Schattenkrieg von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 21: Der Weg in die Hölle -------------------------------- Es, schien, als würde das feuchtigkeitsgeschwängerte Erdreich Nebel atmen. In dichten Schwaden kräuselte er sich entlang unsichtbarer Luftströmungen, dämpfte die nächtlichen Laute und verwandelte die unwirtliche Landschaft in ein gespenstisches Schattenreich. Gibbs kauerte reglos im Schutz dieses Nebels und wartete. Nicht weit von ihm und Scully entfernt befand sich ein kleiner, weniger gut bewachter Seiteneingang, welchen sie für ihr Vorhaben sorgsam ausgewählt hatten. Es lagen lange Stunden stillen Beobachtens hinter ihnen. Stunden, die unerträglich an ihrer beider Geduld gezerrt hatten, aber nicht vermeidbar gewesen waren. Und selbst diese kleine Schwachstelle entlang des hermetisch abgeriegelten Komplexes würde nicht leicht zu überwinden sein. Ein Trupp von vier bewaffneten Männern wachte über diesen Eingang. Gibbs wusste, dass er noch mehr Geduld haben musste. Geduld, dass die Aufmerksamkeit der Männer in einem kleinen Augenblick nachließ. Geduld, um auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Und Geduld, den geeigneten Plan zu ersinnen. Denn noch hatte er nur eine schwache Vorstellung, wie sie die Schutzvorkehrungen aushebeln konnten. Also verharrte er bewegungslos, den Blick unverwandt auf den schmalen Durchlass gerichtet. Scully zitterte leicht an seiner Seite. Sie war müde bis zum Umfallen und erschöpft. Der mühsame Abstieg hatte ihnen beiden alles abverlangt und so fror sie trotz der schwülwarmen Feuchtigkeit in der Luft. Die unumgängliche Auseinandersetzung mit dem Wachtrupp und die nagende Sorge um Mulder zehrten zusätzlich noch an ihrer inneren Ruhe, ließen ihre Nerven blank liegen und Gibbs, der ihren wachsenden Unmut deutlich spürte, konnte es ihr nicht einmal verübeln. Auch er rang mit dem wachsenden Druck der Sorge, doch Scully war im Gegensatz zu ihm nicht für solche Situationen ausgebildet worden. Sie war nicht in der Lage, ihre Emotionen mit der gleichen kalten Entschlossenheit zu beherrschen wie der NCIS-Agent. Nichts gab ihnen einen Anhalt dafür, wie viel Zeit während dieses zermürbenden Wartens verstrich und schließlich gab Scully ihrer inneren Stimme nach, die ihr entgegenschrie, endlich etwas zu tun. Für sie war es unbegreiflich, wie es Gibbs gelang so vollkommen still zu bleiben. Als der Agent einen kurzen, mahnenden Blick in ihre Richtung warf, beschloss sie der Warterei ein Ende zu setzen. Vorsichtig rückte sie näher an die Seite des NCIS-Agents, darauf vertrauend, dass der Nebel den Klang ihrer Worte dämpfen würde: „Jethro, so erreichen wir rein gar nichts. Diese Männer werden in ihrer Wachsamkeit nicht nachlassen.“ Eindringlich starrte sie Gibbs an. Sie hoffte, dass ihm das Selbe aufgefallen war wie ihr, nämlich dass etwas an diesen Männern anders war. Etwas, das sie nicht so recht erfassen konnte, aber deutlich zu bemerken war, wenn man sie eine Zeit lang beobachtete. Die Art wie sie in die Nacht schauten, wie sie sich bewegten und sich durch kleine Gesten verständigten. Durch den Nebel und in dem fernen Licht der Scheinwerfer konnte sie nicht so recht etwas erkennen, aber es genügte ihr, besorgt zu sein. Vielleicht war sie paranoid. Vielleicht hatte ihre schlechte Erfahrung ihre Einbildung beflügelt. Aber der böse Verdacht, dass auch die Wachen genmanipuliert sein könnten, durfte nicht außer Acht gelassen werden. Es machte ihr Vorhaben ungleich schwieriger und jagte ihr Angst ein. Konnten sie solche Wachen denn überhaupt überwinden? Sie beantwortete sich diese Frage schnell und schonungslos. Sie mussten. Sie würden. Sie würde Mulder dort drinnen nicht sterben lassen. Diese Entschlossenheit konnte die Angst zwar