Unwell von -Red-Karasu ================================================================================ Kapitel 2: 2. Insight --------------------- 2. Insight     Am nächsten Morgen wache ich nur langsam auf. Das Erste, was ich wahrnehme ist, dass es warm ist und nach dir riecht. Ich blinzele und erkenne, dass du mich anscheinend im Schlaf in den Armen gehalten hast. Einen Moment lang frage ich mich, warum du überhaupt hier bist und nicht in deinem Bett, beschließe dann aber, dass ich nichts dagegen habe. Ich kuschele mich noch ein wenig mehr an deinen Körper, genieße die Wärme, die du mir gibst. Leider wachst du dadurch auf. Erst ein wenig verwirrt, dann mit einem verschlafenen Lächeln auf den Lippen siehst du mich an.   „Guten Morgen…“ Ich nicke nur leicht. „Wie…geht es dir?“ Ich spüre, wie deine Hand sacht durch meine Haare fährt, mich dann leicht im Genick krault. Ich sollte das genießen, aber mir krampft sich das Herz zusammen und ich muss darum kämpfen nicht panisch zu werden. „Geht schon…“, nuschele ich leise, verkrieche mich an dir. Es tut mir so wahnsinnig weh, dich so zu sehen. Ich weiß, dass es dich verletzt, wie ich bin, aber ich schaffe es nicht das zu ändern. „Die?“ „Mh?“ Ich richte mich etwas auf und sehe dir in die Augen. „Ich…liebe dich.“ Etwas zittrig verlassen die Worte meinen Mund. Deine Hand streicht sanft über meine Wange, wischt eine Träne weg, die ich nicht einmal bemerkt habe.   „Ich weiß Kyo. Ich liebe dich auch.“ Du ziehst mich leicht zu dir, küsst mich liebevoll.   Eine ganze Weile herrscht Schweigen, wir hängen beide unseren Gedanken hinterher. Schließlich bist wieder einmal du es, der die Stille bricht. „Wir haben heute Probe…“ Wieder nicke ich nur. „Ist das okay für dich? Oder soll ich Kaoru fragen, ob wir es verschieben können?“ Jetzt schüttele ich den Kopf. „Nein, das geht schon. Irgendwann müssen wir ja mal was machen, oder?“ Ich versuche irgendwie zuversichtlich zu klingen. Vielleicht hilft es mir ja sogar, wenn ich hier mal rauskomme, auch wenn ich mich allein bei dem Gedanken, meine gewohnten vier Wände zu verlassen, einfach nur unglaublich unwohl fühle.     Also machen wir uns, wie versprochen, knappe zwei Stunden später auf den Weg zu unserem Proberaum. Der Weg ist von meiner Wohnung aus – nicht ganz zufällig – nicht sehr weit. Und da heute anscheinend ausnahmsweise schönes Wetter ist, haben wir, oder eher du, beschlossen, dass wir zu Fuß gehen. Du, wie immer fällst du durch dein rotes Haar auf, hast ein kleines Lächeln im Gesicht, blinzelst gegen die durch die Wolken brechende Sonne, als könnte rein gar nichts deine gute Laune trüben. Deine Gitarre in ihrem Koffer mit dir tragend, bahnst du dir deinen Weg durch die Menschenmenge und achtest doch immer noch darauf, dass ich dir nicht verloren gehe. Ich laufe ein, zwei Schritte hinter dir und beobachte dich, lasse meine Blicke über die Menschen schweifen. Überall sehe ich nur die gleichen verschwiegenen, hinter gleichgültigen Masken verborgenen Gesichter, die von einem Ort zum nächsten hetzen. Dann erhasche ich in einem Schaufenster ein Aufblitzen von Gelbblond und bleibe stehen. Ich betrachte meine eigene jämmerliche Gestalt, tief in die wärmende Jacke verkrochen, mit leeren Augen vor sich hin starrend, im Schaufenster.   „Was ist nur aus dir geworden…“, brumme ich leise, fahre im nächsten Augenblick zusammen, weil du mir einen Kuss auf die Wange hauchst.   „Du bist wunderschön.“, flüstert deine Stimme erstaunlich liebevoll in mein Ohr, bevor du mich an der Hand nimmst und sanft mit dir ziehst. Etwas überrascht folge ich dir, blicke einem vorbeifahrenden Zug hinterher, während ich die Wärme deiner Hand an meinen kalten Fingern genieße.   Me Talking to myself in public Dodging glances on the train   Ich verstehe wirklich nicht, wieso du das alles für mich tust, und wie du es überhaupt so lange mit mir ausgehalten hast, aber in diesem Moment kann ich nicht verhindern, dass sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen schleicht.   „Danke.