Die Blutfehde der Youkaifürsten von Weissquell ================================================================================ Epilog: Heimkehr ---------------- Die Sonne steht schon recht hoch am Himmel. Heute regnet es zur Abwechslung mal nicht. Inu Yasha ist erleichtert. Das Wetter hier im Osten kann man gemeinhin nur als lausig bezeichnen. Doch heute ist sonniges Reisewetter. Ein Glück, denn Sesshomaru hat seine Drohung wahr gemacht und gleich am nächsten Morgen zum Aufbruch gedrängt. Dieser hat sich allerdings noch ein wenig verzöger, da Yaeba... nein, Yaomonzurushi... verdammt, den Namen wird er sich nie merken können, da der neue Ostfürst darauf bestanden hat, sie großzügig mit Reiseproviant zu versorgen und niemanden weglassen wollte, dessen Wunden nicht ausreichend versorgt wurden. Nach einigem hin und her hatte dann auch Sesshomaru ein Einsehen und ließ die Prozedur bereitwillig über sich ergehen. Dabei wurde er permanent umschwänzelt von seinem treuen Diener Jaken, der kein Ende damit fand, die schweren Verletzungen seines Herrn zu bedauern und sich unzählige Male unterwürfigst dafür entschuldigte, Rin nicht rechtzeitig aus der Gefahrenzone gebracht zu haben. Irgendwann war es Sesshomaru dann wohl doch zu viel geworden und er war für eine Weile spurlos von der Bildfläche verschwunden, nur um irgendwann am frühen Nachmittag wieder aufzutauchen als wäre nichts gewesen und nachdrücklich zum Aufbruch zu drängen. Schweren Herzens, wie er zugeben muss, hat sich Inu Yasha gefügt. Er hat fast einen ganzen Tag lang geschlafen und nachdem er irgendwann wieder wach wurde, hat er sich heißhungrig über eine ganzen Berg Essen hergemacht. Voller Neid muss er eingestehen, dass der Ostclan trotz allem eine fabelhafte Küche hat. Es fiel ihm wirklich schwer, das so rasch wieder aufzugeben. Aber keiner seiner Freunde wurde schwerwiegend verletzt und das ist ihm das Wichtigste. Nachdem sie alle ausreichend Schlaf nachgeholt haben, sind sie nun schon fast wieder fit genug für den anstrengenden Heimmarsch. Vor einigen Stunden sind sie aufgebrochen und auch wenn seine Verletzungen noch immer schmerzen, so scheinen die Heiler des Ostclans ihr Handwerk zu verstehen. Zumindest spürt er sein Bein jetzt wieder. Die Frage stellt sich zwar, ob das die Sache wirklich besser macht, denn nun brennt es wie Feuer, aber Inu Yasha beißt die Zähne zusammen. Er weiß, das gehört zum Heilungsprozess und wird sich vorerst nicht ändern lassen. Irgendwann werden auch diese Schmerzen verschwinden, das war schon immer so. Er ist nur froh, dass niemand seiner Freunde das durchmachen muss. Bei ihnen hilft kein Daiyoukaiblut nach bei der Heilung und so würde es vermutlich noch bedeutend länger und schmerzhafter sein, und das wünscht er wirklich keinem. Nicht einmal Sesshomaru. Argwöhnisch beobachtet er seinen Bruder der vor ihm geht. Sesshomarus Bewegungen sind etwas steifer als gewöhnlich und er legt auch nicht mehr dieses unangenehme Tempo an den Tag wie sonst wenn er reist. Nein, der Daiyoukai ist noch lange nicht wieder hergestellt. Doch was Inu Yasha weit mehr zum Grübeln bringt, ist die Stimmung seines Bruders. Sesshomaru war schon immer recht kühl und verschlossen, doch heute ist sein Schweigen anders. Inu Yasha weiß, dass seinem Bruder etwas schwer auf der Seele brennt und er hat eine ziemlich klare Vorstellung was das sein könnte. Er ist sich nicht sicher, ob er es wagen soll seinen Bruder darauf anzusprechen. Vermutlich würde Sesshomaru ohnehin kein Wort darüber verlieren und Inu Yasha wüsste auch gar nicht recht was er sagen sollte. Was kann er schon sagen um seinen Bruder aufzumuntern? Immer wieder blickt Inu Yasha zu Sesshomaru hinüber und langsam wird ihm klar, dass eigentlich er gerne über die ganze Angelegenheit reden würde. Auch ihm geht viel im Kopf herum und irgendwie hat er das Bedürfnis, sich darüber auszutauschen. Und diesmal ist es nichts, was er mit Kagome besprechen könnte. Das ist nur eine Sache zwischen ihm und seinem Bruder. Doch leider ergibt sich keine Gelegenheit, denn sein Bruder wandert unbeirrt weiter und macht nicht den Anschein, an einer Unterhaltung interessiert zu sein. Auf einmal verlassen sie den Wald und vor ihnen liegt ein weiter See der im hinteren Teil von einigen Berghängen begrenzt ist. Inu Yasha hebt den Kopf. Sesshomaru ist stehengeblieben. „Wir rasten heute hier“, sagt er und dann lässt er die kleine Reisegruppe ihr Lager aufbauen, während er ein Stück entfernt hinter einem der Bäume am Ufer verschwindet. Inu Yasha blickt ihm nach. Eine Weile ist er unschlüssig was er tun soll, doch dann ballt er die Faust und steht wieder auf, um seinen Bruder zu folgen. „Wo willst du hin?“, hört er Kagome hinter sich, „Lass ihn lieber in Ruhe. Er möchte jetzt bestimmt allein sein.“ Inu Yasha zögert. Doch dann sagt er: „Ist mir egal! Ich will ja nur mal nach ihm sehen! Ich werde ihn schon nicht ärgern.