Raftel (1) von sakemaki (When Spirits Are Calling My Name ...) ================================================================================ 12 - Der Fluch des Akaichô -------------------------- Anmerkung: Das Lied ist vom Japanischen ins Deutsche übersetzt, heißt Chô (Schmetterling) von Tsukiko Amano und stammt vom PS2-/XBox-Spiel Zero Akaichô (Project Zero 2: Crimson Butterfly) Tashigi blieb nach Zoros Verschwinden nichts weiter übrig, als abzuwarten und zu hoffen, dass er den Weg jemals wieder zurückfinden würde. Die Minuten des Wartens schleppten sich mühselig dahin und kamen ihr wie Ewigkeiten vor. Allmählich wurde sie nervös. Es kreisten alle möglichen Gedanken in ihrem Kopf, die sie nicht haben wollte. Er musste es einfach schaffen. Irgendwo würde dieser blöde Schmetterlingsschlüssel schon sein. Kopfschüttelnd beschloss sie, weiter die unzähligen Bücher und Akten in Augenschein zu nehmen, denn sie brauchte unbedingt eine Ablenkung. Vermutlich würde niemand außer ihre in der Zukunft die Bücher wieder zu Gesicht bekommen. Ob es nun gut oder schlecht wäre, wollte sie nicht beurteilen. Schon manch einer wurde allein der Tatsache, dass er Beweise gegen die Machenschaften der Weltregierung besaß, bis zum Lebensende nach Impel Down gebracht und gefoltert. Allein der Gedanke an Impel Down jagte ihr kalte Schauer über den Rücken, und sie war froh, diesen Ort noch nie in ihrem Leben gesehen zu haben. Dennoch stimmte es sie traurig, all die Unterlagen nicht zur Auswertung mitnehmen zu können. Aber sie nahm sich fest vor, in den Archiven der Marine nach weitern Hinweisen zu suchen. Mit den Fingerspitzen strich sie vorsichtig über die Bücherrücken auf der Suche nach einem besonders interessantem Stück. Die Kamera hatte sie unachtsam auf den kleinen Schreibtisch beiseite gelegt. Über dem Schmökern vergas sie Zeit und Raum um sich herum. Es waren einfach viel zu unglaubliche Dinge niedergeschrieben. Je mehr sie las, desto mehr bedauerte sie, diese ganzen Bücher nicht mitnehmen zu können. Es würde keine Beweise außerhalb dieses Hauses geben. Also begann sie, die wichtigsten Details zusammengefasst auf Papier zu notieren. Wenigstens wollte sie Aufzeichnungen für persönliches Weiterforschen mitnehmen, wenn sie hier tatsächlich befreit würde. Und so las und schrieb sie vor sich her ohne zu bemerken, dass sich jemand ihrem Gefängnis näherte. Tief unter der Erde grub ich stetig ein Loch ohne zu wissen, wie weit es führen würde. Mit meiner dreckigen Schaufel in der Hand suchte ich deinen Arm. Blutige Fußabdrücke schlichen unaufhörlich auf das verfluchte Holzgatter zu und passierten es mühelos, als wäre es gar nicht vorhanden gewesen. Langsam führte die rote Spur weiter um das Bücherregal herum und endete knapp hinter der am Boden hockenden Tashigi. Die Hockende spürte Eiseskälte hinter ihrem Rücken, fuhr erschrocken herum und stolperte rücklings. Schockiert starrte sie in die großen dunklen Augen ihrer toten Schwester, deren Geisterkörper langsam aber sicher Konturen annahmen, als wäre sie eine Puppe. Panisch robbte Tashigi rückwärts, bis sie das Bücherregal in ihrem Rücken bemerkte und ihr den weiteren Fluchtweg versperrte. Keine Sekunde ließen die beiden Geschwister sich aus den Augen. Die Ältere starrte voller Angst, die Jüngere voller Überlegenheit. Kuina war nun vollkommen plastisch geworden. Sie schickte sich langsam an, sich mit erhobenen Händen dem Hals ihrer Schwester zu nähern. Dabei hatte sie eine ausdrucklose Miene aufgelegt und glich dem einer Porzellanpuppe, die man zu lange emailliert hatte. „Wo war nur diese verdammte Kamera?