. Natürlich entging auch dieses Detail nicht den wachsamen Augen von Lorphyr. Doch er sagte, ganz wie es seine Art zu sein schien, kein Wort dazu. Erst am späten Nachmittag, als sie erneut Halt machten und ihr Lager aufschlugen, bat er Yelin mit einer Handbewegung, zu sich zu kommen. Dieser hatte selbstverständlich registriert, dass man ihnen die Fesseln auch jetzt nicht abnahm und in ausreichender Ferne zu Thame und Physales ihren Schlafplatz herrichtete. Mit leisen Zögern folgte er dem hochgewachsenen Elb durch das dämmrige Lager. An einem kleinen Feuer an seinem Rande ließ er sich nieder und hieß Yelin, es ihm gleich zu tun. Dieser kam seiner Aufforderung mit einiger Verspätung nach und setzte sich ihm gegenüber nahe an die brennenden Scheite heran, damit sie auch ihm etwas von ihrer Wärme abgaben. Schweigend aßen sie etwas, um den Hunger in ihren Mägen zu stillen. Er fragte sich vergeblich, warum Lorphyr ihn her gebeten hatte. Seit dem Gespräch, nachdem er ihn zu Korell geführt hatte, hatten sie nicht mehr viel miteinander zu tun gehabt. Dennoch war ihm natürlich nicht entgangen, dass der Grauhaarige ihm von Zeit zu Zeit nachdenkliche Blicke zugeworfen hatte. Doch im Grunde hatte er nicht weiter über ihn nachgedacht - höchstens noch über die Worte, die sie miteinander gewechselt hatten. Diese jedoch hatten ihn tiefer bewegt, als er selbst zugeben wollte. Schweigend starrte er auf Lorphyr, der vor ihm saß und blicklos ins Feuer sah. Yelin wusste nicht, was er dort sah, doch sein Gesichtsausdruck verriet, dass es nicht unbedingt besonders positiver Natur war. Endlich durchbrach er seine Erinnerung und sah zu ihm auf. In seinen Augen spiegelte sich noch immer der Schrecken vergangener Tage. "Manchmal überfallen sie einen einfach so." meinte er plötzlich leise. "Die Erinnerungen. Du stehst oder sitzt irgendwo und auf einmal taucht es alles vor deinen Augen wieder auf...du möchtest dich abwenden und kannst es nicht. Sie ist wie ein Fieber, dass sich immer weiter in dich hinein frisst und für das es keine Heilung gibt." Erstaunt sah Yelin auf. Diese Worte gehörten definitiv nicht zu dem, womit er gerechnet hatte. Fast schon ungewollt sah er wieder die elfenbeinernen Krallen aufblitzen und das Blut....Blut, silbern wie der Schatten des Mondes. Doch was hatte Lorphyr erlebt? Zu gerne wünschte sich Yelin nun die Fähigkeit Physales', die Gedanken anderer lesen zu können. Doch als er die Verletztheit erkannte, die in seinen Worten gelegen hatte, da war er sich nicht so sicher, ob er auch noch dies ertragen hätte. "Weißt du, warum wir Elben euch Menschen so sehr gehasst haben und auch teilweise noch heute hassen?" fragte sein Gegenüber unvermittelt. Als Yelin andeutungsweise den Kopf schüttelte, fuhr er fort: "Damals, als die Menschen und Elben noch friedlich und in Freundschaft zusammen lebten, gab es viele magische Wesen auf dieser Welt. Unendlich mehr, als du es dir auch nur vorstellen kannst. In dieser Zeit waren sie für alle so selbstverständlich wie die Waffe, die du sonst immer bei dir trägst. Das klingt jetzt alles wie eine dieser schrecklich kitschigen Geschichten aus den Alten Zeiten, wo eh noch alles besser war. Natürlich war die Welt damals nicht frei von Krieg und Streit, Sorge und Kummer, so wie du vielleicht jetzt meinst. Das Schlechte in menschlich aussehenden Wesen findet immer einen Weg sich ausdrücken, dies gehört zu unserem Wesen. Aber es entspricht vielleicht eher der Wahrheit, wenn ich sage, dass die Grausamkeit noch nicht so sehr Einzug gehalten hatte wie es heutzutage der Fall ist. Jedenfalls bemerkten wir Elben nach einer gewissen Zeit, wie wenig die Menschen sich noch um die Wesen zu kümmern schienen, die in ihrer Nähe wohnten. Sie begannen mehr und mehr, für sich zu leben und die Natur nach ihren eigenen Interessen umzuformen und zu verwenden. Wir merkten es daran, dass immer weniger magische Wesen in der Nähe der Menschen lebten. Sie verschwanden nach und nach, fast unmerklich, so dass es kaum jemanden auffiel. Die Menschenkinder waren vielleicht die einzigen, die es wirklich mitbekamen. Doch aus Kindern werden Erwachsene und in gleichem Maße wie ihre Fantasie schwindet, so schrumpft auch ihr Bewusstsein für die Wesen dieser Welt. Wir Elben zogen daraus auch den Schluss, uns mehr und mehr von unseren Freunden zu entfremden, bis wir uns schließlich in fast völliger Isolation zurück gezogen hatten. Du hast es vielleicht bemerkt, als ihr den Weg in diese Richtung beschritten habt: Je näher ihr unserem Reich gekommen seid, desto mehr Magie ist euch begegnet, nicht wahr? Sie haben sich mit uns zurück gezogen, diese Wesen. Auch sie hatten diese Entwicklung erst voller Trauer, dann voller Zorn beobachtet. Aber schließlich sahen sie keinen anderen Weg..." Yelin musste an den Palyn und den Weißen Dämon denken, denen sie begegnet waren. Er wusste nicht warum, aber mit einem Mal fühlte er sich schrecklich schuldig. "Aber warum.....warum habt ihr es nicht einfach dabei belassen? Warum musstet ihr unbedingt versuchen, uns zu vernichten?" Lorphyr lächelte ein Lächeln, das keines war. Dann nahm er einen kleinen Stock in die Hand und stocherte damit gedankenverloren in dem Feuer herum, während er weiter erzählte. "Weißt du, was mir als Kind einmal passiert ist? Ich liebte es damals schon immer, bei den Älteren mit zu reiten