“ Mit diesen Worten folgt er seinem Bruder und lässt Kagome stehen die ihm ein wenig nachdenklich hinterherblickt. Es dauert nicht lange bis er den Daiyoukai aufgespürt hat. Sesshomaru sitzt an einen Baum gelehnt und blickt mit halbgeschlossenen Augen auf das Wasser vor ihm. Nun wo er hier ist, fühlt sich Inu Yasha doch etwas beklommen und er beißt sich ein wenig auf den Lippen herum. Wie soll er anfangen, ohne sofort eine Abfuhr zu kassieren? Doch Sesshomaru nimmt ihm diese Entscheidung ab. „Was willst du?“, fragt er, ohne den Blick vom See abzuwenden. Inu Yashas Herz pocht nervös. „Ich wollte nur mal nach dir sehen“, beschließt er dann zu antworten, „Alles in Ordnung mit dir?“ Sesshomaru rührt sich nicht, nur seine Kiefer verhärten sich. „Ist das alles was du wissen willst?“, fragt er schließlich. Inu Yasha atmet tief durch. „Eigentlich nicht“, gesteht er, „Ich dachte mir, du möchtest vielleicht... reden, oder so.“ Eigentlich rechnet Inu Yasha prompt mit einer verächtlichen Bemerkung und einer abweisenden Haltung seines Bruders, doch diesmal wird er überrascht. Sesshomaru tut nichts dergleichen. „Und worüber willst du reden?“, fragt er nach einer Weile. Ein wenig irritiert kommt Inu Yasha nun ins Schwimmen. Weiter als bis hier hat er die Unterhaltung nicht geplant. Eigentlich hat er schon viel früher damit gerechnet, dass sein Bruder in wegscheuchen würde. Da das nicht passiert ist, muss er nun improvisieren. „Was machen deine Verletzungen?“, fragt er. Sesshomaru seufzt kaum merklich. „Sie werden heilen, wie immer.“ Kritisch mustert Inu Yasha seinen Bruder. Eine ganze Weile schweigt er, aber dann stellt er doch die Frage die ihm auf der Seele brennt. „Tut es sehr weh?“ Sesshomaru schließt die Augen und er lässt langsam die Luft entweichen. „Du machst dir keine Vorstellung!“, sagt er leise. Inu Yasha stutzt. Soviel Offenheit ist er von seinem Bruder nicht gewohnt und deshalb bringt ihn dieses Geständnis ein wenig aus dem Konzept. Aus alter Gewohnheit heraus versucht er das heikle Thema erst mal herunterzuspielen. „Oh, ich denke schon!“, meint er abwehrend, „Ich kann mich immer noch kaum bewegen vor Schmerzen, und mein Bein bringt mich noch um. Viel hätte nicht mehr gefehlt und du hättest es mir abgebissen.“ „Dann wären wir jetzt quitt“, antwortet Sesshomaru trocken. Inu Yasha verstummt. Nachdenklich mustert er Sesshomaru von Kopf bis Fuß. Seine Wunden sind versorgt worden und man hat ihm andere Kleidung gegeben um die zerstörte zu ersetzen, doch noch immer fehlt dem Gesicht seines Bruders jede Farbe und unter seinen wässrig goldenen Augen liegen tiefe, dunkle Ringe. Der Daiyoukai wirkt so erschöpft wie er ihn noch nie zuvor gesehen hat, und Inu Yasha beschleicht eine wage Ahnung. „Wann hast du eigentlich zum letzten Mal geschlafen?“, fragt er. Sesshomaru versteift sich unwillkürlich, doch er sagt nicht. „Also noch vor unserer Abreise Richtung Osten“, stellt Inu Yasha fest, „Dachte ich es mir doch.“ Sesshomaru schweigt. „Ich verstehe“, nickt Inu Yasha leicht, „Deshalb also die übereilte Abreise.“ Er atmet einmal tief durch, dann meint er: „Du solltest dir endlich Ruhe gönnen. Wir sind weit genug vom Ostpalast weg. Hier brauchst du dir keine Gedanken darüber machen, dass jemand mitbekommen könnte, dass selbst ein Fürst des Westens im Schlaf seine Schmerzen nicht unter Kontrolle hat.“ Ein wenig überrascht hebt Sesshomaru den Kopf. Fast scheint es, als wolle er etwas sagen, doch dann überlegt er es sich doch anders. Schließlich sagt er zögernd: „Ich kann nicht schlafen.“ „Warum nicht?“, fragt Inu Yasha. Nun, da sein Bruder von selbst damit anfängt, kann er auch nachhaken. Doch Sesshomaru wendet sich wieder dem See zu. „Es ist wohl besser, wenn du dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmerst“, sagt er steif, „Jetzt geh! Es ist schon schwer genug sich zu konzentrieren, auch ohne, dass du mich mit irgendwelchen Fragen löcherst.“ Schweigend starrt Inu Yasha seinen Bruder an. Selbst wenn ihn die Reaktion seines Bruders nicht überraschen sollte, es kränkt ihn, solch eine rüde Abfuhr zu erhalten. Dabei hat er es diesmal wirklich nur gut gemeint. Aber seinem Bruder ist offenbar nicht zu helfen. Er wendet sich missmutig zum Gehen, doch dann sagt er noch verstimmt: „Tut mir leid, dass ich dich verletzt hab! Eigentlich wollte ich dich gar nicht so zurichten. Ich wollte eigentlich nur verhindern, dass du dich umbringst.“ Da ist es, das heikle Thema von dem er nicht recht wusste, wie er es zur Sprache bringen sollte. Aber nun ist er etwas verärgert, da fällt es im leichter, nicht zu sehr auf seinen Bruder Rücksicht zu nehmen. Schmollend will er von dannen stapfen, doch Sesshomarus Stimme hält ihn zurück. „Inu Yasha! Warte!“ Unwillig hält der Hanyou inne. „Was ist noch?“, fragt er patzig. Täuscht er sich, oder sieht Sesshomaru ein wenig verlegen aus. „Komm bitte wieder her!