Raftel (1) von sakemaki (When Spirits Are Calling My Name ...) ================================================================================ 45 - Feinde ----------- Der Wind hatte in den frühen Morgenstunden gedreht und war zu einem wahren Sturm angewachsen. Keck peste er die Hänge hinauf und rüttelte die Insulaner aus ihrem Schlaf, indem er wild an den hölzernen Fensterläden und Türen riss. Dabei gingen Dachziegeln schmetternd zu Boden, leere Holzkisten zerlegten sich polternd in ihre Einzelteile und das Gehölz ließ reichlich rotes Laub fallen wie ein blutroter Schneesturm. Die Morgensonne schickte spärliche Strahlen zur Erde, doch zerfetzte Sturmwolken unterbrachen immer wieder die Lichtverbindung. Ein abwechselndes Spiel von Licht und Schatten. Auch Tashigi wurde durch das ungewöhnlich laute Klappern der Fensterläden geweckt. Im ersten Augenblick verwirrt, wo sie überhaupt war, blinzelte sie umher. Die Kerze war schon lange heruntergebrannt. Somit war es fast stockdunkel in dem kleinen Raum. Nur ein fahles Licht fiel durch die Ritzen der Bretter von Tür und Fenstern. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Auch wenn sie Entferntes nur verschwommen sah, so konnte sie alles im Umkreis von drei bis vier Metern schon wieder recht gut ausmachen. Chopper sollte recht behalten, dass sich die Augenstärke auch verbessern könnte, wenn man ihnen nur die Chance dazu gab. Schon jahrelang war sie mit ihrer alten Brille herumgerannt ohne die jährlichen Kontrolluntersuchungen gemacht zu haben. Vielleicht hätte sie schon viel früher keine so starke Brille benötigt wie zuvor. Sie machte eine grobe Schätzung, wie spät es wohl sein mochte. So oder so war es Zeit zu gehen. Leise beugte sie sich zu ihrem Freund hinunter und verteilte einige zärtliche Küsse auf seinem nackten Schulterblatt. Zwischen den Narben unzähliger Kämpfe auf seiner Haut schlängelte sie sich sanft einen Weg hinauf bis zu seinem Nacken. Sie lächelte, als sie zur Antwort ein undefinierbares, kurzes Murren erhielt. Eine Schlafmütze ohnegleichen. Doch es half alles nichts. Sie mussten zurück zum Schiff, wenn sie das Auslaufen nicht verpassen wollten. Bereits eine Viertelstunde später waren sie reisefertig und stemmte sich Zoro gegen die schmale Eingangstür, welche von außen vom Wind in ihren Rahmen gepresst wurde. Kaum vor der Tür angelangt, bot sich den beiden ein trauriger Anblick. Schlamm bedeckte die Straße, Geröll lag herum und entwurzelte Büsche lagen quer. Über allem tanzten die roten Blätter einen wilden Hexenreigen. Aufgrund der schlechten Wegstrecke und den starken Böen kamen die beiden Piraten nur langsam voran. „Mooooo’gääääääääääääääääääääään!“ brüllte es plötzlich über die ganze Straße des kleines Dorfes. Es war lauter als der Sturm, lauter als das Klappern der fliegenden Gegenstände, strahlender als die Sommersonne und eindeutig einem Sprecher zuordnungsfähig. „Wollt ihr auch was vom Frühstück abhaben?“ Zoro hob verschlafen den Kopf an und blinzelte durch Schlafaugen auf die Figur mit Strohhut, die dort drüben nahe der Kneipe stand wie eine Aufziehpuppe und wild mit den Armen fuchtelte. Es war ein endloses Rätsel, weshalb der Strohhutträger es niemals schaffen würde, sich halbwegs zivilisiert und unauffällig zu benehmen. Es wäre sinnlos, sich Luffys Ideen zu widersetzen. Also folgten Zoro und Tashigi diesem Aufruf. Etwas Essbares im Magen wäre so früh am Morgen grundsätzlich nie verkehrt. „Mensch, Luffy! Nich’ so laut!