Projekt M von aiyang_88 ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Auftragskiller, herzlose Bestien oder süße Versuchungen? Wie ist der wahre Alltag eines Killers? Ein ewiges Versteckspiel oder ein kompliziertes Doppelleben? Welche finsteren Geheimnisse verbergen sich in ihrer Seele? Oder vielleicht sind sie auch nur auf der Suche nach der wahren Liebe... Wahrscheinlich verstehen einige nicht, warum ich gerade davon reden will, doch es ist unsere Geschichte, die Geschichte unseres Lebens, unserer Freundschaft und unserer Liebe. Wir sind Auftragskiller, doch weiß Gott keine Mörder, die allein aus Spaß unschuldige Menschen töten. Nein, jede unserer Taten unterstützt das Motiv unserer Auftraggeber. Jeder von uns lebt im Untergrund, doch zugleich blenden uns die Untaten dieser Welt. Kann sein, dass sich einige von uns als Racheengel sehen, die kaltblütig töten, um ihr eigenes Leid zu lindern. Wir alle sind gebrandmarkt durch unser eigenes Schicksal, dass unser Leben zerstörte, denn auch wir sind nun einmal Menschen, haben Gefühle und Träume, und doch bezeichnen uns alle als Monster. Wahrscheinlich würden wir noch heute kalt in die Welt blicken, wenn wir uns nicht gefunden hätten. Wir würden immer noch an unserer Vergangenheit zerbrechen, wenn wir uns nicht gegenseitig Halt gegeben hätten. Wir waren Gleichgesellte, Freunde, Geliebte… Unser Projekt war der Mord. Und dann stürzte alles Leid auf uns nieder. Wir versanken in einer Welt aus Schmerz und Finsternis. Kapitel 1: It was beginning with the death ------------------------------------------ Es war spät am Abend und der ohnehin schon dunkle Nachthimmel wurde durch die Abwesenheit des strahlenden Mondes noch mehr verfinstert. Eine junge, schwarzhaarige Frau schritt den Kiesweg entlang, der durch die Finsternis des kleinen Randwaldes Tokios allmählich auf das wohl einzige bewohnbare Haus dieser Gegend zuführte, ein kleines Gasthaus mit dem Namen "Kanehara Inn". Langsam ging sie an den, dicht am Wegesrand verwurzelten, Bäumen vorbei, die schon jetzt, zu Beginn des Septembers, ihre grüne Blätterpracht gegen ihre bunte Herbstkleidung eintauschten. Als sie in der Dunkelheit die Lichter sah, die durch die Fenster des zweistöckigen Hauses hinaus auf den Weg schienen, blickte sie auf und erkannte schon jetzt die Silhouette des Gasthausbesitzers. Schließlich erreichte sie das Gebäude und öffnete die Tür, die somit an ein kleines Windspiel über dem Eingang stieß, um ihre Ankunft zu verkünden. "Guten Abend, Kaya-chan", begrüßte sie der Mann hinter der Theke, auf welche sie nun zuschritt und sich dort auf einen der Barhocker setzte. Sie überschlug ihre Beine, wobei ihr weißes Minikleid leicht nach oben rutschte und ein weiteres Stück ihrer schlanken Beine entblößte. Ihre langen, schwarzen Haare, die ihr hinab bis zur unteren Hälfte ihres Rückens reichten, warf sie elegant mit einem leichten Schwung nach hinten. "Gib mir bitte ein Martini, Ojiro-kun", sagte sie zum Barkeeper. Dann stützte sie sich auf dem Tresen ab und seufzte leise. Der Barkeeper stellte ihr ein kleines Glas mit klarer Flüssigkeit und einer darin schwimmenden Olive hin. Er hatte ebenfalls für Japaner typisches schwarzes Haar, obwohl seines nur bis knapp über die Ohren ging, und trug eine schicke, schwarze und weiße Kellnerkleidung mitsamt Fliege. "Bitte, Kaya-chan. Und wie geht es dir so?" "Ach, mir ist so langweilig. Jeden Tag immer wieder derselbe Alltagstrott" Erneut seufzte sie und starrte in ihr Getränk. "Ich hoffe, dass Ceyel wenigstens gute Nachrichten mitbringt." "Wieso hörst du nicht auf? Ich meine, was bringt dir diese Arbeit?", fragte Ojiro und stellte einige gerade geputzte Gläser in das Regal hinter der Theke. "Ich kann nicht mehr aufhören. Ob ich es will oder nicht, es ist ein Teil meines Lebens." Kaya nahm einen Schluck ihres Martinis, bevor sie weitersprach, nun mit einem schmunzelnden Gesichtsausdruck. "Und außerdem amüsiert es mich." "Das ist makaber, aber wenn du es sagst, klingt es liebreizend", murmelte Ojiro und wischte die Theke. "Aber kannst du nicht einfach bei mir bleiben?", fragte der Barkeeper die hübsche, junge Frau. Bevor er jedoch auch nur die Chance auf eine Antwort bekam, ging die Tür zu dem Barraum erneut auf. Er sah auf und seine Miene wurde sofort wieder ernst, als er die Person erkannte. "Ceyel", war Ojiros einzige Begrüßung, bevor er sich wieder seinen Gläsern zuwand. Der japanische, junge Mann, der auf Kaya zuging, sah Ojiro argwöhnisch an, obwohl er sich allmählich schon an dessen Art gewöhnt hatte. Er hatte blondgebleichte, etwas längere Haare, die ihm zottig vom Kopf abstanden. In dem schwarzen, ärmellosen Oberteil, das er trug konnte man seine trainierten Muskeln genau erkennen. Außerdem trug er eine weite Hose und einen, für diese Temperaturen noch leicht unpassenden, weißen Schal. "Da bist du ja, Ceyel", meinte Kaya, als sie ihn sah. "Es hat etwas länger gedauert, weil es schwierig war mit unserem neuen Auftragsgeber in Kontakt zu treten. Sie wird gut beobachtet", gab er ihr zu verstehen. "Sie? Wer ist es?", fragte Kaya nun neugierig, doch Ojiro unterbrach sie. "Kann ich dir noch etwas bringen, Kaya-chan?", säuselte der Barkeeper ihr freundlich zu. "Nein, danke, ich muss jetzt los. Die Arbeit ruft." Ojiro seufzte nur. "Na schön, aber passt auf euch auf." "Natürlich, das tun wir doch immer. Bis später, Ojiro-kun. Ich