Globetrotter von -Soul_Diver- (Wir brauchen keine Chemie, keinen Kompass, keinen Reiseführer, keine Landkarte... und kein Viagra!) ================================================================================ Kapitel 14: Reactio Insolitus - 3 --------------------------------- „Hab ich doch die ganze Zeit gesagt, aber Sie hören ja nicht auf mich – wie immer!“, schnaubte ich erbost. Das war doch wohl offensichtlich gewesen – ich hatte nicht Medizin studieren müssen, dass mir das auffiel. „Und jetzt tun Sie was dagegen!“ Der komische Kerl schnaufte schon sehr angestrengt nach Luft, anscheinend stand er gerade kurz vorm Ersticken. Vielleicht lag es aber auch an der Eule. Ich nahm sie Noctua wieder vom Gesicht und scheuchte sie aus dem Fenster, während mein Begleiter sich auf Noctua stürzte, um ihn vor dem Erstickungstod zu bewahren. „Lassen Sie das Fenster auf, Kuro-rin, und helfen Sie mir!“, forderte er mich auf und machte sich daran, ihn von seinem Hemd zu befreien. „Wir müssen seinen Oberkörper hochlagern. Holen Sie Kissen oder so was...“, wies er mich an und prüfte den Puls an der Halsschlagader. Ich zögerte nicht lange und machte mich daran, Kissen und Decken aufzutreiben, während Fye beruhigend auf Noctua einsprach und ihm anscheinend auch einige Anweisungen gab, wie er atmen sollte, denn das heftige Pfeifen und Keuchen ließ nach. Und als ich Noctua einige Kissen in den Rücken schob, beruhigte er sich und seine Hautfarbe nahm wieder einen gesunderen Farbton an. „O Goet...“, japste er. „Wat sollte denn dat? Ik han gedenkt, Se wolltet mr holpet!“ Nachdem wir, oder besser Fye, ihm geholfen, beruhigt und gesagt, dass er sich besser von seinen Eulen trennen sollte, wenn er noch ein paar Jährchen leben wollte, hoffte ich ja, dass wir endlich unser Honorar einstreichen und dann von hier verschwinden konnten. Konnten wir nicht. Und wieder waren die Eulen schuld. Noctua wollte sich einfach nicht von ihnen trennen und machte einen Aufstand. Er hielt uns noch mindestens eine Stunde damit auf, zu lamentieren, ob es nicht noch eine andere Möglichkeit gäbe. So langsam verlor ich wirklich die Geduld. Die Eulen waren schließlich sein Problem und nicht unseres. Mein Begleiter merkte wohl, das meine Laune mit jeder weiteren Minute immer weiter unter den Nullpunkt rutschte und fürchtete wohl wieder einen tätlichen Angriff, denn er lenkte das Gespräch endlich auf das Wichtigste: Die Bezahlung. „Und wagen Sie es nicht, einen Rabatt draufzuschlagen!“, knurrte ich. Sonst standen wir hinterher wieder ohne irgendwas da. Anscheinend ertappt zuckte er ein klein wenig zusammen. „Ist ja gut, ist ja gut! Aber eigentlich hat er das verdient, vor allem nachdem Sie ihm die Eule-...“ Ich feuerte einen tödlichen Blick auf ihn ab. „...Ahaha... jaaa...Sie haben ja recht.“ Er wandte sich wieder an Noctua, um den Preis auszuhandeln. Wieso musste er eigentlich immer alles so kompliziert machen? Aber wenigstens kam er diesmal auf eine recht vernünftige Summe – aber Noctua schien sich gar nicht daran zu stören. „Können wir dann gehen?“, fragte ich, als Fye endlich fertig war. Vielleicht hatten sie ja sogar den Bentley wieder zum Laufen gebracht, was ich allerdings bezweifelte. Selbst wenn, wir mussten ja auch noch bei der Ernte helfen. Eigentlich hatte ich keine Lust, aber Fye würde darauf bestehen und wir hatten nun mal zugesagt... „Meine Güte, Sie sind aber wieder ungeduldig!“, sagte er. „Wir haben doch Zeit. Jetzt entspannen Sie sich doch mal ein bisschen, das würde Ihnen sicher gut tun.“ „Mir würde es gut tun, wenn Sie sich einfach mal raushalten und leise sind!“, schnappte ich zurück. Er sah ein wenig gekränkt aus, klappte den Mund aber zu. Bedauerlicherweise aber nicht für lange. „Also schön! Ich wollte ja bloß ein wenig Interesse an Ihrem Befinden kundtun! Und nicht nur aus rein beruflichem Antrieb! Das wird ja wohl erlaubt sein dürfen!“ „Ehm, wanneer ik met iets bemoeien mag?”, meldete sich Noctua zu Wort. „Ik dank u wel, echter wengens de Uils, da mag iets herdenken!” Fragend sah ich meinen Begleiter an. „Er hat sich bedankt und gesagt, dass er das mit den Eulen noch mal überdenken will“, übersetzte er sofort. Also eigentlich ein indirekter Rauswurf. „Goed, tot ziens un het beste!”, meinte Fye. „Kommen Sie, Kuro-tan!” „Ja, bin ja schon da.“ Noctua führte uns Richtung Ausgang, verabschiedete sich von uns und schaffte es sogar, nicht noch mal von seinen Eulen überfallen zu werden – die interessierten uns mehr für uns. „Na, dann wollen wir doch mal zurück“, stellte mein Begleiter enthusiastisch fest, nachdem wir uns von den Federviechern befreit hatten und vor dem Anwesen standen. Na, das konnte ja lustig werden… „Allergisch gegen die eigenen Eulen!! Dass ich nicht lache!!“ Mit einem zischenden Geräusch sauste die Sense durch das beinahe hüfthohe Meer aus Gerstenähren und mähte im wahrsten Sinn des Wortes eine ganze Tausendschaft von ihnen um. „Nun, Lachen würde Ihnen durchaus mal gut tun, wenn ich mir diese Randnotiz erlauben dar“, merkte ich wohlgemut an und flocht eine weitere dottergelbe Tulpe in den mächtigen Kranz ein, an dem ich zu arbeiten begonnen hatte, „Es ist erwiesen, dass nach einer kräftigen Lachattacke viel mehr Abwehrstoffe im Blut schwimmen als vor--…“ „KLAPPE!!“, bellte Kurogane sofort und setzte die Sense ab, um sich den Arbeits-, oder in diesem Fall wohl eher Zornesschweiß von der Stirn zu wischen, „Dieser Fall von Allergie ist ja noch bescheuerter als diese ganzen ‚Dumm gelaufen‘-Anzeigen in der Tageszeitung von Uranoke Sho!! Gegen die eigenen Eulen allergisch sein und es nicht einmal merken… so eine Pleite kann man nur noch mit Alkohol verdrängen…“ Ich seufzte theatralisch und gab es auf, mich weiter auf den Kranz konzentrieren zu wollen. „So langsam fange ich an, mir ernsthafte Sorgen um Sie zu machen, Kuro-chin! Mal ganz unter uns- Alkohol ist keine Lösung!