Mhamifeltia von Tricksy (7. Chap uploaded) ================================================================================ Kapitel 1: Die verdorbene Rose ------------------------------ Eigentlich finde ich es nicht richtig, die Menschen nach ihren Schichten zu beurteilen. Ich finde es im Grunde genommen sogar sehr falsch. Aber da, wo ich lebe, lernt man es nicht anders. Und ich muss zugeben, dass diese Art der Meinungsbildung mich arg beeinträchtigt hat. Aber wer würde denn bitte anders denken, wenn er sich hier umsieht? Das Königshaus lässt sein Volk im Leid ersticken, Sklavenhandel wird betrieben und viel zu hohe Steuern eingetrieben. Es muss von oben herab ein sehr abstoßendes Bild sein: Der riesige, strahlendweiße Marmorpalast, ein Symbol für Reichtum, Ehre und hohes Geblüt, und schon beinahe direkt daneben fangen sie an: Die Armenviertel. Beinahe mit jedem Meter, der vom Palast fortführt, wird es dunkler und schmutziger. Kleine Häuschen, die aussehen, als wollten sie in sich zusammenstürzen verteilen sich immer weiter und weiter. Das Symbol? Armut, Niedertracht und die Menschen sind nicht mehr als lumpiges Gesindel. Ich hatte schon immer den Drang dazu gehabt, das alles zu verändern. Doch ich konnte nicht. Als eine Zerwin unterstand ich den Befehlen des Königs. Wenn auch sehr ungern, tat ich meine Pflichten, die mir auferlegt wurden. Jede Einzelne. „Wir müssen zum König, Nirate.“ Ich hob meinen Kopf von der riesigen, kühlenden Marmorsäule und löste meinen Blick von der Stadt, auf die ich hinunter gesehen hatte. Als ich mich umdrehte, stand mir ein Mann in einer schwarzen Lederrüstung – die Gleiche, wie ich sie auch trug – gegenüber. „Komm“, sagte er. Ich nickte nur und ging auf Hitoma zu. „Was will er?“, fragte ich seufzend und blickte von der Seite zu dem Zerwin auf. „Ich weiß es nicht“, antwortete er schulterzuckend. Ich nickte wieder. Vielleicht gab es wieder Probleme aus dem Norden. Ein paar Rebellen vielleicht, die wir beseitigen sollten. Wir verließen die Terrasse, die ein gigantisches Ausmaß hatte, und betraten das Hauptgebäude des Palastes. In ihm herrschte wie eh und je reges Treiben, nur wenigen fielen wir auf, deren strahlende Augen uns verfolgten solange es ihnen möglich war. Es gab nicht viele Zerwina, korrekt gesehen nur sechs. Deshalb sah man uns in diesem überdimensionalen Gebäude nur selten. Ich versuchte, die Blicke zu ignorieren, da ich es noch nie leiden mochte, angestarrt zu werden. Hitoma schienen sie nicht zu stören. Wir redeten kein Wort, schlängelten uns gute zehn Minuten durch etliche Gänge, wichen Dienstmädchen, Boten und Edelleuten aus und betraten schließlich den Gang, der in den Thronsaal führte. Er war völlig leer, bis auf die Wachen, die sich alle paar Meter an den Seiten postierten. Die Decke war dreifach so hoch, wie in den anderen Räumen und gewölbt. Der Boden bestand hier aus purem Marmor und war mit keinem Teppich überzogen, weshalb wir hörten, wie unsere Schritte hallten und unsere langen Umhänge hinter uns herschleiften. Als wir an dem monströsen Tor angelangt waren, dass auf der andere Seite schon auf uns gelauert hatte, trat Hitoma vor und stieß einen der Flügel auf. Wir schlüpften durch die Öffnung, das Tor fiel wieder von alleine zu. Nun standen wir in einem Raum, dessen Decke noch weiter von uns entfernt war. An ihr herunter hing ein großer Kronleuchter, dessen Lichter jedoch noch nicht entzündet waren. An den Wänden hingen weitere Leuchter, der Boden war kahl wie im Gang, nur ein purpurner Teppich schlängelte sich vom Thron auf Hitoma und mich zu. Auf diesem saß der König, die Arme auf jeweils eine Lehne gelegt und leicht nach vorne gebeugt. Um seinen Sitz hatten sich in einem Halbkreis die anderen vier Zerwina versammelt. Ich war die einzige Frau unter ihnen. Hitoma und ich reihten uns zwischen ihnen ein. Der König lehnte sich wieder zurück und in der herrschenden Stille hörte man ihn ausatmen. „Nun, Susaro. Wie wir sehen hat es sich doch gelohnt, noch zu warten.