Mhamifeltia von Tricksy (7. Chap uploaded) ================================================================================ Kapitel 3: Ein vergangener Traum – Ein Traum von der Vergangenheit ------------------------------------------------------------------ Obwohl ich doch gerade erst einen ausgiebigen Schlaf hinter mir hatte, lullte mich diese heimische Aura des Tempels ein. Ich saß im Schneidersitz vor dem Teich, der das Standbild Mhamifeltias einkreiste, und blickte in das geweihte Wasser hinab; hin und wieder schwamm ein Rosenblatt durch meine Sicht. Meine Hände legten sich wieder aneinander, während ich tief einatmete und zur Statue hinauf blickte. Es waren jetzt fünf Tage verstrichen, seitdem es mich überrumpelt hatte, dass eine Prinzessin existierte. Tsuma selbst war ich in dieser Zeit jedoch nicht mehr begegnet, denn ich hatte meinen Pflichten nachzukommen, die noch immer darin bestanden, die Armee wieder kampftauglich zu machen. Trotz dieser Pflicht hatte ich es aber doch jeden morgen geschafft, eine Stunde in Mhamifeltias Tempel zu verbringen und zu beten. Und ich musste zugeben, dass es mich sehr entspannte und mit Hoffnung erfüllte. Doch diese war nicht mehr als ein ferner Lichtpunkt in dem dunklen Tunnel, durch den nicht nur ich wanderte. Mayanai… Wie einfach es doch für mich sein könnte, an bessere Zeiten zu glauben wenn sie hier wäre. Man hatte sie einfach nur ansehen müssen, um festzustellen, dass Gutes in der Welt existierte. Ein einziger Blick in ihre nachtblauen Augen hatte genügt. Beschämt bemerkte ich, dass ich lange nicht mehr an sie denken musste. Meine Augen wanderten wieder zum Teich hinab, doch dann drehte ich meinen Kopf weg. Ich wollte nicht unbedingt in das Gesicht eines Sünders blicken. Ja, ein Sünder. Was war schon Gutes daran, wenn man Mayanai auch nur für wenige Sekunden vergaß? Nach alledem was sie für uns getan hatte. Was sie für mich getan hatte. Seufzend erhob ich mich, sah ein letztes Mal zur Statue hinauf und verbeugte mich tief, bevor ich den Tempel verließ und in die schmerzliche Wirklichkeit zurückkehrte. „Es wurde noch ein Posten im Osten angegriffen“, sagte Hitoma, während er seine Arme auf den Tisch legte und abwechselnd zu Oota und mir sah. Das Licht des Vormittags drang durch die hohen Fenster in den Speisesaal hinein und ließ ihn aufflammen. Oota seufzte auf, schürzte die Lippen und sah mit gesenktem Blick die gedeckte Tafel entlang. Mir rang diese Information nur ein Schnauben ab. Hitoma, der links neben mir saß, klopfte mir auf die Schulter. „Es wurden bereits die ersten Truppen in die Höhen geschickt.“ Oota runzelte auf diese Worte die Stirn und beugte sich zu seinem Gegenüber vor. „Der König hat bisher nur Gruppen ausgesandt, die von einem Zerwin geführt werden. Wieso dieser plötzliche Stimmungswandel? Er hätte einen von uns losschicken können.“ Auch ich hatte bei dieser Bemerkung aufgehorcht. Soweit ich die Erfahrung gemacht hatte, zeigten Gruppen, die nicht unter der Führung der Zerwina agierten, viel schneller ihre Schwäche. Um die drohende Gefahr gleich im Keim zu ersticken, hätte er uns sechs einfach in den Osten schicken müssen. Meine Augen wanderten unweigerlich zum anderen Ende des Tisches, an dem wir Zerwina saßen. Dort sah ich, wie Rizu und Ginja, anscheinend mit großem Widerwillen, auch Susaro davon berichteten. „Wieso hat er uns nicht zum Rat einberufen?“, fragte ich und griff nach meinem Kelch. „Und wie kommt es, dass du davon erfahren hast?“ Oota bestärkte mich in meinen Fragen und wir beide blickten nun Hitoma erwartungsvoll an. Dieser lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte uns beide. „In früher Morgenröte ist ein Botschafter im Palast angekommen. Er wurde unverzüglich in den Thronsaal gerufen.