nicht verdrängen, doch sie überschattete sie wenigstens in sofern, dass ihre Gedanken klar blieben und sie handlungsfähig blieb. Gibbs seufzte leise neben ihr. Er verlagerte sein Gewicht ein Stück weit, verließ die zusammengekauerte Haltung und reckte vorsichtig seine verhärteten Muskeln. Er hatte gehofft einen anderen Weg zu finden, dass sich ihnen hier eine Gelegenheit eröffnen würde, die sie nicht hätten voraussehen können. Aber das war nicht der Fall, also würde sein ursprünglicher Plan genügen müssen. Scullys Befürchtung war nicht von der Hand zu weisen und sie mussten schließlich hinein. Und das schnell. Behutsam zog er die FBI-Agentin an sich, grub seine Nase in ihr durchnässtes Haar und erläuterte ihr wispernd seinen Plan. Es war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, um romantischen Gefühlen nachzuhängen, aber er konnte sich ein Lächeln dennoch nicht verkneifen, als er Scully in seinen Armen erschauern fühlte. Nur wenige Herzschläge später gab er sie frei und richtete sich zur vollen Größe auf. Die weite Kapuze des Mantels zog er sich über den Kopf. Es war Zeit zu gehen. Die Wachen unmittelbar vor der kleinen Durchgangsschleuse versteiften sich, als sie Schritte aus dem Nebel vor sich näher kommen hörten. Misstrauisch hoben sie ihre Waffen und spähten in die Dunkelheit, konnten aber nichts erkennen außer dem unsteten Wirbeln des Nebels. „Wer ist da?“ Scharf hallten die arabisch gesprochenen Worte durch die Stille der Nacht, doch es folgte keine Antwort. „Tretet mit erhobenen Armen vor und gebt euch zu erkennen.“ Statt einer Antwort erschienen zwei Gestalten im Lichthof der Scheinwerfer, welche den unmittelbaren Bereich um das Durchgangstor erhellten. Das metallene Schnappen der entriegelten Sicherungen der Maschinengewehre ließ sie im Näherkommen zaudern. „Stehen bleiben!“ Gibbs war dankbar für die weite Kleidung des einheimischen Wüstenvolks, die er noch immer trug und die ihn nun vor den zu neugierigen Blicken der Soldaten schützte. Sie verbarg seine angespannte Haltung und verdeckte gleichzeitig Scullys Arme. Die Agentin ging dicht vor ihm und gab vor die Hände auf dem Rücken gefesselt zu haben. Eine Hand auf ihrem Handgelenk konnte er spüren, wie sie bei dem Geräusch der durchgeladenen Waffen zusammenzuckte, doch im Gegensatz zu ihm durfte sie ihre Furcht offen zeigen. Sie trug ihre westliche Kleidung, hatte den einheimischen Mantel zurückgelassen und war auf diese Weise sofort als Eindringling gebrandmarkt. Als der Feind. „Ich bringe eine Gefangene. Senkt die Waffen!“ Die Wache hatte arabisch gesprochen, doch die Beobachtung zuvor hatte Gibbs gezeigt, dass sich die Männer untereinander auch der englischen Sprache bedienten. Andernfalls hätte er keine Chance gehabt, sich verständlich zu machen. Er bemühte sich, seiner Stimme einen herrischen und bestimmten Ton zu verleihen und hoffte, dass sich der kleine Trupp durch ein bisschen Machtgehabe verunsichern ließ. Er stieß Scully vor sich her, direkt in das Licht der Scheinwerfer und sorgte dafür, dass die Wachen sie deutlich erkannten. „Sie hat versucht am Westtor auf das Gelände zu kommen. Ich bin ihr gefolgt, als sie versuchen wollte zu fliehen.“ Aus schmalen Augen musterten sie die kleine Agentin. Noch senkten sich ihre Waffen nicht und Gibbs knirschte frustriert mit den Zähnen. Es gefiel ihm nicht, Scully einer derartigen Gefahr auszusetzen und wollte dieser Situation so schnell es ging entkommen. „Bist du ihr allein gefolgt?“ „Nein. Ein Teil meiner Patrouille hat mich begleitet. Nachdem wir sie stellen konnten ist der Rest gegangen, um in der Umgebung nach weiteren Fremden zu sehen. Zwei Sabotageversuche an einem Tag sind ungewöhnlich, wir müssen davon ausgehen, dass jemand einen Angriff auf das Forschungslabor plant.