Blind Dragon von Lethal (Das Auge des Orion) ================================================================================ Kapitel 22 ---------- Rick seufzte. Erschöpft zog er den letzten Strich, nahm dann den riesigen Pinsel und sah dessen Spitze lang an. Die Borsten verformten sich langsam, teilten sich und bildeten zwei unterschiedlich lange Metallspitzen am Ende des hölzernen Stabes. Nun kam dieser einem Speer bedeutend näher, hätte aufgrund der längeren, gebogenen Spitze aber auch eine prima Sense abgegeben, wie ich fand. Er holte aus und schleuderte den Speer mit aller Kraft gegen das Bild. Es zerbarst in tausend Scherben, die in der Schwärze verschwanden, die uns nun wieder umgab. Der Stab kehrte in seine Hand zurück wie ein Hund zu seinem Herren. Erneut murmelte er die Sätze von dem Blatt Papier, dem sein mitgenommenes, blasses Gesicht inzwischen sehr ähnelte. Obwohl ich mich noch vage daran erinnern konnte, was sie bedeuteten, verstand ich die Worte nicht mehr. „Bist du okay?“ fragte ich, während ich versuchte, Ordnung in das Chaos zu bringen, das Ronga in meinem Kopf verursacht hatte. Rick nickte leicht und lächelte mir zu. „Geht schon“, meinte er. „Hast du eine Ahnung, warum er dir das gezeigt hat?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ja und nein.“ Tote, leere Augen und eine Verbindung zum Auge des Orion. Den Blick selbst hatte ich noch nie gesehen, doch ich konnte es fühlen, wenn ich so schaute. Ich erfüllte also die Bedingungen aus Kariyuus Weissagung. Doch wie bitte sollte ich jemanden töten, der unsterblich war? Zornig sollte ich sein? Warum zeigte mir Ronga dann Dinge, die Lavande eine menschliche Seite verliehen? Ich konnte nicht von mir sagen, dass dies meinen Hass auf sie geschmälert hätte. Trotzdem konnte ich sie ansatzweise verstehen. Am liebsten hätte ich mich dafür selbst geohrfeigt. Oder vielleicht lieber Ronga. Es war so bequem gewesen, mich hinter meinem Schwarzweißdenken zu verstecken und nun warf dieser Idiot alles durcheinander. Obwohl Lavande, er und ich auf völlig unterschiedlichen Seiten standen, hatten wir doch alle dasselbe Ziel: Wir wollten, dass sie starb. Das zu verdauen fiel mir alles andere als leicht. Den Planeten zerstören, dachte ich. Einfach etwas wegfegen, wofür die Natur unzählige Jahre gebraucht hatte, Milliarden Leben vernichten, nur um das Schicksal eines einzelnen Engels zu besiegeln? Der Gedanke allein, dass ich dazu eventuell wirklich in der Lage war, erfüllte mich mit großer Angst. Wieder schoss mir das Bild von Rick durch den Kopf, wie er halb verbrannt in den Überresten meines Wohnzimmers lag. Kontrollierte Wut – und unkontrollierte. Langsam ging mir auf, warum mir Ronga diese Lektion gleich in der ersten Unterrichtsstunde erteilt hatte. Dachte er womöglich ähnlich wie ich? Suchte er nach einer Alternative? Möglicherweise. Doch ich würde den Teufel tun, mich darauf zu verlassen. Auf keinen Fall würde ich derjenige sein, dessen Zorn so vieles zerstörte. Mein Blick fiel auf den Stab, auf den Rick sich stützte, während sein Pferdekörper sich wieder in zwei menschliche Beine verwandelte. Ich betrachtete die scharfe Außenseite der längeren Spitze. Ein kleines Hintertürchen würde ich mir schaffen, beschloss ich. Bevor die Dunkelheit um uns herum wieder zum Flur des Gebäudes wurde bat ich Rick, wenn auch nur ungern angesichts seiner Müdigkeit, um einen Gefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)