“, wiederholt der Daiyoukai. Diesmal klingt seine Stimme etwas milder. Lustlos schlendert Inu Yasha zu ihm zurück und stemmt den Arm in die Seite. „Was?“ Einen Moment lang scheint der Daiyoukai die richtigen Worte zu suchen dann meint er zögerlich: „Ich... habe mich noch nicht bei dir bedankt dafür, dass du mich... aufgehalten hast.“ Inu Yasha hebt eine Braue: „Hmm? Was sind denn das jetzt für neue Töne von dir?“ Sesshomaru atmet noch einmal tief durch und seine Faust öffnet und schließt sich unruhig. „Ich bin nicht besonders gut in solchen Dingen“, gibt er schließlich zögernd zu, „Aber ich möchte dir danken! Du hast mich vor einem schweren Fehler bewahrt, selbst noch unter Einsatz deines eigenen Lebens. Ich weiß, ich bin meist nicht besonders... umgänglich. Nicht jeder hätte an deiner Stelle so gehandelt. Das rechne ich dir hoch an.“ Ungläubig starrt Inu Yasha seinen Bruder an. „Dir geht’s wirklich nicht gut, oder?“, fragt er skeptisch. Doch dann wird er wieder ernst und strafft sich ein wenig. Erst zögert er noch kurz doch dann sagt er: „Ach, lassen wir endlich mal dieses alberne Geplänkel! Ich bin nämlich eigentlich auch nicht gut in so was.“ Demonstrativ lässt er sich neben seinen Bruder ins Gras plumpsen. „Schluss mit dem dummen Drumherum-Gerede! Ich sehe dir doch an, dass dir was zu schaffen macht. Du willst reden, also reden wir!“ Ein wenig verwirrt schaut Sesshomaru seinen Bruder an, doch dann wendet er sich wieder dem See zu. Allerdings scheint er sich auch nicht daran zu stören, dass sein Bruder direkt neben ihm sitzt und ihn verstohlen aus den Augenwinkeln beobachtet. Eine ganze Weile reden die beiden kein Wort. Schließlich seufzt Inu Yasha. „Na schön! Auch gut! Ich hab ja Zeit!“, murmelt er gedehnt. Wieder vergeht eine ganze Weile der Stille. Schließlich hebt Sesshomaru den Kopf. „Beabsichtigst du hier sitzen zu bleiben?“ Inu Yasha verschränkt die Hände hinter dem Kopf und lässt sich nach hinten ins Gras fallen. „Darauf kannst du wetten! Die ganze Nacht, wenn es sein muss.“ Verwundert schaut Sesshomaru ihn an. „Warum?“, fragt er. Inu Yasha überlegt einen Moment, dann sagt er. „Weil ich auch etwas loswerden möchte.“ „Und was?“, kommt es zögernd zurück. Inu Yasha setzt sich wieder auf und mustert seinen Bruder ernst. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Das hat mir gar nicht gefallen.“ „Einen Schrecken?“, kommt die langsame Frage zurück. „Ja, du Idiot!“, meint Inu Yasha nachdrücklich, „Was zum Teufel sollte diese Selbstmordaktion? So was passt einfach nicht zu dir. Ich dachte immer, dass nichts dich unterkriegen kann, dass du über allen Dingen stehst, besonders über mir, nebenbei bemerkt. Wenn mich irgendjemand gefragt hätte, wer der stärkste und unbeugsamste Youkai ist den ich kenne, dann hätte ich wohl gesagt: Sesshomaru! Na ja“, lenkt er rasch ein, „Vielleicht hätte ich es nicht gesagt, aber gedacht!“ „Ich kann dich vielleicht nicht besonders leiden, aber ich bin nicht so blöd, dass ich die Fähigkeiten eines Gegners nicht einschätzen könnte. Und du warst bisher von all meinen Gegnern der Zäheste. Bei unserem Kampf gestern musste ich bis an meine Grenzen gehen und noch darüber hinaus, nur um dich zum Stehen zu bringen. Aber ich hätte niemals gedacht, dass du wirklich so weit gehen würdest. Dafür kamst du mir immer zu perfekt vor.“ Der Daiyoukai blickt schweigend zu Boden. Aufmerksam behält Inu Yasha seinen Bruder im Auge. „Womöglich...“, beginnt er wieder nachdenklich, „lag es gerade daran. Du hast nie einen Fehler zugegeben. Du machst keine Fehler, nicht wahr? Als Herrscher über ein ganzes Volk kann man sich so was vermutlich nicht erlauben. Wahrscheinlich redest du dir das immer wieder ein.“ Inu Yasha atmet noch einmal tief durch. „Aber bei Tenmaru hast du gründlich Mist gebaut und irgendwann ließ sich das wohl nicht mehr leugnen. Muss ein ziemlicher Schock für dich gewesen sein, als du begriffen hast, dass du auch nicht unfehlbar bist.“ „Du hast ja auch wirklich nichts ausgelassen, um mir das klar zu machen“, zum ersten Mal ergreift Sesshomaru wieder das Wort. Überrascht blickt Inu Yasha ihn an. Der Daiyoukai schließt erschöpft die Augen. „Du hast recht. Ich hätte es gern geleugnet, aber deine Worte haben es mir einfach unmöglich gemacht.“ Inu Yasha schnauft auf. „Warum hast du dich überhaupt so lange angestellt? Seit Tenmaru bei uns aufgetaucht ist, warst du die Kratzbürstigkeit in Person. Du hast doch gewusst, dass er dein Sohn ist. Es ist eine Sache, das für sich zu behalten, aber du hast ja geradezu verzweifelt versucht es zu leugnen. Das will mir einfach nicht in den Kopf.“ „Weil ich...“, Sesshomaru bricht ab. Er scheint nach den richtigen Worte zu suchen. Schließlich fragt er: „Hast du dich jemals gefragt, ob deine Mutter unserem Vater aufrichtige Gefühle entgegengebracht hat?