Der Engel in Schwarz von Akai-chan ================================================================================ Kapitel 2: Traum oder Wirklichkeit? ----------------------------------- Es ist seltsam. Seit ich ein kleiner Jungen war, habe ich ständig denselben Traum. Anfangs habe ich meinen Eltern davon erzählt. Dieser Traum machte mir Angst. Nicht nur wegen der Bilder, auch weil ich ihn nie loswurde. Doch sie taten es nur als Traum ab. Es wäre nicht die Wirklichkeit und ich hätte eine so blühende Fantasie… Aber er muss eine Bedeutung haben, da bin ich mir sicher! Warum sonst sollte er mich seit neunzehn Jahren fast jede Nacht immer wieder aufsuchen? Eine andere Erklärung gibt es nicht – nicht für mich. Irgendwann hörte ich auf, darüber zu sprechen. Niemand nahm mich ernst, manche lachten mich deswegen auch aus. Ich verschloss mich vor den anderen, redete so wenig wie möglich mit den Menschen in meiner Umgebung. Ich weiß nicht warum, doch sie sind mir allesamt zuwider. Mein Eltern, genau wie die ganze Verwandtschaft; meine Lehrer, meine Mitschüler… ich kann mit allen nichts anfangen. Hinzu kommt dieses immer währende Gefühl, dass mir etwas fehlt. Irgend etwas ging bereits vor langer Zeit verloren, doch ich weiß nicht was… Ich weiß nur, dass ich immer irgendwie leer bin. Keine Gedanken – vorüber auch? Es würde alles nur Kopfschmerzen bringen, nichts weiter. Keine wirklichen Gefühle – nur diese andauernde Taubheit und Dumpfheit. Alles andere wurde mir schon früh ausgetrieben. Ich habe schon oft überlegt, was mir fehlen könnte. Vielleicht ein anderer Mensch? Es heißt doch immer, man suche seine zweite Hälfte. Doch wenn ich mir die Leute so anschaue, habe ich keine große Hoffnung, meine jemals zu finden. Alle sind so oberflächlich, so… Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Mit meiner negativen Einstellung habe ich meinen Eltern bald Sorgen bereitet. Sie schickten mich zu einem Psychologen, der herausfinden sollte, warum ich ’so verschwiegen’ war, ’nie lachte oder sonstige Gefühle zeigte’ und ’immer so depressiv’ war. Dabei war ich nie depressiv, ich sehe nur keinen Grund, ständig mit einem Dauergrinsen durch die Gegend zu laufen. Ich ging zwar immer brav zu meinen Therapiestunden, doch gebracht haben sie nicht viel. Dieser Mann kam nicht an mich heran, so sehr er es auch versuchte. Ich kaum ein Wort mit ihm gewechselt, bis er endlich erkannte, dass es keinen Sinn hatte, mich vollzutexten und mit Fragen zu löchern. Doch anstatt meine Behandlung abzusetzen, beobachtete er mich nur. Ich hasse es, angestarrt zu werden! Das hat die Sache nicht gerade verbessert und ich wäre ihm am liebsten an den Hals gesprungen und hätte ihn erwürgt. Was bin ich denn, ein Tier im Zoo? Ein Zirkusaffe, den man unbedingt angaffen muss!?! Ganz bestimmt nicht… Ich habe jedenfalls noch keinen Schwanz an meinem Hinterteil oder irgendwo Fell an mir entdeckt. Und eine Trommel, auf der ich in Uniform herum klopfen sollte, habe ich auch noch nicht in die Hand gedrückt bekommen. Ich konnte mir schon denken, was diese Aktion solle… Zum einen versuche er mein Verhalten, meine Gestik und Mimik zu analysieren. Viel Glück dabei… Das wird er nicht schaffen – jedenfalls nicht mit dem gewünschten Ergebnis. Zum anderen aber versucht er, mich so aus der Reserve zu locken. Dabei bräuchte er aber noch mehr Glück… Ich lasse mich nicht locken, schon gar nicht von so einem. Doch sollte ich mir wirklich Mühe geben, jemandem etwas zu erklären, der mich nicht versteht und mich sowieso als unzurechnungsfähig ansieht? Nein! Wieso denn auch…!? Man sagt mir stets, es gibt keine Engel. Doch warum kann ich dann täglich welche sehen? Wie sie am Himmel entlang fliegen… Das ist keine Einbildung! Sie sind da… sie sind wirklich da! Und sie sind unbeschreiblich anmutig… unwahrscheinlich schön… Doch außer mir kann sie niemand wahrnehmen, zumindest bin ich noch keinem anderen begegnet. Ich glaube nicht, dass Träume einfach nur Träume sind… Ich will es nicht glauben. Denn es muss doch einen Grund haben, warum er immer wiederkehrt, warum er so real erscheint und warum mir selbst Kleinigkeiten in Erinnerung bleiben. Auch diese Nacht habe ich wieder geträumt. Es war wie immer. Zuerst sehe ich nur Blütenblätter, die