“ beschwerte sich der Kanonier der Strohhüte. Er lag halb über der Tischplatte und hielt sich genervt seinen dröhnenden Schädel einer durchzechten Nacht. Die beiden Neuankömmlinge gesellten sich samt ihrem Captain zu ihm, schlürften einen Kaffee und aßen feinste Buttercroissants mit süßer Marmelade. Nebenbei tauschte man sich über die Abfolge des Tages aus und filzte die frisch eingetroffene Morgenzeitung. Es stand auf den ersten Blick nichts wahnsinnig Neues drin. Luffys Vater beherrschte zusammen mit seinen revolutionären Gruppen nun endgültig die gesamte Südhalbkugel und baute ein Staatssystem auf, während die Nordhalbkugel im Wetterchaos und einer Eiswüste verschwand. Der Strohhutjunge las zwar nie Zeitung, doch erstaunt verschlang er ausnahmsweise mit den drei anderen den Artikel, dass die fünf Weisen nicht länger ihre Ämter als Regierungschefs ausüben würden, sondern eine Frau namens Yurenda Ly’Wendt. Ein großes Farbfoto zierte die Titelseite und auch ihre bewegte Rede war abgebildet. Eine äußerst merkwürdige Dame mit ungeahnten Mächten und politischen Ambitionen. Es konnte nur von Tashigi kommen, zu überlegen, wem sich nun die Marine oder die sieben Samurai der Meere komplett unterstellen würden. Da die Weltregierung nun nicht mehr amtierte, hatten diese beiden Gruppen auf einen Schlag ihren Befehlshaber verloren. Der Gedanke war an sich nicht dumm, aber mit solchen Dingen wollte man sich nun nicht sofort den Tag verderben und schob das Thema vorübergehend beiseite. Also kauten sie noch die letzten Croissants weg, während Luffy noch einmal Nachschlag bei der süßen Bedienung orderte. Sie war noch nicht alt, wirkte recht unschuldig, verstand es aber, Männer mit einem Augenaufschlag umgehend in ihren Bann zu ziehen. Auf ihren Schuhen mit viel zu hohen Absätzen stöckelte sie zurück hinter den Tresen und verschwand süß lächelnd nach nebenan. Tashigi ballte in der Jackentasche eifersüchtig die Faust, die sofort in das Gesicht des jungen Dinges fliegen würde, falls sie noch einmal so nahe um diesen Tisch herum schlawenzeln würde. Jäh wurde sie abgelenkt, als Luffy ausrief: „Hier! Schau mal!“ Er hatte die Beilagen der Tageszeitung durchforstet und hielt einen Steckbrief vor Tashigis Nase. Das Bild war halbwegs gut getroffen und die Summe von 5 Millionen Berry war für den Anfang auch nicht wenig, aber dennoch brach für die ehemalige Marineoffizierin eine komplette Welt zusammen. Eben stand sie noch auf der Fandungsliste für Hochverräter und nun schon besaß sie ihren eigenen Steckbrief. Sie war fassungslos und am Boden zerstört. Natürlich war es voraussehbar und nur eine Frage der Zeit gewesen, dass man auch ihr einen Steckbrief verpassen würde. Dennoch traf es sie wie einen Schlag. Sie war nun endgültig aus der Marine rausgeflogen und wie die anderen Strohhüte ein Pirat. Doch sie versuchte es mit Fassung zu tragen. „Das Foto geht ja noch ...“ Wo auch immer der Fotograf das Bild geschossen haben musste, so hatte er ihre Gesichtshälfte erwischt, die sie nicht als Schokoladenseite anpreisen würde. Ihr Blick auf dem Bild ging leicht zum Boden, ihre Haare hingen in nassen Strähnen herunter, konnten aber nicht die feine rosafarbige Narbe auf ihrer Wange überdecken. Selbst den Schatten, den der rote Schmetterling auf ihrem Hals als Abdruck hinterlassen hatte, konnte man ansatzweise erkennen. Anhand der durchnässten Kleidung auf dem Bild mutmaßte sie, dass das Bild gestern Abend entstanden sein musste, nachdem sie Smoker in die Arme gelaufen war. Sorgfältig faltete sie das Stück Papier zusammen und steckte es in ihre Jackentasche. Zoro lehnte sich nachdenklich über diesen Umschwung der Weltgeschichte auf seinem Stuhl zurück und wandte sich dann an Usopp: „Hey, kriegst du noch den Orkalspruch zusammen?