Blue Moon von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 7: Nachtmahl -------------------- Mein Blick ruhte starr auf seinem schlafenden Körper. Seine Augen waren geschlossen, seine Züge entspannt und er wirkte nicht mehr so nervös wie vorhin im Aufzug. Nervös. Ich hatte ihn tatsächlich nervös gemacht. Auf meinen Lippen formte sich ein Grinsen. Natürlich hatte ich ihn nervös gemacht, wahrscheinlich sogar verwirrt. Welcher normale Mensch leckte so das Blut von einer Wunde? Die Wunde war mittlerweile richtig verarztet. Ich richtete meinen Blick auf die verbundene Hand. Der Verband war weiß. Diesmal trat kein Blut mehr hindurch und das war auch gut so. Der Anblick hätte mich nur wieder aus dem Konzept gebracht und das wiederum wäre gar nicht gut gewesen. Gackt musste mich für einen völligen Psychopathen halten. Was hätte er auch sonst denken sollen? Es war verständlich. Das Team hatte ganz schön entsetzt geguckt, als ich einen ohnmächtigen Gackt in den Frühstückssaal geschleppt hatte. „Er hatte einen kleinen Unfall”, hatte ich erklärt, während man mir den Ohnmächtigen abgenommen und aus dem Raum gebracht hatte. Der große Gackt kann kein Blut sehen. Zumindest in der offiziellen Version. Natürlich glaubte mir das nur die Hälfte der Crew. Die andere Hälfte kannte Gackt wohl gut genug, um zu wissen, dass das eine billige Ausrede sein musste. Und man fragte sich, was der wahre Grund dafür sein konnte, dass Gackt so einfach aus den Latschen gekippt war. Fragen tat allerdings niemand. Und nun saß ich hier seit Stunden wie es mir schien und beobachtete ihn. Das ganze Set machte sich Sorgen. Ein guter Start für einen Dreh, Gackt. Wirklich, klasse. Ich dachte nach. Ich wusste nicht, was über mich gekommen war. Die Tatsache, dass Gackt meinetwegen so schlecht gelaunt war, dass er sich dermaßen verletzte, machte mich unruhig und ehrte mich zugleich. Und dass er es meinetwegen getan hatte – oder um genauer zu sein, wegen meinem Verhalten am Vorabend – wusste ich. Das war nicht schwer zu erraten und Gackt war in diesem Punkt ziemlich leicht zu durchschauen. Nur hätte ich mich dennoch mehr beherrschen müssen. Gerade, als ich mir zum wiederholten Male Gedanken darüber machen wollte, wie ich mich aus dieser Situation herausreden konnte, lenkte Gackts Gestalt wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Seine Augenlider bewegten sich unruhig und seine Brauen verengten sich. Er gab ein leises, murmelndes Geräusch von sich und hob schließlich den Arm – den mit der gesunden Hand – und legte diese auf seine Stirn. „Au“, hörte ich ihn zischen. Ich wartete einen Augenblick ab und beobachtete, wie er sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen rieb und anschließend die Schläfen massierte. Er bemerkte mich nicht einmal. Ich musste grinsen. Hätte er mich bemerkt, dann hätte er sich diesen kleinen Laut, der deutlich machte, dass er Schmerzen hatte, verkniffen. Gackt ließ sich so etwas nicht anmerken. Nicht, dass ich ihn besonders lange kannte. Aber ich kannte ihn gut genug, um das zu wissen. „Geht’s wieder?“, meldete ich mich schließlich zu Wort und ließ ihn damit sofort hochfahren. Er saß mit einem mal aufrecht auf seinem Bett und starrte mich an, als käme ich von einem anderen Stern. „Haido?“, fragte er dann. „Wen hast du denn erwartet? Brad Pitt?“ Es war als Scherz gemeint, aber Gackt verstand ihn nicht, was mich in diesem Fall nicht einmal wunderte. „Du bist ohnmächtig geworden“, erklärte ich, bevor er die Frage, die ihm seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, auf der Zunge brannte, überhaupt stellen konnte. Er blickte irritiert auf das Bettlacken neben sich, als erwartete er von diesem eine aufschlussreichere Antwort. Dann wanderte sein Blick zu seiner eingebundenen Hand, die er leicht hob um sie von allen Seiten betrachten zu können. „Ach ja“, sagte er dann. „Der Verband hat durchgeblutet. Ich hab ihn nicht richtig gebunden.