Raziels erste Liebe von Mephiles (oder: kann ein Vampir überhaupt lieben?) ================================================================================ Kapitel 9: Maries ungewöhnliche Gabe ------------------------------------ Varyn und Marie liefen ruhigen Schrittes durch den Clan auf der Suche nach Maries Gabe. Ständig überlegten sie sich die unmöglichsten und irrwitzigsten Möglichkeiten einer Gabe. "Stell dir mal vor, ich wäre unbesiegbar. Ich meine, das man mein Herz durchbohren kann, sooft man will, und ich würde dennoch nicht vernichtet werden." schlug Marie als Lösung vor. Varyn lachte. "Wer würde nicht gerne eine solch hilfreiche Gabe haben? Aber nein, ich schätze mal, das wäre zu abwegig." Marie seufzte. "Wäre auch zu schön gewesen..." Varyn überlegte. "Hmm... oder wenn du über das Wetter herrschen könntest... das wäre was." - "Oh ja, ich versuchs mal!" rief Marie begeistert. Sie breitete die Arme in einer einladenden Geste aus und rief in den Himmel: "Erhebt euch, ihr Stürme! Erhebt euch und entfaltet eure Macht über diese Ebene bis hin zur Serafan-Festung, wo ihr eure ganze zerstörerische Kraft ausleben sollt!" Es wurde still um die beiden Vampire, doch nichts geschah. Marie blickte betrübt zu Boden. Varyn legte aufmunternd eine Hand auf Maries Schultern "Ich glaube, je intensiver wir suchen, umso schwieriger wird es, deine Gabe zu finden. Vielleicht sollten wir einfach abwarten und deine Gabe auf uns zukommen lassen, als sie weiterhin zu suchen." Marie nickte schwach und betrübt, aber nachdem die beiden Vampire eine Zeit lang weiter gelaufen waren, besserte sich ihre Laune, und die beiden fingen an, über Gott und die Welt zu erzählen. Nach einer Stunde fielen den beiden kaum noch Themen ein, über die sie reden konnten, und Schweigen breitete sich unter den Beiden aus. Ein starker Wind wehte den Beiden durch die Haare, und Varyn versuchte zu verhindern, das ihm Staub und Blätter ins Gesicht schlugen. Sein Blick fiel auf seine abwehrend hochgehaltene Klaue, und er seufzte. Marie sah ihn fragend an, und Varyn lächelte schwach. "Es ist nichts, Marie. Ich habe nur grade an meine sterbliche Vergangenheit gedacht..." Kaum hatte Varyn seine Erklärung beendet, funkelten Maries Augen interessiert auf. Varyn verstand die Bedeutung dieses Funkeln, und er begann, von seiner Vergangenheit zu erzählen. "Ich wurde in Uschtenheim, hoch im Nordosten, geboren. Mein Vater war ein wohlhabender Händler und oft auf Geschäftsreisen, weshalb ich ihn nur selten zu Gesicht bekam. Ich kann mich kaum noch an ihn erinnern, aber ich weiß noch, das er mir, seinem einzigen Kind, immer etwas von seinen Reisen mitbrachte. Eines Tages brachte er mir sogar den Reißzahn eines Vampirs mit, dem er einem Serafan für viel Geld abgekauft hatte. Seitdem trug ich ihn als Talisman an einer Halskette. Alle meine Freunde waren neidisch auf mich und meinen Talisman. Aber leider hielten uns die Vampire wegen eben diesen Talisman für gefährlich. Ich ahnte nichts von der schleichenden Gefahr für mich und meine Famlilie. Erst als mein Vater über Monate hinweg nicht mehr zurückkehrte und unser Geld knapp wurde, war mir bewusst geworden, das er nicht mehr lebte..." Blutige Tränen waren Varyn in die Augen getreten, als er sich an diesen schmerzlichen Verlust erinnerte, sodass Marie mitleidig nach Varyns Klaue griff und sie sanft drückte. Varyn erzählte weiter, als ob er Marie gar nicht bemerken würde. Sein Blick war starr auf den Horizont gerichtet, während sie weitergingen und den Clan allmählich verließen. "Doch schlimmer als die Gewissheit, das mein Vater tot war, war es, zu sehen, wie ich und meine Mutter immer mehr verarmten. Da half es auch nichts, das meine Mutter als Kellnerin in einem Wirtshaus arbeitete und ich mir ein Zubrot verdiente, indem ich den Menschen in Uschtenheim bei ihren Hausarbeiten half. Wir magerten beide immer mehr ab, waren schließlich unterernährt. Aber noch immer trug ich meinen Talisman bei mir, da er mir die Hoffnung gab, es könnte alles wieder besser werden. Doch es verschlimmerte sich nur. Schließlich war meine Mutter vor Hunger so schwach, das sie krank wurde. Der Hunger kombiniert mit der Krankheit war zu viel für ihren gemarterten Körper, und sie starb. Nun war ich ganz allein, meine letzten Hoffnungen waren zerstört, fortgeweht wie eine Feder, die sich ein Vogel beim Säubern seines