und dann alleine im Alten Wald zu spielen. Ich war ungeheuer fasziniert von ihm und seiner unglaublichen Größe und Schönheit. Die Gúdo und Sylphiden liebten es immer, mich zu necken und mit mir zu spielen. Als ich eines Tages wieder einmal zu ihnen gehen wollte, hörte ich lautes Wehklagen und rannte zu der Stelle, woher diese schrecklichen Geräusche kamen. Es war eine kleine Lichtung - diejenige, auf der ich bis jetzt immer am liebsten gespielt hatte. Und weißt du, was ich dort sah? " seine Stimme zitterte sanft, als ihn die Erinnerung wieder einholte. "Es war eine Dryade. Eine wunderschön anzusehende, zeitlose Dryade. Doch als ich näher herantrat, erkannte ich, dass sie nicht mehr lebte. Ich weiß nur noch, dass ich leise zu Weinen anfing, als mir klar wurde, was geschehen war. Die Sylphiden erzählten mir, dass sie von sehr weit her gekommen wäre. Dort, wo sie einst gelebt hatte, war sie der Geist eines wunderschönen, uralten Baumes gewesen, der schon viele Zeitalter miterlebt hatte. Er hatte zusammen mit anderen seines Stammes einen kleinen Wald gebildet. Doch eines Tages wären die Menschen erschienen und hätten einen nach dem anderen von ihnen abgeholzt. Du weißt sicherlich, dass die Dryaden sterben, wenn sie erst einmal so sehr mit ihrem Baum verbunden sind wie diese hier und sie dann einfach getötet werden. Hätten die Menschen nicht so gedankenlos gehandelt und Bäume gefällt, die noch nicht so alt waren, so hätte sich der entsprechende Baumgeist vielleicht noch eine neue Pflanze suchen können ohne an seinem Tode zugrunde zu gehen. Diese Dryade war die einzige gewesen, die den langen Weg hierher geschafft hatte. Warum sie unbedingt dorthin wollte, wusste mir keiner von ihnen zu sagen... Weißt du, in diesem Moment habe ich euch wirklich gehasst. Euch und eure Ignoranz, euer ganzes, seelenloses Streben nach euch selbst und eurem höchsten Wohl! Diese Erfahrung war der Grund, warum ich kämpfen wollte, anstatt einer der Bewahrer zu werden. Die Bewahrer sind diejenigen bei uns, die sich um die Wesen kümmern und versuchen, sie zu schützen...doch damals habe ich einen alles verzehrenden Hass gespürt, eine brennende Wut. Da konnte ich auch verstehen, was meine Vorfahren dazu trieb, euch alle auslöschen zu wollen....wenn du dieses Feuer in dir trägst, dann ist dir nichts mehr heilig." Lange schwiegen sie nach dieser Erzählung. Yelin vermeint auf einmal, jenen schrecklichen Schmerz zu spüren, der seinen jungen Gegenüber von her zerfraß. Doch... "Aber dies kann nicht die Lösung sein." flüsterte er leise. "Das kann es nicht. Ich kann schlicht nicht glauben, dass es keinen anderen Weg geben soll. Einen Weg, der allen von uns das Leben lässt, der Magie, den Menschen, den Elben. Warum gibt es keinen Weg des Friedens? Sag mir, warum?" er ballte die Fäuste und hätte ihn beinahe angeschrieen. "Weil wir verdammt sind. Es liegt in unserer Natur, deiner wie meiner, Kriege zu führen, zu kämpfen, zu töten - zu vernichten. Wir können nicht anders, weil wir so geboren wurden. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es ja auch komplett falsch, dass wir versuchen, die schwindende Magie noch irgendwie hier festzuhalten. Vielleicht ist sie zum Untergang bestimmt und ihr wie auch unser Zeitalter geht zu Ende. Doch wegen einem bin ich mir sicher...dass, was wir tun, ist genau so wenig richtig wie das, was ihr tut. Aber ich glaube nicht, dass es jemals einen Weg geben wird, bei dem alle glücklich werden. Das kann es gar nicht geben. " Seine Stimme versiegte immer mehr, bis er die letzten Worte gesprochen hatte. Mit Tränen in den Augen nickte Yelin. Er wusste genau, was Lorphyr meinte. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass sie beide sich im Grunde ihres Herzens sehr, sehr ähnlich waren. "Aber warum erzählst du mir das alles?" Wieder lächelte der Elb vor ihm und dieses Mal schien es so etwas wie ein ehrliches Lächeln zu sein. "Ich bin mir nicht sicher. Aber als ich deinen Namen hörte, da wusste ich, dass vielleicht du mich verstehen würdest...ich habe nicht ohne Grund damals nach deinem Namen gefragt. Wie gesagt, beinahe wäre ich ein Bewahrer geworden. Dies lag allerdings nicht nur an meiner Liebe zu anderen Wesen, sondern auch an der seltenen Gabe, den Sinn ihrer Worte verstehen zu können. Und die Vögel des Alten Waldes erzählten mir von deinem Kampf mit dem Drachen und wie du ihn schließlich töten musstest. Sie wussten mir auch von deinem Besuch bei der Yonami zu berichten und eurer Reise bis in diesen kleinen Wald. Eigentlich hätte ich euch auch an dem Ausläufer der Namuren auflauern können, als ihr aus dem Tal gekommen seid.....aber irgendetwas hielt mich davon ab, dies zu tun. Vielleicht war es das pure Interesse, zu sehen, wie weit ihr kommt....vielleicht war es Mitleid mit dir und deinem Schicksal, vielleicht auch nur bloße Neugierde, wer du wohl sein mochtest." Wieder eine von vielen erstaunlichen Offenbarungen, die Yelin heute erhielt. Und sein Gefühl sagte ihm, dass die bisherigen lange nicht die einzigen bleiben würden..... "Du weißt also von meinem Kampf mit dem Drachen?" murmelte er. Er hasste es, wenn an dieser Wunde gerührt wurde. Aber seltsamerweise schien der Schmerz ein wenig abzuklingen, als er darüber sprach. Er fühlte sich ein wenig verräterisch für solche Gefühle. Normalerweise hätte Korell derjenige sein