BISs zur Mondfinsternis von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: Ausflug mit Hindernissen ----------------------------------- Ich hätte einfach absagen können. Ich hätte nicht mit gemusst. Mir wäre einiges erspart geblieben, aber ich musste ja unbedingt mitkommen. Wie bin ich nur darauf gekommen, dass dieser Ausflug hätte Spaß machen können? Ich war vermutlich nicht ganz bei mir, als ich zugestimmt hatte. Ich hätte mir einen wunderschönen Abend mit Edward machen können. Aber ich war ja so verrückt und hatte diesem Ausflug nicht nur zugestimmt, ich hatte mich deswegen sogar mit Edward gestritten. Dieser Ausflug war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, und ich wollte es nicht wahrhaben. Gerne hätte ich gesagt, ‚Lasst uns umdrehen, das wird doch nichts.’ Rosalie hätte sich darüber sehr gefreut. Sie hätte gerne umgedreht, aber sie riss sich genauso wie ich zusammen. Alles nur Alice zuliebe, die vor lauter Vorfreude nicht einmal merkte, dass Rosalie und ich keine Lust auf diesen Ausflug hatten. Alice plante schon, in welche Geschäfte wir als erstes gehen würden. Natürlich kamen für sie nur Geschäfte in Frage, die meiner Meinung nach viel zu teuer waren, aber man konnte sie eh nicht bremsen; selbst, wenn man es versucht hätte. Sie plante auch zum Abschluss einen Besuch in einer Disco ein. Ich hielt das allerdings für keine sonderlich gute Idee. Zwar konnte ich einen Tag mit Menschen in belüfteten Geschäften aushalten, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht eine Minute in einer stickigen, überfüllten Disco aushalten würde. Alice hingegen überschätzte mich entweder oder war davon überzeugt, die Gefahr rechtzeitig erkennen und aufhalten zu können. Mir war eigentlich egal, was von beidem sie tat. Ich musste sie auf jeden Fall davon abbringen. „Ähm... Alice... Ich halte es für keine gute Idee, in eine Disco zu gehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dafür noch nicht bereit bin.“ Während ich meinen Einwand vorbrachte, beobachtete Rosalie mich ganz genau. Sie hatte sich Hoffnungen gemacht, dass ich umdrehen wollte. Deshalb war sie ein wenig enttäuscht, dass ich nur nicht in die Disco wollte, aber es freute sie, dass ich zugab, noch zu schwach zu sein, um alles mitmachen zu können. Und natürlich witterte sie eine Riesenchance, zurückzufahren und es auf meine Kappe schieben zu können. „Ach, komm schon, Bella, ich bin mir sicher, du schaffst das schon. Schließlich sind wir auch dabei.“ Alice ließ sich durch einen so kleinen Einwand nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Nun appellierte ich darauf, dass Rosalie einschreiten würde und auf meiner Seite stehen würde. Ich hielt es allerdings für sehr unwahrscheinlich. Deshalb war meine Überraschung umso größer, als Rosalie sich wirklich einmischte. „Alice, ich finde, Bella hat da vollkommen Recht. Sie kann das noch nicht schaffen“, der gehässige Blick, den sie mir flüchtig zuwarf, entging mir nicht, „ob mit oder ohne unsere Hilfe. Wir sollten das mit der Disco vielleicht wirklich sein lassen. Wahrscheinlich ist das alles noch zu viel für sie, und wir sollten umdrehen. „ Nun war es an mir, ihr einerseits zuzustimmen, andererseits aber in den Rücken zu fallen. Natürlich wollte ich immer noch umdrehen, aber es kam gar nicht in Frage, dass Rosalie alles mir zuschieben wollte. „Ja, komm schon, Alice, lassen wir die Disco aus." Mein Tonfall war halb genervt halb flehend "Wenn etwas passiert... Lass uns das Risiko nicht eingehen. Bitte. Du musst ja nicht den ganzen Ausflug ausfallen lassen, nur eben die Disco.“ Ich hoffte, dass Alice zur Vernunft kommen würde und auf uns hörte. Sie musste einfach. Ich wollte mir nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sie mich wirklich mit in die Disco, diese Hölle voller Gerüche, schleppte. „Aber wir können doch nicht das Beste einfach so ausfallen lassen.