“ schoss es Tashigi durch den Kopf und musste leidvoll erkennen, dass diese unerreichbar auf dem kleinem Schreibtisch neben dem großen Spiegel lag. Die junge Frau musste nun alles riskieren und sprang auf. Die Kamera wäre ihre einzige Rettung. Nur knapp verfehlte die Geisterpuppe den Hals ihre Schwester, als diese an ihr vorbeistürmte und sich die Kamera mit einer Hand griff. Gemeinsam flickten wir ein Flickwerk an Fröhlichkeit. Als ich die Saat dazu säte, wurde ich von deiner Stärke zerschmettert. Kuina gelang es, die andere Hand ihres Zwillings zu ergreifen. Mit eiskaltem Griff und unbändiger Kraft zerrte sie nun an dieser. Durch den Rückhalt drehte sich Tashigi mit Schwung umher und landete mit der anderen Hand samt Kamera krachend im großen Spiegel. Dieser zersplitterte mit lautem Klirren. Tausend Scherben regneten zu Boden und zerschnitten die Haut. Entsetzt sah Tashigi, wie die Scherben ihre Hand vollkommen aufschnitten. Sie schrie vor Schmerz auf und ließ die Kamera zu Boden fallen. Blut rannte über ihre Hand und tropfte am Arm herunter. Eine Pfütze von Blut bildete sich zu ihren Füßen. Selbst Kuina war in diesem Moment starr vor Schreck. Damit hatte keiner von beiden gerechnet. Tashigi sah ihr Spiegelbild an. Es war ihr eigenes Aussehen, was sie in diese schlimme Lage gebracht hatte. Was war denn zum Teufel noch mal an ihrem Äußeren so falsch? Oft hatte sie sich von Zoro anhören müssen, dass er ihr Gesicht nicht ertragen könnte. Nun stand ihre tote Schwester hier und forderte ein neues Leben, indem sie einfach ihren Körper übernahm. Alles drehte sich nur um ihr Aussehen. Niemand hatte jemals gefragte, was sie innerlich fühlte oder ob sie vielleicht ganz anders vom Charakter zu ihrer Schwester wäre. Wenn Kuina wirklich so war, wie sie hier agierte, dann hatte Tashigi gar kein Interesse daran, einen Zwilling zu haben, denn war dieser nicht von Grund auf verbittert und böse? Das war doch niemals sie selbst? Nur die Optik allein zählte. Sie hob eine große Spiegelscherbe empor und betrachtete ihr hübsches jugendliches Gesicht. Heiße Tränen liefen ihr die Wangen herunter. Wenn allein ihr Aussehen, das Problem war, dann sollte es nicht mehr sein. In diesem Moment hatte die junge Frau alles um sich herum vergessen. Wie von Sinnen stach sie zu. Sie spürte den Schmerz, der ihr wie eine Erlösung vorkam. Nie mehr wollte sie so aussehen wie bisher, wenn es nur Ärger brachte. Langsam zog sie die Scherbe über ihre Wange und heulte verzweifelt vor Schmerz. Das Blut befleckte ihr Gesicht, ihre Hand und die Spiegelscherbe. Es tropfte hernieder und sammelte sich in der Pfütze am Holzfußboden. „Was machst du da?