Raziels erste Liebe von Mephiles (oder: kann ein Vampir überhaupt lieben?) ================================================================================ Prolog: Die Prophezeihung ------------------------- "Sir Raziel, melden Sie sich bitte sofort an der Front. Neue Vampire haben die Festung gestürmt. Ohne ihre professionelle Hilfe werden es die Neueinsteiger nicht schaffen mit diesem Abschaum fertig zu werden." - "Jawohl, Lord Möbius, ich werde mich sofort darum kümmern. Wir dürfen nicht zulassen, das dieser Abschaum unsere Festung verpestet!" Raziel machte sich sofort auf den Weg zum Eingangstor der Festung der Serafan. Er selbst war einer dieser Krieger, die sich geschworen haben, alle Vampire dieses Landes auszurotten. Raziel war erfahren, die Vampire fürchteten seinen Namen und sprachen ihn nur mit großer Ehrfurcht und Verachtung aus. Da vorne war das Tor, und Raziel sah die wütenden und hungrigen Vampire in die Festung stürmen. Er zieht sein Schwert und läuft mit einem lauten Kampfschrei auf die Feinde zu... In diesem Moment wacht Raziel auf. Er ist ganz verschwitzt und fasst sich von Schwindel geschüttelt an seinen Kopf. Er kann sich nicht erinnern, wann ihm das zum letzten Mal passiert ist. Er hatte von der Vergangenheit geträumt, von seinem schrecklichen Dasein als Vampirjäger. Aber wie konnte das sein? Er war jetzt schon über 2500 Jahre alt, ausgewachsen und verachtete die Menschen, die für ihn nichts anderes als Nahrung für seinen untoten Körper sind. Warum also träumt er ausgerechnet davon, wie er als Mensch seine jetzigen Artgenossen jagte? Raziel schüttelt den Kopf. Er wollte nicht mehr daran denken. Er steigt aus seinem reich verzierten Sarg und macht sich auf den Weg zu seinem Clan. Die Razielim, Raziels Kinder, spielen vergnügt auf den Straßen von Raziels riesigen Domäne. Raziel sieht zu seinen Menschensklaven. Sie liegen einfach nur da, dösen und faulenzen in der kühlen Morgensonne. Ja, manch einem mag dieser Satz etwas merkwürdig vorkommen, doch die Vampire dieses Landes sind anders, als man sie sich vorstellt. Nur junge Vampire, unter 10-15 Jahren, von den meisten Vampiren Neulinge genannt, können das Licht der Sonne nicht ertragen. Da Raziel jedoch schon über 2500 Jahre alt ist und somit ausgewachsen, kann er das Licht der Sonne ertragen. Raziel geht nun langsam und bedrohlich auf seine Sklaven zu. Sofort bemerken seine Sklaven ihn und stellen sich wie auf ein stummes Kommando in einer Reihe auf. "Wir erwarten ihre Befehle, Lord Raziel!" - "Steht hier nicht so untätig rum, Menschengewürm! An die Arbeit! Wenn ihr nicht bis Sonnenuntergang mit der Renovierung meines Clans fertig seid, gibt es für mich und meine Kinder ein Festmahl! Und die Hauptspeise ist euer Blut! Also: WIRDS BALD???" - "Jawohl, Lord Raziel!" Die Sklaven machen sich sofort an die Arbeit. Raziel schüttelt wieder verzweifelt den Kopf; es quälen ihn die Erinnerungen an seinen Traum. Was hat das nur zu bedeuten? Warum fängt er wieder an, Gefühle wie Mitleid oder Symphatie für die Menschen zu fühlen? Er verdrängt seine Gedanken mit einem heftigen Kopfschütteln. 'Vielleicht sollte ich jagen. Dann kommt sicher auch mein alter Vampirinstikt zu mir zurück.' denkt Raziel. Gedacht, getan. Raziel kommt an den Stadttoren an. Ein riesiger Burggraben mit Wasser trennt die Stadt von Raziel. Und am Eingang stehen griesgrämig dreinschauende Serafan. Raziel weiß, dass es nichts bringen würde, durch den Graben zu schwimmen, denn Wasser ätzt bei ihm wie Säure. Und die Serafan würden ihn sicherlich nicht mit offenen Armen empfangen und ihm Zugang gewähren. Nein, sie würden mit bestimmter Sicherheit mit ihren primitiven Waffen auf ihn losstürmen, um ihn zu vernichten. 'Schön, sie haben Wachen und sie haben einen Burggraben... Doch an meine dunkle Gabe haben diese unwissenden Menschen nicht gedacht.' denkt Raziel spottend und mit einem dezenten Lächeln. Er breitet seine riesigen Fledermausschwingen aus und fliegt unentdeckt über den Burggraben auf die Stadtmauer. Raziel schaut nach unten. Überall laufen Menschen beschäftig auf den Straßen herum. 'Das Buffet ist eröffnet!' denkt Raziel vergnügt. Er gleitet langsam und vorsichtig zu Boden und versteckt sich sofort im Schatten. Raziel lächelt zufrieden. Endlich gibt es nur eins, an das er denken kann: Blut. Frisches, warmes Blut. Der metallische Geschmack auf seinen Lippen, das Pulsieren der Lebenskraft. Der Geruch der Angst seines Opfers, der wilde Triumph beim Töten seiner Beute... Raziel kann es kaum erwarten, dem nächsten Sterblichen, der ihm über den Weg läuft, seine Fänge in den Hals zu bohren. Sein Verlangen, seine Blutgier wird immer unkontrollierter, und Raziel genießt das Gefühl. Ein leises, sehnsüchtiges Fauchen entgleitet ihm. Da, endlich, ein Mensch kommt zu nahe an Raziel heran. Raziel packt ihn an der Schulter, und ehe sich Raziels Opfer versieht, hat Raziel ihm schon seine Fänge in den Hals gebohrt. Raziel trinkt gierig und unmäßig, er klammert sich immer fester an sein zappelnes Opfer, bis sich letzteres nicht mehr regt. Raziel reißt seine Fänge aus seinem toten Opfer und macht sich auf den Heimweg. Unterwegs kommt er am Orakel vorbei, dem jetzigen Schlupfwinkel seines früheren Mentors Möbius, dem Zeitstromlenker. Dem Lügner und Intriganten, der mit den Menschen spielt. Raziel bleibt eine Weile vor dem Gebäude stehen, dann entschließt er sich, hineinzugehen. Drinnen steht Möbius an seinem Zeitbrunnen, mit dem er in die Zukunft und die Vergangenheit sehen kann. Mit der einen Hand hält er sich an dem Brunnen fest. In der anderen trägt er sein Zepter. Raziel betrachtet den Stab mit der sich um ihn windenden Schlangenfigur mit dem pink-weiß leuchtendem Kristall im Rachen der Schlange misstrauisch. Er weiß, dass dieser Kristall die Macht hat jeden Vampir, egal wie stark er auch sein mochte, auf die Knie zu zwingen. Durch Möbius' Zepter mussten schon viele von Raziels Artgenossen das Leibliche segnen, da sie unter dem Bann des Zepters den tötlichen Waffen der Sterblichen hilflos ausgeliefert waren. Da ist es nicht verwunderlich, dass Raziel auf Abstand bleibt, zu seiner eigenen Sicherheit. Möbius schaut in Raziels Richtung. "Ah, Raziel, ich habe schon auf dich gewartet." - "Auf mich gewartet? Wieso?" Raziel weiß, dass Möbius nicht zu trauen war, dennoch ... nun ist er hier, und er muss sich seinem Schicksal stellen. Er wagt sich ein paar unsichere Schritte näher, immer das Zepter im Auge behaltend. "Als Hüter der Zeit besitze ich ein gewisses Maß an Allwissendheit. Du kamst hierher mit einer Frage, dessen Anwort dich in Wahrheit nicht interessiert." - "Genug Rätsel, Möbius! Ich habe nur wenig Zeit und Geduld, also wenn du mir keine Antworten auf meine Frage geben willst, dann mach schnell und sag es mir! Ich werde dich schon nicht töten, wenn du mir nicht helfen kannst!" - "Selbst wenn du es wolltest, so wissen wir beide, das ich nicht jetzt sterben werde. Und auch nicht durch deine Hand, Raziel. Nein, Raziel, diese Ehre bleibt deinem Schöpfer vorbehalten, Kain, in etwas mehr als 30 Jahren von Heute an. Nun, du willst eine Antwort auf die Frage, warum dich deine... sagen wir 'leibliche' Vergangenheit nicht in Frieden lässt? Nun... ich kann dir helfen..." Möbius streckt seine rechte Hand über den Zeitbrunnen aus. Das Wasser des Brunnens wird trübe und Möbius beobachtet die Szene, die der Brunnen zeigt. "Sehr interessant..." Möbius scheint sich nur auf die Szene in seinem Brunnen zu konzentrieren. Raziel wird langsam ungeduldig. "Na was ist denn jetzt? Willst du ewig auf das Bild in diesem verfluchten Brunnen starren?! Mach schon, ich habe wirklich keine Zeit für solche Spielchen!" - "Immer mit der Ruhe, Raziel. Ah... ja... dein Leben scheint sich schon bald abrupt zu ändern... Du wirst Gefühle kennenlernen, die doch nie hattest, Gefühle, von denen du dachtest, du hättest sie nicht. Doch Tief in deinem Inneren wusstest du es, ja selbst jetzt weißt du es. Deine Zukunft... nein, deine Bestimmung... sie wird sich schon bald erfüllen... sehr bald." Raziel versteht nicht, worauf Möbius hinauswill. "Möbius ich habe wirklich keine Zeit für Rätsel! Sag mir endlich, was du meinst!" - "Du musst dein Schicksal selbst erkennen Raziel. Du siehst es, aber du willst es nicht sehen. Öffne deine Augen und dein Herz, dann erkennst du, was dir bisher verborgen geblieben ist." Raziel wird langsam ungemütlich. Er knurrt Möbius halb wütend, halb gelangweilt an und entblößt dabei leicht seine messerscharfen Fangzähne. Möbius fährt ruhig mit seiner Rede fort: "Du wirst deinem Schicksal nie entkommen können, Raziel. Du magst es hinauszögern können, aber du kannst nicht davor wegrennen." Raziel faucht. "Möbius, ich habe genug! Langweile jemand anderen mit deiner ach so großen Allwissedheit! Ich gehe!" Raziel schreitet, eitel und wie zum Trotz den Kopf leicht gen Himmel geneigt, murrend aus dem Orakel. Möbius schüttelt den Kopf, und Raziel bleibt erschrocken stehen. Er fürchtet, dass er Möbius nun doch zu sehr gereizt hat, und macht sich bereit für sein Ende. Doch als sich Raziel, entschlossen und bereit, sich gegen Möbius Zepter zu wehren, umdreht, ist dieser mitsamt seinem Zepter verschwunden. Raziel atmet hörbar aus. 