Licht ins Dunkel von abgemeldet (Kurzgeschichten verschiedener Charaktere) ================================================================================ Kapitel 5: Dark Side of Life - Zoe ---------------------------------- Erstes Vogelgezwitscher durchbrach die morgendliche Stille. Zoe blinzelte verschlafen ins Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel. „Mag!“, murmelte sie müde. „Mach die Vorhänge wieder zu.“ Ihre beste Freundin Maggory grinste sie an. „Nichts da! Deine Mum hat angerufen und gesagt, wenn du um 12 nicht da bist, kriegst du den Hausarrest deines Lebens!“ Zoe drückte ihr Gesicht ins Kissen. „Die macht doch sicher noch mit ihrem bescheuerten Freund rum!“ „Kannst ja mitmachen.“, scherzte Mag. Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, landete Zoes Kissen in ihrem Gesicht. „Sehr witzig.“, knurrte die Werferin. „Als ob ich mir so was antun würde.“ Murrend richtete sie sich auf. „Oh Gott, wir reichen beide nach Alkohol. Hast du zufällig Kaugummis da?“ „Warte mal kurz.“ Mag ging aus dem Zimmer und stütze sich aufs Treppengeländer. „Muuuuuum!“, brüllte sie nach unten. „Mum, haben wir noch Kaugummi?“ „Nein, Schatz.“, rief ihre Mutter aus der Küche zurück. „Dein Bruder hat die letzte Packung mitgenommen.“ „Scheiße.“, fluchte Mag leise. „Wo ist er hin?“, fragte sie dann wieder in dröhnender Lautstärke. „Zum Frisör.“ Zoe begann zu lachen. „Was will er denn noch alles mit seinen Haaren anstellen?“, neckte sie ihre Freundin. „Keine Ahnung.“, murrte sie. „Der scheint seine Haare zum Kunstobjekt umgestalten zu wollen.“ Jason, Maggorys älterer Bruder, war 21 und war durchgedrehter als ein Stall voller Affen. Eigentlich mochten die Beiden ihn, da er immer gut drauf war, wenn er aber die letzten Kaugummis mitnahm, die ihnen die Chance auf Neutralisierung des Alkoholsgeruchs versprachen, waren sie gar nicht gut auf ihn zu sprechen. „Und was machen wir jetzt?“, wollte Maggory wissen. „Deine Mum bringt dich um, von meiner ganz zu schweigen.“ „Habt ihr Zahnpasta da?“ „Nö, wollten wir heute kaufen.“ „Parfüm?“ Maggory sah sie entgeistert an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Anstatt einer Antwort packte Zoe Mag am Arm und zog sie ins Bad. „Immer noch besser, als wenn man den Alkohol riecht.“, gab sie zu bedenken. Mag sah sie noch eine kleine Weile schweigend an, dann zuckte sie mit den Schultern. „Gut.“, meinte sie und griff sich eine der Flaschen. „Irgendwo hast du ja Recht.“ Zoe grinste. „Ich weiß.“, wurde aber im selben Moment von Mag in eine Wolke Parfüm gehüllt und begann zu husten. „Ist das widerlich!“ „Du wolltest es so.“, konterte Mag und schnappte sich die nächste Flasche. Wenig später sah sie erst Zoe, dann sich an. „Ich denke, das reicht. Ich riech schon wie der Blumenladen von um die Ecke.“ Zoe war damit mehr als einverstanden, ersparte sich aber die Erwiderung, weil in dem Moment Mags Mutter „Frühstück!“ die Treppe hinaufschrie. Die beiden Freundinnen setzten sich gerade unten an den Essenstisch, als Jason die Küche betrat. Bei seinem Anblick prustete Mag in ihren Orangensaft und Zoe musste ihr Lachen mit ihrem Ärmel ersticken. „Bist du sicher, dass du den richtigen Farbtopf erwischt hast?“, fragte Mag ihren Bruder, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war. „Nein, Schwesterherz.“, sagte er scherzhaft. „Eigentlich wollte ich lila nehmen, aber es ist leider nur grün geworden.