Raftel (1) von sakemaki (When Spirits Are Calling My Name ...) ================================================================================ 8 - Der Bambushain ------------------ Einige Stunden später stieß der klapprige Kutter unsanft an einen alten, windschiefen Anlegesteg, der schon weit bessere Tage gesehen haben musste. Sie waren endlich auf der gegenüberliegenden Seite des Binnensees angekommen. Der Fischer vertäute sein Schiff äußerst sorgfältig an den Pollern und begann, seine Ladung zu löschen. Das alte Holz des Steges bog sich knarrend unter der Last von Kisten und Fässern. Nebelschwaden hingen über dem gesamten Ufergebiet, so dass es schwer zu erkennen war, wie lang der Steg tatsächlich sein mochte und wie die Umgebung aussehen würde. Der Fischer ging zu seinem Boot zurück auf das Vorderdeck. Er wollte seine Passagiere wecken und musste bei dem sich ihm gebotenen Anblick lächeln. Dort lag die Marinesoldatin in eine Decke gerollt in der Nähe der Reling zum Schutz vor dem eisigen Fahrtwind und hielt das Rentier wie ein Kuscheltier im Arm auf der Suche nach Wärme. Beide ruhten selig und zufrieden wie es wohl sonst nur kleine Kinder können. Nur einen knappen Meter daneben saß der Schwertkämpfer mit angezogenen Knien an die Reling gelehnt. Obwohl der Alte dessen Gesicht unter der Kapuze nicht sehen konnte, so wusste er, dass er doch von diesem genau beobachtet wurde. Jede Bewegung von ihm wurde millimetergenau argwöhnisch registriert. Der Fischer hielt auf ihn zu und blieb gelassen vor seinen Füßen mit einem respektvollen Sicherheitsabstand stehen. „Du bist älter als alles andere, was hier an den Ufern lebt“, erklang Zoros tiefe ruhige Stimme unter der Kapuze ohne aufzusehen. „Ja, da hast du recht. Aber es verwundert mich nicht, dass du mich unter den Lebenden erkannt hast“, seufzte der Alte und ließ seinen Blick über den See schweifen. Das leichte Schlagen der Wellen gegen den Kutter und den Steg rauschte unaufhörlich einfühlsam daher. Ein seltsamer Schimmer umgab den Fischer. Nach einer kurzen Weile fuhr er feststellend fort: „Du hast wahrlich Dämonisches an dir, aber ein Hanyô bist du wohl doch nicht?“ „Keine Ahnung!“ brummelte der zu seinen Füßen Hockende kurz angebunden vor sich her. Zoro war nicht nach Philosophieren zu Mut. Schon gar nicht über sich selbst und mit einem Geist als Gesprächspartner. Doch sein Gegenüber schien auch nicht sonderlich an einem Gespräch interessiert zu sein. Dieser nickte ihm bestätigend zu und wandte sich langsam gehend vom ihm ab. Sein Gang wurde stetig schwerfälliger, als würde bei jedem weiteren Schritt ein wenig mehr seine letzten Lebensgeister von dieser Welt Abschied nehmen. Er hörte ihn noch sagen: „Wenn du allein ziehst, dann ist deine Reise eine Einbahnstraßen-Sackgasse.“ Dann war er entschwunden in einem Nichts, als hätte es ihn nie gegeben. Und mit ihm ging der Zauber des Bootes. Plötzlich war es alt und verrottet. Es begann langsam im See zu versinken. Zoro streckte gelassen den Arm nach seinen beiden Begleitern aus, um sie zu wecken. Die beiden waren immer noch im Tiefschlaf und hatten von der merkwürdigen Konversation zwischen ihm und dem Geisterfischer nichts mitbekommen. „Lasst uns gehen!