“ Alice klang traurig und vorwurfsvoll „Ihr könnt mir und euch nicht den Spaß verderben. Das wird schon, Bella, du schaffst das bestimmt“ Ich merkte, dass ihr allmählich bewusst wurde, dass sie nicht gewinnen konnte. Sehr langsam, aber sicher, gab sie auf. Es war also nur noch eine Frage der Zeit und der richtigen Argumente. „Alice, du weißt genau, was Edward mit dir anstellen wird, wenn etwas schief geht.“ Es war eine sehr schwache Drohung. Edward würde Alice nie etwas allzu Schlimmes, antun und das wusste sie so gut wie ich. Trotzdem schien dies der entscheidende Punkt gewesen zu sein. Ihr Widerstand war nun fast vollständig gefallen. „Und glaub mir, Alice, Edward wird noch dein geringstes Problem sein“, setzte ich hinterher. „Bella, du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mich von so was einschüchtern lasse.“ Sie sagte zwar, dass meine Drohungen nichts gebracht hätten, aber ihre Gedanken verrieten, dass sie es einsah: Kein Discobesuch heute Abend. Ich hatte also eine Gnadenfrist bekommen. Vielleicht würde der Ausflug doch nicht so schrecklich, wie ich dachte. „Alice, du weißt so gut wie ich, dass du es eingesehen hast“, sagte ich, mit dem Finger auf meinen Kopf deutend. „Einen Versuch war es trotzdem wert“, murmelte Alice vor sich hin. Selbst ohne Alice’ Gedanken zu kennen, wusste ich, dass sie nun nicht mehr ganz so enthusiastisch auf das Bevorstehende zuging. Und ich machte mich dafür verantwortlich. Nun mischte sich auch Rosalie wieder ins Gespräch mit ein. Ich hatte fast vergessen, dass sie auch noch da war, deshalb erschrak ich beim Klang ihrer Stimme etwas. „Alice, nur weil wir nicht hingehen, heißt das noch lange nicht, dass der Ausflug nicht toll wird. Du hast keinen Grund, eingeschnappt oder deprimiert zu sein.“ So etwas von Rosalie zu hören, machte mich stutzig. Sie wollte diesen Ausflug nicht mehr mitmachen, warum munterte sie Alice dann auf? Es gab keinen Grund dazu, nicht für sie. Ich versuchte, mehr über ihre Gedanken herauszufinden, aber diese waren wirrer als ihre Worte. Sie schien sich nicht sicher zu sein, ob sie lieber nach Hause mochte. Ich verstand die Welt nicht mehr. War heute nicht schon genug Verrücktes passiert? Meiner Ansicht nach schon. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Was war, wenn doch noch etwas geschehen würde, wenn ich wirklich noch nicht so weit war? Ich wurde richtig unruhig und wollte nun wirklich umkehren. Doch könnte ich Alice das antun? Schlimm genug, dass sie wegen der Disco schlechter drauf war; was würde dann sein, wenn alles ins Wasser fiel? NEIN, das konnte ich Alice nicht antun. Es war doch nur grundlose Panik die sich in mir breit machte. Es war einfach etwas Neues, Unbekanntes. Vor so etwas hatte man doch immer Angst, oder? Also blieb ich einfach schweigend sitzen und machte mich auf das gefasst, was mir bald bevorstand. Ich versuchte, mich an alles zu erinnern, was Edward mir in punkto Selbstbeherrschung beigebracht hatte: 1. Gehe erst gar nicht das Risiko ein, deine Selbstbeherrschung überzustrapazieren (sprich: halte Abstand) 2. Solltest du nicht in der Lage sein, Abstand zu halten, dann atme so wenig wie möglich und immer durch den Mund. 3. Sollte das zu anstrengend sein, verlass den Raum so schnell und unauffällig wie möglich. 4. Frische Luft ist das Beste, um den Kopf wieder frei zu kriegen. 5. Meide die Person, die dich an deine Grenzen treibt, solange, bis du sicher bist, ihr zu widerstehen. „Solange du dich nur immer an das hältst“, hatte er gesagt und unterbrach sich selber, indem er mich immer wieder küsste, „kann nichts Schlimmes passieren.“ Nun hatte er mich noch enthusiastischer geküsst, und als seine Lippen meine wieder verlassen hatten, hatte er mit Humor in seiner Stimme gesagt: „Außerdem wäre es ganz und gar nicht schlimm, von einer solch verführerischen Person wie du es bist getötet zu werden.