“ Er gab seiner Stimme einen ätzenden Unterton, versuchte den Anschein zu erwecken, dass er herablassend auf die scheinbare Dummheit der Wachen reagierte. „Ihr tut gut daran heute Nacht wachsam zu sein.“ Die vier Männer tauschten kurze Blicke und schnaubten verächtlich. Sie hatten den Köder noch immer nicht geschluckt. Also warf ihnen Gibbs seinen letzten Trumpf entgegen. „Werft einen Blick hier drauf, wenn ihr mir nicht glauben wollt.“ Linkisch fing der Soldat das schwarze Lederetui auf und klappte es auf. „Sie ist vom FBI. Eine Amerikanerin. Hier. Genau so wie der Fremde, der heute Nachmittag unsere Sicherheitsvorkehrungen unterwandert hat.“ Mühsam zwang sich Scully zur Ruhe, als die Wache ihren Ausweis prüfte und sie daraufhin aufmerksam musterte. Seine Augen brannten in einem für sie unverständlichen Hass. Es waren Momente, die sich wie zäher Sirup dahinzogen. Nichts würde sie hier vor einer Gefangennahme bewahren wenn der Bluff fehlschlug. Nicht einmal Gibbs, dessen Tarnung bislang noch undurchschaut blieb. So starrte sie mit einer Mischung aus Trotz und Angst zurück, die sie nicht einmal künstlich darstellen musste. Sie hatte weiche Knie und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Aber Gibbs Hand auf ihrer Schulter gab ihr Halt. Die Hoffnung gab ihr Halt. Mulder wartete und zählte auf sie. Tony und Kate zählten auf sie. Sie würde nicht wanken. Endlich, nach schier unendlicher Zeit, senkten sich die Waffen und die beiden Wachen vor dem Tor traten zur Seite, gewährten ihnen Durchlass. Ohne weiteres Zögern schob Gibbs die FBI-Agentin unter dem stacheldrahtbewehrten Zaun hindurch und Scully zuckte noch einmal zusammen, als sich das Tor in ihrem Rücken mit einem elektronischen Summen wieder schloss. Sie waren drinnen. Sie waren gefangen. Jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Sie blickte zurück und stellte mit nicht geringem Schrecken fest, dass eine der Wachen sie offensichtlich begleiten würde. Schnell riskierte sie einen Blick auf Gibbs, der nur ganz schwach mit dem Kopf schüttelte und darauf wartete, dass der Soldat zu ihnen aufschloss. Mit nichts verriet er, ob er über diesen Umstand besorgt war oder nicht. Er zog Scully lediglich ein Stück näher an sich, gab vor sie fester an den nicht vorhandenen Fesseln zu greifen und verhinderte so, dass der Fremde Hand an sie legte. Allerdings musste sie zulassen, dass man ihr einen weiten Schal um den Kopf band, welcher ihr die Sicht vollständig nahm. Furcht ließ sie erzittern und nur Gibbs Nähe in ihrem Rücken verhinderte, dass sie kopflos wurde und sich den Schal wieder herunterriss und damit ihre Tarnung zerstörte. Dann traten sie schweigend ihren Marsch in den Forschungskomplex an. Ihr Weg führte sie über staubige Außenpfade, nicht wie Gibbs erwartet hatte in das Innere der vielen verschachtelten Gebäude. Sie kamen an den unterschiedlichsten Bauten vorbei, hell erleuchtet und durchdrungen von dem sonoren Vibrieren unzähliger Generatoren. Hin und wieder kreuzten Patrouillen ihren Weg, doch es wurden keine Worte gewechselt. Verstohlen hielt der NCIS-Agent Ausschau nach den Überwachungskameras, welche in unregelmäßigen Abständen wie Krähen auf Metallpfosten aufgestellt worden waren und einen Großteil des Außengeländes abdeckten. Er beobachtete sie, versuchte ihren weiteren Weg vorauszuahnen und hielt die Augen nach blinden Flecken offen. Sie mussten die Wache loswerden und das möglichst bald und möglichst unbemerkt. Die Chance eröffnete sich ihm, als sie hinter einem weiteren Gebäude in dessen Schlagschatten eintauchten. Natürlich. Wo es viel Licht gab, gab es auch Schatten. Tiefe Schatten, die eine auf Licht ausgerichtete Kamera nicht würde durchdringen können. Gibbs reagierte. Er stieß