müssen, mit dem er diese Erlebnisse das erste Mal teilte. Doch jetzt, wo er einmal damit angefangen hatte, davon zu reden, konnte er auch nicht mehr aufhören. Und so wartete er gerade einmal das sanfte Nicken von Lorphyr ab, ehe er auch schon begann, zu erzählen. Eigentlich wollte er es gar nicht, doch sogar die Worte der Prophezeiung Yonamis flossen von seinen Lippen, als hätten sie schon die ganze Zeit darauf gewartet, ausgesprochen zu werden. Nachdem er seine eigene Erzählung beendet hatte, war es schon tiefe Nacht geworden und die meisten anderen Elben hatten sich schon längst schlafen gelegt. Doch sie blieben noch immer sitzen, sahen in die samtige Nacht hinaus und träumten von vergangenen Tagen, die in alle ihrer Pracht wohl nie wieder kehren würden. Erst nach langer Zeit hob wieder einer von ihnen zu sprechen an. Diesmal war es Lorphyr. "Danke." sagte er einfach nur. "Danke, dass du mir dies alles erzählt hast. Ich weiß, wie unglaublich schwer es ist, über solche Erfahrungen schlicht und einfach nur zu sprechen......" seine Augen verdüsterten sich ein wenig und Yelin erkannte, dass auch er etwas ähnlich einschneidendes erlebt haben musste. Und das noch außer dem Erlebnis mit der Dryade. Doch er beherrschte sich und drängte den jungen Elb ihm gegenüber nicht mit Fragen. Stattdessen meinte er zu ihm: "Lorphyr...eines verstehe ich noch nicht. Ich weiß nun, was für eine Wut ihr gegen die Menschen hegt, aber...warum habt ihr das Korell angetan? Warum habt ihr ihm diese schrecklichen Wunden zugefügt, die ihn noch heute plagen?" Diese Frage hatte ihm schon die ganze Zeit mehr oder weniger auf der Zunge gebrannt und nun endlich stellte er sie. Wieder sah sein Gegenüber lange ins Feuer bevor er ihm antwortete. Und dieses Mal schwangen auch leise Schuldgefühle in seiner Stimme mit. "Du kennst noch nicht einmal die ganze Geschichte, Yelin. Shantora...aber nein, fangen wir von vorne an. Du erinnerst dich sicher, vor sieben Jahren wurde er zu uns auf die Burg gebracht, als Gefangener. Dort haben sie ihn fast ein ganzes Jahr lang in den Kerker gesperrt und gefoltert. Die Wunden hast ja gesehen, wie ich denke....." Oh ja, Yelin konnte sich leider nur noch allzu gut an die vielen Striemen erinnern, die den Körper seines Freundes über und über bedeckten. Er wusste, dass er diesen Anblick wahrscheinlich nie wieder würde vergessen können. Lorphyr verstand seine stumme Bitte und fuhr fort zu erzählen. "Seine Schreie ließen mich nachts nicht schlafen. Ich konnte nicht verstehen, wie man jemand anderem so etwas antun konnte. Damals war ich noch ein recht junger, unerfahrener Soldat, hatte in keiner Schlacht gekämpft und noch nicht gesehen, was Elben und Menschen einander antun konnten. Manchmal verfolgen mich diese schrecklichen Schreie noch in der Nacht und lassen mich wieder schweißgebadet erwachen. Ich weiß nicht, was sie alles mit ihm gemacht haben, aber es muss wirklich schrecklich gewesen sein. Doch ich war nicht der einzige, der so dachte. Ich kenne viele meiner Kameraden, die genauso dachten wie ich und auch noch immer unter den Geräuschen leiden, die sie von unten vernommen haben. Nach fast einem Jahr aber war es plötzlich vorbei. Ich erfuhr von einem Freund, was geschehen war: Korells Peiniger hatte ihn so systematisch zerstört, dass er nun der Meinung war, dass er nie wieder normal würde leben können. Die Narben, die er auf seinem Körper hinterlassen hat, sind sehr tief. Aber noch grausamer sind mit Sicherheit die, die sich auf seiner Seele befinden. Und so gaben sie ihm seinen Bogen zurück, Kleidung, Essen und ließen ihn gehen. Einfach so, von heute auf morgen. Ich weiß nicht, wie er das hat überleben können, ohne daran zu zerbrechen, doch irgendwie muss er es geschafft haben. Und du kannst die sicherlich denken, wer derjenige war, der sich für seine Qual verantwortlich zeigte..." Yelin nickte nur stumm. Gleichzeitig verspürte er immer größeres Erschrecken und ein Mitgefühl mit Korell, was tiefer ging als alles anderes bisher gespürte. Doch daneben wuchs auch etwas andere in ihm heran: ein unstillbare, verzehrender Hass auf den Mann, der ihm all dies angetan hatte. Aber er versuchte, seiner Wut Einhalt zu gebieten und zwang sich, Lorphyrs Ausführungen weiterhin ruhig zu folgen. "Der Schwarze Krieger." Die Art, wie der Elb den Namen aussprach, ließ in ihnen beiden die selbe Ansicht entstehen: Hoch aufgerichtet, mit wehenden weißen Haaren, in eine schwarze Rüstung gehüllt, sein schlankes Schwert in der Hand und den alles durchdringenden Blick aus seinen stahlblauen Augen, der einen innerlich zu Eis erstarren ließ. Wie um dieses klirrende Bild zu verscheuchen, fuhr er fort: "Obwohl man es nicht meinen möchte, hat auch er eine eigene, traurige Geschichte. Man sagt, er sei mittlerweile über sechzig Jahre alt, doch in seiner frühen Jugend war er so ganz anders als in den heutigen Tagen. Ich habe mit einigen der Älteren gesprochen, die schon hunderte von Jahren vorbeiziehen sahen. Sie erzählten, dass er mir damals sehr geähnelt habe, in seiner Liebe zu Natur und der eigentlichen Freude, die er an allen Dingen empfand. Schon früh erkannte man jedoch auch sein außergewöhnliches Talent für den Schwertkampf. Es stand zwar fest, dass er keiner der Sanuki sein konnte, doch die Tatsache, dass in ihm ein wahrer Meister in dieser Sache heran