Spuren im Sand von Ney-chan ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Manchmal sehe ich Dinge... Dinge, die nicht real sind... Die sich aber real anfühlen", sie wippte ihren Körper hin und her, die Arme fest um die angezogenen Knie geschlungen. „Warum sehe ich solche Dinge? Was passiert mit mir?" In ihren Augen spiegelte sich die blanke Verzweiflung, ein Entsetzen, das nicht in Worte zu fassen war. „Bitte... bitte helfen Sie mir!!", flehte sie, indem sie heftig am Hemdärmel ihres Gegenübers zerrte. Er lächelte, doch dieses Lächeln galt nicht ihr. „Niemand kann dir helfen", sagte er schließlich schleppend, so als sei das etwas, das ihm eben erst klar geworden war. Und in schärferem Ton setzte er nach: „Verstehst du? Dir ist nicht zu helfen!" Er funkelte sie an, als ihre Blicke sich trafen, was sie erschreckt zurückfahren ließ. Ihre Angst bewegte etwas in ihm, was seiner Stimme wieder einen weicheren Klang verlieh. „Niemand hilft dir, wenn du selbst dir nicht zu helfen weißt. Du denkst, du bist allein? Dann wird es wohl so sein. All die Menschen um dich herum, die sich um dich sorgen, dir zu helfen versuchen, die dein Bestes wollen... sie alle existieren in Wahrheit nur in deiner Vorstellung. Denn in der Realität gäbe es solche Menschen gar nicht, die dich derart wertschätzten, nicht wahr?" Es war eine Falle. Mit jedem Wort drängte er sie weiter in die Enge. Die Menschen in ihrer Umgebung... war sie denn wirklich so undankbar, sich einzureden, sie seien nicht real? Apathisch saß sie da und dachte über seine Worte nach. Dabei merkte sie gar nicht, wie unhaltbare Tränen sich den Weg über ihre Wangen bahnten. Tränen, die sie hatte so lange unterdrücken müssen, die sie keinem Menschen zeigen wollte, aus Angst, verletzt zu werden. Schweigend reichte er ihr ein Taschentuch, das sie ebenso stumm hinnahm. Er wendete seinen Blick ab von ihr, hinaus zu dem kleinen Fenster, das auf das Meer gerichtet war. Das Rauschen der Wellen drang bis zu ihnen hinauf. Er überlegte, ob er etwas sagen oder abwarten sollte, bis sie sich beruhigt hatte; sie, die alles zu wissen glaubte, und doch nichts verstand. Betrübt schüttelte er den Kopf. Nein, er konnte ihr sicher nicht helfen. Warum hatte sie ausgerechnet ihn darum gebeten? Ihn, dem nicht einmal etwas an ihrem Glück lag. Der sich nicht einmal um sein eigenes Glück scherte. „Das muss aufhören", meinte sie schließlich und klang dabei sehr entschlossen. „Ich will nicht, dass das so weitergeht." Erneut schlich sich Verzweiflung in ihre Stimme, doch sie unterdrückte sie mit aller Macht. Sie spürte ganz deutlich, dass sie etwas verändern konnte, dass sie die Kraft haben würde, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. „Endlich hast du es begriffen", sagte er und sah sie dabei durchdringend an. Sie hob ihren Blick, um ihm in die Augen zu sehen. Ein erstes, zaghaftes Lächeln schlich sich in ihre Züge. „Und was ist mit Ihnen? Wann werden Sie es endlich begreifen?" Er atmete hörbar aus. Da sagte sie etwas! Aber er fand keine Antwort auf ihre Frage, so sehr er es sich auch gewünscht hätte. „Ich bin nicht wie du", erwiderte er schließlich nach langem Schweigen. „Ich habe niemanden, der mir wichtig ist. Und es gibt niemanden, dem ich etwas bedeute." Diese Erkenntnis war ihm schon vor langer Zeit gekommen, doch es war das erste Mal, dass er sie aussprach. Als er nun diese Worte aus seinem Mund hörte, fühlte er sich plötzlich, als würde sich eine große Leere in ihm ausbreiten. Lange schaute sie ihn wortlos an, beobachtete seine Gesichtszüge, seine Gestik. „Sie haben Recht", sagte sie dann mit einem Mal, „Sie können mir nicht helfen." Mit einem Satz erhob sie sich und verließ den Raum. Er sah ihr nicht nach, als die Tür hinter ihr ins Schloß fiel, sondern richtete seinen Blick erneut aufs Meer hinaus. Später fand er ihre Spuren im Sand, die vom Wasser beinahe hinfort geschwemmt waren. Das war, lange nachdem sie zu ihm zurückgekehrt war. Ein bitteres Lächeln zeichnete sich um seine Mundwinkel ab. Er hatte ihr nicht helfen können. Sie aber hatte ihn gerettet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)