“   Ich sage es ganz leise, doch daran, dass du kurz meine Hand drückst, merke ich, dass du mich gehört hast. Womit habe ich jemanden wie dich eigentlich verdient? Mit einem Anflug von guter Laune setze ich den Weg fort.   Keine zehn Minuten später erreichen wir das Gebäude, in dem sich auch unser Proberaum befindet. Wir fahren mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock und betreten dann das Studio. Die anderen drei sind schon da, heben unisono die Köpfe als wir eintreten. Ich weiß nicht was es ist. Aber irgendwas macht mich sicher, dass ihr über mich geredet habt, versetzt mir einen geradezu körperlich schmerzhaften Stich. Ich murmele nur ein desinteressiertes ‚Hallo‘ und verziehe mich dann in meine Ecke, um meine Jacke auszuziehen und eine zu rauchen. Ich weiß nicht, warum ich mich so enttäuscht fühle. Klar, ich weiß, dass du mit Kaoru geredet hast. Ist ja dein gutes Recht und bei dem, was du durch mich mitmachen musst auch absolut verständlich. Wer bräuchte nicht hin und wieder jemanden zum Reden, wenn der eigene Freund ein mentales Wrack ist? Aber aus irgendeinem Grund zieht sich mir das Herz zusammen, wenn ich sehe, dass ihr anscheinend alle über mich geredet habt. Selbst wenn ich weiß, dass es mit ziemlicher Sicherheit nichts Schlechtes war und ihr euch sicher nur Sorgen macht, komme ich mir gewissermaßen verraten vor.   Ich höre zwischen Toshiyas Stimme, der wegen irgendwas auf Shinya einredet, der sich seinerseits vor ihm zu retten versucht, auch Kaoru leise sprechen oder eher ruhig, aber bestimmt auf dich einreden. Unwillkürlich balle ich die Hand zur Faust, während ich wieder einmal an eine kahle Wand starre. Hitze breitet sich in meinem Körper auf und ich habe das Gefühl vor plötzlicher Wut schreien zu müssen. Oder irgendetwas kurz und klein schlagen. Irgendetwas tun, um mit diesem ‚zu viel‘ das in mir immer mehr wird, besser fertig zu werden. Durch dieses leise Reden fühle ich mich nur noch mehr, als sei irgendetwas mit mir nicht in Ordnung. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist, dass sich das alles noch auf die Band auswirkt. Wenn diese Sache, das Wichtigste in meinem Leben neben dir, jetzt auch noch den Bach runter geht, habe ich nichts mehr, was mich noch am Leben hält, was vermutlich der einzige Grund dafür ist, dass ich irgendwie an meiner Selbstbeherrschung festhalten kann. I know I know they've all been talking 'bout me I can hear them whisper And it makes me think there must be something wrong With me   Was soll's. Ich werde das schon hinbekommen. Ich muss sogar. Ich werde dafür kämpfen, dass es weitergeht mit uns allen. Konzentriert atme ich einige Male tief ein und aus, bis ich das Gefühl habe, wieder etwas mehr Herr meiner selbst zu sein. Das wird schon. Muss werden. Egal um welchen Preis. Mit einem leisen Seufzen straffe ich meine Schultern und gehe dann langsam zu euch. Ich setze mich neben Die und erwidere ruhig eure neugierigen Blicke. Eine Weile herrscht Schweigen.   „Sollten wir nicht mal anfangen?“, frage ich dann und versuche zu lächeln. Ihr schaut mich kurz verwundert an, dann übernimmt Kaoru wie immer die Führung.   „Gute Idee“, er lacht kurz. „Dann mal los!“     Am Abend, als die Proben beendet sind und ich dich überreden konnte, dass wir mit dem Taxi nach Hause fahren, erreichen wir unsere Wohnung. Du betrittst sie vor mir und lässt dich aufs Sofa fallen. Ich wollte eigentlich ins Bad gehen, aber du hältst mich fest und ziehst mich zu dir, sodass ich stolpere und schließlich auf deinem Schoß lande. Ich sehe dich vorerst nur mit großen Augen an, was du mit einem warmen Lächeln erwiderst. Dieses Lächeln, das mir schon früher, nein eigentlich schon immer den Boden unter den Füßen weg gerissen hat. Selbst als ich mir noch nicht eingestehen wollte, dass ich mehr als Freundschaft für dich empfinde. Dieses Lächeln war eines der wenigen Dinge, dass mich immer erden konnte, immer ein bisschen ‚Zuhause‘ war, egal wo wir gerade waren oder was gerade passierte. Eine Zeit lang bleiben wir einfach so liegen, ich schmiege mich an deinen warmen Körper, atme entspannt deinen Geruch ein. Deine Hand ruht auf meinem Rücken, streichelt mich sanft. Es ist lang her, dass wir so etwas getan haben. Obwohl es nichts Besonderes ist.   „Dir geht es besser heute, oder?“, fragst du mich nach einer Weile leise. Es klingt hoffnungsvoll. Ich nicke nur, entscheide mich dann aber doch zu antworten. Ich wollte ja etwas ändern.   „…ich weiß zwar nicht warum…aber es ist leichter im Moment, ein bisschen zumindest.“ Ich atme kurz durch, hebe dann den Kopf, um dir in die Augen sehen zu können. „Ihr habt über mich geredet, oder?“   Du wirkst einen Moment lang erstaunt, siehst mich dann unsicher und ein wenig verlegen an. Du scheinst darüber nachzudenken, was du mir antworten sollst, nickst dann aber.   „Ja… Die anderen machen sich Sorgen um dich, Kyo.“ Du merkst, wie ich mich sofort verspanne. Ich kann nichts dagegen tun, ich fühle mich angegriffen. Deine Hand löst sich von meinem Rücken und beide legen sich an meine Wangen. „Und ich mache mir auch Sorgen.“   „Ich weiß.“ Meine Stimme ist leise, ich beiße die Zähne zusammen.   Obwohl du es nicht recht zulassen willst, stehe ich auf und gehe ins Bad. Ich spüre deine traurigen Blicke in meinem Rücken. Trotzdem schließe ich mit zittrigen Händen die Tür hinter mir. Ich lasse mich auf den Boden rutschen und starre an die Decke. Wie kann man nur so paranoid sein? Wie kann man die Sorge seiner besten Freunde als etwas so Schlechtes empfinden, als etwas das sie nur tun, um einen zu verletzen, statt einem Zeichen dafür, dass man ihnen wichtig ist? Ich schüttele den Kopf. So kann das wirklich nicht mehr weitergehen.   Out of all the hours thinking~ Somehow I've lost my mind   Ich nicke meinen Gedanken zu und raffe mich dann auf. Langsam ziehe ich mich aus, werfe einen kurzen, vernichtenden Blick in Richtung Spiegel und steige dann unter die Dusche. Ich drehe das Wasser auf und als die ersten Tropfen heißen Wassers auf meinen Körper fallen, atme ich durch. Es ist mir irgendwie klar geworden. Ich muss irgendetwas tun. So kann es nicht weitergehen. Schon allein wegen dir. Auch wenn du mich liebst, ich will dir das nicht antun, dass du mit mir, so wie ich jetzt bin, zusammen sein musst. Denn gerade, weil du mich liebst, werde ich auf diese Weise dein Herz in Stücke reißen ohne es zu wollen. Vermutlich ohne es zu bemerken. Also – bitte Die – halte noch ein bisschen durch. Ich werde mein Möglichstes tun, um es zu ändern.   I'm not crazy, I'm just a little unwell I know, right now you can't tell But stay awhile and maybe then you'll see A different side of me   Ich seufzte, lasse das Wasser weiter über meine Haut rinnen. Meine Blicke gleiten über meine Arme, mein Mund verzieht sich. Ich empfinde keinen Ekel, eher eine tiefe Verbitterung. Die Spuren der vergangenen Jahre lassen sich nicht auslöschen, erinnern mich ständig daran, was ich getan haben und locken mich öfter, als mir lieb ist, diese Taten zu wiederholen. Aber das ist schon okay, sie gehören zu mir und sind gewissermaßen auch eine Erinnerung daran, was ich bisher überlebt habe. Solange ich die Kraft habe dir meine Liebe zu zeigen und wir alle zusammen unseren Traum von Musik weiterleben können, ist es auch gar nicht so wichtig, ob da nun ein paar Narben mehr oder weniger sind. Für unseren gemeinsamen Traum, für das, was wir zu fünft erschaffen konnten und auch weiterhin können, würde ich alles tun. Also werde ich jetzt alles versuchen, um wieder der Mensch zu werden, der ich eigentlich bin. Mit allen Höhen und Tiefen, aber der Kyo, der es sich gern antut mit euch zusammen auf Tour zu gehen, Konzerte zu spielen, sich bei den Albumsvorbereitungen fast mit euch zu schlagen und der auch einfach mal nur Mist mit seinen Freunden macht. Und nicht nur der, der antriebslos in irgendeiner Ecke hockt und nichts mehr auf die Reihe bekommt. Wie genau weiß ich noch nicht, aber irgendein Weg findet sich schon.   I'm not crazy, I'm just a little impaired I know right now you don't care But soon enough you're gonna think of me And how I used to be Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)