Raftel (1) von sakemaki (When Spirits Are Calling My Name ...) ================================================================================ 28 - Verstreut -------------- Es hatte die Strohhut-Crew viel Mühe gekostet, ihren Captain zu überreden, den Feuervogel noch eine Weile allein in seinem Käfig zu lassen. Auf die eine Stunde mehr oder weniger käme es nun wirklich nicht an. Garantiert würde der Vogel das noch aushalten. Es wäre erst einmal besser, zurück zur Sunny zu gehen und mit dieser dann wieder hierher um die Insel zu segeln. Immerhin lag sie derzeit komplett unbewacht am anderen Ende der Insel. Und das konnte nicht gut sein. Auch wenn Luffy nicht so recht einverstanden war, gab er nach, denn die Argumentation klang logisch und bestimmt. Bei der Verabschiedung wiederholte der Strohhutjunge noch einmal sein Versprechen und zog dann mit seiner Mannschaft von dannen. Der Vogel hatte sich wieder etwas beruhigt, saß lodernd auf der Metallstange und sah den Fremdlingen hinterher. Er verstand deren Sprache nicht, aber sie vermittelten ihm keinen boshaften Eindruck. Nach einigen Stunden Fußmarsch waren sie nun wieder an Bord, hielten zum Aufwärmen heiße Getränke in den Händen und genossen bei der Fahrt an der Eisküste entlang das schöne Schauspiel von Eis, Schnee und Meerwasser. Nami hatte nun, wo der Sturm vorbei war, ihren aktuellen Standort lokalisieren können. Diese sehr große Insel hatte den äußerst kreativen Namen Peltosaari, was nichts anderes als Feldinsel hieß, lag recht nah der Redline und nördlich des Kosa’schen Korridors. Sie waren also gar nicht mal so weit vom Kurs abgekommen, wie erst vermutet. Zufrieden über diese positive Nachricht zog die Navigatorin einen großen Schluck ihrer heißen Schokolade mit viel süßer Sahne und sah aus dem Fenster der Bibliothek. Sie war öfters hier, wenn das Wetter während ihrer Reise schlecht war und leistete Robin bei ihrem Studium der Bücher Gesellschaft. Zudem konnte man mit der Archäologin über Dinge quatschen, was mit den Jungs allein deshalb schon nicht ging, weil sie einfach bloß Jungs waren. Diesmal wollten sie sich langsam aber sicher noch einmal an die genau Auswertung der Karten aus den sieben Truhen machen. Vor ein paar Wochen hatten sie die Karten nur grob überflogen, bis Nami dann eines Abends meinte, sie würde noch einmal etwas nachsehen wollen, was ihr aufgefallen wäre. Die Archäologin saß auf ihrem Lieblingsplatz in einem großen schweren Ohrenledersessel hinter dem Schreibtisch und einem Berg von Büchern oben auf der Tischplatte und beobachtete schweigend Nami, wie sie so auf die Eisgletscher hinaus starrte. „Träumst du?“ „Bitte?“ Durch die unerwartete Frage überrascht, verschüttete die Navigatorin fast den Inhalt ihrer Tasse und wandte sich ruckartig vom Fenster ab. „Ob du träumst?“ wiederholte Robin lächelnd die Frage. „Nein, ich denke nur so furchtbar viel nach. Es hat sich soviel verändert seit wir damals im East Blue losgefahren sind. Wir waren damals einfach noch so kindisch und dachten über nichts nach. Wir dachten, es wäre einfach... Ich kann mich noch genau daran erinnern!