“ Ich lugte nach rechts. Dort stand weiter außen ein Mann, dessen feuerrote Haare sich auf seine Schultern legten und einen Kranz um seine Halbglatze bildeten. Er war der älteste von uns, und auch der gemeinste. Ich hatte noch nie etwas von ihm gehalten, er war ein Widerling. Anders schien er allerdings auch nicht von mir zu denken, und deshalb wusste ich, dass er den König gedrängt haben musste, mit der Besprechung zu beginnen, damit mir sämtliche Information vorbehalten wurden. Susaro verzog grimmig den Mund. Ich schnaufte leise und wandte mein Gesicht wieder dem Thron zu. Stille herrschte. In die großen Fenster waren Mosaike eingearbeitet, die ein schummriges, blau-rosanes Licht im Saal verbreiteten. Die Lichtpunkte spielten auf dem Boden. „Ihr werdet euch sicherlich fragen, warum ihr hier seid.“ Keiner sagte ein Wort und der König fuhr fort: „Unsere Außenposten im Osten wurden attackiert. Die Späher haben noch nicht herausgefunden, von wem der Angriff ausging.“ Wieder erwiderte keiner etwas, doch jedem von uns war anzusehen, dass er sich seine Gedanken machte. „Ich möchte euch bitten, unsere Kampfeinheiten auf sehr gut mögliche Schlachten vorzubereiten. Wenn wir angegriffen werden sollten, dann sicherlich ebenfalls aus dem Osten. Das heißt, dass die Stadt als erstes darunter zu leiden hat.“ Natürlich. Als ob ihn das Leid kümmerte. „… möge Mhamifeltia euch beistehen!“, hallten die letzten Worte des Königs in meinen Ohren, als die Zerwina den Thronsaal verlassen hatten. Mhamifeltia. Das Königshaus wusste doch nicht einmal im Ansatz, was diese Göttin für die Menschheit zu bedeuten hatte. „Glaubst du, es ist Ithel?“ Ich sah von meinen Füßen hoch, die mich durch die Gänge trugen. „Hm?“ „Die Angriffe“, erläuterte Hitoma. Ich blickte ihn starr an und verzog den Mund. „Ich weiß es nicht. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass sie nicht von ihrem Wohnsitz gewichen ist, wir haben sie damals besiegt.“ „Du hast Recht, im Grunde genommen ein sehr aberwitziger Gedanke.“ Hitoma lachte frustriert auf. Die Sonne stand noch immer hoch am Himmel und warf ihre Strahlen tief in meine Gemächer, sodass auch der kleinste Winkel von Licht erfüllt war. Ich selbst saß auf dem breiten Bett, Blick und Hände im Schoß. Jetzt weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr so recht, was mich dazu verleitete, aber ich erhob mich rasch von einem Moment auf den anderen, verschränkte meine Arme im Rücken und schritt zu den Fenstern heran. Wie schon zuvor lagen meine Augen auf dieser kläglichen Stadt. Und einmal mehr fragte ich mich, womit sie das verdient hatten. Womit wir das verdient hatten. Eigentlich hätte der König persönliches Interesse daran haben müssen, dass es seinem Volk gut geht, selbst wenn es nur kriegsmäßig wäre. Wenn Feinde in die Stadt einfielen, konnte dies bedeuten, dass die Menschen sich ihnen anschlossen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben… Mein Blick verschwamm und ich begutachtete mein schwaches Spiegelbild in den Scheiben. Ich hatte meine schulterlangen Haare zusammengebunden und sie leuchteten violett. Vereinzelte Strähnen hingen mir vor die dunklen Augen. Ich hatte mich sehr gut gemacht, in den letzten Jahren. Von einem kleinen, armseligen Mädchen, hatte ich mich zu einer Person mit hohem Rang hinauf gekämpft. Alles nur, damit ich etwas bewegen konnte. Ich wurde Zerwin, um den Menschen zu helfen, doch nun war ich gezwungen, die Tyranneien