“ Überrascht hebt Inu Yasha die Brauen: „Was hat das damit zu tun? Spielt das wirklich eine Rolle?“ „Beantworte meine Frage!“, entgegnet Sesshomaru, „Die Beziehung unseres Vaters zu deiner Mutter hatte nicht das Geringste mit Logik oder Politik zu tun. Sie verlief ausschließlich emotional. Wie würdest du darüber denken, wenn sie ihn niemals geliebt hätte, oder er sie?“ Inu Yasha stutzt. Nachdenklich blickt er zu Boden. „Wäre dann nicht die ganze Beziehung eine Lüge gewesen?“, fährt Sesshomaru fort, „Ein Verrat? Würde das nicht alles beschmutzen was zwischen ihnen war?“ „Schon möglich“, räumt Inu Yasha zögernd ein, „Aber sie haben sich geliebt. Dessen bin ich mir sicher.“ „Und was sagt dir das?“, hakt Sesshomaru nach, „Hast du dafür irgendwelche Beweise?“ „Er kam um mich und meine Mutter zu retten, unter Einsatz seines Lebens“, erwidert Inu Yasha, „Ist das nicht Beweis genug?“ „Und wenn unser Vater nun angenommen hätte, sie würde seine Liebe nicht erwidern? Eine Liebe für die er unglaublich viel riskiert hat. Sein Ansehen, seine Familie, die Loyalität seines Volkes. Wenn ihm jemand Beweise geliefert hätte, dass sie überhaupt nicht an ihm interessiert gewesen wäre, glaubst du, er wäre ihr trotzdem zur Rettung geeilt? Glaubst du, du würdest dann jetzt hier neben mir sitzen?“ Einen langen Augenblick schaut Inu Yasha seinen Bruder an. Es ist schwer zu erraten was er denkt, doch dann hebt er den Kopf. „Ja, das denke ich!“, sagt er mit Nachdruck. Sesshomarus Augen weiten sich. In seinem Blick liegt nun zum ersten Mal ehrliches Interesse. „Wie kommst du darauf?“ „Ganz einfach!“, im Schneidersitz hockt Inu Yasha da und hat die Hände um seine Füße gelegt, „Weil unser Vater ein Ehrenmann war. Selbst wenn er womöglich enttäuscht und gekränkt wäre, er hätte uns trotzdem beschützt. Einfach, weil er das Gefühl hätte, uns zumindest das schuldig zu sein.“ Eine ganze Weile kommt von dem verletzten Daiyoukai keine Reaktion. Dann sagt er betrübt: „Vermutlich ist das der Grund weshalb ich ihn niemals erreichen werde.“ Sesshomarus Blick ist starr zu Boden gerichtet. „Ich bin überrascht, dass du trotz allem eine so hohe Meinung von mir hast, aber ich bin lange nicht so... vollkommen wie du mich siehst. Ich habe bei weitem nicht Seine Größe.“ „Was meinst du damit?“, fragt Inu Yasha. „Ich konnte es ihr nicht verzeihen“, Sesshomarus Stimme ist leise geworden, „Ich wollte alles vergessen was zwischen uns war. Ich wollte sie für immer aus meinem Leben verbannen.“ „Wen? Hanaki?“, stellt Inu Yasha die Vermutung an. Nun kommt ein wenig Bewegung in den Daiyoukai neben ihm. Sesshomaru hebt den Kopf dann sagt er leise: „An diesem See habe ich sie zum ersten Mal richtig wahrgenommen.“ Inu Yasha hebt etwas irritiert die Brauen doch er sagt nicht. Er lässt seinen Bruder reden. Offenbar hat er schließlich doch den Mut dazu gefunden, über das zu sprechen was nun sein ganzes Leben grundlegend verändert hat. Und dass es so ist, dafür braucht Inu Yasha nicht Gedanken lesen können. Ein Blick in das Gesicht seines Bruders genügt. Der Daiyoukai ist in den letzten Tagen um Jahre gealtert. Sesshomaru schluckt einmal dann fährt er leise fort. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Wirkung ihre Witterung auf mich gehabt hat, auf jeden Mann der mit ihr zu tun hatte. Du hast Yarinuyukis Reaktion auf... Ihn gesehen. Es ist unglaublich mächtig. Ich wollte sie so sehr, mir war alles andere egal.“ Wieder muss er schlucken. Es fällt dem Daiyoukai sichtlich schwer weiterzusprechen. „Aber das war es nicht, was mich am meisten an ihr anzog. Sie war stark und klug und sie war mit Herz und Seele eine Anführerin. Und sie war stolz. Sehr stolz“, er senkt betrübt den Blick, „Und sie war einsam! Sie durfte sich niemals gestatten, ihren Gefühlen nachzugeben. Ständig musste sie ihre Untergebenen auf emotionaler Distanz halten. Auf ihren Schultern lastete unheimlich viel Verantwortung und sie hatte niemanden, mit dem sie diese Last teilen konnte“, wieder macht der Daiyoukai eine Pause, „Wir waren uns sehr ähnlich. Vielleicht war es das, was mich so unwiderstehlich zu ihr hinzog.“ Ein wenig unbehaglich rutscht Inu Yasha auf seinem Platz hin und her. Wie soll er mit dieser plötzlichen Offenheit seines Bruders umgehen? Doch Sesshomaru redet schon weiter als wäre er weit weg mit seinen Gedanken. „Damals, in Arashitsumes Palast, hat es geregnet. Als er mir einredete, sie hätte sich nur mit mir eingelassen, um sich mit einem Kind von mir die Fürstenwürde zurückzukaufen, da hat es geregnet. Niemand hat es bemerkt, aber es waren keine Regentropfen auf meinem Gesicht. Ich war gebrochen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr es geschmerzt hat, sie zu verlieren.“ „Sesshomaru...“, meldet Inu Yasha sich nun etwas unbehaglich zu Wort, „Fass das jetzt bitte nicht falsch auf, aber warum erzählst du gerade mir das? Wir standen uns nie besonders nahe. Ich meine... na ja, ich weiß ehrlich gesagt nicht so recht was du jetzt von mir erwartest.