wünsche dir einen schönen Abend", meinte Kaya und zog Ceyel mit sich nach draußen. Ojiro sah den Beiden hinterher und seufzte dann, genauso wie zuvor Kaya. Vor dem Gasthaus begann Ceyel schließlich der Schwarzhaarigen ihren neuen Auftrag zu erklären. "Eigentlich fast das Übliche, Mord, doch wir bekommen diesmal noch andere Partner." "Andere Partner? Wozu das? Mal ganz ehrlich, dass ist doch total unnütz, denn immerhin sind wir Beide ohne Partner, die uns nur behindern, viel besser dran, und wer sollen diesen Leute überhaupt sein?" Kaya war deutlich aufgeregt über diese neue Wendung in ihrem Auftrag. Als ihr Partner an diesem Morgen vom neuen Auftraggeber kontaktiert wurde dachten Beide eigentlich noch, dass das ein Tag wie jeder andere werden würde, doch nun lief scheinbar einiges anders, als geplant. "Beruhige dich, Kaya." "Ich bin ruhig!", zischte sie zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch. Doch selbst ein Fremder, der sie nicht so gut kannte wie ihr jahrelanger Partner, konnte in der Dunkelheit erkennen, dass sie alles andere als beherrscht war. "Kannst du mir jetzt endlich mal sagen, wer diese neuen Partner sind?", fragte sie es in einem versucht gefassteren Tonfall. "Eine gewisse Lycel und ihre Partner ", antwortete Ceyel. Er wusste, dass er Kaya so wie sie war besser schnell beruhigen sollte, denn sonst gab es gewiss Probleme mit den anderen. Zwar war er selbst nicht sehr erpicht auf das Zusammenwirken mit anderen Parteien, doch er wollte lieber seine Füße still halten, um den Auftrag so schnell wie möglich zu erledigen, denn er hatte irgendwie die Ahnung, dass ihn bald eine gewissen Person aufsuchen würde. Kurz sah er auf einen kleinen, kurzen Brief, bevor er ihn zurück in die Tasche seiner Hose steckte. Schließlich fuhr er weiter fort Kaya über die jetzige Situation aufzuklären, um ihre Ungeduld sofort im Keim zu ersticken. "Sie sind um 22:30 Uhr vor dem Kanehara Inn anzutreffen. Mehr weiß ich noch nicht über sie." Zwar wirkte sie tatsächlich etwas geduldiger, da Ceyel ihr alles erzählt hatte, doch auch jetzt merkte man noch ihr starke Abneigung gegen andere Auftragskiller. Denn genau das waren die beiden Japaner. Mörder, zum Abruf bereit, um anderen Menschen die Lebenskraft auszutreiben und sie in die Hölle zu schicken. Immer noch genervt setzte sich Kaya auf die Bank, welche genau neben der Eingangstür stand und starrte vor sich auf den Weg, der Richtung Tokio führte. "Hoffentlich kommen unsere ‚Partner’ wenigstens rechtzeitig!" "Soweit ich weiß sind Auftragskiller immer pünktlich", sagte eine dunkle Gestalt rechts neben den beiden Personen und schon sahen sie in die finstere, unbeleuchtete Ecke des Gasthauses, aus der nun eine weibliche Person aus den Schemen trat. Sie war eine ebenfalls junge Japanerin mit langem, schwarzem Haar und leuchtend grünen Augen. Ihr wohlgeformter Körper war fast komplett in Schwarz gehüllt, was sie in dieser Dunkelheit wie ein Schatten erscheinen ließ. Nur ihre baren Arme verrieten sie auf dessen rechten ein Tattoo in Form eines Kreuzes auf dem Oberarm prangte. "Guten Abend" "Bist du Lycel?", fragte die Blondhaarige und sah sie misstrauisch an, wobei er die ganze Zeit wie gebannt ihr Tattoo anstarrte. "Ja, das bin ich. Ich vermute mal, dass ihr dann meine Verabredung seid." "Bilde dir bloß nichts ein!", murmelte Kaya beißend und stand auf, um sich der anderen gegenüberzustellen und ihr dann geradewegs in deren grüne Seelenspiegel zu blicken. "Wir brauchen dich und deine Leute nicht! " "Ich euch auch nicht", meinte Lycel schlichtweg und ihre Augen blitzten auf. "Wenn es nach mir ginge würde ich euch sofort killen!" Ihre Stimme war nun eiskalt. "Bleibe ruhig", bedeutete ihr ein junger und großer Mann mit schwarzen Haaren, der auf die beiden Frauen zutrat. Er trug elegante, schwarze Kleidung und sein Akzent ließ vermuten, dass er Engländer war. "Ach, Lycel, mit deinem Aussehen könntest Model werden. Also setze dich doch endlich zur Ruhe und überlasse mir die Drecksarbeit." Er trat an Lycel heran. "Und wer sind die?", fragte er mit einem Kopfnicken in die Richtung von Kaya und Ceyel. "Die sind Teil meines neuen Auftrages!", antwortete Lycel ihm. "Was heißt hier bitte dein Auftrag?" Der Blondhaarige trat dichter an Lycel und den Engländer heran und sah sie wütend an. "Das geht dich nichts an. Villo, verpiss dich hier!", schimpfte Lycel. 'Ich will den Auftrag nicht mit ihm teilen, genauso wenig das Geld, nur weil er sich mal wieder einmischen muss!', dachte sie zornig. Doch Villo ignorierte sie und musterte interessiert die beiden anderen. "Was guckst du so?", zischten sie ihn gleichzeitig an. "Ihr seid keine Gegner... ", meinte Villo und sah dabei speziell Kaya an. Sie sah ihn zornig an, bevor sie seinem Blick auswich. "Hör bloß auf blöde Sprüche zu klopfen, denn dafür wirst du nicht bezahlt!", knurrte Ceyel den Briten an. "Ich sage nur die Wahrheit..." Villo lächelte ihn kühl an, bevor er sich abwandte, eine Zigarette anzündete, die er in der Hand hielt und sich dann auf die Bank setzte, auf der vorhin noch Kaya saß. "Können wir endlich los oder kommen noch mehr von euch?", fragte Kaya nun wieder gereizt. "Meine Partner sind noch nicht hier und vorher geh ich hier nicht weg", sagte Lycel und verschränkte die Arme vor der Brust. "Und wer ist der denn dann?", fragte Ceyel und zeigte dabei auf Villo. "Er ist nicht mein