wuchs, bezweifelte niemand. Eigentlich hätte es wie eine Geschichte aus den alten Märchen werden können: Er verlobte sich schon bald mit einer jungen Elbin, die er über alles liebte. Keiner weiß mehr ihren Namen oder aber man vermeidet es nun, ihn auszusprechen. Man weiß nur noch so viel, dass sie statt ihm die Sanuki war, die uns geboren wurde. Bald waren die beiden die einzigen, die sich noch miteinander messen konnten ohne sich bei diesen Duellen ernsthaft zu verletzten..... Nachdem sie schon mehrere Jahre verheiratet waren, kam es wieder einmal zu einer großen Schlacht mit euch Menschen. Doch sie wussten dieses Mal aus irgendeinem Grunde, dass eine Sanuki mitkämpfen würde. Und so kam es dann auch, dass sie sich alle darauf konzentrierten, sie zu töten...Selbst eine Sanuki kann nicht ewig überleben, wenn sie von ihrem Heer abgeschnitten, in die Enge getrieben und dort feige mit Pfeilen beschossen wird. Es wird auch gesagt, dass der Schwarze Krieger alles mit ansehen musste. Er stand dabei, kämpfte darum, zu ihr zu gelangen und musste hilflos erblicken, wie man sein Herz vernichtete. Einige Quellen meinen melodramatisch, sie wäre in seinen Armen gestorben, aber ich glaube, sie war schon tot, als er sie endlich berühren konnte. Es heißt, dass in diesem Moment nicht nur sie starb. Auch er begrub zur gleichen Zeit all seine Gefühle, seine menschlichen Regungen unter einem Panzer von Trauer, Verzweiflung und vernichtendem Hass. Alles, was er bisher empfunden hatte, wandelte er über seinen unglaublichen Verlust um in dem Durst nach Rache und einer Grausamkeit, die noch bis heute seinesgleichen sucht. Ich glaube, als er euch beide damals sah, da erkannte er die tiefe Bindung, die zwischen euch bestand und der seinigen zu seiner ehemaligen Frau von ihrer Stärke her so sehr ähnelte. Er fühlte wohl gleichzeitig Neid und das dringende Bedürfnis, sich endlich gebührend für seinen erlittenen Schmerz zu rächen. Und da er genau wusste, dass er dir somit am meisten weh tun würde, wenn er deinen Freund nicht tötete, sondern systematisch zerstörte, war ihm klar, was er zu tun hatte. Deswegen tötete er dich nicht.....er sah wohl tief in sich, wie ähnlich ihr beide euch eigentlich im Grunde eures Herzens ward. Und somit war es seine größte Freude, dich und ihn gleichzeitig leiden zu sehen. Er hätte euer beider Glück nicht ertragen, denke ich. Im Grunde genommen ist er nichts weiter als ein bemitleidenswertes Wesen, dass sich hinter seine Mauer aus Selbsthass, Zweifel und dem verlorenen Glauben an eine gerechte Welt selbst vergraben hat." Diese Geschichte berührte Yelin tiefer, als er selbst zugeben wollte. Auch er erkannte ungewollt die Parallelen, die zwischen ihnen existierten und war gleichzeitig voller Angst, was aus ihm werden könnte, wenn er Korell endgültig verlor. Nein, er wollte sich nicht in solch ein...solch ein Ungeheuer verwandeln, auch wenn er verstand, wie es dazu gekommen war. "Aber das kann doch nicht der richtige Weg sein. Ich verstehe ihn sehr gut, vielleicht sogar noch besser als ich es jetzt im Moment weiß. Doch ich bin sicher, dass diese ausufernde, rücksichtslose Gewalt nicht das sein kann, was diesen Konflikt erfolgreich zu Ende führt!" meinte er schließlich. "Nein, du hast recht. Gewalt kann letztendlich nie das Mittel sein. Selbst dann nicht, wenn sie ursprünglich nur Frieden erzeugen will. Aber es ist der Weg, den er gewählt hat. Und ich denke nicht, dass er imstande ist, jetzt auch nur einen einzigen Schritt davon abzuweichen...." Ja, da hatte er vermutlich recht. Beschritt man auch nur einmal diesen verhängnisvollen Pfad des Hasses, so konnte man ihn nur schwerlich wieder verlassen. Dies galt sowohl für Menschen als auch für die Elben. Er hoffte nur, dass dies auch irgendwann von jenen eingesehen wurde, die sich schon längst auf ihm befanden.....Irgendetwas sagte ihm, dass die ganze Geschichte noch nicht zu Ende war, sondern erst noch ihren schrecklichen Höhepunkt erreichen würde. Nun war er der Antwort auf die Frage, was Korell gleichzeitig gerettet wie in noch tieferes Verderben gestürzt hatte, so nahe wie nie zuvor. Lorphyr schien zu wissen, was Yelin nun von ihm erwartete, denn er schloss kurz die Augen und verbarg sein Gesicht in den Händen. Das, was er nun erzählen musste, hatte er noch niemals zuvor irgendjemandem anvertraut. Aber wie auch Yelin zuvor, hatte er das Gefühl, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, seine schmerzvollen Erfahrungen zu teilen. Und so begann er erst stockend, doch dann immer flüssiger damit, das letzte Kapitel der Geschichte aufzuschlagen und vor Yelin auszubreiten. "Ich habe vorhin angesprochen, dass ich nicht verstand, wie Korell dies überleben konnte. Doch das stimmte nicht so ganz. Es ist zwar nicht bekannt, wie lange es dauerte, bis er sie fand, doch dass er schließlich bei ihr war, ist unbestritten. Sie...das war Shantora. Ich erinnere mich an sie. Sie ging aus der Verbindung eines Menschenmannes mit einer elbischen Frau hervor. Ihr Vater und ihre Mutter waren immer auf der Flucht, nie sicher vor den Vertretern ihrer Stämme, die sie beide mit Verachtung straften und verfolgten. Und so lehrten diese sie schon von Kindesbeinen an den Umgang mit Waffen wie Schwertern, Dolch und Bogen. Aber sie schärften ihr ein, dass sie diese nur benutzen dürfte, um ihr Leben zu verteidigen, niemals