“ Zoe, die sich vor Lachen verschluckt hatte, begann zu husten, sodass Jason ihr auf den Rücken klopfte. „Übrigens steht dein Freund vor der Tür.“ „Freund?“, wiederholte Zoe. „Freund?“, echote Mag und sah Zoe schief an. „Welcher Freund?“ „Das frag ich mich auch gerade.“ Diesmal war es Jason, der anfing zu lachen. „Eure Gesichter hättet ihr mal sehen sollen!“ „Jason, du bist ein Arschloch.“, stellte Zoe sehr sachlich fest. „Ich habe mir gerade echt Sorgen gemacht.“ Auch Mag schüttelte den Kopf über ihren Bruder. „Übrigens glaube ich, dass du los musst.“ Zoe sah zur Uhr und begann zu fluchen. „Stimmt.“ Schnell stand sie auf. „Wir sehn uns morgen in der Schule!“, verabschiedete sie sich noch, bevor sie sich ihre Jacke schnappte und in rannte den Weg nach Hause in Rekordzeit. „Hallo, Ma, ich bin wieder hier!“, rief sie in die Wohnung, nachdem sie die Tür aufgeschlossen hatte. Ihre Mutter kam aus der Küche. „Hallo, Schatz. Was hast du denn gemacht? Du riechst ja wie eine ganze Parfümerie.“ „Ein Unfall im Bad.“, schwindelte sie. „Das Regal ist abgekracht.“ „Hast du dich verletzt?“ „Nein, Ma.“ Die dauernde Sorge ihrer Mutter nervte sie, aber das zeigte sie nicht. Ihre Mutter war ihr immer noch lieber als deren Freund. „Schatz, ich komme heute Abend erst spät nach Hause. Könntest du kochen?“ „Geht klar.“ Zoe nickte. Warum auch nicht? „Gut. Ich bin dann jetzt weg. Tschüss.“ Sie gab ihrer Tochter einen kurzen Kuss auf die Wange, den diesem mit genervtem Augenverdrehen quittierte. Immerhin war sie siebzehn. „Tschüss, Noah.“, rief ihre Mutter Richtung Wohnzimmer, dann verließ sie das Haus. Super. Das hieß, sie war jetzt mit diesem Arschloch von Freund allein. Womit hatte sie das nur verdient? Zoe schlich sich am Wohnzimmer vorbei, bevor Noah auf sie aufmerksam wurde und schloss sich in ihrem Zimmer ein, wo sie sich aufs Bett sinken ließ. Dann zog sie ihr linkes Hosenbein hoch und betrachtete die orangene Schlange, die sich um ihr Fußgelenk wand. Es war eine Tätowierung, die sie sich vor zwei Wochen hatte machen lassen, wobei Jason ihren Onkel gespielt und sein Einverständnis gegeben hatte, da sie ohne Erlaubnis eines Vorgesetzten niemals daran gekommen wäre. Ihre Mutter wusste nichts davon und das war auch gut so. Zoe hatte die Schlange auf einem alten Foto ihres Vaters entdeckt und sie sich darauf hin auch stechen lassen. Wenn sie ihn schon nicht kennenlernen konnte, dann wollte sie wenigstens so in seiner Nähe sein. Ihre Eltern hatten geschieden gelebt, als ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben kam. Ihre Mutter behauptete, dass ihm der Unfall das Leiden erspart hätte, weil ihr Vater früher oder später sowieso gestorben war. Er war krank gewesen. Deshalb war die Übernachtung bei Mag eigentlich nur ein Vorwand gewesen , statt also mit ihrer Freundin durch die Straßen zu ziehen war Zoe mit ihr zum Arzt gegangen. Vielleicht war die Krankheit ja vererbbar? Das Ergebnis würde sie leider erst morgen kriegen. Mit einem Finger strich Zoe sacht über die Schlange, als Noah an die Tür hämmerte. „Zoe, mach die Tür auf!“ Schnell krempelte sie das Hosenbein wieder herunter und verfluchte Noah in Gedanken. Der Kerl dachte immer, dass sie sich umbringen wollte, wenn sie die Tür abschloss, deswegen achtete er darauf, dass sie nicht dazu kam. Und das alles nur, um sich bei seiner Mutter einzuschleimen. Noah hielt sie sowieso für irre- als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte er sie tatsächlich gefragt, ob sie eine Satanistin sei, weil sie schwarz trug. „Nein.