Partner!", antwortete Lycel genervt. "Das stimmt, wir gehören nur zur selben Organisation", meinte der Schwarzhaarige und blies den Rauch seiner Zigarette aus. "Auch noch eine Sekte. Womit haben wir denn das nur verdient?" Kaya ließ sich wieder auf der Bank, neben Villo, nieder, wobei dieser sie aus dem Augenwinkel ansah. "Guten Abend" Ein großer, zumindest für einen Japaner großer, und muskulöser Mann mit, genau wie Ceyel, gebleichten Haaren kam aus der Dunkelheit des Waldes über den Kiesweg auf die kleine Gruppe zu. Sein weißer Mantel, auf dessen linker Brust dasselbe Kreuz zu erkennen war, dass Lycels Oberarm bedeckte, wehte im kühlen Abendwind. "Verzeiht die Verspätung, ich habe Kojiko-chan noch abgeholt." In dem Moment sprang das kleine, schwarzhaarige Mädchen, dass neben ihm ging, Lycel um den Hals. "Hi, Schwesterherz!" Auch sie hatte ein Kreuz auf ihrem dunklen Oberteil. "Sollen wir jetzt etwa auch noch Babysitter spielen?", fragte Ceyel nun genervt, während er seine Augen verdrehte. "Hey, du Flachwichser, ich bin kein Baby!", schimpfte Kojiko und trat ihm dabei gegen sein Schienbein. "Ah!", jammerte er und sah sie zornig an. "Du kleines Miststück!" "Was ist das hier denn für eine Stimmung? Ich dachte, die sollen mit uns kooperieren? Und was macht Villo eigentlich hier?", fragte der andere Blonde, der nun neben Lycel stand. "Ich passe auf, dass ihr alles richtig macht", sagte Villo. Genervt von der ganzen Situation, ob nun von den Streitigkeiten Ceyels mit diesem kleinen Mädchen und dem Kommentar des Briten, stöhnte Kaya auf und verdrehte die Augen. "Ceyel!" Der Angesprochene drehte sich zu ihr. "Was ist denn?" Noch immer rieb er sich sein angeschlagenes Schienbein. "Nun sag mir endlich, wohin wir jetzt müssen und wer unser Auftraggeber ist!" Er nickte und sah noch einmal böse zu dem kleinen Mädchen, das ihn ebenfalls finster anblickte. "Wir sollen zu einer gewissen... Wie hieß sie noch mal?" Er überlegte kurz, bevor es ihm wieder einfiel. "Genau, unsere Auftraggeberin ist diese Sängerin, Mirai Koko." "M-Mirai Ko-Koko? Das ist nicht wahr!" Kojiko war völlig baff. "Woher kennst du sie denn?", fragte Ceyel. "Mirai Koko ist die absolut geilste Popsängerin überhaupt! Sie ist toll!", schwärmte Kojiko. "Ist ja gut. Können wir los?", meinte der blonde Mann mit dem Kinnbart, der bis eben noch neben Lycel gestanden hatte, und nahm das Mädchen auf den Arm, um sie zu beruhigen. "Eine Sängerin. Was will denn eine Sängerin bitte schön von uns?" Kaya seufzte. "Keine Ahnung, aber das wird sie uns dann schon sagen! Sie hat uns zu ihrem Konzert bestellt! Wir sollen sie danach im Backstagebereich in ihrer Kabine antreffen", erklärte Ceyel. "Das ist ja so geil! Ich kann auf ein Mirai Koko Konzert. In der K/A-Sonderschule glaubt mir das keiner", freute sich Kojiko. "Doch, ich glaub es dir", meinte der Mann, der sie mit seinen kräftigen Armen festhielt. "Ach, Kail, du gehst doch gar nicht mehr zur Schule", meinte Kojiko. "Aber ich glaube dir." 'Kinder', dachte Kaya gereizt. 'Ich weiß schon, warum ich sie nicht leiden kann.' "Hast du irgendetwas, Kaya?", fragte Ceyel sie flüsternd. "Natürlich nicht!", raunte sie zurück. "Sie kann uns nicht leiden, weil sie vorschnell urteilt", meinte der andere Blonde lächelnd. "Was mischt du dich da ein, du... du... du...", antwortete Kaya schnippisch. Doch er lächelte nur. "Wie heißt du eigentlich?", fragte sie nun murmelnd. "Heseko Kail." "Kail... Mein Name ist Watase Kaya", stellte Kaya sich vor. Bei der Begrüßung noch freundlich blickte sie nun wieder ernst drein und sagte: "Aber glaube jetzt bloß nicht, dass wir Freunde wären." "Nein, natürlich nicht", sagte Kail freundlich lächelnd. "Und wie heißt ihr?", wandte sie sich schließlich auch den anderen drei zu. "Hiwatari Lycel" "Hiwatari Kojiko" "Villo" "Hast du denn keinen Nachnamen?", fragte Ceyel an Villo gewand. "Den braucht ihr nicht zu wissen", meinte er daraufhin kühl. Kaya sah ihn fragend an. "Ich traue euch nicht. Also werde ich euch ganz bestimmt nicht meinen ganzen Namen nennen oder haltet ihr mich für blöd?", fragte er sarkastisch. Ceyel war nun ruhig, dachte sich aber seinen Teil. Gerade wollten sie sich auf den Weg in Richtung Stadt machen, als sie eine junge Frau auf sich zukommen sahen. Ihr langes, blondgebleichtes Haar trug die Japanerin offen, wodurch es durch die Abendbrise verweht wurde. Eine schwarze Coursage zierte ihren Oberkörper, wozu sie eine ebenfalls dunkle Hotpan trug. Ihre schmalen Beine wurden gekonnt von langen, weißen Overkneesocken bedeckt. An ihrem rechten Oberschenkel hatte sie eine kleine Pistolentasche befestigt. "Ist das noch eine von euren Partnern?", fragte Kaya genervt, doch ganz unerwartet war es Ceyel, der ihr nun antwortete. "Nein, das ist meine Partnerin..." Kaya sah ihn verwundert an und war umso überraschter, als sie seine Augen sah, die wie verzaubert die Gestalt vor sich betrachteten. Schließlich stand sie genau vor ihm und lächelte ihn an. "Ohayô, Ceyel-kun", hauchte sie und er nickte. "Sayuri" Immer noch betrachtete er sie wie gebannt, bis sich seine schwarzhaarige Partnerin schließlich räusperte. "Ceyel, wir haben einen Auftrag", sagte sie ungeduldig und er sah sie an. "Ja." Er sah wieder zu Sayuri und sagte dann schließlich: "Sie kommt mit." Kaya wollte glauben sie hätte sich verhört, doch schon gingen alle weiter und die Blonde an Ceyels Seite. Nach