“ „Ach ja, und was dann?!“ „Ein Destillat!“ Immer wieder beeindruckend, wie infernalisch einen diese Augen anstieren konnten. Belial persönlich hätte solch einer Mordlust Respekt gezollt. Es war nicht schwer zu erkennen, dass mein Leibwächter sein Bestes gab, um genügend Wut für einen Tobsuchtsanfall zusammen zu kratzen. In seinen roten Iriden blitzte es unheilverkündend. „Sie, Sie-… !!“ Für einige Bruchteile eines Augenblicks schwebte sein Zeigefinger noch drohend wie das Schwert des Damokles in der Luft, bevor er ihn schließlich mit einem entnervten Ächzen wieder zurückschwingen ließ. „Ach, vergessen Sie es doch.“ Ich grinste still in mich hinein und widmete mich wieder ganz dem Tulpenflechten. Zwei Stunden war es nun schon her, seit wir mit Solveigs Bydlo nach Zondorp zurückgekehrt und gemeinsam mit den Bewohnern des kleinen balkjebeekerischen Dorfs auf den weitläufigen Tulpen-, Weizen- und Gerstenfeldern eingekehrt waren, die in der näheren Umgebung lagen, um unserer Abmachung mit Solveigs Vater entsprechend bei der Ernte zu helfen. Solveig und Ursi waren ebenfalls schon emsig beschäftigt und hüpften ohne Unterlass die langen Feldreihen entlang, um die Gerstenähren aufzusammeln, die mein übellauniger Leibwächter bereits umgesenst hatte, und sie zu großen Bündeln zusammen zu schnüren. Der Vater der beiden, ein rothaariger Riese mit einem breiten, faltigen Kinn und einem noch breiteren Rücken, hatte gemeinsam mit einer Gruppe anderer Dorfbewohner Kermit gleich auch hier raus gebracht und beratschlagte nun mit ihnen, was am ehesten zu der Reanimation unseres Bentleys beitragen würde. Kurogane hatte sich im Ährenmähen einweisen lassen, während ich das Tulpenpflücken und –flechten vorzog. Es ging gut voran, doch mein werter Herr Reisebegleiter schien wie immer alles andere als einverstanden mit der Situation. „Ich warne Sie, wenn Sie diesem Fettsack auch nur einen Transko Preiserlass einräumen, wird es Ihr letzter gewesen sein“, knurrte er soeben und schwang erneut energisch die Sense, „Wenn ich dieses Mal kein Geld sehe--!!“ „Ist es wegen dieses Gerichtsvollziehers?“, erkundigte ich mich ruhig und schnitt vorsichtig zwei weitere Tulpen, um sie in den Kranz einzuflechten, „Der Kerl sah alles andere als gemütlich aus. Dabei ist Ihr Haus wirklich gar nicht so übel. Waren Sie schon länger verschuldet? Ich hatte nämlich ebenfalls schon öfter Geldprobleme, ziemlich oft sogar, naja, eigentlich fast immer, wissen Sie, und-…“ In den zinnoberroten Augen flammte es gereizt auf. „Was soll das werden, häh?! Ein Frage-Antwort-Spiel?!“, schimpfte Kurogane natürlich sofort, sodass ich mit einem Seufzen die Augen verdrehte, „Und selbst wenn es so wäre, was wäre dann?! Ich hatte eben besseres zu tun, als nur auf meinem Geld herum zu hocken!!“ „Das arme Geld.“ „Ha, ha!!“ Ich klopfte mir väterlich aufs Knie, als wolle ich meinen cholerischen Reisebegleiter dazu einladen, sich auf meinen Schoß zu setzen. „Wissen Sie, was ich denke, Kuro-wanko? Ich glaube, so langsam durchschaue ich Ihr Problem!“ Ein wenig irritiert hielt der Schwarzhaarige in seinem halblauten Gekeif inne und starrte mich mehr als skeptisch an. „Was für ein Problem?“ „Sie haben es noch nicht bemerkt?“, fragte ich mit milder Empörung zurück und reckte bedeutsam einen Zeigefinger in die Luft, „Ihnen fehlen entschieden die zwei wichtigsten Facetten im Dasein eines kerngesunden Lebewesens: zum ersten das Don’t worry, und zum zweiten das Be happy! Und wissen Sie was? Wenn man diese zwei Facetten zusammenfügt, kommt dabei das grundlegendste Gesundheitsprinzip dieser Welt heraus: Don’t worry, be happy!“ „Don’t worry, be happy!“, zwitscherten Solveig und Ursi im Vorbeihüpfen glücklich. Die einzige Antwort meines Leibwächters war ein Blick, als ob ich ihm soeben angekündigt hätte, vor laufender Kamera nackt einen gesalzenen Kaktus zu verspeisen. „Sie glauben mir wohl nicht, was?“, sagte ich fröhlich und flocht zwei weitere Tulpen in meinen Kranz ein, „Nun, seien Sie versichert, als Auftragsarzt kommt man öfter in verzwickte Situationen, als ein Gorilla Haare auf dem Kopf hat, und da gibt es oftmals nichts, was besser wirkt als das! Als ich damals mit fünfzehn Jahren in Gakoshida auf die Fontanus Cetus-Volkshochschule gekommen bin, hat mir mein betreuender Lehrer gleich am Abend meiner Ankunft gesagt: Don’t worry, be happy! Jetzt bist du hier, also vergiss, was bereits war und mach weiter. Was bringt es, dass man sich über ein bereits passiertes Missgeschick alle Haare grau ärgert, wenn schon an der nächsten Ecke wieder das Glück warten kann? Die Welt dreht sich weiter, auch wenn man gerade auf einer Bananenschale ausgerutscht ist. Jedes kleine Ärgernis, jeder kleiner Ausrutscher, alles, was nicht gleich auf Anhieb geklappt hat und über das man einen Schmollmund zieht, gräbt einem nicht nur eine Sorgenfalte ins Gesicht, sondern geht auch hier rein.“ Ich klopfte mir auf die Brust. Kurogane Blick nahm leicht verdutzte Züge an. Erstaunlicherweise schien ihm keine patzige Erwiderung einzufallen, obwohl er auf sichtbare Weise seine Synapsen bemühte, um eine zu finden. Als diese nervale Suchaktion nach genau drei Sekunden immer noch kein Ergebnis hervorgebracht hatte, stieß ich ein bühnenreifes Divenzwitschern aus und schwang meinen Tulpenkranz in triumphaler Geste über meinem Kopf hin und her. „Jubilo! Ein historischer Moment! Ich habe Kuro-pyon für genau drei Sekunden sprachlos gemacht! Das ist der Beginn einer glorreichen Rekordreihe! Was wird die viersekündige Sprachlosigkeit hervorrufen? Erfahren Sie es in der nächsten Folge von ‚Nackter Wahnsinn im Donnertal‘!“ „Waaaaaas?!!!