'Da habe ich noch einmal Glück gehabt. Hätte Möbius sein verfluchtes Zepter eingesetzt wäre ich jetzt mausetot... Das nächste mal sollte ich wirklich nicht so sehr mit meiner Kraft protzen sonst könnte das mein Ende bedeuten' denkt Raziel. Er schleppt sich erleichtert aus dem Orakel und macht sich schleunigst auf den Weg zu seinem Clan. Er hofft, dass niemand gesehen hat, dass er in das Orakel gegangen ist. Diese Demütigung könnte er nach der von Möbius nicht verkraften. Gefühle? Er? Der erstgeborene Sohn des wohl mächtigsten Vampirs der Welt? Er soll Gefühle haben? Gefühle, die in seinem Innersten schlummern? Was meint der Kerl überhaupt damit? Typisch sterblich! In seinem Clan setzt sich Raziel erschöpft auf seinen Trohn. Noch immer verärgert von Möbius' Prophezeihung entrinnt ihm ein wütendes Zischen, gerade als einer von Raziels Kindern ihm eine Botschaft bringen möchte, die scheinbar von höchster Wichtigkeit ist. Der Razielim weicht vor dem Zischen ehrfürchtig zurück. Zuerst denkt er, das Zischen galt ihm, tritt ein paar Schritte zurück, dreht sich um und will verlegen gehen. Doch dann wendet er sich noch einmal schüchtern zu Raziel und spricht ihn zögerlich an: "Herr, ich störe nur ungern ... aber einige Serafan sind in unseren Clan eingedrungen. Was sollen wir tun , Master?" Raziel scheint in Gedanken versunken zu sein. Der Razielim befürchtet, das Raziel ihn ignoriert, weil er scheinbar doch wütend auf ihn ist. Vorsichtig versucht es der Razielim etwas lauter: "Master! Wollt ihr denn nichts gegen die Serafan unternehmen? Ist euch unser Clan denn nicht wichtig?" Endlich reagiert Raziel, faucht seufzend, schüttelt noch etwas ärgerlich den Kopf und sagt zu dem Razielim: "Es ist schon gut, Sohn. Mein Zorn gilt jemand anderem. Wir werden die Serafan natürlich vertreiben. Sie haben hier nichts verloren. Sie werden schon noch sehen, was es heißt, sich mit den Razielim anzulegen." Mit einem siegessicheren Fauchen steigt Raziel von seinem Trohn. Der Razielim versteht sofort und holt Raziels Schwert. Raziel und sein Clan machen sich auf den Weg. Die feindlichen Massen sind zahlreicher als Raziel vermutet hat. Doch mutig gibt Raziel das Zeichen zum Angriff. Die Razielim stürmen los, ebenso wie die Serafan. Raziel schwingt sein Schwert und kämpft wie ein Besessener. Doch umsonst : Die Feinde sind zu stark. Raziel hat gerade einen Serafan niedergemetzelt, als er hinter sich einen Schlag verspürt. Er sinkt zu Boden und wird in völlige Dunkelheit getaucht ... Kapitel 1: Das gefangene Mädchen -------------------------------- Raziel schlägt schläfrig die Augen auf. Alles um ihn ist dunkel. Er hört das Topfen von Wasser und schaut sich unsicher um. Raziels Kopf dröhnt noch von dem Schlag seines Feindes. Raziel stöhnt vor Schmerz auf und versucht, sich den Kopf zu halten, doch er kann seine Klauen nicht bewegen. Jetzt erst merkt er, dass er an eine Wand gekettet ist. Er versucht verzweifelt sich zu befreien, vergebens; er ist zu schwach. "Gib dir keine Mühe, Vampir. Dies wird nun dein Zuhause sein, bis du hingerichtet wirst." sagt eine junge, mädchenhafte Stimme und Raziel sieht sich panisch um. In einer der dunkelsten Ecken erkennt er ein kleines und sehr dürres Mädchen. "Wer bist du? Was machst du hier? Was fällt dir überhaupt ein, dich im Schatten zu verstecken und mich so zu erschrecken?! Und was meinst du damit, das dies mein Zuhause sein wird, bis ich hingerichtet werde? Wo bin ich hier überhaupt? Dieser... dieser... Keller entspricht nicht meiner Würde!" empört sich Raziel. Das Mädchen kichert und anwortet ruhig: "Deine Würde ist unwichtig. Überhaupt spielt es hier keine Rolle, wer man ist und woher man kommt. Nun, wie dem auch sei... ich bin Marie. Ich bin wie du eine Gefangene im Kerker der Serafan. Auch ich soll hingerichtet werden, nur weil ich aus Hunger gestohlen habe. Ich bin eine Waise. Meine Eltern wurden von Vampiren getötet, also von Vertretern jener Rasse, der du angehörst..." Bei ihren letzten Worten fällt Raziel auf, das diese nicht von Verachtung untermalt werden. Es war lediglich eine Tatsache. "Die Serafan haben mich bezwungen und in ihren stinkenden, feuchten Kerker gezwängt? Mich? Den großen Raziel, den Erstgeborenen des mächtigen Vampirs Kain und seinen persönlichen Stellvertreter? Unmöglich!" wendet Raziel ab. Marie kichert. "Ja, sie haben dich bezwungen. Ich habe sehr viel von euch Kainiten gehört. Ihr sollt sehr stark sein. Aber wenn du es nicht einmal schaffst, die Serafan zu besiegen..." - "Was fällt dir ein?! Ich bin kein Schwächling! Ich war nicht auf sie vorbereitet! Ich war nicht gestärkt!" verteidigt sich Raziel wütend. Marie kichert noch mehr. Raziel kocht vor Wut. Doch plötzlich wird der Streit durch ein seltsames Geräusch gestört, das wie ein Knurren klingt. Raziel ist hungrig. Er schaut verlegen an sich runter. Marie kann sich ein dezentes Lachen nicht verkneifen. "...Wie lange bin ich schon hier? Ich habe Durst... brennenden Durst." sagt Raziel ruhig, mit verträumt wirkenden, halb geschlossenen Augen und einem leisen, hungrigen Fauchen. "Etwa eine Woche. Die Vampire draussen scheinen dich zu suchen und befreien zu wollen... es wäre schön, wenn sie auch mich befreien..." antwortet Marie traurig. 'Eine Woche! Kein Wunder, dass ich so schwach bin. Mein Durst bringt mich noch um! Irgendwie muss ich diese Ketten doch sprengen können...' denkt Raziel und versucht wieder, seine Fesseln zu lockern und sich zu befreien. Marie kommt langsam auf ihn zu. "Du hast Hunger, nicht wahr? Dann trink von mir. Es wird dich stärken." Marie entblößt ihren Hals und bietet ihn Raziel dar. Dieser weicht zurück. Doch dann denkt er 'Was ist denn nur mit mir los? Sie ist nur ein Mensch, nichts weiter als Nahrung für meinen Körper. Und ausserdem: Sie will es doch. Ich sollte sie töten. Aber irgendwie dreht sich mir bei dem Gedanken der Magen um - Wenn ich denn einen habe.' "Du bist mutig, kleine Sterbliche, das muss ich dir lassen. Aber ich könnte dich töten. Warum auch nicht? Es gäbe viele Gründe: Du bist ein Mensch, nichts als Nahrung für mich. Und außerdem bist du frech und hast mich vorhin erschreckt, vergiss das nicht. Wenn ich eins nicht leiden kann, dann sind es Sterbliche, die mir unsympathisch sind. So wie die Serafan. Ich würde sie sofort töten. Und ich habe große Lust, mit dir das Gleiche zu tun." sagt Raziel herausfordernd, als ob er sie verschrecken will. Doch Marie kommt näher. "Es macht nichts, wenn du mich töten willst. Ich werde doch sowieso hingerichtet." sagt sie. Sie legt sich sanft in seine Klauen. Raziel beugt sich mit einem grimmigen und dennoch erfreuten Blick über sie, öffnet den Mund - und schlägt Marie mit einem hungrigen und angsteinflößenden Fauchen seine Fänge in den Hals. Marie zuckt auf, doch sie versucht sich zu beruhigen und sich voll und ganz darauf zu konzentrieren, ruhig und mutig zu bleiben. Raziel trinkt hungrig, ein genüsslicher Seufzer entrinnt ihm, während sein quälender Durst gestillt wird. Nach einer Weile löst er seinen Griff und zieht behutsam seine Zähne aus Maries Hals. Sie ist sehr geschwächt, doch Raziel bereut es nicht im Geringsten, dass er ihr das Leben gelassen hat. Er hält sie sicher in den Armen, und während sie schläft, fällt auch Raziel langsam wieder in einen tiefen Schlummer. Die romatische Stimmung wird jedoch abrupt unterbrochen, als Raziel über sich die Stimmen der Serafan hört. "Wir sollten nicht mehr länger warten. Wenn wir seine Hinrichtung nicht bald durchführen, werden die Vampire da draussen ihn befreien." - "Stimmt. Wir werden in morgen Mittag, wenn die Sonne hoch am Horizont steht und es zu warm für die Vampire ist, hinrichten. So können seine Artgenossen ihm nicht helfen." - "Und was ist mit der diebischen Göre?" - "Die wird mit ihm zusammen hingerichtet, noch vor ihm. Dann wird ihn sein quälender, verfluchter Blutdurst noch mehr peinigen!" Raziel ist völlig geschockt und sprachlos. Zuerst weiß er nicht, ob er Marie davon in Kenntnis setzen soll oder nicht. Doch dann schüttelt er den Kopf und weckt Marie unsanft auf. "Was... Raziel? ...Was ist los? Du bist ja so aufgeregt." - "Aus gutem Grund. Ich habe - Dank meines vampirischen Gehörs - ein Gespräch der Serafan mitbekommen. Wir beide sollen morgen Mittag hingerichtet werden. Du vor mir, damit mich der Geruch deines Blutes ein letztes Mal in den Wahnsinn treibt!" - "Nein! Oh bitte nicht. Raziel, was sollen wir tun?" Marie weint vor Verzweiflung. "Es gibt nur eine Lösung, aber sie ist für mich sehr riskant." - "Welche?" - "Ich setze meine Artgenossen per Telepatie darüber in Kenntnis, aber es würde mich sehr schwächen; ich habe zu wenig Blut getrunken, und wenn ich noch mehr von dir nehme, dann..." Raziel stockt und ihm entfährt ein kurzes Lachen. "Schon merkwürdig... ich habe immer gedacht, das ich mich nie mit einem Menschen anfreunden würde... und jetzt will ich noch nicht einmal, das dieser Mensch stirbt. Du scheinst mir ans Herz gewachsen zu sein, junge Sterbliche. Muss wohl daran liegen, dass du mir dein Blut als Nahrung gegeben hast. Das Ganze noch freiwillig, wohlgemerkt. Obwohl du wusstest, dass ich dich hätte töten können... puh... ich muss es versuchen. Es ist die einzige Chance, wie wir hier beide unbeschadet aus diesem Kerker kommen." sagt Raziel und mit großer Konzentration sendet er ein schwaches Signal aus. Er scheint mit jemanden in Kontakt getreten zu sein und versucht mühsam, die Verbindung in Stand zu halten. Doch schon bald fällt er erschöpft zu Boden. "Raziel, Raziel ! Oh, bitte Raziel, du darfst nicht sterben, bitte! Bleib bei mir! Bitte... verlass mich nicht..." Marie schluchzt herzerweichend. Plötzlich hört sie eine Stimme, ein leises, mühsames Wispern: "Du vergisst, ich bin bereits tot, Marie. Selbst wenn ich lebendig wirke, in Wahrheit bin ich schon jahrelang tot." Es ist Raziel. Er redet mit ihr. Marie atmet erleichtert auf. Eine kleine Träne tropft auf Raziel. Er faucht vor Schmerz auf. "Oh, tut mir leid, Raziel." Raziel öffnet seine Lippen, doch Marie unterbricht ihn. "Rede nicht weiter, das belastet dich nur zusätzlich. Schlaf ein und hoffe darauf, dass uns deine Artgenossen befreien." flüstert sie, und Raziel fällt wieder in tiefen Schlaf. 'Warte mal kurz... Er hat mich eben mit meinem Namen angesprochen. Nicht mit Sterbliche oder Mensch." denkt Marie verwundert. Doch dann legt sie sich müde zu ihm, kuschelt sich an ihn und schließt die Augen. Bald darauf schläft auch sie ein. Kapitel 2: Der Tag der Vollendung --------------------------------- Es ist soweit. Der Tag, an dem Raziel und Marie hingerichtet werden sollen, ist gekommen. Draussen ist alles still. Haben die anderen Vampire Raziels Hilferuf falsch gedeutet? Raziel, schon verzweifelt auf sein Ende wartend, hält die noch schlafende Marie behutsam in seinen Klauen. Dann, nach einer Zeit, die Raziel wie eine Ewigkeit vorkommt, öffnet sich das Tor in den Kerker und drei Serafan kommen hinein. "So, Vampir. Das Warten hat ein Ende. Denn heute wirst du hingerichtet. Sprich schon mal dein letztes Gebet!" Die Serafan kommen näher. Einer packt Marie am Arm. Raziel zischt ihn wütend an. Der Serafan weicht zurück. "Nanu? Hast du dich etwa mit dieser diebischen Göre angefreundet? Oder hast du Angst, dass ich dir dein Mittagessen wegnehme?" Der Serafan lacht hämisch. Raziel knurrt ihn mit einem grimmigen Blick an. "Vergiss das Mädchen, Serek. Er ist es, den wir holen sollten." spricht einer der Serafan seinen Freund an. "Nun gut. Hast ja Recht, Perthos. Komm, du blutsagendes Scheusal! Komm endlich!" drängt der Serafan mit dem Namen Serek und zieht Raziel von Marie weg. Raziel faucht und zischt verärgert, als er aus dem Kerker gezerrt wird. Er hält sich an jeder Mauer und jedem Riss am Boden wütend zischend fest und versucht sogar, Serek in die Hand zu beißen; aber er ist zu schwach, um sich gegen den harten Griff zu wehren. Sie müssen Raziel regelrecht zum Hinrichtungsort schleifen, da er nicht willig ist, ihnen zu folgen. Außerhalb der Festung, etwa 100 Meter von ihr entfernt, sieht Raziel die neugierigen Menschenmengen, die noch vor ein paar Tagen aus Angst vor ihm das Weite gesucht haben. Und schon bald sieht er auch die scharfe Klinge der Guillotine, die seinem Leben ein schmerzhaftes und dennoch rasches Ende bereiten soll. Die Serafan fesseln den knurrenden und wütend fauchenden Raziel an eine Steinsäule neben der Guillotine und entfernen sich in Richtung Festung. 