Photophobia von Chi_desu (a fear of light (die Angst vor dem Licht)) ================================================================================ Kapitel 8: Limerance -------------------- limerance – The initial thrill of falling in love (Schmetterlinge im Bauch) Es klingelte an der Tür und Light warf einen Blick auf den Monitor. Draußen stand Misa mit einem Pappkarton in der Hand und winkte fröhlich in die Kamera. Es war nicht so, dass sie unwillkommen war. Jedenfalls brachte sie Abwechslung in den grauen Ermittlungsalltag. Aber er hatte einfach zu viele andere Dinge, die ihm im Kopf herumschwirrten, deshalb seufzte er, als er sie sah. Sein Vater öffnete ihr die Tür und freudestrahlend trat sie ein. Artig begrüßte sie Lights Vater mit einer Verbeugung und winkte dem Rest des Teams zu. "Raito", zwitscherte sie dann und er lächelte sie nachsichtig an. Sie konnte ja nichts dafür, dass er so beschäftigt war. Auch wenn sie nicht lange bleiben konnte, wollte er nicht, dass sie mit einem schlechten Gefühl wieder ging. "Misa, es tut mir leid, aber wir haben keine Zeit", sagte er. Sie stellte sich vor ihn und er legte die Hände auf ihre Schultern, um seinen Standpunkt gleich deutlich zu machen. Ryuuzaki wirkte sowieso nicht sehr glücklich darüber, dass sie inzwischen weit weniger lange arbeiteten als am Anfang. Er wollte nicht für noch mehr Verzögerungen verantwortlich sein. Die bloße Berührung ließ Misa erröten. "Das macht nichts!", antwortete sie strahlend. "Ich wollte euch auch nur schnell was Süßes für zwischendurch hochbringen." Sie stellte die Schachtel auf den Tisch und blickte Light etwas verlegen an. "Ich hab das extra für dich gebacken, aber im Eifer des Gefechts ist es zu viel geworden, deshalb habe ich nichts dagegen, wenn du den Kuchen mit den anderen teilst." "Misamisa!", rief Matsuda mit Tränen der Begeisterung in den Augen. "Das finde ich so nett von dir!" Mit dem Ärmel wischte er sich über die Augen und schniefte, tief bewegt über ihre Fürsorge. Light öffnete die Schachtel und war einen Moment lang wirklich aufrichtig überrascht. Das war kein Kuchen, das waren lauter kleine Kunstwerke. Schokoladenkuchen mit Verzierungen aus weißer Glasur oben drauf, Sachertorte, eine Stück Sahnetorte mit kleinen Figuren aus… was war es? Marzipan?... oben drauf. Vor allem wollte er sich nicht fragen, wo jeweils der Rest der Torte war, weil sie ja immer nur ein Stück für ihn eingepackt hatte. Neben ihm warf jetzt auch Matsuda einen Blick in die Schachtel und ächzte: "Misamisa ist wirklich unglaublich! Sieht das lecker aus! D-darf ich?" "Natürlich", sagte Misa, erfreut darüber, wie gut ihr Kuchen ankam. Das Team stürzte sich gierig auf die Köstlichkeiten und weil Light ja wusste, dass Ryuuzaki Schokoladenkuchen am liebsten mochte und der sich an dem Gerangel um die besten Kuchenstücke nicht beteiligte, schob Light das wahrhaft köstlich aussehende Stück auf einen Teller um es für den Meisterdetektiv aufzuheben. Nachdem jeder ein Stück ergattert hatte, hielt Light den Teller hoch und fragte: "Möchtest du auch ein Stück, Ryuuzaki?" Es kam ihm schon komisch vor, dass L angesichts dieser süßen Köstlichkeiten so ruhig an seinem Platz sitzengeblieben war. Noch komischer aber war seine Antwort. "Nein, danke." Die überraschten Blicke ignorierte er entweder oder bemerkte sie gar nicht. Matsuda, der sich die Sahnetorte geschnappt hatte, deutete mit der Kuchengabel auf den Kopf des Teams und fragte mit vollem Mund: "Bist du krank?" Irgendetwas an Ryuuzakis Verhalten