um das anderer vorsätzlich auszulöschen. Sie befolgte diesen Vorsatz treu und auch als man ihre Eltern schließlich fand und tötete, benutzte sie ihr Schwert nicht dazu, um Rache zu üben. Stattdessen zog sie sich zurück an die Stelle, an der die kleine Bergkette im Norden des Alten Waldes an das Ufer des Meeres mündete. Dort lebte sie und erstaunlicherweise wurde sie sowohl von den Menschen als auch von den Elben in Frieden gelassen. Vielleicht hatten sie Respekt vor ihr oder aber fürchteten sich vor einer Frau, die aus solch einer Bindung hervor gegangen und mit solchen Fähigkeiten gesegnet worden war. Ich bin mir nicht sicher, wer von beiden wen als erstes fand: Aber es ist sicher, dass sie diejenige war, die Korell dabei half, die Wunden auf seiner Seele ein wenig zu heilen. Ihre Beziehung mit dem Wort "Liebe" zu beschreiben, erscheint mir bei weitem zu wenig, nach dem, was ich gesehen habe. Es war eher eine tiefgreifende Verbindung, die zwischen ihnen bestand, eine Seelenverwandtschaft, deren Intensität mit Worten nicht zu beschreiben ist. Vielleicht hätte Korell dort glücklich werden können und vielleicht hätte er auch vergessen können, was geschehen war. Aber dann...über fünf Jahre lebten sie gemeinsam dort oben. Doch dem Schwarzen Krieger flüsterte ein Vogel zu, was ihnen widerfahren war und so machte er sich auf den Weg, die glückliche Gemeinschaft dort oben aufzuspüren. Ich denke, dass es im Grunde derselbe Grund wie zuvor war, der ihn dazu antrieb dies zu tun. Er wollte Korell zerstören. Und als er erkannte, welche Erfüllung er wieder hatte finden können, da erwachte in ihm der grimmige Wunsch, ihm zu zeigen, was man ihm angetan hatte, ihm gleiches mit gleichem zu vergelten, wenn du so willst. Und so machte er sich eines Nachts auf den Weg, allein und ohne Begleitung, seine Schritte von Vergeltung gelenkt und in seinem Kopf nur die leisen Worte des kleinen Sperlings, der ihm sagte, wo sie zu finden waren." Lorphyr machte eine kleine Pause und schien wieder in Erinnerungen zu versinken. Doch Yelin wagte es nicht, ihn zu fragen, was dann geschehen sein mochte. Er konnte es sich leider nur allzu gut ausmalen und wollte den Elben vor ihm nicht durch unnötige Fragen unterbrechen. "Das, was darauf folgte, werde ich immer verwünschen. Als man am nächsten Morgen sein Verschwinden entdeckte, schickte man nach mir und der kleinen Einheit, deren Hauptmann ich gerade vor ein paar Wochen geworden war. Man sagte uns, dass man nicht wüsste, wohin der Schwarze Krieger gegangen sei, doch genau so wie ihm erzählten auch mir die Vögel von dem, was sie sahen. Und so erfuhr ich welche Richtung er eingeschlagen hatte. Ich wusste es damals noch nicht, doch ich traf eine der verhängnisvollsten Entscheidungen meines Lebens, als ich mich freiwillig mit meinen Leuten dazu anbot, ihn zu suchen, beziehungsweise hinterher zu eilen. Aber wir kamen zu spät. Irgendwie war mir das ab dem Moment klar, wo ich die Sonne in blutroten Schlieren am Horizont untergehen sah...ich trieb sie an und wahrscheinlich war ich nie in meinem Leben schneller zu Pferde unterwegs als in dieser Nacht. Doch am nächsten Morgen...nie werde ich diesen Anblick vergessen." Wieder schwieg er und Yelin sah, wie sich seine Augen verdüsterten, als er sich das, was er gesehen hatte noch einmal Stück für Stück in seiner grausamen Deutlichkeit ins Gedächtnis rief. "Es war tiefer Winter, als es geschah. Die Bäume waren kahl und standen schwarz und leer auf der verschneiten Fläche. Das Meer trieb in dunklen, rauen Wellen ans Land und schuf so ein Grollen, dass aus den Tiefen der Erde selbst zu kommen schien. Die Berge schienen hohnlachend auf mich hinunter zu blicken, als ich mir immer langsamer werdend und in Vorahnung des Schreckens, der mich dort erwarten würde, meinen Weg zu der kleinen Hütte bahnte, die sich sanft an einen Felsen zu schmiegen schien. Er musste sie überrascht haben - vielleicht war er wie der Weiße Dämon höchstpersönlich aus dem Schnee gekommen, um Verderben über sie zu bringen. Wären wir nur ein wenig schneller gewesen...hätte ich nur geahnt, was passieren würde. Sie hatte sich noch wehren können, so viel war klar. Weißt du, wie rotes Blut aussieht, wenn es auf weißen Schnee trifft und die letzten Strahlen des Mondes es sanft zum Erleuchten bringen? Es scheint nicht mehr rot, sondern von einem tiefen Schwarz und silbrig glänzend zu sein. Sie hatte noch kämpfen können - ich verfolgte die Spuren ihres Kampfes bis unter die leeren Äste der Bäume, die sich selbst wie in schwarzer Trauer bis über den Boden zu neigen schienen. Letztendlich hatte sie jedoch keine Chance gegen ihn gehabt. Dieser Blick...ich werde ihn noch heute nicht los. Ihr schwarzes Haar...vermischt mit dem weißen Schnee. Dazu ihr rotes Gewand, dessen Farbe sich nicht von der ihres dunklen Blutes unterschied, dass sie von allen Seiten umgab. Ihr Blick war starr und schien mich vorwurfsvoll anzusehen, wie ich das hatte zulassen können. Die Finger umklammerten noch immer den Griff ihres Schwertes, klamm und steif gefroren von dem kalten Schnee, der ihr das letzte Ruhelager bereitete. Ich habe nie wieder etwas gesehen, das von so unendlich trauriger Schönheit war. Ich fühlte mich schuldig - ich weiß nicht, wie lange ich neben ihrem Leichnam kniete und leise weinte, sie besinnungslos anschrie, dass es