die überraschte Scully von sich, fort von dem Gefahrenbereich des Maschinengewehrs, und riss der vor ihm gehenden, überraschten Wache die Waffe aus den Händen. Er unterband den Warnschrei des Mannes mit einem brutalen Schlag mit dem Griffstück des Gewehrs auf dessen halb geöffneten Mund und sandte ihn zu Boden. Der spuckte Blut und offenbar auch einen Teil seiner Schneidezähne, schien ansonsten aber unbeeindruckt von der Attacke. Wie Scully befürchtet hatte, war etwas anders an diesen Wachen. Gibbs fluchte. Der Schlag hätte den Mann lähmen sollen, orientierungslos und hilflos machen sollen. Doch das war nicht der Fall. Flink wie eine Katze kam er wieder auf die Beine und griff nun seinerseits an. Scully, die durch den unerwarteten Stoß gestürzt war, schaffte es endlich sich von dem erstickenden Schal zu befreien und sah gerade noch, wie das Maschinengewehr mit einem erschreckend lauten Knall gegen die Außenwand des Gebäudes prallte. Mit einer unglaublichen Gewandtheit hatte die Wache den Arm des NCIS-Agents schmerzhaft auf den Rücken verdreht, so dass dieser die Waffe hatte loslassen müssen, raubte ihm auf diese Weise das Gleichgewicht und schleuderte ihn zu Boden. Gibbs Hand fuhr dabei geistesgegenwärtig zu dem Gewehr, das nicht weit von ihm an der Wand ruhte, doch die Wache war wieder schneller. Sie trat ihm auf den Unterarm und ohrfeigte ihn mit einem heftigen Rückhandschlag. Scully keuchte entsetzt. Der NCIS-Agent verbiss sich einen Aufschrei, kämpfte gegen den Schwindel. Verschwommen sah er, wie sich sein Gegner bückte, um das Gewehr aufzuheben, griff nach dessen Bein und riss ihn von den Füßen. Staub wirbelte auf. Ein kurzes aber heftiges Gezerre um die Waffe folgte, was Gibbs dazu nutzte näher an den Mann heranzukommen. Auf Distanz würde er gegen einen solchen Widersacher nicht bestehen können. Dann löste er schlagartig seinen Griff, nutzte die kurze Verwirrung ddes Soldaten und brach ihm mit einer schnellen Bewegung das Genick. Es knirschte ekelerregend, dann war es vorbei. Schwer atmend blieb Gibbs neben der Leiche liegen. Die Stirn auf den sandigen Untergrund gepresst konnte er für einen Moment nichts anderes als den Schmerz in seinen Gliedern fühlen. Nein, er war wirklich noch nicht vollständig wieder bei Kräften. Er schlug die Augen wieder auf, als Scully neben ihm auf die Knie sank und unterdrückte ein Husten. Der Staub hing noch immer wie ein feiner Schleier in der Luft. „Es geht schon. Lass mir nur einen Moment um wieder zu Atem zu kommen.“ Mit einem leisen Knurren richtete er sich auf, das schmerzhafte Pochen hinter seinen Augen wurde nur langsam schwächer. Er sah sich um. Scully hatte die Leiche bereits ein Stück zur Seite gezerrt, wo sie einem zufällig Vorbeikommenden nicht sofort ins Auge springen würde. Das Maschinengewehr hielt sie indes mit einer Hand umklammert. „Kannst du aufstehen?“ Der NCIS-Agent nickte verdrossen, gefror dann aber mitten in der Bewegung, als ferne Stimmen an sein Ohr drangen. Irgendwo klappte eine Tür. Schnell zogen sich die beiden Agents an die Gebäudewand zurück, vor unliebsamen Blicken durch den Schatten versteckt, und spähten um die Ecke. Eine hell erleuchtete Eben erstreckte sich zwischen den einzelnen Komplexen und eine Gruppe von sechs Personen hatte soeben eines der Nebengelasse verlassen und steuerte nun auf das Hauptgebäude zu. Scully zuckte unwillkürlich zusammen. „Mulder!