Herbstmorgenlicht von SeSe (~Ich finde dich...~) ================================================================================ Das matte Licht der letzten heilen Neonröhre erhellte einen nur sehr kleinen Teil des farblosen Raums. Die Gardinen waren zugezogen und verdeckten das Morgenlicht. Leer von Leben war der Raum, bis auf diese junge Frau. Sie saß auf einen alten Stuhl am Küchentisch. Ihre Augen waren geöffnet, doch wirkte es so, als würde sie schlafen. Nichts außer dem Flackern der Lampe hinderte diesen Moment, wie ein Photo zu wirken. So ging es den ganzen Tag, Minute um Minute, Stunde um Stunde, doch auf einmal erhob die Frau ihr Haupt, als wäre sie aus dem Schlaf gerissen. Sie dachte bei sich: „Warum stehe ich nicht einfach auf? Warum rufe ich nicht einfach jemanden an? Aber die wollen doch alle nichts mehr von mir wissen. Wegen der Sachen von vor zwei Jahren… Warum hab ich mir bloß das Set mit drei anderen Leuten geteilt?! Ich wollte das doch nur einmal ausprobieren. Als dann der Test HIV positiv war, hatte ich alles verloren. Nicht einer meiner vermeintlichen Freunde stand nun noch hinter mir. Sie haben mich alles links liegen lassen. Nicht einmal meine Eltern sind mir geblieben. Sie wollen es nicht wahrhaben, dass ich nun diesen Virus in mir trage und haben sich von mir vollkommen abgeschottet. Dieser seelische Schmerz ist schlimmer als mein körperlicher. Wenn ich so lange alleine bleibe… werde ich dann vielleicht auch noch geistig krank? Ich weiß nicht weiter. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr.“ Sie hielt sich den Kopf und saß einfach wieder nur da. Den ganzen Tag passierte nichts weiter, als an den anderen Tagen der Einsamkeit. Selbst wenn sie unter Menschen war, so fühlte sie sich allein und verstoßen. Niemand war da, außer der jungen Frau. Keine Bewegung. Doch sie wusste genau, dass sie etwas ändern musste. „Wenn nichts passiert, werde ich hier noch krepieren…elendig… krepieren“, sprach sie zu sich selbst. Dann geschah etwas, das sie selbst nicht glauben konnte. Sie hörte ein schrilles Klingeln. Sie sprang auf und ging auf das Board im Flur zu. Das Display ihres Telefons leuchtete und es stand ein Name darauf, an den sie sich gut erinnern konnte. Es war eine alte Schulfreundin. Die Frau zögerte abzuheben, doch dann streckte sie ihre Hand aus und nahm ab. Sie telefonierte vielleicht eine viertel Stunde, höchstens zwanzig Minuten, und dennoch hatte sie dieses Gefühl von Einsamkeit und Verstoßung verloren. Einen Augenblick blieb sie ruhig stehen, lächelte und flüsterte: „Danke“. Darauf atmete sie tief und begab sich zum Fenster und zog die Gardinen auf. Das Licht drang nun wieder in die Wohnung und erhellte alles. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)