dem Konzert in der Stadthalle des Viertels Akihabara in Tokio warteten alle in der Kabine der Sängerin auf ihre Auftraggeberin. Kail bediente sich gerade an der Bar, als Mirai in den Raum schritt. Sie war eine junge Japanerin im Alter von 20 Jahren mit rotem, schulterlangem Haar und hagerem Körper. Sorgfältig schloss sie die Tür hinter sich und warf ihr Mikrophon auf ihren Schminktisch. "Ihr seit also die Auftragskiller?" "Nein, wir tun nur so", antwortete Villo bissig. "Villo!", fuhr Kojiko ihn an, ehe sie sich an Mirai wand. "Ähm, Fräulein Koko, kann ich Sie mal etwas fragen?" Ihre Wangen liefen zartrosa an und sie sah nervös zu Boden. "Was denn?", fragte Mirai nicht sehr freundlich. Jedoch klang sie auch nicht unfreundlich, denn ihre Stimme wirkte genauso wie ihr Gesichtsausdruck emotionslos, obwohl sie auf der Bühne gerade noch so süß lächeln konnte. Lycel war leicht verwirrt, doch sie ließ es sich nicht anmerken. "Ich... Kann- kann ich bitte ein Autogramm haben?" "Meinetwegen", seufzte die Sängerin und gab ihr einen Zettel, auf den sie soeben ihren Schriftzug verewigt hatte. Dann schritt sie auf die Bar zu und goss sich ein kleines Glas Wodka ein. "Und weswegen sind wir jetzt hier?", fragte Kail. "Um Smalltalk zu führen bestimmt nicht. Immerhin seit ihr Auftragskiller", meinte Mirai. Sie trank das Glas in ihrer Hand aus und drehte sich dann zu den anderen um. "Ihr sollt meinen Vater ermorden!!!" "Ach, wenn es weiter nichts ist. Geht’s noch?", meinte Lycel gereizt. "Ich dachte ihr seit Killer", erwiderte Mirai schlicht. "Ja, aber er ist doch dein Vater, deine Familie!" Lycel war aufgebracht und konnte nicht verstehen, wie jemand seinen eigenen Vater umbringen lassen wollte. "Das ist allein meine Sache! Ich habe euch nur herbestellt, um meine Instruktionen auszuführen, denn mehr habt ihr hier nicht zu schaffen." Mirai sah mit einem kalten Blick zu Lycel, bevor sie sich von ihr abwandte und sich erneut Wodka in ihr Glas zu kippen. "Aber wozu brauchen wir dann die?", fragte Kail mit einem Wink auf die drei anderen. "Was soll das heißen? Ihr seid nur unsere Unterstützung. Das hier ist unser Auftrag", keifte Kaya den blonden Mann an. Doch Mirai überging auch dies einfach, trank das Glas wiederum leer und sprach dann: "In der Villa meines Vaters sind rund 100 Wachmänner postiert. Es sind alles gut ausgebildete Kampfexperten, die zur Beweisvernichtung alle ausgeschaltet werden müssen, genauso, wie die Videokameras. Als erhöhter Schwierigkeitsgrad kommen auch noch die Gänge dazu, die einem Labyrinth ähneln", zählte Mirai nach und nach alles auf. "Selbst dafür sind die nicht nötig. Das könnte ich auch im Alleingang machen", meinte Villo kühl und zog dabei an seiner Zigarette. "Dich hat aber niemand gefragt!", bemerkte Ceyel. "Wer bist du überhaupt? Ich kann mich nicht erinnern, dich beauftragt zu haben", erwiderte Mirai und musterte den Briten dabei abwertend. "Ich bin von der Organisation beauftragt worden", sagte Villo eisig. "Von welcher Organisation redet ihr bitte schön die ganze Zeit?", wollte nun wirklich Kaya wissen. Sie hatte es satt immer die Unwissende zu sein. Erst die Sache mit der Unbekannten, die fast wie eine Klette immer in Ceyels Nähe war und dann auch noch dieses ständige Gerede von einer Organisation. "Von Death.com, einer weitverstrickten Organisation, in der nur präzise ausgebildete Killer arbeiten", antwortete Villo. "Death.com?", murmelte Sayuri geschockt und sah dabei zu Ceyel, der sie mit einem nachdrücklichen Blick wieder zum Schweigen brachte. Allerdings sah nicht nur sie, wie er den Schal um seinen Hals ein wenig enger zog, als der Name dieser Organisation fiel. Kaya blickte ihn deswegen fragend an. "Ceyel, ist was?" Doch er lächelte nur zurück und beließ die Sache dabei. "Wann geht es eigentlich los?", fragte Kail, worauf Mirai ihn ansah. "Heute noch nicht, denn mein Vater ist noch auswärts tätig und kommt erst am morgigen Tage wieder Heim. Bis dahin könnt ihr jedoch in meine Villa kommen, um euch vorzubereiten und einander vertraut zu machen, denn ich erdulde während der Handlung keine Fehler." "Hey, warte, Koko-san!", rief Kaya, als Mirai schon auf dem Wege zur Tür war, um den Raum zu verlassen. "Das Wichtigste müssten wir vorher noch klären." Mirai sah sie an. "Und das wäre?" "Die Bezahlung...", sagte Villo kühl. "50 Millionen Yen... für jeden." Als die anderen daraufhin schwiegen gab sich die Rothaarige damit zufrieden und brach das Gespräch ab, um endlich in ihre privaten Gemächer in ihrer eigenen Villa zu gelangen. Später in der Nacht kam die Gruppe auf Mirais Anwesen an und schritt durch das Eingangstor direkt in das Foyer, bevor sie eine weite, hohe Halle betraten, in der zwei Marmortreppen nach oben führten. "Ihr könnt diese beiden Zimmer nutzen.", gab Mirai kurz zu verstehen, wobei sie auf zwei unter den Treppen liegenden Türen deutete. Schließlich ging sie dann selbst die rechte Treppe hinauf und schweigend in einen der anschließenden Gänge. "Okay. Ich würde der fairer halber sagen, Ladys links und wir rechts", sagte Kail und so teilten sie sich auf. Es war schon etwas später, als sich Kaya im Raum umsah, wobei sie speziell die Bilder an den Wänden anstarrte, auf denen immer nur ein Motiv zu erkennen war, auch wenn es sich durch verschiedene Formen unterschied. Es waren alles Grabsteine bei Nacht. "Ziemlich abnorme Bilder", meinte die Schwarzhaarige und sah dann zu dem blonden Mädchen, dass erschöpft auf einem Sessel unter einem dieser Bilder ruhte. "Ist doch egal. Bereite dich lieber vor!", entgegnete Lycel, während sie ihre Messer putzte. "Tz, ich bin nun einmal ein neugieriger Mensch. Außerdem will ich schon gerne wissen, für wen ich arbeite. Und ferner bin ich jederzeit bereit!" "Bereit? Wofür?", fragte Lycel ironisch und sah dabei abschätzend an Kaya herab. "Das kannst du jetzt sehen, wie du willst!", beantwortete Kaya ihre Frage fauchend. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte sah sie erneut zu den Bildern auf. "Trotzdem sind diese Bilder furchterregend. Überall Finsternis und Grabsteine. Diese Mirai ist abartig." Urplötzlich bekam Kaya ein Kissen gegen den Kopf geworfen und sie sah hinter sich. Dort stand Kojiko aufrecht auf dem Bett und schäumte vor Wut. "Wie kannst du es nur wagen? Mirai ist nicht abartig!", brüllte Kojiko sie an. Sayuri sah nun verschlafen auf zu dem kleinen Mädchen, bevor sie wieder weiter vor sich hin döste und schlief bald ganz ein. "Außerdem sind hier nicht alle Bilder so merkwürdig!", schimpfte Kojiko weiter und wies auf einen der Bilderrahmen neben ihrem Bett. Kaya besah es sich sofort, wobei sie nähertreten musste, da es klein war. "Ein Foto?", bemerkte Kaya und betrachtete es eingehend. "Kleine, da ist deine geliebte Mirai drauf." "Ich sehe es, denn ich bin nicht blind! Und nenn mich gefälligst nicht Kleine!" "Aber groß bist du auch nicht." Kaya sah noch einmal auf die Aufnahme. "Wer sind denn die Beiden neben ihr? Kennst du die auch?" "Der links von ihr ist ihr verstorbener Mann, Hoshino Totoa. Man sagt, dass er von einem Auftragskiller ermordet wurde. Einige munkeln sogar, dass ihre Familie ihn beauftragt hat, doch ob das stimmt weiß niemand. Wer der rechts ist weiß ich nicht", erklärte Kojiko. "Ermordet also. Wenn es wirklich ihre Familie war, dann würde dieser Auftrag wohl ihre Rache sein", stellte Kaya fest und setzte sich seufzend auf eines der Betten. "Es gibt keinen guten Grund seine Familie zu töten", argwöhnte Lycel. "Meinst du?" Kaya war in Gedanken vertieft. Fast zur selben Zeit entdeckten auch die anderen in ihrem Raum ein ähnliches Bildnis. "Seht mal das hier", sagte Kail und wies auf den Bilderrahmen. "Ein Foto, und?", meinte Ceyel, nachdem er kurz hingeguckt hatte. Doch sofort besah er es sich erneut noch einmal genauer und ihn traf der Schlag. War er das wirklich? Das konnte doch nicht sein... Auch der Andere war ihm nicht unbekannt, doch woher kannte Mirai die Beiden? "Was ist?", fragte Villo und sah ebenfalls zu dem Bild. "Nichts, gar nichts. Ich dachte nur erst, dass ich die Beiden neben Mirai kennen würde, doch ich hab mich wohl geirrt", meinte Ceyel und entfernte sich wieder von dem Lichtbild. 'Totoa und Ryo, woher kennt ihr Mirai?' In der oberen Etage der riesigen Villa saß Mirai in einem verdunkelten Zimmer und sah auf einen Computer vor sich. Auf dem Monitor waren zwei Fenster offen, die Aufzeichnungen zu beiden Zimmern ihrer Gäste übertrugen und die sie dann mittels Kopfhörer, die sie trug, bei ihren Gesprächen belauschte. "Was ist?" "Nichts, gar nichts. Ich dachte nur erst, dass ich die Beiden neben Mirai kennen würde, doch ich hab mich wohl geirrt." Mirai legte die Kopfhörer beiseite. "Du hast dich nicht geirrt, Yamazaki Ceyel. Du kennst sie tatsächlich." Mirai schmunzelte finster. "Doch wer der Mörder Totoas ist, weißt du anscheinend nicht..." Am nächsten Tag fuhren sie los, sobald sie von Mirai das Zeichen erhielten. Noch einmal versammelten sie sich alle, um von ihrer Auftraggeberin die letzten Anweisungen zu erhalten. "Die Wachen halten alle in Zweiergruppen Patrouille und sind wirklich hervorragend ausgerüstet. Sei es Beretta, Colt oder FN Browning. Sie haben so ziemlich jede Waffenart, die tauglich ist, um Eindringlinge zu vernichten. Also schaltet sie so schnell wie möglich aus und solltet ihr versagen, dann habe ich rein gar nichts mit euch zu tun, habt ihr verstanden?" Alle schwiegen und somit erklärte sie noch eine letzte Sache. "Wer auch immer meinen Vater tötet erhält eine kleine Prämie von 10 Millionen Yen." Kaya sah auf diese Aussage hin lächelnd zu Ceyel. Daraufhin trennte sich die kleine Fraktion und betrat ebenfalls in Zweiergruppen das Anwesen. Vor allen anderen begannen die zwei Schwestern in das Gebäude einzudringen und den Überwachungsraum zu suchen, wobei sie geschickt und katzengleich allen Videokameras auswichen. Schließlich betraten sie den kleinen, engen Raum und schlichen auf einen Mann zu der auf einem Stuhl vor den Monitoren saß und abwechselnd alle betrachtete. Lycel ergriff die Initiative und ermordete ihn lautlos mit ihrem Messer. Dann sahen sie und ihre kleine Schwester sich um. "Wo stellt man die denn ab?", fragte Kojiko auf die Monitore deutend. "Hier", meinte Lycel und wies auf einen der vielen leuchtenden Knöpfe. "Nicht hier?", erwiderte Kojiko und zeigte auf einen anderen Schalter "Nein, da!", sagte Lycel stur auf ihren Knopf beharrend. Die Geschwister sahen sich ernst an. "Lass uns den Stecker ziehen", meinte Lycel schließlich. "Okay", stimmte Kojiko seufzend zu. Sobald sie von Lycel das Einverständnis erhielten eilten Kail und Kaya in einen Gang nahe dem Haupttor. Die Schwarzhaarige machte gerade ihre FN Browning HP bereit, als Kail sie an die Wand zog. "Da kommen zwei Wächter." "Ist mir