“ Der Nebel war hier zwischen den Gebäuden nicht ganz so dicht, trotzdem zogen vereinzelte Fäden aus weißer Feuchtigkeit wie Spinnenweben über den Boden und erschwerten die Sicht auf die kleine Gruppe. Der hochgewachsene FBI-Agent hob sich allerdings deutlich von den anderen Männern in traditioneller Kleidung ab. Man hatte ihm seine ursprüngliche Bekleidung weggenommen und sie gegen eine schlichte Hose und Hemd ausgetauscht. Leise holte Gibbs den Feldstecher hervor, den er zu Beginn ihrer Rettungsmission von Scully ausgehändigt bekommen hatte. Mulder wurde von insgesamt vier Soldaten begleitet, allesamt bewaffnet. Die fünfte Person, die sich mit einer für Menschen unnatürlichen Eleganz fortbewegte, konnte er nicht identifizieren. Auf jeden Fall schien Mulder keinerlei Fesseln zu tragen und Gibbs vermochte nicht zu bestimmen, ob das ein gutes oder ein schlechtes Omen war. Er überlegte fieberhaft, während er den Feldstecher wieder verstaute. Sie mussten dieser Gruppe folgen, aber um das möglichst unauffällig zu bewerkstelligen blieb ihnen nur eine Möglichkeit. Frustriert knirschte Gibbs mit den Zähnen. „Es tut mir leid, Dana, aber ich befürchte, dass deine Rolle als mein Faustpfand noch nicht beendet ist.“ Seine blauen Augen funkelten in dem indirekten Licht der Scheinwerfer, als er Scully neben sich besorgt musterte. Er hatte gehofft, den gleichen Trick nicht noch einmal anwenden zu müssen. Eine Taktik zwei Mal zu verwenden war niemals weise. Aber mit der FBI-Agentin als vermeindliche Gefangene würden sie die besten Chancen haben bis zu den anderen Gefangenen vorzudringen. Zu Mulder, Kate und Tony. Mit undeutbarer Mine reichte Scully das Maschinengewehr an Gibbs weiter. Dann griff sie nach dem Schal und wickelte ihn sich mich entschlossener Bestimmtheit wieder um den Kopf. „Beeilen wir uns lieber, um nicht noch den Anschluss an die Patrouille zu verlieren.“ Ihre Stimme klang gedämpft unter all den Lagen aus Stoff, aber das leichte Zittern darin konnte sie dennoch nicht verbergen. So schnell es Scullys erzwungene Blindheit erlaubte folgten sie Mulder also. Der verschwand gerade in dem Moment mit seinen Begleitern im Innern des Hauptgebäudes, als Gibbs mit seiner Gefangenen um die letzte Ecke bog. Leise fluchend strebten sie der Doppelflügeltür entgegen und trafen dort auf die nächsten Wachtposten. Sie versperrten Gibbs mit finsteren Minen den Weg, auch sie trugen Waffen. Mit einiger Ironie merkte der NCIS-Agent an, dass diese Einrichtung für ein Forschungsprojekt wirklich erstaunlich gute militärische Ausrüstung innehatte. Wütend blitzte er den vor sich stehenden Soldaten unter der weiten Kapuze hervor an. Er hatte jetzt weder die Zeit noch die Geduld, das gleiche Schauspiel im Detail noch einmal zu durchlaufen. „Lasst mich passieren! Ich muss die andere Patrouille einholen.“ Er wollte sich an den beiden Männern vorbeidrücken, wurde allerdings unsanft wieder zurückgestoßen. Herablassend schnaubte die Wache. „Warum?“ Wieder zog Gibbs den Schal von Scullys Gesicht, als wäre das Erklärung genug. Scharf fuhr er sein Gegenüber an: „Weil sie die Partnerin des Mannes ist, der hier soeben von der anderen Patrouille vorbeigeführt wurde. Falls es bis hier noch nicht vorgedrungen ist: Sie hat versucht am Westtor auf das Gelände zu kommen. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Stellung in Gefahr ist, also lasst mich passieren!“ Ihm war nur allzu bewusst, dass er sich auf gefährlichem Boden bewegte, wenn er die Wache derart heftig anging. Aber seine Rechnung ging auf. Verunsichert tauschten die beiden Soldaten einen schnellen Blick, dann endlich öffneten sie die Tür. „Den Flur nach rechts und dann hinauf in die dritte Ebene. Dort will sich der Boss mit dem FBI-Agent treffen.“ Gibbs horchte auf, ließ sich aber ansonsten in keiner Weise anmerken, wie sehr ihn diese Information überraschte. Sie würden also dem Kopf dieses wahnsinnigen Projekts persönlich gegenübertreten. Wie überaus interessant. „Ich werde Sie und die Fremde voranmelden müssen.“ „Nein.