Dryaden von winterspross (Wichtelgeschichte für LumCheng) ================================================================================ Kapitel 2: Zwei: Goldjunge -------------------------- Magellan träumte vom Alten Kontinent. Ob es dort auch Bäume gab? Die Rinde seines Baumes, an dem er lehnte, verströmte einen würzigen Geruch und gab ihm das Gefühl von Geborgenheit. Es war wunderbar warm im Freien; die Sonne hatte sich nach einem kurzen Regenguss am Morgen doch noch herausgewagt und schien das gesamte Gebiet in ein dampfendes, friedliches Paradies verwandelt zu haben. Dass dieses Gefühl trügerisch sein konnte, wusste er, doch für einen kurzen Moment gab er sich dem Frühlingsmorgen hin und genoss einfach, dass er nichts zu tun hatte. Im Stamm öffnete sich eine Falltür. „Mag? Bist du da draußen?“ Amaranth schien aufgeregt zu sein. Hektisch sah sie sich um und blickte in das genervte Gesicht ihres Freundes, der ganz offensichtlich keine Lust hatte, irgendetwas zu tun. „Ach, da bist du ja. Hab ich dich gerade gestört?“ „Natürlich nicht“, murmelte er und bemühte sich, ein freundliches Gesicht zu machen. „Um so besser“, grinste sie ihn an und kletterte aus dem Baum zu ihm heraus. „Ich bin beauftragt worden, dir mitzuteilen, dass wieder ein paar Neue angekommen sind. Kara meint, du sollst sie dir mal ansehen.“ __ Er fand es immer wieder erstaunlich, welche Wunderwelt der Baum in sich trug. Jemand, den er niemals getroffen hatte, musste hier vor langer Zeit einen eigenen Kosmos unter der Rinde geschaffen haben. Wie immer fühlte er Bedauern in sich aufsteigen, dass er diesem Jemand nicht für die Treppen, die vielen in den Ästen versteckten Zimmer und den großen Hauptsaal im Stamm danken konnte. Es wäre sicher sehr interessant gewesen, mit ihm über die Zeit zu sprechen, als die Stadt noch nicht unter einer riesigen Glaskuppel gelegen hatte und Luft etwas gewesen war, das einfach jedem gehörte und nicht denen, die das Geld für dieses Luxusgut hatten. Der Frühling schien viele der Dryaden aus dem Baum getrieben zu haben, denn auf ihrem Weg nach unten begegneten Magellan und Amaranth kaum andere Kinder. „Findest du das gut, dass so viele von uns draußen herumlaufen?“, sagte er zu seiner Begleiterin. Sie schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. Ganz geheuer schien ihr die ganze Sache auch nicht zu sein. „Ich werde nachher jemanden beauftragen, der die Kleinen wieder hereintreibt, wenn du das möchtest.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, lass sie nur. Wer weiß, wann es wieder einmal so einen schönen Tag gibt.“ Mit diesen Worten öffnete er die schwere Holztür zum Hauptsaal. Stickige Luft schwappte ihm entgegen und wie aus einem Reflex befahl Magellan, die Lüftungsschlitze zu öffnen. Flach atmend lief er auf die Gruppe verdreckter, ausgemergelter Gestalten zu, die er sofort im hinteren Teil des Raumes entdeckt hatte, und begrüßte sie freundlich. Es mussten ungefähr acht bis zehn Neue eingetroffen sein; er zählte sie langsam, um auch ja keines der lebhaften Kinder zu übersehen. Kara, Vaters Sohn und Magellans rechte Hand, wurde regelrecht von den Kleinen belagert. Ein erschreckend dünnes Mädchen hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt und ließ sich glücklich von ihm streicheln. Es sah ganz nach Liebe auf den ersten Blick aus. Fast musste Magellan grinsen, als ihm auffiel, wie ähnlich es mit ihren großen grünen Augen einer Katze sah. „Kara, wie lange sind sie schon hier?“, wollte er wissen und hockte sich in die Gruppe der Kinder, die ihn neugierig und sehr hungrig anstarrten. „Hast du ihnen schon etwas zu essen gegeben?“ Der andere verzog sein Gesicht. „Was denkst du denn? Ich habe natürlich schon jemanden nach Essen geschickt.“ „Gut“, lächelte Magellan, streichelte das kleine Katzenmädchen und war überhaupt nicht erstaunt, dass es spielerisch nach seiner Hand schnappte. Es war komplett nebensächlich, wie es früher geheißen hatte, hier würde es einen neuen Namen bekommen, so war es der Brauch. „Na, Kitty“, versuchte er den Klang, „gefällt es dir hier?“ Sie grinste ihn breit an, der Name schien ihr zu gefallen. Sie hatte gerade ihre ersten Milchzähne verloren. „Ja, hier sind alle nett zu mir. Aber ich habe Hunger.“ __ „Ich verstehe das nicht“, flüsterte Magellan Amaranth zu. „Wieso kommen immer im Frühling so viele Neue zu uns?“ „Vielleicht müssen sie sich den ganzen Winter verstecken und dann, wenn es warm wird, kommen sie aus ihren Höhlen gekrochen?“, murmelte sie. „Ach, was weiß ich. Ich freue mich, dass wir wieder mehr sind.“ Magellan fühlte sich beobachtet. Die Neuankömmlinge aßen sich an dem satt, was ihnen gebracht worden war, und waren ganz darauf konzentriert, so viel wie möglich von den Speisen zu ergattern. Nur einer starrte ihn ganz unverhohlen an; er saß etwas abseits und schien keine Lust auf Essen zu haben. Etwas an diesem Jungen irritierte Magellan; er musste einige Augenblicke überlegen, was es war: Der andere war auf eine seltsam irritierende Art und Weise unmenschlich schön. Ohne es zu merken, ging er langsam auf ihn zu, bis er knapp vor ihm stand. Obwohl der Neue am Boden hockte und ohne erkennbare Regung zu ihm hinaufstarrte, fühlte er sich mit einem Mal schrecklich unterlegen. Der Blick dieser seltsam goldenen Augen, die so ganz und gar nicht zu den rostroten Haaren passen wollten, schien ihn zu durchbohren, kaum konnte er ihm standhalten. Ganz leise seufzte er auf. Da blinzelte der andere und der Zauber war verflogen. „Ich hab dich vorhin gar nicht gesehen“, stellte Magellan fest und ließ sich ebenfalls auf dem Boden nieder. Im gleichen Moment erkannte er, dass er keineswegs ein Kind vor sich hatte, der erste Eindruck hatte getäuscht: Der Goldjunge war vielleicht jünger als er, aber sicher älter als der Rest der Kinder. „Vorhin war ich auch noch nicht da“, lächelte der andere. „Ich bin Glaurung.“ Er sprach mit einem deutlichen Akzent, den Magellan aber nicht sofort zuordnen konnte. Ganz offensichtlich war nur, dass er nicht aus der Stadt stammte, denn er kannte die Bräuche der Dryaden nicht. „Was du nicht sagst“, grinste Magellan. „Das Dumme ist nur, dass wir hier die Namen geben.“ „Mag sein, ich bin trotzdem Glaurung“, meinte der andere, und damit schien die Sache für ihn erledigt zu sein. Er erhob sich, ließ Magellan verwirrt und wütend auf der Erde sitzen, stolperte unsicher zu den anderen Neuankömmlingen und holte sich nun auch etwas, um seinen Hunger zu stillen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)