“ Erinnerungen von einst tauchten vor ihren Augen auf und ließen sie schmunzeln. Da war einmal Luffy, wie er ihr mit seiner naiven Kulleraugenart gegenüber stand oder wie Zoro plötzlich aus dem Nichts auftaucht, als sie bei der Sache mit Buggy in der Klemme steckte. Oder die Aktion mit Usopp und wie sie später die gute alle Going Merry von Kaya bekamen... Es war alles so verdammt lang her. Fast wäre sie melancholisch geworden, hätte die Archäologin nicht wieder das Wort nachdenklich ergriffen. „Wir haben uns alle verändert während unserer Reise. Aber trotzdem sind wir immer noch wir. Sag' mal, wie kam es, dass sich Zoro Luffy angeschlossen hatte. Weißt du da was genaueres?“ „Ich war nicht dabei, aber ich meine, Luffy hätte mir mal gesagt, dass es ein Handel war. Er hat Zoro aus der Patsche geholfen und als Gegenleistung hat Zoro Luffy als Captain akzeptiert. Warum fragst du?“ wollte nun Nami verwundert wissen, denn wenn Robin so eine Frage stellte, dann hatte es mit Sicherheit einen besonderen Hintergrund. „Nun, damals suchte Crocodile noch Agenten für die Baroque-Firma. Wir hatten von Zoro gehört, dass er als eiskalter Kopfgeldjäger galt, den man im East Blue auch als blutrünstigen Dämon bezeichnete. Wir ließen ihm ein Angebot zukommen, welches er ausschlug. Ich hatte mich dann sehr gewundert, warum er sich ausgerechnet Luffy angeschlossen hatte. Es passte einfach nicht zu seinem Charakter. Das war irgendwie sehr ungewöhnlich.“ „Das mit der Baroque-Firma wusste ich gar nicht! Aber auf was genau willst du hinaus?“ „Bisher sind wir alle auf diesem Schiff immer nur der Nase nachgefahren von einem Abenteuer ins nächste, weil wir dachten, dass es reicht. Doch bei Raftel haben wir die Erfahrung gemacht, dass es eben nicht mehr reicht. Und dann habe ich lange über Zoros Grund nachgedacht, als er einfach kurz davor abgehauen ist. Natürlich hatte er so was mal angedroht, wenn es ihm nicht mehr passen würde, dann wäre er definitiv weg. Aber der Zeitpunkt war halt sehr merkwürdig. Auch wenn er sich mit Chopper gut versteht und Luffy langsam echt manchmal Anfälle von Größenwahn hatte, so wäre das doch keine plausible Erklärung. Wenn wir alle wieder zusammen sind, dann müssen wir uns gründlich überlegen, wie es weitergehen soll. Bis jetzt hat niemand das One Piece gefunden. Was also ist bei allen Schiffcrews anders, als bei der Crew Gol D. Rogers? Immerhin haben wir die Grandline umsegelt und wir sind kein Stück schlauer.“ Damit hatte die Archäologin recht. So genau hatte sich Nami darüber noch nicht den Kopf zerbrochen. Zumindest konnte sie aber nun berichten, was ihr beim Kartenvergleich aufgefallen war: Die Strömung der Grandline zerfraß systematisch die Redline. Stück um Stück, Stein um Stein und Sandkorn um Sandkorn wurden von ihr weggeschwemmt und trieben in ihrem Sog mit. Das hatte natürlich verheerende Auswirkungen auf das Klima, die Strömungen und die vier Blues. Vermutlich würde daher bereits hier schon das Eis des Nordpols treiben, da es ebenfalls durch neue Strömungen gen Grandline zog. Sie schlürfte weiter an ihrem Getränk, bis Luffys krackelende Stimme sie aufmerksam machte, dass sie nun ihr Reiseziel auf der anderen Seite der Insel erreicht hätten. Zusammen mit Robin holten sie ihre dicken Jacken und versammelten sich mit der Restcrew vorn am Steuer. In der Ferne sah man den hellen Schein des Feuervogels. Natürlich stellten sich nun alle dieselbe Fragen und die auch noch gegenseitig: „Und jetzt?“ „Jetzt?“ „Kein Plan?“ „Wir gehen da wieder hin!“ „Und dann?“ „Weiß nich’!“ „Warum nich’?“ Die Unterhaltung war nicht wirklich konstruktiv, spiegelte aber die allgemeine Stimmung in der Mannschaft wieder. Was genau machten sie hier eigentlich? Was sollten sie bei dem Vogel, der sicher Mitleid verdiente, aber nicht zu befreien war? Es war dann Sanji, der die sinnleere Diskussion erweiterte: „Wann und wo holen wir die anderen?