war einfach nur komisch. "Nein, ich möchte diesen Kuchen nur nicht." Diesen Kuchen? Verständnislos stellte Light den Teller weg und setzte sich wieder. Aus Ryuuzaki wurde er einfach nicht schlau, ganz egal, wie sehr er sich auch bemühte. "Misa, wir müssen jetzt wirklich weiterarbeiten. Vielen Dank für den Kuchen", sagte er und schob sie sanft in Richtung Tür. Das Team bedankte sich ebenfalls bei ihr, nur Ryuuzaki beachtete sie überhaupt nicht. An der Tür stellte Misa sich lächelnd auf die Zehenspitzen und hauchte Light einen Kuss auf die Wange. Mit einem fröhlichen Abschiedsgruß auf den Lippen verließ sie die Suite und ließ die Männer allein zurück. "Du bist so ein Glückspilz!", rief Matsuda mit vollem Mund und deutete auf Light. Als er sich wieder an seinen Platz setzte, fing Light den säuerlichen Blick auf, den Ryuuzaki ihm zuwarf. Eigentlich war Light ein Mensch, der sich voll und ganz auf seine Aufgaben konzentrierte und nie Zeit mit Tagträumen verschwendete. Er gab viel zu tun und trotzdem konnte er sich heute nicht konzentrieren. Niemand beachtete ihn, wie er so dasaß auf seinem Schreibtischstuhl, und seine Zeit damit verbrachte, Ryuuzaki anzustarren. Er wollte es gar nicht. Er wollte lieber etwas Produktives tun, aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Etwas hatte sich verändert und er konnte es einfach nicht verstehen. Wenn er auf den Bildschirm sah, wenn er versuchte, die Daten in das Programm einzugeben, kehrten seine Gedanken unwillkürlich wieder zu dem schrulligen Detektiv zurück, der seit wenigen Wochen quasi der Mittelpunkt seines Lebens war. Er musste an das denken, was Mai und die anderen Mädchen so gedankenlos über sie beide gesagt hatten. Es stimmte ja, es gab Momente, da gingen sie so vertraut wie wahre Freunde miteinander um. Oder eher wie… wie was eigentlich? Dieser eine Satz, den Ryuuzaki gesagt hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Du faszinierst mich. Warum musste er plötzlich ständig daran denken? Ryuuzaki verhielt sich eigenartig. Dass er Misas Kuchen abgelehnt hatte, war nur ein Zeichen der schleichenden Veränderung, die Light bemerkt hatte. Irgendetwas stimmte nicht. Aber war es Ryuuzaki, mit dem etwas nicht stimmte, oder war es er selbst? Was war plötzlich anders? Sie beide waren immer noch dieselben. Ryuuzaki, dieser nervige, aufdringliche, rücksichtlose Kerl, der für sein Ziel über Leichen ging… Light konnte sich dunkel an die Zeit vor seiner Inhaftierung erinnern. Er hatte Ryuuzaki gehasst, etwas, das er sie nie zuvor bewusst gemacht hatte. Er hatte diesen Kerl mit einer unfassbaren Inbrunst gehasst, so als wäre er das eine große Hindernis in Lights Leben. Jetzt, wo er darüber nachdachte, konnte er sich diesen Hass nicht mehr erklären. Er wusste nur, dass er verschwunden war, allmählich, und an seine Stelle war etwas anderes getreten. Respekt natürlich, vielleicht auch Freundschaft, aber da war noch etwas. Aber was? Irgendwann würde es auf diese Frage eine Antwort geben müssen, aber noch war er nicht bereit, sie zu finden und die Konsequenzen zu tragen. Im Augenwinkel sah Light, wie Ryuuzaki sich mit der linken Hand fahrig die Haare aus der Stirn strich. Einem anderen wäre es vielleicht nicht aufgefallen, weil er auf den ersten Blick wirkte wie immer. In der Rechten hatte er einen Donut, mit der linken Hand tippte er hin und wieder etwas ein oder bewegte umständlich die Maus. Aber für Light war es offensichtlich, dass Ryuuzaki unruhig war. Deshalb löste er seinen Blick vom Bildschirm, um