“ schrie Kuina plötzlich schrill in die Stille hinein. Die Geisterpuppe hatte sich aus ihrer Starre gelöste. Sie konnte nicht glauben, dass der von ihr angestrebte Körper nun eben gerade vor ihren eigenen Augen durch ihre eigene Schwester entstellt und verschandelt wurde. War die etwa total verrückt? Diese dumme Frau machte ihr doch tatsächlich alles in letzter Minute kaputt. Das durfte nicht sein und musste verhindert werden. Kuina sprang auf sie zu und packte sie gezielt an der Gurgel. Tashigi spürte die porzellankalten Hände an ihrem Hals. Verzweifelt versuchte sie, Kuina abzuschütteln, doch es gelang ihr nicht. Nach Luft röchelnd brach sie zusammen und wandte sich nun auf dem Boden. Sie streckte den Arm nach der Kamera aus. Nur knapp griff sie an ihr vorbei. Sie versuchte sich zu strecken, doch langsam ließen ihre Kräfte nach, denn ihre Schwester würgte sie mit aller Kraft wie eine Besessene. „Zoro, du Idiot! Wo bleibst du?“ schickte die Marineangehörige Stoßgebet um Stoßgebet zum Himmel. Sie war hin- und hergerissen zwischen Überlebenskampf und Kapitulation. Beim dritten Anlauf schaffte es Tashigi dennoch, sich die Kamera zu greifen und drücke mehrmals wild hintereinander ab. Volltreffer! Kuina schrie auf und verblasste. Ihre spirituelle Energie floss der Kamera zu und wurde auf Zelluloid ewiglich gebannt. Tashigi röchelte nach Luft, doch sie hatte immer noch das Gefühl, dass der Druck auf ihrem Hals nicht weniger wurde. Sie drehte sich zur Seite und sah sich in den Spiegelscherben. Ihr hübsches Gesicht war entstellt und blutüberströmt. Auf ihrem Hals brannten rote Abdrücke auf der Haut, wo Kuina sie mit den Händen gewürgte hatte. Das Würgemal leuchtete in einem grellen Rotlicht, als wäre es magisch. Die Form des Mals erinnerte die junge Frau an einen Schmetterling mit geöffneten Flügeln. Kuina hatte ihr mit dem Schmetterling an ihrem Hals eine bleibende Erinnerung verpasst. Dann wurde Tashigi schwarz vor Augen. Der Blutverlust und die Atemnot waren zuviel für ihren geschwächten Körper. Sie wurde ohnmächtig. Brenne heiß, brenne heiß! Die Male, die deine Handflächen hinterließen, sind nicht zu beseitigen. Mit meinen zerfetzten Flügeln reiße ich ein Loch in die rotgefärbten Wolken. Schau mich an, ich fliege mit Leichtigkeit! Als Zoro die hölzerne Treppe im Atrium erklommen hatte, nahm er sich nicht mehr die Zeit, die Tür zum Hausinneren zu öffnen. Krachend zerbarst sie in ihre Einzelteile. Holzstücke prasselten nieder und blieben achtlos um ihn herum liegen. Dieses alte Hexenhaus war zerfallen und besitzlos. Sicherlich würden ein paar weitere zertrümmerte Wände nicht auffallen, befand er. Zumal der Hauseigentümer sich in dieser Hütte wohl auch nicht blicken lassen würde. Den blutigen Fußabdrücken folgend, musste er an der Kreuzung nun doch anhalten. Die rote Spur teilte sich und verlief jeweils zu allen Räumen des Ganges. „Dieses kleine Biest ...“, dachte er bei sich grummelnd. Kuina war schon als Kind in manchen Dingen stur gewesen. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzte hatte, dann wollte sie es auch mit allen Mitteln erreichen. „Santôryu tatsumaki!