“ „Können die nicht herkommen?“ „Woher sollen die wissen, dass wir hier sind, Gummihirn?“ brüllte der Koch nun seinen Kapitän an. Dessen Kleingeistigkeit konnte manchmal echt den letzten Nerv töten. Tatsächlich schaffte es letztendlich Nami, den Chef der Crew zu überzeugen, dass sie erst einmal Zoro, Usopp und Chopper abholen sollten. Dann könnten sie wieder zu dem Feuervogel fahren. Immerhin könnte dieser ja auch nicht aus dem Käfig weglaufen. Luffy willigte nur unter der Bedingung ein, dass er dieses dem Vogel mitteilen möchte. Kurze Zeit später marschierte er mit Franky zu dem brennenden Tier. Der Schiffskonstrukteur hatte auf seine Mitnahme bestanden. Wer weiß, wie welchen Blödsinn sonst der Strohhutjunge unterwegs noch gemacht hätte. Tatsächlich verlief die Verabschiedung Dank der Begleitung durch den Cyborg recht schnell und ohne Umwege. Eine Stunde später war die Sunny klar zum Ablegen und stach wieder in See. Es wurde kälter und dichter Schneefall setzte ein. Die grauen Wolken hingen tief wie vollgesogenen Wattebausche. Das Meer hatte die Farben von Ultramarin bis Schwarz und war unruhig wie ein Ameisenhaufen. Kleine Kronen von Meerschaum kräuselten sich auf den kurzen Wellen. Man könnte wie ein altes Sprichwort sagen, mit den Dummen wäre Gott. Das Schiff schipperte erst eine halbe Stunde an der Redline entlang, als die Strohhutpiraten ein Leuchtfeuer an der Steilküste entdeckten. Das Fernglas brachte Gewissheit: Usopp und Chopper standen dort. Das Rentier erfreute sich der kühlen Temperaturen und fühlte sich pudelwohl, während der Kanonier bereits blau angelaufen war und vor Kälte klapperte wie ein Gartentor im Wind. Die beiden waren nämlich von ihrem Pferdchen kerzengerade aus von der Donnersteppe bis hierher zur Steilküste gebracht worden. Kurz vor dem Abgrund schlug das buckelnde Tier einen fiesen Haken und warf seine beiden Reiter unsanft auf den Hosenboden ins gefrorene Gras. Der Kanonier verfluchte Zoro, weil dieser kein netteres Reittier ausgesucht hatte, und das Pferd, weil es eben nicht nett war. Das Rentier war froh, wieder festen Boden unter den Klauen zu haben. Erst waren sie verunsichert, wo sie denn gelandet sein mögen, doch als sie eine halbe Stunde später die Sunny entdeckten, konnten sie ihr Glück absolut nicht fassen. Schnell hatte Usopp mit Kabuto ein Signal in den Schneehimmel geschossen und war zusammen mit Chopper froh, dass sie von der Sunny aus nicht übersehen wurden. Nur ein paar Minuten später waren sie wieder an Bord, da Luffys Gummiarme gereicht hatten, um die beiden oben an der Steilküste zu greifen. Mit heißen Getränken zum Auftauen saßen sie mit der Crew am Tresen und berichteten vom Blitzableiter-Spion, von Tashigis Auftauchen, vom Orakel im Haus der Stille und von den gepanzerten Reitern mit dem gelben Dreieck. Usopp erwähnte jedoch nicht seine persönlichen Schlussfolgerungen, die er zuvor noch Tashigi anvertraut hatte. Er hielt es erst einmal für strategisch geschickter, obwohl er Mühe hatte, dieses Geheimnis für sich zu behalten. Die Crew hörte aufmerksam zu. Sie diskutierten anschließend gemeinsam die Geschehnisse. Ebenso viele alte Fragen wurden beantwortet, wie ebenso viele Neue auftauchten. Die Stimmung ließ sich nicht beschreiben. Es war eine brisante