“, fauchte mein Leibwächter, der nun endlich den nötigen Anreiz für den finalen Wutausbruch geliefert bekommen hatte und warf die Sense ins niedrige Gras, „Ich bin so lange sprachlos, wie ich will!! Passen Sie bloß auf, wenn Sie--…“ Mitten in seinem beginnenden Ausbruch hielt er plötzlich inne und starrte nach oben. Ich folgte seinem Blick, und nun sah ich auch, was er sah- Gewitterwolken. Ein scharfer Windstoß fuhr über kräftig über die Gerstenhalme und blies mir sämtliche Haare ins Gesicht, und schon bald begannen die ersten Regentropfen zu fallen. „Regen! Regen!“, trällerte ich und packte ihn kurz entschlossen bei der Hand, „Alles rennet, rettet, flüchtet! Schnell, Kuro-pii, wir müssen uns vor dem Regen in Sicherheit bringen!“ „Idiot!! Wie stellen Sie sich das vor?!“, bellte Kurogane zurück, während die ersten Leute bereits ihre Sensen und Kränze rasch niederlegten, „Hier gibt es doch nirgendwo einen Unterstand!“ „Das will nichts heißen! Wir finden sicher auch was, das neunmal so gut geeignet ist!“ Rasch ließ ich meinen Blick über das Feld schweifen und suchte es nach allem ab, was sich irgendwie als Unterstand verwenden lassen konnte- es musste ja nichts Luxuriöses sein, Hauptsache trocken und einigermaßen warm- bis mir die zahlreichen Ochsen- und Pferdekarren an den Rändern der Gerstenreihen auffielen. „Ins Heu! Ins Heu mit uns!“, zwitscherte ich begeistert und zerrte meinen Reisegefährten wild entschlossen hinter mir her. „Ins HEU!?“, fragte ich entsetzt, als er mich hinter sich herzog. Also ehrlich – dieser Tag konnte kaum schlechter werden. Erst dieser komische Vogel, der gegen seine Eulen allergisch war, dann diese ganze dämliche Gequatsche meines Arbeitsgebers, woran ich mich wohl niemals gewöhnen würde und nun auch noch dieses Gewitter. Heu schien mir nicht unbedingt der beste Unterschlupf zu sein – Gebunden vielleicht, aber lose weichte das doch durch wie Haferflocken in Milch. Doch darüber schien der Arzt nicht nachzudenken, denn er zerrte munter weiter. „Im Übrigen steht die vertebra meines rechten Arms kurz vor einer Fraktur“, fauchte ich. Fye blieb überrumpelt stehen und drehte sich zu mir um. „Was?“ „Hören Sie einfach auf zu zerren!“ Ich entwand ihm mein Handgelenk. „Nein, das da vor! Wiederholen Sie, was Sie davor gesagt haben!“ „Das tut doch nichts zur Sache, ich wollte bloß, dass Sie loslassen!“ „Ja, aber-...“ „Ich sagte: ‚Im Übrigen steht die vertebra meines rechten Arms kurz vor der Fraktur’!“, zischte ich genervt. „Das ist die Verbindung zwischen den Handknochen und der Elle und der Speiche...“ „Das weiß ich“, erwiderte er, leicht verdattert. „Aber warum wissen Sie das?“ „Ist das etwa verboten?“, fuhr ich ihn gereizt an. Für wie blöd hielt der Kerl mich eigentlich? Fye hob beschwichtigend die Hände. „Nein, nein, nein! Das haben Sie missverstanden! Es ist nur.... warum wissen Sie das?“ „Kampfsport“, erwiderte ich knapp. Mittlerweile waren wir nass. Sehr nass, denn der Regen grenzte mittlerweile an einen Monsun. „Aaaaah... verstehe“, gab der Arzt zurück, obwohl sein Blick sagte, dass er es nicht tat. Zumindest nicht ganz. „Ich hab mir schon öfter was gebrochen, gerissen oder gezerrt“, fügte ich hinzu. Blieb nun mal nicht aus... „Ah“, sagte er erneut. „Kommen Sie! Wir werden sonst noch ganz nass!“ „Wir sind schon nass!“ „Na, ein Grund mehr, sich unterzustellen!“ Er grinste, ergriff wieder meinen Arm und zog mich weiter zu dem Heuhaufen. Dort angekommen, kletterte er auf einen der Wagen und winkte mir ein wenig hektisch zu. „Nun kommen Sie schon rauf!“ Damit stürzte er sich dann auch schon kopfüber ins Heu. Seufzend folgte ich seinem Beispiel. Es war tatsächlich trocken – zumindest noch. Aber auch ein wenig staubig und dauernd piekten irgendwelche Halme. Aber eigentlich war es doch recht bequem – auch wenn auf dm Wagen nicht sehr viel Platz war und wir eng zusammenrücken mussten. Mein Begleiter fand das wohl nicht so schlimm, denn er grinste munter vor sich hin. „Sehen Sie, das ist doch wunderbar“, plapperte er drauf los, kaum dass ich mir eine möglichst bequeme Position gesucht hatte. „Es ist trocken und warm und kuschelig!“ „Noch!“, maulte ich. Kuschelig... na toll. Darauf konnte ich auch verzichten. Und so warm war es auch nicht, weil unsere Kleidung regelrecht triefte. „Warum sehen Sie eigentlich immer alles so negativ?“, fragte er und sah mich ein wenig kritisch an. „Ich sehe nicht immer alles negativ“, protestierte ich. Man musste ja wohl nicht alles gut finden... „Aber ziemlich viel! Wissen Sie, das ist mir schon sehr oft aufgefallen und—...“ „Mir ist aufgefallen, dass Sie verdammt noch mal viel zu viel reden! Könnten Sie das vielleicht lassen?“ Er kicherte. „Sie sind wirklich leicht reizbar, was?“ „Na und?!“, fauchte ich. Doch ihn schien das nicht zu stören, im Gegenteil, er wippte munter mit den Zehen, während er die Knie anzog und die Arme darum schlang. „Eigentlich ist das nicht unbedingt nötig, finden Sie nicht auch?“, fragte er. „Entspannen Sie sich doch einfach mal ein bisschen. Dann wären die Reisen auch nicht immer so stressig!“ Damit könnte er vielleicht recht haben – aber es gab einen Haken an der Sache. Er trug ziemlich dazu bei, dass ich Stress hatte... Er ließ sich rücklings ins Heu sinken. „Aber wissen Sie was, genau deshalb hab ich Sie ja auch eingestellt!“ „Nein, Sie haben mich eingestellt, weil ich der einzige Bewerber war!“ „Hmnn~ das auch~“, gab er zu und schmunzelte. „Aber nicht nur!“ „Was für ein Glück...“, meckerte ich ironisch. „Aber ja!“, stimmte er mir wohlgemut zu, ohne auf die Ironie zu achten. „Sie werden schon sehen – irgendwann verstehen wir uns!“ „Ach ja?“, meinte ich. „Dass das in nächster Zeit passiert, bezweifle ich.“ „Ich sagte ja auch irgendwann und nicht sofort!