Engelsblut von Akito ================================================================================ Kapitel 2: We are Family ------------------------ Kapitel 2 – We are family Die Tage bis Sonntag vergingen viel schneller als mir lieb war. Tag für Tag dachte ich darüber nach, ob ich wirklich zu diesem Treffen gehen sollte. Oder ich befürchtete, dass ich hinterher doch an unseren Treffpunkt auftauchen würde aber der Fremde nicht da sein würde. Ich fand es einerseits doch ziemlich unheimlich, schließlich wusste ich nicht einmal seinen Namen, geschweige denn woher er kam und wohnte. Ich wollte immer wieder mit Sophia darüber reden, sie blockte jedoch immer ab, wenn ich auf dieses Thema zu sprechen kam. Sie meinte nur, dass es doch meine eigene Entscheidung sein müsste, ob ich mich mit dem jungen Mann traf oder nicht. Ich erinnerte mich noch gut an ihn. Er war wirklich faszinierend gewesen und sah wahnsinnig gut aus, deshalb kam ich am Sonntagmorgen zu dem Schluss, dass ich es doch wirklich einmal versuchen könnte. Ich hatte mein Handy ja dabei und im Park war immer was los, also was konnte schon groß passieren? (»30.07.06«) An diesem Samstag wollten wir wieder ins Freibad. Ich packte am frühen Abend als Letzte meine Sachen zusammen. Sophia musste zu einem Geburtstag und die Anderen hatten auch nicht länger Zeit. Ich stopfte mein Handtuch in die Tasche, als ich eine Bewegung hinter mir spürte. Ich drehte mich um. Ganz plötzlich lief ein Schauer über meinen Rücken und in meinem Bauch schien plötzlich eine ganze Horde Schmetterling aktiv geworden zu sein. Der blonde Typ von neulich stand vor mir. „Hi!“, sagte er. „Hey!“ Ich hörte meine eigene Stimme, die merkwürdig klang. Seltsam zu sagen aber es fühlte sich an, als hätte mein Körper auf Auto-Pilot geschaltet. „Hast du Lust mal was mit mir zu unternehmen?“, fragte er und lächelte. Verblüfft schaute ich ihn an. So ein toller Typ wollte mit mir etwas unternehmen? Mein Herz schlug schneller. „Ja klar, gerne.“, antwortete ich. „Wann denn?“ Ich griff nach meiner Tasche. „Jetzt?“, schlug er vor. Ich sah an mir herunter. Ich hatte noch andere Klamotten mit aber im Moment trug ich noch meine alten, die ich im Schwimmbad meistens trug. Ich wollte duschen, weil meine Haare vom Chlorwasser verfilzt waren. Er schien meinen Blick bemerkt zu haben. „Du kannst bei mir duschen. Ich wohne nicht weit von hier weg.“ Misstrauisch sah ich ihn an. Das war wirklich merkwürdig. So etwas vorzuschlagen rief bei mir eine Gewisse Unruhe hervor. Er lachte. „Das war wirklich ganz ohne Hintergedanken. Ich schwöre.“ Er legte eine Hand auf seine Brust und hob die andere in die Luft. Ich grinste. „Du kannst natürlich auch erst nach Hause gehen und wir treffen uns später oder morgen wenn du heute nicht mehr willst. Nur meine Wohnung ist hier gleich um die Ecke.“, fügte er noch hinzu. Ich zögerte dennoch. Ich kannte ihn ja eigentlich gar nicht. Mir fiel jetzt erst auf, dass ich noch nicht einmal seinen Namen wusste. Andererseits kam es nicht so rüber, als wäre er ein Irrer, Vergewaltiger oder so etwas in der Art. Aber ich wusste nur zu gut, dass man sich da auch gewaltig täuschen konnte. Trotzdem nahm ich sein Angebot an und ignorierte mein Bauchgefühl, dass mir sagte, dass ich es lieber nicht tun sollte. „Okay, dann komm.“ Wie selbstverständlich nahm er mir meine Tasche ab und schwang sie über seine Schulter. Ich folgte ihm. Auf dem Weg zu seiner Wohnung nahm ich mir die Zeit ihn einmal ganz genau zu beobachten. Seine blonden Haare glänzten in verschiedenen Schattierungen. Sie waren länger und fielen ihm in die Stirn, doch sie waren auch nicht zu lang. Sie passten gut zu seinem schmalen, ernsten Gesicht. Seine mandelförmigen Augen blitzen in einem wunderschönen dunkleren Grün. In jedem Ohrläppchen hatte er drei Löcher, in denen kleine schwarze Steine saßen. Er trug ein schwarzes T-Shirt und mehrere ebenfalls schwarze Lederbänder und Silberkettchen zierten seine Handgelenke. Seine Haut war gebräunt und unter ihr zeichneten sich deutlich seine Muskeln ab. Um seinen Hals hing ein Lederband mit einem Kreuz daran. Wie ein kleiner Elektroschock war die Aufregung überall in meinem Körper zu spüren. Es war etwas anders, doch ich kannte es. Es hatte sechs Steine. Außen fünf schwarze, spitz zulaufende tränenförmige und in der Mitte einen Runden, der in einem eben so schönen grün glänzte, wie seine Augen. Es war das genaue Gegenteil von dem, das auf dem Schwert in meinem Geschichtsbuch abgebildet war. Ich traute mich nicht ihn zu fragen und redete mir ein, dass es nur ein Zufall sei und es dieses Kreuz bestimmt zu kaufen gäbe. Ich starrte es noch eine Weile an, bevor ich ihn weiter musterte. Er trug Jeans und an den Füßen schwarze Converse Chucks, die auch ich so gut wie immer anhatte, nur das meine weiß waren. „Sag mal, wie heißt du eigentlich?“, fragte ich nach einiger Zeit. Ich kam mir ein bisschen blöd bei dieser Frage vor, aber ich sah keinen anderen Weg seinen Namen herauszufinden. Und noch blöder war es ja wohl nicht zu wissen, wie ich ihn ansprechen sollte. „Oh, sorry! Ich heiße Akito.“, antwortete er. Japanisch, schoss es mir als erstes durch den Kopf. Auch er hatte also so einen fremd klingenden Namen bekommen. Aber er sah ja auch etwas fremdländisch aus. „Ich bin Aya.“, sagte ich und wunderte mich, warum er eigentlich noch nicht danach gefragt hatte. „Ich weiß.“, erwiderte er und grinste. Jetzt war ich wirklich erstaunt. Woher wusste er meinen Namen? Bevor ich ihn fragen konnte klingelte mein Handy. Kaum hatte ich mich gemeldet, drang schon die Stimme meines Vaters in mein Ohr. „Aya? Wo bist du gerade?“, fragte er aufgeregt. „Unterwegs.“, antwortete ich knapp. „Kommst du noch mal bei mir vorbei? Ich wollte dich zum Essen einladen. Jetzt gleich bitte.“ Ich seufzte. „Ich hab keinen Hunger.“ Wie er mich nervte. Warum jetzt auf einmal? Hätte er sich nicht einfach weiterhin aus meinem Leben raushalten können? Das hatte doch die ganzen Jahre super geklappt. „Bitte. Ich habe extra einen Tisch in deinem Lieblingsrestaurant reserviert. Ich möchte dir jemanden vorstellen.“, sagte er ernst. „Deine neue Freundin etwa?“, fragte ich verächtlich. „Ja.“, erwiderte er. Das war ja wohl wirklich das Allerletzte. „Ich bin verabredet.“ Ich hatte wirklich Mühe meine Wut zu unterdrücken. „Mit Sophia?“, wollte er wissen. Ja, genau, so war er. Er war der Meinung, dass ich noch viel zu jung für einen Freund war und mich deshalb auch mit keinem Jungen treffen brauchte. „Nein.