“ Der Daiyoukai nickt langsam. „Du hast recht!“, sagt er, „Wir standen uns nie besonders nahe. Aber“, nun blickt er wieder zu Inu Yasha auf, „in den vergangenen Tagen hast du dich zum ersten Mal in deinem Leben wie ein wahrer Fürstensohn, wie ein wirklicher Sohn unseres ehrenwerten Vaters, verhalten und ich bin... stolz auf dich.“ Inu Yasha schießt unwillkürlich das Blut ins Gesicht. „Also... Sesshomaru...“, stammelt er verlegen, doch der Daiyoukai redet schon weiter. „Und deshalb habe ich auch beschlossen heute ausnahmsweise ganz ehrlich mit dir zu sein.“ Verblüfft und ziemlich verunsichert beobachtet Inu Yasha seinen Bruder. Leise redet dieser weiter. „Um die Wahrheit zu sagen“, wieder zögert er, „es fällt mir sehr schwer... mit dieser Situation umzugehen und ich... würde es begrüßen, mit einem... Familienmitglied über diese Sache zu reden.“ „Ähm... also...“, dem Hanyou hat es unwillkürlich die Sprache verschlagen. Irgendwie ist ihm aus verschiedenen Gründen gerade gar nicht wohl in seiner Haut. Zum einen weil ihn das Wohlwollen und das immer noch so untypische Verhalten seines Bruders gerade ein wenig aus der Fassung bringt, und zum anderen weil er eine Ahnung hat, dass das Thema dieser Unterhaltung sicher nicht sein Fachgebiet ist. Doch dann fasst er sich ein Herz. „Sie fehlt dir, nicht wahr?“ „Ja...“, dem Daiyoukai bricht beinah die Stimme weg. „Und Tenmaru ebenfalls“, stellt Inu Yasha behutsam fest. So viel Taktgefühl besitzt er gerade noch. Sesshomaru fährt sich über die Augen. „Ich komme mir sehr töricht vor, dass ich dich damit behellige“, gibt er zu. „Also wenn du das schon selbst einsiehst“, meint Inu Yasha gönnerhaft, „dann besteht für dich wohl noch Hoffnung.“ Dann wird er wieder ernst. „Aber mal Spaß beiseite. Ich kann durchaus verstehen, dass dir das hier unglaublich peinlich ist. Einem Daiyoukai fällt es sicher nicht leicht, über seine Gefühle zu reden. Es fällt mir ja schon nicht leicht.“ „Ein Daiyoukai redet niemals über seine Gefühle.“ „Sag ich doch“, meint Inu Yasha, „Kagome würde jetzt sagen: Sie sind wirklich zu bedauern!“ Aus den Augenwinkeln beobachtet der Daiyoukai den Hanyou der neben ihm sitzt. Doch seine Gedanken behält er für sich. „Sesshomaru?“, wendet sich Inu Yasha nun wieder an seinen Bruder. „Ja?“ „Tenmaru war schon ein prima Kerl, nicht wahr?“ „Ja. Das war er.“ „Ich glaube, er war fast so stark wie du.“ „Er kämpft genau wie seine Mutter.“ „Hast du sie jemals kämpfen gesehen?“ „Ja.“ „Und wie ist sie?“ „Nicht schlecht.“ „Na komm! Nur keine falsche Bescheidenheit! Sei ehrlich!“ „Sie hätte dich in drei Sekunden aufs Kreuz gelegt.“ „Blödsinn! Du übertreibst!“ „Du hättest dich freiwillig hingelegt.“ „Nie im Leben!“ „Du vergisst ihre Witterung. Du hättest alles getan, was sie von dir verlangt hätte.“ Hier hält Inu Yasha inne. „So heftig, ja?“ Sesshomaru seufzt. „Oh ja.“ Verwundert schüttelt Inu Yasha den Kopf: „Wie machst du das bloß? Das frage ich mich schon die ganze Zeit. Wie bringst du es bloß fertig, dir diesen ganzen Kram nicht anmerken zu lassen. Woher nimmst du nur diese unerschütterliche Selbstbeherrschung? Ich wär manchmal froh, wenn ich nur ein bisschen davon hätte.“ Sesshomaru blickt auf. Er sieht sehr erschöpft aus. „Ich wünschte, es wäre so einfach, wie du dir das vorstellst. Aber manchmal ist daran festzuhalten das Einzige was mich aufrecht hält.“ „Ist deine Würde wirklich alles was dir bleibt?“, ernst blickt Inu Yasha ihn an, „Ich glaube, dann bist du wirklich zu bedauern.“ Sesshomarus Augen fliegen auf. Doch Inu Yasha fährt schon fort: „Du darfst dich nicht so hängen lassen. Ich verstehe, dass du traurig bist. Ich...“, er zögert kurz, „ich kann dich sogar sehr gut verstehen. Du bist nicht der Einzige, der jemanden verloren hat, der ihm viel bedeutet. Aber ich habe gelernt, dass es irgendwann weitergeht. Es wird immer jemanden geben, der das Loch in deinem Herzen wieder schließen kann... mit der Zeit. Man muss es nur zulassen.“ Sesshomaru blickt schweigend auf die langsam untergehende Sonne, die sich auf den See herniedersenkt. „Ich sehe sie noch immer vor mir“, murmelt er leise, „Sie war so unglaublich schön! Ich hätte sie niemals aufgeben können, obwohl ich es so sehr versucht habe. Sie war alles was ich jemals wollte. Die einzige Seele mit der ich mich je verbunden gefühlt habe. Als sie ging, war ich am Boden zerstört. Und Tenmaru“, er schluckt schwer, „Wegen eines Schwurs gegenüber einem Verräter, hab ich meine Zukunft aufgegeben. Ich habe mich blenden lassen und meinen Stolz über das Einzige gestellt, was mir von ihr noch geblieben war. Nun habe ich beide verloren. Ich werde niemals ungeschehen machen können, was geschehen ist und ich werde niemals wiederbekommen, was mir genommen wurde. Damit werde ich leben müssen. Wie kann dieses Loch jemals geschlossen werden?