L einen prüfenden Blick zuzuwerfen. "Ist irgendwas?", erkundigte er sich. Ryuuzaki hielt kurz inne, dann atmete er aus und seine Schultern senkten sich deutlich. Es war, als würde allein durch die Ablenkung etwas von seiner Anspannung gelöst. "Ich bin ein wenig frustriert", gab er zu. "Ich kann mich einfach nicht konzentrieren." "Das ist ja auch kein Wunder. Wir arbeiten seit Stunden ohne Pause, wie soll man da noch vernünftig denken können?" Light selbst erging es kaum besser. Es war zehn Uhr abends und er war müde und witterte die Gelegenheit, eine Verschnaufpause einlegen zu können. Im Gegensatz zu Ryuuzaki wusste er, wieviel besser man nach nur fünf Minuten Pause wieder denken konnte. "Wie wäre es mit etwas frischer Luft?", schlug er deshalb vor. Zur Antwort bekam er bloß einen schiefen Blick. "Willst du einen Spaziergang machen?" Ryuuzaki war von der Idee offensichtlich nicht sehr begeistert. "Nein, es reicht doch, wenn wir nach draußen gehen. Von mir aus gehen wir irgendwo einen Balkon suchen. Oder…", er dachte kurz nach, "wir gehen aufs Dach. Du musst das Gebäude nicht verlassen, niemand wird uns belästigen und wir können trotzdem durchatmen." Ein langer Blick folgte, bis Ryuuzaki schließlich langsam nickte. "Das ist keine so schlechte Idee." Er stand auf und erleichtert folgte Light seinem Beispiel. Wie immer merkte er erst beim Aufstehen, wie anstrengend das Sitzen gewesen war. Jeder Muskel in seinem Körper schien sich bemerkbar machen zu wollen und er streckte sich erschöpft. Ryuuzaki steckte die Schlüssel ein, während Light seine Jacke vom Kleiderhaken nahm und hineinschlüpfte. Dass Ryuuzaki sich nichts Warmes anzog, ließ darauf schließen, dass er wirklich nicht mehr als fünf Minuten eingeplant hatte. Aber das war besser als nichts. Wenige Augenblicke später erklommen sie gemeinsam die Treppe hoch zum Dach. Ryuuzaki schob die schwere Tür zum Dach auf und dann blies ihnen die eisige Nachtluft ins Gesicht. Light war erst einmal hier gewesen, nämlich um sich den durchaus beeindruckenden Hubschrauberlandeplatz anzusehen. Der Hubschrauber stand auf der runden Plattform, ein imposantes Fluggerät, das den Steuerzahler sicher einiges an Geld gekostet hatte. Light atmete die frische Luft tief ein. Drinnen hatte er gar nicht gemerkt, wie kühl es geworden war. Er näherte sich enthusiastisch dem Geländer am Rand und Ryuuzaki folgte ihm nur zögernd. Erst seit L sich hier in diesem Hotel einquartiert hatte, hatte man die Tür überhaupt aufgeschlossen, eigentlich war dieses Dach kein sicherer Ort für Gäste. Damit ein Hubschrauber ungehindert landen konnte, gab es keinen mannshohen Zaun um das Dach herum, sondern gerade mal eine steinerne Brüstung mit einem fragil wirkenden Eisengeländer. Furchtlos wie er war ergriff Light das Geländer und beugte sich darüber. Tief unter ihm erstreckte sich die Stadt, deren Lichter his hier rauf strahlten. Der Wind, der sich an der kahlen Hauswand brach, blies ihm jetzt direkt ins Gesicht und ihn erfasste eine Woge der Euphorie. Nur dieses Geländer trennte ihn von einem tödlichen Sturz in die Tiefe. "Sieh dir das an!", sagte er zu Ryuuzaki gewandt, der einen guten Meter hinter ihm stehengeblieben war. "Muss nicht sein", kam es von ihm. "Ich bin kein Fan von großen Höhen." "Du hast Höhenangst?" "Nein, ich habe keine Angst. Ich meide große Höhen einfach nur, wenn es möglich ist." Light war nicht jemand, der in seinem Leben schon viel mit Ängsten konfrontiert gewesen war. Wenn er so darüber nachdachte, hatte er wahre Angst