“, knurrte ich. „Etwa mit einem Jungen?“ Seine Stimme klang alarmiert, fast sogar drohend. „Ja.“, sagte ich knapp. Ich hörte ihn tief Luft holen. „Aya, ich will, dass du sofort hier her kommst. Du wirst dich nicht mit ihm treffen, dazu bist du noch lange nicht soweit.“ Ich hatte es wirklich satt. Schon wieder versuchte er über mein Leben zu bestimmen und es für mich zu Planen. Er sollte endlich akzeptieren, dass er zu lange weg gewesen war, als das ich ihn als meinen Vater ansah. „Das werde ich nicht. Es sind nicht alle so wie er.“, fauchte ich ihn an und legte auf. Ich spürte einen Seitenblick von Akito. „Dein Vater?“, fragte er. Er hatte das Gespräch also mitbekommen. Ich seufzte und nickte. „Du magst ihn wohl nicht besonders?“ Wütend kickte ich einen Stein zur Seite. „Kann man nicht sagen, aber er nervt mich.“, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Warum erzählte ich ihm das eigentlich alles? Ich kannte ihn doch kaum. Er war mir fremd und ihn ging das alles doch gar nichts an. „Wieso nervt er dich?“, wollte Akito wissen. Ich wusste nicht, was mich dazu bewegte aber auch auf diese Frage antwortete ich. „Er ist abgehauen. Er hat meine Mutter einfach sitzen gelassen. Irgendwann, es muss so 3 Jahre später gewesen sein, stand er plötzlich wieder vor der Tür und alles änderte sich. Ich war es nicht mehr gewohnt mit einem Vater aufzuwachsen und umso älter ich wurde, umso mehr hat er versucht mein Leben zu bestimmen. Er wollte meine Freunde aussuchen, sodass ich bloß nicht an die falschen Leute gerate und besonders das letzte halbe Jahr ist es schlimm geworden. Ich hab das Gefühl, dass er mich am liebsten irgendwo einsperren würde, damit ich bloß niemanden mehr treffe. Du hast ja gehört, er will nicht, dass ich mich mit Jungen treffe.“ Wir blieben an einer Fußgängerampel stehen. Akito stand mir gegenüber. „Sei froh, dass du wenigstens noch einen hast.“ Ich sah auf. Trauer zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Tut mir leid, ich… ich wusste nicht, dass-…“ „Schon okay.“, schnitt er mir das Wort ab. „Er ist schon sehr lange tot.“ Sagte er ernst. Wir schwiegen eine ganze Weile. „Warum will er dich von Jungs fernhalten?“, fragte er schließlich. „Seit damals denkt er, dass es besser so wäre.“, erwiderte ich leise. Es war eine Sache über die ich genauso wenig reden wollte, die Akito über seinen toten Vater. Zum Glück stellte er keine Fragen mehr und wieder brach die Stille über uns herein, sodass mir der Lärm der Autos und das Geschrei der Kinder noch lauter vorkamen. Die Ampel sprang auf grün und wir gingen weiter. „Was für eine Verschwendung es doch wäre, dich irgendwo einzusperren.“, sagte er plötzlich mit sanfter Stimme aber doch ernster Stimme. Ich schwieg. Was hätte ich auch dazu sagen sollen? Kaum zwei Minuten später standen wir vor einem Mehrfamilienhaus, das vor längerer Zeit einmal weiß gewesen sein musste. Wir folgten einem schmalen weg, der zwischen Beeten und Sträuchern hindurch zu einem Eingang führte. Im Dachgeschoss angekommen öffnete Akito eine Tür und wir betraten einen kleinen Flur, von dem eine weitere ins Wohnzimmer führte. Er deutete auf einen Raum, der rechts von dem Flur lag. „Da ist das Bad. Lass dir Zeit, ich mach uns was zu essen.“ Dankbar nahm ich ihm meine Tasche ab und schloss hinter mir zu. Ich atmete einmal tief durch und sah mich um. Der Raum war mit strahlend weißen Fliesen ausgelegt und auf der Fensterbank standen mehrere Pflanzen. Es klopfte noch einmal an der Tür. „Aya? Handtücher liegen im Hängeschrank neben dem Waschbecken.“, sagte Akito. Seine Stimme wurde von der Tür gedämpft. „Danke.“, antwortete ich. Auf der linken Seite des quadratischen Raumes war die Toilette und das Waschbecken. Zwischen beiden war ein wunderschönes Wandgemälde auf den Kacheln. Ich trat näher heran, streckte die Finger danach aus und merkte, dass ich mich wohl getäuscht hatte. Es war nicht aufgemalt. Das Bild war ein Mosaik, in dem so kleine Steinchen benutzt wurden, dass man denken könnte es handele sich um ein Bild. Das Mosaik zeigte einen Strand. Keinen karibischen Traumstrand, sondern einen, den man auch vom Urlaub an der Nordsee kannte. Es war auch nicht einer dieser traumhaften Sonnenuntergänge, eher das krasse Gegenteil: Eine Sturmflut. Das Meer war von Sturm aufgewühlt und auf den Wellen saßen weiße Schaumkronen. Der Himmel war grau und das Meer schien in einem grau-blau zu glitzern. In der Ferne leuchtete das Licht eines Leuchtturms. Jedoch nicht das eines modernen, die mit elektrischem Licht den Schiffen ihren Weg wiesen, sondern einer, in dem die orange-roten Flammen eines Feuers brannten und ihr Licht über das aufgewühlte Meer schickten. Die Sanddünen am Strand hatten sich dunkel verfärbt und das Gras auf ihnen schien vom Wind umgeknickt worden zu sein. Vom eigentlichen Strand sah man nichts mehr und die tosenden Wellen schlugen auf die Dünen. Fasziniert strich ich über die winzigen Steine. Wie konnte man aus so einem schrecklichen Ereignis so etwas Schönes machen? Das Bild erstreckte sich vom Boden bis zur Decke. ich hatte das Gefühl es irgendwo schon einmal gesehen zu haben. Noch einen Moment lang starrte ich das Kunstwerk an, bevor ich endlich zum Schrank ging und eins der flauschigen Handtücher herauszog. Der Rest des Badezimmers war schlicht. An der Wand gegenüber von der Tür war das große Fenster, vor dem Gardinen hingen. Auf der rechten Seite war die Dusche und eine Badewanne. Die Wand war komplett weiß. Über der Badewanne hing ein Regal auf dem viele Fläschchen standen. Efeu rankte von dem weißen Holz hinunter. Die Lampe an der Decke verstrahlte warmes Licht. Auf dem Badewannenrand standen Kerzen und daneben ein Wäschebehälter. Ich wunderte mich, wie geschmackvoll der Raum eingerichtet worden war. So etwas hatte ich gar nicht von einem jungen Mann erwartet, der allein wohnte. Endlich zog ich meine Klamotten aus und stieg in die Dusche. Als der harte, warme Wasserstrahl auf meinen Rücken rauschte begann ich nachzudenken. Was tat ich hier eigentlich? Ich stand unter der Dusche eines Jungen, der mir eigentlich vollkommen fremd war. Was hatte er bloß an sich, das ich meine Vorsicht abgelegt hatte und auf dieses Angebot eingegangen war? Verrückt war auch, dass ich mich mit ihm einfach so über alle möglichen Dinge unterhalten konnte, obwohl ich heute zum ersten Mal mit ihm geredet hatte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich ihn kannte und zwar nicht nur einfach vom