Blind Dragon von Lethal (Das Auge des Orion) ================================================================================ Kapitel 28 ---------- Nick und ich kamen gerade rechtzeitig, um die silbergraue Wölfin vom Dach fallen zu sehen. „Darey Vanya. Sie kam, sah und stürzte“, witzelte Lavande. Sie hatte Yasemin in eine Ecke der Dachumgrenzung getrieben, wo diese mit weit aufgerissenen Augen saß, unfähig sich zu rühren. Ihr gegenüber kniete Lavande, hielt ihr den Zeigefinger an die Kehle. Es sah nicht bedrohlich aus, doch wie diverse Schnittwunden an ihrem Körper bestätigten, wusste Jazz es bereits besser. Mit der verbleibenden Hand strich Lavande ihr einige der grünen Haarsträhnen aus dem verschwitzten Gesicht, die sich aus dem Zopf gelöst hatten. Die Vertraulichkeit in dieser Handlung ließ in mir den Wunsch aufkommen, ihre Hand zu pulverisieren. Yasemin schien das ähnlich zu sehen. Sie zitterte, zuckte, wollte sich bewegen und freikämpfen, war jedoch wie gelähmt. Einzig und allein die vielen Krater auf dem Betonboden hier oben kündeten davon, dass es wenigstens anfangs Widerstand gegeben hatte... dass hier ein Kampf stattgefunden hatte, bis die Wölfin vom Dach geschleudert worden war. „Wie überaus dämlich von mir, zu denken du würdest dich vielleicht an ein Ultimatum halten, weil es dir jemand gestellt hat, den du mal mochtest“, höhnte ich, blieb aber an Ort und Stelle stehen. Ich hatte Angst vor dem, was sie Jazz antun würde, wenn ich mich näherte, ebenso wie ich das fürchtete, was sie sich ausdenken mochte, wenn ich einfach hier stehen blieb. Ich wusste nicht weiter. Langsam, als wäre sie zu vertieft, um sich schneller zu bewegen, drehte Lavande den Kopf zu mir herum, das gewohnt kalte Lächeln im Gesicht, das ich so an ihr hasste und doch so perfekt imitieren konnte, dass meine Mitmenschen es fürchteten. „Dumm, davon auszugehen, ich würde diese Promenadenmischung noch immer mögen, bloß weil er mich vielleicht gern hat, in der Tat. Aber ich dachte mir, wenn ich dich ein bisschen zappeln und hoffen lasse, wird es sicherlich am Ende interessanter werden, also habe ich eingewilligt. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass du deinen kleinen Minnesänger auch mitbringen würdest und dieser noch dazu anscheinend ein Teleporter ist. Wie niedlich. Dein Frauengeschmack“ – sie warf Jazz einen abschätzigen Blick zu – „ist reichlich sonderbar, doch in der Wahl deiner männlichen Freunde scheinst du geschickt zu sein.“ Nick ballte die Fäuste, warf mir einen fragenden Blick zu, kannte die Antwort jedoch schon. Ich würde ihm kaum erlauben, einfach auf sie loszugehen. Davon abgesehen wussten wir beide, dass das keinen Sinn haben würde. So klammerte ich mich vorerst an Rongas Plan, mit ihr zu verhandeln. „Nicht so geschickt wie im Beschaffen magischer Gegenstände mit Namen von Sternbildern“, gab ich zurück, den Kopf in Nicks Richtung neigend, in dessen Hand sich nach wie vor das Auge des Orion befand. Wie erwartet wurde ihr Lächeln noch eine Spur breiter. „Ja, du hast dir in der Tat einen Namen gemacht, wie ich den Medien entnehmen konnte. Amüsant, dass sie dich sogar bei deinem richtigen Namen nennen. Ronga spricht den Dialekt deines Urstammes. Er sagte mir, deine Eltern hätten dich „Schatten“ getauft.“ Ich sah, dass Yasemin die Lippen bewegen wollte, doch es war ihr schlicht unmöglich. Wütend biss ich die Zähne aufeinander. Hätte ich mit Sicherheit gewusst, dass ich es ohne weiteres konnte, ich hätte Lavande auf der Stelle umgebracht. Bei jedem anderen Menschen hätte ich Hemmungen gehabt – schließlich hatte ich so etwas wie ein Gewissen - doch nicht bei ihr. „Wer nennt sein Kind „Schatten“? Nicht gerade sehr liebevoll“, erkundigte sie sich im Plauderton. „Dort wo ich aufgewachsen bin“, entgegnete ich, ihren ruhigen Tonfall nachahmend, obwohl ich alles andere als ruhig war „gibt man den Kindern im Laufe ihres ersten Lebensjahres ihren Namen. Man wird nach dem Verhalten benannt. Meine Eltern haben mich „Schatten“ genannt, weil ich ständig weglief. Sie wollten damit erreichen, dass ich nicht mehr von ihrer Seite weiche. Wie ein Schatten eben.