Highschool-Blues von cork-tip (Portrait of life) ================================================================================ Kapitel 3: Totoro und blaue Flecken ----------------------------------- So, da ist es, das dritte Kapitel. Diesmal spielt es sich hauptsächlich innerhalb Kaorus Familie ab. Und vielleicht wird's jetzt dann auch mal ein bisschen interessanter...^^ „Da bist du ja endlich, Nii-chan!“ Kaoru hatte es nicht einmal geschafft, sich die Schuhe auszuziehen, bevor Mai ihn entdeckte und ihm voller Wiedersehensfreude um den Hals fiel. Als er ihre Umarmung lächelnd erwiderte, fiel sein Blick zufällig auf die teure Armbanduhr, die ihm seine Eltern zum 16. Geburtstag geschenkt hatten. Schon fast sieben. Sie musste schon seit Stunden auf ihn gewartet haben, um zu erfahren, was er an seinem ersten Schultag an der Highschool so alles erlebt hatte. Jedes andere Verhalten wäre untypisch für sie. Sie kümmerte sich leidenschaftlich gerne um andere und sog jede beliebige Neuigkeit so begierig auf wie ein überdimensionaler Schwamm. Und dabei war sie einfach zu niedlich! Sie hatte gewohnheitsgemäß die langen, seidigen, schwarzen Haare im Nacken mit einem weißen Band zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden; nur ein paar vereinzelte, störrische Strähnchen fanden den Weg in ihr fröhliches Gesicht und unterstrichen wunderbar ihren sorglosen, unbekümmerten Charakter. Dazu trug sie ein ärmelloses, kurzes Kleidchen mit aufgedruckten Kirschen – passend zur Jahreszeit. Wie man es auch drehte und wendete – seine hübsche, kleine Schwester schien die Lieblichkeit und Unschuld in Person zu sein. Die Art und Weise, wie sie sich immer und überall aufopfernd um andere kümmerte, hatte beinahe schon etwas rührend naives... „‘Tschuldige, Mai-chan!“, lachte er und streichelte ihr kurz versöhnlich über den Rücken, bevor er sie wieder losließ. „Ich war noch mit ein paar neuen Freunden einen Kaffee trinken.“ Augenblicklich wurden ihre Augen größer; ihr Blick quoll geradezu über vor Neugier. „Oh!“, staunte sie. „Neue Freunde? Davon musst du mir gleich erzählen, Nii-chan! Hab ich dir nicht gesagt, dass du das schaffst?“ „Ja, ja, das hast du“, winkte er schmunzelnd ab und machte sich endlich daran, Schuhe und Jackett abzulegen. Kaum war er beides losgeworden, zog Mai ihn schon voller Elan ins Wohnzimmer und drückte ihn dort aufs Sofa. „Was ist denn los?“, fragte er verwundert. Stürmisch war sie ja schon immer gewesen, aber dieses Verhalten musste nun doch einen besonderen Grund haben. Wer weiß? Vielleicht hatte es ja Gold geregnet und er war der Einzige, der bisher nichts davon mitbekommmen hatte?... „Du errätst nie, wer heute zu Besuch gekommen ist!“, quietschte sie vergnügt – und er hatte sofort einen Verdacht. Einen Verdacht, der schon im nächsten Atemzug bestätigt wurde. „Hallo, Kaoru“, grüßte eine helle Frauenstimme, nicht minder fröhlich als Mai, dafür aber bedeutend ruhiger. „Lange nicht mehr gesehen, kleiner Bruder.“ „Yuki!“ Mit einem erfreuten Aufleuchten in den Augen sah er seine Schwester an. Viel verändert hatte sie sich seit ihrem letzten Treffen nicht. Sie strahlte noch immer diese kühle, seriöse Eleganz aus, die so bezeichnend für sie war. „So lange ist es eigentlich noch gar nicht her. Seit du an der TouDai aufgenommen worden bist, besuchst du uns eigentlich ständig.“ „Stört es dich?“ „Nein, nein, wo denkst du hin?... Und? Wie läuft dein Studium?“ „So weit – so gut. Ich denke immer noch, dass Medizin die richtige Entscheidung war. Und mittlerweile fällt es mir auch überhaupt nicht mehr schwer.