“ Bei dieser Vorstellung war mir ein wohliger Schauer durch den gesamten Körper gelaufen. Dies hatte er bemerkt und dann in sich hineingelacht. Ich hatte meine Lippen in der Hoffnung, so seinem Lachen ein Ende zu setzen, wieder an seine gepresst. Alice riss mich unsanft aus der schönen Erinnerung: „Bella, komm, steig endlich aus, wir sind da.“ Sie hüpfte auf und ab wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal ins Disneyland geht. Selbst Rosalie schien sich nun auf den Ausflug zu freuen. Zwar hüpfte sie nicht, aber sie hatte ein Lächeln im Gesicht. Als ich die beiden so voller Vorfreude ansah, begann auch ich, ganz aufgeregt zu werden. Alle Sorgen, die ich vorher gehabt hatte, waren nun fast vergessen, und ich wurde lockerer. Ich stieg aus dem Auto. Alice und Rosalie nahmen mich in ihre Mitte und wir machten uns, halb tänzelnd, auf den Weg zum größten Kaufhaus. Es war ein tolles Gefühl, wieder unterwegs zu sein. Die Blicke der Menschen, die uns über den Weg liefen, entgingen uns nicht. Es waren halb neidische, aber auch halb bewundernde Blicke, und es versetzte mich in Hochstimmung. Wir hatten schnell das Kaufhaus erreicht. Es war nicht monströs, aber auch nicht zu klein. Es war einfach genau richtig, um die nötige Auswahl zu haben und trotzdem gemütlich zu sein. „Also, seid ihr bereit zum Shoppen?“, fragte Rosalie, die nur noch auf unsere Antwort wartete. „Ja“, sagten Alice und ich wie aus einem Mund und mussten darüber schmunzeln. „Na, dann mal los“ Das war der Startpfiff, und wir betraten das Kaufhaus. Als erstes suchten wir nach Partyoutfits. Keiner von uns konnte sich für nur eines entscheiden, also probierten wir alles einmal an und beratschlagten uns gegenseitig. Wir hatten viel Spaß dabei. Schlussendlich hatte jede von uns dann doch drei komplette Sätze Festkleidung. Alice behielt eines gleich an. Es bestand aus einer schlichten, dunklen Röhrenjeans, dazu ein dunkelrotes, längeres Top mit V-Ausschnitt und am Rücken nur wenige Bänder, die von der einen Seite zur anderen verliefen. Und darüber hatte sie eine Jeansjacke, die nur bis zum Bauch ging, an. Es stand Alice sehr gut. „So, jetzt müssen wir aber noch neue Schuhe kaufen! Die Turnschuhe passen einfach nicht zu den neuen Outfits“, bemängelte Alice, nahm Rosalie und mich an die Hand und ging in den nächsten Schuhladen. Dort angekommen, war sie nicht mehr zu bremsen. Jedes zweite Paar Schuhe nahm sie sich heraus zum Anprobieren. Nach einer wahren Orgie, bei der alle beide mehr als reichlich bestückt hervorkamen, zeigte ich ihnen, was ich – die sich bis jetzt eher zurückgehalten hatte – gefunden hatte. Es waren knapp unter dem Knie endende Stiefel aus schwarzem Wildleder mit einem ca. 4cm hohen Absatz. Sie waren wie für mich geschaffen. Zu meinem Glück waren sie noch in meiner Größe da. Ich ging damit zu Rosalie und Alice und probierte sie sofort an. Sie passten wie angegossen und sahen angezogen noch besser aus als ohnehin schon. Freudestrahlend schwebte ich zur Kasse. Ich wartete noch auf Rosalie und Alice, wobei Rosalie schneller war als Alice, und dann bezahlten wir die sieben Paar Schuhe. Ich denke, ich muss kaum erwähnen, dass vier davon von Alice waren. Wir verbrachten noch viele weitere Stunden im Kaufhaus. Irgendwann hatten wir dann alle Läden durch und gingen mit unzähligen Tüten bepackt zurück zum Auto. Alice war über diesen Ausflug überglücklich und strahlte noch mehr als sonst. Auch Rosalie war ziemlich aufgedreht und lachte. Und ich war erleichtert, weil nichts passiert war. Vermutlich strahlte ich mit beiden um die Wette. Doch trotz allem freute ich mich jetzt auf Zuhause. Ich wusste, dass wir drei vermutlich eine Modenschau für Edward, Emmett und Jasper veranstalten würden, und ich