Mischung aus Ratlosigkeit und abwartendem Verhalten. Dennoch waren sie sich alle einig, dass sie sich auf die Suche nach Zoro machen mussten. So berechnete Nami einen Kurs, der zu einer Anlegestelle eines winzigen Dorfes auf der Redline noch etwas nördlicher von ihrem aktuellem Standort lag. Stunden später legten sie dort an. Gut drei Dutzend Seemeilen weiter südlich auf einem ganz anderen Schiff wurden ganz andere Gespräche geführt. Eigentlich konnte man das Schiff nicht so recht als Schiff bezeichnen, denn durch Smokers aussichtslosen Befreiungsversuche, den schwimmbaren Untersatz aus dem Sand des Kosa’schen Korridors zu ziehen, war der Kiel stark beschädigt und der Unterboden aufgerissen worden. Nun zog der Admiral eine Zigarre um die andere in Sekundenschnelle weg und durfte nebenher einer Gardinenpredigt seitens Hina lauschen. Sie verstand rein gar nicht, wie man nur in so eine dumme Situation geraten konnte und wieso ausgerechnet sie Smoker wieder einmal mehr aus dem Schlamassel ziehen sollte. Als es keine neue Zigarre in Reichweite des Rauchers gab und Hina ihren tadelnden Monolog beendet hatte, nahm er nun auch mal das Wort an sich: „Weißt du, was ich noch nicht durchschaut habe?“ „Woher soll Hina das wissen?“ Sie mochte es nicht, wenn er einfach so vom Thema ablenkte. Und schon gar nicht mit so einer rhetorischen Frage. „Sie waren nicht vollständig!“ grübelte er laut. „Wer?“ Sie war einfach nur desinteressiert und verärgert. „Na, wer wohl? Die Strohhutbande! Zoro war nicht dabei. Und das komische Zylinder-Stofftier und den Sogeking-Kasper habe ich auch nicht gesehen. Da passt doch was nicht. Ich meine, erst kriegen wir mit, dass Zoro von der Gruppe getrennt auf der Redline auftaucht, dann ist der wieder bei der Gruppe in Loguetown und nu is’ der wieder weg?“ Hina warf ein, dass er sich sicherlich nur getäuscht hätte. Vielleicht hätten die Strohhüte eine Falle geplant und hätten später ihre Mitstreiter wieder eingesammelt. Doch Smoker stritt diese Theorie immens ab. Er blieb felsenfest davon überzeugt, dass an der ganze Sache etwas nicht stimmt. Dann ließ er Hina einfach so auf der Brücke stehen und trat hinaus. Er wollte sehen, wie weit die Reparaturarbeiten an seinem Schiff vorangeschritten waren. Um keinen Preis wollte er bei der Verfolgung der Sunny wertvolle Zeit verlieren. Ebenfalls einem Problem sahen sich Zoro und Tashigi gegenüber: Sie standen irgendwo auf einer kargen Grasebene der Redline am Rande der Donnersteppe und wussten nicht, wohin sie gehen sollten. Die Gegend war wie grau in grau gezeichnet und trostlos. Es gab keine Hinweise darauf, wo Chopper und Usopp abgeblieben waren oder wo sich gar die Thousand Sunny aufhielt. So sehr sich der Schwertkämpfer auch bemühte, er schaffte es nicht, deren Gefühlswellen zu greifen. Entweder waren diese alle viel zu weit von ihm entfernt oder seine Reserven an dämonischem Hokuspokus vorübergehend aufgebraucht. Das frustrierte ihn schon ein wenig, ganz gleich welche der beiden Tatsachen zutreffend wären. Zu allem Überfluss begann es nun auch noch zu schneien. Erst ganz sanft rieselten vereinzelte Flöckchen, dann wurden es mehr und es schneite sich so langsam ein. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und steckte seine Hände unter die Achseln. Den Herbst mit seinen klaren Wassern, kühlen Winden und bunten Wäldern mochte er, doch hier auf der Redline hatte er ihn irgendwie verpasst. Stattdessen setzte hier nun anscheinend gleich der Winter ein mit seiner frostigen Kälte, die er nicht mochte. Und das Ende September. Seine Stimmung war auf dem üblichen Tiefpunkt. Da stand er nun. Mitten im Schnee. In der Kälte. Wie immer ohne Orientierung. Neben ihm ein Weib, dass sich nicht anschicken wollte, eine Hilfe zu sein. Sie stand dort schweigend in ihren Mantel gemummelt und zitterte vor Kälte wie Espenlaub. Kein Ton kam über ihre Lippen und ihr Blick starrte ins Leere. „Sag’ doch auch mal was!“ blubberte er sie ohne Vorwarnung an mit der Gewissheit, dass es sicher nicht höflich gewesen war. Sie sah ihn an mit ihrem leblosen Blick. Ihr Lippen wollten sich zu einem Wort formen, doch sie blieb stumm. Mit der Zeit hatte er mit ihr umzugehen gelernt, wenn sie zickte, ihn anschrie oder ihn einfach nur beleidigte, aber dieser seelenlose Leichnam auf zwei Beinen war etwas vollkommen Neues und auch etwas, worauf er sich absolut nicht einstellen konnte. Wie kommuniziert man mit so jemanden? Plötzlich ging sie los. Schnurgerade an ihm vorbei mit gesenktem Kopf. Zoro verstand nun gar nichts mehr. „Was wird das nun?“ Doch die Angesprochene nahm es kaum war. „Hallo?“ Er packte sie am Arm und riss sie zu sich herum. Ein kühler Blick stach ihm direkt in seine Augen, dass es fast erschreckend war. „Ich weiß, dass die letzte Zeit extrem beschissen für dich war, und dass du deshalb eben nicht gut drauf bist, aber das hilft uns jetzt wirklich nicht weiter! Könntest du dich mal irgendwie äußern? Schrei mich an, dreh’ durch, schlag was vor, ... irgendwas! Sei einfach mal normal!“ Seine Worte waren taktlos und rücksichtslos. Das wusste er, aber vielleicht brachte es eine Reaktion ihrerseits. Es folgte ein kurzes Schweigen und dann eine unerwartete Explosion von ihr: „Normal? Nichts ist normal? Ich hab Hunger. Mir ist kalt. Ich bin total müde und ich weiß nicht, was ich hier überhaupt soll! Und du bist an allem Schuld“ schrie sie ihn an. „Und ich gehe jetzt da lang. Da müsste der North Blue liegen! Ich komme allein klar,“, fauchte sie zickig weiter und versuchte, sich loszureißen. Es war jedoch nicht mehr als ein plumpes Armfuchteln. Mehr Kraft hatte sie nicht mehr, doch Zoro ließ sie eh los. Er nahm ihren Ausraster nicht übel, denn für einen kurzen Augenblick war sie wieder ein Stück ihres alten Wesens. Ein Grinsen verbergend schloss er sich ihr an. Obwohl es immer noch stetig schneite, kamen sie gut voran, denn das Gras war kurz und gefroren. Tatsächlich tauchte der Ozean in der Ferne auf, den man gegen die einbrechende Dunkelheit kaum erkennen konnte. Und es war ein leichter Lichtschein gegen den wolkenverhangenen Himmel auszumachen, welches beim Nähern einem Gehöft zuzuordnen war. Von dem Gedanken angespornt, ein warmes Nachtlager und eine feste Mahlzeit zu bekommen, marschierten sie still ohne Rast weiter. Die Anwohner des Hofes staunten nicht schlecht durch den Türspalt hindurch, als sie dort zwei durchgefrorene Gestalten erblickten. Da sie Zoros Steckbrief wohl schon einmal in den Händen gehalten haben mussten, öffneten sie nur widerwillig und ängstlich die Tür und hielten sich mit dem Abstand einer Zimmerlänge zu ihm auf. Die Anwohner: Das waren ein Männlein und ein Weiblein mittleren Alters mit viel Güte, eine Schar Kinder, die wie die Orgelpfeifen aufgereiht hinter ihren Eltern standen und vor Neugier platzen und ein altes Mütterchen im Schaukelstuhl, welches