“ „Ist ja alles schön und gut!“, unterbrach Mai, die nicht einmal diese fünf Sätze gepflegten Smalltalks hatte anhören können, ohne anzufangen, nervös mit dem Fuß auf den Boden zu tippen. Anscheinend hatte sie heute noch etwas vor... „Aber jetzt lasst uns endlich was sinnvolles machen!“ „Was denn, Mai-chan?“, fragten Yuki und Kaoru fast zeitgleich. „Filmabend!“, verkündete sie strahlend. „Aha. Und welche Filme schweben dir da so vor?“ Kaoru und Yuki wechselten einen amüsierten Blick, als sie wenige Minuten später mit einer Schale Reis in der Hand auf dem Sofa saßen, Mai zwischen sich, und aus den Augenwinkeln beobachteten, wie irgendwelche Mülltüten ähnlichen Gestalten im Fernseher irgendwelche Nüsse auf irgendwelchen Wegen verteilten, um dann auf Nimmerwiedersehen im Gebüsch zu verschwinden. Tonari no totoro. Es gab wohl auf der ganzen Welt keinen Film, der besser zu Mai und ihrer – trotz ihrer 15 Jahre – noch recht kindlichen Art gepasst hätte. Einfach perfekt. „Nii-chan?“, fragte Mai, als gerade ein hyperaktiver Katzenbus durchs Bild raste und die Protagonistin des Films irgendwo in der Pampa aufgabelte. „Jetzt erzähl uns doch endlich mal was von deinen neuen Freunden!“ „Ja, genau, Brüderchen“, stimmte Yuki zu. „Ich bin schließlich extra hergekommen, um zu hören, wie dein erster Tag an der Highschool war. Ich war damals entsetzlich aufgeregt...“ „Ich auch, darauf kannst du Gift nehmen!“, gab Kaoru ehrlich zu. „Aber dann hab ich ein paar nette Leute kennengelernt... Einer hat mir aus Versehen seinen Kaffee über die Schuluniform geschüttet.“ Er lachte beim Gedanken an Uruhas komischen Gesichtsausdruck und sein eigenes unartikuliertes Gestotter. „Aber sie sind alle total nett, auch wenn sie bestimmt gegen mehr Konventionen verstoßen, als ihr überhaupt kennt.“ Er lächelte verklärt. „Hä? Wieso denn das?“, wollte Mai verwundert wissen. Und auch Yuki sah ihn mehr als fragend an. „Nun...“, begann Kaoru betont geheimnisvoll zu erklären. „Zwei von ihnen tragen zum Beispiel die Mädchenuniform. Und ungeschminkt verlässt garantiert keiner von denen das Haus.“ „Was?!“ Mai blieb vor Staunen der Mund offen stehen. „Ich schminke mich so gut wie nie – und ich bin ein Mädchen! Yuki!“ Doch ihre große Schwester grinste nur stillvergnügt in sich hinein. „Ach, Mai-chan!“, seufzte sie schließlich. „Du bist so niedlich! Fast, als wärst du seelenverwandt mit ihr!“ Sie deutete auf den Fernseher, über dessen Mattscheibe noch immer haufenweise Totoros wuselten, beziehungsweise ein kleines rotlockiges Mädchen strahlend besagten knuffigen Mülltütenwesen hinterherrannte. „Mai – Mei... Wo ist da schon groß der Unterschied? Und süße kleine Schwestern seid ihr beide...“ „Ja, ja! Mach dich nur lustig über mich!“ Mai wollte gerade demonstrativ zu schmollen anfangen, als sie plötzlich durch ein Geräusch von dieser Idee abgebracht wurde, das weder vom Fernseher, noch von ihren beiden breit grinsenden Geschwistern stammte. Da hatte doch jemand geschrien! Schnell sprang sie auf, warf sich einen dünnen Mantel über und rannte – so wie sie war – in pinkfarbenen Plüschhausschuhen hinaus auf die Straße, um nachzusehen, was dort vor sich ging. Es dauerte nicht lange, da hatte sie auch schon die Geräuschquelle entdeckt. „Was war das denn?“, fragte Kaoru völlig perplex, als die Türe leise hinter ihr ins Schloss fiel. Yuki hingegen lauschte angestrengt. „Stell mal bitte den Fernseher leiser, Kao!