'Sicherlich holen sie Marie, um sie hinzurichten. Ich darf das nicht zulassen! Wo seit ihr, meine Artgenossen? Helft mir! Helft mir und Marie!' denkt Raziel. Er versucht mühsam, sich zu befreien, doch es hilft nichts. Die Sonne kommt ihrem höchsten Standpunkt immer näher. Erst, als Raziel die Hoffnung bereits aufgegeben hat, sieht er, etwas weiter von der Guillotine entfernt, eine weitere Guillotine. 'Scheinbar soll dort Marie hingerichet werden. Oh nein... was soll ich nur tun? Es ist hoffnungslos...' denkt Raziel verzweifelt. Da wird auch schon die arme, kleine Marie zur Guillotine geführt. Sie erblickt Raziel und weint hemmungslos. Raziel versucht, telepatischen Kontakt zu ihr aufzunehmen. "Weine nicht Marie. Es wird mir schon etwas einfallen, um uns zu befreien. Wenn nicht, so tröste dich damit, dass unser Tod nicht langsam und schmerzvoll, sondern kurz und schmerzlos sein wird. "Diese Gedanken schickt er verzweifelt zu ihr. Als die Botschaft sie erreicht schaut sie ihn mit Augen an, in denen keine Hoffnung liegt. Das quält Raziel noch mehr. Warum so ein kleines, unschuldiges Mädchen wie Marie?" Raziel..." flüstert sie schluchzend. Sie wird an die Guillotine gekettet, ebenso wie Raziel. Der Richter gibt das Zeichen, Marie zu köpfen. "MARIE!!! NEIN!!!" schreit Raziel. Die Verzweiflung überwältigt ihn, und ihm läuft eine blutige Träne die Wange hinunter. Doch bevor der Henker die Klinge fallen lassen kann, wird die Hinrichtung von einem lauten Fauchen unterbrochen. Raziels Artgenossen sind gekommen. Die Menschen fliehen schreiend in alle Richtungen, und die Serafan stellen sich tapfer den vampirischen Massen. Doch sie schaffen es nicht, die Vampire aufzuhalten. "Raziel! Bruder, ist dir etwas passiert?" Die besorgte Stimme kommt von Turel, einem von Raziels jüngeren Brüdern. Er befreit Raziel aus seinem Gefängnis und beide verschwinden schleunigst aus dem Geschehen. Bei den Säulen angelangt und vom Blut der Serafan, das seine Brüder ihm gaben, gestärkt unterhält sich Raziel mit seinen Brüdern. "Danke, Brüder. Ihr habt mich noch einmal gerettet." - "Hätten sie dich vernichtet, dann... oh, ich hätte sie umgebracht, alle nacheinander, ohne auch eine Träne zu vergießen!" sagt Dumah, ein weiterer von Raziels jüngeren Brüdern. "Apropos Tränen. Ist Marie auch hier?" - "Marie?" - "Ja, Rahab. Das kleine Menschenkind, das mit mir hingerichtet werden sollte. Sagt bloß, sie ist immer noch dort?" - "Scheinbar ja. Wir wussten doch nicht, dass wir sie auch befreien sollten." antwortet Zephon, ebenfalls ein jüngerer Bruder von Raziel verwundert. "Doch. Ich hatte euch doch telepatisch gesagt, das ihr auch sie befreien sollt." - "Entschuldige bitte Raziel, aber deine Informationen waren karg, und außerdem hat unser Master kaum etwas davon verstanden, so schwach, wie du warst." erwähnt Melchiah, der letzte von Raziels Brüdern und der jüngste der Kainiten. Raziel schaut seine Familie besorgt an. Dann rennt er hinaus in Richtung der Festung der Serafan . "Raziel!" rufen ihm seine Brüder besorgt hinterher. "Lasst ihn, Kinder. Er scheint dieses Menschenkind sehr gern zu haben. Sie hat ihm schließlich Gesellschaft geleistet, als er gefangen war. Ihr wisst so gut wie ich, dass Raziel es hasst, allein zu sein. Und ihr wisst, Raziel ist stark. Er wird sie schon alleine befreien können, sollten sie ihn einfangen. Dieses Mal ist er gestärkt von ihrem Blut." sagt Kain. Kapitel 3: Marie's neues Zuhause -------------------------------- Raziel indes ist am Hinrichtungsort angelangt. Marie ist immer noch an die Guillotine gefesselt. Sie schläft, doch Raziel kann im fahlen Mondlicht erkennen, das sie geweint hat. Er befreit sie von ihren Fesseln, nimmt sie vorsichtig in seine Klauen, damit er sie nicht unsanft weckt und breitet seine fledermausartigen Schwingen aus, um mit Marie in seinen Clan zu fliegen. Dort legt er Marie auf seinen vorher mit einer weichen Decke gepolsterten, geschlossenen Sarg und wartet geduldig und voller Hoffnung darauf, dass sie bald aufwacht. Raziels Sprösslinge beäugen sie neugierig mit hungrig funkelnden Augen. "Lasst sie in Ruhe! Das Mädchen wird nicht angerührt, sonst wartet der Vortex auf euch! Verstanden?! Das Menschenkind gehört mir!" zischt Raziel seine Kinder wütend an, und diese weichen erschrocken zurück. So wütend haben sie ihren Schöpfer schon lange nicht mehr erlebt. Schließlich droht er ihnen bei Ungehorsam doch sonst nicht mit dem See der toten Seelen, der Hinrichtungsart der Vampire, zwei gewaltigen Klippen mit einem noch gewaltigerem Wasserstrudel in deren Mitte. "Master, entschuldigt die Frage: Wollt ihr sie zu einer von uns machen oder warum schützt ihr sie vor uns?" fragt ein Razielim schüchtern. "Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich werde ich sie nicht umwandeln. Zumindest nicht, wenn sie es nicht will." anwortet Raziel ruhig. Dann schaut er besorgt auf Marie. Endlich öffnet sie langsam die Augen. "Raziel? Wo... bin ich? "Marie schaut sich entgeistert um. Doch dann jubelt sie nur fröhlich: "Raziel! Wir leben! Deine Artgenossen, sie haben uns gerettet! Wir leben!" Marie sieht sich genauer um, entdeckt die neugierigen Razielim und schaut sie verwirrt an. Dann blickt sie verwirrt und etwas besorgt zu Raziel. Der lächelt und sagt: "Na, wie gefällt dir dein neues Zuhause, Marie? Und Geschwister hast nun auch. Und zwar in Hülle und Fülle." Dabei lässt er seinen Blick mit einer einladenden Handbewegung über die Landschaft schweifen. "Meine Heimat?" - "Ja, Marie. Du hast mir doch im Kerker erzählt, das du eine Waise bist und deine Eltern von Vampiren getötet wurden. Tja, und da habe ich mir gedacht, warum denn nicht? Ein Vampir, der ein Menschenkind adoptiert, ist schließlich nichts Alltägliches." - "Oh, Raziel..." Marie fällt Raziel vor Freude schluchzend an den Hals. "Aber... ist das auch in Ordnung? Ich meine, ich bin doch kein Vampir..." Marie schaut sich die Razielim besorgt an, als ob sie fürchtet, dass sie sie angreifen und töten könnten, sollte Raziel einmal nicht in ihrer Nähe sein... "Das lässt sich ändern, wenn du willst." sagt Raziel. Doch traurige Bitterkeit untermalt sein Angebot. "Du meinst... du... würdest mich... wirklich..." - "Wenn es dir nichts ausmacht, dich Tag für Tag von Blut zu ernähren..." antwortet Raziel betrübt, und Marie umarmt ihn besorgt. "Ich will es nicht, wenn du es nicht willst Raziel. Ich will nicht, dass du wegen mir unglücklich bist." Raziel dreht sich mit einem Seufzer zu ihr um und sagt entschlossen: "Wenn du möchtest, können wir sofort damit anfangen, Marie." Marie lächelt. Raziel entfernt sich zusammen mit Marie an einen einsamen Ort in seinem Clan. Ein altes, baufälliges Gebäude ist das Ziel der beiden. Sie gehen hinein und Marie schaut sich um. In dem Raum sind einige Ketten, ähnlich wie in dem Kerker der Serafan, doch in der Mitte steht ein antiker und äußerst prächtiger Altar. "Hier erschaffe ich normalerweise meine Kinder. Manche von ihnen wollen die Verwandlung eigentlich gar nicht und wehren sich, deshalb die Ketten. Aber ich denke nicht, dass ich sie bei dir brauchen werde, denn du möchtest ja ein Vampir werden." erklärt Raziel. "Also muss ich mich nur auf den Altar legen? So wie ein Opferlamm? Ich weiß eigentlich überhaupt nicht, wie Vampire geschaffen werden. Kannst du es mir verraten, Raziel?" - "Ja. Ich verrate es dir, schließlich wirst du den Ritus gleich am eigenen Leib erfahren. Vampire entstehen durch Blutaustausch, sprich, der Vampir trinkt das Blut des Menschen, und dann trinkt der Mensch das Blut des Vampirs, oder umgekehrt. So einfach ist das. Allerdings ist so eine Erschaffung eines Vampirs nicht gerade ein Blutschlecken... oder wie ihr Menschen sagt: Zuckerschlecken für mich. Es schwächt mich immer sehr." - "Aha. Ich dachte immer, das ein bloßer Biss eines Vampirs ausreicht, um einen Menschen zum Vampir zu machen." - "Alles ausgedachter Schwachsinn deiner Art. Wahrscheinlich, um Kinder wie dich einzuschüchtern. Oder um uns zu noch größeren Monstern zu machen, als wir es eigentlich sind. Aber dadurch erhöhen sie nur die Angst vor uns. Schließlich gibt es nur wenige Menschen, die freiwillig Vampire werden möchten, so wie du. Nun, wenn wir anfangen sollen, leg dich auf den Altar." Marie legt sich auf dem Altar hin und schaut Raziel voll Vertrauen an. "Gut, das Gefühl, Blut abgesaugt zu bekommen müsstest du jetzt sicher schon kennen. Also lass uns anfangen." sagt Raziel und beißt langsam und sehr sanft zu. Genüsslich trinkt er Maries Blut. Als sie an der Schwelle ihres Todes liegt, entfernt Raziel seine messerscharfen Fangzähne behutsam aus Maries Hals. Dann beißt er sich selbst in seine Klaue. "Trink, Marie. Sonst stirbst du." sagt Raziel leicht besorgt und hält seine blutende Klaue über Maries Mund. Marie nimmt Raziels Klaue in die Hände und trinkt laut schlürfend Raziels Blut. "Gut so. Nicht nachlassen, Marie. Trink einfach weiter." spricht ihr Raziel beruhigend zu. Raziel wird immer schwächer, doch er versichert Marie immer wieder, dass es so gut ist und sie weitertrinken soll. Dann, als Raziel sich kaum noch auf den Beinen halten kann, flüstert er Marie zu: "Das reicht, Marie. Hör auf." Marie lässt Raziels Klaue gesättigt fallen und schaut ihn verwundert an. "Und? Bin ich jetzt ein Vampir?" fragt sie neugierig. "Noch nicht ganz. Aber bald wirst du die Veränderung merken. Dein verbessertes Wahrnehmungsvermögen und deine übermenschlichen Fähigkeiten und Kräfte werden sich sicherlich bald zeigen. Du kannst dann für etwa 10-15 Jahre kein Sonnenlicht ertragen, aber keine Sorge. Ich werde dir dein Essen direkt an deinen Sarg bringen." sagt Raziel und steht auf. Doch dann stockt er. "Ach du Schreck! Hölle hilf! Ich hab dir ja noch keinen Sarg zugelegt! Naja, schließlich habe ich die Verwandlung nicht schon Jahre vorrausgeplant wie sonst... Tja, tut mir aufrichtig Leid, Marie, aber es sieht so aus, als ob du hier ruhen müsstest, bis ich dir einen Sarg geholt habe." entschuldigt sich Raziel. "Gut, ich schlaf einfach auf dem Altar. Äh... Raziel... ich... nun ja... habe Durst." wispert Marie verlegen. "Ach, das ist bei jungen Welpen wie dir üblich, keine Sorge. Warte einfach hier, Marie. Ich werde dir ein Opfer herholen. Dann kann ich auch gleich nach einem netten Sarg für dich suchen... Was für ein Opfer wäre dir denn am liebsten? Mann, Frau, Kind..." - "Am Besten einer von diesen gemeinen Serafan, die uns gefangen haben. An denen