konnte es kaum erwarten. Am Auto angelangt verstauten wir unsere Einkäufe im Kofferraum. Ich wollte gerade einsteigen, als mir ein kleiner Buchladen ins Auge sprang und mir wieder einfiel, dass ich etwas Neues zum Lesen brauchte. „Hättet ihr was dagegen, wenn ich noch mal nach einem Buch schaue? Wer weiß, wann ich das nächste Mal wieder hinausdarf, und ich brauche dringend neues Lesefutter Edward killt mich, wenn ich wieder Sturmhöhe lese." „Ja dann kommen wir noch schnell mit rein. Es ist ja noch früh“, sagte Rosalie. Wir betraten den kleinen Laden, der mit Bücherregalen zugestellt war. Es gab nur einen kleinen Tresen mit einer Kasse, hinter der eine kleine, dickere Frau mit langen, zu einem Zopf geflochtenen schwarzen Haaren stand und uns freundlich zulächelte. Außer uns war keiner in dem wenig beleuchteten Laden, und somit konnte ich in aller Ruhe nach Büchern schauen, die mir gefielen. Ich schlenderte durch die Reihen – Alice und Rosalie immer dicht hinter mir – blieb ab und zu stehen, um mir ein Buch genauer anzusehen, und ging dann wieder weiter. Mir wurde schnell klar, dass viele Bücher hier Klassiker waren. Es gab nur ein Regal, das mit neueren Büchern versehen war. Ich bliebe lange vor diesem Regal stehen, nahm ein Buch nach dem anderen heraus und stellte es dann doch wieder zurück. Nach einiger Zeit hatte ich drei Bücher gefunden, die sehr interessant erschienen – war mir aber nicht sicher, ob ich sie wirklich kaufen sollte. Alice und Rosalie wurden langsam ungeduldig und gingen selber durch die Reihen von Bücherregalen. Ich war so in meine Überlegungen vertieft, dass ich nur beiläufig merkte, wie die Tür aufging und jemand herein kam. Nach einer Weile gefüllt von Pro- und Kontraargumenten, die in meinem Kopf herumwirbelten, beschloss ich, nur zwei der drei Bücher mitzunehmen und stellte das andere zurück. Ich wollte mich umdrehen und zur Kasse gehen, um bezahlen zu können, als ich fast mit jemandem zusammenstieß. Bevor ich erkennen konnte wer dieser jemand war, stieg mir ein so starker und beinahe unwiderstehlicher Geruch von Blut in die Nase, dass mir sämtliche Regeln, die mir Edward hatte für so einen Fall gegeben hatte, nicht mehr einfielen. Ich versuchte, mich zusammenzureißen und umklammerte die Bücher etwas zu fest. Das entging Alice und Rosalie selbstverständlich nicht und binnen weniger Sekunden, die mir endlos vorkamen, waren sie an meiner Seite, um mich notfalls zurückzuhalten. Ich wusste, sie würden versuchen, mich hier so schnell wie nur irgend möglich herauszubekommen. „Bella, bist du das?“ Diese Stimme erkannte ich sofort, und ich hätte nie gedacht, dass sein Blut so köstlich duftete. Warum war er hier? Konnte er nicht einfach wieder gehen? Ich hoffte, dass ich ihm nichts tun würde. Wenn Alice und Rosalie mich nicht schnell hier herausschafften, dann würde ich Ben umbringen, da war ich mir sicher. Aber da gab es noch immer die Frage, die er gestellt hatte! Ich musste antworten. „Ja“, brachte ich verbissen heraus. „Ben, sei uns nicht böse, aber wir haben es eilig. Man sieht sich.“ Rosalie handelte schnell, und nachdem sie zu Ende gesprochen hatte, nahm sie mir die Bücher aus der Hand und ging zur Kasse. Alice blieb an meiner Seite. Ich schaute endlich auf und sah in das vollkommen entsetzte Gesicht von Ben. Seine Augen waren weit aufgerissen, und ich konnte mir nicht erklären, wieso. Er schien es plötzlich eilig zu haben, von mir wegzukommen. Er hob seine Hand zum Abschied und wirbelte so seinen köstlichen Duft erneut in meine Richtung. Diesmal war ich nicht zu halten. Ich wollte gerade abspringen, als Alice mich an der Hüfte packte und mich zurückhielt. „Verdammt, Bella, willst du, dass wir auffliegen? Halt die Luft an, wir sind gleich hier weg“, zischte sie mir ins Ohr. Ihre Muskeln waren so angespannt, dass ich sie unter ihrer weißen