Photophobia von Chi_desu (a fear of light (die Angst vor dem Licht)) ================================================================================ Kapitel 3: Accubitus -------------------- accubitus – Sharing a bed for sleeping only (ein Bett nur zum schlafen teilen) Etwas war anders. Light hatte trotz seiner geistigen Kapazitäten eine ganze Weile gebraucht um zu merken, was es war. Inzwischen wusste er es. Ryuuzaki hatte offenbar eine neue Marotte entwickelt. Er starrte Light an. Und das war gar nicht so harmlos, wie es im ersten Moment klingen mochte. Light besaß ein gesundes Selbstbewusstsein und konnte durchaus damit umgehen, angestarrt zu werden. Ryuuzaki übertrieb es allerdings gewaltig. Er starrte nicht nur ab und zu. Sondern eigentlich zu jeder Gelegenheit, stundenlang. Das hatte es ganz schön in sich. Light hatte es fast zufällig gemerkt, heute Vormittag bei der täglichen Besprechung. Gemeinsam mit dem Team hatten sie im Wohnzimmer am Tisch gesessen und die Fortschritte diskutiert. Er hatte sich schon länger irgendwie unwohl (oder im Nachhinein eher beobachtet) gefühlt. Matsuda hatte gerade ausschweifend vom derzeitigen Ermittlungsstand berichtet, da hatte Light den stechenden Blick bemerkt. Ryuuzaki glotzte ihn mit geradezu unverschämter Intensität an, während er gelegentlich an seiner Tasse Tee nippte. Und auch Lights verwunderter Blick änderte nichts daran. Er starrte einfach, so als wollte er jede noch so geringe Regung in Lights Gesicht erfassen. Zuerst hatte Light versucht, den starren Blick einfach zu ignorieren. Aber wo er ihm einmal aufgefallen war, war es schwer, darüber hinwegzusehen. Immer, wenn er sich umsah, stachen ihm automatisch die schwarzen Pupillen ins Auge, die auf ihn fixiert waren. Dann hatte er es mit zurückstarren versucht. Auch das war gescheitert, weil es ihm nach einer Weile einfach zu kindisch geworden war. Deshalb fragte er Ryuuzaki nach der Besprechung einfach direkt: "Gibt es einen Grund, wieso du mich so angestarrt hast?" "Nein." Und damit war die Sache erledigt, oder zumindest schien Ryuuzaki sie für erledigt zu halten. Denn er starrte schon wieder. "Yagami-kun?" Ryuuzaki sprach wie immer völlig überraschend. Sie saßen, so wie meistens, am Computer, hatten aber aus Höflichkeit vorläufig aufgehört, zu tippen. Hinter ihnen hielt Matsuda gerade einen Vortrag über seine eigenen Erkenntnisse zum Kira Fall. Selbstverständlich waren die "sensationellen Fakten", die er vortrug, dem Kopf des Ermittlungsteams und dem jungen Mann, der unfreiwillig an ihn gekettet war, längst bekannt. Aber da Ryuuzaki sich wahrscheinlich sogar freute, dass ihm jemand die Erklärungsarbeit abnahm (wenn er etwas erklärte, musste Light sowieso für gewöhnlich als "Übersetzer" fungieren, weil Ryuuzaki sehr gerne Fremdwörter benutzte, mit denen der Rest des Teams nichts anfangen konnte) und Light zu höflich war, um den jungen Polizisten darauf hinzuweisen, dass seine Erkenntnisse Schnee von gestern waren, taten sie beide so, als würden sie Matsuda zuhören. "Ja?", antwortete Light, leiser als Ryuuzaki. Erstaunlicherweise sagte Ryuuzaki auf deutsch: "[Kann ich dich mal was fragen?]" Er wählte die Sprache, die außer ihnen beiden garantiert kein anderer im Raum sprach. Also entschloss Light sich, vorerst mitzuspielen. "[Kann das nicht warten? Es ist unhöflich, sich zu unterhalten, während ein anderer spricht.]" "[Ich bin kein besonders höflicher Mensch.]" Sarkastisch erwiderte Light: "[Ach wirklich? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.]" Light warf einen Blick über die Schulter. Matsuda hatte ihre Unterhaltung sehr wohl bemerkt, ließ sich davon aber nicht weiter stören. Na schön. "[Na schön, was wolltest du mich fragen?]" "[Gibt es etwas, das du nicht kannst?]" Die Frage erstaunte Light nun doch. "[Selbstverständlich. Ich kann zum Beispiel nicht… äh… Geige spielen.]" "[Nein, so meinte ich das nicht. Gibt es etwas, das du versucht hast, das dir aber nicht gelungen ist?]" Jetzt musste Light wirklich überlegen. Da gab es doch bestimmt irgendwas. Aber wenn er so darüber nachdachte, war ihm bisher eigentlich alles, was er angepackt hatte, auch gelungen. Er war ein Schüler mit perfekten Noten gewesen, und zwar in jedem Fach. Handwerklich war er begabt, zumindest soweit er das bisher ausprobiert hatte. Er konnte gut mit anderen Menschen, er war gut im Sport… Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, als ihm etwas einfiel. "[Ich kann nicht verlieren.]" Ryuuzaki grinste ebenfalls. Das geistige Kräftemessen mit dem Meisterdetektiv machte Light wirklich Spaß. Also fragte er: "[Und was ist es, was du nicht kannst?]" Und die Antwort war ebenso gewitzt wie die von Light es gewesen war. Mit einer Kopfbewegung in Richtung Matsuda sagte Ryuuzaki: "[Ich kann schlecht zuhören, wenn jemand über etwas spricht, das mir längst bekannt ist.]" Light lachte. Es war das erste Mal seit Wochen, vielleicht sogar Monaten, dass er einfach lachte. Und als Ryuuzaki dann mit einstimmte, hielt Matsuda dann doch endlich die Klappe und starrte die zwei verstört an. "H-hab ich etwas Dummes gesagt?" "Nein", antwortete Light amüsiert. "Wir haben nicht über Sie gelacht." "Oh…" Trotzdem war Matsuda offenbar die Lust am Monolog vergangen. Er setzte sich brav wieder hin und das Team konnte sich wieder der Arbeit widmen. Mit einem Grinsen wandten sich die zwei Genies wieder dem Bildschirm zu. Ryuuzaki fragte unschuldig: "[Wir haben also nicht über ihn gelacht, hm?]" Im Hintergrund maulte Matsuda: "Ich hasse es, wenn sie das tun." Irgendwie bürgerte es sich ein, dass Light und Ryuuzaki die deutsche Sprache benutzten, wenn sie sich austauschen wollten, ohne den Rest des Teams einzubeziehen. Es war einfach unheimlich praktisch. Wenn einer von ihnen eine neue Idee hatte, konnten sie sich rasch beraten, ohne den anderen lange Erklärungen geben zu müssen. Für Light war es etwas völlig Neues, dass ihn jemand so schnell und ohne Probleme verstehen und seine Gedankengänge nachvollziehen konnte. Erst jetzt merkte er, dass er seine Ausdrucksweise und sein Vokabular offenbar die ganze Zeit unbewusst auf niedrigem Niveau gehalten hatte, um nicht anzuecken oder andere in Verlegenheit zu bringen. Ryuuzaki war ein Gesprächspartner, mit dem er sich auf einem Niveau unterhalten konnte, das einfach nur Spaß machte. Dem Rest des Teams behagte diese neue Entwicklung weit weniger. Sie wirkten immer einigermaßen ungehalten, wenn mal wieder so ein rascher Gedankenaustausch stattgefunden hatte. Vielleicht kamen sie sich ausgeschlossen vor oder sie erkannten, wieviel Ryuuzaki und Light ihnen tatsächlich voraus hatten. Seinem Vater hätte Light gerne manches erklärt, denn neben Ryuuzakis war dessen Meinung die einzige, die für ihn noch von Bedeutung war. Aber dann hätte er auch Matsuda und den anderen erklären müssen, worum es ging, und das war ihm meistens zu anstrengend. Noch interessanter als der gelegentliche Meinungsaustausch während des Tages waren aber die Nächte. Light und Ryuuzaki hatten völlig andere, um nicht zu sagen gegensätzliche Schlafgewohnheiten. Light bevorzugte es, nachts zu schlafen, idealerweise