würde ich meine Wut gerne etwas austoben. Warte... die können sich doch sicher wehren..." Marie sieht sich etwas unsicher um. "Aber wir können sie ja auch an die Ketten fesseln. Dann liegen die hier nicht hier so rum und sind doch noch zu etwas nütze. Wenn du keinen Serafan findest, kannst du einen Mann oder eine Frau herbringen, aber bitte kein Kind, Ok?" Wider Willen muss Raziel lächeln. Er weiß, dass sie das sagt, weil sie selbst noch ein Kind ist. Er nickt zustimmend. "Gut. Und wie soll dein Sarg aussehen?" - "Schwarz. Mit Gold oder Silber beschlagen." - "Gut. In Ordnung, Madame. Ihre Bestellung wird nicht lange auf sich warten lassen." scherzt Raziel. Marie lacht. "Ach übrigens, Marie: hübsche Beißerchen!" sagt Raziel mit stolzer Stimme und einem schelmischen Lächeln. "Ich hab schon Vampirzähne?" - "Ja. Schließlich musst du die Haut deiner Opfer ja irgendwie aufreißen können. Und das geht eben am Besten mit eigens dafür vorgesehenen Fangzähnen. Ich habe ja gesagt, dass sich die vampirischen Merkmale bald zeigen müssten. Nun, ich will deinen Blutdurst nicht länger auf die Folter spannen. Bis gleich." Raziel verlässt das Erschaffungsgebäude und fliegt los. Kapitel 4: Das Leben als Jungvampir ----------------------------------- Raziel fliegt über die Zitadelle der Menschen. Sein Blick schweift wachsam über die Straßen. Raziel entdeckt ein Bestattungs-Institut und landet unbemerkt daneben. Er betritt das Institut und entdeckt einen jungen Mann an einem Pult. Der Mann schaut kurz auf und lässt seinen Kopf gelangweilt wieder sinken, wahrscheinlich, weil er dachte, es handle sich nur um einen alltäglichen Routinefall. Doch dann schaut er blitzschnell wieder auf und starrt Raziel ungläubig an. Er zittert ängstlich und verkriecht sich hinter seinen Pult. Raziel grinst und kommt näher. Der Mann kauert sich hinter dem Pult zusammen und starrt Raziel verängstigt an. Raziel packt ihn und wirft ihn auf den Stuhl des Pultes, von dem der Mann heruntergeglitten war. Vor Todesangst wimmernd klammert sich der Mann an den Stuhl. Raziel beendet das Schweigen und seine Stimme scheint den ganzen Raum zu füllen: "Hör zu, Sterblicher. Ich möchte, dass du für mein jüngstes Kind einen Sarg als Ruhestätte entwirfst. Sonst..." Raziel öffnet mit einem angsteinflößendem Fauchen seinen Mund und zeigt seine messerscharfen Raubtierzähne. Der Mann klammert sich fester an den Stuhl und spricht mit zitternder Stimme: J-Ja, Herr. S-Sofort. W-Welche... Farbe? Und s-sollen vielleicht noch V-Verzierungen angebracht werden?" Raziel anwortet nicht, sondern sieht sich in aller Ruhe die bereits in der Ecke stehenden Särge an. Dann schaut er auf den Pult, wo einige neue Entwürfe unordentlich verstreut sind. Raziel nimmt einen der Entwürfe, auf denen nahezu göttliche Verzierungen zu sehen sind. Dann läuft er langsam zu einem schwarzen Sarg. "Der Sarg soll diese Farbe haben, Sterblicher. Und diese Verzierungen besitzen. In Gold und Silber, beide Farben richtig abgewägt. 3 Tage, dann bin ich wieder hier." sagt Raziel und lässt den Entwurf auf den schwarzen Sarg fallen. "3 Tage, aber das ist..." - "3 Tage, Sterblicher. Nicht mehr. Sollte der Sarg nicht fertig sein, wenn ich komme, solltest du schon einmal dein Testament geschrieben haben. Und noch etwas: Wage es nicht, die Serafan zu warnen, sonst wirst du es bitter bereuen." Raziel verlässt das Gebäude und fliegt davon. Der Mann sieht sich die Verzierungen und den Sarg eine Weile lang an, dann schaut er nach draußen, auf die Straße. Er dreht sich um und fängt sofort mit der Arbeit an. Nun sucht Raziel nach dem ersten sterblichen Opfer für Marie. In einer unbelebten Straße entdeckt er eine junge Frau, etwa in dem Alter, in dem Raziel war, als er zum Vampir wurde. Raziel stürzt sich auf die Frau, packt sie und fliegt mit ihr davon. Sie schreit: "Lass mich runter! Lass mich runter, du untotes Scheusal!" - "Hier und jetzt?" fragt Raziel belustigt, und die Frau sieht nach unten. Sie waren etwa 300 Meter vom Boden entfernt. Die Frau würde den Sturz nicht überleben. Sie schüttelt den Kopf. Raziel grinst und fliegt unermüdlich weiter. Dann landet er vor dem Erschaffungsgebäude. Er treibt die Frau in das Gebäude. Drinnen schubst und zerrt er sie energisch auf den Altar und fesselt sie. Dann bindet er ihr einen Knebel vor den Mund. Als alles fertig ist, sieht er in die Dunkelheit. Als er keine Regung in ihr vernehmen kann ruft er : " Marie. Ich bin wieder da. Dein Abendessen ist bereit! Komm heraus!" Endlich regt sich etwas im Schatten und Marie kommt auf Raziel zu. "Sie ist es?" fragt sie. "Ja Marie. Lass es dir schmecken." - "Und, äh, wie?" - "Na wie wohl? Beiß sie einfach in den Hals. Sie ist wehrlos, also zier dich nicht." Marie geht unsicher auf den Altar zu. Die Frau weint verzweifelt, als sie Marie sieht, denn sie weiß, das Marie sie töten wird. Diese versucht angewidert, nicht auf die Tränen der Frau zu achten. Sie schiebt das hellbraune Haar hinfort, öffnet den Mund und schlägt ihre Zähne in den Hals der Frau, die vor Schmerz aufschreit, was man allerdings durch den Knebel kaum hören kann. Marie trinkt gierig und mit schrecklichen Schlürfgeräuschen das Blut. Mit ihren Zähnen reißt sie den Hals ihres Opfers unbarmherzig auf, worauf die Frau noch mehr aufschreit. Marie trinkt unbeirrt weiter. Als sie endlich den Kopf hebt, sieht sie Raziel lässig an der Wand lehnen. Er lächelt. "Du willst mir anscheinend schon Konkurrenz machen. Du schlachtest deine Opfer ja noch härter ab als ich!" sagt er mit mildem Tadel. Er kommt langsam auf sie zu. Marie schwankt etwas, läuft auf Raziel zu und lässt sich erschöpft in seine Arme fallen. Dann schaut sie verlegen zu ihm auf. "Es war ganz anders, als ich mir vorgestellt hatte. Ich dachte immer, dass es ekelhaft wäre, sich von Blut zu ernähren. Ist es aber nicht!" sagt Marie. Nach einer Weile fügt sie hinzu: "Was ist eigentlich mit meinem Sarg, den du mir beschaffen wolltest, Raziel?" - "Ach, der ist bereits in Bearbeitung. In spätestens 3 Tagen ist er fertig. Wenn der Sterbliche nicht rumtrödelt, versteht sich." antwortet Raziel vergnügt. Marie gähnt müde und schaut Raziel mit verschlafenen Augen an. "Das ist ebenfalls typisch für junge Welpen wie dich, Marie, also keine Sorge. Schlaf gut, mein Kind." sagt Raziel sanft. "Nacht, Raziel." erwidert Marie und schließt ihre Augen. Nach einer Weile schläft sie seelenruhig in Raziels Armen. Raziel schiebt die tote Frau unsanft vom Altar und legt Marie behutsam darauf. Er küsst sie noch verabschiedend auf die Stirn und entfernt sich dann zurück zu seinem Clan. Dort geht er langsam in Richtung Ruhestätte und legt sich in seinen Sarg. Dort denkt er noch einmal über all die Dinge nach, die in den letzten Wochen passiert waren. Und dann fiel es ihm ein. Er richtet sich in seinem Sarg auf, mit ungläubig aufgerissenen Augen. "Ja! Warum bin ich nicht schon früher darauf gekomen? Möbius... er... er hatte recht. Und ich wollte es nicht glauben... Marie... Ja, sie ist es. Die Gefühle, die ich noch nie gekannt habe... sie hat sie hervorgerufen... das ist... wie nannte Möbius es? ...Schicksal... Warum habe ich es nicht früher erkannt? Ich wollte Möbius nicht glauben, weil ich dachte, dass Vampire Gefühle wie Liebe nicht kennen... schon irgendwie komisch..." Raziel kichert. Dann gähnt er müde. Maries Umwandlung hat ihn sehr geschwächt, und er braucht dringend Schlaf. Raziel legt sich wieder beruhigt hin und schläft alsbald ein. Kapitel 5: Neue Welt -------------------- Am nächsten Morgen macht sich Raziel sofort auf zum Erschaffungsgebäude. Er öffnet leise und behutsam die Tür des Erschaffungsraumes, in dem sich Marie aufhält, als diese laut schlurzend auf Raziel zurennt und ihn um den Hals fällt. "Raziel, Raziel, etwas stimmt nicht mit mir! Ich hab da irgendwas auf dem Rücken! Ich weiß nicht was, aber es macht mir Angst!" jammert Marie. Raziel steht nur verdutzt da, aber dann lächelt er nur spöttisch und entgegnet: "Ganz ruhig Marie, das sind doch nur deine Flügel, die du meinem vampirischen Blut verdankst." - "Flügel?" - "Ja Marie. Da ich dein Schöpfer bin, erhälst du alle vampirischen Gaben, die ich auch besitze." Marie starrt Raziel verwundert an. "Soll das heißen auch du... hast... Flügel?" Raziel öffnet seine riesigen Schwingen und fragt belustigt zurück: "Also, wie alienartige Auswüchse sieht es meiner Meinung nach nicht aus, oder was meinst du?" Marie starrt Raziels Flügel bewundernd und mit offenen Mund an. "Hey, Mund zu, es zieht!" lacht Raziel. Marie versucht ihre Schwingen ebenfalls zu öffnen, aber es klappt nicht. "Warte Marie, ich helfe dir." sagt Raziel, stellt sich hinter Marie und zieht mit seinen Klauen behutsam und vorsichtig Maries Flügel auseinander. "So. Fertig. Und nun versuche, damit für eine Weile in der Luft zu schweben." sagt Raziel. Marie versucht es, doch sie schafft es gerade mal, ihre Flügel etwas zu bewegen. "Ich kann es nicht, Raziel." schlurzt sie. "Nicht weinen, Marie. Aller Anfang ist schwer. Es ist schließlich noch kein Meistervampir aus der Hölle hervorgekrochen. Wenn du übst, schaffst du es schon." tröstet sie Raziel. "Ach ja, um auf mein eigentliches Vorhaben zurückzukommen: Ich gehe jagen und wollte dich fragen, ob ich dir ein Opfer mitbringen soll." Marie schaut Raziel erst verdutzt an, dann entgegnet sie: "Ja, du kannst mir etwas mitbringen. Diesmal hätte ich gerne ein männliches Opfer, OK?" - "In Ordnung. Ich werde versuchen, die Jagd nicht so lange hinauszuzögern. Bis gleich, Marie." - "Bis gleich, und viel Glück bei der Jagd, Raziel." Beide umarmen sich noch ganz fest und Raziel fliegt los. Schon bald erreicht Raziel die Stadt. Er fliegt über die Mauer in Richtung des Bestattungs-Instituts von gestern. Dort merkt er, wie der Besitzer des Instituts mit den Serafan spricht. Er schleicht behutsam näher, um zu hören, was die Serafan mit dem Besitzer besprechen. "... werden wir uns um ihn kümmern!" schließt gerade einer der Serafan seine Rede. "Vielen Dank. Er wird übermorgen hier sein. So jedenfalls hat er es gesagt. Aber wenn es ihnen nichts ausmacht, stelle ich den Sarg sicherheitshalber doch her, solltet ihr nicht früh genug da sein, um ihm den Garaus zu machen." sagt der Bestitzer des Instituts erfreut. "Keine Sorge, wenn dieses untote Scheusal hier auftaucht, wird dies seine letzte Tat gewesen sein!" versichert ihm einer der Serafan. Dann gehen die Kampfpriester davon. 'Na da habe ich übermorgen ja ein Riesen-Problem: Maries Sarg abholen, ohne dabei Hops zu gehen...' stöhnt Raziel innerlich. 