Sehen, sondern, dass wir einmal richtig gute Freunde gewesen waren. Am meisten wunderte es mich aber, dass ich es überhaupt zugelassen hatte in diese Situation zu geraten. Was hatte mich dazu bewegt mit ihm mitzugehen? Neugier? Vertrauen? Weil ich ihn toll fand? Ich wusste es wirklich nicht. Seit… Nein, ich konnte einfach noch nicht wieder daran denken, geschweige denn darüber mit jemandem reden. Vielleicht irgendwann einmal. Vielleicht aber auch niemals,… nie wieder. Seit der Sache blockierte mich normalerweise irgendetwas, wenn es darum ging sich mit Jungen öfter zu treffen. Ich wich ihnen aus. Das Seltsame war, dass ich mich meistens nur von Älteren fern hielt. Mit denen aus meiner Klasse zum Beispiel hatte ich keine Probleme. Warum? Wegen der Sache… Später, ja später vielleicht würde ich es wieder erzählen können. Ich wollte nach meinem Shampoo greifen und bemerkte, dass ich es draußen in der Tasche vergessen hatte. Da ich nicht das ganze Badezimmer voll tropfen wollte, drehte ich mich neugierig zu den Fläschchen um, die hinter mir standen. Es waren erstaunlicherweise nicht die Plastikflaschen, die man aus den Supermärkten kannte, sondern Glasfläschchen, in denen verschiedenfarbige Flüssigkeiten waren. Ich roch an jeder und fand schließlich eine, die leicht süßlich aber doch frisch roch. Wenig später wickelte ich das weiche Handtuch um meinen Körper und trocknete mich ab. Aus meiner Tasche kramte ich meine Kleider zum wechseln heraus und zog sie an. „Oh shit!“, entfuhr es mir, als ich das Top betrachtete. Meine Sonnencreme war ausgelaufen und hatte sich darauf verteilt. „Alles in Ordnung?“, hörte ich Akito fragen. Ich zögerte kurz. „Mh, nein. Ich hab ein kleines Problem. Meine Creme ist ausgelaufen und hat mein Top versaut. Hast du vielleicht-…?“ „Ja, klar.“, unterbrach er mich. Ich vernahm ein leises Lachen hinter dem Holz. Ich schloss die Tür auf und einen Moment später kam Akito wieder und reichte mir ein T-Shirt durch den Spalt. „Danke.“, sagte ich verlegen. Ich achtete genau darauf, dass er keinen Blick auf mich erhaschen konnte. „Keine Ursache.“, erwiderte er. „Ich bin in der Küche. Das ist der Raum schräg gegenüber.“ Seine Schritte entfernten sich. Ich zog das schwarze T-Shirt über den Kopf. Es war zu groß, doch ich fühlte mich darin wohl und es roch verdammt gut. Fünf Minuten später trat ich ins Wohnzimmer und sah mich um. Die Wände waren in einem hellen Olivgrün gestrichen. Die restliche Einrichtung war zum Großteil in schwarz und weiß gehalten. Der Raum hatte eine Schräge, in der viele Fenster eingelassen waren. Gegenüber von einem Fernsehschrank aus Ahorn stand ein weißes Sofa und ein gleichfarbiger Sessel um einen Tisch herum. Auf der Glasplatte standen Gläser neben einer Schale mit Obst. Außerdem lag eine Menge Kram herum, das ich noch nie gesehen hatte. An der Wand über dem Sofa hingen frei Schwerter. Alle waren lang und gebogen. Ein Griff war in weiß eingebunden, einer in schwarz und der dritte war schlicht braun. Ich betrachtete sie genauer und erstarrte. Das Schwarze war genau das, was in meinem Geschichtsbuch abgebildet war und auf dem weißen saßen die Steine genauso wie auf Akitos Kreuz. Also weiß außen und grün innen. In beide Klingen waren seltsam verschlungene Zeichen graviert, die sich in der Mitte über das gesamte Schwert zogen. Von weitem sah es aus, als wäre es nur eine Linie. Hinter mir hörte ich eine Tür klappen. „Schön, oder?“, fragte Akito und stellte ein Tablett auf den Tisch. Mit einer Handbewegung deutete er auf das Sofa. „Sie sind wirklich sehr schön.“, sagte ich und half ihm eine Schale mit Salat, Baguette und Geschirr auf der Glasplatte auszubreiten. Ich griff in meine Hosentasche, zog meinen Schmuck heraus und legte ihn auf das Sofa neben mich. Akito sah mich an. „Sorry.“, sagte ich. „Muss sein, sonst komme ich mir so unvollständig vor. „Er lächelte. „Kenn ich nur zur Genüge.“ Er zeigte auf seine Armbänder. „Soll ich helfen? Ich weiß von mir, dass es manchmal ziemlich kompliziert ist.“ Ich hätte es auch gut alleine geschafft aber trotzdem nickte ich. Er betrachtete alle Bänder und griff dann nach einem schwarzen Lederband, an dem ein verzierter Ring hing. „Rechts oder Links?“ Ich hielt den rechten Arm hin. „Das silberne und das mit den Perlen auch.“ Er schloss auch die beiden anderen Bänder. „Das Silberne, ist das nicht die Kette von den Chucks?“, wollte er wissen. „Ja genau.“ Ich lächelte. „Und das mit den Perlen hab ich im Urlaub gekauft.“ Ich strich mit den Fingern über die Steine. „Mir scheint du magst schwarz und weiß?“ Ich nickte. „Ich liebe es. Nur meine Mutter treibt es in den Wahnsinn, weil ich fast keine farbigen Klamotten habe.“ Akito griff nach den beiden letzten Lederbändern. Schwarz und weiß. „Also das A steht bestimmt für Aya. Und das hier?“ Er hob das weiße Band hoch, an dem ein Halbkreis hing, der aussah, als hätte man die andere Hälfte abgebrochen. „Ein Freundschaftsanhänger? „ „Ja, genau.“, bestätigte ich. Akito fasste meine linke Hand und zog sie zu sich, um auch diese Armbänder zu schließen. Auf einmal hielt er in der Bewegung inne und sah mich an. Verdammt, schoss es mir durch den Kopf und ich versuchte mit aller Kraft meine Hand zurückzuziehen, doch es war zu spät. Er hatte die Narbe, die sich über mein inneres Handgelenk gut drei Zentimeter über meinen Arm zog, gesehen. Er hielt meine Hand fest. „Was ist passiert?“, fragte er. Seine mandelförmigen Augen waren ernst geworden. „Nichts Besonderes. Ein kleiner Unfall. Es war keine Absicht.“, erwiderte ich. Seinem Blick wich ich jedoch aus. Es war wirklich keine Absicht gewesen. Zumindest nicht meine. Er schliss die Bänder und ließ meinen Arm los. Ob er mir glaubte wusste ich nicht. Schnell steckte ich die Ohrringe ein (zwei an jeder Seite) und hängte die silberne Kette mir dem kleinen Engel um den Hals. (»04.08.06«) Ich fühlte mich ertappt und war froh, als Akito das Thema wechselte. Er stand auf und nahm eines der Schwerter von der Wand. Er reichte es mir. Ich war erstaunt. Ich dachte immer so ein Schwert wäre viel schwerer. Ich hatte es auf meine Knie gelegt und fuhr über die silberne Klinge, mied aber die Spitze und die unglaublich scharfen Seiten. „Was bedeuten diese Zeichen?