“ „Du hast immer noch Rin!“, ernst blickt Inu Yasha seinen Bruder an, „Wenn ich mich nicht täusche, hast du sie gestern offiziell adoptiert und inzwischen sollte allen klar sein, dass sie für dich mehr ist als nur ein Zeitvertreib oder eine Laune.“ Sesshomaru blickt auf. Aber Inu Yasha redet schon weiter. „Sie liebt dich! Du warst immer schon wie ein Vater zu ihr. Wenn du es zulässt, dann wird der Verlust irgendwann nicht mehr ganz so wehtun.“ Nachdenklich betrachtet Sesshomaru seinen Bruder. Dann fragt er: „Inu Yasha, kann ich dich etwas fragen?“ Der Hanyou hebt die Brauen. „Hmm? Warum so förmlich? Was ist?“ Noch immer beobachtet der Daiyoukai ihn eingehend. Dann fragt er: „Du und dieses Menschenmädchen... ist das was Ernstes?“ Ertappt fährt Inu Yasha zusammen. „Was geht dich das an. Und selbst wenn es so wäre, das wäre dann ja wohl meine Sache!“ „Sie ist eine Miko, das ist dir klar, oder?“, sagt Sesshomaru ruhig. „Ja und, selbst wenn es so wäre. Ist doch egal, oder?“ „Und du bist ein Hanyou.“ „Na und, wen juckt das?“ „Ein Fürstensohn.“ „Ich kapier nicht worauf du... Oh!“, nun scheint es Inu Yasha langsam zu dämmern. „Das ist nicht erlaubt, oder?“, fragt er etwas kleinlaut. „Ich will es so sagen: Es ist bei unserem Volk nicht gerne gesehen, wie du inzwischen vielleicht mitbekommen hast. Und wie wichtig es für einen Fürsten ist, eine gewisse... Stellung zu wahren, muss ich dir nach den Geschehnissen wohl auch nicht mehr erklären. Aber eigentlich geht es mir um etwas anders.“ „Und das wäre?“, skeptisch sieht Inu Yasha seinen Bruder an. Der Daiyoukai ist offenbar bemüht, sich die richtigen Worte zurecht zu legen. Dann sagt er: „Normalerweise verlieben sich Youkai nicht. Besonders die Fürstenehen kommen überwiegend durch Absprache zustande. Du hast vielleicht schon davon gehört, dass Youkaikinder, die aus Liebe gezeugt werden, unerwünscht sind. Und das aus gutem Grund. Wir sind Youkai! Dämonen. Wir sind Verdammte! Unserem Vater wurde die Liebe zu einer Frau zum Verhängnis. Die einzige Liebe meines Lebens und mein einziger Sohn wurden mir beide genommen. Deine erste Liebe, diese tote Priesterin, sie bannte dich für Jahre an einen Baum und starb im Hass auf dich, weil sie dich für ihren Mörder hielt.“ Inu Yashas Herz schlägt bis zum Hals. „Das sind alles nur Zufälle! Das hat nichts damit zu tun“, stößt er entschieden hervor. „Ach ja?“, gibt Sesshomaru unnachgiebig zurück, „Ist dir noch niemals der Gedanke gekommen, dass wir vielleicht solch ein Glück gar nicht verdienen? Mein Vater nicht, du nicht und ich auch nicht. Auch mit dieser Kagome wird es nicht anders sein. Glaube mir, das Dämonenblut, das uns so stark macht, verwehrt uns gleichermaßen auch das was die Götter ausschließlich für die Menschen vorgesehen haben. Für uns kann Liebe nichts anderes als Schmerz bedeuten. Für uns nimmt es nie ein gutes Ende. Das ist unser Schicksal! Finde dich damit ab!“ Inu Yasha sitzt da wie vor den Kopf geschlagen. Dann schließlich erhebt er sich langsam und schaut mit verschlossener Miene auf seinen Bruder hinab. „Das denkst du also wirklich, ja? Jetzt will ich dich etwas fragen. Empfindest du Reue für Tenmarus Tod?“ Ein leichtes Zittern geht durch den Körper des Daiyoukai. „Ja!“, sagt er so selbstbeherrscht wie er es vermag, „Jeden Augenblick!“ „Das ist gut!“, sagt Inu Yasha kühl, „Denn, Sesshomaru, nicht das Schicksal ist schuld an Tenmarus Tod, sondern du!“ Der Daiyoukai reißt die Augen auf und er erstarrt. Ungläubig starrt er seinen Bruder an und man kann deutlich die tiefe Verzweiflung erkennen, die sich nun auf sein bleiches Gesicht legt. Unnachgiebig hält der Hanyou dem Blick seines Bruders stand, der ihn still anfleht, diese schmerzhafte Wahrheit ungeschehen zu machen. Doch Inu Yasha ist weit davon entfernt. Stattdessen ergreift er noch einmal das Wort. „Aber weißt du was? Das bedeutet auch, dass du etwas verändern kannst. Du bist kein Spielball des Schicksals.“ Ernst blickt er seinen Bruder an. „Ich werde dir mal was sagen! Kämpfen und für etwas einstehen, das einem wichtig ist, ist niemals vergebens! Würde ich glauben, dass alles in meinem Leben vorherbestimmt ist, dann hätte ich schon vor hundert Jahren aufgegeben. Und weiß Gott, ich stand mehr als einmal kurz davor. Aber ich gehe weiter! Ich kämpfe weiter! Und was ich selbst zu verantworten habe, das kann ich auch ändern. Mein Schicksal bestimme ich selbst, niemand sonst.“ Mit diesen Worten wendet er sich zum Gehen. „Solange du Reue empfindest, musst du auch die Verantwortung übernehmen und solange du das tust, bist du nicht machtlos! Glück fliegt einem nicht zu, genau so wenig wie es einem entrissen wird. Man muss dafür kämpfen! Denk mal drüber nach!