Gefieders ausgerupft hatte. Ich stand oben am Bergsee nahe Uschtenheim, wo damals der letzte Ur-Vampir, Janos Audron, in seinem Schloss im Zentrum des Sees wohnte, und sah gedankenverloren ins Wasser. Mein Gesicht war tränenüberflutet, so verzweifelt war ich. In meiner Trauer und Verzweiflung bemerkte ich nur schwach, das sich mir eine Person näherte, bis sie direkt hinter mir stand. Ich fühlte die Anwesendheit der Person hinter mir, aber ich drehe mich nicht um. Immer noch weinend fiel mein Blick auf meinen Talisman, und abgrundtiefer Hass auf diesen Glücksbringer erfasste mich. Ich riss ihn mir vom Hals und warf ihn im hohen Bogen in den See, wo er zischend aufschlug und sich auflöste wie eine Brausetablette in einem Glas Wasser. In diesem Moment legte die Person hinter mir die Hand auf meine Schulter, zweifelsohne als eine Geste des Trostes. "Du hast deine Lektion gelernt, Kind." vernahm ich die männliche Stimme der Person hinter mir. Ich zuckte kurz zusammen, aber dann drehte ich mich abrupt um, schlang schluchzend meine Arme um den Fremden und weinte erneut hemmungslos. Der Fremde schien unter meinen Tränen zurückzuzucken, als hätte ich ihn mit einer Nadel gestochen, aber dann legte er seinen Arm um mich, beugte sich zu mir hinab und flüsterte mir ins Ohr: "Es wird Zeit, dein Leiden zu beenden. Dieses Leben hat keinen Sinn mehr für dich. Deshalb werde ich dir ein neues Leben geben, auf dass es besser sei als dein Vorheriges." Ich verstand nicht, was der Fremde meinte, und ich wollte meinen tränenverschmierten Kopf heben und ihn fragen, was diese Worte zu bedeuten haben, aber da spührte ich plötzlich einen entsetzlichen Schmerz in meiner Kehle. Sofort verstand ich, was mit mir geschah, aber ich wehrte mich nicht. Ich wusste, das ich zu schwach war, um mich aus seinem Griff zu befreien. Und selbst wenn ich es geschafft hätte, so wäre ich irgendwann sicher wie meine Mutter am Hunger zugrunde gegangen. Ich rechnete eigentlich damit, das er mich einfach nur leertrank und mein Lebenslicht ausblasen würde, aber plötzlich endete der Schmerz, und ich sank zu Boden. Ich versuchte meine Augen zu öffnen, aber ich war zu schwach. Dann spühte ich, wie eine warme, dickflüssige Flüssigkeit auf meine Lippen tropfte, und schlagartig erinnerte ich mich an die letzten Worte des Vampirs. Er wollte mich umwandeln, daran bestand kein Zweifel. Ich wandte mich angewidert ab. Ich war so verblendet von der Meinung der Sterblichen, Vampire seien Monster, das ich nicht selbst zu einem Solchen werden wollte. Aber der Vampir gab nicht nach und zwang mich, sein Blut zu trinken, und bald schon erstarb mein Widerstand und ich begann zu trinken. Und nun... bin ich schon seit 126 Jahren ein Vampir." Marie sah Varyn mit großen, verwundert aufgerissenen Augen an. Varyn nickte. "Es war anfangs schwer, mit meiner neuen Existenz klar zu kommen, aber ich habe mich mit der Zeit daran gewöhnt." Marie lächelte schwach, ihr Blick glitt zur Seite. dabei fiel ihr auf, das sie de Clan bereits weit hinter sich gelassen hatten. Auch Varyn schien es zu bemerken, doch mit der Erkenntnis zeigte sich auch Entsetzen in seinem Blick. "Varyn, was ist los?" Varyn antwortete micht, sondern zeigte in Richtung Horizont, wo sich bereits ein schwacher Rotschimmer am Himmel abhob. "Oh nein! Die Sonne! Wir müssen sofort zum Clan zurück!" rief Marie, nun vom selben Entsetzen erfüllt wie Varyn. Dieser schüttelte den Kopf. "Das schaffen wir nicht mehr, Marie. Das Erschaffungsgebäude ist zuweit entfernt. Du kannst noch nicht fliegen und meine Flügel sind zu schwach, als das sie uns Beide durch die Lüfte tragen könnten." Maries Blick zuckte verzweifelt hin und her. Varyn zischte hörbar auf. "Ach verdammt, wir müssen es einfach versuchen!" Mit diesen Worten packte er Maries Klaue und sie rannten so schnell sie konnten zum Clan zurück. Sie hatten die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, da durchbrach die Sonne die Grenze zum Horizont und hüllte den Clan, welchen die beiden Vampire bereits erreicht hatten, in helles Tageslicht. "Verdamt! Wir sind zu spät!" Varyn blickte zu seiner kleinen Schwester, die bereits wimmerte und vor Schmerz leise zischte. Weißer Qualm stieg von ihrem Körper auf, aber sie zwang sich, weiter zu laufen. Varyn nahm ihre qualmende Hand und zog sie verzweifelt mit sich. Doch schon 5 Minuten später stiegen