“, fragte ich. Er schwieg. Ich schloss die Finger um den weißen Griff und etwas Seltsames geschah. (»03.09.06«) Eine merkwürdige Wärme floss durch meinen Körper. Immer schneller breitete sie sich aus und bald schien jede Pore davon erfüllt zu sein. Nur noch ein einziger Gedanke schoss durch meinen Kopf: Lass los! Denn die eben noch so angenehme Wärme wurde immer heißer und ich hatte das Gefühl, dass sie irgendetwas in mir freisetzte, das ich nicht kontrollieren konnte. Es tat weh, verdammt weh und umso mehr ich versuchte mich dagegen zu wehren, desto stärker wurde es. Mein Herz raste. Ich nahm den Raum um mich herum gar nicht mehr richtig wahr. Ich wollte nur diesen Kampf gewinnen, aber irgendetwas hinderte mich daran loszulassen. ~†~ Plötzlich spürte er Macht. Die Macht… Ihre Macht… Sie erwachte und trotzdem wehrte sich jemand gegen sie. Wie dumm, dachte er. Sie kann nicht mehr aufgehalten werden, dazu ist es zu spät. Er würde alles tun um sie jetzt schon zu sich zu holen, doch es war ihm verboten. Der Rat hatte entschieden, dass er noch warten sollte. Er hätte morgen die Wächterin treffen sollen, doch auch das war ihm untersagt. Das Mädchen würde die bisherige Begegnung vergessen und auch das Treffen, dass morgen stattfinden sollte. Er brauchte die Wächterin, ohne sie würde niemals jemand erfahren, wo sich die Nachfolgerin Gilleads aufhielt. Doch er musste warten. Warten bis er endlich die Erlaubnis vom Rat bekam. ~†~ Er schloss seine Hände um meine und löste meine Finger von dem Griff. Sofort verschwand die Hitze und nur noch ein angenehmes Kribbeln durchströmte meinen Körper. Ich rang nach Luft und in meinem Kopf begannen dutzende von Fragen Gestalt anzunehmen. Ich lehnte mich zurück gegen die weichen Kissen. „Was… Was war das?“, keuchte ich und schloss die Augen. Akito antwortete nicht. Ich fragte auch nicht weiter. Ich war schrecklich müde und verwirrt. Ist das hier alles nur ein Traum? So etwas kann doch nicht möglich sein. Ich hörte Akito etwas sagen, verstand es jedoch nicht wirklich. Ich war viel zu erschöpft. Ich konnte mein eigenes Herz schlagen hören. Ich wollte meine Augen wieder öffnen, doch es ging nicht. Die Gedanken in meinem Kopf verschwammen und ich war eingeschlafen. Ich streckte mich, als die ersten Sonnenstrahlen mein Gesicht berührten. Langsam öffnete ich die Augen und stutzte. Wo war ich? „Na, ausgeschlafen?“, fragte eine leise Stimme. Ich sah auf. Akitos Augen blitzten im Sonnenlicht, das durch die Fenster flutete. Ich rieb über mein Gesicht und setzte mich auf. „Oh, mein Gott.“, fluchte ich leise, als mir plötzlich schwindelig wurde und die Welt sich um mich drehte. „Trink das.“ Akito reichte mir einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit. Er selber saß in dem Sessel und hielt ebenfalls eine Tasse in der Hand. Er trug eine ausgewaschene, dunkelblaue Jeans und ein schwarzes Hemd, das halb offen stand. Um seinen Hals hing das Lederband, das er zweimal um seinen Nacken geschlungen hatte, mit dem Kreuz daran. Wow, schoss es mir durch den Kopf. Er sah wirklich gut aus. Ich merkte, dass mir die Röte ins Gesicht stieg und sah schnell weg. Mein Blick blieb am Fenster hängen. „Wie spät haben wir es eigentlich?“, fragte ich und nahm einen Schluck aus der Tasse. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und schaute darauf. „Kurz vor neun.“, antwortete er. „Oh, verdammt!“ Mit einem schlag war ich hellwach und ich verdrängte das gestern Abend geschehene. Heute war Sonntag und in knapp einer Stunde war ich mit meiner Oma wie jeden Sonntag verabredet. Außerdem machte meine Mutter sich bestimmt schon Sorgen. „Ich muss sofort nach Hause! Ich muss mich fertig machen und zur Kirche.“ Ich schlug die Decke zurück, die Akito über mich gelegt haben musste und für einen Moment erfüllte sich mein Herz mit Wärme. „In die Kirche?“ Er beugte sich vor und stützte seine Ellenbogen auf die Knie. „Du bist gläubig?“, fragte er mit einem seltsamen Unterton in der Stimme. „Ja…“ Ich zögerte. „Nein. Jedenfalls nicht so.“, versuchte ich zu erklären. „Wieso gehst du dann in die Kirche?“ Ich sah ihn an. „Ich treffe mich mit meiner Oma. Schon seit ich klein bin gehe ich jeden Sonntag mit ihr zum Gottesdienst.“, antwortete ich. „Soll ich dich fahren? Dann schaffst du es noch.“, bot er mir an. „Das musst du wirklich nicht.“, wehrte ich ab. „Ich will dir nicht noch mehr Umstände machen.“ Ich stand auf. Auch Akito erhob sich und ging zu einem Schrank und als er sich umdrehte, warf er mir einen Helm zu. „Zieh Schuhe an und komm runter.“ Mit diesen Worten verließ er die Wohnung. Ich starrte den Helm an, schlüpfte in meine Chucks und lief die Treppen hinunter. Was ich dann sah verschlug mir für einen Moment die Sprache. Akito stand neben einem tiefschwarzen Motorrad. Der Lack glänzte in der Sonne. „Nun komm schon.“ Er schwang sich auf die Maschine und deutete auf den Platz hinter sich. Ich hatte noch nie auf so einem Ding gesessen, deshalb war mir auch etwas mulmig, als ich den Helm aufsetzte und hinter ihm Platz nahm. Ich hielt mich an ihm fest und die Fahrt begann. Weniger als zehn Minuten später hielt er vor meinem Haus und ich stieg ab. Das Auto meiner Mutter stand nicht vor der Garage und das Tor war weit geöffnet. Sie war also nicht da. Ich drehte mich zu Akito um. „Ähm… willst du vielleicht noch mit reinkommen?“, fragte ich etwas verlegen. Er schüttelte den Kopf. „Ich warte hier auf dich.“ „Okay.“ Ich sprang zwei Stufen aus einmal nehmend die steile Treppe zu unserem Haus hoch und schloss die Tür auf. Oben in meinem Zimmer zog ich mich um und schminkte meine Augen. Hastig griff ich nach einer kleineren Tasche, verstaute mein Handy darin und lief die Treppen wieder hinunter. „So, wir können los.“, sagte ich, als ich außer Atem unten neben Akito stand. (»09.10.06«) „Na dann los.“ Er lächelte. Die Kirche lag etwas außerhalb der Stadt in mitten eines großen, alten Friedhofs. Durch ein wunderschönes aber schon etwas brüchiges Tor betraten wir den Kiesweg, der zur Kirche führte. Sie war aus grauen Steinen erbaut worden und nicht so reichlich verziert, wie man es von so alten Kirchen gewohnt war. Rund um den Rechteckigen Bau zog sich eine eingemeißelte, gewundene Blumenranke mit Rosen. Auch um den hohen Kirchturm mit den Glocken darin zog sich die Ranke und oben schlang sie sich um ein dort eingehauenes Kreuz. Der Anblick des Gotteshauses imponierte mir immer wieder und ich fragte mich wieder einmal wer so etwas Schönes gebaut hatte. Vor dem großen Portal, das mit steinernen Kallas geschmückt war, wartete schon meine Oma und schaute nervös auf die Uhr. Sie wartete wohl schon auf mich. Ich drehte mich zu Akito um. „Danke.“, sagte ich. „Kein Problem“, erwiderte er nur. „Aya!