“ Er schien sich durchaus mit diesem Gedanken angefreundet zu haben. Ich konnte nicht sagen, dass es mich stören würde, aber momentan konnte ich mir das wirklich nicht vorstellen. Der Wind wurde stärker, und ein unheilverkündendes Grollen zeigte an, dass das Gewitter wohl mittlerweile genau über uns war. Der Regen nahm nun wirklich sintflutliche Ausmaße an und ich befürchtete, dass das Heu nun wirklich durchweichen würde... Allerdings schwankte ich, ob nicht doch vorher einer der Blitze, die unablässig über den Himmel zuckten, in den Wagen einschlagen würde. Ersteres wäre mir da weitaus lieber. Fye hatte sich inzwischen auch aufgesetzt und blickte zum Himmel – beziehungsweise der Heudecke – hoch, und schien ebenfalls ein wenig beunruhigt. Vermutlich zu Recht. „Ich sage fünfzig.“ „Und ich sage fünfhundert, verdammt nochmal!!“ Ich schnappte entsetzt nach Luft und musste mich voll aufrichtigster Empörung an der Lehne meines Stuhls festhalten, um nicht plötzlich auf schmerzhafte Weise mit dem strohbedeckten Boden der Scheune Bekanntschaft zu machen. „Um Himmels willen, Kuro-mune!! Das geht doch nie und nimmer! Fünfhundert Transkos, das, das-… das ist ja infam! Oder nein, das ist sogar fast schon mehr als infam! Es ist oberinfam!“ Mein Bodyguard ließ sich mit einem nervenschwachen Knurren auf seinem Stuhl nach hinten sinken und knallte die Liste der erforderlichen Medikamente, die ich für Noctua erstellt hatte, auf den grob gezimmerten Holztisch zurück. „Das nennen Sie ‚infam‘? Ich nenne das Geschäftssinn“, entgegnete er abfällig, „Wir haben uns für diesen eulenverrückten Fettsack abgezappelt, und jetzt soll er uns dafür gefälligst eine angemessene Entschädigung sehen lassen! Dienstleistung – Kohle! Das ist doch der Lauf der Welt, zur Hölle nochmal!“ Ich stieß ein langes, lautes Seufzen aus und widerstand nur schwerlich der Versuchung, die Augen zu verdrehen. Kaum zu glauben, jetzt saßen wir schon seit Beginn des Abends in dieser Scheune herum und waren uns immer noch nicht einig. „Aber verstehen Sie doch, Kuro-pyon, es wäre ganz einfach unhöflich, dem Mann solch eine Summe abpressen zu wollen!“, versuchte ich vergeblich den Sturkopf meines Reisebegleiters zu knacken und deutete auf die Liste, „Die Regel in auftragsärztlichen Kreisen ist, dass das Diensthonorar das Dreiviertel der aufsummierten Arzneipreise ausmachen soll, wenn es im Telegramm nicht ausdrücklich anders formuliert wurde. Und hier haben wir Antiallergika, Augentropfen, ein Inhalationsgerät zum Vorbeugen gegen atmungshemmende Schleimansammlung in den Lungenbläschen, und das zugehörige Inhalationsdestillat. Nicht mehr und nicht weniger. Gerundet kommt das Dreiviertel dabei auf ungefähr fünfzig Transkos. Und außerdem wird Noctua-san jetzt jeden roten Heller brauchen! Die Lieferpreise sind im vergangenen Jahr ins Astrologische hochgeklettert!“ Offenbar hatte ich das falsche gesagt. In den magmafarbenen Augen flammte es erbost auf. „Ach ja?! Und was ist mit uns, brauchen nicht vielmehr wir jeden roten Heller?!“, bellte der Schwarzhaarige gereizt, „Benutzen Sie doch ausnahmsweise mal Ihr Hirn, Sie Schöngeist! Sie sind vollkommen pleite, haben nicht einmal einen anständigen Platz zum Schlafen und Schulden bei Gott und der Welt! Und ich?! Ich weiß nicht, wieviel ich noch von meinem Haus vermieten muss, um weiterhin durchzukommen, und dazu sitzt mir dieser-…“, bei dem nachfolgenden Kraftausdruck wurde es mir im wahrsten Sinn des Wortes schwarz vor Augen, „… Gerichtsvollzieher schon seit Jahren im Nacken! Wenn ich ihn nicht bald Geld sehen lasse, kann ich demnächst aus der Dachrinne saufen! Und mein Leben ist mir verdammt nochmal wichtiger als Ihre hochgeistigen Ambitionen, kapiert?!“ Bei der Härte seines Tonfalls klappte mir automatisch der Mund zu. Ich spürte, wie sich irgendetwas in mir als unmittelbare Reaktion darauf schmerzhaft zusammenzog. Musste wohl mein Dopamin-Neurotransmitter sein. Beklommen senkte ich den Blick. „Ihr Leben ist mir doch auch wichtig, Kuro-chiimu“, wandte ich nach einer Weile halblaut ein, „Immerhin-… naja, immerhin passen Sie auf, dass mir nichts passiert. Sie beschützen mich. Und das würde ich wirklich gerne honorieren.“ „Ach, ist das so?“, grollte Kurogane bloß, „Dann honorieren Sie es doch einfach, indem Sie Ihre Sprücheklopferei für sich behalten und mir endlich ein regelmäßiges Gehalt einräumen!“ Schon wieder dieser schmerzhafte Stich. Ich starrte ihn an. Der Blick seiner roten Augen bohrte mir Löcher ins Gesicht. Wieviel Geringschätzung konnte ein menschliches Gesicht ausdrücken? „… Hassen Sie mich denn wirklich so sehr?“, hörte ich nach einem langen, bleiernen Schweigen eine kleine, dünne Stimme fragen, die fast wie die Meine klang. Und dann wieder doch nicht. Klang meine Stimme im Ernst so kläglich? Der Schwarzhaarige sah mich indessen nur mit skeptisch gehobenen Brauen an, als hielte er diese Frage schon seit langem für geklärt. „Lassen wir das besser auf sich beruhen. Ich bin jedenfalls nicht bereit, noch die ganze restliche Nacht mit Verhandlungen zuzubringen. Im Moment will ich eigentlich nur noch zwei Dinge, die Bezahlung und dann die Abreise. Lange halte ich es in diesem Kuhkaff nicht mehr aus.“ So langsam konnte ich es nicht mehr glauben. Vermutlich wäre kein Ironiker dieser Welt solch einem Starrsinn gewachsen. „Sie können sich nicht selbst hören, oder?“ „Häh? Was soll die Frage nun wieder?“, fragte er patzig zurück. Ich verschränkte meine Hände auf dem Tisch und erwiderte ruhig seinen verständnislosen Blick. „Es ist eines der Dinge, die mir mein Lehrer an der medizinischen Hochschule von Gakoshida als erstes beigebracht hat. Manchmal braucht man keine Waffen oder seine Fäuste, um jemandem wehtun zu können. Manchmal reicht auch schon ein einziges unbedachtes – oder bedachtes – Wort. Was glauben Sie, wie die großen Kriege der vergangenen Zeit angefangen haben? Die Stammeskriege zwischen den Harpyienvölkern der Hosho und Masaip? Der Krieg der drei Länder? Der Bischofskrieg?“ „Was hat denn das damit zu tun?!“ „Mehr, als Sie denken. Nun, was glauben Sie?