vom Wind sanft aufgewirbelt und fortgetragen werden. Ich fange eines von ihnen auf und erkenne Apfelblüten. Lieblicher Duft steigt mir in die Nase. Danach bemerke ich, dass ich an einem Apfelbaum stehe. Er ist schon alt, aber immer noch stark und schön. Ich schaue mich weiter um. Etwas weiter von mir entfernt steht ein Engel. Sie hat mir den Rücken zugekehrt und bemerkt mich nicht. Es ist immer dasselbe Mädchen. Langes, seidiges Haar, eine zarte Gestalt, mit einem kurzen, aufwendig gearbeiteten Kleid und langen Strümpfen bekleidet. Wunderschöne, weiße und reine Flügel zieren ihren Rücken. Ihr Anblick fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Langsam nähere ich mich ihr. Daraufhin dreht sie sich zu mir um und lächelt mich warm an. Dieses Lächeln und der klare, sanfte Blick – diese lieben Augen – lassen mir beinahe die Knie weich werden. Mir stockt der Atem, das Herz dreht durch. Wer ist sie? Und warum hat sie so eine Wirkung auf mich? Ich kann es mir nicht erklären… Noch bevor ich sie erreicht habe, erweckt etwas anderes ihre Aufmerksamkeit und sie sieht zur Seite. Aus den Augenwinkeln bekomme ich mit, wie ein anderer Engel auf sie zu stürmt. Mit voller Wucht rammt er ihr ein Schwert in den Körper und sie bricht zu Boden. In der Luft hängt der Geruch frischen Blutes… Mit einem Mal wird der Wind stärker, kälter und grober. Überall ist Blut verteilt und der Engel mit dem Schwert kniet grinsend über ihr. Mein Blick fällt auf meinen Engel und ich bin bestürzt. Sie ist tot… Das ist der Moment, in dem ich aufwache. Immer habe ich Herzrasen und Tränen in den Augen. Ich weiß, ich schreie dabei ihren Namen, doch schon im nächsten Moment habe ich ihn vergessen. Wie ist das möglich? Warum tötet ein Engel den anderen? Auch das kann ich mir nicht erklären. So sehr ich auch grüble, mir will und will kein plausibler Grund einfallen. So liege ich auch heute Morgen schweigend und nachdenklich in meinem Bett, starre die Decke an und warte auf den neuen Tag. Diesen Apfelbaum gibt es wirklich. Er steht in dieser Stadt, nicht weit von hier entfernt. Ich war richtig erschüttert, als ich ihn entdeckt hatte. Nie hätte ich gedacht, dass ich eines Tages wirklich vor ihm stehen würde. Doch das ist nur ein weiterer Beweis für mich, dass es nicht einfach nur ein Traum ist! Leise seufzend stehe ich auf, schleppe mich ins Bad und dusche. Anschließend ziehe ich mich an und frühstücke, bevor ich mich auf den Weg zur Schule mache. Der Tag gestaltet sich ebenso eintönig und trist, wie alle anderen auch. Nachmittags trete ich meine Arbeit als Kellner in einem kleinen, süßen Eiscafé an. Dort setze ich eine freundliche Miene auf und bin zu allen höflich und zuvorkommend. Oft bekomme ich zu hören, was für ein netter Junge ich doch sei… Nach meiner Schicht überfällt mich dann der Drang, diesen Apfelbaum einmal wieder zu besuchen. Ich war lange nicht mehr bei ihm… Also mache ich mich auf den Weg. Doch als ich dort ankomme, bekomme ich einen Schreck. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Dort steht jemand. Nein, nicht irgend jemand… Es sieht aus wie sie – mein Engel. Aber sie hat sich verändert. Sie ist barfuß, das Kleid zerrissen. Überall kann ich Wunden erkennen, die Haare haben ihren Glanz verloren. Die Federn ihrer Flügel sind pechschwarz. Einer von ihnen scheint gebrochen zu sein und viele der Federn wurden herausgerissen. Bedächtig streckt sie die Hand nach dem Stamm aus, berührt ihn vorsichtig und lehnt sich an ihn. Auch hier hat sie mich nicht bemerkt. Ich bleibe weiter stumm, kann den Blick nicht von ihr lassen. Mein herz schlägt schneller und mir wird viel wärmer. Meine Wangen glühen. Nun bewege ich mich doch, trete näher. Wie sie wohl reagieren wird? Schließlich kennt sie mich gar nicht. Wird sie überrascht sein, dass ich sie überhaupt sehen kann? Da sieht sie zu mir, unsere Blicke treffen sich. Ihre Augen haben dasselbe Leuchten wie in meinen Träumen, sind genauso warm. Aber… sind das etwa Tränen? Tatsächlich, mein Engel weint… Nur warum? Schweigend sehen wir uns weiter an. Keiner bringt auch nur ein Wort über die Lippen. Wieder kommt etwas Wind auf, verstreut die Blüten des Apfelbaumes überall… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)