“ „Wieso? Du warst doch dabei oder hast du wieder gepennt?“ Usopp war mit Kopfschmerzen gesegnet und derzeit nicht sonderlich an Erinnerungsgeschichten interessiert. „Klappe! Ja oder Nein?“ „Ja ... Aua, nich’ so laut!“ er wollte gerade beginnen, als Zoro ihn zurückhielt. Dieser blickte unauffällig aus den Augenwinkeln um sich. Es war merkwürdig still geworden in der Kneipe. Die Bedienung ließ zulange auf sich warten. Und als sie dann doch auftauchte, war sie durchsichtig bleich und nur noch für einen Hanyô sichtbar. Für die übrige Welt war sie tot und entschwunden. Blut floss ihr aus der aufgeschnittenen Kehle. Ihre Augen waren verheult. Flehend sah sie zu ihren Gästen hinüber, die sie gerade eben noch bedient hatte und nun nicht mehr Teil ihrer Welt waren. Ein unschuldiges, sinnloses Opfer. In der Ecke dieses Gasthauses saß immer noch ein komischer Kerl. Klein, untersetzt und eine Kartoffelrübe als Kopf. Zumindest sah es der Form nach so aus. Schon längst hatte er seine Tasse Kaffee geleert und nagte langsam an dem beiliegenden Keks, um Zeit zu schinden. Auch wenn er sich hinter der Zeitung versteckt, beobachtete er doch jeden Millimeter. Er hätte sich wohl besser Handschuhe anziehen sollen, denn sein gelbes, dreieckiges Tattoo auf dem Handrücken verriet seine Absichten. Vielleicht wollte er aber auch gar nicht unerkannt bleiben. Der Feind war da. Warum zum Teufel hatte er ihn nicht gespürt? Der Kerl verstand es also, sich einem Hanyô gegenüber unsichtbar zu machen. Wenn der das konnte, dann konnten das auch andere. Da war der Schwertkämpfer schlagartig überzeugt. „Wir gehen! Sofort!“ zischte er nur. Unverständliche Blicke sahen zu ihm hinüber, doch niemand sagte etwas bis auf Luffy, der dem allen nicht so recht folgen konnte. „Was? Ich hab’ noch nicht aufgegessen. Da kommen noch 73 bestellte Portionen ...“ beschwerte sich der Gummijunge gnatzig. Bedröppelt erhob er sich und schlürfte den dreien hinterher vor die Tür auf die Straße, wo sie nun zu viert die Umgebung abschätzten. Auch wenn er der Kapitän war und die Richtung ihrer Butterkreuzfahrt angab, konnte er sich auf das Gespür seines engsten Mitstreiters verlassen. Da gab es zumeist nichts zu rütteln. Aus den Augenwinkeln blickte Zoro zu allen Seiten entlang und musterte die Umgebung. Das stürmische Wetter täuschte ihn nicht darüber hinweg, dass sich das Dorf seit der letzten verstrichenen Stunde krass verändert hatte. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ausgestorben. Obwohl man keine Leichen sah, krochen deren Geister verwirrt über ihr Schicksal durch die Winkel und Gassen und suchten heulend nach Erklärungen für dieses Massaker. Das Böse hatte die Oberhand in diesem kleinem Hort des ehemaligen Friedens ergriffen. Ein Grummeln näherte sich, doch es war kein Gewitter. Es war das Klappern von frisch beschlagenen, schwarzen Pferden in gepanzerten Rüstungen. Sie nährten sich und die schwarzen Donnerwolken folgten ihnen. Wie zum Teufel waren die so schnell auf die Insel gekommen? Ein Grinsen voller Kampfeslust legte sich auf das Gesicht des Schwertkämpfers. Beim letzten Mal hatten sie den geschlossenen Rückzug angetreten, doch diesmal wusste er mehr über seinen Feind. Garantiert würde da gleich eine Masse an Panzerreitern ihren Weg kreuzen und er würde keinen einzigen entkommen lassen. Keinen einzigen! Kitetsu lechzte nach frischem Blut. Das spürte er. Und dann kamen sie. Erst im Galopp, dann in einem versammelten Trab und letztendlich parierten sie durch zum Schritt. In Reihe und Glied, dicht an dicht und im Gleichschritt kamen sie die Straße