des Königs auszuführen. Eroberungen, aussichtslose Schlachten, Mord und Totschlag. Damit unsere Stadt aufblühen kann, sagte er. Falls sie jemals eine Blüte gewesen war, dann ist sie schon seit etlicher Zeit verdorben. Ich wandte mich ab und verließ den Raum. Das Getümmel in den Gängen legte sich allmählich. Erhobenen Hauptes durchschritt ich sie in Richtung Tempel. Der einzige Ort, an dem mir Verständnis entgegengebracht wurde, an dem ich die Welt kennen lernte, wie sie sein sollte. Leise knarrend öffnete sich das Tor nach innen. Sofort wehte mir ein angenehmer, warmer Schwall von Weihrauch entgegen. Ich atmete den Duft tief ein und schloss das Tor hinter mir. Es fiel kaum Sonnenschein in den Tempel. Nur ganz weit oben, gab es vielleicht ein Dutzend winzige Fenster, durch die das Licht kaum in den Hauptgang drang. Vor mir tat sich eben dieser auf, zu beiden Seiten standen in etlichen Reihen riesige Säulen aus Jade, die den Tempel angenehm grün schimmern ließen. Überall verteilt standen monströse Kerzenständer, von denen warmes Licht ausging. Am anderen Ende stand die Abbildung Mhamifeltias, groß wie acht Mann, die Arme angewinkelt und beide Hände geöffnet. Ich atmete tief ein und ging auf sie zu. In der einen Hand lag eine Rose, sie sollte für Schönheit und Vergänglichkeit stehen, für das aufblühen des Königreichs und für dessen Wohlstand. In der anderen ruhte ein Stein, das Sandkorn, dass die Welt verändern konnte, da es ganz allein Waagen zu kippen vermochte. Das Zeichen für Hoffnung und Gerechtigkeit. Um die Statue herum befand sich ein Teich, der mit Rosenblättern bestückt war. Im Hintergrund hörte ich ein gleichmäßiges Gemurmel. Die Mönche meditierten. Ich schloss die Augen und seufzte. Ob Mhamifeltia einen König wie unseren derzeitigen gewollt hatte? Wie sollte das möglich sein? Hier herrschten weder Hoffnung noch Gerechtigkeit, die Stadt stand nicht einmal im Ansatz in Blüte und das einzige was hier in Wohlstand lebte, war der Palast. Meine Augen wanderten an der Statue hinauf. „Hast du uns im Stich gelassen?“, flüsterte ich. „Nein, sie wartet.“ Mir wurde an die Schulter gefasst, als ich mich umdrehte sah ich Ura, dem ältesten Mönch, in die Augen. Sein Kopf war kahl geschoren und er trug ein strahlend weißes Tuch, das um seinen Körper geschlungen war. Sein Gesicht war ein wenig eingefallen, doch seine Augen leuchteten. Damals hatte er mich die Religion Mhamifeltias gelehrt und ich hatte sehr viel Zeit hier verbracht. Ich verbeugte mich leicht und legte meine Hände aneinander. „Worauf wartet sie?“, fragte ich. Ura lächelte warm und blickte zur Statue. „Worauf weiß nur sie allein. Doch ich hoffe, die Zeit ist bald da. Erinnerst du dich an die Prophezeiung, Nirate?“ Ich nickte langsam und senkte die Augen. „ ‚Und wenn das Schaudern über das Land geht, so werde ich Rettung eilen lassen, auf das die verdorrte Rose wieder im rötestem Rot erstrahlt…’ Sie wird uns einen Erlöser schicken…“ Ura nickte mir lächelnd zu. „Aber-“ „Du bist noch sehr jung, mein Kind“, unterbrach er, „Ich habe wahrlich Tage erlebt, an denen die Sonne auf eine große und ruhmreiche Stadt blickte.“ Ich musterte den Mönch schweigend. „Es ist mir kaum vorstellbar.“ „Ja, selbst mir fällt es schwer mich daran zu entsinnen, wenn ich mich umsehe“, sagte Ura mit schwerfälligem Ton. „Doch ein Gesandter wird kommen und uns das Licht zurück bringen.