Haut zittern sah; von der ausgelassenen Stimmung war nichts mehr übrig. Ich tat, was sie gesagt hatte, und hörte auf zu atmen. Ich schaute erneut zu Ben, der nichts von alledem mitbekommen zu haben schien. Er hatte den Rücken zu uns gedreht und ging von uns weg. Alice nutzte die Gelegenheit, um mich aus dem Laden zu bringen. Rosalie musste noch schnell bezahlen. Glücklicherweise schien die Verkäuferin nichts bemerkt zu haben, und folgte Rose uns wenig später nach draußen. An der frischen Luft konnte ich schon etwas klarer denken. Ich atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus. Rosalie verstaute währenddessen die Bücher im Kofferraum und stieg ein. „Geht es wieder, Bella?“, fragte Alice besorgt. Ich nickte nur, mehr brachte ich im Moment nicht zustande. Das schien ihr als Antwort zu genügen, und sie stieg in den Wagen. Auch ich stieg endlich ein. Sobald meine Tür zu war, fuhr Rosalie los. Es war leise; Rosalie hatte das Radio ausgemacht und niemand sagte etwas. Ich beobachtete die vielen Lichter, die draußen an uns vorbeischnellten, bis wir die Stadt verlassen hatten und es dunkel wurde. „Zum Teufel noch mal! Bella, was war da eben los? Um ein Haar hättest du uns alle verraten!“, platzte es aus Rosalie raus. Ihr Vorwurf half mir nicht, um über das eben Geschehene hinwegzukommen. Im Gegenteil, es machte alles nur noch schlimmer. Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte. Verzweifelt suchte ich nach einer Antwort, aber es gab keine, nicht einmal einen Ansatz. Also sagte ich nichts. Starrte nur aus dem Fenster und versuchte, eine Antwort zu finden. „Rose, du solltest ihr wirklich keine Vorwürfe machen. Sie konnte schließlich nichts dafür“, verteidigte mich Alice. „Ich finde, Bella hat in dieser Situation sehr gut reagiert. Es hätte schlimmer kommen können, und das weißt du genau. " Alice’ Worte hallten in meinem Kopf nach wie ein Echo: schlimmer kommen können, schlimmer kommen können, schlimmer kommen können. Ich sträubte mich gegen die Vorstellung, was hätte passieren können. Mir standen die Haare zu Berge, wenn ich daran dachte, was hätte passieren können und mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Trotzdem konnte ich sie nicht zurückhalten. Wie in ein Film, liefen meine Ängste in meinen Gedanken ab. Wie etwas das zeigt, was wäre, wenn es schlimmer gekommen wäre. Ich sah wie ich Ben getroffen hätte und ohne eine Sekunde zu zögern mich auf ihn gestürzt hätte. Wie ich in seinen Hals gebissen und ihm das Blut ausgesaugt hätte. Natürlich hätte ich jeden Tropfen genossen und nichts übrig gelassen. Sein Blut hätte meine Augen rot gefärbt und mich gestärkt. Ich hätte ihn im Laden liegen gelassen und ich hätte auch die Verkäuferin töten müssen. Ich hätte erst die Verkäuferin verschwinden lassen müssen, und dann hätte ich mich um Ben kümmern müssen. Ich hätte noch einmal in sein totes, vor Schreck erstarrtes Gesicht schauen müssen, und spätestens dann wäre mir klar geworden, dass ich eben einen meiner ehemaligen Freunde umgebracht hatte. „NEIN!“, schrie ich in die Stille des Autos hinein. Sowohl Alice als auch Rose sahen mich überrascht und besorgt an. Ich schaute zurück und zog dann die Beine an, versteckte den Kopf zwischen ihnen und versuchte, mich wieder zu beruhigen. Dieser kleine Film war vielleicht nicht geschehen, aber die Bilder vor meinen Augen dennoch auf grausame Art lebendig. Alice kletterte zu mir auf die Rückbank und legte ihre Arme um meine Schultern. Sie drückte mich fest an sich, wie eine Mutter ihr Kind, wenn es einen Albtraum hatte. Mit einer ruhigen Stimme versuchte sie mich zu beruhigen: „Bella, Bella. Shh, Bella. Ruhig, ruhig, es ist nichts passiert, es ist alles in Ord-“ „Ja, es ist nichts passiert, aber was wäre passiert, wenn keiner von euch da gewesen wäre?