Silent Hill 4 von dasFragment (Walter's origins) ================================================================================ Kapitel 1: Ungewollt -------------------- Obwohl die dicke Wolkendecke langsam aufriss, war der Himmel nicht zu sehen. Die Nacht kam. Schwache Reste des Wolkenbruchs klopften in Form von vereinzelten Regentropfen ans Fenster. Draußen war es trüb, kalt und nass, drinnen war es auch nicht besser. Die Stimmung in dem kleinen Apartment drückte schwer auf die Bewohner. Eine junge Frau stand am Fenster, stumm mit einer Zigarette in der Hand, die dabei war zu erlöschen. Asche rieselte aufs Fensterbrett, gesellte sich zu der abgeplatzten Farbe und den Überresten von verschüttetem Kaffee, die keiner beseitigen wollte. Es gab nicht viel zu sehen, die Bewohner der kleinen Stadt hatten sich vor dem Unwetter in Sicherheit gebracht. Die Straßen waren leer. Durch ein Fenster im gegenüberliegenden Haus sah sie einen Mann im Sessel sitzen. Sein Zimmer war das einzige in dem Licht brannte. Gedankenverloren zog die Frau an der längst erkalteten Zigarette. Ihr Blick verlor sich in der Dunkelheit der Stadt. Es schien einen partiellen Stromausfall gegeben zu haben. Das Warten kam ihr unendlich lang vor. Ihr Mann war drüben im Schlafzimmer und packte ihre Sachen. Beide wollten heute noch weg. Sie lebten erst seit kurzer Zeit in dem Apartment und hatten auch nie vorgehabt lange zu bleiben. Das junge Paar war nur aus einem ganz bestimmten Grund hier. Deshalb hatten sie sich auch unter falscher Identität hier eingemietet. Die Frau drückte die längst abgebrannte Zigarette auf dem Fensterbrett aus und ließ den Stummel dort liegen. Sie fröstelte und schlang die Arme um sich. Langsam drehte sie sich um. Auf der Couch vor ihr lag „der Grund“ weshalb sie hier waren. Ihr Gesicht verzog sich zu einer angeekelten Grimasse. Mit einem wachsamen Blick auf das Sofa ging sie verunsichert zum Schlafzimmer. Der Raum war schlicht. Mehr als ein Bett und den in die Wand eingelassenen Kleiderschrank gab es nicht. Wozu auch? Diese Wohnung war sowieso nichts weiter als eine notdürftige Unterkunft. Der Mann schaute auf und warf die Kleidungsstücke, die er gerade in der Hand hielt, unachtsam in den offen stehenden Koffer. Sein Blick war eisig und stechend. Seit sie es ihm vor vier Monaten erzählen musste war er so. Die Frau hatte Angst gehabt, dass er sie allein lassen würde, sobald er es wüsste. „Was ist“, schnauzte er, dann, ruhiger, fügte er hinzu „Bin gleich fertig. In einer halben Stunde sollten wir los, dann ist der Kerl fertig.“ Sein Verhalten ihr gegenüber war kalt geworden. Er hatte sie zwar nicht verlassen, dafür schien seine Liebe zu ihr langsam zu verblassen. Jedoch hatte sie nicht vor, dies zuzulassen. Sie würde tun, was auch immer er von ihr verlangen sollte. Anfangs hatten sie sich oft gestritten, ob das was sie vorhatten wirklich richtig war. Letztendlich konnte er sie überzeugen. Der Mann wandte sich wieder dem Koffer zu und beförderte ihre restlichen Kleidungsstücke in das Gepäckstück. Sie stand auf der Schwelle und verlagerte, unschlüssig, was sie tun sollte, ihr Gewicht abwechselnd von einem Bein aufs andere. Der Boden knarrte. Er verharrte in der Bewegung und sah sie an. In seinen Augen ein missbilligender Ausdruck. Sie versuchte zu lächeln und gleichzeitig die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie musste schrecklich aussehen. Schließlich drehte er sich zum Fenster. „Ich hoffe, du bleibst bei deiner Entscheidung.“ Sie nickte sofort. Er ignorierte sie und fügte leise, wie zu sich selbst sprechend, hinzu „Geh Lebwohl sagen.“ Die junge Frau wunderte sich. Wieso machte er auf einmal so ein Zugeständnis? Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich darüber freute. Wollte weiterhin so erscheinen, als ob es ihr nichts ausmache. Sein Blick glitt langsam vom Fenster über den kargen Raum und blieb an ihrem Gesicht hängen, ohne sie direkt anzusehen. „Geh schon.“ Stille legte sich über das Zimmer. Nichts geschah. Sie schauten einander stumm in die Augen. Ein stilles Einverständnis. Es würde wirklich das letzte Mal sein, dass sie Gelegenheit hatte Abschied zu nehmen. „Wir müssen weg wenn der Hausmeister seine abendliche Inspektion beendet hat. Das ist bald…beeil dich.