“ Statt einer Antwort verschränkte mein Nachtwächter nur die Arme vor der Brust und starrte hartnäckig in eine andere Richtung. „Ihre Schullektionen interessieren mich herzlich wenig, Doc.“ „Es ist keine Schullektion, Kurogane, es ist schlicht und ergreifend eine Tatsache, wenn auch eine traurige“, erwiderte ich, ohne mich von seinem Geschimpfe aus der Ruhe bringen zu lassen, „Denn in diesen Kriegen fing man nicht einfach plötzlich damit an, sich gegenseitig zu erschießen und zu bombardieren. Es begann mit unbedachten Worten – ganz klein begann es. Und aus genau diesem Grund war mein Lehrer auch der Ansicht, dass man, bevor man selber spricht, erst das Zuhören lernen sollte. Erst sich selbst. Und dann anderen.“ Noch während ich sprach, schien es mir, als würde sich fast so etwas wie eine leise Verwirrung in diese wilden, zinnoberroten Augen stehlen. „Das Harpyienvolk in Shuryotori Aitoki zum Beispiel gehört dem Stamm der Masaip an. Aber haben Sie einen von ihnen auch nur ein schlechtes Wort über den Stamm der Hosho verlieren gehört? Sie beleidigen ihn nicht, denn sie selbst wollen ebenso wenig beleidigt werden. Es ist das Gegenseitigkeitsprinzip der Stoiker. Nach ihm zu leben ist nicht leicht, aber im Grunde ist es wie Laufen – wenn man es erst kann, kommt es einem vor, als hätte man es schon immer gekonnt.“ Schweigen. Man konnte Kurogane förmlich ansehen, dass er in Gedanken nach einer Erwiderung suchte, doch wollte ihm anscheinend nichts einfallen. Gegen meinen Willen musste ich ein wenig schmunzeln. „… Wie wäre es daher mit einem Kompromiss, hmnh? Sie lassen mir die kleine Freude der Sprücheklopferei, und ich bitte Noctua-san als Gegenleistung, uns sechzig Transkos inklusive der anfallenden Benzinkosten für Kermit einzuräumen. Ich habe mit Solveigs und Ursis Vater gesprochen, bis in zwei Tagen sind Motor, Getriebe, Zündung und Kupplung wieder in Stand gesetzt. Dann können wir schon übermorgen wieder nach Uranoke Sho zurückfahren.“ Keine Antwort. Kurogane sah mich immer noch mit diesem nicht zu entschlüsselnden Blick an. Ich nahm einfach mal an, dass das so etwas wie Zustimmung von seiner Seite symbolisieren sollte. „Am besten nehmen wir diesmal die Küstenroute, das würde zwar mehr Zeit in Anspruch nehmen, aber ich schätze mal, vom Gebirge hat Kermit-kun vorerst genug, was?“, fuhr ich daher wohlgemut fort, „Und wenn wir wieder zurück sind, wird erstmal gründlich in die Hände gespuckt! Wir müssen uns nach neuen Aufträgen umsehen, einen Bericht über den Zustand unserer Heilpflanzensaat an der Argundus Sentas-Universität einholen, und uns ganz dringend die Post ansehen! Möglicherweise ist ja eine Benachrichtigung von Crow und seiner Crew angekommen, und vielleicht haben uns Watanuki-kun und Domeki-kun ja auch schon ihren Obduktionsbericht bezüglich des Engelsweibchens zukommen lassen! Und ich denke mal, zehn Transkos von unserem Verdienst können wir auch für Ten-kun abzweigen, hmnh? Sonst erschlägt er uns womöglich noch mit einer seiner Teflonpfannen, dafür soll er unter den anderen Fusselwurmköchen von Uranoke Sho ja berühmt und berüchtigt sein! Hahahah!“ Immer noch keine Antwort. Offenbar hatte es ihm schon wieder die Sprache verschlagen. Zweimal an einem Tag, wirklich keine schlechte Quote. „Aus diesen Gründen schlage ich fürs Erste eine ordentliche Pause vor! Wir müssen doch frisch sein für morgen früh, wenn wir wieder bei der Ernte mithelfen und zu Noctua-san wollen! Dazu kommt, dass wir-…“ Ich hielt milde verwundert inne, als sich der Schwarzhaarige mitten in meinen Ausführungen plötzlich erhob und schweigend die weitläufige Scheune durchquerte, um sich an eines der milchgläsernen Fenster zu lehnen und hinaus zu starren. Aha. Das berühmte In die Ecke-Stellen. Normalerweise nur ein infantiles Verhaltensmuster, doch bei einem Dickschädel dieses Ausmaßes durchaus auch auf Kurogane übertragbar. Ich ließ mich davon nicht beirren und setzte mich auf einen großen Strohballen, ehe ich mein entliehenes Nachschlagewerk über Vampire wieder herausholte. „Okay, einfach bescheid sagen, wenn Sie wieder reden wollen!“, trällerte ich ihm fröhlich zu und vertiefte mich in aller Ruhe in meine Lektüre. Doch seltsamerweise fühlte ich mich bei seinem Schweigen nur halb so allein wie ich es erwartet hatte. Kaum hatte man Geld, war es auch wieder weg. Nicht, dass das sonst auch so war, aber eigentlich hatte ich gedacht, dass ein wenig mehr bleiben würde... Anscheinend mal wieder falsch gedacht. Und außerdem irritierte mich dieser plötzliche Ernst meines Gegenübers von eben ja doch noch ziemlich. Meine Güte. Vor allem fand ich es beunruhigend, da er ja irgendwie recht hatte... Das konnte allerdings warten. „Fünf. Allerhöchstens! Genau das meine ich!“, erwiderte ich frostig, nachdem ich eine ganze Weile geschwiegen hatte. „Sie fangen ja schon wieder damit an...“ So konnte man ja nicht an Geld kommen. Und dann mussten wir auch noch zwei weitere Tage hier bleiben und Zeit verschwenden. Ich musterte den Arzt, der anscheinend darüber nachdachte, ob er mir noch mal eine Predigt halten oder vielleicht auf meinen Vorschlag eingehen sollte, doch etwas mehr zu verlangen. Seit dem Unwetter von heute Mittag war er sowieso noch seltsamer als sonst. Nachdenklicher. Und schweigsamer. Zumindest war er das gewesen, als das Unwetter nachgelassen hatte und wir wieder aus dem Heu gekrabbelt waren und den Rest der Arbeit erledigt hatten, bis es Feierabend gewesen war. Sogar auf dem Weg bis zur Scheune, wo wir jetzt ungefähr seit einer Stunde darüber über unser Honorar diskutiert hatten, hatte er die Klappe gehalten. Dagegen hatte ich im Grunde nichts – obwohl es mich wiederum beunruhigte, weil es nun mal untypisch für ihn war. Hoffentlich wurde er nicht krank... denn den Stress wollte ich mir nicht auch noch antun. „Na, ist ja auch egal“, meinte ich dann und löste mich schließlich vom Fenster. „Ich werde mich jetzt hinlegen und schlafen und wagen Sie es nicht, mich mitten in der Nacht zu wecken, wenn es unwichtig ist!