“ Ein Tornado fegte augenblicklich durch das Haus, zerbarst Türen, zeriss Wände, zersplitterte das Glas der Fenster und ließ einen Teil der Decke einstürzen. Es war einfach Zoros Art, Nägel mit Köpfen zu machen, und je weniger von der Villa stand, desto weniger müsste er suchen. So einfach war das. Und ab durch die Mitte. Er rannte los durch seine eben geschlagene Schneise. Die Ewigkeit, die ich vorhersah, während ich in meinem Kokon eingeschlossen war, wo wird sie gesät werden und zu einer Blume erblühen? Bald wird der Morgen die dunkle Nacht zurückdrängen und mir das Augenlicht nehmen. Mit jedem Schritt fühlte er, dass er dem Gefängnis näher kam, und dass das Unheil bereits seinen Lauf genommen hatte. Hätte Kuina nun recht behalten und er wäre wieder einmal zu langsam gewesen? Einst hatte er ihr ein Versprechen gegeben, dass er um jeden Preis halten würde. Das war Ehrensache. Aber wieso vertraute sie im nicht? War sie so ruhelos in ihrem Grab? Wie dem auch war, es war für ihn entgültig vorbei. So starb eine lang gehegt Freundschaft. An der Nase musste er sich von ihr nicht herumführen lassen. Das war ein Vertrauensbruch. Im Mondlicht fühlte ich mich dir überlegen. Verwirrend! Ich glaubte, ich könnte deine Zuflucht sein. Schon einige Meter aus der Ferne konnte er das Holzgitter sehen. Als er es erreichte, lehnte er seinen Kopf daran und ließ seinen Blick über das Szenario schweifen. Dort lag entweder Kuina oder Tashigi inmitten einer Blutlache und einem Meer aus Spiegelscherben, die das Licht der kleinen Lampe auf dem Schreibtisch mysteriös zu kleinen Sternen an den Wänden reflektierten. Sein Entschluss stand fest. Tashigi war das Opfer. Er würde sie mit dem Schlüssel befreien, aber Kuina konnte als Täterin in dem Gefängnis versauern. Wenn sich ihre Seele seit ihrem Tod derart vergeltend und boshaft verändert haben sollte, dann wäre es die gerechte Strafe. Somit hätte sie sich selbst hereingelegt. Brenne nieder, brenne nieder! Der Ort unseres Versprechens kehrt nie mehr zurück. Ich renne über die schwarzbefleckte Erde vom Schmerz zerrissen. Schau mich an, ich fliege mit Leichtigkeit! Zoro atmete tief durch und rief in ruhigem Ton beide Namen, doch die dort zwischen den Trümmern eines harten Kampfes liegende Person regte sich nicht. War sie tot oder nur ohnmächtig? Wer von beiden lag dort? Für solche Notfälle wünschte er sich Chopper herbei. Nie war der kleine Arzt zur Stelle, wenn man ihn wirklich einmal brauchte. Es gab nur einen Weg, das Rätsel zu lüften. In seiner Hosentasche kramend, suchte er den Schmetterlingsschlüssel hervor und schloss die kleine Tür auf. Dann wanderte der Schlüssel zurück in seine Tasche. Sicher war sicher. Er berührte sie an der Schulter und rüttelte sie vorsichtig. Als keine Reaktion erfolgte, drehte er sie kurzerhand zu sich und zog sie sanft auf seinen Schoß. Es war keine Kälte zu spüren. Auch Böses schien diesem Körper fremd. Er war doch nicht zu langsam gewesen, wie Kuina ihm immer prophezeit hatte. Sie sah schlimm aus mit der großen Schnittwunde, die sich von der Schläfe bis zu ihrem Kinn zog. An ihrem Hals brannte der Schmetterling wie Feuer. Er berührte ihn und spürte einen bösen Fluch, der mit diesem Mal verbunden war. Im Schnelldurchlauf sah er vor seinem geistigen Auge, wie sie in den Spiegel fiel, sich das Gesicht zerstach und dann letztendlich ihre eigene Schwester mit der Kamera auf ein Foto bannte. Kuina hatte ihm als Erinnerung an ihren gemeinsamen Schwur nicht nur das Wadôichimonji gelassen, sondern nun zusätzlich noch einen roten Schmetterling. Er seufzte, doch es war nicht mehr zu ändern. Eine Haare hingen ihr ins Gesicht und verklebte mit der Wunde. Behutsam strich er die Strähne von ihrer Wange: „Dumme Nuss ... Erst geht Kuina und nun du auch?