“, unterbrach ich sie schneidend. Ich wollte nicht hören, dass alles in Ordnung war, weil nichts in Ordnung war. „Aber es ist nicht passiert, Bella. Wir waren da und das wird immer so sein. Beim nächsten Mal..." „Es wird kein nächstes Mal geben, Alice! Ich werde nicht noch einmal riskieren, dass Menschen wegen mir sterben; dass Freunde wegen mir sterben. " „Aber Bella, es ist niemand gestorben. Wir wissen beide, dass du niemals riskiert hast-“ Wieder unterbrach ich sie; ich wollte mich nicht beruhigen lassen, schon gar nicht von ihr. „Alice, du hast keinerlei Ahnung, wie es ist, beinahe einen Freund umz-" Diesmal unterbrach sie mich, und auch ohne ihre Gedanken zu kennen, hätte ich gewusst, dass ich sie verletzt hatte. Ich hatte das angesprochen, was Alice am meisten wehtat. Sie lächelte mich traurig an und wirkte dadurch noch verletzlicher als ohnehin. „Ja, du hast Recht, Bella, ich weiß nicht, wie es ist, einen Freund umzubringen. Wie auch? Ich hatte niemals Freunde... Ich war alleine.“ Sie löste ihre Umarmung und kletterte wieder auf den Beifahrersitz. Rosalie wollte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter legen, aber Alice schüttelte sie ab und starrte aus der Windschutzscheibe. Rosalie beobachtete sie eine Weile, bis sie merkte, dass es sinnlos war. Sie schaute noch einmal zu mir und formte in Gedanken den Satz, den sie nicht laut aussprechen wollte: Das war nun wirklich nicht nötig. Du weißt genau, wie sehr du ihr damit wehtust. Was sollte denn-’ Sie unterbrach sich, als sie sah, dass es auch mir schlecht ging. ‚Alles in Ordnung mit dir?’ Ich schüttelte zur Antwort den Kopf. Sie überlegte, was sie machen konnte, aber ihr fiel nichts ein. Sie ging wieder ihren Gedanken nach, die sie vor dem Streit gehabt hatte, und ich blendete sie schnell aus. Wir fuhren endlich wieder nach Forks ein und ich wusste, es waren nur noch wenige Minuten, bis wir wieder Zuhause waren. Ich versuchte, mich so gut es ging in den Griff zu bekommen. Ich wollte Edward nicht zeigen, wie sehr mich dieser Abend mitgenommen hat. Auch Alice und Rosalie versuchten, die Ereignisse zu vertuschen. Alice setzte wieder ihr strahlendes Lächeln auf und konzentrierte ihre Gedanken einzig auf den Teil des Ausflugs, der besser gelaufen war. Rosalie setzte ein leichtes lächeln auf und wollte so schnell es ging ihn ihr Zimmer huschen. Sie wusste, sie würde Edward nicht lange genug die Ereignisse verheimlichen können. Trotzdem versuchte sie es und konzentrierte sich, auf die Ausbeute von Klamotten, die sie gefunden hatte. Wir fuhren in die Garage und blieben noch einen kurzen Moment im Auto sitzen. Schließlich war ich die Erste, die ausstieg. Ich ging zum Kofferraum und holte die Einkaufstüten heraus, die mir gehörten. Ich trat ein paar Schritte zurück, damit Rosalie ihre Tüten herausholen konnte und nach ihr Alice. Um sicherzugehen, dass keiner Verdacht schöpfte, gingen wir gemeinsam ins Wohnzimmer, wo wir Emmett, Jasper, Edward und Carlisle vorfanden. Edward spielte Schach gegen Carlisle und Emmett und Jasper stritten um die Fernbedienung. Es schien uns noch keiner bemerkt zu haben, als uns plötzlich Esme entgegenstürmte, jeden von uns den Arm nahm und fragte wie, der Ausflug gewesen war. Wir antworteten alle mit „Anstrengend“, was auch der Fall war. Jetzt schienen auch die Jungs auf uns aufmerksam zu werden. Jasper und Emmett hörten auf sich zu streiten und kamen uns entgegen. Wir wussten alle, dass uns der schwerste Teil nun bevorstand: Wir mussten die anlügen, die uns am meisten bedeuteten. Rosalie küsste Emmett kurz zur Begrüßung und verschwand in ihr Zimmer unter dem Vorwand, sie wolle ihre Sachen weghängen. Emmett sagte nichts dazu und folgte ihr auch nicht. Stattdessen setzte er sich auf das Sofa, griff nach der Fernbedienung, wedelte damit in Jaspers Richtung und schaltete den Sportkanal ein. Alice schien Jasper