'Doch bis dahin ist es noch lang... also werde ich mich auf diesen Tag vorbereiten müssen.' Raziel breitet erneut seine Flügel aus und fliegt über der Stadt. Schon bald sieht er einen jungen Mann, der aber etwas älter als Maries gestriges Opfer sein müsste, allein durch eine Gasse laufen. Er stößt nach unten, packt den Mann und fliegt in Richtung seines Clans. Der Mann allerdings ist ziemlich kräftig und wehrt sich stark zappelnd, um sich aus Raziels Griff zu befreien. Raziel knurrt verärgert. Da passiert es: Der Mann schafft es, sich aus Raziels gelockertem Griff zu befreihen und stürzt in die Tiefe. Zum Glück des Mannes - und zu Raziels Unglück - befanden sich beide zu dem Zeitpunkt direkt über den Burggraben, sodass der Mann ins Wasser fällt. Unverletzt schwimmt dieser an die Wasseroberfläche und dann ans Ufer. Für Raziel jedoch ist die Beute nun verloren: Da die Kleidung des Mannes durchnässt ist, würde es Raziels Klauen wegätzen, wenn er den Mann erneut aus der Luft packen würde, um ihn dennoch zum Clan zu fliegen. Und als ob dass nicht schon Unglück genug für ihn wäre, wurde durch den Platscher, der ausgelöst wurde, als der Mann ins Wasser fiel, die Aufmerksamkeit der Serafan erregt, welche nun mit Weihwasser getränkten Pfeilen auf Raziel schießen. Raziel gibt sich zähneknirschend geschlagen und fliegt fort. Auf einem Berg macht er Rast und wartet, bis sich unten alles wieder beruhigt hat. Dann macht er sich zu einem neuen Versuch auf. Diesmal fliegt er besonders vorsichtig über die Stadtmauer. In der Stadt sucht und sucht Raziel nach einem Opfer, aber die Straßen sind wie leergefegt. Durch den Vorfall einige Minuten vorher wurden die Menschen anscheinend in Alarmbereitschaft versetzt. Dennoch hat Raziel Glück im Unglück: Ein alter Mann torkelt langsam in Richtung eines Hauses an der Ecke. Scheinbar ist er nicht mehr der Jüngste und konnte deshalb nicht schnell genug in eines der Häuser fliehen. Raziel macht sich dies zunutze: Er legt einen profimäßigen Sturzflug hin und packt den Mann. Der Mann zappelt verzweifelt. Da er jedoch aufgrund seines Alters zu schwach ist, bringt ihn Raziel ohne weitere Zwischenfälle zum Clan. Auch diesmal fliegt er zum Erschaffungsgebäude, wo Marie sich aufhält und fesselt ihn mit den Ketten an den Altar. Marie kommt aus der Dunkelheit. "Ein alter Mann? Hast du nicht etwas... 'jüngeres' gefunden?" fragt Marie enttäuscht. "Entschuldige, Marie, aber meine erste Jagd war... naja... um es einfach zu sagen: Erfolglos... Nicht alle Jagdausflüge eines Vampirs bringen auch reiche Beute... ich musste mich leider mit diesem Alten hier begnügen. Aber auch wenn er alt ist, so ist sein Blut mindestens genauso gut wie das eines Jünglings." erklärt Raziel etwas genervt. "Na gut... Hauptsache ist ja, dass ich überhaupt etwas zwischen meine Beißerchen kriege!" Marie lacht. Auch Raziel kann sich ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen. Marie tritt wie gestern an den Altar und schlägt ihre Fänge gierig in die Kehle des Alten. Der schreit kurz auf, aber bevor er sich überhaupt irgendwie wehren kann, ist er auch schon tot. Marie trinkt jedoch das Blut bis zum letzten Tropfen, ehe sie sich erschöft in Raziels Arme fallen lässt und sofort einnickt. Raziel legt Marie behutsam auf den Altar, nachdem er auch den alten Mann unsanft vom Altar gestoßen hat. Er küsst Marie verabschiedend auf die Stirn, nimmt die schon langsam verwesende Frau und den alten Mann auf die Schulter und bringt sie zu einer nahegelegenen Grube. Dort lebt eine Kreatur, die weder Mensch noch Tier, geschweige denn ein Vampir zu sein scheint. Raziel wirft die Leichen in die Grube, wo sie sofort von der Kreatur zerfleischt werden. Raziel wendet den Blick angewidert ab. Selbst für ihn ist diese Art von Bosartigkeit so brutal, dass es ihn bei dem Anblick kalt den Rücken 'runterläuft. Er geht zurück zum Erschaffungsgebäude und setzt sich neben Marie auf den Boden, um zu warten, bis sie aufwacht. Kapitel 6: Familienleben ------------------------ Es dauert fast 3 Stunden, ehe Marie endlich aufwacht. Sie springt vom Altar, als sie neben sich ein merkwürdiges Geräusch vernimmt, das wie eine Säge klingt. Sie schaut verunsichert in die Richtung, aus der das Geräusch kommt: Direkt neben dem Altar! Sie schleicht vorsichtig dorthin als sie plötzlich ein überraschten Schrei loslässt und anfängt zu lachen. Das Geräusch kam von Raziel! Die lange Wartezeit hatte ihn selbst einnicken lassen. Das Geräusch war sein lautes Schnarchen! Sie schüttelte Raziel sanft wach. "Was...? Kain, ich will jetzt noch nicht Serafan jagen... nur 5 Minuten, ja?" murmelt Raziel verschlafen. "Ich bin doch nicht Kain! Ich bin Marie! Und jetzt wach auf, Raziel!" Marie lacht und schüttelt Raziel heftiger. Endlich öffnet er schläfrig die Augen. "Was...? Marie! Oh, entschuldige, ich wollte warten, bis du aufwachst, aber anscheinend bin ich selbst eingeschlafen..." entschuldigt sich Raziel und steht, sich müde die Augen reibend, auf. "Der arme Wald! Er hat dir doch gar nichts getan!" sagt Marie kichernd. "Hä? Wovon redest du?" - "Du hast im Schlaf einen ganzen Wald mit deinem Schnarchen abgeholzt!" sagt Marie und lacht. Raziel wird rot, was zu seiner blassen Haut nicht wirklich passen will, und Marie lacht noch mehr. Als sie sich endlich wieder einkriegt, fragt Raziel: "Möchtest du denn nicht deine Familie kennenlernen? Die anderen Vampire sind sicher neugierig und wollen deine Bekanntschaft machen. Sie hatten vor deiner Erschaffung schließlich nicht viel Zeit dafür. Draussen ist es bereits dunkel, und ich glaube kaum, dass du deine Jungvampirzeit die ganze Zeit hier verbringen willst!" - "Natürlich nicht! Los! Auf zu deinem Clan!" Marie ist richtig aufgeregt, denn sie hatte noch nie Raziels Clan sehen dürfen. Als Mensch wäre sie bei den Versuch sicherlich getötet worden. Raziel bringt sie leichten Schrittes zu Fuß zum Clan, da Marie das Fliegen immer noch nicht gemeistert hat. Marie sieht sich bereits auf dem Hinweg überall genaustens um, denn wenn sie - wie Raziel schon gesagt hatte - den Rest ihres nunmehr unsterblichen Lebens hier verbringen wird, muss sie sich die Umgebung ziemlich gut einprägen. Da sie sich auf unbekanntem Boden befindet, läuft Marie etwas langsam und ziemlich unsicher. Raziel hat dies natürlich sofort bemerkt und verringert seine Laufgeschwindigkeit daher etwas. "Keine Angst Marie. Du brauchst nicht unbedingt langsam machen. Du bist jetzt unsterblich, da hast du mehr als genügend Zeit, dir alles einzuprägen." - "Ich weiß, aber es ist dennoch ungewohnt für mich. Außerdem muss ich mich erst einmal an meine vampirische Wahrnehmung gewöhnen... mein Gehör, meine Augen und mein Geruchssinn scheinen förmlich zu rebellieren. Ich höre Geräusche, die ich noch nie gehört habe, rieche Dinge, deren Geruch ich gar nicht zuordnen kann und sehe die ganze Welt in neuem Glanz. Da muss ich mich erst dran gewöhnen, Master." sagt Marie schüchtern und schaut auf den Boden. Dann zuckt sie plötzlich auf. "Habe...habe ich dich grade... Master genannt?" fragt sie verwirrt. "Ja, Marie. Aber es braucht dich nicht zu beunruhigen. Viele Vampire nennen ihren Schöpfer 'Master'. Es ist also völlig normal." beruhigt Raziel sie. "Achso... und ich hatte schon befürchtet, es wäre schlimm, wenn ich dich Master nenne..." - "Tja, das ist der Respekt gegenüber dem Schöpfer, der in jedem Vampir sofort nach der Erschaffung verankert ist." erklärt Raziel. Da kommen die Beiden auch schon im Clan an. Marie geht langsamer und versteckt sich schüchtern hinter Raziels Rücken. "Nun komm schon, man kanns auch übertreiben, Marie!" sagt Raziel lachend. Marie hält sich dennoch weiterhin hinter Raziel versteckt. Er lässt sie gewähren. Viele seiner Kinder sehen neugierig zu Marie, als sie an ihnen vorübergehen. Manche begrüßen sie sogar mit einem freundlichen "Guten Abend". Raziel führt Marie durch den Clan und zeigt ihr alles. "Es wird sicherlich mehr als eine Nacht in Anspruch nehmen, dir alles zu zeigen." gab Raziel zu. "Aber ich denke, in etwa zwei-drei Tagen haben wir das wichtigste hinter uns. Er führt sie zur Ruhestätte, wo die die Vampire sich normalerweise zur Ruhe legen. Das Gebäude ist über und über mit Särgen voll gestellt. "Ähm... weiß man da noch überhaupt, welcher Sarg wem gehört?" fragte Marie unsicher, weil sie in dem ganzen Sargwirrwarr überhaupt keinen Überblick hatte. "Natürlich. Es mag schwieriger aussehen seinen Sarg zu finden als es auf den ersten Blick aussieht." antwortet Raziel lächelnd, und wie zum Beweis nennt er die Namen einiger Razielim und führt Marie immer ganz genau zu den Särgen. "Ich glaube kaum, dass ich mir das alles merken kann." wisperte Marie betroffen. "Das wirst du noch, ganz bestimmt. Jetzt, wo du ein Vampir bist, hast du ja genügend Zeit, dir alles in Ruhe anzusehen und einzuprägen. Komm. Lass uns weitergehen. Es gibt noch viele Dinge, die ich dir zeigen möchte." sagt Raziel lächelnd und führt Marie weiter durch den Clan, welcher Marie mit jedem Schritt größer vorkam. "Master, ich glaube es einfach nicht so recht, dass ich das alles irgendwann in und auswendig kenne..." - "Du denkst immer noch wie ein Sterblicher, Marie." stellte Raziel belustigt fest. "Du musst versuchen zu verstehen das die Zeit keinen Einfluss mehr auf dich hat. Vergiss nicht, du bist nun unsterblich!" Marie nickte schüchtern. Sie gab sich wirklich große mühe, nicht ständig wie ein Mensch zu denken. "Ich gebe zu, ein kleiner Anteil an sterblichem Verhalten ist durchaus nötig. Wenn man sich vor Menschen wie ein Vampir verhält, hilft einem selbst die beste Tarnung nicht viel." gab Raziel lächelnd zu verstehen. "Man muss also genau abwägen, wann man sich wie ein Vampir verhält und wann wie ein Sterblicher. Man braucht einen natürlichen Ausgleich zwischen menschlichen und vampirischem Verhalten." Raziel und Marie schreiten weiter durch Raziels riesigen Clan. Sie gehen an einem Gebäude vorbei, aber Raziel bleibt nicht stehen um zu erklären, was sich im Inneren befindet. Das wundert Marie. "Ähm... Master?" sprach Marie ihren Schöpfer an und blieb stehen. "Ja, was ist, Marie?" entgegnete Raziel fragend, blieb ebenfalls stehen und drehte sich zu Marie. Diese zeigte mit ihrem Finger auf das Gebäude und fragte: "Was ist das eigentlich für ein Gebäude?" Raziel lächelte. "Ach das. Im Inneren befindet sich der Metamophoseraum, wo sich die Vampire in Ruhe entwickeln können." erklärte er mit ruhiger Stimme. Aber Marie sah ihn nur mit noch verwirrterem Blick an. Wieder lächelte Raziel amüsiert. "Vampire entwickeln sich nicht beständig weiter, so wie Menschen, sondern fallen von Zeit zu Zeit in eine Art Schlaf, aus dem sie verwandelt wieder erwachen. Vampire, bei denen dies geschieht brauchen Ruhe und Sicherheit, sonst wird die Entwicklung abgebrochen oder gestört, sodass sie sich falsch entwickeln. Deshalb