“ Schlaftrunken rappelten sich die beiden hoch und schlürften ohne Fragen Zoro hinterher von Board. Sie wussten nicht, ob das Knarren des Anlegestegs oder ihr Magenknurren unheimlicher klang. Durch die Nebelwand sah man die Hand nicht mehr vor Augen und auch der Gang auf dem Steg schien wie eine Reise in die Ewigkeit. Das Rentier merkte an, ob es vielleicht unhöflich sei, ohne Abschied den Fischer zu verlassen, doch Zoro grinste nur und meinte, dass er es sicher nicht Übel nehmen würde. Chopper wurde stutzig. Ein paar Schritte später erreichten sie das Festland. Wohin nun? Die Nebelsuppe lichtete sich etwas, gab aber nicht mehr als eine Sichtweite von gut hundert Metern frei. Das Seeufer hatte hier keinen Strand, sondern ging sofort in meterhohes, regennasses Gras über, was sich hartnäckig wie Schlangen bei jedem Schritt um die eigenen Beine wickelte. Das Rentier blickte angsterfüllt zurück, wo es den Steg vermutete. Doch dort war nichts als das Wasser, welches in sanften Wellen an das Ufer schwappten und zwischen dem Gras versickerte. Choppers Vermutung hatte sich bewahrheitet und seine Augen wurden groß wie Kuchenteller. Ein Schauer lief über seinen Rücken und er schrie Zoro an: „Sag mir, dass das nicht wahr ist?! Du hast die ganze Zeit gewusst, dass das ein Geisterschiff war! Der Angesprochene grinste nur: „Klar, aber dann hättest du gleich so einen Aufstand gemacht.“ Er wandte sich ab und beobachtete misstrauisch die Gegend. Der kleine Arzt setzte sich geschockt von den neuen Erkenntnissen erst einmal hin und war im hohen Gras fast nicht mehr zu sehen. Das eben musste verdaut werden. Der grünhaarige Kerl machte ihn noch wahnsinnig. Manchmal wusste er einfach nicht, was er von ihm und seiner Art halten sollte. Das würde sicherlich noch Böse enden. Tashigi hat die ganze Szene schweigend beobachtet, doch nun war auch sie der Wut nahe. Sie wollte endlich von den beiden wissen, was hier überhaupt los wäre. Die Antwort war peinlich berührtes Schweigen. Zornig drehte sie sich von beiden weg und lief kämpfend durch das hohe Gras davon. Ihr grauer Regenponcho und das neblig-graue Gelände wurden eins und verschluckten ihre Gestalt vollständig. Zurück blieben ein heulendes Rentier, das einem extrem genervten Schwertkämpfer bitterböse Vorwürfe machte. Dieser jedoch war sich keiner Schuld bewusst und strafte Chopper mit Schweigen. Der kleine Arzt rief Tashigi nach, doch seine Wort erreichten sie nicht mehr. Sie war längst außer Hörweite. „Sollten die Idioten doch den Weg allein finden“, dachte sie, „ich brauche sie sicherlich nicht.“ Das nasse Gras klatschte ihr ins Gesicht und an den Körper. Wut, Trauer und Enttäuschung wechselten sich in ihren Gedanken ab. Es tat ihr um das Rentier leid, welches sie bereits als treuen Freund vermisste. Zoro konnte ihr gestohlen bleiben. Sie würde es ihm irgendwann schon heimzahlen, dass sie nun hier umher irren musste. Das Rennen fiel ihr schwer und sie ging nun langsam weiter. Ständig verhedderte sie sich in den Grasschlingen. Es war ein kräftezerrender Stolperparcours und sie hielt inne, um sich orientieren zu können. Langsam stieg die nasse Kälte an ihr hoch. Fröstelnd schlang sie ihre Arme um den eigenen Körper, um sich etwas warm zu halten. Der Nebel klärte sich langsam auf und in der Ferne zeichnete sich ein Bambushain gegen den Horizont ab. Sie kämpfte sich weiter und weiter. Als sie endlich bei dem Hain ankam, entpuppte er sich als riesengroßer Wald. Nirgends war ein Weg zu sehen. Sie seufzte bei dem Gedanken, sich