“ Er machte eine Pause und nippte an seinem Nektar. „Ich habe gewartet, bis er wieder hinauskam und fragte ihn nach den Geschehnissen. Er meinte, es sei strengstens geheim. Als ihm allerdings klar wurde, dass ich ein Zerwin bin und normalerweise sowieso von allem unterrichtet geworden wäre, erzählte er es mir, und auch, was der König zu tun gedachte. Einundzwanzig Tote und wir hätten den Stützpunkt um ein Haar verloren.“ „Aber es fragt sich immer noch, warum wir nicht unterrichtet wurden“, wiederholte Oota meine Frage. Mit einem Mal fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich beugte mich beinahe hastig nach vorne. „Tsuma!“, wisperte ich und schlug mit meiner Faust auf das Ebenholz, sodass jegliches Silberbesteck in meiner Nähe erzitterte. Die beiden Zerwina sahen mich fragend an. „Sie soll nicht von alledem erfahren. Es wäre aufgefallen, hätte er uns wirklich zu sich rufen lassen, geschweige denn einen von uns von hier fort geschickt.“ „Wieso soll sie nicht?“, fragte Hitoma und hob die Augenbrauen. „Sie ist seine einzige Erbin. Das heißt, dass seine Herrschaft gefährdet ist, wenn sie von den Angriffen und der schlechten Bestellung um die Stadt erfährt.“ Oota schnaubte. „Das kann man nicht sehr lange verstecken… Und außerdem, woher wissen wir, ob die Prinzessin nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt ist?“ Ich schüttelte den Kopf, blickte eine Weile in meinen Kelch und lehnte mich wieder zurück. Meine Augen wanderten von Hitoma zu Oota. „Sie ist anders. Und man kann ihr in die beste Richtung verhelfen.“ „Woher willst du das wissen, Nirate?“ Ich legte meine Finger aneinander, sank ein wenig auf meinem Sessel zusammen, während ich mich an die Nacht erinnerte, in der die Prinzessin und ich auf die schattenhaften Schemen der Stadt geblickt hatten. Meine Mundwinkel zuckten. „Sie ist anders“, meinte ich ein weiteres Mal ohne eine Erklärung dazu abzugeben. Mit vor der Brust verschränkten Armen blickte ich bereits stundenlang in die Ferne. Die Sonne war gerade dabei, unterzugehen. Eigentlich wollte ich nur noch schlafen, mich in mein schönes, weiches Bett verkriechen. Immerhin hatten wir uns ohne Unterlass damit aufgehalten auch den letzten Teil unserer Armee wieder so herzurichten, dass sie im Ernstfall kämpfen konnten. Wegen dem neuen Angriff hatten wir sie sogar noch härter rangenommen. Ja, eigentlich wollte ich nur noch die Augen schließen und einschlafen, mich wenigstens für ein paar Stunden von unserer Situation lösen. Aber ganz tief in mir war etwas, was es mir verbieten wollte. Ich legte meinen Kopf an das Glas des großen Fensters vor dem ich stand; hinter mir knarrte ein Flügel der Eichentür, die in meine Gemächer führte. Mir zeigten sich Hitomas Umrisse, als ich sein Spiegelbild im Fenster sah. Schweigend blieb er neben mir stehen und blickte auf die Stadt, durch die gerade eine Gruppe von Sklaven getrieben wurde. Ich folgte seinen Augen und sah frustriert drein. „Sieh mal einer an. Das weckt ja Erinnerungen.“ Mein Flüstern wurde in der Stille, die in diesem Raum herrschte, erstickt. Hitoma beobachtete mich aus den Augenwinkeln, sagte aber nichts. Immerhin wusste er genau worauf ich anspielte. Ich lehnte mich mit der Schulter gegen das Glas und ließ den Sklavenzug nicht aus den Augen. „Neue Küchenjungen, Dienstmädchen, Stallburschen… wer weiß, vielleicht auch die ein oder andere Hure“, flüsterte ich weiter. Hitoma holte tief Luft, verschränkte seine Arme hinter dem Rücken. „Es ist noch nichts verloren“, sagte er trocken. „Noch nichts?“ Ich stemmte mich wieder von dem Fenster ab, ließ Sklavenzug, Sklavenzug sein. Nun musterte ich meinen Freund mit einem prüfenden Blick. „Mit ihr ging schon genug verloren.“ Er erwiderte meinen Blick und runzelte die Stirn, als er verstand. „Du willst aufgeben, weil Mayanai tot ist?“ Ich blickte wieder nach draußen und verzog grimmig den Mund. „Sie hat uns den Weg geebnet!“, zischte Hitoma mich an. „Ich habe nie etwas davon gesagt, dass ich aufgeben will!