ständig kicherte. Eine äußerst illustre Gesellschaft, aber liebenswürdig und ehrlich. Es gab einen großen Raum, der Wohn- und Essraum zugleich war. An den Wänden entlang verlief eine durchgehende breite Holzbank, ein großer Kachelofen heizte den Raum und spendete Licht. Weiter gab es noch einen großen Tisch, einen Schrank und eine Kommode. Durch eine Tür gelangte man zur Küche und den Vorratsräumen. Eine Holztreppe führte unters Dach zu den Schlafplätzen. Misstrauisch beäugten das Ehepaar die junge Frau, wie sie da gegenüber dem Piraten vor dem Ofen saß und trotz des Mantelkragens geschickt ihre Portion Reis aß. Wer war sie? Einen Steckbrief hatten sie noch nicht von ihr in der Tageszeitung gesehen. Doch da sie ihr Gesicht verbarg, konnte das nicht so recht bescheinigt werden. Sicher wäre sie eine Piratin, denn sie zöge mit dem Grünhaarigen, flüsterte der Mann seiner Frau zu. Wer auch immer sie wäre, sie könnte sich Widerworte ihm gegenüber leisten, tuschelte die Frau zurück just in dem Moment, wo Tashigi Zoro anzischte, ob er nicht einmal anständig essen könnte. Diesem blieben fast die Essstäbchen im Halse stecken, als er den Einwand von ihr hörte. Zugegeben, er hatte mal wieder wie ein Scheunendrescher gespachtelt, aber der Hunger trieb es nun mal unmanierlich rein. Er sah zu ihr von seiner Reisschale auf, sagte aber nichts, denn er konnte es wieder fühlen. So langsam kehrten die Geister in ihn zurück und er ließ seine Gedanken kreisen. Aus unerklärlichen Gründen war Tashigi derzeit mehr als sauer, zudem war sie erschöpft. Der Vater dort am anderen Raumende hatte Sorge um seine Familie, denn immerhin waren Piraten im Haus, während die Mutter schnell die hellwachen und neugierigen Kinder ins Bett schickte. Die Alte kicherte, denn sie war amüsiert. Sicher hatte sie schon viel erlebt, da machten Piraten unter dem eigenen Dach nichts mehr aus. Unaufhaltsam tickerten die Zeiger der Standuhr weiter zu einer weit vorgerückten Stunde. Vor der Tür war es stockdunkel und der Schneefall hatte an Stärke gewonnen. „Können wir die Nacht bleiben?“ wandte sich Tashigi an den Mann, doch die Alte kam ihm mit einer Antwort zuvor. „Natürlich, das Knechtzimmer ist doch noch frei drüben bei den Stallungen. Nehmt die Öllampe mit!“ kicherte sie ihn sich hinein. „Du hast doch nichts dagegen?“ kicherte sie nun den Mann an, der erst protestieren wollte, aber mit einem Kopfschütteln sein Einverständnis erklärte. Die Alte schaukelte zufrieden in ihrem Stuhl hin und her und sah den beiden nach, wie diese mit einem „Danke!“ durch die Haustür nach draußen gingen. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, musste sie sich Vorwürfe anhören, doch diese kicherte sie einfach hinweg. Mit einer rostigen Öllampe bewaffnet gingen Tashigi und Zoro hinüber zu den Stallungen. Tatsächlich gab es dort ein kahles Zimmerchen mit einem zugigen Fenster. Der Boden war mit Matten ausgelegt und ein paar Decken lagen lumpig umher. Mehr als vier Mann würde in der Kammer keinen Schlafplatz finden können. So klein war es dort, doch selbst mit diesem Kämmerchen hatte die Ölfunzel Mühe, sie auszuleuchten. Während Tashigi so gut wie in alle Decken gehüllt nahe der Lampe lag, hatte Zoro sich an der Wand niedergelassen mit seinen drei Katana im Arm. Er bestaunte die Tatsache, dass sie trotz der vielen Decken immer noch unglaublich fror. Sie bibberte zähneklappernd vor sich her und lag zusammengerollt mit dem Rücken zu ihm. „Kannst du immer rauskriegen, was in uns allen so vorgeht?