erst im Zusammenhang mit L kennengelernt. Besonders hervorstechend war in seiner Erinnerung die Szene, als sein Vater ihn aus seiner Zelle geholt und ihm anschließend im Auto die Pistole an die Stirn gedrückt hatte. Aber Ryuuzaki fühlte sich offensichtlich nicht wohl, so nah am Abgrund. Deshalb warf er einen letzten, fast bedauernden Blick runter auf die Stadt. Da unten lebten so viele verschiedene Menschen. Jetzt gerade geschahen da unten, rein statistisch gesehen, dreizehn Überfälle, vier Vergewaltigungen und ein Mord. Und das war sogar eine gute Statistik, die meisten Großstädte der Welt konnten von so geringen Zahlen nur träumen. Die Welt war voll von schlechten Menschen. Kopfschüttelnd wandte Light sich ab und stellte sich neben Ryuuzaki. Diese Dinge sollte er lieber gar nicht erst denken. Kira dachte mit Sicherheit auch so, es wäre einfach nicht klug, diesen gedanklichen Ansatz auch nur zuzulassen. Also blickte er statt nach unten lieber nach oben, in einen perfekten Sternenhimmel. Es war eine ganze Weile her, seit er die Sterne gesehen hatte. Sein analytischer Verstand suchte automatisch nach den Sternbildern, aber er bemühte sich auch, einfach nur diesen Anblick zu genießen. Ryuuzaki reckte seinem Beispiel folgend den Kopf hoch und blickte hoch zu dem fast vollen Mond, der im sternenklaren Himmel über der Stadt hing und sein Gesicht in blasses Licht tauchte. Light musste lächeln. So hatte er den großen L auch noch nie gesehen. Schön, wie ein neugieriges Kind, das fasziniert die Sterne und den Mond anstarrt. Kühler Wind wehte und Light fröstelte, trotzdem nicht gewillt, die Stille und frische Luft der Nacht gleich wieder aufzugeben. Von einem Moment zum anderen waren die schwarzen Augen auf ihn gerichtet und Ryuuzaki fragte: "Frierst du?" Sein Atem verdampfte an der kalten Luft. Es war ein schönes Bild, fast wie gemalt. Nicht der Sternenhimmel, sondern Ryuuzaki, dessen blasse Haut in diesem Moment wie Porzellan wirkte. Das Mondlicht ließ seine Augen ganz seltsam leuchten. So gerne hätte Light diesen Moment festgehalten, ihn bis in alle Ewigkeit in Eis eingefroren, um ihn wieder und wieder betrachten zu können. Aber Ryuuzakis fragendes Gesicht wartete auf eine Antwort. "Nein", erwiderte er kopfschüttelnd. "Schon okay." "Wir sollten wieder reingehen, bevor du dich erkältest." Eigentlich wollte Light darauf hinweisen, dass er sich wenigstens seine Jacke angezogen hatte, ließ es dann aber doch sein. Im Moment bevorzugte er einfach nur Stille, auch wenn der Augenblick des inneren Friedens so schnell vorbeigezogen war. Gemeinsam gingen sie wieder zur Tür. Ihre Schritte und das immer präsente Rasseln der Kette waren die einzigen Geräusche im Treppenhaus. Light wollte nicht reden. Noch immer dachte er an diesen Moment, wo er Ryuuzaki für einen kurzen Augenblick mit anderen Augen gesehen hatte. Er wunderte sich, dass dieses Bild ihn gar nicht mehr losließ. Und auf einmal war irgendetwas anders. Da war plötzlich dieses warme, zähe Gefühl, das ihn irgendwie überwältigte. Es war wie… wie etwas, das schon lange dagewesen war, ihm aber jetzt erst bewusst wurde. In seiner Brust schmerzte etwas, sein Magen fühlte sich flau an. Im ersten Moment konnte er nicht einmal sagen, ob es ein sehr angenehmes oder ein total furchtbares Gefühl war. Vielleicht war es beides. Dann erst erkannte er, was es war. Die Wucht der Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Er hatte sich in Ryuuzaki verliebt. ...tbc... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)