“, hatte Zoe erwidert. „Ich bin eine Sadistin. Und am allerliebsten quäle ich kleine, dumme Arschlöcher wie dich.“ Seit diesem Tag konnten die beiden sich nicht ausstehen. Nachdem Zoe die Tür aufgeschlossen hatte, gab Noah Ruhe und verschwand wieder im Wohnzimmer. „Idiot.“, murmelte Zoe, setzte sich an ihren Schreibtisch und starrte die Uhr an der Wand an, deren Sekundenzeiger sich viel langsamer als sonst zu bewegen schien. Sie hatte keine Ahnung, was sie mit sich anfangen sollte, bis es vier Uhr war und sie damit eine Erklärung hatte, warum sie ihr Zimmer verließ. Noch fast drei Stunden...Mit einem Seufzen erhob sie sich und legte sich wieder aufs Bett. Morgen war wieder Schule. Das hieß, früh aufstehen und dann eine halbe Stunde Bus fahren mit diesen dummen Hühnern, die immer in einer Gruppe zusammenhingen und nicht alleine aufs Klo gehen konnten, obendrein noch so kurze Tops trugen, dass sie gleich ganz nackt in die Schule kommen könnten, ohne dass es jemandem auffallen würde und die sich jedem Jungen, der ihren Weg kreuzte an den Hals schmissen. Ohne Mag wäre Zoe an dieser Schule schon lange gestorben und trotzdem hatte sie sich mit ihrer Mutter gestritten, als diese vom Umziehen sprach. Sie wollte hier nicht fort. Na gut, die Schule war nicht die beste, aber hier hatte sie Mag und Jason...wer wusste, was war, wenn sie umzogen? Ohne hinzusehen, schaltete Zoe ihren CD-Player an, worauf lautstark eine Männerstimme zu undefinierbarer Hintergrundmusik zu singen begann. „Zoe!“, kam es aus dem Wohnzimmer. „Mach die Musik leise!“ „Du kannst mich mal.“, murmelte Zoe. Knappe drei Stunden später stand sie in der Küche und kippte das kochende Wasser ins Spülbecken. Nur Sekunden danach hielt sie einen Finger unter das kalte Wasser, um die Verbrennung zu kühlen. „Du kriegst wirklich gar nichts allein auf die Reihe, was?“, spöttelte Noah hinter ihr. „Halt die Klappe.“, knurrte Zoe und drehte das Wasser ab. „Hey, wer von uns beiden ist eigentlich der Ältere? Du benimmst dich immer als wärst du der Chef im Haus!“ „Ach, warum wohl?“ Sie funkelte ihn zornig an. „Vielleicht, weil du hier nicht hergehörst?“ Er betrachtete sie mit hochgezogener Augenbraue, dann zuckte er mit den Schultern und verließ die Küche. „Setz mal deinen süßen Hintern in Bewegung und bring die Kartoffeln!“ „Hol sie dir doch selber!“, gab Zoe zurück. Ihr war der Appetit vergangen, Noah konnte sich ja wohl noch selber versorgen. Sie verzog sich wieder auf ihr Zimmer. Diesmal ignorierte sie das Geklopfe von Noah. Der Tag wurde noch schlimmer, als Zoe angenommen hatte. Als sie das Haus verließ (unter bösen Blicken von Noah), ballten sich draußen bereits die ersten schwarzen Wolken zusammen. Das hieß, sie durfte heute im Regen zum Arzt latschen. Großartig. Heute war also wieder ein Pechtag. Es konnte also nur noch schlimmer kommen. Sämtliche Mitfahrer im Bus ignorierte sie heute, auch wenn sie das nervtötende Getuschel und Gekicher natürlich mitbekam. Sollten die doch, ihr war es egal. Der Unterricht zog sich hin, aber Zoe war nicht bei der Sache. Ihre Gedanken schweiften ständig ab. Sie hatte mit Mag vereinbart, dass sie nach der Schule zu ihr kommen würde, aber alleine zum Arzt ginge. Mag war sozusagen ihr Alibi. „Hey, Zoe, was ist los? Nervös?