dieses Gebäude. Es darf nur von Vampiren betreten werden, die bald in ihren Metamorphose-Schlaf fallen. Anderen Vampiren ist der Zutritt verboten. Deshalb werde ich mit dir auch nicht hineingehen, um dir die Inneneinrichtung zu zeigen." versuchte Raziel nun näher zu erklären. Marie nickte. Sie verstand es zwar noch nicht so recht, aber sie war sich sicher, das diese Wissenslücke irgendwann gefüllt werden würde. "Aber Master, woher wissen die Vampire, wann sie sich entwickeln?" fragte sie weiter. Raziel seufzte, es war doch ziemlich nervig, ständig Fragen beantworten zu müssen. Dennoch antwortete er ihr: "Das ist eigentlich ganz einfach. Vampire, die sich bald entwickeln, werden reizbarer, und sie brauchen weitaus mehr Blut, um sich satt zu fühlen. Menschen mögen solche Dinge weniger auffallen, aber Vampire haben ein besonderes Gespühr für Veränderungen. Deshalb wissen sie oft ziemlich genau, wann der Metamorphose-Schlaf eintritt und bereiten sich dementsprechend vor." Erneut nickte Marie. Jetzt verstand sie schon weitaus mehr. Die Nacht war noch jung, und da Marie und Raziel einen mitunter ziemlich flotten Schritt hatten waren sie in ungefähr einer Stunde schon fast durch den ganzen Clan gelaufen. Folglich wusste Raziel zunächst nicht, was sie als Nächstes tun konnten, um die Nacht noch so gut wie möglich zu nutzen. Doch Marie hatte da schon eher eine Idee. Während ihrer 'Sightseeing-Tour' durch den Clan stieg nicht nur Raziels, sondern auch Maries Blutdurst an. Schließlich hatten beide heute noch nichts getrunken. Und so kam es, das Marie ihren Schöpfer schüchtern ansprach. "Master, ich habe Durst, ich würde gern trinken. Können wir nicht wieder zurück zum Erschaffungsgebäude gehen, damit du mir mein Opfer bringen kannst?" Raziel sah sie etwas entgeistert an, dann lächelte er keck. "Warum dir bringen, Marie? Wir könnten doch zusammen auf die Jagd gehen. Außerdem: nur weil du noch ein Neuling bist, muss das nicht heißen, das du nicht jagen kannst. Und Früher oder Später musst du ohnehin lernen, wie man jagt. Also gehen wir zusammen." Marie nickte nur schwach. Was sollte sie auch sonst tun, sie war schließlich auf Raziels Hilfe angewiesen. "Aber..." begann sie leise "Was ist mit der Verteidugungsmauer, den Serafan und dem Wassergraben? Ich glaube nicht, das wir daran vorbei kommen..." - "Mach dir da mal keine Sorgen!" entgegnete Raziel. "Wir fliegen einfach drüber." Marie sah zu Boden. "Aber... ich hab doch noch gar nicht das fliegen gemeistert..." gab sie schüchtern zu verstehen. "Stimmt daran habe ich gar nicht mehr gedacht..." meinte Raziel, und sein Blick wurde nachdenklich. Es musste doch einen Weg geben, wie sie beide rüberkamen, ohne in einen Kampf mit den Serafanen verwickelt zu werden. Dann ging Raziel ein Licht auf. "Ich habe eine Idee. Warum nehme ich dich nicht einfach auf den Rücken und fliege mit dir über die Verteidigungsmauer? Ich meine, wenn ich schon einen schweren, erwachsenen Sterblichen tragen kann, warum dann nicht eine junge Vampirin wie dich?" Marie Blick hellte sich auf. "Stimmt, Master!" Raziel lächelt überlegen und schon klettert Marie auf dessen Rücken. Raziel breitet seine Flügel aus und hebt ab. Er schwebt noch etwas über seinem Clan, dann fliegt er los in Richtung Zitadelle der Menschen. Unbemerkt von den Serafan, die eher auf Vampire auf dem 'Boden der Tatsachen' warteten, gleitete Raziel mit Marie auf seinem Rücken über die Verteidigungsmauer, wo er in einer dunklen, unbelebten Gasse landete... Kapitel 7: Lernen, ein Vampir zu sein ------------------------------------- Als Raziel und Marie in der dunklen Gasse nahe der Stadtmauern gelandet waren, spähte Raziel vorsichtig um die Ecke, um sicher zu gehen, das ihnen nicht noch ein Serafan entgegenkam. Glücklicherweise befanden sich fast alle vor den Stadtmauern. Und diese hatten Raziel und Marie bereits hinter sich gebracht. Zufrieden schlenderte Raziel mit Marie durch die Stadt. Und obwohl es sich um eine Großstadt handelte, wandelten nur wenige Leute auf den dunklen Gassen. Zu sehr fürchteten sich die Menschen - trotz der aufmerksamen Serafan - das sie Opfer von Vampiren, wie Raziel und Marie, werden konnten. Eine Jagd würde sich also schwierig gestalten. Doch Raziel wäre nicht Raziel, wenn er nicht wüsste, wo sich selbst zu dieser späten Stunde noch unvorsichtige Sterbliche aufhielten. Raziel nahm Marie selbstsicher an der Hand und führte sie ruhigen Gemütes und mit kaum hörbaren Schritten in die Nähe einer bekannten Kneipe. Raziel unterließ es aber, die müde heimtorkelnden Sterblichen anzugreifen. Denn diese besaßen zum Großteil sehr viel Alkohol im Blut, und das würde besonders Marie als jungem Vampir nicht gut bekommen. Es hieß also auf einen späten Besucher, der noch nüchtern war, zu warten. Vom Schatten einer Hauswand vor Beobachtern geschützt verharrten Marie und Raziel geduldig einige Meter von der Kneipe entfernt. Marie nutzte die Zeit der Ruhe dazu, ihre Umgebung zu inspizieren. Als Mensch hatte sie sich wie viele nach Einbruch der Nacht nicht mehr aus dem Haus gewagt. Nach dem Tod ihrer Eltern durch die Vampire war sie sogar noch vorsichtiger geworden. Doch nun, als Vampir, brauchte sie sich weniger um ihre Sicherheit zu sorgen und konnte beruhigt die Schönheit der Stadt im Sternenlicht bewundern, und ihre neu erworbenen, vampirischen Sinne ließen sie weitaus mehr Details erkennen, als sie es als Mensch je vermocht hätte. Ihr Blick ruhte auf dem reich funkelden Sternenzelt, als sie Raziels Hand auf ihrer Schulter spührte. Kaum sah sie zu ihrem Schöpfer, bedeutete dieser ihr mit einer kaum wahrnehmbaren Kopfbewegung in die Richtung einer Seitengasse zu blicken. Aus eben dieser hoben sich schon bald die schwachen Konturen eines jungen Mannes hervor. "lass mich sehen, wie du jagst, Marie. Ich werde mich im Hintergrund halten und dafür Sorgen, das er dir nicht entkommen kann und wir auch nicht von den Serafan bemerkt werden." flüsterte Raziel leise, während der Mann - unwissend, das er bereits dem Tode geweiht war - langsam aus der Seitengasse trat. Marie nickte und trat unsicher einige Schritte aus dem Schatten heraus. Dann jedoch zögerte sie und sah hilfesuchend zu Raziel. Es war ihr anzusehen, das ihre Unerfahrenheit sie verunsicherte. Aber Raziels aufmunterndes Lächeln ermutigte sie wieder, sodass sie sich - vorsichtig darauf bedacht, leise und unbemerkt zu bleiben - hinter den Mann schlich. Als sie direkt hinter ihm stand, sah sie erneut unsicher zu Raziel, welcher nur aufmunternd nickte. Darauf sprang Marie ihr männliches Opfer hinterrücks an und riss ihn durch die Wucht des starken Aufpralls zu Boden. Der Mann schien sich schnell von dem ersten Schock erholt zu haben, erkannte, was Marie war und versuchte sich panisch aus ihrem Griff zu befreien. Marie hielt ihn - wenn auch mit unsicheren Blick, da sie noch so unerfahren war - fest wie in einem Schraubstock. Als Maries Opfer erkannte, dass er sich nicht befreien konnte, versuchte er zu schreien. Raziel erkannte die Gefahr sofort und rief Marie hastig zu: "Beiß zu! Schnell!" Marie folgte Raziels Aufforderung und biss genau in dem Moment zu, als ihr Opfer schreien wollte. Durch den höllischen Schmerz ihres Bisses drang aus der Kehle des todgeweihten Mannes nun kein Schreien, sondern nur ein ersticktes Stöhnen. erneut versuchte er sich zu wehren, doch nun war es ohnehin zu spät. Mit jedem Tropfen Blut, das Marie aus ihrem Opfer saugte, wurde er schwächer. Raziel stand seelenruhig neben der gierig trinkenden Marie und schob Wache. Jedoch war ihm nicht entgangen, dass einige misstrauische Stimmen aus der Kneipe drangen. Raziel wurde langsam unsicher. Wenn die Sterblichen in der Kneipe den Angriff auf Maries Opfer gehört hatten, wurde es langsam brenzlig. Schließlich könnten sich auch einige Serafan im Gebäude befinden. Und wie auf ein stummes Kommando auf Raziels Gedankengänge vernahm er auch schon feste, entschlossene Schritte nahe des Eingangs. Raziel wandte sich zu Marie, die ihr mittlerweile bereits totes Opfer schon fast leergesaugt hatte. "Marie, wir sollten verschwinden. Wir haben scheinbar Aufsehen erregt." Obwohl Raziels gedämpfte Stimme ruhig klang, schreckte Marie sofort hoch und sprang geschmeidig auf ihre Beine. Raziel nickte kurz und sie beeilten sich, wieder in den schützenden Schatten der Häuser zu gelangen. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment traten drei Serafan aus der Kneipe. Einen davon erkannte Raziel wieder: Serek, der Serafan, der Raziel damals aus dem Kerker der Serafan zur Guillotine am Hinrichtungsplatz geschleift hatte. Wut stieg in Raziel hoch. Er wollte diesen Serafan am liebsten in der Luft zerreißen, sich für die harte, unsanfte Behandlung im Kerker an ihm rächen. Doch mit der unerfahrenen, jungen und somit noch relativ wehrlosen Marie an seiner Seite war es zu riskant. Raziel nahm Marie an der Hand und verließ mit ihr lautlos den Ort des Geschehens. Marie spührte aber, das mit ihrem Schöpfer etwas nicht stimmte. Er war zu unruhig und wirkte auf sie merkwürdig gehetzt. Als sie in einem sicheren Ort in der Stadt stehen blieben, sah sie zu ihm. "Master, was ist los? Du wirkst so unruhig, Raziel, obwohl wir doch schon längst in Sicherheit sind." Raziel seufzte und holte tief Luft, ehe er sprach. "Einen der Serafan, die aus der Kneipe stürmten, habe ich wiedererkannt. Es war jener Serafan, der mich damals in dem Festungskerker zum Hinrichtungsplatz gezogen hat." Kaum hatte Raziel seine Erklärung beendet, bleckte auch Marie mit einem wütenden Fauchen ihre Fangzähne. "Warum sind wir nicht da geblieben und haben diesen jämmerlichen Serafan getötet?" fragte sie ihren Schöpfer. "Sie waren zu dritt, wir nur zu zweit. An für sich muss die zahlenmäßige Überlegenheit der Serafan nichts bedeuten. Ich hätte auch allein gegen sie bestehen können. Du aber, Marie, bist noch ein Neuling. Du bist unerfahren und kennst noch nicht all deinen Fähigkeiten. Ganz zu schweigen davon, dass du sie wahrscheinlich noch nicht richtig kontrollieren könntest. Ich hätte im Kampf auf deine Sicherheit achten müssen und hätte mir sicherlich viele unnötige Blößen gegeben." Mari nickte schwach. Nein, gefährden wollte sie ihren Schöpfer nicht. Dafür mochte sie ihn zu sehr. Da Marie von dem Blut ihres Opfers gesättigt war, nahm Raziel sie wieder auf seinen Rücken, entfaltete seine starken, mächtigen Flügel und flog - wenn er sich auch Gedanken wegen dem Serafan aus der Kneipe Gedanken machte - mit Marie zurück zum Clan... Kapitel 8: Geschwister ---------------------- In Raziels Clan angekommen landeten die Beiden diesmal nicht wieder vor dem Erschaffungsgebäude, sondern mitten im Clan. Marie wirkte sichtlich verwundert