nun wohl dort durchschlagen zu müssen und zog ihr Katana. Unterweilen waren die Vorwürfe von Chopper gegenüber Zoro verstummt und Ruhe eingekehrt. Da der kleine Arzt in der Nässe keinerlei Witterung aufnehmen konnte, waren sie kurzerhand einfach in der Grasspur der Marinesoldatin hinterhergegangen, denn sie schien immer noch die beste Orientierung zu haben. Inständig hoffte er, sie würden Tashigi einholen, wagte aber nicht, seine Gedanken gegenüber seinem Begleiter laut auszusprechen. Vermutlich war dieser sicher sehr froh über ihr Verschwinden und das wiederum machte Chopper traurig. Es war bei dem widerspenstigen Gewächs nicht leicht, die Spur beizubehalten. Zum größten Teil hatte sich das plattgetretenen Gras schnell wieder in seine ursprüngliche Position aufgerichtet. Das Rentier beklagte das Wetter. Es wäre hier auf der Redline in der letzten Zeit dauerhaft nass, grau und ungemütlich. Auf der Grandline hätte es so etwas über einen derart langen Zeitraum nie gegeben. Zoro wies ihn darauf hin, dass es wohl einzig und allein an der Jahrzeit läge. Der Sommer wäre nun mal vorbei und der Herbst wäre halt nasskalt. Und das waren auch die einzigen Worte, die sie für eine lange Zeit gewechselt hatten. Chopper trottete weiter hinter ihm her. Und obwohl das Fell eines Rentieres von Natur aus gefettet war, um Nässe abzuhalten und Wärme zu spenden, so merkte er doch allmählich, dass diese besondere Feuchtigkeit sich langsam in seinem Fell vollzog. Der Poncho half nicht besonders viel. Für Teufelskräfteinhaber wäre dieses Wasser äußerst fatal, jedoch wollte er sich nichts anmerken lassen, denn sein Freund schien eh schon ziemlich angesäuert zu sein. Den Hintergrund dafür konnte er sich nicht erklären, wagte es aber auch nicht, Zoro zu fragen. Vor ihnen tauchte ebenfalls der Bambushain auf und Tashigis Spur endetet nun. Das dichte Blätterdach schirmte das Tageslicht vollkommen ab. Nebelschwaden umschlungen die Bambusrohre und ließen nur erahnen, dass winzige Rinnsäle an Bächen das gesamte Gebiet durchzogen und es morastig machten. Es war ungewöhnlich für Bambus auf derart feuchtem Boden zu gedeihen: Normalerweise hasste er Staunässe und bevorzugte leichtfeuchte Erde. Chopper blickte in den Wald hinein und begann zu frösteln. Er witterte Böses zwischen den Bambusrohren. Vor lauter Angst zitternd klammerte er sich an Zoros Bein fest und sah panisch an ihm hoch. Als sich dann auch noch plötzlich für einen kurzen Augenblick der Boden zu Zoros Füßen verdunkelte und kurze violettfarbene Schwaden heraufzogen, war er nicht mehr bereit mitzugehen. „Ich geh’ da nicht rein! Wenn selbst deine dämonischen Kräfte anschlagen, dann ist das da drin bestimmt total gefährlich!“ Er bettelte seinen Freund förmlich an, einen großen Bogen um das Gebiet zu machen. Dieser stand mit verschränkten Armen zum Wald und starrte ebenfalls hinein. Er kniff die Augen leicht zusammen, konnte aber nichts genaues erkennen. Kein Vogel sang oder irgend ein anderes Tier machte Geräusche. Es war gespenstisch still und nicht einmal ein Lüftchen regte sich. Er konzentrierte sich und versuchte, die Strömungen zu fühlen. Ja, Chopper hatte recht! Eine böse Aura lag irgendwo darin und floss stetig unaufhaltsam auf sie zu. Von einem bestimmten Punkt aus strömte es anziehend durch den Hain und betörte die Sinne. Man hatte das Gefühl, Stimmen würden rufen, die man nur im eigenen Kopf hören konnte. Tote Stimmen aus der Vergangenheit. Sinnraubend, aggressiv und ruhelos. Er sah den Waldrand entlang, der bis zum Horizont reichte und dachte nach. Vermutlich würde der Umweg um den Wald herum mehrer Tage dauern. „Lass los, Chopper! Wir haben keine Wahl!