hoch. Plötzlich standen sie und starrten außerhalb jeglicher Schlagdistanz auf die vier Piraten. Längst hatte sich Usopp bibbernd hinter Luffy versteckt und faselte etwas von einer „Wir-werden-sterben“- Krankheit. Natürlich erinnerte er sich ebenso wie Zoro und Tashigi an das letztes Treffen mit den Panzerreitern in der Donnersteppe, wo sie dieser Heerschar komplett unterlegen waren. Die Piratin versuchte gefasst zu wirken und hatte bereits ihre Hand an Shigure. Sie war bereit zum Kampf mit allen Mitteln, doch ihre aufsteigende Panik war kurz davor die Oberhand zu gewinnen. Verzweifelt blickte sie zu Zoro hinüber, der eben gerade in eine andere Sphäre abdriftete. Luffy wiederum hatte noch keine derartige Bekanntschaft mit der wilden Reiterhorde gehabt und blickte verwundert und begeistert zugleich auf die gepanzerte Abteilung. Die Rüstungen wären cooler als die auf der Thriller Bark, meinte er, musste aber auch ungern einsehen, dass ihm wohl keiner der Reiter so eine Rüstung leihen würde. „Geht schon mal vor und macht das Schiff klar zum Auslaufen. Wir sehen uns gleich“, raunte Zoro dunkel, als wäre er weit ab in eine andere Welt getreten. „Hä?“ fragte der Gummijunge, der sich schon über eine Rauferei gefreut hatte. „Kein Problem“, brabbelte der Kanonier, der kurz darauf seine Beine in die Hand nahm und schon auf halber Strecke zum Schiff war. Dabei packte er Tashigi am Arm, als hätte es ihm eine ungehörte Stimme befohlen. Widerstandslos ließ sich diese hinterher ziehen und blickte dabei wie in Trance auf Zoro und seine Gesamthaltung. Eben noch war er ihr so nahe und feinfühlig gewesen und nun erschien er ihr komplett fremd und nie gekannt gewesen. Es veranlasste sie zur Sorge. „Seine Augen... Die hatten wieder so ein rotes Leuchten“, sprach sie leise wie durch eine Wolkenwand zu Usopp und war kaum fähig, sich an diesem festzuhalten. Aber der Kanonier hatte kein freies Ohr für ihre Probleme, denn er hatte die Blitzidee gehabt, einen Enterhaken mit einem Endlosseil aus seiner alten, braunen Kramtasche zu zaubern. Schnell war der Haken in die Mauer gerammt und fix ging es nun den Steilhang neben der Treppe hinab in die Tiefe. Es bereitete ihm so einiges an Mühe, Tashigi mit einem Arm zu halten. Sie war zwar ein Fliegengewicht, aber seine Statur war schmächtiger, als die der Restcrew und sonderlich viel Kraft hatte er nun doch nicht. Die Koordination von gleichzeitigem Abseilen und dem Festhalten eines Crewmitgliedes brachten ihn da arg an die körperlichen Grenzen. „Er schafft das schon“, wimmelte er entnervt ihre laut gesagten Gedanken ab. Es war ihm in diesem Augenblick wichtiger, ohne Schaden unten am Fuße der Steilküste anzukommen, als sich nun über etwaigen Hokuspokus Sorgen zu machen. Kaum hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen, rannten sie die Straße entlang durch Matschlawinen und Geröll. Der Kanonier hielt sich dabei seine blutende Hand. Beim Abseilen hatte er keine Handschuhe getragen, so dass das Seil seine Handinnenfläche aufgerissen hatte. Der Schmerz brannte widerlich und so jammerte er die halbe Wegstrecke zum Schiff vor sich her. Leider ohne Erfolg. Bei Tashigi stieß er auf taube Ohren. Kein Mitleid in Sicht! An der Kreuzung mit der schwarzen Hütte trafen sie auf Franky und Sanji, welche eine der letzten Vorratskisten in die Mini Merry verluden. Sie staunten nicht schlecht, als eine Langnase im Endspurt auf sie zugestürmt kam und etwas von einer sofortigen Abfahrt brabbelte. „Was hat der denn?“ Sanji zog cool an seiner Zigarette und erstrahlte bei dem Anblick einer Crewdame. „Tashigi, mein Schatz. Schön, dass du wieder da bist! Hattest du einen erholsame Zeit?