Blind Dragon von Lethal (Das Auge des Orion) ================================================================================ Epilog: Epilog -------------- Jazz half uns, über Brüstung zurück auf’s Dach zu klettern. Sie zitterte leicht und ein riesiges Fragezeichen stand ihr auf die gerunzelte Stirn geschrieben, was zusammen mit dem freudigen Ausdruck in ihren Augen ziemlich komisch wirkte. „Alles okay?“ fragte sie vorsichtig. „So einigermaßen“, antwortete ich ein wenig unsicher und sah mich nach Ronga um. Er hockte nur wenige Meter von mir entfernt neben Lavande, die friedlich auf dem Boden lag. Ihre Haut hatte nun tiefe Furchen. Besonders die große Sorgenfalte zwischen ihren Augenbrauen fiel mir auf. Millimeterweise drehte sie den Kopf zu uns herum. Yasemin erwiderte ihren Blick mit unverklärtem Hass. „Schon gut“, beschwichtigte ich sie, obwohl ich selbst ähnlich empfand. „Ich denke, sie ist jetzt ungefährlich.“ Luv nickte wie zur Bestätigung. „Ich glaube, die beiden jungen Männer dort möchten gern wieder voneinander getrennt werden“, sagte sie zu Ronga. Er wandte sich seinerseits um. Als ich sein Gesicht sah, bildete sich ein dicker Kloß in meinem Hals. Zwar hatte er nur einige Lachfalten um Mund und Augen, die ihn eher wie 40 als hunderte Jahre alt aussehen ließen, doch das war für mich schon schlimm genug. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich begonnen hatte, diesen Kerl zu mögen. Nun ging er einfach mit ihr? Mit dem beschwingten Gang eines jungen Mannes trat er auf uns zu, stellte sich hinter Nick, genau zwischen seine Flügel, und machte dort einige komplizierte Handzeichen. Mit jeder seiner Bewegungen schien ein Stück meiner normalen Selbstwahrnehmung zu mir zurückzukehren. Nick seufzte erleichtert. „Und? War’s schlimm?“ fragte er mich schelmisch. „Ja!“ riefen Nick und ich einstimmig. „Warum muss denn das ausgerechnet so funktionieren?“ beschwerte er sich dann allein weiter. „Weil du nun einmal das Pech hattest, an einen Drachen zu geraten und nicht an einen Feuermagier. Und Drachen erzeugen das Feuer nun mal im...“ Er warf einen Blick auf Yasemin, die ihn interessiert ansah. „... Anfangsstadium auf diese Weise.“ „Kori?“ flötete sie. „Hast du ne Ahnung, was er damit meint?“ „Nein“, erwiderte ich etwas harscher als ich eigentlich wollte. Ronga lachte. „Der Stolz der halbwüchsigen Männer war schon immer ein Kapitel für sich.“ „Kannst du laut sagen“, pflichtete Jazz ihm bei. „Wenn ihr mich dann jetzt entschuldigen würdet...“ Er machte Anstalten, wieder zu Luv hinüber zu gehen. „Warte!“ warf ich ein. „Warum hast du... Ich meine... Warum kriegst du auch diese Falten?“ Wieder lachte er. „Na hör mal! Dafür, dass ich so alt bin, halte ich mich doch noch ganz gut.“ Dann plötzlich schlich sich ein trauriger Ausdruck in seine Züge. „Vanya ist unten. Ich habe sie aufspüren können. Würdest du ihr sagen, dass ich mich freue, sie lebend zu wissen?“ „Klar“, antwortete ich sehr leise. „Würdest du auch Rick etwas von mir ausrichten?“ Ich nickte nur, unfähig zu sprechen. „Dann sag ihm bitte, dass ich es bereue, ihn angelogen zu haben. Ich hatte...“ Er räusperte sich, weil seine Stimme ihm nicht recht gehorchen wollte. „... noch nie zuvor ein graues Haar. Und ebenso bereue ich, ihr damals die Treue bis in den Tod geschworen zu haben, so wie es bei uns Nachtwölfen üblich ist, wenn jemand einem von uns das Leben rettet. Mein Versprechen ereilt mich zu dem Zeitpunkt, da ich mein Leben am meisten genossen habe.“ „Werd’s ihm sagen“, krächzte ich heiser und wünschte mir nichts mehr, als ein paar tröstende Worte zu finden. „Danke“ war das einzige, das ich fand. Er lächelte, offenbar mit dieser Antwort zufrieden. „Ebenfalls“, gab er zurück. „Auf Wiedersehen... Irgendwann.“ „Ja, das klingt gut“, meinte ich. Ich wischte mir über die Augen, bevor ich es bemerken und verhindern konnte. „Auf Wiedersehen.“ Er kehrte zu Lavande zurück, neben die er sich setzte. „Es tut mir leid“, wisperte sie so rau und heiser, dass ich es kaum hörte. Ich lächelte befangen. „Vielleicht... verzeih ich’s dir irgendwann.“ „Lass dir Zeit“, meinte sie und lächelte zurück. Dann zerfielen beide mit einem Mal zu Asche. Der Wind, der hier oben wehte, trug sie davon, während Rongas Bannkreis verglühte und menschliches Leben in seinem Radius auftauchte. Ganz normale Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder wohin auch immer. Yasemin, Nick und ich bleiben noch eine ganze Weile reglos stehen, ohne ein Wort zu sagen. Jeder von uns hing seinen ganz eigenen Gedanken nach. Meine waren bei Ronga, Lavande und meiner neu gewonnen Freiheit. Ich war traurig und hatte Angst davor, Rick Rongas Nachricht überbringen zu müssen, doch gleichzeitig erfüllte mich unbändige Freude. Irgendwo weit hinten am Horizont erhob sich schläfrig die Sonne, unbekümmert von all den großen Dingen, die in ihrer Abwesenheit geschehen waren. Es war mein Magen, der die Stille brach, indem er lautstark knurrte. „Du sagst es!“ jubilierte Jazz. „Ich hab n Bärenhunger! Gehen wir frühstücken und ne Schnitte für Nick aufreißen!“ Sie packte mein Ohr und zog es zu sich in die Höhe. „Und du, mein werter Exfreund hast mir noch so einiges zu erklären über Engel, uralte Männer und feuerspeiende Drachen!“ Fassungslos schaute Nick zwischen uns hin und her. „Wie könnt ihr in so einer Situation nur ans Essen denken?“ wollte er wissen. „Sowas kann echt nur ein Magersüchtiger wie du fragen“, prustete ich. „Jazz, du blöde Schlampe! Lass mein Ohr los, verdammt!“ Erstaunlicherweise tat sie wie geheißen. „Erstaunlich, du Wurm. Du hast mal recht. Er ist echt dünn. Also stopfen wir ihn erst voll und suchen ihm dann ne Frau. Wer zuletzt unten ist, muss zahlen!“ Und schon rannte sie los. Nick wollte ihr nachlaufen, doch ich hielt ihn an der Schulter fest. „Danke für’s retten du sentimentales Arschloch.“ „Keine Sorge, kommt bestimmt nicht wieder vor. Und du zahlst das Essen“, versicherte er mir. Wir folgten Jazz ins Treppenhaus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)