“ Noch einmal wirft er kurz einen Blick über die Schulter zurück, doch dann wendet sich der Hanyou ab und verschwindet zwischen den Bäumen. Still blickt der Daiyoukai über den See hin zur sich senkenden Sonne. Da ist noch immer diese schreckliche Leere in seinem Herzen und dieser furchtbare Schmerz, der nicht von seinen vielen Wunden herrührt. Aber die Worte seines Bruder klingen noch immer in ihm nach. Er hat Recht! Sesshomaru seufzt leise. Warum ist es eigentlich immer wieder Inu Yasha, dem er einfach nichts vormachen kann? Er hat ihn immer schon instinktiv sofort durchschaut, auch wenn der Daiyoukai alles daran gesetzt hat, sich das niemals anmerken zu lassen. Doch bei seinem Bruder ist das scheinbar vergeblich. Nach Tenmarus Tod, hat jedes seiner Worte zielgenau jeden einzelnen wunden Punkt getroffen, den dieses ganze Dilemma schon die ganze Zeit in ihm hervorgerufen hat. All diese Fragen hat er sich auch schon gestellt, und versucht, sie beiseite zu wischen, oder sich schön zu reden. Vergeblich! Der Hanyou hat ihm gehörig den Kopf gewaschen, und vermutlich war das auch nötig. Vielleicht ist das der Grund warum er das Bedürfnis hatte, ausgerechnet seinem Bruder gegenüber sein Herz auszuschütten, und bei allen Göttern, er hatte schon vollkommen vergessen, wie gut so etwas tun kann. Irgendwie scheint Inu Yasha ihn immer zu durchschauen, und er versteht ihn. Er hat sich nicht lustig über ihn gemacht, als er die immense Flut an furchtbaren Gefühlen einfach nicht mehr bei sich behalten konnte, sondern hat sich sogar einfühlsam bemüht, etwas produktives zu ihrem Gespräch beizusteuern. Sesshomaru lässt den Kopf rückwärts an den Baumstamm hinter ihm sinken. Vielleicht ist es gerade das, was mich an ihm so auf die Palme bringt, dass er mich so gut kennt und sich von mir nichts vormachen lässt. Er war schon immer ein Kämpfer. Er gibt nicht auf, und das obwohl er es immer viel schwerer hatte als ich. Und er hat nicht zugelassen, dass ich mich aufgebe, obwohl ihn das beinah umgebracht hätte. Ich werde manchmal einfach nicht schlau aus ihm. Sesshomaru lässt den Blick langsam in die Runde schweifen. Vor seinem Inneren steigen Bilder auf von längst vergangenen Tagen. Wieder steht sie vor ihm. So wunderschön und verführerisch, dass es nur noch mehr schmerzt, zu wissen, dass sie tot ist. Er hätte mutiger sein müssen. Er hätte sie niemals aufgeben dürfen, und niemals hätte er Arashitsumes Worten Glauben schenken dürfen. Wie es wohl gewesen wäre, wenn er es wahr gemacht hätte. Wenn er sie damals tatsächlich geheiratet hätte. Nichts von all dem hier wäre dann je passiert und vielleicht hätte er dann diesen Abend irgendwo in seiner Heimat zusammen mit seinem Sohn verbracht. Tenmaru! Ich habe dich so ungerecht behandelt. Dich traf an der ganzen Sache nicht die geringste Schuld. Ich hätte dir ein Vater sein sollen und war dir nur ein Feind. Ich hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen! Ich hätte dich anerkennen sollen! Ich habe so viele Fehler gemacht. Auf einmal vernimmt er neben sich eine leise, zaghafte Stimme. „Sesshomaru-sama, du weinst ja!“ Langsam wendet er sich dem kleinen Mädchen zu, das neben ihm steht und ihn besorgt mit großen Augen ansieht. Mit den Fingerspitzen fährt sich Sesshomaru flüchtig über das Gesicht. Dann streckt er den Arm nach ihr aus. „Komm her, Rin! Setz dich!“ Gehorsam rückt das kleine Mädchen etwas näher und nimmt dann neben ihrem Herrn Platz. Wie beiläufig lässt er die Schleppe seines Pelzes um ihre Schultern gleiten und das Mädchen kuschelt sich wohlig hinein. Inu Yasha, denkt Sesshomaru. Sogar eben hat er gleich erkannt, was er brauchte und er war sich nicht zu schade dazu, es ihm mitzuteilen. Auch wenn ihm das vielleicht gar nicht klar gewesen ist. Er ist nicht Spielball des Schicksals, hat er gesagt. Glück fliegt einem nicht zu und wird einem nicht entrissen, man muss darum kämpfen! Dieser sture Hanyou! Er hat gleich gemerkt, dass er dabei war, in Selbstmitleid zu zerfließen und wieder hat er es nicht zugelassen. Nein, das ist eines Daiyoukais unwürdig. Er fühlt noch immer Trauer und seine Wangen sind feucht von den stillen Tränen, die einfach seinem Schmerz Ausdruck verleihen müssen, aber nun legt sich ein sanftes Lächeln um Sesshomarus Lippen. Wie beiläufig geht sein Blick hinab zu Tenseiga. Inu Yasha hat Recht! Und wenn es mich alles kosten mag was ich besitze, ich werde mein Schicksal selbst bestimmen! Ich werde kämpfen! Die Sonne ist inzwischen untergegangen. Kagome beginnt sich langsam Sorgen zu machen. Schon vor einer Weile ist Inu Yasha wieder aufgetaucht, kurz nachdem Rin verschwunden ist. Der Hanyou meinte zwar, dass sie auf der Suche nach Sesshomaru war, und dass er ihr den Weg gewiesen hat, aber seitdem ist das Mädchen noch nicht wieder aufgetaucht und Kagome wird unruhig. „Wir sollten nachsehen wo sie steckt“, meint sie, „Kommst du mit?“ Stöhnend erhebt sich Inu Yasha. Er hatte sein schmerzendes Bein gerade erst in eine halbwegs angenehme Position bekommen, aber was sein muss, muss wohl sein. Gemeinsam gehen sie Seite an Seite durch den nächtlichen Wald. Der Schein der untergegangenen Sonne ist kaum noch zu sehen. „Meinst du, er kommt zurecht?