“ Franky überhörte die Flirtversuche des Kochs und beantwortete nur den ersten Teil seiner Rede. „Keine Ahnung. Aber wo sind Luffy und Zoro?“ stellte er nüchtern fest. „Das riecht definitiv nach Ärger!“ „Sehe ich ebenso“, paffte der Smutje. Kaum waren die Herannahenden bei den beiden angelangt, wurden sie auch sogleich ihrer Vermutung bestätigt. Auf der Überfahrt zur Sunny wurde alles weitere kurz und knapp geklärt. Zwar vermochten Franky und Sanji aus langer Erfahrung heraus den Erzählungen Usopps kaum Glauben schenken, als dieser die hohlen Panzerreiter auf ihren schwarzen Pferden ausschmückte. Aber Tashigi konnte die Geschichte bestätigen und somit war sie dann doch glaubwürdig. Kaum an Bord wurde der Anker gelichtet. Alles war klar zum Auslaufen. Das gesamte Team stand an der Reling, beobachtete mit Argwohn die Steilküste und wartete unruhig auf Luffy und Zoro. Noch war nichts ungewöhnliches oder verdächtiges auszumachen, doch der Schein trog. Alle hofften, dass ein Kampf nicht lange dauern würde, denn sie konnte aus dieser Entfernung nichts tun. Oben auf der Dorfstraße hatte sich noch kein Stein ins Rollen versetzen lassen. Alles verhielt sich absolut regungslos wie ein großes Heer an Schaufensterpuppen. Der Wind heulte einen letzten Totengesang über die Klippen und beklagte die bereits sinnlosen Opfer. Die Pferde schnaubten aufgeregt und scharrten ungeduldig mit den Hufen. „Was sind das für komische Vögel?“ wollte der Strohhutjunge von seinem Mitstreiter wissen. „Die haben uns schon auf der Donnersteppe gejagt. Sie sind innerlich hohl. Irgendein Wille lenkt sie. Sie sind zwar nicht sonderlich stark, aber äußerst brutal, sehr schnell und sehr, sehr viele. Darin liegt ihre Stärke. Schau bloß nicht zu lange in die schwarzen Wolken“, gab Zoro bereitwillig Auskunft, während er sich sein Kopftuch umband. „Leere Rüstungen, die sich bewegen? Cooooooooolllll!“ Luffy war schier begeistert. „Das sind unsere Feinde, Idiot!“ brüllte der Schwertkämpfer zurück. Eine Sirene heulte aus einer undefinierbaren Richtung los. Die Schallwellen durchdrangen Mark und Bein, ließen den Kreislauf aufheizen und den Herzrhythmus hochschnellen. Der Gummijunge hielt sich vor Schmerz gequält mit beiden Händen die Ohren zu und sackte in die Knie. Auch Zoro hatte seine liebe Mühe, dieser eigentümlichen Tonlage standzuhalten. Er verengte die Augen zu Schlitzen und blickte auf die Reiterschar, die nun wie von der Tarantel gestochen losjagte. Es war ein Donnern und Beben, wie sie es nie zuvor erlebt hatten und sie hatten bis dahin schon fast alles gesehen. Mit jedem aufsetzenden Huf zogen die Reiter die schwarze Wolke hinter sich her. Sah man in das Dunkel hinein, wurde man magisch angezogen und hatte den Wunsch, dort hinein zu springen, sich in ihnen zu baden und vollkommen willenlos unterzugehen. Ein gefährliches Unterfangen. Luffy war sich Zoros Warnungen über die Wolkenfront bedacht, und so schloss er die Augen und hämmerte sich will mit der Gomu-Gomu-no-Gatling voran. Irgendwen würde er schon bei der Vielzahl der Angreifer treffen. Anhand der klirrenden Panzerplatten erkannte er, dass seine Strategie aufging. Bald war die Luft erfüllt vom feinen Staub der zerschmetterten Rüstungen. Der Schwertkämpfer machte sich ebenfalls rar. Mit seinem Dreischwerterstil schlug er sich scheppernd durch den berittenen Porzellanladen voran. Sicherlich war es nicht einer der Art von Kämpfen, die einen bis aufs Blut herausforderten und alles abverlangten, dennoch kroch durchs Zoros Adern diesmal etwas anderes, was er erst selbst nicht