“, verlangte sie nach einer Weile. Und dann hörten sie es auch. Gedämpft drangen verzweifelte Schmerzensschreie durch das geschlossene Fenster von draußen herein. Vermutlich kamen sie aus einiger Entfernung, sonst hätten sie selbst bei laufendem Fernseher deutlicher zu hören sein müssen. Ein paar Sekunden saßen Yuki und Kaoru da wie eingefroren. Stocksteif und still. Keiner wagte es, etwas zu sagen, doch in ihren Köpfen begann es zu arbeiten. Dann sprang Kaoru – genau wie kurz zuvor Mai – völlig unvermittelt auf und raste zur Türe hinaus, als wäre eine ganze Horde Hornissen hinter ihm her. „Oh mein Gott, Mai! Dass sie sich aber auch überall einmischen muss!“, schrie er noch, dann stand er auch schon draußen vor dem Haus in der lauen Frühlingsnacht. Die Schreie waren nun besser zu hören und Kaoru meinte sogar, die vor Angst und Schmerz verzerrte Stimme schon einmal irgendwo gehört zu haben... Unschlüssig sah er sich nach beiden Seiten um. Und dann erkannte er in einigen Metern Entfernung ein paar wenig vertrauenserweckende und höchst gewöhnungsbedürftig gekleidete Gestalten, die wie die Wilden auf eine bereits am Boden liegende Person einschlugen und –traten. Obwohl es schon recht dunkel war, trugen sie allesamt Sonnenbrillen. Mai stand direkt neben ihnen und brüllte wie besessen auf sie ein. Kaoru hatte gar nicht gewusst, dass seine süße kleine Schwester so laut schreien konnte... Eine Weile blieb er wie angewurzelt stehen und beobachtete ungläubig die skurile Situation, die sich ihm soeben darbot. Dann jedoch sah er, wie sich einer der Kerle zu Mai umdrehte, eine Hand hob und ihr so hart mitten ins Gesicht schlug, dass ihre Nase zu bluten anfing. Heiße Tränen schossen ihr in die Augen und liefen, ohne, dass sie es richtig wahrnahm, in feinen Rinnsalen ihre blass gewordenen Wangen hinab. Kaoru fühlte sich, als hätte ihn jemand mit dem Kopf gegen die nächstbeste Wand geschlagen. Wie konnten es diese widerlichen Kerle wagen, seiner Schwester, seiner lieben, unschuldigen Schwester, weh zu tun?! Das hatten sie nicht umsonst getan! Wütend wie ein Stier, den man in einen Raum voller roter, wehender Fähnlein gesperrt hatte, ging er auf die Schläger zu und packte ohne ein Wort zu sagen einen von ihnen am Hemdkragen, um ihn unsanft zu Boden zu schleudern. „Was – was willst du?!“, fragte einer der Kerle, bemüht, sich seine Überraschung nicht allzu deutlich anhören zu lassen. Doch Kaoru antwortete nicht. Statt dessen knöpfte er sich ohne zu zögern den Frager vor und verpasste ihm einen Tritt in den Magen, der ihn vor Schmerz aufkeuchen ließ. Kaoru war zwar kein besonders guter oder geübter Kämpfer, doch seine Wut ließ ihn ungeahnte Kräfte entwickeln. Trotz allem hätte er mit Sicherheit den kürzeren gezogen – einige üble Schrammen hatte er bereits einstecken müssen – wäre ihm nicht Yuki zu Hilfe geeilt. Sie mochte vielleicht nicht so aussehen, doch das Karatetrainig, das sie seit Jahren regelmäßig und zielstrebig verfolgte, hatte aus ihr eine recht schlagkräftige Frau gemacht. Und so dauerte es nicht lange, bis die Fremden humpelnd die Flucht ergriffen. Einen Ausdruck der puren Genugtuung im Gesicht wollte sich Kaoru schon zu Mai umdrehen, als er bemerkte, wie sich neben ihm auf dem Boden etwas bewegte. Er hatte das eigentliche Opfer der ganzen Aktion völlig vergessen... Schnell wandte er den Blick nach unten, sah zerzaustes blondes Haar, nackte, blutüberströmte Arme, ein zerrissenes T-shirt und einen verdreckten, kurzen Rock. Und dann blickte er in ein bekanntes Gesicht. „Uruha!“, keuchte er überrascht. „Was ist denn mit dir passiert?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)