gar nicht aufgefallen!", bemerkte Kaya sarkastisch flüsternd. "Wenn du meinst", wisperte Kail und ging voraus. Er ließ einen langen Drahtfaden aus seinem Ärmel und wartete auf die Wachmänner. Augenblicklich entsicherte Kaya ihre Waffe und schon kamen die Männer um die Ecke. Kaya schoss einem direkt in den Kopf, woraufhin dieser sofort zu Boden ging. Kail erwürgte einen anderen und schnitt ihm dabei mit dem Draht die Kehle durch. Kaya sah Kail an. "Sag, woher wusstest du so früh, dass sie in dem Gang unterwegs waren?" "Ich dachte, du wusstest es auch." Sie antwortete nicht gleich, sondern sah verlegen zu Boden. Ein leichtes Rosa zierte nun ihre Wangen. "Nein", murmelte sie leise. "Ich habe ihre Ge... Schritte gehört", meinte Kail. "Lass uns weiter gehen." "Okay" Kaya folgte ihm weiter, doch in Gedanken strafte sie sich, weil sie selbst nichts wahrgenommen hatte. 'Puh! Das war knapp', sagte sich Kail innerlich. Irgendwo in einem anderen Teil des Gebäudes irrten derweil Ceyel und seine blonde Begleiterin Sayuri umher. "Warum bist du hier?", fragte Ceyel sie flüsternd. "Ich wollte dich wiedersehen! Das hab ich dir doch schon in dem Brief geschrieben!" Sie hörten Schritte, blieben stehen und machten sich bereit. Als einige Männer um die Ecke kamen, schossen sie sie nieder. "Meinst du es diesmal ernst oder führt er wieder etwas im Schilde?" Er sah sie kurz zornig an und ging dann vor ihr weiter. "Natürlich nicht, Ceyel-kun! Ich bin hier, weil ich es will. Er weiß nicht, dass ich hier bin. Nun glaube mir doch endlich!" "Ich weiß schon lange nicht mehr, was ich dir glauben soll", murmelte er und ließ sie weiter hinter sich zurück. Sayuri sah zu ihm und senkte kurz traurig den Blick, bevor auch sie wieder an Tempo zulegte. Gut geschützt und von allem nichts mitbekommend saß Aiusa Azuma, Führer seiner eigenen Firma Aiusa Corporation für Vermarktung ausländischer Produkte in seinem geräumigen Büro und arbeitete gerade an einigen seiner Akten, als sich die Tür schlagartig öffnete und er somit in seiner Ruhe gestört wurde. Er blickte auf und erkannte seine Tochter, die rasch auf seinen Schreibtisch zutrat. "Vater!", rief sie. "Was fällt dir ein, mich zu stören, Mirai!", schrie er entrüstet. "Ich werde mich jetzt an Totoas Mord rächen!" Sie richtete ihre Pistole, eine CZ 75, auf ihn und entsicherte diese. "Nein, nicht Mirai! Ich bin doch dein Vater! Du kannst das nicht machen!" Er wollte aufstehen, ihr zusprechen und ihr alles erklären, doch schon schoss sie und er fiel leblos mit dem Kopf auf seinen Mahagonischreibtisch. "Zu spät...", hauchte sie. Als sie Schritte vernahm drehte sie sich um und lief schnell auf eine Treppe zu. Im oberen Bereich des Arbeitszimmers, in dem ihr Vater eine kleine Bibliothek eingerichtet hatte, versteckte sie sich hinter einem der Bücherregale. Von dort aus sah sie auf das Büro hinunter und erkannte Villo, der in den Arbeitsraum trat. Dieser sah auf den toten Mann, als hinter ihm auch schon die anderen angelaufen kamen. Als sie bemerkten, dass der Mann tot war, sah Kaya Villo trotzig an. "Das war meine Prämie!", knurrte sie. Doch der Engländer ignorierte sie und sah kurz hoch zu Mirai, da er sie bemerkt hatte. Diese lächelte finster und verschwand dann gänzlich im Schatten. "Hast du ihn getötet?", fragte Kail. "Hm? Ja...", antwortete Villo und drehte sich um, da er gehen wollte. Die anderen folgten ihm. Kapitel 2: Happy Birthday, Koji! -------------------------------- Dröhnend prasselte der Regen, angetrieben durch den starken Wind, gegen die geschlossenen Fenster des Kanehara Inns. Obwohl es schon fast 9 Uhr war, so war der Himmel, durch die schweren Regenwolken bedeckt, für diese Zeit verhältnismäßig dunkel. Immer noch lag Kojiko in ihrem Bett, des Zimmers Nummer 6, und sah blinzelnd und benommen von der Müdigkeit hinüber zu dem Fenster, das durch den Niederschlag attackiert wurde. "So ein Mist", murmelte sie. Musste denn ausgerechnet an jenem Tag solch grausiges Wetter das Land heimsuchen? Warum konnte nicht ein anderer Tag befallen sein? Warum musste gerade dieser Tag, ihr Tag, von diesem miesen Wetter aufgesucht werden? Missmutig und müde drehte sie sich wieder unter der Bettdecke um, da sie diesem Grauen entkommen wollte. Nachdem sie sich ein wenig im Bett gewälzt hatte, wurde schließlich auch ihre große Schwester Lycel allmählich wach und stand auf, um sich behaglich anzukleiden. "Was machst du da?", fragte das kleine, schwarzhaarige Mädchen brummend unter ihrer Decke hervor. "Ich ziehe mich an. Du kannst aber ruhig noch schlafen." Mit diesen Worten fiel die Zimmertür dann auch schon ins Schloss und Kojiko schlief seelenruhig wieder ein. Schon seit den Morgenstunden saßen Ceyel und seine blonde Begleiterin wie jeden Tag zuvor schon unten im Barraum an der Theke, um zu frühstücken. Wie üblich war es Sayuri die flüsternd auf Ceyel einredete und er sie doch leicht mürrisch abwies, woraufhin sie stumm dem geruhsamem Barinhaber zusah. Doch an diesem Morgen war Kanehara Ojiro bei weitem nicht so ruhig wie gewöhnlich. In aller Eile putzte er schnell auch noch die letzten dreckigen Gläser, bevor er die Theke noch mit einem feuchten Lappen abwischte und dann in der Küche verschwand. Sayuri, die dies ziemlich merkwürdig fand sah fragend zu Ceyel, doch dieser drehte sich um, da er Schritte auf der Treppe vernommen hatte "Guten Morgen, Lycel", grüßte er die