“ flüsterte er leise. Vermutlich würde er nie irgendetwas irgendwie jemals richtig machen, tadelte er sich selbst. Sie hatte viel Blut verloren und ihre Atmung schien äußerst flach. Um wenigstens ihre Körpertemperatur konstant zu halten, wickelte er sie in den dreckigen Poncho und schlang seine Arme um sie. Irgendwann würde sie wohl hoffentlich wieder zu sich kommen. Jedoch sollte es nicht allzu lange dauern, denn er witterte eine neue Gefahr im Anmarsch. Wenn du mich nicht schreien hören kannst, zerstöre mich mit deinen Händen, während ich mich immer noch „Ich“ nennen kann! Deine Arme, die mich fangen, verwandeln sich in friedvollen Staub und wieder schaue ich leise zum Himmel auf. Irgendwo in der alten Villa begann es zu knistern und zu knacken. In den dunkelsten Winkeln flackerte es dämmerig auf. Ein beißender Geruch wabberte durch die Flure und bestätigte Zoro, dass ihn sein siebter Sinn wieder einmal nicht betrogen hatte. Die Hütte begann zu brennen. Und da das Holz trocken wie Sandkuchen war, würde hier in kürzester Zeit alles in Flammen stehen. Die Zeit drängte. Später würde er nicht mehr sagen können, wie lange er durch die alte Villa gelaufen war oder wie er es überhaupt geschafft hatte, ins Freie zu gelangen. Mit Tashigi, Sack und Pack zog er los. Alles, was ihm im Weg war, wurde einfach achtlos von ihm mit einem „Mûtoryu tasumaki“ zertrümmert. Er war sichtlich genervt und seine Laune sank auf den bekannten Gefrierpunkt, obgleich das Haus um ihn herum lichterloh brannte und bei jedem Schritt Flammen aus dem Boden schossen. Der graue Rauch ließ die Augen tränen und die Lunge um saubere Luft betteln. Endlich gab die Hausaußenwand dem Feuer nach und öffnete den Weg in einen angrenzenden Garten. Ein kleiner Pfad schlängelte sich über Steinplatten über den kurzen Rasen zu einem Wasserspiel an einem Brunnen zwischen Bambusbüschen. Zoro folgte dem Pfad und schmiss hier die Rucksäcke ins Gras. Er keuchte außer Atem nach Luft. Selbst für einen durchtrainierten Mann wie ihn war der Weg aus der Flammenhölle kein Zuckerschlecken gewesen. Immer noch lag Tashigi in seinen Armen. Jedoch schien sie nicht mehr ohnmächtig, sondern in einem tiefen Schlaf zu sein. Er vergewisserte sich noch einmal, dass sie sorgfältig in die Ponchos gewickelt war und legte sie ebenfalls vorsichtig ins Gras. Das alte Gebäude brannte nun vollständig und brach von einer Sekunde auf die andere in sich zusammen. Es knisterte behaglich als würde es sich für seine Feuerbestattung bedanken. Die böse Aura, die er vor Stunden einst gespürte hatte, war verschwunden. Auch der umliegende Bambushain schien nun wie jeder andere Wald zu sein. Ruhig und gelassen wiegten sich die Wipfel im sanften Wind von einer Richtung in die andere. Der Nachhimmel wich langsam einer fernen Dämmerung. Ein neuer Morgen brach an, und bald würde die Sonne die Dunkelheit vertreiben. Der Spuk war vorbei. Sicherlich würde es ihnen dann leichter fallen, den Weg aus dem Bambushain herauszufinden. Auf jeden Fall müssten sie Chopper suchen. Das war oberstes Gebot. Vermutlich wäre er sicher schon vor Angst und Einsamkeit mit einem Herzinfarkt gestorben. Zoro