“ „Dafür bete ich“, sagte ich lautlos. Ich verschränkte meine Arme hinter dem Rücken und sah in den Teich hinab. Ura tat es mir nach und blickte mich im Spiegelbild an. „Und es wird sich lohnen“, sagte er ermutigend und lächelte wieder. Ich erwiderte es und setzte zum Wort an, als sein Bild durch sanfte Wellen zu verschwimmen begann. Als ich aufblickte, war er fort. Ich blieb noch mehrere Stunden im Tempel, betete wirklich, dachte an all das Leid, dass hier zuging und wünschte es mir weg. Es musste sehr spät am Abend gewesen sein, als ich den Tempel wieder verließ. Soweit ich sehen konnte, war ich alleine auf den Gängen, durchquerte leergefegte Säle und stieg in völliger Stille Treppen empor. Dann drangen Stimmen an mein Ohr; sie waren nicht weit von mir entfernt. Während ich einen weiteren Gang entlang schritt, wurden sie lauter und ich hörte nun deutlich, dass es zwei waren und die eine von ihnen Susaro gehörte. Die andere einer Frau. Um die nächste Ecke gebogen, sah ich sie mitten auf dem Weg stehen. Susaro hielt sie am Arm gepackt, die Frau versuchte sehr offensichtlich, von ihm los zu kommen. Jähe Wut stieg in mir auf. „Lasst mich los! Sofort!“ Ich ging geradewegs auf sie zu und schien mit jedem Schritt schneller zu werden. Sie bemerkten mich erst gar nicht. „Wieso sollte ich das tun?“ „Weil du sonst meine Faust im Gesicht spürst, du dreckiger Bastard!“, maulte ich ihn an, befreite die Frau auf seinem Griff und stieß ihm meine Hand so heftig gegen seine Brust, dass er zwei Meter zurück taumelte. Als er sich gefangen hatte, schoss Susaro auf mich zu – die Frau versteckte sich instinktiv hinter meinem Rücken – und stoppte so dicht vor mir ab, dass sich beinahe unsere Nasenspitzen berührten. Bei dem Gedanken daran, packte mich Ekel, deshalb griff ich die Frau am Arm und ging einen großen Schritt zurück, während ich sie mitzog. Mir folgte sie sehr bereitwillig. Ich ließ sie wieder los und musterte Susaro abwertend. „Was willst du, Nirate?“, fuhr er mich an. Ich verzog nur den Mund. „Ich will, dass du augenblicklich verschwindest.“ Ich merkte, wie er zum Wort ansetzen wollte und kam ihm zuvor. „So etwas wie dich brauchen wir nicht bei den Zerwina. Was hier passiert ist, kann ich an das Ohr des Königs bringen, und dein Posten ist sofort Geschichte.“ Ich bluffte. Wieso bluffte ich? Dem König war es egal, wer sich hier an wem vergriff, und das wusste auch Susaro. Allerdings schien ihn mein abfälliger Ton doch eingeschüchtert zu haben und unter starkem Zögern und einem angewiderten Blick auf mich, machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand. Die Frau kam hinter mir hervor gekrochen und trat neben mich, während meine Augen starr dem Zerwin folgten, um sicherzugehen, dass er tatsächlich ging. „Vielen dank…“, meinte sie kleinlaut. Ich sah sie an und merkte, dass ich sie in den zwölf Jahren, die ich hier schon mein Dasein fristete, noch nie gesehen hatte. Ihre Kleidung half mir auch nicht sonderlich weiter. Ich konnte schwer sagen, ob sie dem unteren Adel angehörte, oder einfach ein ziemlich extravagant gekleidetes Dienstmädchen war. Ich nickte stumm. „Was wollte er von dir?“ Sie stutzte kurz und ein rötlicher Schimmer legte sich auf ihre Wangen. Ich verstand sofort, hatte eigentlich nichts anderes erwartet. „Ich denke, ich kann es mir zusammenreimen“, sagte ich und lächelte bitter. Sie nickte, erwiderte aber nichts. „Ich habe dich noch nie hier gesehen“, fuhr ich fort und lief los. Sie folgte mir. „Bist du ein neues Dienstmädchen?“ Sie blickte mich recht entgeistert an, öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Ich musterte sie fragend aus den Augenwinkeln. „Dienstmädchen?“, brachte sie dann vor und blieb wieder stehen. Ich muss zugeben, dass es ziemlich entsetzt geklungen hatte und ich dadurch verunsichert war, während ich ebenfalls anhielt. „Ich bin die Tochter des Königs!“ Es war, als hätte sich eine unsichtbare Wand zwischen uns gedrückt, denn ich prallte von ihr zurück, tat unwillkürlich einen Schritt fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)