nicht meine Schuld war und verzweifelt versuchte, ihren Blick zu vergessen. Aber das ist mir bis heute nicht gelungen. Oft genug, wenn ich die Augen schließe, erscheint sie mir wieder und verfolgt mich..." hier brach seine Stimme endgültig und Yelin konnte sehen, wie seine Hände zitterten. Als er den Kopf hob, sah er es in seinen Augenwinkeln leise und feucht schimmern. Die letzten Worte von Lorphyr erinnerten ihn nur zu deutlich an das, was er selbst hatte erleben müssen. Dieses Blut....die silbrige Klinge von Norai und das Blut, das alles bedeckte. Oh ja, wenn er die Augen zumachte, dann konnte auch er es wieder sehen, so deutlich als sei es erst gestern gewesen. Lorphyr sah ihn lange an. Schließlich erhob er sich leise und ging in die erstarkende Dunkelheit hinein, die sie nun von allen Seiten umgab. Doch schon nach wenigen Augenblicken kehrte er wieder zurück - und obwohl er es in ein Tuch gewickelt trug, sah Yelin an dem mattschwarzen Glanz, dass er Norai auf seinen Armen hielt. Erstaunt wollte er eine entsprechende Frage stellen, doch etwas an Lorphyrs Verhalten sagte ihm, dass er es nicht nötig hatte. Schweigend kniete sich der Elb neben ihm nieder und zog seinen Dolch aus seinem Gürtel. "Streck die Hände aus!" forderte er sanft. Yelin gehorchte und schon ein paar Augenblicke später fielen die Reste seine Fesseln durchtrennt zu Boden. Noch immer erstaunt und mit zitternden Händen nahm er Norai entgegen, als es ihm wortlos entgegen gestreckt wurde. Dann ließ sich Lorphyr wieder ihm gegenüber nieder und sah ihm tief in die Augen. "Wenn du willst, so kannst du jetzt gehen." flüsterte er mit leiser, jedoch nachdrücklicher Stimme. "Hiermit bist du frei, ebenso wie deine drei Freunde." Doch Yelin rührte sich nicht vom Fleck. "Warum tust du das?" fragte er ihn und schob zögernd die Klinge seiner Waffe wieder zurück, wo sie eigentlich hingehörte. Es tat gut, ihr Gewicht wieder an seiner Seite zu spüren. Doch er hatte nicht vor, jetzt so einfach zu gehen. "Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht liegt es daran, dass ich in dir so viel von mir selbst wieder erkenne. Deine verzweifelte Suche nach dem Sinn, dein Streben nach Erlösung - du bist so, wie ich auch einst war. Noch voller Hoffnung und Mut, etwas verändern zu können. Vielleicht gelingt dir ja, was ich so lange vergebens versucht habe. Ich hoffe es so sehr. Denn ich mache mir keine Illusionen darüber, was mit mir geschehen wird, sobald man von der ganzen Sache hier erfährt. Und ich bin mir ebenfalls sicher, dass ich es nicht ertragen könnte, noch einmal diese schrecklichen Schreie zu vernehmen, die mir damals den Schlaf raubten. Es ist so vieles, was ich in euch sehe - Idealismus, Verzweiflung, Freundschaft und Hoffnung. Ihr könnt es schaffen. Ihr werdet es schaffen, da bin ich mir sicher. Yelin, nimm dein Schwert, nimm deine Freunde und geht eures Weges!" Der ehemalige Prinz war in diesem Moment vielleicht derjenige, der am besten ermessen konnte, wie schwer es dem Elb fiel, diese Worte zu sagen. Und dennoch konnte er dieses unglaubliche Geschenk nicht einfach annehmen. "Nein." sagte er sanft, aber sehr bestimmt. "Ich weiß, dass ich dich nicht im Stich lassen werde. Genau so wenig, wie ich es bei Physales, Thame oder Korell tun würde. Verstehst du nicht? Dadurch, dass du mir dein ganzes Selbst anvertraut hast, dadurch, dass du dich mir bis ins Innerste offenbart hast, haben wir gemeinsam etwas geschaffen, was uns aneinander bindet. Und ich bin nicht gewillt, dieses Band einfach durchzuschneiden, mein Freund." Mit diesen Worten erhob er sich und schritt mit leisen Schritten zurück zu seinem Lager, um sich behutsam neben Korell auf der Decke nieder zu strecken. Sein Freund schlief schon lange den tiefen Schlaf der Erschöpften und atmete tief und regelmäßig. Auch Yelin kam wieder Erwarten bald zur Ruhe. Die Informationen, die er in diesen wenigen Stunden heute Abend empfangen hatte, waren vielleicht zu viel gewesen. Doch er wusste, dass der Sturm, den sie auslösen würden, mit Sicherheit erst noch kommen würde. Um dafür gewappnet zu sein, würde ihm der Schlaf mit Sicherheit erst einmal sehr gut tun. Der nächste Morgen kam schnell und nach Yelins Empfindungen viel zu eilig. Er hatte das schlechte Gefühl, in dieser Nacht kaum mehr als ein paar Stunden geschlafen zu haben, was durchaus auch der Wahrheit entsprechen konnte. Doch nicht einmal seine Träume hatten sich als besonders erholsam erwiesen...... Das erste, was er bemerkte, war die absolute Stille, die um sie herum herrschte. Sonst waren immer ein paar Elben schon wach gewesen und wie aufgescheuchte Insekten um sie herum gerannt. Doch heute schien alles ungewöhnlich ruhig. Als er die Augen aufschlug, erkannte er auch den Grund für das Ganze: Der Platz um sie herum war leer. Bis auf die Gestalten von Physales, Thame, Korell und Lorphyr waren alle anderen verschwunden. Diese vier saßen hingegen neben einem kleinen Feuer und verspeisten allem Anschein nach ihr Frühstück. Noch immer recht verblüfft erhob sich Yelin und tastete mit der Hand nach Norai. Tatsächlich. Seine Waffe fand sich wirklich noch da, wo er sie gestern zurück gelassen hatte - nämlich genau in seinem Gürtel steckend. Langsam richtete er sich auf und ging gähnend zu den anderen hin, die ihm schon einen Platz zwischen sich frei gehalten hatten. Dort