“ Diesmal wurden wir nicht mitten in der Nacht, beziehungsweise fünf Uhr früh, geweckt, sondern erst gegen sieben. Das war zwar immer noch früh, aber zumindest erträglich. Und anscheinend hatte der Arzt meine Drohung wahrgenommen, denn er hatte mich nicht geweckt. Oder er war einfach selbst zu müde gewesen, auf jeden Fall hatte ich durchgeschlafen und war jetzt einigermaßen ausgeruht. Das machte den Morgen ja schon ein wenig erträglicher. Sogar, dass uns die beiden Knirpse lautstark plappernd zum Frühstück schleiften, und Fye natürlich mit gewohntem Elan in die Unterhaltung – von der ich kaum ein Wort verstand – mit einstieg, änderte nichts daran. Aber zumindest wurde ich nicht vollgequatscht und ich konnte in Ruhe frühstücken. Dieses war sogar ziemlich gut – zumindest besser als das, was wir als Proviant herumgeschleppt hatten. Eigentlich war ich nicht so anspruchsvoll was das betraf, aber hin und wieder war ein gutes Essen ja nicht verkehrt. Noch dazu war es ein Grund weniger, schlechte Laune zu bekommen. Die bekam ich sicher noch früh genug – obwohl ich es nicht darauf anlegte. Ich fragte mich, ob der Bentley wieder repariert war, obwohl es ja eigentlich noch bis morgen dauern sollte. Und ich hoffte, dass er zumindest bis nach Uranoke Sho durchhielt – auch wenn wir nicht mehr durch das Gebirge fahren würden. Das war mal ein sinnvoller Vorschlag des Arztes gewesen – auch wenn ich ihn somit länger ertragen musste, aber immer noch besser, als wenn ich mich zusätzlich auch noch über ein kaputtes Auto ärgern musste. Ich sah zu Fye herüber, der sich offensichtlich amüsierte. Und die Kinder kicherten auch schon die ganze Zeit über und hingen nahezu an den Lippen des Arztes – was auch immer er erzählte, vielleicht war es besser, dass ich es nicht verstand. Wahrscheinlich erzählte er von unseren bereits gemeisterten Aufträgen – oder seinen Abenteuern… Oder er lästerte wieder über mich – jedenfalls schienen sie einen Narren an ihm gefressen zu haben. Nun ja, eine Eigenschaft, die als Arzt ganz praktisch war. Das hatte er jedenfalls drauf. Er schien so vertieft in seiner Erzählung zu sein, dass er gar nicht merkte, dass ich ihn schon geraume Zeit beobachtete, denn als er hochschaute und unsere Blicke sich trafen, wirkte er kurz überrascht, bevor er grinste. „Hab ich was im Gesicht?“, fragte er, bevor er sich lachend an die Kinder wandte und es anscheinend wiederholte, weil die Beiden eifrig den Kopf schüttelten. „Abr deen zwarter Kompl heb vandaag an goede sentiment, hoor?“, fragte Solveig Fye lachend. „Het lijkt van wel!“, antwortete er und sah dann zu mir. „Oder etwa nicht?“ „Was denn?“, wollte ich wissen. Dass es jetzt um mich ging hatte ich ja verstanden. „Solveig meinte, Sie hätten heute gute Laune, und ich meinte, dass das wohl so ist. Ist das so?“, erklärte er fröhlich. „Zumindest schauen Sie nicht so griesgrämig drein wie immer. Ich frage mich, woran das liegt! Das ist ja erstaunlich, wissen Sie, ich hätte nicht gedacht, dass – …“ Er brach ab, als ich möglichst genervt eine Augenbraue hob. „Ooh, zijn ie nu boos?“, piepste Ursi und sah mich groß an. „Maar nee!“, Fye schüttelte bloß grinsend den Kopf. „Der zijn nu boos, vermits helemaal geen woord snapt!“ „Häh?“ „Kiekt! Wos hebbt je gezegd?“ Alle drei kicherten. „Ich habe sehr wohl verstanden, was Sie gesagt haben!“, schnaubte ich. Eigentlich war das ein Schuss ins Blaue – ich hatte eigentlich kein Wort verstanden, aber anscheinend war es ein Treffer, denn Fye klatschte begeistert in die Hände. Solveig und Ursi kicherten wieder. „Oi, doa hebts ie abr geschwindlt!“, meinte Solveig dann allerdings zu Fye und grinste. „Koan woord hebts der gsnapt!“ Fye grinste bloß wissend und lehnte sich über den Tisch, um mir die Schulter zu tätscheln. „Mevallen… abr goed naar iets gissen, odr niet?“, meinte er zu dem Mädchen und mir raunte er zu: „Gut geraten!“ „Pah“, grollte ich, was sie aber bloß wieder zum Kichern brachte. „Aaaaaach, jetzt seien Sie doch nicht sooo“, meinte Fye in versöhnlichem Tonfall und tätschelte mir erneut die Schulter. „Woar ja net boos gmoint!“, fiepte Ursi und Solveig nickte eifrig. „Niet de pee in hebben!“ Mein unfreiwilliger Reisebegleiter stieß als einzige Antwort nur ein Knurren aus, das vermutlich selbst dem berüchtigten Biest von N’Galia Respekt eingebläut hätte, offenbar zur eindeutigen Manifestation seines nunmehr arg strapazierten Geduldfadens. Seltsamerweise entschieden sowohl Ursi und Solveig als auch ich noch im selben Atemzug, uns im Schweigen der Philosophen zu üben und es bei dem Verzehr unseres Frühstücks zu belassen, das aus selbstgebackenem Brot, Spiegelei mit Speck, saftigem Mais, selbstgemolkener Milch, Marmelade in verschiedenen Geschmacksrichtungen und selbstimportiertem Tee aus Ghwen-Elfaer bestand. Gedankenverloren tunkte ich mein Brot in meine vorgewärmte Milch. Ein wenig betrübte es mich mittlerweile ja doch, dass Kurogane offenbar nicht den geringsten Sinn für Humor zu besitzen schien – oder zumindest hartnäckig den Anschein erwecken wollte – und, das kam noch erschreckend hinzu, er schien mich mit aller Herzlichkeit und Aufrichtigkeit, deren ein Mensch fähig war, zu hassen. Hassen, Herrgott! Aus irgendwelchen paradoxen Gründen wollte mir das einfach nicht in den Kopf hinein. Was um alles in der Welt konnte man denn an mir hassen? Mit einem resignierten Rollen der Augen schenkte ich mir frischen Tee ein. Diese Frage konnte ich mir sparen, denn sie war rein rhetorisch. Dieser Kerl schien einfach alles an mir zu hassen. Besser fragte ich ihn gar nicht erst danach, wenn ich nicht auf brutale Weise an meinem Ego vergewaltigt werden wollte. „Was schlagen Sie vor, Kuro-nyan?