“, zischte ich zurück. Er holte wieder tief Luft und ich machte mich darauf gefasst, dass gleich ein Streit losbrechen würde. Doch er atmete wieder aus ohne dass ein Wort über seine Lippen kam. „Nirate, seit sie weg ist-“ Hitoma brach ab und schien zu denken, dass er bei dem, was er sagen wollte, lieber vorsichtig sein sollte, wenn er gedachte zu überleben. Er legte seinen Kopf leicht schief und musterte mich traurig. „Du bist sehr kalt geworden…“ Mit einem Schnauben wandte ich mich wieder dem Fenster zu. Die letzten Sonnenstrahlen flammten feuerrot über der Stadt auf und tauchten auch meine Gemächer in ein solches Licht. „Das wundert dich?“ „Sie würde es nicht so wollen.“ „Würde sie nicht, nein? Ich glaube, du hast sogar Recht.“ Ich blinzelte in das Licht hinein und meine Finger krallten sich in meine Arme. „Sie hatte es auch nicht gewollt, dass ich sterbe, richtig? Diesem Wunsch bin ich jetzt nachgekommen. Unfreiwillig. Ithel hat jemanden getötet, der viel mehr Wert für die Stadt hatte. Der viel mehr von ihrer Hoffnung in sich trug. Ich werde niemals so viel ausrichten können, wie Mayanai es getan hat. Ich weiß ganz genau, dass ich den Tod mehr verdiene, als sie es jemals getan hätte. Und dann soll ich noch lachen können, Hitoma?“ Meine Lippen begannen zu beben und ich hielt meine Tränen krampfhaft zurück. Ich sah Hitoma aus den Augenwinkeln an, bemerkte sein wutverzerrtes Gesicht. Er packte mich an der Schulter und riss mich herum, sodass wir uns genau gegenüber standen. Ich runzelte die Stirn, während er mich musterte. Dann hob er eine Hand und verpasste mir eine so starke Ohrfeige, dass mein Kopf auf die Seite flog. Erschrocken verharrte ich so und atmete heftig. „Wieso bist du nur so dumm?“, fragte er leise und mit bebender Stimme. „Wenn du so denkst, dann hast du den Tod vielleicht wirklich verdient.“ Ich bewegte mich nicht und schwieg, während er sich umdrehte und ging. Meine Wange brannte. Die Fenster ihrer Gemächer standen offen. Die Nacht trug einen seichten Wind hinein, der die weißen Vorhänge tanzen ließ. Das fahle Licht des Vollmondes und der Sterne bahnte sich seinen Weg zu ihrem Himmelbett und ließ das Weiß der Decken und Kissen aufblitzen. Ich konnte ihr Herz klopfen hören, während ich meine Arme um sie geschlungen hatte und mich an sie presste. „Morgen ist es soweit“, sagte sie. Ich atmete lange aus und hob meinen Kopf von ihrer Brust. „Ja“, kam es nur leise von mir. Mayanai blickte mich an und lächelte, strich mir über den Kopf. „Wir werden sie besiegen, Nirate. Und dann werden wir es schaffen, dass unsere Stadt neu erblüht. So wie Mhamifeltia es will.“ Ich erwiderte das Lächeln warm und musterte sie. Ihr schwarzes Haar verteilte sich gleichmäßig auf dem Kissen, auf welchem ihr Kopf ruhte. Die helle Haut leuchtete im Licht des Mondes, so sehr, dass man sie kaum von den Laken unterscheiden konnte. Ich ließ mich wieder auf sie herab sinken; ihre Arme schlangen sich um meinen Rücken. „Glaube mir“, flüsterte sie und küsste mich. Wohlig seufzend drückte ich mich fester an sie und erwiderte den Kuss. Als Mayanai sich wieder von mir löste, hob sie mein Kinn an und musterte mich. „Das was du so sehnlich suchst, ist bereits bei dir, Nirate“, sagte sie ernst und für einen kurzen Augenblick zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. „Du musst nur deine Augen aufmachen…“ Ich nickte stumm, wie ein kleines Kind, welches nicht zu merken schien, dass das, was Mayanai eben gesagt hatte, keinen wirklichen Sinn in der derzeitigen Situation ergab. Ich drehte mich immer wieder um mich selbst, das Blut, das mir von der Stirn ins Gesicht lief, verbat mir die Sicht. Mein Schwertarm hing schlaff hinunter, und so musste ich die Waffe in die andere Hand nehmen. Hinter mir ebbte ein eigenartiges Geräusch auf. Es klang wie das schrille Lachen mehrerer Hyänen; etwas begann in der Luft um