“, rief meine Oma, die mich anscheinend gesehen hatte und kam langsam auf uns zu. „Hey Oma.“ Ich musste lächeln. Sie war wirklich einer der gutmütigsten Menschen die ich kannte. „Schätzchen, wir müssen uns beeilen.“ Sie machte eine kurze Pause und musterte Akito. Aus irgendeinem Grund war mir das ziemlich peinlich und ich hoffte, dass sie nicht weiter sagen würde, doch sie wäre nicht meine Oma, hätte sie nichts zu Akito erwähnt. Es kam schließlich nicht jeden Tag vor, dass sie mich mit einem Jungen zusammen sah. „Willst du mir deinen neuen Freund nicht vorstellen?“, fragte sie unschuldig und doch schmunzelte sie. Aber sie war halt eine Oma und wer konnte Omas schon lange böse sein? Trotzdem spürte ich wie mir die Röte ins Gesicht schoss. „Das ist Akito.“ Ich knuffte sie leicht. „Und er ist nicht mein Freund.“, fügte ich in leicht genervtem Tonfall hinzu und konnte mir doch ein Grinsen nicht verkneifen. Ich sah zu Akito. Auch er lächelte und reichte meiner Oma die Hand. „Und du kommst heute mit uns in die Kirche?“, fragte sie. Ihren Augen blitzten munter und ihre grauen Löckchen glitzerten in der Herbstsonne. Von einem auf den anderen Tag war es kälter geworden und ein sanfter Wind wehte. „Eigentlich-…“, wollte ich einwenden aber Akito unterbrach mich. „Warum nicht, ich war schon lange nicht mehr dort. Wenn das für dich okay ist Aya?“ Er drehte sich zu mir. „Natürlich.“, sagte ich. Innerlich fühlte ich mich ziemlich zerrissen. Ich kannte ihn doch nicht, redete ich mir ein. Warum soll er meine Familie kennen lernen? Außerdem ging mir das Erlebnis mit dem Schwert von gestern immer noch nicht aus dem Kopf. Einerseits war Akito mir unheimlich. Er schien immer etwas geheimnisvolles, Verwegenes an sich zu haben und ich wusste nicht, ob ich ihm vertrauen sollte. Andererseits wollte ich das aber. Ich wollte ihn als einen Freund gewinnen. Ich mochte es, wie er sprach und hoffte öfter einmal mit ihm reden zu können, um mehr über ihn herauszufinden. Nur als einen Freund, dachte ich, mehr nicht und ich schauderte innerlich. Das Läuten der Glocken holte mich aus meinen Gedanken zurück. „Jetzt aber los, Kinder, sonst kommen wir zu spät.“ Ich wunderte mich immer wieder, wie viel Lebensfreude und Elan meine Oma noch besaß. Ich hakte mich bei ihr unter und gemeinsam gingen wir auf die Kirche zu. Als wir sie betraten, sah ich mich kurz zu Akito um. Sein Gesicht war ernst geworden und er fasste sich an sein rechtes Handgelenk. Er bemerkte meinen Blick nicht. Wir standen in dem riesigen Raum und ich sah mich um. Dieses war die einzige Kirche, die ich kannte, in der keine Bilder von Jesus, seinen Jüngern und all den Geschichten aus der Bibel an der Decke oder den Wänden waren. Nur die Ranke zog sich auch hier über die Wände und wandte sich dieses Mal um das Kreuz, das an einer Holzplatte über dem Altar befestigt war. Die Holzplatte war mit Engeln verziert und es schien, als würden sie das Kreuz halten. Keine kleinen, pummeligen Engel mit roten Apfelbäckchen, sondern Männer und Frauen, manche mit riesigen Flügeln, manche ohne. Die Decke hatte zwei Seiten. Zum Altar hin zeigte das riesige Wandgemälde die Nacht, mit einem wolkenbedeckten Himmel und dem Vollmond. Die andere Seite stellte im Gegensatz dazu den Tag dar. Mit strahlender Sonne und blauem Himmel. Wir setzten uns auf eine der Bänke etwas weiter hinten und lauschten der Stimme des Pastors, doch schon bald versank ich wieder in Gedanken. Ich stellte mir vor, wie es hier wohl früher gewesen war, als die Kirche erbaut wurde. Ich fragte mich, wie viele Menschen schon in dieser Halle gesessen hatten und wie viele Gottesdienste hier schon gefeiert wurden. Ob hier schon einmal jemand geheiratet hatte und ob all die Menschen, deren Gräber hier auf dem Friedhof waren, hier das letzte Mal gesegnet wurden. Wie all die Menschen um sie geweint haben. Ob hier Kinder getauft und in ihr Leben geschickt wurden. All die Freude und das Leid,… ~†~ Das Laub begann sich golden zu färben und der erste Regen fiel. Die Tage wurden kürzer und die Nächte länger. Er sog den Geruch von Asche ein und schritt weiter durch die Gassen. Die Kapuze war tief in sein Gesicht gezogen und nur ein paar Strähnen seines tiefschwarzen, schulterlangen Haars fielen darunter hervor. Es war selten, dass er allein unterwegs war, doch heute wollte er unnötige Aufmerksamkeit vermeiden. Es war Mittag und die Straßen waren belebt. Händler hatten ihre Stände am Wegrand aufgebaut und boten lautstark ihre Waren an. Frauen und Männer tummelten sich und versuchten das beste Angebot zu erkungeln. Er fiel in der Masse nicht weiter auf. Ein Windhauch trug die verschiedensten Gerüche zu ihm herüber. Wind… Wie schweiften seine Gedanken zu der Wächterin und wann er sie wohl endlich befragen konnte. Langsam wurde er nervös. Izilia saß bestimmt nicht tatenlos rum. Sie versuchten bestimmt auch sie zu finden, wenn sie das nicht schon längst hatten. Wie immer entbrannte ein Kampf, wer die Gillead zuerst finden würde und der einzige Weg dorthin führte nun einmal über die Wächterin. Er bahnte sich einen Weg durch die Menschen, die noch nichts ahnend ihrem Leben nachgingen, als wäre es wie sonst auch. Tag für Tag war seit der letzten Ratssitzung verstrichen und immer hatte man ihn vertröstet. Tage des Wartens, in denen noch mehr Zeit war Pläne zu schmieden. Er stand vor einer großen Villa und klopfte. Als von einem jungen Hausmädchen geöffnet wurde, zog er seine Kapuze vom Kopf und das Mädchen verbeugte sich tief. Er ging wortlos an ihn vorbei in einen großen Saal, indem die Ratssitzungen stattfanden. Die anderen warteten schon und erhoben sich, als er eintrat. Jeder dieser Männer trug sein Zeichen. Zwei kleine, schwarze Flammen innen am Rechten Handgelenk. Er ging um den Tisch herum, ließ seinen langen, ebenfalls schwarzen Umhang fallen und nahm am Kopfende des Tisches Platz. Er hob die Hand, an dem ein Siegelring mit eben diesen beiden Flammen saß und befahl somit den anderen sich zu setzen. Bis auf einen nahmen alle Männer Platz. „Willkommen, Herr der Dunkelheit.“, sagte dieser und verbeugte sich tief. „Ich begrüße Euch im Namen aller Ratsmitglieder…“ ~†~ (»11.10.06«) Ich trat aus dem abgedunkelten Raum und streckte mein Gesicht der Sonne entgegen. Ich konnte das Prickeln und die Wärme ihrer Strahlen spüren. Neben mir hörte ich die großen, selbstsicheren Schritte von Akito und die kleinen, trippelnden von meiner Oma. „Kindchen, sei mir nicht böse, aber mein Taxi wartet. Ich kann heute nicht mit dir gehen. Du weißt ja, Inges Geburtstag.