“, erkundigte ich mich schließlich, um diese Gedanken von mir abzuschütteln, „Was wollen wir tun, sobald wir wieder in Uranoke Sho sind?“ Ausnahmsweise bellte mich der Schwarzhaarige nicht sofort wieder in seiner üblichen Manier an, sondern stellte nur seine Kaffeetasse ab und fuhr sich nachdenklich durchs Haar. „Ich muss einige persönliche Angelegenheiten regeln.“ „Oh, gut dass Sie das sagen. Ich auch.“ „… Eh?“ Bei seinem unwillig verblüfften Gesicht entschlüpfte mir ein Kichern. „Hey, man glaubt es zwar kaum, aber auch ich habe etwas, das man durchaus als Privatleben bezeichnen kann!“ „Ich werd nicht mehr“, brummte er abfällig und säbelte eine weitere Scheibe Brot ab, „Als nächstes enthüllen Sie mir wohl, dass Sie in Ihrem früheren Leben eine Kaschmirprinzessin waren, was?“ Nun konnte ich einfach nicht mehr anders, ich musste lachen. „Hehehe, na wer weiß, vielleicht war ich das ja sogar?“ „Jetzt sagen Sie bloß, sind auch noch einer dieser verfluchten Esoterik-Hein--…“, fing er entnervt an, doch ein unerwartetes Rumpeln im Hausflur brachte ihn jäh zum Schweigen. „Wos wor des?“, piepste der kleine Ursi, das runde Gesichtchen auf höchst impressionistische Weise mit Marmelade bekleckert, und ließ vor Schreck beinahe seine Kakaotasse fallen, während Solveig sofort vom Stuhl sprang und lauschte. Hektisches Trampeln von zwei schwer bestiefelten Füßen wurde laut, das rasch näherkam. „Heilands Dunderwedr, Ursi, des Runkeldunk maakt doch nora Vadder!“ „Sell isch gwies, havet dere Hatze?“, erkundigte ich mich ja doch etwas verwundert, da wir Ursis und Solveigs Vater eigentlich als einen ruhigen, methodisch denkenden Menschen kennen gelernt hatten. Viel Zeit zum Räsonieren blieb mir allerdings nicht mehr, da der hochgewachsene rothaarige Mann bereits wenige Sekundenbruchteile ins Zimmer gestürzt kam. Sein harsch geformtes, wettergegerbtes Gesicht glänzte vor Schweiß und sein Atem polterte wie ein Felsen, der einen Abhang hinunterdonnerte, als wäre er meilenweit gerannt. „Maaket jullie auf, doa isch sells nunderkumm! De Noctua isch in Dispaar, jullie müssedse hulpen, rasch, maaket rasch!“ „Wos hod sech älleweil don?“, fragte ich, während ich jedoch sofort seiner Empfehlung folgte und von meinem Sitzplatz hochschoss wie ein angezündeter Knallfrosch, „Isches schlemm?“ „Seene Uilen sind drom am Tod drenn! Des isch lakket we enne Grimpen, oddr enne Feeber!“ Eine gelähmte Stille machte sich ob seinen Worten breit. Hilflos sahen die Kleinen zu ihrem Vater empor, als könnten selbst sie nicht glauben, was er sagte. Erst nach einer Weile wurde mir klar, dass ich Ursis und Solveigs Vater fassungslos anstarrte. „Wos?“, schaffte ich es endlich hervorzustoßen, „Isch sell gwies?“ „Gwieser els gwies! Rasch, rasch, maaketse, kummatse mit!“ „Schnell, Kurogane, kommen Sie!“, rief ich dem Schwarzhaarigen noch über meine Schulter zu, während sich meine Füße schon längst in Bewegung gesetzt hatten und ich dem aufgeregten Balkjebeeker eilends nach draußen folgte, „Es ist ein Notfall!“ Wenigstens konnte man dem Kerl zugute heißen, dass er einer Aufforderung nachkam, wenn sie ernst gemeint war. „Wieso, was hat er gesagt?“, rief er zurück, während wir zu dritt zu dem Stall der Familie rannten, in dem der Bydlo untergebracht war, „Ich habe kein Wort verstanden!!“ Mit einer weit ausholenden Geste stieß Ursis und Solveigs Vater die Scheunentüren auf und machte sich voller Hast daran, ein geeignetes Pferd aufzuzäumen und vor den Bydlo zu spannen. „Er hat gesagt, dass Noctua-sans Eulenzuchthof etwas Schreckliches zugestoßen sei“, erklärte ich atemlos, wobei ich mich bereithielt, auf Abruf auf den Bydlo zu steigen, „Er weiß nicht, was es genau ist, aber fast sämtliche Eulen auf dem Hof scheinen von einer Art Krampf oder Fieber befallen zu sein! Es sieht aus, als wären sie bereits tot, obwohl sie noch leben!“ Obwohl Kurogane noch immer hinter mir war, konnte ich förmlich spüren, wie er mich auf seine typische Art à la Oh nein, bitte nicht jetzt anstarrte. Er schaffte es jedoch nicht mehr zu protestieren, da unser balkjebeekerischer Informant mittlerweile in aller Eile das Pferd, ein auffallend schmal und schlank gebauter Rappe, vor den Bydlo gespannt hatte und uns unter hastigem Winken dazu aufforderte, aufzusteigen. „Kummatse schnell, wer muassad rasch maaken!“ Mit einem Satz waren wir auf dem breiten Kutschbock, Ursis und Solveigs Vater spannte die Zügel an und schnalzte mit der Zunge, und mit einem gellenden Wiehern ging der Rappe umgehend in den Galopp über. Der Kies spritzte zwischen den Rädern des Bydlos davon, als wir unter ohrenbetäubendem Rumpeln und Poltern aus der Scheune donnerten und in Höchstgeschwindigkeit Zondorp Richtung Noctuas Eulengehöft verließen. „Schnell, Kurogane, kommen Sie!“ „Ich komme ja schon, verdammt!!“ Mein Atem schmerzte mittlerweile in meinen Lungen wie glühende Kohle, dennoch rannte ich weiter. Ursis und Solveigs Vater hatte uns zehn Meter von Noctuas Gehöft abgesetzt, das wir nun so schnell wie nur irgendwie möglich zu erreichen suchten. Glücklicherweise standen die geschwungenen, gusseisernen Torflügel weit offen, als würde uns der unglückselige Eulenzüchter bereits erwarten. Was er offensichtlich auch tat, denn kaum dass wir das Tor passiert hatten, kam er uns augenblicklich entgegengerannt. Von seiner Schwerfälligkeit war nicht mehr das Geringste zu sehen. „Oh, Dokter, ech bittse, um Goeteswuilln, hulpetse mer! Ech han dr Vaddr von dr Solveig gwinscht dasser jullie herschekket“, stieß er hervor, seine Stimme überschlug sich regelrecht in Panik und er rang die Hände wie ein Betender, „Meene Uilen, meene wondrscheenen Uilen, elle sindse omme Tod rom! Oh um Goeteswuilln, maaketse rasch!“ „Zeegetse ons de Stell!