nicht so einfach loszuwerden. Auch sie gab ihrem Freund einen flüchtigen Kuss und versuchte, sich mit derselben Ausrede wie Rosalie davonzumachen, aber Jasper ließ sie nicht einfach gehen. Er merkte, dass etwas nicht stimmte und wollte wissen, was. Alice behagte es gar nicht, ihn anzulügen, aber sie wollte ihm genauso wenig erzählen, was passiert war. Sie versuchte es mit anderen Ausreden, aber es wirkte alles nichts, Jasper ließ nicht locker. Emmett war wirklich die Rettung in letzter Sekunde, denn er lenkte Jasper für einen kurzen Moment ab, in dem Alice die Chance nutzte und sich davonstahl. Jasper fand es wäre das Beste ihr ihre Ruhe zu geben. Nun stand ich alleine da. Edward war immer noch in sein Spiel gegen Carlisle vertieft. Also musste ich wohl oder übel zu ihm gehen und ihm Hallo sagen. Ich hatte Angst, etwas zu sagen, weil ich wusste, dass meine Stimme zittern würde. Darum machte ich es kurz und schmerzlos: Ich küsste ihn kurz auf den Hinterkopf, nickte Carlisle zu und ging ohne ein weiteres Wort in mein Zimmer. Oben angekommen, beschloss ich, zuerst die Ausbeute des Abends im Kleiderschrank unterzubringen. Es war nicht so einfach, wie ich gedacht hatte. Der Kleiderschrank wurde allmählich zu klein. ‚Also muss ich das nächste Mal gleich ’nen Schrank dazukaufen’, dachte ich, ein grimmiges lächeln in meinem Gesicht. Anschließend ging ich zum großen Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit. Ich dachte darüber nach, was ich Edward erzählen würde und wie ich mich bei Alice entschuldigen könnte. Im Bezug auf Alice fiel mir nichts ein. Ich beschloss, ihr Zeit zu geben, und hoffte, dass mir morgen etwas einfallen würde. Was Edward anging... Nun, ich hatte überlegt, ihm nicht die ganze Wahrheit zu erzählen, aber ich wusste, dass ich es nicht konnte. Somit hatte ich keine Wahl. Ich ging aus dem Zimmer und wollte nachschauen, ob Rosalie und Alice inzwischen im Wohnzimmer waren. Auf halbem Weg nach unten, lief mir Edward entgegen. Wir wären beinahe ineinander gekracht, aber wir bleiben rechtzeitig stehen. Er nahm mich in seine Arme und flüsterte in mein Ohr: „Hey, wie geht’s dir? Wie war dein Ausflug? Hast du etwas gefunden?“ Ich antwortete nicht sofort. Ich wollte ihm alles sagen, aber nicht hier. „Ich erzähle dir gleich alles, aber nicht hier auf der Treppe.“ Dann ergriff ich seine Hand und zog ihn hinter mir her in unser Zimmer. Dort angekommen, ließ ich seine Hand los und machte mich auf den Weg zum Sofa. Er ließ die Tür hinter sich zufallen, und noch bevor ich am Sofa angekommen war, drehte er mich um, zog mich dicht an sich und küsste mich. Dieser Kuss war intensiver als die üblichen. Ich schloss meine Hände hinter seinem Nacken, um ihn noch näher an mich heranzuziehen, und jetzt wo ich ihm, was Kraft anging, ebenbürtig war, macht ich es ihm wirklich schwer, von mir abzurücken. Irgendwie schaffte er es trotzdem, meine Hände von seinem Nacken zu lösen und wir fielen beide schwer atmend auf das Sofa. „Hey, schön, dass du wieder da bist“, grüßte er mich erneut. „Freut mich, dass du noch da bist“, erwiderte ich. „Also, dann mal her mit den Details von eurem Ausflug. Hat es euch denn wenigstens Spaß gemacht? Ihr saht nicht wirklich so aus, als wäre der Abend perfekt gelaufen. " Ich brauchte einen Moment um mich zu sammeln. Dann fing ich an zu erzählen: „Ja, es hat Spaß gemacht, zumindest am Anfang. Später wurde es...“ Ich suchte nach dem richtigen Wort. „Problematisch.“ Ja, das passte. Ich schaute ihm ins Gesicht und merkte, dass ich für ihn in Rätseln sprach, also fing ich einfach von vorne an. „Na ja, es fing schon im Auto an...