“ Ich nickte. Das war alles was ihm einfiel? Er seufzte. „Danke, dass du mir helfen wolltest. Ich...“ Er zuckte leicht mit den Schultern. Ansehen tat er mich noch immer nicht. „Ich habe wohl etwas überreagiert.“ Überreagiert? Es wunderte mich, dass er meine... nun ja, nennen wir es ungewöhnliche Behandlung, nicht erwähnte. Aber ich würde es garantiert auch nicht selbst ansprechen. „Weißt du“, fuhr er fort, ohne meine Antwort abzuwarten. „Ich bin ziemlich nervös, wegen dem Dreh.“ Ich nickte wieder. Konnte es sein, dass er es verdrängte? Oder sogar vergessen hatte? Wenn ja, dann hatte ich noch mal verdammtes Glück gehabt. Und wie durfte ich seine Worte eben deuten? Sollte das etwa wirklich eine Art Entschuldigung sein? Eine Entschuldigung nach Gackt-Manier, wenn überhaupt. Er konnt e nicht einfach sagen ‚Tut mir leid, ich habe dich ungerecht behandelt.’ Das war völlig ausgeschlossen. ’ Das verbot ihm sein Stolz. „Das bin ich auch“, gab ich ehrlich zu. „Und die Hitze...“ „Du magst keine heißen Temperaturen, was?“, unterbrach er mich. „Nein, ganz und gar nicht“, stimmte ich zu. Nicht nur das. Ich hasste es. Diese ständige Hitze, die grelle Sonne, die auf meiner Haut brannte und meine Augen fast tränen ließ. Es war furchtbar. Und dann war Gackt auch noch gerade da ins Zimmer gekommen, als ich Hunger hatte. Ich war unausstehlich, wenn ich Hunger hatte. Ich stand vom Bett, auf dessen Rand ich bis dahin gesessen hatte, auf und warf einen Blick aus dem Fenster. Die Vorhänge waren offen und die Sonne schien ins Zimmer. „Man hat mir gesagt, wir würden erst morgen mit dem Dreh anfangen“, informierte ich Gackt und streckte die Arme hinter dem Kopf. „Wegen deinem kleinen Unfall.“ Gackt warf einen fast schon wehleidigen Blick auf seine Hand. Seinetwegen wurde die Arbeit aufgeschoben. Das passte ihm nicht. Ganz und gar nicht. Wo er doch so ein Arbeitstier war. „Das heißt... wenn du dazu in der Lage bist, werden wir morgen anfangen.“ Ich wählte meine Worte bewusst. Ich warf ihm bewusst, indirekt vor, dass er und seine Dummheit Schuld an dem Verzug waren. Ich wollte seine Reaktion sehen. Äußerlich blieb er ruhig. Aber ich spürte die Aufregung, die in ihm tobte. Er nickte nur zögernd und warf dann einen Blick auf den Wecker. Es war später Nachmittag. Er hatte lange geschlafen. Wahrscheinlich hatte er auch in der letzten Nacht nicht viel Schlaf bekommen und somit einiges nachzuholen. „Dann...“, begann er und richtete zum ersten mal in diesem Gespräch seinen Blick direkt auf mich. „Habe ich uns wohl einen freien Abend beschafft, was?“ Er lächelte. ‚Ja genau, überspiel du nur deine Unsicherheit’, dachte ich mir. Er machte das gut. Er konnte mit dieser glücklichen Fassade sehr gut Menschen täuschen. Aber nicht mich. Ich nickte lächelnd und war mir sicher, dass er dieses Lächeln verstand. Es war aufgesetzt. Es diente nur dazu, ihm ein Stückchen seiner Sicherheit zu nehmen. Und es erfüllte seinen Zweck. Gackt sah mich verwirrt an. „Ruh dich etwas aus“, meinte ich und kehrte ihm den Rücken, ließ ihn in seiner Unsicherheit zurück. Es war bereits abends, als es an meiner Zimmertür klopfte und ich davon wach wurde. Ich hatte mich etwas schlafen gelegt. Hier herrschte einfach kein Wetter, bei dem man tagsüber freiwillig hinausging. Jetzt war es immer noch warm, aber wenigstens die Sonne war weg. Ich fühlte mich schwach und das, obwohl ich bis jetzt geschlafen hatte. Mir war schwindelig als ich mich langsam aufrichtete und zur Tür ging. Ich fühlte mich wie verkatert. Meinem Körper tat das hier alles andere als gut. Mein Kopf fühlte sich schwer an und mein Magen protestierte. Ich musste dringend etwas Essen. Als ich die Tür einen Spalt öffnete, sah ich, dass es Gackt war, der davor stand. Jemanden anderen hatte ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet. Ich musterte sein Gesicht nur kurz, und dann fiel mein Blick sofort wieder auf seine verwundete Hand. Ich hatte noch den Geschmack dieses – seines Blutes im Mund. „Gac-chan“, sagte ich, als wäre ich furchtbar überrascht. Er lächelte matt. Ich öffnete die Tür weiter und trat einen Schritt beiseite. „Bitte, komm doch rein.