erfuhr er dann im Laufe des Frühstücksgespräches den Grund für die plötzliche Leere: Lorphyr hatte alle seine Männer fortgeschickt, ohne Begründung, sie nur einfach aus "seinen Diensten entlassen." Und warum das alles? Es war einfach: Er wollte sie zumindest ein Stück des Weges begleiten. Denn er kannte die Wege, die sie zur Grenze des Enuya-Reiches führten. Und was noch viel wichtiger war: er lieferte ihnen den wertvollen Hinweis, dass es nur eine einzige Brücke über den Lainen gab und diese wurde für gewöhnlich recht gut bewacht. Vielleicht konnte er ihnen ja dabei behilflich sein, sie zu überschreiten. Korell war der einzige, der sich nicht sehr erbaut von diesem Vorschlag zeigte. Nach dem, was er gestern Abend gehört hatte, konnte ihn Yelin auch sehr gut verstehen. Wenn er dasselbe erlebt hätte....eigentlich kam es fast einem Wunder gleich, dass sich sein Freund nicht einfach ein Schwert genommen und den Elb vor ihm getötet hatte. Doch dieser schien auch diese Möglichkeit vollkommen mit einkalkuliert zu haben. Vielleicht hatte er ja auch tief in seinem Inneren darauf gehofft, endlich von seinem eigenen Kummer erlöst zu werden. Als sie nach dem Frühstück ihre Sachen zusammen packten und sich anschließend auf die Pferde setzten, nahm Korell Yelin beiseite und sah ihn lange an. Schließlich meinte er: "Er hat es dir erzählt, nicht wahr? Er hat dir alles von Shantora erzählt. Woher hätte auch sonst sein Wandel kommen können......." Yelin konnte darauf nichts sagen. Das, was er in Korells Augen las, hätte die Welt dazu zwingen zu können, die Zeit anzuhalten. So beließ er es schlicht und einfach dabei, nur zu nicken. "Irgendwie wusste ich, dass du es einmal erfahren würdest.....vielleicht ist es ja auch gut so. Aber als ich sie damals so liegen sah....ihre Haut war blass, fast durchsichtig kam sie mir vor. Ich zerbrach. In diesem Moment zerbrach mit ihrem Leben alles, was mir je etwas bedeutet hatte. Und ich schwor nur noch, Rache zu nehmen für das, was man mir angetan hatte...erinnerst du dich an den Weißen Dämon? Für mich sah er aus wie sie. Ihr Haar, ihr Gewand...ihre sanften Hände, die leicht mein Gesicht umfassten und ihr Mund, der mir die Wunden zart aus der Seele küsste. Gott, Yelin! Könnte ich das beschreiben, was die Quintessenz der Liebe ist, so würde ich ihr ihren Namen geben. Ich habe mir länger Vorwürfe gemacht, als ich denken kann. Wieso musste ich ausgerechnet an jenem Tag fort gehen? Warum kam ich erst wieder, als es schon lange viel zu spät war? Warum, warum, warum. Tausend Fragen und keine Antwort darauf. Ich wünschte, du würdest sie für mich finden können...." Doch Yelin sagte nichts darauf. Er schwieg einfach und starrte in die Ferne. Doch in Wirklichkeit war er ganz woanders, an einem Ort, der nur ihm und seinen Gedanken gehörte. Jetzt wusste er also endlich, was die ganze Zeit zwischen ihnen gestanden hatte. Noch nach ihrem Tod hinderte Shantora ihn daran, Yelin ebenfalls wieder so tief in seinem Herzen aufzunehmen, wie er es vormals getan hatte. Und der Vorfall mit dem Weißen Dämon hatte ihm gezeigt, für wen sich sein Freund im Zweifelsfall entschieden hätte. Diese Erkenntnis traf ihn tiefer als alles andere, was er zuvor erfahren hatte. Denn gleichzeitig damit wusste, dass er keine Chance haben würde, seinen Platz wieder zurück zu erobern...... Knapp vier Wochen waren sie unterwegs durch die dürre Graslandschaft der Ebene. Sie sprachen wenig, doch ritten dafür um so mehr. Eine der wenigen Sachen, die sie erfuhren, war, dass auch Thames Name eine Bedeutung hatte, genau so wie die ihren: Lorphyr verriet ihnen augenzwinkernd, dass er für das Wort "Geheimnis" stand. Gar nicht einmal so unpassend, das mussten Korell und Yelin dann auch zugeben. Der Elb schien wesentlich mehr über die alte Frau zu wissen als sie, doch nie ließ er mehr als Andeutungen aus sich heraus bringen, die sie nicht zu deuten vermochten. Das Wetter veränderte sich kaum auf ihren Weg nach Nordwesten. Sie wurden nun lediglich öfter von einem plötzlichen Regenguss überrascht und die Temperaturen fielen fast unmerklich, aber stetig nach unten. Ein paar Mal schneite es sogar, jedoch ohne dass das weiße Nass nennenswert liegen blieb. Ansonsten passierte nichts, bis sie schließlich nach einer weiteren Woche auch an dem See und den Bergen vorbei waren und in der Ferne schon das helle Band des Lainen glitzern sehen konnten. Auf ihrem ganzen Weg waren sie keiner weiteren Patrouille begegnet und Yelin hoffte, dass dies auch für den Rest ihrer Reise noch so weiter gehen würde. Korell vermied es indes noch immer, mehr als das Nötigste mit Lorphyr zu reden, aber selbst Yelin konnte spüren, wie das Herz seines Freundes langsam begriff, dass der andere zwar nicht ebenso stark, aber dennoch oft genug an dem Ereignis mit Shantora litt wie er. Dass er so etwas wie Sympathie für ihn entwickelte, war etwas zu übertrieben, um es zu behaupten, aber immerhin schwand langsam der unversöhnliche Hass, den man am Anfang noch vermeintlich mit den Händen hatte greifen können. Die Landschaft wurde während ihrem langen Ritt immer rauer und sie bemerkten es jetzt ganz deutlich, dass sie sich immer weiter nach Norden bewegten. Die Vegetation wurde karger, der Boden härter und immer öfter konnte Yelin jetzt Spuren von den magischen Wesen der Kälte wie den Schneefeen