und sah zu Raziel. Dieser grinste nur amüsiert. "Ich dachte, du wärst vielleicht daran interessiert, dich mal auf eigene Faust im Clan umzusehen." erklärte Raziel. Maries Augen funkelten erfreut, und sie umarmte ihren Schöpfer. "Danke, Master." Raziel grinste nur breit. "Warum begrüßt du nicht mal deine Geschwister? Ich bin sicher, viele von ihnen möchten dich gerne persönlich kennenlernen, hatten aber bisher durch meine Lehrstunden für dich nicht die Gelegenheit dazu. Möglicherweise lehren sie dich neue Jagdtechniken, die dir besser liegen als meine. Ich selbst muss mich nämlich langsam aber sicher wieder um den Clan kümmern. Zudem habe ich eine telepatische Nachricht von Kain erhalten, das ich zu ihm kommen soll. Ich werde also eine weile fort sein und mich nicht um dich kümmern können." Marie nickte. "Ja, ok, Master. Und... ähm... auch wenn Kain und ich uns noch nicht kennen, richte ihm bitte einen schönen Gruß von mir aus." - "Mache ich, Marie. Also bis später. Und vergiss nicht, vor Sonnenaufgang wieder ins Erschaffungsgebäude zu gehen." Mit diesen Worten entfernte sich Raziel. Als Raziel aus Maries Sichtfeld verschwunden war, sah sie sich neugierig um. Nicht weit von ihr entfernt standen bereits ein paar Razielim und betrachteten sie interessiert. Doch sie rührten sich nicht von Fleck, wahrscheinlich, weil sie sich unsicher waren. Marie jedoch war weniger unsicher und ging ganz spontan direkt auf die Gruppe zu. Einer der Razielim, ein Junge und damit einer ihrer Brüder, lächelte. "Hallo Marie. Schön, das du dich endlich entschlossen hast, uns näher kennenzulernen, Schwesterherz." - "Danke. wie heißt du?" - "Man nennt mich Varyn." entgegnete Maries Bruder. "Und die drei anderen Razielim hier nennen sich Uriel, Seth und Alysia. Uriel ist der Älteste unserer kleinen Gruppe, danach folge ich. Und wenn man dich als wirklich Jüngste im Clan auslässt, wäre in unserer Gruppe hier Seth der Jüngste." Marie nickte schwach und begrüßte dann die anderen drei Vampire freundlich. Eine Weile schwiegen alle, als wüsste niemand, was man nun noch sagen könnte, ehe Alysia das Wort erhob und lässig fragte: "Wollen wir 'Jagen' spielen?" Marie war sofort Feuer und Flamme und rief aufgeregt: "Gern!" Die drei Jungs grinsten nur, und Uriel meinte amüsiert: "Lasst uns zum Clanplatz gehen, dort ist am meisten Platz." Die anderen stimmten mit einem Kopfnicken zu, und sie machten sich ruhigen Schrittes auf den Weg. Der Clanplatz war ein Großer, von Bäumen und Sträuchern umrahmter Platz. Die Pflasterung war so angeordnet das sie, wenn man von oben auf den Platz schaute, das Clanzeichen von Raziel zeigte. Marie verbrachte erst einmal ein paar Minuten damit, sich das beeindruckende Mosaik anzusehen. Varyn klopfte ihr auf die Schulter und meinte schmunzelnd: "Willst du bis Sonnenaufgang auf den Boden starren oder fangen wir irgendwann auch mal an?" Marie blickte auf, sah zu ihrem Bruder und nickte heftig. Daraufhin stellten sich alle in Position. Uriel war als erster das 'Opfer', und Varyn zeigte Marie einige wirkungsvolle Anschleichtechniken. War Marie zu laut, machte sich Uriel ganz wie ein Mensch es tun würde auf die Flucht und blieb in ein paar Metern Entfernung wieder stehen. Erst beim 7. Anlauf schaffte Marie es, Uriel zu erreichen und durch einen Angriff zu Boden zu werfen. Ihre Geschwister applaudierten, ehe Marie Uriels Rolle als Opfer übernahm und nun von Varyn 'gejagt' wurde. So wechselten sie sich gegenseitig ab und brachten so Marie auf amüsante und spaßige Art bei, wie man sich unbemerkt und geräuschlos an sein Opfer schlich. Marie machte das Ganze unglaublich viel spaß, insbesondere, wenn Varyn ihr 'Opfer' war, denn er machte die Jagd immer ziemlich lustig und mit theatralischer Dramatik. Nach der Jagdübung setzten sich die 5 Vampire auf eine Mauer und vertrieben sich die Zeit damit, Figuren im Sternenhimmel zu entdecken. "Seht mal, dieser Sternenhaufen da sieht aus wie ein Baum!" sagte Seth. "Wo denn?" - "Na da, Alysia!" - "Stimmt, jetzt sehe ich es auch." Uriel zeigte an eine andere Stelle. "Das dort sieht wie ein Drache aus." Einstimmiges Nicken war die Antwort. "Hey!" rief da Varyn. "Seht mal dort im Nordosten, neben dem Baum, etwas weiter über dem Drachen!" Alle Köpfe richteten sich in die angegebene Richtung. "Findet ihr nicht, das die Anordnung der Sterne dort unserem Clanzeichen gleicht?" Marie nickte. "Stimmt, das ich das nicht gesehen habe!" Uriel klopfte Varyn anerkennend auf die Schulter. "Mannomann, Varyn, du bist wirklich ein echter Razielim, Bruderherz. Sogar beim Figuren suchen in den Sternen denkst du immer noch an den Clan." Varyn sah nur verlegen zu Boden und schwieg. Das ausgerechnet sein älterer Bruder ihn lobte, ehrte ihn. Aber damit war Maries Ehrgeiz geweckt. Sie wollte auch etwas finden, wo man sie lobte, wo vielleicht sogar Raziel höchstpersönlich sie lobte. Sie stand auf. "Hey, Marie, wo willst du hin?" fragte Seth sie. Marie, von Natur aus ehrlich, antwortete: "Ich möchte auch etwas finden, wo man mich dafür loben kann. Ich möchte unserem Master eine gute Tochter sein. So wie Varyn." Dieser lachte amüsiert. "Gut, dann begleite ich dich, Marie. Du kennst dich hier kaum aus, und bevor du unbeabsichtigt den Clan verlässt und nicht vor Sonnenaufgang zurückfindest..." Uriel und die anderen nickten, Alysia grinste sogar schwach. "Na dann viel spaß, ihr zwei." meinte sie mit leichtem Schmunzeln. Varyn und Marie verabschiedeten sich von ihren 3 Geschwistern und zogen zu zweit weiter durch den Clan. Varyn führe Marie wie Raziel zuvor durch den Clan, und Marie sah sich aufmerksam um, damit sie auch wirklich etwas Interessantes und Bemerkenswertes fand. Aber offenbar hatte Varyn recht: Sie kannte sich kaum aus. Wann immer sie etwas entdeckte, was für sie ungewöhnlich wirkte und Varyn drauf aufmerksam machte, winkte dieser lachend ab und erklärte Marie dann detailreich, was genau daran so gewöhnlich und unbeeindruckend war. Maries Laune sank immer mehr, bis Varyn einen Einfall hatte. "Hey, Marie, wenn du hier nichts findest, warum forschst du dann nicht nach, welche 'Dunkle Gabe' du besitzt?" - "Eine dunkle Gabe? Was ist das?" Varyn grinste. "Jeder Vampir hat eine ihm eigene Fähigkeit, die nur er allein besitzt. Da keine Gabe zweimal vorkommt, wissen viele Vampire, mich und unseren Master eingeschlossen, nicht, welche dunkle Gabe wir haben. Anfangs dachten alle, Raziels Gabe wären seine Flügel. Doch wir Razielim bekamen die gleiche Gabe. Also kann es nicht seine dunkle Gabe sein." Maries Blick erhellte sich. "Das ist es! Ich finde meine dunkle Gabe heraus und überrasche den Master!" Varyn nickte. "Ich unterstütze dich gerne dabei." bot er an, ehe er auch schon verwundert aufzuckte, als Marie ihn in einem Aufschwall von überschwänglicher Freude und Dankbarkeit umarmte. "Wir sollten es allerdings so machen, das wir die bereits bekannten Gaben ausschließen und dann überlegen, ob sie offensiv oder defensiv ist, geschweige denn körperlicher oder geistiger Natur. "Marie nickte, aber ihr Blick zeigte nur zu deutlich, das sie kein Wort verstanden hatte. Varyn seufzte. "Ok, ich nenne dir Beispiele. Es gibt da eine körperlich-offensive Gabe, genannt 'Berserker'. Das ist eine Reihe von zornigen Schlägen, so verherrend in ihrer Stärke, das selbst Vampire sie nicht abwehren können." Als Marie dieses mal nickte, zeigte ihr Blick schon eher Verständnis. "Und eine geistig-defensive Gabe ist zum Beispiel die Gabe 'Bann'. Ich weiß nicht, ob dir in deinem sterblichen Leben erzählt wurde, das Vampire den willen schwacher Menschen manipulieren können. Nun, jedenfalls... Bann verstärkt diese Fähigkeit. So kann man auch willensstarke Menschen kontrollieren." Jetzt war Marie doch ein wenig baff. "Cool. Ich wäre froh, wenn ich eine geistig-offensive Gabe hätte. So wie jemanden mit Gedankenkraft töten." - "Nun, diese Gabe gibt es noch nicht. Zumindest habe ich noch nie von einem solchen Fall gehört. Manchmal wünschte ich aber auch, einen dieser nervigen Serafan mittels eines Blickes töten zu können." Varyn schmunzelte. "Andererseits... wenn du diese Gabe besitzt, möchte ich dir nicht unbedingt noch einmal in die Augen sehen!" auf diese Worte hin musste Marie lachen. Varyn zuckte lässig mit den Schultern. "Also dann, lass uns nachforschen, Varyn. Ich bin echt gespannt, ob wir meine Gabe herausfinden und welche es ist!" Varyn nickte und so fingen sie an, Maries Gabe zu entdecken... Kapitel 9: Maries ungewöhnliche Gabe ------------------------------------ Varyn und Marie liefen ruhigen Schrittes durch den Clan auf der Suche nach Maries Gabe. Ständig überlegten sie sich die unmöglichsten und irrwitzigsten Möglichkeiten einer Gabe. "Stell dir mal vor, ich wäre unbesiegbar. Ich meine, das man mein Herz durchbohren kann, sooft man will, und ich würde dennoch nicht vernichtet werden." schlug Marie als Lösung vor. Varyn lachte. "Wer würde nicht gerne eine solch hilfreiche Gabe haben? Aber nein, ich schätze mal, das wäre zu abwegig." Marie seufzte. "Wäre auch zu schön gewesen..." Varyn überlegte. "Hmm... oder wenn du über das Wetter herrschen könntest... das wäre was." - "Oh ja, ich versuchs mal!" rief Marie begeistert. Sie breitete die Arme in einer einladenden Geste aus und rief in den Himmel: "Erhebt euch, ihr Stürme! Erhebt euch und entfaltet eure Macht über diese Ebene bis hin zur Serafan-Festung, wo ihr eure ganze zerstörerische Kraft ausleben sollt!" Es wurde still um die beiden Vampire, doch nichts geschah. Marie blickte betrübt zu Boden. Varyn legte aufmunternd eine Hand auf Maries Schultern "Ich glaube, je intensiver wir suchen, umso schwieriger wird es, deine Gabe zu finden. Vielleicht sollten wir einfach abwarten und deine Gabe auf uns zukommen lassen, als sie weiterhin zu suchen." Marie nickte schwach und betrübt, aber nachdem die beiden Vampire eine Zeit lang weiter gelaufen waren, besserte sich ihre Laune, und die beiden fingen an, über Gott und die Welt zu erzählen. Nach einer Stunde fielen den beiden kaum noch Themen ein, über die sie reden konnten, und Schweigen breitete sich unter den Beiden aus. Ein starker Wind wehte den Beiden durch die Haare, und Varyn versuchte zu verhindern, das ihm Staub und Blätter ins Gesicht schlugen. Sein Blick fiel auf seine abwehrend hochgehaltene Klaue, und er seufzte. Marie sah ihn fragend an, und Varyn lächelte schwach. "Es ist nichts, Marie. Ich habe nur grade an meine sterbliche Vergangenheit gedacht..." Kaum hatte Varyn seine Erklärung beendet, funkelten Maries Augen interessiert auf. Varyn verstand die Bedeutung dieses Funkeln, und er begann, von seiner Vergangenheit zu erzählen. "Ich wurde in Uschtenheim, hoch im Nordosten, geboren. Mein