“, sagte meine Oma und griff nach meiner Hand. „Ist okay. Wir sehen uns dann spätestens nächsten Sonntag.“ Ich umarmte sie. „Machs gut und viel Spaß.“ Ich sah ihr nach, wie sie dem Weg zur Straße folgte. „Soll ich dich nach Hause bringen?“, fragte Akito. „Nein. Ich möchte noch auf den Friedhof.“, erwiderte ich kurz angebunden. Ich liebte diesen Friedhof. Okay, vielleicht klingt es makaber zu sagen, dass man einen Friedhof liebt aber ich fand ihn einfach wunderschön. Hier standen noch Gradsteine aus dem 18. Jahrhundert, die so viel schöner waren, als die neumodischen Klötze. Am liebsten würde ich die Geschichte jedes einzelnen Menschen kennen, die so früh gestorben waren. „Kann ich ein Stück mitgehen?“ Ich drehte mich zu ihm um und zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen.“ Ich schlug einen Weg links von uns ein. „Kommst du oft hier her?“ „Ja. Jeden Sonntag. Ich pflege das Grab von meinem Opa.“, antwortete ich. „Wann ist er gestorben?“ Ich zögerte einen Moment. Was wollte Akito eigentlich von mir? Warum fragte er so etwas. Wir kannten uns doch eigentlich nicht. Und warum antwortete ich überhaupt auf solche Fragen? Ich wusste es nicht aber genauso wenig wusste ich, was es mit schaden sollte. Vielleicht interessierte er sich ja einfach nur für mein Leben. „Vor einem Jahr.“, sagte ich leise und blieb vor seinem Grabstein stehen. „Das tut mir leid.“ Ich schwieg und starrte auf den schwarzen Stein. „Wie war es für dich, als dein Vater gestorben ist?“, fragte ich etwas verlegen. Ich wollte auch mehr über ihn wissen. Ich kam mir ziemlich blöd vor, als ich das fragte. Vielleicht war es auch falsch, doch er antwortete. „Ich war damals nur wütend. Ich hasste ihn, weil er mich allein gelassen hat. Ich hasste sie alle beide,… Ihn und meine Mutter. Es war ein Unfall, kann man sagen. Ich hab mich zurückgezogen, wurde in ein Heim gesteckt und hab mit niemandem geredet. Ich schwieg 2 Jahre lang nur. Ich wusste noch nicht einmal warum. Es kommt mir jetzt so vor, als wollte ich damals den andern die Schuld für ihren Tod geben. Ich konnte einfach nicht weinen. Bis heute habe ich nie deswegen auch nur eine Träne vergossen. Aber hab ich verstanden, dass sie mich nicht allein lassen wollten. Sie wurden dazu gezwungen. Das war vor 10 Jahren und seit dem Lebe ich bei einer Pflegefamilie.“, erzählte er. Sein Blick hatte sich verfinstert. Ich wusste nicht, wie ich ihn einschätzen sollte. Manchmal wirkte er einfach so unberechenbar, so kalt. „Aber jetzt will ich auch noch etwas über deinen Vater wissen.“, fügte er hinzu. „Was willst du denn da noch wissen? Ich sagte doch schon alles.“, wich ich ihm aus. „Warum hat er deine Mutter verlassen?“ Ich seufzte und deutete auf eine Bank unter einer großen Weide. „Setzen wir uns?“ Er nickte. „Du willst wissen, warum er sie verlassen hat? Er ist mit sich selber nicht mehr klargekommen. Er hat seinen Job verloren, getrunken und ist völlig abgestürzt. Er ist anders geworden. Aggressiver, gereizter,… Als ich ganz klein war, hat er immer mit mir gespielt und hat gelacht. Doch dann kam die große Veränderung.“ Nervös spielten meine Finger an dem brüchigen Holz der Bank. „Er hat dich geschlagen?“ Ich antwortete nicht. Was sollte ich auch sagen? Ja, stimmt? Wer gibt schon gerne zu, dass seine Familie kaputt gegangen ist? „Nicht so oft. Aber meine Mutter.“ „Er nervt dich gar nicht so, stimmt doch? Du hast nur Angst, dass er es wieder tut, oder?“ Einige Minuten verstrichen. „Er wird so leicht wütend und flippt schnell vollkommen aus. Ja, vielleicht hast du Recht. Ich habe Angst davor. Ich will nicht, dass er wieder zurückkommt.“ Ein heftiger Windhauch fegte durch die Äste der Weide und das Laub raschelte. Wolken schoben sich vor die Sonne und ich fröstelte leicht. „Warum hast du damals wieder angefangen zu sprechen?“, fragte ich plötzlich. (»12.10.06«) „Soll ich sie dir vorstellen?“, wollte er wissen und lachte, als er mein verdutztes Gesicht sah. „Vorstellen?“ Ich war verwirrt. „Ja klar. Ähm… Was hast du am Samstagabend vor?“ Ich überlegte kurz. „Noch nichts.“, antwortete ich. „Okay, dann komm doch einfach so gegen acht Uhr bei mir vorbei.“, schlug er vor. „Gerne.“ Dann war es still. Man hörte nur noch das Rauschen der Blätter. Die Wolken verdeckten nun gänzlich die Sonne. Es war, als würden sich alle meine Sinne schärfen. Ich konnte einen Herzschlag hören und wusste, dass es nicht meiner war. Ich sah jeden noch so kleinen Kiesel auf dem Weg deutlicher als jemals zuvor. Das Rauschen des Windes wurde unerträglich laut. Mit einem Mal hörte ich Schreie, die die mir das Blut in den Adern gefrieren ließen. Das Schlagen des Herzens mischt sich immer mehr mit meinem und versuchte ihm seinen Rhythmus aufzuzwingen. Ich bekam keine Luft mehr. Irgendjemand rief mich, wollte dass ich zu ihm komme. Mein Blut schien zu kochen und in meinem Kopf hallten immer noch die gequälten Laute unzähliger Menschen. Ich drückte die Hände auf die Ohren und hoffte nur, dass es aufhören würde. Akito war aufgestanden und sah sich um. Merkte er etwa auch etwas? Ich schloss die Augen, doch dadurch wurde es nur noch schlimmer. Ich sah Menschen. Sie alle waren tot. Unmengen von Blut färbte ihre Kleidung, ihre Haut und den Boden auf dem sie lagen. Ein Mädchen stand inmitten der leblosen Körper. Ihre Kleidung war Blut bespritzt, die Haare wehten im Wind. Ein langes schwarzes Kleid flatterte um ihre Beine und die Augen funkelten. Ich schrie. Das Mädchen lachte. Es hatte alle diese Menschen umgebracht. Der Mond stand rot am Himmel. Das Mädchen war ich. Ich hatte all diese Menschen umgebracht. Ich war es… Ich war Schuld… „Aya?“ Akito berührte meine Schulter. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Ich sah auf und versuchte meine Gedanken zu ordnen. „Ja, es ist alles klar.“, log ich. Ich musste doch wie eine Verrückte scheinen, wenn ich ihm die Wahrheit erzählen würde. Ich sah auf die Uhr. Zwölf. „Kannst du mich jetzt vielleicht nach Hause bringen?“, fragte ich. „Ja, natürlich. Komm“ Als ich aufstand zitterten meine Beine und ich hatte Mühe sie wieder unter Kontrolle zu bekommen. So langsam zweifelte ich wirklich an mir selbst. Sonst hatte ich immer alles unter Kontrolle, doch in den letzten Tagen passierten so seltsame Dinge. Wurde ich wirklich so langsam verrückt? Vor unserem Haus standen zwei Autos. Ich stockte. Wollte mein Vater heute zu Besuch kommen? Nachdem ich mich bei Akito bedankt und mich von ihm verabschiedet hatte, stieg ich langsam die Stufen zur Haustür hinauf und drückte auf die Klingel. Die Tür öffnete sich und ich blickte direkt ins Gesicht meines Vaters. „Na Madame, auch schon zu Hause.