musste bei diesem Gedanken an Chopper grinsen. Er ließ sich mit ausgebreiteten Armen rücklings aus dem Stand fallen und landete ebenfalls im Gras. Eine Mütze Schlaf würde auch ihm gut tun, denn er hatte schon seit dem Morgen, wo sie das Fischerboot verließen, nicht mehr geschlafen. Für seine Verhältnisse war dieser Zustand eine zeitliche Dimension und musste dringend behoben werden. Mit den Geräuschen des knackenden Feuers und dem Plätschern des Wasserspiels im Ohr dauerte es keine Minute bis er einschlief. Doch er träumte extrem viel und extrem schlecht. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch am Himmel, als er wieder aufwachte, jedoch ließ sich die Lage in dem dämmerigen Licht bereits abschätzen. Dort, wo die Villa gestanden haben musste, waren lediglich mit Moos überzogene Grundmauern. Von den Überresten eines Brandes war nichts zu sehen. Jedoch war die Asche stundenlang auf sie niedergeregnet und hing nun überall wie ein schmieriger Film. Nicht nur auf der Kleidung, sondern auch auf Haut und Haaren pappte das Aschezeug und wollte sie partout nicht mit einfacher Katzenwäsche beseitigen lassen. Tashigi sah mit ihren verkrusteten und schorfigen Wunden um einiges schlimmer aus. Das eingetrocknete Blut klebte nicht nur in ihrem Gesicht. Auch ihre Kleidung sah blutgefärbt aus. Zoro konnte nur hoffen, dass Chopper sie bei diesem Anblick wiedererkennen und nicht vor Schreck tot umfallen würde. Tashigi erwachte eine Weile später durch ein leichtes Geschaukel. Im Halbschlaf bemerkte sie, dass sie wohl nicht mehr in ihrem Gefängnis liegen würde, denn um sie herum war ein sonnendurchfluteter Bambushain. Sie schnappte nach Luft und hatte das Gefühl eine enge Schlinge um den Hals zu tragen. Sie hob leicht den Kopf und bemerkte erst jetzt, warum es schaukelte: Zoro schleppte sie Huckepack durch den Wald und hatte in jeder seiner Hände je einen Rucksack, welche ihm bei jedem Schritt an seine Beine baumelten. Ihr Blick fiel auf die eingetrockneten Blutflecken auf seinem Hemd. „Ich habe dich schon wieder vollgeblutet“, murmelte sie ihm schläfrig eine Entschuldigung zu. „Ich werde der Marine die Rechnung der Wäscherei schicken“, kam eine trockene Antwort von vorn. „Was ist eigentlich passiert?“ fragte sie leise und bedauerte: „ Vielen Dank für alles. Es ist alles meine Schuld! Warum machst du das?“ „Halt einfach die Klappe“, grummelte er. Der Rest war Schweigen. Nach einer Weile bemerkte er, wie sie ihm unbewusst ihren Haken auf den rechten Oberschenkel drückte, als würde sie einem Pferd Schenkelhilfen geben: „Wir müssen mehr nach da. Du läufst wieder Zickzack!“ „Lass das! Ich bin kein Pferd!“ Zoro war gereizt, denn sein Verdacht, dass er mal wieder im Kreis lief, wurde gerade von ihr bestätigt. „Wir müssen trotzdem nach da!“ meckerte sie. „Wenn du wieder meckern kannst, dann geht es dir wohl wieder so gut, dass du allein laufen kannst!“ Er grinste und hüpfte einmal kurz in die Luft, wodurch sie in arge Platznot geriet und ihre Arme nur noch fester um seinen Hals schlang. Keineswegs wollte sie hier abstürzen und im Wald sitzen bleiben. Doch bevor sie gegen Zoros Bocksprung protestieren konnte, lichtete sich in der Ferne der Wald. Sie hatten es tatsächlich geschafft. Am Waldrand wurden sie von einem lauen Wind, warmer Sonne und den weiten Grasgebieten von Sanaland begrüßt. Doch wo sollten sie Chopper suchen? Ratlos blickten sie rechts und links den Waldrand entlang. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, dass sie die richtige Richtung nehmen würden und entschlossen sich für den südlichen Weg. Das Glück meinte es gut mit ihnen, denn schon nach einer guten halben Stunde sahen sie einen braunen Fellhaufen im Gras liegen. „Der macht es wenigstens richtig“, merkte Zoro an. „Wach auf, Chopper!“ Als Chopper seinen Namen hörte und die Augen aufschlug, fuhr er zusammen. Dort standen zwei mit Asche und Blut verklebte Gestalten, die einer Mischung aus Zombie und Waldschrat glichen. Panisch fuhr er hoch und wollte sich hinter einem Baum verstecken. „Du stehst falsch rum! Wir sind es nur ...“, beruhigte Zoro ihn. „Nur ... ?!?!?“ Chopper kam auf sie zu. Erst jetzt bemerkte er Tashigi auf Zoros Rücken. Wild mit den Armen fuchtelnd rannte er aufgeregt umher: „Wie seht ihr denn aus? Wolltet ihr ein Kohlebergwerk mit den Händen freischaufeln? Was ist passiert? Wir brauchen einen Arzt! ... Moment, ich bin der Arzt!“ „Chopper, nerv nicht! Unsere letzte Nacht war echt hart ...“ Zoro gähnte. „Eure letzte Nacht?“ Der kleine Arzt machte große Augen. „Idiot! So doch nicht!“ schimpfte Zoro ihn aus. „Los, wir gehen da drüben hin. Ich kann den Wald nicht mehr sehen.“ Er deutete auf eine Baumgruppe in unmittelbarer Ferne. Kaum dort angekommen, legte sich Zoro unter den nächstbesten Baum zum Schlafen. Wehe dem, der ihn in den nächsten Stunden bis zum Abend wecken würde. Das Rentier hatte schon einige Launen von seinem besten Freund erlebt, aber diese arktische Laune war ein absoluter Kälterekord. Leise verzog er sich mit Tashigi unter einen anderen Baum. Er begann sorgfältig, ihre Wunden zu versorgen und zog erst mal die Fäden aus der alten Schussverletzung. Mit dem Ergebnis der kaum sichtbaren Narbe konnte er zufrieden sein. Er war zuversichtlich, dass er auch die Wunde in ihrem Gesicht so gut versorgen könnte, dass sie bald nicht mehr sichtbar wäre. Jedoch bedauerte er ihr Würgemal. Es wäre ein Fluch und somit medizinisch mit seinen Mitteln nicht behandelbar. Tashigi berichtete ihm ihren Teil von dem alten Haus, so dass Chopper sich fürchterlich gruselte und vor Angst klapperte. Er konnte nun Zoros schlechte Laune nachvollziehen und hoffte, seine Version auch bald hören zu können. Der Tag verging wie im Fluge und der Abend brach über ihnen herein. Hunger und Dreck machten ihnen schwer zu schaffen. Der Wind begann zu drehen und wehte nun aus nordöstlicher Richtung vom East Blue herüber. Wie von der Tarantel gestochen sprang Chopper auf und rannte einige Meter mit erhobener Nase dem Wind entgegen. Tashigi beobachtete ihn ungläubig. Plötzlich machte das Rentier kehrt und stürmte auf Zoro zu. „Wach auf! Ich wittere die Sunny!“ „Die Sunny? Du spinnst, Chopper!“ Zoro drehte sich im Halbschlaf weg. „Nein, nein!“ Der kleine Arzt war außer Rand und Band. „Das ist die Sunny. Sie ist ganz nah am Meer!“ „Wehe, dass stimmt nicht!“ drohte Zoro dem kleinen Arzt. Und so zogen sie zu dritt von Hunger geplagt dorthin, wo Chopper die Thousand Sunny gewittert hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)