bemerkte und später auch nicht mehr erklären könnte. Zu seiner Kampfeslust und der Freude, sich durch diese Herausforderung messen zu können, paarte sich eine böse Kombination aus Frust, Hass und Unverständnis. Mit jedem Angriff, jedem Schlag, gar mit jeder Bewegung wuchs es schleichend. Die Angriffstaktik des zahlenmäßig überlegenen Feindes war wie schon damals auf der Donnersteppe gleich geblieben. Vielleicht wollten sie ihn auslöschen. Oder vielleicht war es auch nur ein kleines Spiel. Zoro war es egal. Er hatte genug davon. Genug von allem. Er war damals losgezogen, um seinen Schwur zu halten und sein Ziel zu erreichen. Das hatte er geschafft. Unabhängig und frei war er. Frei in allem, was er jemals tat und noch tun würde. Und er bereute nichts von alledem, was bisher geschehen war. Jede seiner Entscheidungen war letztendlich immer richtig gewesen und hatte ihn ein Stück vorangebracht. Das sollte auch in Zukunft so bleiben. Niemand würde ihm irgendetwas streitig machen, befehlen oder gar für irgendeine Sache missbrauchen. Niemand. Und schon gar nicht irgend so eine dahergelaufene, längst vergessene Sekte, die an bunte Dreiecke glaubte und für die er wohl angeblich ein wichtiger Schlüssel war. Sollten sie sich doch einen anderen Schlüssel suchen. Seine alleinige Absicht war es, mit der Crew Luffy zum One Piece zu bringen, damit er Piratenkönig würde. Alles andere konnten andere unter sich ausmachen. Und so wuchs der Zorn, der Frust und der Hass. Ein gefährliches Gefühl, welches die Sinne zu vernebeln begann und die Beherrschung zu verdrängen drohte. Sie waren umgeben von Feinden und nichts als Feinden. Egal, wohin sie ziehen würden, man würde sie finden. Und sie wären hartnäckiger als die Marine und auch schneller. In seinen Händen und seinem Mund spürte der Schwertkämpfer die Seelen seiner Schwerter, wie er sie zuvor nie gespürt hatte. Schon immer konnte er ein Katana einordnen, ob es guten oder schlechten Willens war, ob es sich leicht oder schwer seinem Besitzer hingab. Doch zum ersten Mal wurde ihm bewusst, warum das so war. Auf Sandai Kitetsu lastete ein ewiger Fluch, der seinen Herren den Tod bringen würde. Es lechzte nach Tod, Blut und Zerstörung, bannte seine ehemaligen Herren in einen Rausch des Kampfes und zog sie willenlos fernab aller Vorsicht fort. Bei Zoro war das anders. Er konnte Kitetsu seit Beginn an beherrschen, weil er den eigenen starken Willen dazu hatte. Ein Mensch wäre dieser Last nicht gewachsen, nur Zoros dämonisches Ich. Das war der kleine, aber feine Unterschied. Bald war die Luft erfüllt von einem Staubgemisch von rotem zerschlagenen Laub und pulverisierten Panzerplatten. Die Reiter waren im Nachteil, denn die Hänge waren selbst den trittsicheren Pferden zu steil. Unzählige schwarze Fußsoldaten flossen wie rauschende Bäche aus allen Winkeln und strömten auf die beiden Piraten zu. Man könnte meinen, es wären Ameisen, die mutiert wären. Doch die Angreifer sollten chancenlos bleiben. Wie Spielzeugsoldaten wurden sie von den beiden Piraten erbarmungslos umgeschmissen und zerstört. Später konnte niemand der beiden mehr sagen, wie lange sie gebraucht hatten, um jeden einzelnen auszuschalten. Der Schwertkämpfer war erst wieder vollkommen bei sich, als längst alles vorbei war. Er saß im Schneidersitz auf dem Boden, hatte das Haupt gesenkt und hielt in einer Hand Kitetsu, welches vor ihm zur Hälfte in den Boden gerammt war. Unweit stand Luffy mit nachdenklicher Mine auf der Steinmauer, hatte die Arme verschränkt und starrte hinüber zur Sunny. Beide hatten deutliche Zeichen des Kampfes von sich getragen. Aus allen Wunden floss Blut langsam heraus. Abschürfungen und blaue Flecke komplettierten das Gesamtbild einer körperlich schlechten Verfassung. „Alles wieder klar?