von etwa Mitternacht bis mindestens sechs Uhr. Ryuuzaki… nicht. Anfangs hatte Light entgegen jeder Vernunft geglaubt, Ryuuzaki schliefe überhaupt nicht. Aber das tat er sehr wohl. Nur nicht so wie andere Menschen. Nachts schien er sogar aktiver als tagsüber zu sein. Dafür neigte er dazu, gelegentlich einfach im sitzen einzunicken, etwa eine Viertelstunde lang vor sich hin zu dösen und dann wieder aufzuwachen und da weiterzumachen, wo er aufgehört hatte. Deshalb hatte es anfangs fast Krieg zwischen ihnen gegeben. Light hatte die Schlacht dann quasi gewonnen und auf seinem regelmäßigen, nächtlichen Schlaf bestanden. So kam es, dass etwa gegen Mitternacht sie beide ins Schlafzimmer umzogen, wo Light sich hinlegte und Ryuuzaki neben ihm saß mit einem Laptop auf dem Schoß. An irgendeinem Abend hatte Light nicht sofort einschlafen können. Mit im Nacken verschränkten Armen hatte er dagelegen und irgendetwas Sinnloses zu Ryuuzaki gesagt. Der hatte geantwortet und irgendwie war ein Gespräch daraus entstanden. Das war der Grundstein gewesen für eine neue nächtliche Routine. Ächzend schälte Light sich aus seinen Sachen und schlüpfte in seine Boxershorts, die er zum Schlafen trug. Müde kroch er ins Bett, auf dem Ryuuzaki bereits mit seinem Laptop saß. Light deckte sich zu, genoss noch eine Sekunde lang das trügerische Gefühl der Freiheit und hob dann den linken Arm. Es klickte und dann war er wieder an L gekettet. Eigentlich hätte er liebend gerne sofort geschlafen. Aber dazu waren die Gespräche, die sie beide ausgerechnet im Bett führten, zu spannend. Tagsüber neigten sie dazu, aus jeder Diskussion einen intellektuellen Zweikampf zu machen. Kurz vor dem Einschlafen war es ein Austausch über philosophische oder wissenschaftliche Themen, ganz ohne die Notwendigkeit, den anderen zu besiegen. Gestern hatten sie sich lange über Kontingenz und das Konzept von Ursache und Wirkung unterhalten. "Worüber wollen wir reden?", fragte Light mit geschlossenen Augen. "Wir müssen uns nicht unterhalten, weißt du? Du siehst müde aus." "Geht schon. Ich bin bloß nicht mehr in der geistigen Verfassung, mir ein Thema auszusuchen." "Wie wäre es mit… mmmh… Religion? Glaubst du an Gott?" "Ist das dein Ernst?", fragte Light. "Selbstverständlich." "Wie kannst du mich sowas fragen? Leute wie wir glauben nicht an Gott. Wenn du nur lange genug darüber nachdenkst, erkennst du, wie lächerlich die Vorstellung eines omnipotenten, immer da gewesenen Wesens ist. Ich bin Atheist." "Leute wie wir? Du denkst, dass ich nicht an Gott glaube, nur weil du es nicht tust?" Light lächelte selbstsicher. "Glaubst du denn an Gott?" "Ich bin Buddhist." "Oho, interessant." Selbstverständlich gefiel es Light, dass er Recht hatte. Obwohl er Ryuuzaki doch eher für einen Atheist gehalten hatte. "Buddhisten glauben nicht an einen Gott." "Aber wir glauben zumindest an irgendetwas." "Tu ich doch auch. Ich glaube an die Gerechtigkeit." Eigentlich öffnete Light seine Augen, weil er hoffte, Ryuuzakis Reaktion sehen zu können. Stattdessen blickte er direkt in ein paar schwarzer Augen, die ihn unverwandt und aus für seinen Geschmack viel zu geringer Entfernung anstarrten. L hatte sich über ihn gebeugt und blickte ihn neugierig an. "R-Ryuuzaki?!" "Ja?" "Könntest du mir von der Pelle rücken? Ginge das, ja?" "Verzeihung." Ryuuzaki richtete sich auf und rückte zurück auf seine Seite des Bettes. "Ich wollte nur etwas überprüfen." "Und was?" "Ich wollte sehen, ob deine Augenbrauen symmetrisch sind." ...tbc... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)