Schwarzhaarige, die nun den Raum durchquerte und sich ebenfalls an den Tresen setzte. "Lass mich in Ruhe", fauchte sie gereizt. Ceyel sah sie entgeistert an, blieb aber ruhig und ließ von ihr ab, seine blonde Partnerin seufzte kaum vernehmbar. Nun lebten alle schon seit mehr als zwei Wochen hier beisammen, doch erheblich hatte sich die Stimmung zwischen allen noch nicht verbessert. Noch immer sahen sich einige als Kontrahenten, Rivalen und Feinde, obwohl sie doch eigentlich froh sein sollten Gesellschaft zu haben. Natürlich war es nicht leicht, den letzten Ruheort nun auch noch mit zwei anderen Auftragskillern zu teilen, in dem Punkt verstand Sayuri sowohl Ceyel-kun, als auch Kaya; doch mussten sie es akzeptieren, dass nun auch Lycel und ihre kleine Schwester Kojiko hier wohnten, denn auch ihnen war Ruhe gegönnt. Die Blonde lächelte, als sie an den Abend zurückdachte, an dem die Beiden hier einzogen. "Hey", sagte Lycel und sah sich, genau wie ihre kleine Schwester, in der Bar um. "Das ist doch ein Gasthaus, oder?" "Ja, wieso fragst du?" Sayuri sah Lycel an und bemerkte die Reisetasche, die sie bei sich hatte. "Wollt ihr hier übernachten?" "Viel mehr wohnen, wenn es machbar ist." Lycel sah die andere an und beobachtete sie genauestens, bis diese schließlich lächelte. "Klar, ich wohne auch hier. Wartet hier, ich hole Ojiro." Und schon zogen die beiden Geschwister hier ein, da sie selbst Probleme mit ihrer Mietwohnung hatten. Wahrscheinlich hatten sie zudem auch eingesehen, dass dies hier einer der wenigen Orte in ganz Tokio war, in dem sich ein Auftragskiller wohlfühlen konnte, ohne ständig Angst zu haben verfolgt zu werden. Nach einer Weile kam ein weiterer Blonder die Treppe hinunter. Seitdem die Geschwister hier eingezogen waren, erschien auch Kail zunehmend öfter im Kanehara Inn, sodass man sich schon fast an seine Gegenwart gewöhnt hatte. "Guten Morgen!", warf dieser in die Runde und lächelte allen zu. Sayuri sah ihn verwirrt an und fragte schließlich: "Wo kommst du her? Du hast doch eine eigene Wohnung." "Ich war gestern sternhagelvoll, also konnte ich nicht mehr auf mein Motorrad steigen. Deshalb hab ich mir eben ein Zimmer genommen", sagte er fröhlich lächelnd und setzte sich gleich neben Lycel an die Theke. Es hinnehmend wand sich die Blonde wieder ihrem Partner zu, doch dieser beachtete sie weiterhin kaum und sie musste sich auch damit abfinden, denn noch immer war er nicht ganz einverstanden sie hier zu sehen. Zwar gestand er sich ein, dass es besser war sie hier zu wissen, um sie beobachten zu können, doch er wollte und konnte mit ihr nicht wie mit jedem anderem umgehen. Also drehte sich Sayuri erneut um und sah dann zu Lycel. "Schläft Kojiko noch?", fragte Sayuri grinsend. Sie wusste aus einigen Gesprächen mit den Beiden, dass Kojiko heute Geburtstag hatte und schon sechszehn wurde. Zwar sah man es dem kleinen Mädchen nicht an, da sie unter Wachstumsstörungen litt, doch sie war tatsächlich schon in einem reifen Alter. Zuerst hatte sich Ceyel darüber lustig gemacht, doch schon bald stellte er fest, dass das ein Thema war, mit dem man Hiwatari Kojiko besser nicht reizen sollte. Lycel lächelte. "Ja. Die Überraschung ist soweit auch klar. Wo ist denn Ojiro?" "Der ist gerade in der Küche. Keine Ahnung warum, aber er ist heute ziemlich hektisch und putzt alles dreifach", meinte die Blonde nachdenklich. "Das ist wegen Hiroi", antwortete Kaya, die in diesem Augenblick die Treppe hinunter kam. "Hiroi?", fragte Lycel und sah die junge Frau verwundert an. Als sich Kaya letztendlich zu den anderen an die Bar gesellt hatte, erklärte sie: "Hiroi ist der kleine Bruder von Ojiro-kun und er kommt heute seit langer Zeit wieder zurück." Die anderen verstanden nun und ließen von dem Thema ab, während sich Ceyel, das erste Mal an diesem Morgen lächelnd, an Kaya wand. "Schon lange her seitdem er weg ist, nicht wahr?" "Ja, fast ein Jahr. Kein Wunder, dass sich Ojiro so auf sein Wiedersehen mit seinem kleinen Bruder freut." Auch Kaya begann zu schmunzeln. "Aber um ehrlich zu sein, ich habe ihn auch vermisst. Mit ihm ist es immer gleich viel lebendiger hier." "Ja, das ist es wirklich.", gestand Ceyel. Schon eine ganze Weile hatte Sayuri die Beiden beobachtet. Zu ihrem Leidwesen schien ihr blonder Partner sich sehr gut mit der Schwarzhaarigen zu verstehen. Er ging sogar richtig auf in dem Gespräch und schwelgte mit ihr in Erinnerungen. Erinnerungen ohne sie... Betreten sah sie zur Seite. Anscheinend war sie schon viel zu lange vom Weg an seiner Seite entschwunden und er hatte jemand anders gefunden, dem er sich mitteilte, denn ihr schien er nicht mehr vertrauen zu können. Einige Tränen schlichen sich in ihre Augen, doch sie unterdrückte sie und drehte sich lieber wieder Lycel zu, um den Schmerz zu vergessen. "Kann ich dir noch irgendwie bei den Vorbereitungen für die Geburtstagsfeier helfen?", fragte sie, in der Hoffnung sich dadurch vielleicht etwas abzulenken. "Ja, das ist sehr nett von dir", antwortete die junge Japanerin und die Beiden machten sich daran den Schankraum partygerecht zu dekorieren. Die Bar war schnell ansehnlich geschmückt und als schließlich Villo hereinkam, der sich kurz durch seine feuchten Haare strich, da saßen Lycel, Kail und Sayuri schon wieder an der Bar und unterhielten sich gerade über die Geschenke für Kojiko. "Guten Tag, Villo", lächelte Kaya, vom Billardtisch