“ Ich berichtete ihm alles und ließ nicht das kleinste Detail aus. Er war wirklich daran interessiert, wie alles gelaufen war. Als ich bei dem Buchladen angekommen war und ihm von Ben erzählte, nahm er mich fester in seinen Arm. Mir war klar, dass er sich Sorgen darum machte, wie es mir jetzt ging, aber ich machte keine Pause, um ihm zu erklären, wie sehr mich das mitgenommen hatte. Als ich bei Alice angelangte, schaute er mich überrascht und anschließend vorwurfsvoll an. Er konnte nicht glauben, dass ich die Wahrheit sagte. Ich versicherte ihm, dass es die Wahrheit war und endete dann mit dem Bericht des Ausflugs. „...bin ich ausgestiegen, habe meine Sachen aus dem Auto geholt und auf Rose und Alice gewartet, und dann sind wir gemeinsam ins Wohnzimmer. Den Rest kennst du." „Wow.“ Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln und das eben Gehörte zu verarbeiten. Ich ließ ihm die Zeit. „Und das habt ihr alles an nur einem Abend erlebt? Ich kann es nicht glauben! Wie kann nur so viel auf einmal schief gehen?“ Als er so darüber nachdachte fiel ihm etwas anderes ein. „Wie geht es dir jetzt? Ich meine, das muss dich doch ziemlich mitgenommen haben, oder?“ Sorgenvoll schaute er mich an und wartete darauf, eine Antwort von mir zu bekommen. „Na ja, klar bin ich mitgenommen und es ging mir vorhin nicht gut, aber es hat geholfen, wieder bei dir zu sein. Ich versuche zu vergessen, was da im Buchladen passiert ist, aber das verfolgt mich. Es ist wie ein Schatten, verstehst du? Ein Schatten, der immer hinter mir ist und auf eine Gelegenheit wartet, mich überfallen zu können. Was mir aber mehr sorgen macht ist, Alice. Das war so grausam von mir...“ „Shh, ganz ruhig, Bella. Das wird schon wieder. Du weißt doch, Alice ist nicht nachtragend.“ Er nahm mich fester in seinen Arm und küsste meine Haare, während er mich wie ein Baby im Arm wiegte und mein Schlaflied summte. Und ob ich wollte oder nicht – es wirkte, ich wurde ruhiger. „Besser?“, fragte er mit einer Stimme wie Honig. „Ja, etwas.“ „Wollen wir wieder nach unten gehen und schauen, was die anderen machen?“ „Gerne. Hast du Lust auf eine Runde Schach?“ Ich wusste genauso gut wie er, dass ich eindeutig einen Vorteil hatte, da ich wusste, was er dachte. Bedauerlicherweise hieß das aber nicht, dass er nicht gewinnen konnte. Er sah mich misstrauisch an, bevor er antwortete. „Ok, dann wollen wir mal sehen, wer besser Schach spielt.“ Er lachte leise, und ich lachte mit ihm. Ich machte mich von ihm los, um aufzustehen. Sobald auch er aufgestanden war, nahm ich seine Hand und wir gingen hinunter ins Wohnzimmer. *** „Ja, gewonnen!“, jubelte Edward, während ich ihn böse anstarrte Er hatte mich gerade, trotz meiner Fähigkeit, im Schach geschlagen. „Bella, schau mich bitte nicht so an. Ich musste mir doch was einfallen lassen, um dich zu besiegen“, erklärte er. „Du hast was ganz anderes gedacht, als du getan hast. Das kannst du doch nicht machen!“, beschwerte ich mich. „Natürlich kann ich das, und ich hab’s getan. Komm schon, Bella ich habe dich fair geschlagen. Sei nicht sauer auf mich, bitte.“ Er entfaltete wieder einmal die ganze Macht seiner Augen, und ich konnte nicht anders, als ihm seinen Sieg zu gönnen. „Na gut, aber nächstes Mal gewinne ich.“ Er grinste mich strahlend an und ich erwiderte dieses Strahlen. Dann tauchten Alice und Rosalie auf. Alice schien mich ignorieren zu wollen und Rosalie machte wie üblichen einen Bogen um mich. Wieder erinnerte ich mich an mein Problem, das ich vor dem Ausflug hatte, da schien jeder mir aus dem Weg zu gehen. Wenn ich jetzt darüber nachdachte, fiel mir auf, dass es auch jetzt so war. Wunderbar, als wäre das Problem mit Alice nicht schon groß genug! Nein, es müssen mir auch noch alle aus dem Weg gehen. Ich konnte nicht verhindern, dass ich mich unwillkommen fühlte. Schnell und ohne einen weiteren Blick zu den anderen verließ ich den Raum und ging in die Garage. Dabei dachte ich ständig: Wie soll ich das nur wieder in den Griff bekommen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)