“ Ich nahm mir die Zeit für eine Kunstpause, ließ die Worte wirken, während Nick mich mit einer Mischung aus Unbehagen und Verständnislosigkeit beobachtete. Unbewusst machte er einen kleinen Schritt von mir weg. „Lass sie gehen, oder du lebst noch ein paar Jahrtausende. Auge des Orion hin oder her“, forderte ich und fand die Drohung beinahe lustig, drohte man anderen doch sonst mit dem Tod und nicht mit dem Leben. Da ihr Lächeln schon die größtmögliche Breite erreicht hatte, die ein Lächeln haben konnte, ohne dümmlich auszusehen, lachte Lavande auf. „Du siehst dich also immer noch in der Lage, Forderungen zu stellen“, säuselte sie mit einem Anflug von Nostalgie in der Stimme. „Ist das nun stur, oder dumm, oder beides? Oder hängst du vielleicht nicht an ihr?“ Langsam strich sie mit dem Fingernagel Yasemins Kehle entlang. Sie reagierte mit einem erstickten Laut, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Im gleichen Moment hörte ich das Klicken von Krallen auf dem Betonboden des Daches. Ronga. Als ich mich zu ihm umdrehte, war er bereits wieder menschlich und ziemlich außer Atem. „Du kommst spät, Darey-kun“, flötete Luv. „Früh genug wie es scheint, Darey-san“, keuchte Ronga. Sie hatten beide denselben Nachnamen, waren also tatsächlich vorübergehend ein Paar gewesen... waren es vielleicht immer noch. Wieder einmal fragte ich mich, auf welcher Seite dieser Kerl stand. Der Gedanke, dass Nick und ich den Beiden geradewegs in eine Falle gelaufen waren, indem wir das Auge des Orion geholt hatten, ließ mich leicht zittern. Wut. Angst. Ich konnte beim besten Willen nicht sagen, welche der beiden Empfindungen mich fester in ihrem Würgegriff hatte. Doch weiterhin machte ich gute Miene zum bösen Spiel. Das hier musste klappen. Egal wie, ich musste verhindern, dass alles wieder von vorn losging. Das Blut, die Schreie, die Schuldgefühle. Ich wollte nicht wieder durch diese Hölle gehen, die Luv mir gezeigt hatte. „Dein Schützling sagt, er möchte mich noch ein bisschen am Leben lassen, wenn ich seine Freundin umbringe. Ist das nicht verrückt? Ich frage mich, woher er die Idee hat, er könne mit mir verhandeln...“ fuhr sie fort und taxierte ihn mit vielsagendem Blick. „Mein schlechter Einfluss“, entschuldigte sich Ronga. „Es tut mir leid. Ich kann mich so schlecht in den wahnsinnigen Teil deines Wesens hineinversetzen. Da dachte ich allen Ernstes, ich könne dich ein wenig besänftigen. Stattdessen stößt du meine Jüngste in die Tiefe. Ganz wie es sich für jemanden geziemt, der den Bezug zum normalen Denken verloren hat.“ Der Verdacht, hier in eine Falle gelaufen zu sein, schmälerte sich gewaltig. Er hatte recht. Sie hatte eine seiner Verwandten auf dem Gewissen. Meine Menschenkenntnis ist wirklich sehr bescheiden, dachte ich sarkastisch. Rick traut ihm und der ist nicht gerade gesellig. Das hätte mich wenigstens aufmerken lassen müssen. In seinem Gesicht arbeitete es. Von dem beherrschten und doch aufgeschlossenen Lächeln, das er sonst wie selbstverständlich um die Mundwinkel trug, war nichts mehr zu sehen. „Eine Frau mit Edelsteinen erobern. Ihr Männer ändert euch nie“, neckte Lavande ihren Angetrauten beinahe liebevoll. „Wohl wahr“, feixte der zurück und seufzte gespielt und lächelte gequält. „Deine Wortwahl lässt darauf schließen, dass du sie das Fliegen gelehrt hast und sie noch spüren kannst, denn darüber dass sie tot ist, hast du nichts gesagt, obwohl es sonst deine Art wäre.“ Ihre kalten Augen blitzten herausfordernd. „Möglicherweise ist auch das wahr. Ich kann mich derzeit leider nicht darauf konzentrieren, nach ihrem Geist zu tasten, so gern ich es würde. Derzeit bin ich etwas... verwirrt, schätze ich.“ Mit gewissenhafter Langsamkeit malte er mit dem Finger einen kleinen Kreis in die Luft, woraufhin der Bannkreis entstand, den er auch bei meiner Unterrichtsstunde benutzt hatte. Schuldbewusst erinnerte ich mich daran, dass in dieser Stadt ja auch völlig gewöhnliche Menschen lebten, die von der Existenz magischer Kräfte nicht unbedingt etwas wissen wollten und durften. Lavande schien von seiner Äußerung ein wenig irritiert. Sie wollte etwas darauf sagen, doch Nick riss an dieser Stelle der Geduldsfaden. „Was soll das hier?!“ rief er aus. „Geht das die ganze Nacht so weiter?! Bin ich hier den der einzig Normale?!“ „Nein, keine Sorge“, beruhigte Luv ihn. „Wir sind alle verrückt. Dich eingeschlossen.“ In diesem Moment hätte ich meine Faust liebend gern in Nicks Gesicht versenkt, denn nun hob sie die Hand, die nicht an Yasemins Kehle ruhte und formte sie zu einer Kelle. Grelles, weißes Licht glühte darin auf, wandelte sich sogleich zu einer kleinen Kugel. „Wir haben alles beisammen. Die holde Jungfrau, den feuerspeienden Drachen und den Schatz in deiner dürren Hand. Wenn du darauf bestehst, mache ich der ganzen Geschichte jetzt gern ein Ende.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)