“ Ich spürte, dass meine plötzliche Höflichkeit ihn verwirrte, obwohl er sich wie immer Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen. „Danke“, entgegnete er und ich schloss die Tür, nachdem er den Raum betreten hatte. „Hast du... geschlafen?“ Er drehte sich nach mir um. „Störe ich?“ Ich schüttelte den Kopf. „Keineswegs.“ Eine müde Taubheit legte sich über mich. Ich war zu erschöpft um ihm zu widersprechen oder weiter zu provozieren. „Setz dich doch.“ Setzen. Nun ja. Klang einfach. Schien aber in diesem Fall größte Verwirrung bei Gackt auszulösen. Er blickte sich um und fand in diesem Raum keine andere Sitzmöglichkeit als das Bett. Ich machte bewusst keine Anstalten, mich ins Wohnzimmer zu begeben. Schließlich nahm er unsicher auf dem Bett Platz und ignorierte die dünne Decke, die ich zuvor einfach mürrisch neben das Bett auf den Boden befördert hatte. Selbst dieses dünne Stück Stoff war mir zu warm. „Also“, begann er schließlich und blickte auf seine eigenen Hände, die er auf dem Schoß gefaltet hatte und deren Finger sich nun ständig ineinander verhakten. „Wo wir doch nun heute sowieso frei haben, dachte ich, ich frage dich, ob wir nicht was trinken gehen wollen.“ „Trinken klingt gut“, war meine erste Reaktion, die mehr gemurmelt als klar gesprochen war. Gackt blickte auf und sah mich erwartungsvoll an. Ich dachte einen Moment nach und leckte mir eher unbewusst über die trockenen Lippen. „Tut mir leid“, meinte ich dann. „Ich hab Kopfschmerzen. Ich denke ich bleib lieber hier.“ Die Enttäuschung auf seinem Gesicht war nicht zu übersehen. Fast machte es mich ein bisschen stolz, dass es ihn scheinbar so deprimierte, dass ich nicht mit ihm weggehen wollte. Aber ich hatte meine Gründe. „Oh“, meinte er knapp. „Das ist... schade.“ Er starrte noch immer auf seine Hände, wovon die eine unter dem weißen Verband versteckt war. „Wegen der Hitze?“ „Womöglich.“ „Hm...“ Ich lief an ihm vorbei zum Fenster, zog den Vorhang leicht zur Seite und starrte hinaus. Hier war es selbst nachts noch sehr warm, aber immerhin erträglich. Und es wurde Zeit, dass ich endlich etwas zwischen die Zähne bekam. „Sag mir wo du hingehst“, meinte ich und drehte mich zu ihm um. „Unter Umständen komme ich nach.“ Seine Züge hellten sich auf wie die eines kleinen Kindes. Dass er mir so aus der Hand zu fressen schien... „Ganz hier in der Nähe“, meinte er. „Da gibt es eine Bar, die soll recht schön sein.“ Er blickte sich um und stand schließlich auf, lief zum Schreibtisch und notierte dort etwas auf einen Zettel. „Ich schreibe dir die Adresse auf. Das ist nicht schwer zu finden.“ Ich nickte. „Okay, vielleicht komme ich später noch.“ Später war in diesem Fall etwa drei Stunden später. Es war längst spät in der Nacht und ich wäre vielleicht auch etwas früher gekommen, hätte ich den Weg gefunden. Gackts Wegbeschreibungen konnten einen wirklich verrückt machen. Davon mal abgesehen, half mir seine Adresse nicht viel, da ich kein Wort der Landessprache verstand und es so auch mit dem Durchfragen kompliziert wurde. Es war dunkel. Und das war das einzige angenehme an dieser Nacht. Zusätzlich war sie heiß und ich hatte einen tierischen Hunger. Beides Faktoren die dafür sorgten, dass meine schlechte Laune ins Unermessliche stieg. Eigentlich war es allgemein nur der Hunger gewesen, der mich dazu gebracht hatte, mein Bett zu verlassen und