“ „Das kann doch nicht dein Ernst sein?!“ Zähneklappernd und vor Angst heulend rannte er Zoro hinterher, der bereits die ersten Meter des Waldes betreten hatte. Er wollte ihn auf keinen Fall aus den Augen verlieren und dann vollkommen allein in der unheimlichen Wildnis stehen. Der Versuch zusammen zu bleiben, scheiterte schon nach einer Stunde Fußmarsch. Sie hatten sich hoffnungslos in einem pechschwarzen Labyrinth von Nebel, Bambus und Morast verirrt und verloren. Choppers Hände hatten sich an Zoros Poncho gekrallt, doch am ersten herunterhängenden Ast, den er zur Seite schlagen musste, löste sich sein Griff aus dem Stoff und sein Freund war spurlos wie vom Erdboden verschluckt. Er war mutterseelenallein. Das kleine Rentier bekam Panik. Er raste ziellos durch den Wald ohne zu wissen, wohin sein Weg ihn führen würde. Äste schlugen ihm ins Gesicht. Er war sehr trittsicher, doch selbst in diesem Sumpf musste er häufig straucheln und rutschen. Er rief nach Zoro bis er heiser war. Niemand antwortete ihm. Später würde er nicht mehr sagen können, wie viele Stunden er gelaufen war, aber es waren bestimmt ein ganzer Tag und eine ganze Nacht gewesen. Durch das viele Wasser im Boden saugte sich sein Fell nun gänzlich voll. Er spürte, wie er schwächer und schwächer wurde. Das Wasser lähmte ihn. Mit Mühe konnte er erkennen, wie in der Ferne Licht durch das Blätterdach des Hains fiel. Er mobilisierte seine letzten Kraftreserven. Erschöpft brach er durch die letzte Blätterfront und war im Freien. Tatsächlich war er auf der anderen Seite des Waldes heraus gekommen und die weite grasgrüne Hügellandschaft von Sanaland erstreckte sich in seiner ganzen friedlichen Pracht. Am Horizont konnte er das Meer erahnen: der East Blue und die aufgehenden Sonne eines neuen Morgens! Er konnte es förmlich wittern. Unfähig sich zu bewegen, sackte er in sich zusammen. In Sorge dachte er an seine beiden Mitstreiter. Er wollte nicht glauben, dass Tashigi sie verlassen haben könnte. Zoro würde es sicherlich irgendwie allein durch den Wald schaffen. Darüber schlief er erschöpft ein. Die warme Sonne und der frische Wind würde sein Fell bald getrocknet haben. Der Mut hatte Tashigi schon nach wenigen Minuten verlassen. Eisern hatte sie sich durch den Bambus gekämpft, in der Hoffung bald das Ende des Hains zu erreichen. Doch das war ein großer Irrtum. Die Einsamkeit hatte sie gefangen, als der Nebel und die Dunkelheit ihr die Sicht raubten. Der matschige Boden schluckte jede Spur und jedes Geräusch. Der Bambus wusch ungewöhnlich schnell und überwucherte den Weg, den sie gekommen war. Stundenlang watschte und rutschte sie durch den Matsch umher. Wo war sie? Sie merkte nicht, dass sie dabei einen verwitterten Grenzstein von ungewöhnlicher Form und Abbildung passierte. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, von allen Seiten beobachtet zu werden. Stimmen riefen sie lautlos. Sie spürte die Angst in sich hochklettern. Wurde sie eben nicht von irgendetwas berührt? Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Da war es wieder! Etwas Eiskaltes legte sich auf ihre rechte Schulter. Sie drehte sich um, aber sah nichts außer Dunkelheit. Unsichtbare Hände legten sich um ihren Hals, die nach ihrem Leben trachteten und ihr den Atem nahmen. Tashigi war dem Wahnsinn nahe. Blindlings rannte sie um ihr Leben. Ziellos. Allein. Sie wollte nichts hören und nichts sehen. Der verdammte Wald sollte endlich sein Ende nehmen. Das tat er auch. Wie aus dem Nichts erreichte sie den Vorhof zu einer alten verlassenen Villa. Der Baustiel erinnerte stark an das Marinehauptquartier. Bei einem Nebengebäude stand die Tür zu einem schwach erleuchteten Raum offen. Sie stellte sich in diesem Moment keine Fragen, ob das Nebengebäude bewohnt sei oder nicht. Es war ihr egal, wenn sie nur endlich ein Dach über dem Kopf und vier sichere Wände um sich herum bis zum nächsten Morgen hätte. In dem Raum angelangt, schlug sie die Tür von innen zu und rutsche an hier herab auf den Boden. Sie zog die Beine an ihren Körper und vergrub ihren Kopf auf den Knien ruhend in ihren Armen. Dem Raum würdigte sie keines Blickes. Sie hatte panische Angst, fühlte sich hilflos und allein. So allein war sie in ihrem ganzen Leben noch nie gewesen. Es war bisher immer irgendjemand bei ihr gewesen, ob es nun Marinesoldaten waren, Hina oder Smoker. Besonders Smoker, der manchmal wie ein Vater zu ihr war, vertraute sie grenzenlos. In diesem Moment aber waren ihre alten Bezugspersonen weit weg und unerreichbar. Ohne dass sie es verhindern konnte, hatten sich plötzlich zwei ganz andere Gestalten in ihr Bewusstsein gedrängt. Sie dachte an Chopper. Vermutlich würde er genauso viel Angst wie sie haben und sich an sie klammern. Sicher würde sie sein Fell kraulen, um ihn und sich selbst zu beruhigen. In diesem Moment wäre ihr sogar Zoros Gesellschaft lieb und recht gewesen. „Zoro ...“ flüsterte sie leise vor sich her. Sie klammerte sich an das letzte bisschen Hoffnung, dass er sie hier jemals finden würde, falls die beiden auch den Weg durch den Bambushain gewählt hätten. Sie wollte nur bald wieder raus aus dem gruseligen Haus und dem unheimlich Wald und verfluchte sich selbst über ihre Dummheit, jemals von seiner Seite gewichen zu sein. Alle Streitereien mit ihm waren ihr mit einem Schlag egal und vergessen, wenn er sie nur endlich hier herausholen würde. Sie schwor sich, ihn nie wieder in einen Streit zu verwickeln, selbst wenn ihr großer Traum ihn zu stellen wie einen Seifenblase zerplatzen würde. Ihr fielen vor Müdigkeit die Augen zu. Zoro ahnte von Tashigis stillen Hilferufen nichts. Er stapfte mit schlechter Laune missmutig durch den Bambushain. Er wusste längst, dass er sich mal wieder verlaufen und Chopper verloren hatte, obwohl der vor Sekunden doch noch bei ihm gewesen war. Der Kreidetrick funktionierte in diesem Wildwucher einfach nicht. Es war hoffnungslos. Das dumme Rentier hatte einfach nur selten dämlich Ideen, als es vorschlug nach Loguetown zu gehen. Wenn er den kleinen Arzt in die Finger kriegen würde, dann könne der sich auf etwas gefasst machen. Und Tashigi? Die brachte ihm eh nur Ärger ein. Wenigstens war sie nun endlich weg. Das Problem hatte sich von selbst gelöst. Doch in seinem tiefsten Inneren sprach eine andere kleine Stimme tadelnd zu ihm. Irgendwie füllte er sich für sie verantwortlich. Hätte er sie damals nicht aus dem kleinen Dorf an der Furt mitgenommen, wären