mich zu kreisen. Schlagartig fühlte ich Schwere und Kälte, die mir in der Seele schmerzten. Ich keuchte atemlos und rannte los. Wusste nicht wohin. Ich musste Mayanai finden! Sie und Ithel mussten hier irgendwo sein! Mit einem von Schmerz verzerrtem Gesicht hob ich meinen verletzten Arm um mir das Blut aus dem Gesicht zu wischen. Grünliches Licht drang an meine Augen, das aus den schwarzen Marmorwänden glomm. Ich wagte es, einen Blick über die Schulter zu werfen. Hunderte von riesigen Schatten verfolgten mich. Die Angst packte mich. Ich begann größere Schritte zu nehmen und riss mich zusammen, nicht ohnmächtig vor Erschöpfung in mich zusammen zu sinken. Das schrille Lachen trieb mich in einen großen Raum, in dem ich zu Boden stürzte. Wie erstarrt blieb ich liegen und fühlte den Luftzug, den diese Geschöpfe hinterließen, während sie über mich hinweg stoben. Zitternd vor Anstrengung stemmte ich mich wieder auf meine Beine. „Nirate!“ Mein Kopf schnellte nach oben. Inmitten des Raumes standen Ithel und Mayanai. Wutentbrannt merkte ich, dass Ithel sie am Hals gepackt hatte und die Zerwin versuchte, sich loszumachen. Mit der letzten Kraft die ich aufbringen konnte, taumelte ich mit großen Schritten auf sie zu, wollte mein Schwert erheben. „Nein, Nirate! Nein!“, gurgelte Mayanai und sah mich flehend an. Dieser Blick durchfuhr mich wie ein Blitz. Nie hatte sie mich so angesehen. Nie hatte solch eine Verzweiflung aus ihr gesprochen. Die Schatten kamen zurück, das Hyänen-Lachen drang wieder scharf an meine Ohren. Sie umkreisten mich, schleuderten mich hart gegen eine der Wände und hielten mich daran fest. Sie schnellten immer wieder über mich hinweg, dass ich fast unter ihnen erstickte. Verschwommen beobachtete ich, wie Ithel Mayanai die Kehle immer fester zudrückte, sie schließlich mit voller Wucht gegen ihren Thron warf und mit erhobenem Stab auf sie zuging… „NEIN!“, brüllte ich, doch meine Stimme ging in dem erbarmungslosen und scheußlichen Lachen unter. „NEIN!“ „NEIN!“ Mit aufgerissenen Augen starrte ich auf die gegenüber liegende Wand und damit in den Spiegel, der diese zierte. Ich saß aufrecht im Bett, meine Hände krallten sich verkrampf in das Laken, das über mir lag. Mein ganzer Körper bebte. Zitternd strich ich mir den Angstschweiß von der Stirn, schloss die Augen und atmete tief durch. Ich konnte fühlen, wie sich einige Tränen meine Wangen hinunter arbeiteten. Meine Arme legten sich um meine angezogenen Beine. Die Sonne stand bereits am Himmel und schien fröhlich in den Raum; die Strahlen huschten als Lichtpunkte über den Boden oder trafen auf die Glasphiolen, die auf einer Kommode neben meinem Bett stand, wie auf Prismen, die sie in ihre Farben aufteilten, sodass ich blaue, grüne, rote und gelbe Punkte tanzen sah. Ich hatte noch nie von jenem Tag, an dem Mayanai verstorben war, träumen müssen. Auch nicht von jener Nacht, die wir zusammen verbracht hatten, bevor die Zerwina mit der Armee zu Ithels Sitz aufgebrochen waren. Nach einer Weile hörte mein Körper das Zittern auf, doch mein Inneres beruhigte sich nur langsam. Ich versuchte, den letzten Teil des Traumes zu verdrängen, denn er schmerzte mich fürchterlich. Lieber wollte ich mich an den Ersten entsinnen. Ich konnte mich noch sehr lebhaft an jedes Detail erinnern, und so ging ich alles mit geschlossenen Augen ein zweites Mal durch. Alles war in dieser Nacht genauso geschehen. Ich schlug meine Augen wieder auf und blickte mit weit geöffneten Augen in mein Spiegelbild. Fast alles. Was suchte ich? Ich wusste ganz genau, dass die letzten Worte damals nicht ihren Mund verlassen hatten. Warum also träumte ich es? „Was suche ich?“, fragte ich den Spiegel vor mir. „Ich weiß, dass ich mir den Frieden und das Wohlergehen des Volkes zurück wünsche, doch was genau suche ich?“ Doch er gab keine Antwort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)