“, sagte er mit kalter Stimme. „Sieht wohl so aus.“, erwiderte ich. Ich wurde nervös. Ich kannte diesen Tonfall. Ich wollte durch in den Flur gehen, doch er stemmte seinen Arm vor mich. „Wo warst du?“, knurrte er. Ich erstarrte. „Ich,… Ich,…“ Ich brachte keinen vernünftigen Ton mehr heraus und die Wut meines Vaters wuchs. „Hatte ich dir nicht verboten mit Jungen wegzugehen?“, fragte er. Ich überwand meine Angst. Mein Ärger, dass er schon wieder mein Leben lenken wollte überwog einfach. „Was machst du eigentlich hier?“ Meine Stimmte zitterte. „Ich wohne hier.“ Entsetzt sah ich auf. „Da guckst du. Ich wollte dir doch meine neue Freundin vorstellen. Deine Mutter und ich sind wieder zusammen.“ Ich schnappte nach Luft. „Du kommst hier nach all den Jahren wieder an, versuchst mein Leben zu bestimmen und denkst ich würde das so einfach mitmachen? Weißt du, was du uns angetan hast? Hau ab! Hau einfach wieder ab! Es braucht dich hier keiner!“, schrie ich. Einen Moment sah mein Vater mich an, als würde er erst mal verstehen müssen, was ich da gerade gesagt hatte. (»17.10.06«) „Rein ins Haus!“, zischte er. „Sieh zu, dass du in dein Zimmer kommst.“ Er packte mich grob am Arm und zog mich durch die Tür, die er hinter mir zuschlug. Ich riss mich los und rannte die Treppe zum Dachboden hinauf. Mein Herz raste. Nein, nein, nein, das durfte nicht sein. Es konnte nicht wahr sein. So etwas würde meine Mutter doch niemals tun. Sie würde doch nicht wieder mit dem Mann zusammenwohnen, der damals unser Leben kaputt gemacht hat. Mein Kopf war leer. Ich wollte es nicht wahrhaben. Bedeutete das etwa, dass alles noch mal von vorne anfing? Ich warf mich auf mein Bett, starrte an die Decke und wischte eine Träne aus dem Augenwinkel. Mein Blick verschwamm und langsam schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete war es viertel nach fünf. Ich hatte eine Entscheidung getroffen. Ich würde heute Abend einfach noch einmal weggehen. Dann müsste ich ihn nicht sehen… Nicht in sein Gesicht blicken müssen, seine Stimme nicht hören und seine Anwesenheit nicht spüren müssen. Ich konnte einfach weglaufen. Ich ging an meinen PC und öffnete den Chat. Eva war da, vielleicht könnte ich ja zu ihr gehen. 18. September, 17:23 Uhr Unterhaltung mit: Eva Aya: Hey Eva! Eva: Aya =) Alles okay bei dir? Aya: Ja klar und bei dir? Mir ist nur ziemlich langweilig. Ich musste sie anlügen. Keiner wusste von meinem Vater. Nicht einmal Sophia, der ich sonst eigentlich alles, wirklich alles erzählte. Nur mir war es aus irgendeinem Grund unangenehm über meinen Vater zu sprechen, obwohl ich anderen auch wusste, dass deren Väter keine Engel waren. Eva: Ja bei mir eigentlich auch. Aya: Was machst du heute noch so? Eva: Ich weiß es noch nicht genau. Tobi hat mich gefragt ob ich mit auf die Party von seinem Bruder komme. Hast du schon alle Hausaufgaben fertig? Aya: Nein, aber die Lehrer sind doch morgen und Dienstag sowieso auf so einem Fortbildungsseminar und wir haben sowieso keine Schule. Meinst du ich kann mit auf die Party kommen und hinterher bei dir pennen? Eigentlich hatte ich keine Lust auf Party aber es war immerhin besser, als hier zu Hause zu sitzen. Ich wollte selbst meiner Mutter nicht über den Weg laufen, weil ich bestimmt damit angefangen hätte ihr Vorwürfe zu machen. Ich verstand wirklich nicht, was sie sich dabei gedacht hatte und wie man einen Menschen, der einen schlägt noch lieben konnte. Eva: Natürlich kannst du mitkommen. Es kann jeder kommen, der will. Das mit dem Pennen dürfte auch kein Problem sein, ich hab sturmfrei. Aya: Okay, dann bin ich so gegen acht bei dir, in Ordnung? Eva: Klar. Dann bis dann und zieh dir was Ordentliches an =p Aya: Jaja, werd ich machen. Bis dann. Ich loggte mich aus dem Chat. Ich drehte die Musik und versuchte somit jeden einzelnen Gedanken aus meinem Kopf zu verscheuchen. Ich öffnete meinen Schrank und stand unschlüssig davor. Was bei Eva vernünftig war, entsprach noch lange nicht meinem Geschmack. Sie liebte Pink und all den kram, den ich zutiefst verabscheute. Aber was machte das schon. Sie war nett und ich mochte sie und das war schließlich das was zählte. Ich kramte Hose, Top und Jacke hervor, in denen ich mich wohl fühlte, die aber trotzdem schick waren. Ich stieg unter die Dusche und zog mich um. Draußen begann es schon zu dämmern, als ich mich fertig geschminkt hatte und meinen Rucksack zuzog. Halb acht. Ich lief die Treppen hinunter und schlüpfte in meine Schuhe. Gerade war ich aus der Haustür getreten, als ich ein Räuspern hinter mir hörte. Erschrocken drehte ich mich um. „Wo willst du hin?“, fragte mein Vater misstrauisch. „Zu Eva.“, erwiderte ich knapp. „Nichts da. Du bleibst heute zu Hause.“, knurrte er und wollte mich zurück ins Haus schieben. „Und schon wieder versuchst du es.“, stellte ich fest. „Was?“ Er sah mich an. „Mein Leben zu bestimmen. Nenn mir einen Grund warum ich heute nicht weg darf?“(Birte) (»19.10.06«) „Du bist meine Tochter! Wenn ich sage, du bleibst hier, dann bleibst du das auch! Das ist doch vollkommen normal! Und jetzt komm wieder rein.“ Ich lachte. „Normalerweise haben Töchter auch Vertrauen zu ihren Vätern…“ Ich seufzte. „Du kommst sofort rein.“, sagte er. Es war eine Drohung, das wusste ich genau. Irgendwo in meinem Kopf knallten sämtliche Sicherungen raus. „Vergiss es. Wenn du gelernt hast ein Vater zu sein, dann sag mir bescheid.“ Mein Vater schnaufte wütend. Seine Stirn hatte sich in fiele kleine Fältchen Verwandelt und in seinen Augen glühte seine Aggressivität förmlich. Ich hatte es übertrieben, das wurde mir in diesem Moment klar. Ich versuchte den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. Genau jetzt, in diesem Moment, bemerkte ich, wie sehr ich mir einen richtigen Vater gewünscht hatte. „Nicht nur du solltest Respekt von mir erwarten, sondern das sollte ich auch von dir tun. Du kannst dich nicht meinen Vater nennen, weil du nie für mich da warst. Als du deinen Job verloren hast, hättest du weiterkämpfen müssen und weiter für mich da sein müssen. Anstatt dessen hast du dich zuge-…“ Der Schlag traf mich hart an der Schläfe. Mein Vater stand vor mir und starrte mich an. Ich hatte das Gefühl, dass nun alles in Zeitlupe verlief. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten. Fassungslosigkeit durchströmte meinen Körper. Er hatte es wieder getan und auch der letzte Funke Hoffnung, dass er sich doch geändert hatte erlosch. Schützend hob ich die Arme über den Kopf. Ich schien ewig zu fallen und spürte die Angst vor dem Aufprall in mir wachsen. Ich traf auf den Stein. Für eine Weile merkte ich gar nichts. Unendliche Stille schien mich zu umgeben und alles war verschwommen. Ich versuchte mich zu bewegen. Der Schmerz kam. Meine Arme brannten wie Feuer und ich hatte das Gefühl, dass irgendjemand mit den Brustkorb zusammendrückte und die Luft abschnürte. Etwas Warmes lief an meinen Armen hinab. Ich lag da und wusste nicht wie viel Zeit verging. Vielleicht waren es auch nur ein paar Sekunden, für mich schienen es Stunden zu sein. Ich wollte weg von hier, weg von diesem Mann. Langsam richtete ich mich auf und konzentrierte mich zwanghaft auf meine Bewegungen, um den Schmerz zu verdrängen. Ich sah hoch. Da stand er und sah mich immer noch an. Was erwartete er jetzt? Etwa, dass ich zu ihm nach oben ging und mich entschuldigte? Ganz bestimmt nicht. Dazu war ich zu stolz… Und meine Angst war einfach zu groß. Ich stand vor der Tür und überlegte, ob ich wirklich klingeln sollte. Die Riemen meines Rucksacks schnitten in meine sowieso schon schmerzenden Schultern und so langsam wurde mir ziemlich schwindelig. Ich hatte mich in den nächst Besten Bus gesetzt und nachgedacht zu wem ich fahren könnte. Eva hatte ich schon geschrieben, dass ich doch nicht kommen würde. Ich wollte ihr so nicht begegnen und ihr außerdem ihre Party nicht verderben. Sophia war nicht zu Hause. Sie war übers Wochenende zu Verwandten ins Ausland gefahren. Keiner war da. Mir war nur ein Name eingefallen. Ich fühlte mich unwohl dabei einfach zu klingeln, wer wusste denn, ob er nicht Besuch hatte und ich störte. Ich hoffte einfach. Die Buchstaben auf dem Klingelschild verschwammen vor meinen Augen und bevor ich überhaupt läuten konnte wurde die Tür von Innen geöffnet. Eine blonde Frau stand vor mir. „Oh! Wolltest du rein?“ Erschrocken legte sie die Hand auf ihre Brust. Ich nickte. „Du hattest aber nicht geklingelt oder?“, fragte sie. „Noch nicht.“, krächzte ich. „Na dann geh doch einfach rein und versuch drinnen dein Glück, dann musst du hier draußen nicht in der Kälte stehen.“, sagte sie. „Vielen Dank.“, erwiderte ich und trat ein. Sie winkte nur noch einmal und lief dann zu ihrem Auto. Ich blickte im Treppenhaus nach oben und bezweifelte, dass ich jemals bis dort kommen würde. Die Welt schien sich mittlerweile um mich zu drehen. Ich setzte mich einen Moment auf die Stufen und legte den Kopf in meine Hände, bevor ich begann die schier endlosen Treppen hinaufzusteigen. Zwischendurch musste ich immer wieder Pause machen und tief Luftholen. Bis ich endlich oben stand war bestimmt eine Viertelstunde vergangen. Meine Rippen schmerzten, als sei jede einzelne von ihnen gebrochen und ich traute mich kaum noch zu atmen. Prüfend sah ich in dem großen Spiegel, der an der Wand hing. Ich sah aus, wie immer, nur etwas blasser. Ein Glück. Niemand sollte bemerken, was passiert war. Immer öfter vertrübte sich meine Sicht und genauso oft schien der Boden unter mir zu verschwinden und ich musste um mein Gleichgewicht kämpfen. Ich klingelte. Hinter der Tür hörte ich Schritte und es wurde geöffnet. Ein junger Mann mit tiefschwarzen Haaren öffnete. Verdammt, dachte ich, er hat doch Besuch. „Hi.“, sagte ich. „Ist Akito vielleicht auch da?“ Er musterte mich von oben bis unten. „Ja klar, warte kurz:“, erwiderte er kurz. Schnell überlegte ich mir einen Vorwand, warum ich gekommen war. „Aya!“ Akito schloss dir Tür zum Wohnzimmer, in dem gerade lauthals gelacht wurde, hinter sich. „Willst du reinkommen?“, fragte er und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Nein, aber danke. Ich möchte nicht stören, wenn ich gewusst hätte, dass du Besuch hast wäre ich wann anders gekommen. Ich wollte eigentlich nur dein T-Shirt zurückbringen.“ Ich reichte ihm sein Shirt. „Du störst nicht. Du wolltest doch sowieso den Grund kennen lernen, wegen dem ich wieder anfing zu sprechen.“, sagte er und sah mich an. „Deine Freunde?“ Er nickte. „Nein ist schon okay. Ich möchte wirklich nicht stören. Ich geh dann mal besser.“ In meinem Kopf drehte sich schon wieder alles. „Musst du nach Hause?“, wollte er wissen. Ich schüttelte so gut es ging den Kopf. „Gut, dann will ich, dass du jetzt mit mir rein kommst.“ Er griff nach meinem Arm und stieß dabei gegen meine Rippen. Es war als würde meine Haut in Flammen stehen. Scharf sog ich die Luft ein, um nicht laut aufschreien zu müssen. Tränen brannten in meinen Augen. „Was ist mit dir?“, fragte Akito misstrauisch. Ich wich seinem Blick aus. „Nichts. Alles in Ordnung.“ Ich versuchte meinen Arm loszumachen, doch er hielt ihn fest. Ich schloss kurz die Augen, um einen weiteren Schwindelanfall niederzukämpfen. Er schloss die Finger um mein Handgelenk und schob mit der anderen Hand den Ärmel nach oben. Ich versuchte mit aller Macht ihn daran zu hindern, doch zu spät. Die blutigen Aufschürfungen kamen zum Vorschein. „Yuki!“, rief Akito nach drinnen. „Lass mich. Es ist schon in Ordnung.“, versicherte ich. „Das glaube ich kaum.“, entgegnete er trocken. Ich drehte mich schnell von ihm weg und wollte zu den Treppen. Wohl etwas zu schnell, denn dieses Mal verlor ich wirklich den Boden unter den Füßen. Die Steine waren angenehm kühl. „Yuki! Jetzt beweg dich endlich hier raus!“, brüllte Akito noch einmal. Das Klicken einer Tür, viele Schritte. Stimmen. „Dir liegen wohl wirklich alle Mädels zu Füßen.“, spottete jemand. „Halt den Mund, Kai!“, sagte Akito ruhig. Der Ton seiner Stimme beruhigte mich. Ich schloss die Augen. Ich fühlte eine Hand auf meiner Stirn. „Nicht einschlafen, Aya, bleib wach. Yuki geh und hol Neru und beeil dich.“ „Was ist denn passiert?“, fragte dieser Yuki. „Später.“ Arme schoben sich unter meine Schultern und Oberschenkel. Jemand hob mich hoch. Ich stöhnte auf. „Nicht…“, flüsterte ich. Es tat so weh. „Hör auf zu sprechen. Es ist gleich vorbei.“, erwiderte Akito. „Yuki, jetzt geh schon!“ „Mach ich. Gib ihr das gegen die Schmerzen.“ Ein scharfer Geruch stieg mir in die Nase und ich spürte genau, wie die Flüssigkeit meine Kehle hinunterlief. Ich war müde. Eine leicht kribbelnde Wärme strömte durch meinen Körper. Langsam schwanden meine Sinne. Langsam schlief ich ein und träumte von der Zeit, in der mein Vater noch ein echter Vater gewesen war… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)