sie beide niemals den selben Weg gegangen. Die Suppe musste er nun auslöffeln. Oder doch nicht? Eigentlich könnte es ihm auch vollkommen egal sein, ob sie hier irgendwo verrecken würde. Mit finstere Miene schlug Zoro mit seinen Schwertern eine Schneise, musste aber erkennen, dass sie in kürzester Zeit wieder hinter ihm zuwuchs. Was war nur in diesem bekloppten Wald los? Er entdeckte den verwitterten Grenzstein zwischen den Zweigen am Boden. Das merkwürdig aussehende Zeichen war unkenntlich geworden und von Moos überwachsen. Mit seiner Stiefelspitze versuchte er, das Moos von dem seltsamen Stein zu kratzen, um das Abbild zu betrachten. Es zeigte zwei gleich aussehende Menschen, die sich an der Hand hielten und durch ein Band verbunden waren. Zwillinge? Zoro machte ein skeptisches Gesicht. Die böse Aura war stärker als am Waldrand. Hier begann es also und der Stein markierte eine Grenze. Aber zu was und warum? Er steckte seine Schwerter zurück und stapfte mit den Händen in den Hosentaschen vergraben seinem Gefühl folgend voran. Diese Angewohnheit mit den Händen in den Taschen hatte er erst zur Dauereinrichtung werden lassen, als Chopper in fragte, ob ihn etwas permanent frustrieren würde. Seine Hände wären immer zu Fäusten geballt wie bei jemandem, der wütend sei. In Zoros Augen ging niemanden sein Innerstes an und so versteckte er lieber seine Hände, wenn man daran soviel über ihn ablesen konnte. Aus den Augenwinkeln heraus versuchte er rechts und links neben ihm seine Umgebung in Schach zu halten. Etwas huschte wie ein Irrlicht im Zickzackkurs zwischen den Bambusstangen umher, jedoch wagte es bisher nicht, sich bis auf wenige Meter dem Schwertkämpfer zu nähern. Es missfiel Zoro, dass hier etwas rumschwirrte, was er nicht sehen konnte und plötzlich hatte er das Gefühl, es würden mehrere von diesen unsichtbaren Irrlichtern werden. Er wusste nicht, wohin ihn es ihn trieb, aber er würde es bald erfahren. Seit Thriller Park hatte er eine verständliche Abneigung gegenüber Geistern. Nicht nur, dass sie ihn damals depressiv und somit zu einem leichten Opfer machten und Gekko Moria an seinen Schatten kam, seine Seele musste mit einem Zombiekörper umherwandeln. Das war für den zukünftig weltbesten Schwertkämpfer mehr als erniedrigend! Missmutig über diese Erinnerungen ging er weiter. Die Zeit war vorbei, dass es noch einmal jemanden gelingen sollte, von ihm Besitz zu ergreifen oder Macht über ihn auszuüben. Wenn ihn schon Dämonisches heimsuchte, so sollte es ihm auch nützlich sein. Und eines Tages gelang es ihm: Er konzentrierte sich, berührte den unwissenden Chopper am Arm und dieser sackte in sich zusammen. Er hatte es geschafft, Teufelskräfte aufzuheben. Wie das ging, wusste er nicht, aber das war ihm fürs Erste egal. Das Rentier hatte sich hinterher fürchterlich über diesen hinterhältigen Überfall von ihm aufgeregt und wollte die Freundschaft kündigen, doch Chopper schwor letztendlich, kein Wort an niemanden zu sagen. So wusste es keiner. Auch nicht die Crew. Diese gut überlegte Entscheidung bereute Zoro bis heute nicht. Er stoppte seinen Gang abrupt, da er spürte, wie nun etwas unsichtbares an seinem Arm entlang strich. Das Gefühl der Berührung suchte seinen Weg weiter an seiner Wange und dann an seinem Hals entlang. Sanft und sehnsüchtig. Zoro hasste es, einfach so aus dem Nichts heraus begrabbelt zu werden. „Schwirr ab!