“, fragte Mag, als sie sich im Bus neben sie setzte. Zoe schüttelte den Kopf. Sie war nur ausgelaugt, das war alles. Mag verstand sie auch ohne Antwort. „Weißt du, was du brauchst? Du musst mal wieder was machen, dass deine Mutter auf dich aufmerksam wird, sonst ignoriert sie dich die ganze Zeit.“ „Zum Beispiel?“ „Naja, Jason macht das mit seinen Haaren...warum du nicht auch?“ Zoe sah sie ungläubig an. „Ich soll mir die Haare abschneiden, meinst du jetzt?“ Mag nickte. „Nicht ganz natürlich, nur bis hier.“ Sie zeigte mit der Hand die ungefähre Länge an. Ein Grinsen stahl sich auf Zoes Gesicht. „Du spinnst.“ „Ich weiß doch. Du aber auch.“ Mag hatte ihr Ziel erreicht, Zoe war jetzt viel entspannter. „Weißt du was? Ich glaube, dass mach ich. Aber nur, wenn du schneidest.“ „Damit ich die Verantwortung trage, oder was?“ „Genau deswegen.“ Mag schüttelte den Kopf. „Wenn du meinst...aber bei Unzufriedenheit wird das Geld nicht zurückerstattet.“ Zoe ließ den Blick nicht von dem großen, kahlen Arztgebäude. Der Wind blies ihr in den Nacken und ließ sie frösteln. Die kurzen Haare waren für sie ungewohnt. Es begann zu tröpfeln, ein Grund mehr für Zoe, in die Eingangshalle zu treten. Die junge Dame vom Empfang brachte sie zum Zimmer des Arztes, welcher ihr die Akte gab. Er versicherte ihr, dass er sich die Ergebnisse nicht angesehen hatte. Zoe bedankte sich hastig und verließ das Gebäude so schnell wie möglich. Unter einer Überdachung blieb sie stehen. Der Regen plätscherte inzwischen in Strömen auf die Straße. Zoe schlug die Akte auf und las das Ergebnis mehrere Male. Dann warf sie sie in die nächste Mülltonne. Das hier ging niemanden etwas an. Ohne länger nachzudenken, machte sie sich auf den Rückweg zu Mag. Dass sie dabei nass wurde, interessierte sie nicht. Stattdessen hob sie den Kopf und ließ sich den Regen übers Gesicht rinnen, spürte, wie die kleinen Tropfen aufschlugen und die Haut hinunter liefen. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl zu leben. Als sie bei Mag ankam, hatte der Regen aufgehört. Zoes Kleidung klebte kalt an ihrem Körper. Mag ließ sie in die Wohnung und achtete gar nicht darauf, dass sie den Boden voll tropfte. „Und?“, wollte sie wissen. „Was ist das Ergebnis?“ Zoe lächelte sie an. „Alles in Ordnung.“, sagte sie. „Es ist alles in Ordnung.“, wiederholte sie nochmal leise, für sich. Mag umarmte sie erfreut, ungeachtet der Tatsache, dass sie dabei selbst nass wurde. „Das ist toll, Zoe!“ Sie löste sich wieder von ihr. „Und jetzt?“ Zoes Gesichtsausdruck wurde traurig. „Wir werden umziehen.“ Mag verzog das Gesicht. „Nicht wirklich, oder? Du machst nächstes Jahr dein ABI!“ „Erzähl das mal meiner Mutter. Die interessiert das nicht. Wir ziehen nach Berlin.“ „Wann?“ „Nächste Woche.“ „Und warum erfahr ich das jetzt erst?“ Mag spielte beleidigt. „Weil gehofft habe, sie entscheidet sich noch um.“ Mag nickte. „Du schickst mir deine neue Adresse, ja?“ „Natürlich.“ Zoe wusste, dass sie es nicht tun würde und diese zweite Lüge schmerzte sie fast noch mehr als die erste. Nichts war in Ordnung. Aber das würde Mag nie erfahren. Eine heile Welt als Illusion...sie würde umziehen und nie wieder von ihrer Freundin hören, weil sie nicht wollte, dass Mag ihre Sorgen tragen musste. Irgendwie war es ihr Recht. Zoe war noch nie ein Mensch von großen Abschiedsworten gewesen. Ihr war es lieber ‚Bis bald’ zu sagen und dem Menschen die stille Hoffnung zu lassen, als ‚Auf Nimmerwiedersehen’ und damit die Hoffnung zu zerstören. „Bis bald, Mag.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)