“ unterbrach sie emotionslos die Stille. „Hm?“ murmelte er schläfrig. Konnte dieses Weib nicht einfach die Augen zumachen und schlafen, wie alle normalen Menschen? Wie konnte man jetzt mitten in der Nacht auf solche Gesprächsthemen kommen? „Ja oder Nein?“ Das klang nun ernster von ihr. „Teilweise. Manchmal ja, manchmal nein...“ Er gähnte. Langsam begann sie zu nerven auf ihre ganz eigene Art. Vorhin hatte er noch gehofft, sie würde sich wieder so wie früher verhalten. Nun tat sie das, aber so ganz recht war es ihm auch wieder nicht. Diese Frau machte ihn einfach nur kirre. „Das ist unfair. Du weißt alles über mich und ich weiß gar nichts über dich!“ klang es trotzig unter dem Deckenberg hervor. „Das ist mir eben herzlich egal. Halt einfach die Klappe!“ kam es nur grummelnd zurück. Irgendwie hatte sie irgendwo recht. Er spürte ihr Angst, ihre Traurigkeit und ihre Einsamkeit, aber auch ihren Kampf gegen alle die schlechten Dinge in sich drin. Sie mochte sich in ihrem Zustand selbst nicht leiden. Er dachte daran, wie sie sich in seinem Armen neulich noch ausgeheult und er ihre plötzliche Nähe gemocht hatte. Wenn er sich zurückerinnerte, dann spürte er ihre Finger in seinen Haarsträhnen. Oder ihren heißen Atem an seinem Hals, als er ihr sein Schwert an den Hals drückte. Oder als er sie in der Villa in seine Arme schloss in der Hoffnung, sie hätte ihn nicht auch noch verlassen. Oder ... es gab so viele kostbare Sekunden, die seine Gedanken auf eine Achterbahnfahrt schickten, dass er unkonzentriert wurde und manchmal nicht einschlafen konnte. Nur für ein paar Sekunden hätte er einen dieser Moment wiedergeholt. Nur für eine Sekunde. Das würde ihm schon reichen. Und nun lag sie dort so dicht bei ihm, aber doch so weit weg und unerreichbar. Seinen Kopf an die Wand gelehnt betrachtete er, wie das kleine Flämmchen der Öllampe tanzte und einen orangefarbenen Lichtschein auf alles warf. Langsam begann sich etwas unter dem Deckenhaufen zu regen. Sie drehte sich um und spähte ihn unter den Decken hervor an. So starrten sie eine ganze Weile bis die kleine Funzel erlosch, weil das Öl aufgebraucht war. „Nur für eine Sekunde. Nur für einen Moment“, wünschte er sich. Was hatte er nicht alles schon für Schlachten und Kämpfe durchstanden. Alles ohne auch nur für einen Augenblick Angst zu empfinden, doch nun fühlte er sich hilflos und feige. Sich mit einem Kompromiss anfreundend rollte er sich in der Dunkelheit samt Decke direkt neben sie nur eine Handbreite entfernt. Als hätte sie seine Gedanken erraten, wühlte sie sich einen Weg durch den Deckenstoff zu ihm. Vorsichtig legte sie ihren Kopf an seine Schulter und schmiegte sich sanft an seine Seite. Schüchtern, schon fast fragend, tasteten ihre Fingerspitzen über seinen Brustkorb, bis sie ihn mit ihrem Arm ganz umschlungen hatte. „Du bist so schön warm ...“, flüsterte sie ihm liebevoll zu. Sie war derart durchgefroren, dass er zuerst dachte, einen Eiszapfen neben sich liegen zu haben. Ihre Kälte ließ ihn kurz frösteln. Er schlang seine Arme fester um sie und zog sie zu sich heran. Langsam kehrte die Wärme in ihren Körper zurück und sie taute auf. Eine Sekunde hatte sich Zoro gewünscht, doch nun lag sie die ganze Nacht schlafend in seinen schützenden Armen. So nah, wie er es gehofft hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)