“ Gibbs biss sich auf die Unterlippe und ermahnte sich zur Ruhe. „Überlasst das ruhig mir. Ich werde mich beeilen die Patrouille noch rechtzeitig einzuholen, dann ist die positive Überraschung für den Chef ungleich angenehmer.“ Welch schwache Begründung, aber die Soldaten schienen zufrieden damit. Schnell durchquerten Scully und Gibbs die Tür und waren kurz darauf allein in dem dahinter liegenden Flur. Beide atmeten sie hörbar auf. „Also nach rechts.“ Dieses Mal rannten sie. Leise und jederzeit darauf gefasst, zurück in ihre Rollen als Soldat und Gefangene zu schlüpfen, doch niemand kreuzte ihren Weg. So folgten sie den Hinweisschildern, die ihnen den Weg zur dritten Ebene wiesen, mehrere Treppen nach oben. Sie kamen an unzähligen geschlossenen Türen vorbei, die allesamt mit binären Sicherheitsschlössern versehen waren. An einigen befanden sich für die beiden Agents undefinierbare Aufschriften, andere wiederum waren verglast und gaben den Blick auf dahinter liegende Laboratorien oder Behandlungsräume frei. Ein bisschen kamen sie sich wie in einem Krankenhaus vor. Aber einem militärischen Krankenhaus. Die Sicherheitsvorkehrungen waren enorm, nirgends wurde gespart und nur die teuersten und neuesten Materialien waren verbaut worden. Wozu zum Teufel brauchte man eine Tür aus Aluminiumkarbon? Gibbs ließ seinen Blick über die freiliegenden Rohrleitungen an der Decke gleiten. Unzählige Kameras begleiteten ihren Weg, aber keine von ihnen schwenkte herum, um sie länger als nötig im Fokus zu behalten. Das ließ zumindest die Hoffnung zu, dass sie bislang noch niemandes besondere Aufmerksamkeit errungen hatten. Sie hätten den Kameras ohnehin nicht ausweichen können und noch hielt ihr Bluff stand. Scully fand das erstaunlich, empfand sie ihre Tarnung und Taktik doch mehr als nur ein bisschen durchschaubar. Aber vermutlich rechnete bloß niemand damit, dass jemand tatsächlich so leichtsinnig sein würde diese Forschungsstation freiwillig zu betreten. Ihr Glück. Das Gefühl der Dringlichkeit wuchs beängstigend, während sie ihren Weg durch die endlosen Flure fortsetzten. Von der Patrouille fehlte jede Spur, nicht einmal Schritte waren zu hören, aber sie eilten weiter. Wenn die Wachen sie absichtlich auf eine falsche Fährte gelockt hatten, konnten sie daran nichts mehr ändern. Und wo sie letztlich mit ihrer Suche nach den anderen begannen, war im Grunde egal. Sie erreichten die dritte Ebene ohne irgendwelche Zwischenfälle und traten am Kopf der letzten Treppe hinaus auf eine weit geschwungene Galerie. Zu ihren Füßen dehnte sich eine kreisrunde Freifläche aus und von dort drangen Stimmen zu ihnen herauf. Scully und Gibbs duckten sich hinter das geschmackvoll gearbeitete Geländer und schauten hinunter. Offenbar befanden sie sich hier im Herzen der Einrichtung. Der Saal wurde von einer atemberaubenden Glaskuppel überspannt und der metallene Boden wies ein unregelmäßiges Mosaik auf. Wo die Einrichtung vorher an ein Krankenhaus erinnert hatte, mutete es hier eher an ein Museum an. Unterschiedliche Exponate der abscheulichen Genforschung standen hier in gläsernen Vitrinen ausgestellt. Große Bilder an den Wänden schienen Diagramme und Darstellungen der verschiedenen Entwicklungen wiederzugeben. Es war ein Horrorkabinett. Und mitten zwischen diesen Vitrinen und Schautischen stand die Patrouille mit Mulder. Gibbs grollte tief, als er sah wer Mulder und seinen Wächtern gegenüberstand. Rauch kräuselte sich über der passender Weise grau gekleideten Person und ein kratziges Lachen hallte zu ihnen hinauf. Der NCIS-Agent umschloss das Gewehr fester, seinen tödlichen Hass nur mühsam im Zaum haltend. Wie sehr er dieser Kreatur den Tod wünschte! Sein Finger krümmte sich behutsam um den Abzug der Waffe, ein stummes Versprechen. Dann wartete er. 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