mich nach draußen zu schleppen. Ich sah die Lichter der Bar und hörte die Stimmen der vielen Menschen durcheinander in meinem Kopf surren. So viele Menschen. Und das um diese Zeit. Offensichtlich ging es ihnen wie mir und sie trauten sich erst spät aus den Häusern, wenn es nicht mehr ganz so heiß war. Die Bar war tatsächlich nicht groß, wie ich beim Näherkommen feststellte und es würde sicher nicht schwer sein, Gackt hier zu finden. Das hieß, wenn ich ihn hätte finden wollen. Das hatte ich allerdings nicht vor. Nicht jetzt. Zuerst wollte ich meinen Durst stillen gehen. Ich drängelte mich durch die Menschenmengen bis hin zur Bar und stützte die Arme auf die Theke. Ein paar Minuten stand ich einfach nur da, ließ die fröhliche Musik und die ausgelassenen Menschenstimmen auf mich wirken, schloss die Augen und gab mich dem Gefühl hin, wie sich alles um mich herum zu drehen schien. Ich war wirklich erschöpft. Irgendwann hörte ich eine Stimme, die lauter und somit näher zu sein schien und sich offensichtlich an mich richtete. Ich öffnete die Augen und sah den Barkeeper vor mir stehen. Man musste diese Sprache nicht verstehen, um erraten zu können, dass er wohl von mir wissen wollte, was ich gerne zu Trinken hätte. Ich warf einen Blick auf die Aushängeschilder über ihm an der Wand. Plötzlich spürte ich eine Berührung. Eine Hand legte sich leicht auf meine Schulter und als ich mich umdrehte, stand eine junge Frau, durchaus attraktiv, neben mir und lächelte mich an. Sie widmete sich dem Barkeeper, or derte etwas und blickte mich dann wieder mit ihren großen, brauen Mandelaugen an. Offensichtlich auf der Suche nach einem Tanzpartner. „Zum ersten Mal in Taiwan?“, begann sie schließlich in ziemlich schlechtem Englisch. Ich nickte stumm und sie lächelte. Was wollte sie eigentlich von mir? Sie schien ja wohl gemerkt zu haben, dass ich kein Wort Mandarin sprach. Wie sollte ich mich da mit ihr und diesen schlechten Englischkenntnissen unterhalten können? Der Mann hinter der Theke stellte mir ein Cocktailglas hin, welches die junge Dame offensichtlich für mich bestellt hatte. Ich schenkte dem Glas nur kurz Beachtung, drückte mich dann von der Theke weg, griff nach dem schmalen Handgelenk der fremden Frau und zog sie mit mir durch die Menschenmenge. Sie schien etwas verwirrt, wehrte sich jedoch nicht. Im Garten hinter dem Gebäude war es nicht minder laut. Die Terrasse diente ebenso als Tanzfläche, wie der Raum innerhalb des Hauses und so beschloss ich, meine Begleitung noch ein paar Meter weiter zu entführen. Schließlich ließen wir uns auf einer Bank nieder. Sie lächelte noch immer. „Kannst du Englisch?“, fragte sie erwartungsvoll und machte eine Geste mit der Hand, in dem sie Daumen und Zeigefinger nahe aneinander hielt. „Ein bisschen?“ Ich nickte. „Ein bisschen.“ Diese Antwort schien sie außerordentlich zu freuen, doch es war nicht meine Absicht, mich mit ihr zu unterhalten. Nicht, dass ich mich nicht gerne mit jungen Frauen unterhielt. Megumi unterhielt sich schließlich auch gerne mit jungen Männern. Das war also nicht das Problem. Diese junge Dame hier, war auch noch sehr hübsch. Auch daran sollte es also nicht scheitern. Das Problem war nur mein Hunger. Sie gab einen überraschten Laut von sich, al s ich mich so plötzlich zu ihr herüberbeugte und meine Lippen an ihren Hals legte. Sie dachte wohl an eine etwas sehr stürmische Anmache, die ihr jedoch offensichtlich nicht zuwider war. Erst als meine Zähne sich tief in ihre Haut gruben, spürte ich, wie ihr Herz vor Aufregung – vor Angst – schneller schlug. Doch da war es bereits zu spät. Keine Minute später hörte ich es hinter uns im Gebüsch rascheln. Ertappt blickte ich auf und sah in ein paar geweiteter, von blauen Linsen getrübter Augen. „Gackt!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)