Vater war ein wohlhabender Händler und oft auf Geschäftsreisen, weshalb ich ihn nur selten zu Gesicht bekam. Ich kann mich kaum noch an ihn erinnern, aber ich weiß noch, das er mir, seinem einzigen Kind, immer etwas von seinen Reisen mitbrachte. Eines Tages brachte er mir sogar den Reißzahn eines Vampirs mit, dem er einem Serafan für viel Geld abgekauft hatte. Seitdem trug ich ihn als Talisman an einer Halskette. Alle meine Freunde waren neidisch auf mich und meinen Talisman. Aber leider hielten uns die Vampire wegen eben diesen Talisman für gefährlich. Ich ahnte nichts von der schleichenden Gefahr für mich und meine Famlilie. Erst als mein Vater über Monate hinweg nicht mehr zurückkehrte und unser Geld knapp wurde, war mir bewusst geworden, das er nicht mehr lebte..." Blutige Tränen waren Varyn in die Augen getreten, als er sich an diesen schmerzlichen Verlust erinnerte, sodass Marie mitleidig nach Varyns Klaue griff und sie sanft drückte. Varyn erzählte weiter, als ob er Marie gar nicht bemerken würde. Sein Blick war starr auf den Horizont gerichtet, während sie weitergingen und den Clan allmählich verließen. "Doch schlimmer als die Gewissheit, das mein Vater tot war, war es, zu sehen, wie ich und meine Mutter immer mehr verarmten. Da half es auch nichts, das meine Mutter als Kellnerin in einem Wirtshaus arbeitete und ich mir ein Zubrot verdiente, indem ich den Menschen in Uschtenheim bei ihren Hausarbeiten half. Wir magerten beide immer mehr ab, waren schließlich unterernährt. Aber noch immer trug ich meinen Talisman bei mir, da er mir die Hoffnung gab, es könnte alles wieder besser werden. Doch es verschlimmerte sich nur. Schließlich war meine Mutter vor Hunger so schwach, das sie krank wurde. Der Hunger kombiniert mit der Krankheit war zu viel für ihren gemarterten Körper, und sie starb. Nun war ich ganz allein, meine letzten Hoffnungen waren zerstört, fortgeweht wie eine Feder, die sich ein Vogel beim Säubern seines Gefieders ausgerupft hatte. Ich stand oben am Bergsee nahe Uschtenheim, wo damals der letzte Ur-Vampir, Janos Audron, in seinem Schloss im Zentrum des Sees wohnte, und sah gedankenverloren ins Wasser. Mein Gesicht war tränenüberflutet, so verzweifelt war ich. In meiner Trauer und Verzweiflung bemerkte ich nur schwach, das sich mir eine Person näherte, bis sie direkt hinter mir stand. Ich fühlte die Anwesendheit der Person hinter mir, aber ich drehe mich nicht um. Immer noch weinend fiel mein Blick auf meinen Talisman, und abgrundtiefer Hass auf diesen Glücksbringer erfasste mich. Ich riss ihn mir vom Hals und warf ihn im hohen Bogen in den See, wo er zischend aufschlug und sich auflöste wie eine Brausetablette in einem Glas Wasser. In diesem Moment legte die Person hinter mir die Hand auf meine Schulter, zweifelsohne als eine Geste des Trostes. "Du hast deine Lektion gelernt, Kind." vernahm ich die männliche Stimme der Person hinter mir. Ich zuckte kurz zusammen, aber dann drehte ich mich abrupt um, schlang schluchzend meine Arme um den Fremden und weinte erneut hemmungslos. Der Fremde schien unter meinen Tränen zurückzuzucken, als hätte ich ihn mit einer Nadel gestochen, aber dann legte er seinen Arm um mich, beugte sich zu mir hinab und flüsterte mir ins Ohr: "Es wird Zeit, dein Leiden zu beenden. Dieses Leben hat keinen Sinn mehr für dich. Deshalb werde ich dir ein neues Leben geben, auf dass es besser sei als dein Vorheriges." Ich verstand nicht, was der Fremde meinte, und ich wollte meinen tränenverschmierten Kopf heben und ihn fragen, was diese Worte zu bedeuten haben, aber da spührte ich plötzlich einen entsetzlichen Schmerz in meiner Kehle. Sofort verstand ich, was mit mir geschah, aber ich wehrte mich nicht. Ich wusste, das ich zu schwach war, um mich aus seinem Griff zu befreien. Und selbst wenn ich es geschafft hätte, so wäre ich irgendwann sicher wie meine Mutter am Hunger zugrunde gegangen. Ich rechnete eigentlich damit, das er mich einfach nur leertrank und mein Lebenslicht ausblasen würde, aber plötzlich endete der Schmerz, und ich sank zu Boden. Ich versuchte meine Augen zu öffnen, aber ich war zu schwach. Dann spühte ich, wie eine warme, dickflüssige Flüssigkeit auf meine Lippen tropfte, und schlagartig erinnerte ich mich an die letzten Worte des Vampirs. Er wollte mich umwandeln, daran bestand kein Zweifel. Ich wandte mich angewidert ab. Ich war so verblendet von der Meinung der Sterblichen, Vampire seien Monster, das ich nicht selbst zu einem Solchen werden wollte. Aber der Vampir gab nicht nach und zwang mich, sein Blut zu trinken, und bald schon erstarb mein Widerstand und ich begann zu trinken. Und nun... bin ich schon seit 126 Jahren ein Vampir." Marie sah Varyn mit großen, verwundert aufgerissenen Augen an. Varyn nickte. "Es war anfangs schwer, mit meiner neuen Existenz klar zu kommen, aber ich habe mich mit der Zeit daran gewöhnt." Marie lächelte schwach, ihr Blick glitt zur Seite. dabei fiel ihr auf, das sie de Clan bereits weit hinter sich gelassen hatten. Auch Varyn schien es zu bemerken, doch mit der Erkenntnis zeigte sich auch Entsetzen in seinem Blick. "Varyn, was ist los?" Varyn antwortete micht, sondern zeigte in Richtung Horizont, wo sich bereits ein schwacher Rotschimmer am Himmel abhob. "Oh nein! Die Sonne! Wir müssen sofort zum Clan zurück!" rief Marie, nun vom selben Entsetzen erfüllt wie Varyn. Dieser schüttelte den Kopf. "Das schaffen wir nicht mehr, Marie. Das Erschaffungsgebäude ist zuweit entfernt. Du kannst noch nicht fliegen und meine Flügel sind zu schwach, als das sie uns Beide durch die Lüfte tragen könnten." Maries Blick zuckte verzweifelt hin und her. Varyn zischte hörbar auf. "Ach verdammt, wir müssen es einfach versuchen!" Mit diesen Worten packte er Maries Klaue und sie rannten so schnell sie konnten zum Clan zurück. Sie hatten die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, da durchbrach die Sonne die Grenze zum Horizont und hüllte den Clan, welchen die beiden Vampire bereits erreicht hatten, in helles Tageslicht. "Verdamt! Wir sind zu spät!" Varyn blickte zu seiner kleinen Schwester, die bereits wimmerte und vor Schmerz leise zischte. Weißer Qualm stieg von ihrem Körper auf, aber sie zwang sich, weiter zu laufen. Varyn nahm ihre qualmende Hand und zog sie verzweifelt mit sich. Doch schon 5 Minuten später stiegen schmerzhafte Flammen aus Maries Haut empor und zwangen die junge Vampirin zu Boden. Verzweifelt rief Varyn ihren Namen, aber Marie war von den Flammen bereits so geschwächt, das sie sich nicht mehr rühren konnte. Varyn bereitete sich bereits auf Maries qualvollen Tod vor, als sich plötzlich etwas im Schatten der Clangebäude regte. Varyn traute seinen Augen nicht, als sich die Schatten zu furchteinflößenden Monstern verdichteten und auf die brennende Marie zuliefen. Varyn bekam es mit der Angst um Marie zu tun und stellte sich den Kreaturen tapfer entgegen. Doch sie demateralisierten sich vor ihm, zogen als Schattenwolken an ihm vorbei und setzten sich hinter ihm wieder zusammen. Bald schon hatten die ersten Schattenmoster Marie erreicht und umhüllten sie. Varyn schrie, die Monster sollten sie in Ruhe lassen, aber sie ignorierten sein Geschrei. Je mehr Varyn sich die Seele aus dem leib herausschrie, umso mehr bemerkte er, das die Flammen, die an Marie zehrten, erlöschten. Sie hörte auf zu qualmen und begann sich langsam wieder zu bewegen. vVaryns Geschrei war verstummt, er stand nur schweigend da und sah verdattert und mit offener Kinnlade auf das Bild, das sich vor ihm abspielte. Marie hatte sich aufgerichtet und sah genauso sprachlos auf die Kreaturen, die sie schützend umhüllten. "Varyn...? Was... Was geschieht hier?" Varyn stand noch immer mit offener Kinnlade da, ehe er sich endlich wieder fing und langsam zu verstehen begann. "Diese Kreaturen schützen dich vor der Sonne, Marie. Ich glaube..." Varyn stockte. Er schluckte, und fuhr dann fort: "Meine Güte, Marie! Das ist die Antwort auf unsere Suche. Diese Kreaturen... Deine Dunkle Gabe ist, sie zu kontrollieren!" Maries Augen weiteten sich, sie sah zu den Monstern, die sie schweigend musterten. Als ob sie Varyns Worte prüfen wollte, streckte sie die Hand in Richtung eines Schattens und wie auf ein stummes Kommando erhob sich eine weitere Kreatur aus dem Schatten und ging auf Marie zu, ohne sie zu bedrohen. "Ich fasse es nicht. Ich kann die Kreaturen des Schattens kontrollieren!" Marie lächelte und lief zu Varyn, wobei die Schattenkreaturen mit ihr liefen, um sie weiterhin vorm Sonnenlicht zu schützen. Als Marie ihren Bruder erreichte, umarmte sie ihn so heftig, das beide Vampire zu Boden fielen. Lachend schob Varyn Marie von sich herunter und richtete sich auf. "Eine wirklich beeindruckende Gabe, Marie. Mit so etwas habe ich wirklich nicht gerechnet." - "Glaubst du ich? Diese Kreaturen sind so... sanft zu mir. Dabei sehen sie so angsteinflößend aus." Varyn nickte zustimmend. "Hmm... vielleicht kannst du sie auch gegen die Serafan nutzen. Sie sehen eher wie Kämpfer als wie Beschützer aus." Marie überlegte eine Weile und betrachtete die Kreaturen um sich, die sie mit einem abwartenden Blick musterten. Schließlich nickte sie. "Stimmt. Ab sofort werde ich diese Kreaturen gegen unsere Feinde hetzen, um den Clan zu schützen. Unser Master wird sicher stolz auf mich sein." Varyn trat zu ihr und klopfte Marie auf die Schultern. Dabei bemerkte er, das die Kreaturen ihn kurz misstrauisch ansahen. Offenbar schätzten sie ab, ob Varyn eine Bedrohung war. "Das wird er. Garantiert." Varyns blick richtete sich gen Himmel, zu dem hellen Licht der Sonne. "Du kannst dank deiner Gabe zwar im Sonnenlicht wandeln, aber ich weiß nicht, wie lange diese Kreaturen Schutz bieten können. Lass uns lieber zum Erschaffungsgebäude gehen." Marie lächelte, nickte schwach und ging dann los, dicht gefolgt von den Schattenkreaturen. Varyn schüttelte nur amüsiert den Kopf, ehe er Marie folgte. Dank Maries 'Untertanen' erreichten sie das Erschaffungsgebäude ohne weitere Zwischenfälle. Als Marie in die Dunkelheit des Gebäudes eintrat, fingen die Kreaturen nach und nach an, sich wieder in die üblichen Schatten zu verwandeln. Interessiert sahen sich die beiden Vampire das Schauspiel bis zum Ende an. Danach klopfte Varyn Marie wie so häufig auf die Schulter. "Ich glaube, wenn du morgen Abend unserem Master deine Gabe offenbarst, wird er sich ziemlich wundern." - "Darauf wette ich!" meinte Marie lachend. "Nun denn. Ich wünsche angenehme Tagruhe, Schwesterherz." -"Danke Varyn. Bis morgen Abend." Varyn winkte Marie noch ein letztes Mal zum Abschied, dann verließ er das Erschaffungsgebäude, um Marie ruhen zu lassen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)