“ Unverzüglich setzte sich der pompöse Eulenzüchter wieder in Bewegung und führte uns hastig zu einer der lang gezogenen, niedrig angelegten Stallungen, in denen er seine Eulen untergebracht hatte. Als er die Türen aufriss, empfing uns eine tiefe Stille, Grabesschwärze und der Geruch von aufgeschüttetem Stroh, Mäusegewölle und Eulenmist. Ich blieb im Türrahmen stehen und kniff angestrengt die Augen zusammen, um in der diffusen Dunkelheit etwas zu erkennen, während mein Leibwächter angespannt hinter mir verharrte. An beiden Seiten des weitgestreckten Raumes reihten sich die Nestbauten der Eulen entlang, die jeweils aus einem Geflecht aus Stroh, Mäusegewölle und dem Flachsgewebe von alten Maispflanzen bestanden. An etwa jedem dritten Nest war ein Körner- und ein Wasserspender angebracht. Ein Eulenverschlag wieder jeder andere. Und dennoch stimmte an diesem Bild etwas nicht. Und bereits nach wenigen Augenblicken wusste ich, was es war. Es war die Hitze. Brütend und schwer wie die unsichtbaren Ausschwitzungen eines pestilenzialischen Fiebers lag sie in der Luft, flirrte und gärte über dem Stroh und verwandelte es in eine widerwärtige, feuchtwarm verklumpte Masse, die einen infernalischen Gestank ausströmte. Einen Gestank nach ausgespieener Galle, in ohnmächtigem Schmerz abgeworfenen Afterfedern und aufgerissener Haut. Blut. Ein Gestank, der mir in seiner Bestialität auf eine beunruhigende Weise wohl bekannt war. Bei dieser langsam in mir aufkeimenden Gewissheit, um was es sich hier handeln könnte, setzte mein Herz unwillkürlich für einen Schlag aus. „Was soll das werden, Meditation?“, hörte ich wie von weiter Ferne Kuroganes ungeduldige Stimme an mein Ohr dringen, „Gehen wir jetzt rein, oder was?“ Er wollte sich an mir vorbeischieben und die düstere Stallung betreten, doch ich hielt ihn mit einem Arm zurück. Denn nun hatten meine Augen endlich gefunden, was sie schon die ganze Zeit über gesucht hatten. Schatten. Dunkle, gefiederte Schatten, die wie weggeworfene Lumpen in den Nestern, zwischen den Nestern oder einfach bäuch- oder rücklings auf dem Boden lagen. Fast konnte man meinen, sie wären tot. Doch wenn man sie länger ansah, konnte man sehen, dass sie in unregelmäßigen Abständen konvulsivisch zuckten. „Gehen Sie nicht da rein, Kurogane.“ „Wieso nicht? Werde ich dann zu Tode gepickt?“ Ich wandte mich zu ihm um und schüttelte bestimmt den Kopf. „Nein. Aber ich denke, dass auch Sie draußen bleiben würden, wenn Sie nicht unnötig Ihr Leben riskieren wollen, oder etwa nicht?“ Keine Antwort. Angesichts meines Ernstes schien dem Schwarzen keine Erwiderung einzufallen. Noctua hingegen starrte mich mittlerweile an, als wäre mir ein drittes Auge aus der Stirn gewachsen. „Wos isch? Isches schlemm, Dokter?“ „Lassetse mech en Blick wurfen“, erwiderte ich ruhig und suchte die Taschenlampe aus meinem Rucksack hervor, den ich vorsichtshalber gleich mitgenommen hatte. „Sind Sie wahnsinnig?“, stieß mein Leibwächter hervor, „Wieso gehen Sie da rein, wenn es lebensgefährlich ist?! Wollen Sie etwa sterben?! Wissen Sie überhaupt schon, was es ist?! HE!! Ich rede mit Ihnen!“ Ich gab keine Antwort, sondern knipste lautlos die Taschenlampe an und begab mich langsam in die Dunkelheit der Stallung. Wie das verirrte Flackern eines Glühwürmchens wanderte der Strahl der Taschenlampe über die Holzwände und an den Nestern entlang, bis sie schließlich gefunden hatte, was sie suchte – eine Blaustreifeneule. Wie leblos lag sie auf dem Rücken, halb begraben von zwei Artgenossinnen. Ihre Flügel standen in einem sehr grotesken Winkel von ihrem Körper ab, durch den immer wieder schwache, fiebrige Zuckungen rollten. Ihre sonst so wachen, dotterfarbenen Augen wirkten fahl und bleich wie der Bauch eines Fisches und starrten blicklos an die Decke. Ihre Pupillen – die bei ihrer Gattung normalerweise unabhängig von der Intensität des Lichteinfalls immer rund waren – waren seltsam starr und hatten sich zu nadeldünnen Schlitzen verengt. Bei ihrem Anblick wurde meine Kehle sandtrocken, sodass ich gar nicht merkte, dass mir mein Leibwächter schon längst ins Innere der Stallung gefolgt war. Oh nein. Lass es nicht das sein. Wenn es wirklich das war, was ich vermutete, fehlte nur noch ein letzter Beweis. Vorsichtig griff ich in die Seitentasche meines Rucksacks und zog ein Skalpell mit kurzer Klinge heraus, um mir damit einen Schnitt auf den Handrücken zu setzen. Er war dünn, doch es würde ausreichen. „Was tun Sie da?“, hörte ich Kurogane skeptisch murmeln, doch ich achtete nicht auf ihn und beobachtete meinen Handrücken. Als nach kurzer Zeit ein stecknadelkopfgroßer Blutstropfen aus der Wunde trat, drehte ich meine Hand vorsichtig um und streckte sie aus, sodass sie von dem leichten Luftzug gestreift wurde, der von der Tür ausging, und sich die Geruchsaura meines Blutes in der Dunkelheit verbreiten konnte. „Was soll das?“, wiederholte Kurogane soeben gereizt und legte mir von hinten eine Hand schwer auf die Schulter, um mich zum Antworten zu bewegen, „Hören Sie mir überhaupt zu? Könnten Sie mir endlich verraten, was das-…“ Weiter kam er nicht, denn nun reagierten die Eulen. Ein hysterisches Beben raste durch ihre erschöpften Leiber wie eine elektrische Entladung. Ein jähes gelbliches Glimmen flackerte in ihren leblosen Augen auf, und bevor einer von uns noch reagieren konnte, verfielen sie in ein gellendes, die Ohren marterndes Kreischen, begannen sich zu winden, zu zappeln, um sich zu treten. Weißlichroter Schaum trat von ihren Schnäbeln. Und plötzlich wurde mir bewusst, dass sie anfingen, auf uns zuzukriechen. „Los, raus hier“, stieß ich hervor und packte Kurogane an der Hand. „Was-…?“ „RAUS HIER!!“ Ich ließ ihn nicht ausreden, sondern schleifte ihn mit aller Gewalt zurück Richtung Ausgang, während das markerschütternde Kreischen und Toben hinter uns nahezu unerträgliche Ausmaße annahm. „Aber warum-...“ „Weil diese Eulen keine Eulen mehr sind! Sie wurden mit Vampirgift infiziert!!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)