“ Während er zu ihr sprach, umrundete er das Bett. Dielen knarrten. Am anderen Ende angekommen, ließ er sich auf die Bettkante nieder und schaute aus dem Fenster. Draußen war es dunkel. Immer noch kein Licht. Nur der Mann von gegenüber saß bei Kerzenschein in seinem Sessel. Er schien zu lesen. Sie entschied sich zu tun was er sagte. Mit um den Oberkörper geschlungenen Armen ging sie ins Wohnzimmer hinüber. Ein Raum eben so leer und unwohnlich wie das Schlafzimmer. Eine Couch, ein Tisch, links ein Tresen an dem sie zwei oder drei Mal gegessen hatten, dahinter die Einbauküche. Wenn diese nicht schon da gewesen wäre, hätten sie vermutlich gar nicht gekocht. Zögernd ging sie auf das Sofa zu. Sie spürte einen Kloß im Hals, den sie nicht hinunterwürgen konnte. Ihr Herz schlug bei jedem Schritt schneller. Vor ihr lag das Baby, schlafend. Ein kleiner Junge. Die Frau schaute hinunter, unfähig zu entscheiden was sie tun sollte. Schließlich hockte sie sich hin, legte den Kopf schief und betrachtete die kleine ruhende Gestalt. Mit dem Zeigefinger fuhr sie zitternd einen sanften Kreis auf seiner Wange. Der Wind heulte am Fenster und ließ die Scheiben im Rahmen vibrieren. Erstaunt stellte sie fest, dass sie das Neugeborene streicheln wollte. „Merkwürdig“, dachte sie laut „Wie kannst du Liebe von mir fordern, wenn du sie mir selbst nicht geben kannst?“ Beim Klang ihrer Stimme öffneten sich die Augen des Babys. Sie schienen zu leuchten. Als ob es sich freuen würde. „Na, aufgewacht?“, flüsterte sie. Der Kleine kommentierte ihre Worte mit einem glücklichen Glucksen. „Du brauchst dich nicht anzubiedern.“ Die junge Mutter lehnte sich zurück, suchte körperlichen Abstand zu ihrem Sohn. Der Junge schien es zu bemerken und sah fast so aus, als ob er anfangen wolle zu heulen. „Gib dir keine Mühe. Du bedeutest mir nicht so viel, als dass mich deine Tränen rühren könnten.“ Sie setzte sich auf den Couchtisch, dem Säugling gegenüber. Ihr Blick verharrte auf dem kleinen faltigen Gesicht. „Weißt du, ich darf dich nicht behalten. Deshalb will ich dich nicht gern haben…“ Das Baby lag still auf dem alten, abgenutzten Sofa und stierte auf seine Mutter. Als ob er wüsste, er müsse sich ihr Gesicht für alle Zeiten einprägen, da er keine Gelegenheit haben würde sie je wieder zu sehen. „Du bist ja so still…wie ungewöhnlich. Ich dachte immer Babys schreien nur…“ Ein Lächeln umspielte ihren Mund. Ihre Augen brachen. „Es gibt trotzdem nichts, was du tun kannst. Auch wenn deine Stille ein Vorwurf sein soll…“ Sie spürte Tränen, die ihre Wangen hinunter rannen und hörte die Schritte ihres Mannes, der gerade das Wohnzimmer betrat. Als er sie sah, hielt er inne. Die Frau wandte sich ihm zu. War die Zeit wirklich schon gekommen? Mussten sie ihr Kind wirklich hier allein zurücklassen? Er schien ihre Gedanken zu erraten. „Schau mich nicht so an. Du weißt, dass wir uns ein Kind nicht leisten können. Es geht einfach nicht. Wir haben schon genug damit zu tun uns selbst über Wasser zu halten.“ Der Ernst in seinem Gesicht ließ es versteinert wirken. Sie nickte, wischte sich beim aufstehen die Tränen aus den Augen. Sie wusste es. Ja, es musste sein. Es gab keinen anderen Weg. Keine Diskussionen. Dafür liebte sie ihn zu sehr. Auch wenn es falsch war, sie es vielleicht irgendwann bereuen würde. Sie würde es sogar ganz bestimmt bereuen. Es war egal. Alles hätte keinen Sinn, wenn er nicht mehr bei Ihr wäre. Sie würde das Kind dann nur noch hassen. Er ging auf die Tür zu und blieb stehen, wartend. Der Mann würdigte seinen Sohn keines Blickes. Er hatte ihn noch kein einziges Mal angeschaut. Für einen Moment unschlüssig blieb die junge Frau in der Mitte des Zimmers stehen. Unsicher machte sie Anstalten einen letzten Blick auf ihr Kind zu werfen. Entschied sich im letzten Augenblick aber doch dagegen. Stattdessen ging sie mit raschen Schritten auf ihren Mann zu. Er wandte sich zu ihr und zum ersten Mal seit langer Zeit sah sie wieder so etwas wie ein Lächeln auf seinen Lippen. Während er zu ihr sprach, ergriff er ihren Oberarm „Du musst dir keine Sorgen machen. Wir lassen die Tür weit offen. Wenn er nicht vorher mit seinem Geschrei die Nachbarn weckt, wird ihn der Hausmeister spätestens morgen früh entdecken.“ Er drückte ihren Arm und schob sie sanft vor sich her aus der Wohnung. Die Frau wollte glauben, dass alles in Ordnung war. So sehr, dass sie bereit war, das alles zu vergessen. Ganz so als ob es nie geschehen wäre. Leise schlich sich das junge Paar aus dem Haus, in dem sie nichts zurückgelassen hatten, was auf ihre Existenz hätte schließen lassen. Nichts, bis auf ein hilfloses neugeborenes Kind. Weggeworfen wie die Zigarettenkippe auf dem Fensterbrett. Die Tür zu Apartment 302 stand weit offen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)