erkennen. Manchmal vermeinten sie sogar, ihr leises Kichern zu hören. Physales hatte sich inzwischen wieder zurück gezogen und versteckte sich wahlweise bei Thame, Korell, Yelin oder sogar ein manches Mal Lorphyr, mit dem auch er sich langsam anzufreunden schien. Endlich erreichten sie die Brücke, von welcher der Elb gesprochen hatte. Sie war recht breit uns spannte sich über die reißenden Fluten des Lainen, den sie tatsächlich niemals so hätten überqueren können. Aber die kurzfristige Erleichterung, die sie bei diesem Anblick überflutet hatte, hielt nicht sehr lange an. Genauer gesagt genau so lange, bis sie die drei Wächter sehen konnten, die ihr eines Ende bewachten. Auf der anderen Seite schienen komischerweise keine von ihnen postiert zu sein.....das machte ganz den Eindruck, als wolle man sich hier nicht gegen Eindringlinge schützen sondern eher die eigenen Leute an der Überquerung hindern. Aus den Erzählungen von Thame und Lorphyr wussten sie, dass sich hier quasi die Grenze zu den Enuya befand. Doch nicht einmal die Elben wagten es, einen Fuß auf ihr Territorium zu setzen. Ihr grauhaariger Führer wies sie mit einer raschen Handbewegung an, ihre Mäntel an- und sich ihre Kapuzen tief ins Gesicht zu ziehen, damit man sie nicht sofort erkannte. Dann setzte er sich an die Spitze der kleinen Gruppe und ritt ein wenig voraus, um die Wächter dazu zu überreden, sie passieren zu lassen. Mit angehaltenem Atem beobachteten sie, wie er sich ihnen nährte und reichlich gestikulierend mit ihnen zu reden begann. Offenbar schienen seine Bemühungen aber nicht sehr hilfreich zu sein, denn sie konnten mit sinkender Hoffnung beobachten, wie sich der Gesichtsausdruck der Elben immer weiter verdüsterte, je länger sie miteinander sprachen. Schließlich griff der eine von ihnen sogar drohend nach seiner Waffe, die in seinem Gürtel steckte. Korells Hand fuhr zu dem Griff seines Bogens, doch Yelin hielt sie auf und schüttelte warnend den Kopf. Wenn sie jetzt zogen, sanken ihre Chancen beträchtlich, unversehrt auf die andere Seite zu gelangen. Er zweifelte zwar nicht daran, dass es ihnen gelingen würde, die drei Elben vor ihnen zu überwältigen, aber er wollte keinerlei Risiko eingehen oder gar weiteres Blut vergießen. Außerdem konnten ihre Langbogen zu wirkungsvollen Waffen werden, wenn sie erst noch aus der Ferne heran geritten kamen. Das hätte die gleiche Auswirkungen auf sie wie eine Reihe von Rebhühner, die fein säuberlich in einer Reihe liefen uns sich somit alle leicht einzeln abschießen ließen. Doch schon hob Lorphyr beschwichtigend die Hände - und griff noch in derselben Bewegung nach seinem Schwert. Der erste Wächter wurde schon verwundet noch ehe er bemerkte, wie sich die Situation gewendet hatte. Dafür reagierten die anderen beiden umso schneller und schon bald war der Elb in ein heftiges Gefecht verwickelt, dass er unmöglich alleine gewinnen konnte. "Los!" rief Korell und packte seinen Freund am Arm. "Verstehst du denn nicht, was er uns sagen will? Er möchte, dass wie über die Brücke reiten, so lange er die Wächter beschäftigt!" Yelin starrte noch immer auf die unglaubliche Szenerie, die sich vor ihnen auftat. Erst langsam dämmerte es ihm, welch schmerzliche Bedeutung sich darauf erwuchs...Tatsächlich schien auch Lorphyr verzweifelt zu versuchen, ihnen zu sagen, dass sie vorbei ziehen sollten. Korell und Thame gaben ihren Reittieren bereits die Sporen, doch Yelin zögerte noch immer. Verzweifelt schrie er: "Aber er wird sterben, Korell! Verstehst du denn nicht? Er wird jetzt und an diesem Ort sterben! Wir können ihn doch nicht einfach so alleine lassen!" Korell hielt noch einmal mitten in seiner Bewegung inne und legte ihm zärtlich die Hand auf den Arm. "Yelin," meinte er sanft. "Dieses Mal bist du es, der nicht versteht. Lorphyr will sich für uns opfern! Für deine, für unsere Suche, Yelin! Wir sollten sein Geschenk nicht einfach wegwerfen, sondern dafür sorgen, dass sein Wunsch in Erfüllung geht. Bitte," flehte er ihn jetzt fast schon an. "Komm und reite mit uns!" Verzweifelt schloss Yelin die Augen und sah noch einmal zu der Gestalt, die inzwischen von zwei anderen in die Enge getrieben wurde. Ihr letzter, bittender Blick gab den Ausschlag und er presste seinem Pferd die Fersen so fest in die Flanken, dass es einen erschrockenen Satz nach vorne machte und dann losgaloppierte, quer über die Brücke und auf die andere Seite des Lainen. Thame war schon voraus geritten und dich hinter ihm folgte Korell, der es nicht minder eilig hatte, auf die andere Seite zu gelangen. Mitten im Galopp blickte Yelin noch ein aller letztes Mal hinter sich - und sah eben, wie die größere der beiden Gestalten endgültig unter den Hieben der anderen zu Boden ging. Lorphyr...mit einem letzten traurigen Blick nahm Yelin Abschied von einem Freund, bei dem ihm erst jetzt wirklich bewusst wurde, wie viel er ihm bedeutet hatte. Und Gut und Böse werden sich wandeln unter deinen Schritten...... Ganz kurz fühlte er etwas wie eine kurzen, unsichtbaren Hauch, der ihn zu streifen schien. Doch ebenso schnell, wie er gekommen zu sein schien, war es dann auch schon wieder vorbei und er war sich sicher, dass das, was sie eben gespürt hatten, nichts anderes als eine Art Grenze der Enuya darzustellen schien. Sie wussten, dass sie kamen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)