“ brüllte er genervt in die Richtung, wo er das Irrlicht vermutete. Das musste Eindruck hinterlassen haben, denn auf seinem weiteren Weg tauchte erst mal kein Geist mehr auf. Selbst der Bambus schien sein Wachstum um ihn herum eingestellt zu haben. „Warum nicht gleich so?“ dachte sich Zoro und stapfte grummelnd weiter. Es dauerte nicht lange und er stand ebenfalls auf dem Vorhof der alten Villa. Eine Brise Wind zog plötzlich über den Platz. Der Bambus schwankte drohend und die Blätter raschelten unheimlich. „Zoro...“ Er hörte seinen Namen still und leise vom Wind getragen. Die Stimme war ihm vertraut, doch konnte er sie nicht zuordnen. So schell wie die Brise kam, flaute sie wieder ab. Erstaunt sah er das unbewohnte verfallenen Gebäude an. Sollte in dieser Villenresidenz etwa das Geheimnis des Bambushains liegen? Die alte, gammlige Hütte? Er zog eine Augenbraue hoch und wunderte sich. Mit verschränkten Armen stand er nun vor dem Eingangstor und dachte nach. Reingehen oder Weiterziehen? Die Entscheidung wurde ihm schnell abgenommen, als er einen Schatten zum Eingangstor huschen und verschwinden sah. War das eben nicht Tashigi? Ist sie tatsächlich hier an diesem merkwürdigen Ort? Erfolglos rief er ihren Namen und war sich sicher, dass er sich nicht getäuschte hatte. Das Eingangstor stand leicht geöffnet dar. Er folgte dem Treppenverlauf und zwängte sich leise durch die Tür in die Eingangshalle. Die Decke des Hallenbereiches war eingestürzt und die Trümmer hatten den Holzfußboden gespalten. Durch die Öffnung nach oben konnte man das Dachgebälk erahnen und einen kleinen Gang, von welchem man den Eingangsbereich aus erhöhter Position genau beobachten konnte. Das tiefe Loch im Boden jedoch gab nur gähnende Schwärze von sich. Zoro vermutete einen Schacht oder Keller unter dem Eingangsbereich, da kalte Luft aus dem Loch strömte und merkwürdige Geräusche hören ließ. Es könnte das Plätschern von Wasser sein: ein Kanal oder Brunnen vielleicht? Staub überzog in dicken Lagen die gesamte zertrümmerte Einrichtung. Die Möbel waren sehr alt und stammten aus einer Zeit lange bevor die Geschichte von der Weltregierung ausgelöscht wurde. Wind heulte in diesem Haus unheimlich durch die zerbrochenen Fenster und ließ die zerschlissenen Vorhänge flattern. Bei jedem Schritt knarrte der Holzfußboden unheimlich. Seit vielen Jahren konnte niemand mehr hier gewesen sein. Es waren keine Fußabdrücke oder weitere Spuren in dem Staub zu erkennen. Nein, sie war sicher nicht hier. Er hatte sich wohl doch täuschen lassen. Gerade wollte er wieder durch die Eingangstür ins Freie schlüpfen, als irgendwo in dem Gebäude eine Tür laut ins Schloss fiel. Er war also doch nicht allein oder war es nur der Wind? Nein, sein Gespür verriet ihm mehr, als er wissen wollte. Er sah sich im Raum um. Sein Blick fiel auf die brennenden Kerzen, die noch recht neu aussahen. Das machte ihn stutzig. Wer hatte sie entzündet? Wieder spürte er das Böse durch die Wände und Böden kriechen. Das hier war kein schlechter Scherz, sondern bittere Realität. Er hörte durch den knarrenden Boden Schritte im Nachbarzimmer und hätte schwören können, dass die eben geöffnete Tür vor Sekunden noch geschlossen war. Aus dem Nebenraum drang ein schwacher Lichtschein. Das musste nun doch untersucht werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)