“, fragt Kagome während sie gehen, „Er scheint sich das Ganze wirklich sehr zu Herzen zu nehmen.“ Inu Yasha trottet schweigend neben ihr her. Doch dann sagt er: „Sesshomaru kommt schon zurecht. Er ist ein Daiyoukai, die sind unverwüstlich.“ „Und du?“, Kagome ist stehengeblieben, „Das Ganze hat dich doch auch stark mitgenommen. Du machst mir nichts vor. Die Sache geht dir doch auch nahe. Tenmaru war immerhin dein Neffe.“ Nun bleibt auch Inu Yasha stehen. Einen Moment lang hält er inne. Dann dreht er sich langsam zu ihr um. Tiefgolden glänzen seine Augen durch die Nacht. Kagome stutzt. Sie hat diesen Blick schon einmal bei ihm gesehen, und ihr Herz fängt schon wieder an so verräterisch zu pochen. „Kagome“, sagt Inu Yasha leise, „Erinnerst du dich noch, als ich nach dem Sieg über Chihime sagte... mir würde nichts fehlen?“ „Ja...“, kommt die zögernde Antwort. „Weil es stimmt! Mir fehlt nichts. Im Gegensatz zu Sesshomaru, habe ich alles was ich brauche.“ Kagomes Augen weiten sich. Behutsam hebt Inu Yasha eine Hand und streift ihr kurz über eine Wange, und Kagomes Knie werden weich. „Ich kann Sesshomaru so gut verstehen“, murmelt Inu Yasha gedankenverloren, „Wenn ich dich verlieren würde... Dann wüsste ich auch nicht mehr weiter. Dann könnte ich genau da sein, wo er jetzt ist.“ „Inu Yasha...“, sprachlos blickt Kagome den betrübten Hanyou an. Doch im selben Moment gibt sich Inu Yasha einen Ruck und setzt seinen Weg fort. Verwirrt starrt Kagome ihm hinterher. Doch dann kommt wieder Leben in sie und rasch läuft sie ihm nach. Kaum hat sie ihn erreicht, hakt sie sich behutsam bei ihm ein und sie kann spüren wie seine warme Hand ihren Arm ein wenig fester als nötig hält. So laufen sie gemeinsam schweigend durch die Nacht, bis sie die Stelle erreichen an der Inu Yasha seinen Bruder unter dem Baum verlassen hat. Schon von weitem ist der weiche, weiße Pelz noch in der Dunkelheit auszumachen und in seine weiten Windungen gerollt entdecken sie Rin, die dort friedlich in tiefem Schlaf liegt. Was die beiden ein wenig mehr überrascht, ist die schlanke Hand die behutsam auf ihrem Kopf ruht. Leise treten die beiden näher, um das Mädchen nicht zu wecken. Dann umrunden sie den Baum und im selben Moment weiten sich ihre Augen vor Überraschung. Dort an den Stamm gebettet lehnt noch immer Sesshomaru in der selben Haltung in der Inu Yasha ihn verlassen hat, doch seine Augen sind geschlossen und seine Brust hebt und senkt sich langsam und gleichmäßig. Der erschöpfte Fürst des Westens hat endlich seinen so schwer benötigten Schlaf gefunden. Hin und wieder verkrampft sich seine Brust und sein Gesicht verzieht sich schmerzverzerrt, und gelegentlich entfährt ihm ein leises Stöhnen, doch der Daiyoukai schläft tief und fest. Inu Yasha verzieht das Gesicht. „Na, das wurde aber auch Zeit! Er musste schon viel zu lange dagegen ankämpfen.“ „Er hat es sich verdient“, sagt Kagome, „Ich glaube, um Sesshomaru müssen wir uns keine Sorgen machen. Lassen wir ihn schlafen!“ Inu Yasha nickt. „Morgen wird es ihm zwar peinlich sein, aber schließlich ist er auch nur ein Mensch!“ Er grinst ein wenig. „Oh Gott, lass ihn das bloß nicht hören!“, wispert Kagome und dann schiebt sie ihren Freund wieder in die Richtung aus der sie gekommen sind. Noch ein letztes Mal wendet sich Inu Yasha zu ihm um. Gute Nacht, Bruder! Erhole dich gut! Du schaffst das schon! Du hast noch immer die Chance etwas zu ändern, und so wie ich dich kenne, wirst du das sicher auch irgendwann tun. Dann fasst er Kagomes Hand und die beiden verschwinden zusammen leise in der Nacht. Glossar: Sesshomaru = Beender allen Lebens/ Perfektes Töten Yarinuyuki = Durchhalten im Schnee Yaeba = Eckzahn Arashitsume = Sturmklaue Yaomonzurushi = Allen Achtung entgegenbringender Zahn Yaeba/Yaomonzurushi = Wortspiel → Beides wird mit den selben Kanjis geschrieben Inu Taishou = Herr/General der Hundeköpfe Inu Taiarashi = Hund des großen Sturmes Inu Taihyouga = Hund des großen Gletschers Chihime = Blutprinzessin Hanaki = Schöne Blume Samushi = Kältetod Kegawa = Pelz Raihone = Blitzknochen Raiuko = Gewitterkind Katsubou = Gier Himoku = Holzkratzer Itakouri = Eisschmerz Kossoridoku = heimliches Gift Bouryoku = Gewalt Sokudo = Geschwindigkeit Dokutoge = Giftdorn Chitsurao = Bitterblut Kashikomon = Tor der Weisheit Higashi no Ken = Schwert des Ostens Higashi no Tate = Schild des Ostens Futaba = Zwillingszahn Nibai no Kamikizu = Doppelbiss Yuushuu Nibai no kamikizu = Überlegener Doppelbiss Kourimori = Eiswald Haka no Kesshou = Kristallsarg Wird ggf. ergänzt... (Sagt gerne bescheid, falls noch ein Wort unklar ist. Vielen Dank fürs Lesen, ich hoffe, es hat euch gefallen! *verbeug*) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)