schmerzhafte Flammen aus Maries Haut empor und zwangen die junge Vampirin zu Boden. Verzweifelt rief Varyn ihren Namen, aber Marie war von den Flammen bereits so geschwächt, das sie sich nicht mehr rühren konnte. Varyn bereitete sich bereits auf Maries qualvollen Tod vor, als sich plötzlich etwas im Schatten der Clangebäude regte. Varyn traute seinen Augen nicht, als sich die Schatten zu furchteinflößenden Monstern verdichteten und auf die brennende Marie zuliefen. Varyn bekam es mit der Angst um Marie zu tun und stellte sich den Kreaturen tapfer entgegen. Doch sie demateralisierten sich vor ihm, zogen als Schattenwolken an ihm vorbei und setzten sich hinter ihm wieder zusammen. Bald schon hatten die ersten Schattenmoster Marie erreicht und umhüllten sie. Varyn schrie, die Monster sollten sie in Ruhe lassen, aber sie ignorierten sein Geschrei. Je mehr Varyn sich die Seele aus dem leib herausschrie, umso mehr bemerkte er, das die Flammen, die an Marie zehrten, erlöschten. Sie hörte auf zu qualmen und begann sich langsam wieder zu bewegen. vVaryns Geschrei war verstummt, er stand nur schweigend da und sah verdattert und mit offener Kinnlade auf das Bild, das sich vor ihm abspielte. Marie hatte sich aufgerichtet und sah genauso sprachlos auf die Kreaturen, die sie schützend umhüllten. "Varyn...? Was... Was geschieht hier?" Varyn stand noch immer mit offener Kinnlade da, ehe er sich endlich wieder fing und langsam zu verstehen begann. "Diese Kreaturen schützen dich vor der Sonne, Marie. Ich glaube..." Varyn stockte. Er schluckte, und fuhr dann fort: "Meine Güte, Marie! Das ist die Antwort auf unsere Suche. Diese Kreaturen... Deine Dunkle Gabe ist, sie zu kontrollieren!" Maries Augen weiteten sich, sie sah zu den Monstern, die sie schweigend musterten. Als ob sie Varyns Worte prüfen wollte, streckte sie die Hand in Richtung eines Schattens und wie auf ein stummes Kommando erhob sich eine weitere Kreatur aus dem Schatten und ging auf Marie zu, ohne sie zu bedrohen. "Ich fasse es nicht. Ich kann die Kreaturen des Schattens kontrollieren!" Marie lächelte und lief zu Varyn, wobei die Schattenkreaturen mit ihr liefen, um sie weiterhin vorm Sonnenlicht zu schützen. Als Marie ihren Bruder erreichte, umarmte sie ihn so heftig, das beide Vampire zu Boden fielen. Lachend schob Varyn Marie von sich herunter und richtete sich auf. "Eine wirklich beeindruckende Gabe, Marie. Mit so etwas habe ich wirklich nicht gerechnet." - "Glaubst du ich? Diese Kreaturen sind so... sanft zu mir. Dabei sehen sie so angsteinflößend aus." Varyn nickte zustimmend. "Hmm... vielleicht kannst du sie auch gegen die Serafan nutzen. Sie sehen eher wie Kämpfer als wie Beschützer aus." Marie überlegte eine Weile und betrachtete die Kreaturen um sich, die sie mit einem abwartenden Blick musterten. Schließlich nickte sie. "Stimmt. Ab sofort werde ich diese Kreaturen gegen unsere Feinde hetzen, um den Clan zu schützen. Unser Master wird sicher stolz auf mich sein." Varyn trat zu ihr und klopfte Marie auf die Schultern. Dabei bemerkte er, das die Kreaturen ihn kurz misstrauisch ansahen. Offenbar schätzten sie ab, ob Varyn eine Bedrohung war. "Das wird er. Garantiert." Varyns blick richtete sich gen Himmel, zu dem hellen Licht der Sonne. "Du kannst dank deiner Gabe zwar im Sonnenlicht wandeln, aber ich weiß nicht, wie lange diese Kreaturen Schutz bieten können. Lass uns lieber zum Erschaffungsgebäude gehen." Marie lächelte, nickte schwach und ging dann los, dicht gefolgt von den Schattenkreaturen. Varyn schüttelte nur amüsiert den Kopf, ehe er Marie folgte. Dank Maries 'Untertanen' erreichten sie das Erschaffungsgebäude ohne weitere Zwischenfälle. Als Marie in die Dunkelheit des Gebäudes eintrat, fingen die Kreaturen nach und nach an, sich wieder in die üblichen Schatten zu verwandeln. Interessiert sahen sich die beiden Vampire das Schauspiel bis zum Ende an. Danach klopfte Varyn Marie wie so häufig auf die Schulter. "Ich glaube, wenn du morgen Abend unserem Master deine Gabe offenbarst, wird er sich ziemlich wundern." - "Darauf wette ich!" meinte Marie lachend. "Nun denn. Ich wünsche angenehme Tagruhe, Schwesterherz." -"Danke Varyn. Bis morgen Abend." Varyn winkte Marie noch ein letztes Mal zum Abschied, dann verließ er das Erschaffungsgebäude, um Marie ruhen zu lassen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)