“ fragte der Strohhutjunge seinen engsten Mitstreiter. „Klar!“ wollte dieser schon locker von sich geben, doch als er versuchte aufzustehen, durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz im linken Knöchel. Wie ein Blitzschlag jagte es vom Fuß hoch durch den ganzen Körper und ließ in für den Bruchteil der Sekunde schwarz vor Augen werden. „Was ist das denn?“ Zoro wurde gewahr, dass er wohl wieder einmal mehr einen Blackout gehabt haben musste, denn er konnte sich nicht erklären, wann er sich den Fuß wohl gebrochen hätte. „Du hast gekämpft! Aber anders als sonst. Du warst komplett im Rausch. Es ging dir nicht wie sonst um den Kampf an sich. Es war ein reiner Vernichtungskrieg“, kam es befremdlich ernst von Luffy. Als wäre er auf frischer Tat beim Klauen erwischt worden, senkte der Schwertkämpfer seinen Blick zu Boden. Der von seinem Chef beschrieben Tatbestand war unbemerkt an ihm vorübergezogen. „Ich hatte damals Chopper rausgeschmissen, weil ich dachte, er wäre eine Gefahr für die Crew. Ich hatte den Fehler gemacht, ihm nicht zu vertrauen. Ich dachte, er würde das nicht in den Griff bekommen. Als du dann auch gegangen bist, war ich total verwirrt und gekränkt. Nun aber nach allem stelle ich fest, dass auch du anders und deshalb gegangen bist. Du hast es damals schon gewusst und wolltest es vertuschen, oder?“ überlegte der Gummimensch laut vor sich her. „Nicht ganz. Es war Chopper gegenüber nicht fair. Aber zum Teil hast du recht. Kurz vor Raftel begann es und ich wusste nicht, was das sein könnte. Plötzlich wurden die Alpträume real, Geister waren sichtbar und als ich versehentlich mal unseren kleinen Arzt gestreift hatte, brach der zusammen als wäre ich aus Seestein. Das war neu“, gab er zu, obwohl es nicht zu ihm passte, so etwas preis zu geben. Doch Luffy verstand und wollte nur noch wissen: „Also wusste Chopper Bescheid?“ „Ja.“ „Ok!“ Luffy schwieg und dachte grüblerisch nach. Einerseits wäre es ein Vertrauensbruch gewesen, gegenüber der Crew nichts zu sagen, aber andererseits hätte es die Crew vielleicht auch gespalten. Wer wusste das schon? Es war so oder so egal. Es war gelaufen und nicht mehr änderbar. „Du hast deinen Traum erfüllt. Was machst du nun?“ wollte er nun doch noch wissen. „Wir suchen One Piece. War doch so vereinbart damals?“ grinste Zoro und dachte unweigerlich daran, wie er damals in Morgans Marinebasis an das Kreuz gefesselt war und Luffy zu seiner bescheuerten Idee zusagen musste. Damals ... Lang war es her. Und wie klein und einfach die Welt da noch war ... „Ja, der König der Piraten und der beste Schwertkämpfer der Welt in einer Crew finden One Piece!“ Der Strohhutjunge strahlte plötzlich wieder wie die Sonne und sein Lachmund reichte von einem Ohr bis zum anderen. Luffy und Zoro. Das war ein unerklärliches Freundschaftsband. Stärker wie ein Pakt. Untrennbar und unzertrennlich. Für Außenstehende total undurchsichtig. Selbst dann noch, wenn der eine mal ganz anders drauf war und eine 180°-Wendung durchmachen musste. Das passte schon. Die Stimmung war wieder gut. Die Reise konnte weitergehen. Auf zu neuen Taten! Luffy dehnte seine Arme und schleuderte sich hinüber zur Sunny. Natürlich wurde Zoro bei diesem Flug nicht vergessen, der sich schon üble Schmerzen bei der Landung ausmalte, wenn sie nicht ins Segel, sondern an den Mast krachen würden. Tatsächlich erwischten sie den Mast. Was auch sonst? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)