aus, auf dem sie gerade saß. Schon seit einer Weile hatte sie mit Ceyel Billard gespielt, während die anderen den Barraum verschönerten. Ihr blonder Partner setzte sich gerade neben sie und trank, den dekorierten Raum betrachtend, von seiner Cola. "Hi" Villo sah sich um und fragte schließlich: "Was ist denn hier los?" "Kojiko hat doch Geburtstag, hast du das schon vergessen? Wir wollten doch feiern." Sayuri ging hüpfend auf ihn zu und setze ihm grinsend ein Partyhütchen auf, doch er sah sie nur ernst an. "Ich bringe dich um" "Mister Sinister, unterlassen Sie das!", rief Lycel aufbrausend, als sie aufstand. Kaya begann zu lächeln. "Sinister..." Sie ließ sich diesen Namen auf der Zunge zergehen. Viel zu oft hatte sie nachgedacht, wie sein Name wohl lautete und nun war es soweit. "Jetzt scheint das Geheimnis um seinen Nachnamen wohl endlich geklärt", murmelte sie amüsiert und drehte sich zu Ceyel und sah, dass auch er schmunzelte. "Mister Sinister...", hauchten beide und begannen zu lachen. "Ich bringe euch um!", sagte Villo erneut kühl und sah dabei nun besonders die beiden Lachenden an, während er sich den bunten Hut aus Papier vom Kopf nahm und ihn zu Boden schmiss. Sofort hob Lycel ihre Hand und plötzlich flog ein leerer Aschenbecher genau auf Villo zu, dem er gerade noch auswich. Sogleich baute sich die Schwarzhaarige auch schon vor ihm auf und sah ihn zornig an. "Wer bringt hier wen um?" Starr vor Entsetzen sahen die drei übrigen Bewohner des Kanehara Inns zu dem Geschehen und wüssten nun nur zu gerne, was eben gerade vorgefallen war, doch bevor sie auch nur die Chance erhielten eine Frage zu stellen erschien Kojiko auf der Treppe. "Was ist denn hier los?", fragte sie und sah zu den anderen, die kurz zu ihr sahen und sie dann scheinbar kaum noch wahrnahmen, da Lycel sich gerade zu verständigen versuchte. "Ich kann das erklären", sagte sie ruhig. "Das wäre sehr nett", murmelte Kaya, die schon jetzt alles für einen schlechten Traum hielt. "Ich habe Telekinesekräfte", sagte Lycel mit einem sanftmütigen Blick. Ceyel schluckte schwer und dachte rasch nach. "Unmöglich...", hauchte er. "Es stimmt aber", sagte Lycel kühl und zog eines ihrer Messer, die sie immer bei sich trug. "Du musst doch nicht gleich handgreiflich werden, Lycel" Doch diese blickte nur in die Runde und schmiss dann das Messer auf Ceyel, der diesem starr entgegenblickte, bevor es nur wenige Millimeter vor seinem rechten Auge mitten in der Luft stoppte. Die Hand der jungen Schwarzhaarigen war in Richtung ihres Messers ausgestreckt und sobald sie diese langsam drehte, drehte sich auch das Messer genau vor dem Blonden. "Seht ihr?", fragte Lycel immer noch kühl, während sie das Messer immer noch kreisen ließ. Als sie ihre Hand wieder zurück an ihren Körper zog, schwebte auch das Messer wieder zu ihr und sie nahm es sanft in ihre Hand, um es in ihren Waffengurt zurückzustecken. "Death.com hat früher Experimente an einigen Leuten gemacht. Sie haben sie mitunter gefoltert, um solche Kräfte zu erstellen. Auch an unseren Eltern wurden Experimente unternommen. Daher kommt die Telekinese ", erklärte Lycel ruhig. "Experimente an Menschen?" Sayuris Hand ballte sich zur Faust. "Death.com ist einfach abartig!" "Danke", sagte Kail auf einmal ernst. "Es ist doch nun mal so. Schon immer war Death.com einfach grausam und-" "Sayuri, reiß dich zusammen!", zischte Ceyel und sah sie erbost an. "Aber, Ceyel-kun du musst doch-" "Nichts aber!", entgegnete er. "Ja, ich habe schließlich Geburtstag!", mischte sich nun Kojiko empört ein. Tatsächlich wurde den Anderen wieder bewusst, was genau für ein Tag war und sie versuchten das eben Geschehene zu vergessen und gratulierten dem Mädchen, als sich die Tür gerade schwungvoll öffnete und ein junger, schwarzhaariger Mann hereintrat. "Hallo Kanehara Inn, ich bin wieder da!", rief dieser. "Hiroi" Ojiro kam aus der Küche gehetzt und umarmte seinen Bruder sogleich beschwingt. "Ojiro", auch Hiroi umarmte seinen großen Bruder freudig, bis er sich allerdings in dem Schankraum umsah. "Ziemlich viel Kundschaft heute", stellte er fest und betrachtete alle, wobei er sofort Kaya erkannte und sie anlächelte. "Hallo, Hiroi!" Sie kam auf ihn zu und wie zuvor Ojiro, umarmte auch sie ihn. "Wer ist das?", fragte Kojiko verwundert, als sie den Freunden zusah. "Das ist eine gute Frage, doch..." Hiroi löste sich aus der Umarmung Kayas und sah die ihm Unbekannten interessiert an. "...ebenso könnte ich das euch fragen!" Nun sah er zudem den Raumschmuck und musste sich ehrlich fragen, ob er dieses Gasthaus jemals so beschmückt gesehen hatte. "Und was ist hier überhaupt los?" "Ich heiße Hiwatari Kojiko und ich feiere heute meinen 16.Geburtstag! Und wer bist du?" Grimmig bedachte Kojiko ihn mit ihren Blicken, da er sie schon jetzt so überrascht ansah und sie schon ahnte, was kommen würde. "Mein Name ist Kanehara Hiroi. Aber mal so eine andere Frage. Bist du dir sicher, dass du schon 16 wirst, Kleine?" "Ich bin nicht klein!" Kojikos Kopf lief knallrot an vor Wut. Wie sehr sie es doch hasste, dass ihr nie jemand glaubte und sich alle über sie lustig machten. Schon immer litt sie unter den Verspottungen anderer und konnte es einfach nicht mehr hören. Währenddessen sich Kojiko versuchte abzureagieren, nicht schon wieder wegen so einer Kleinigkeit auszurasten, ging Kail auf Hiroi zu. "Ich bin Heseko Kail, freut mich deine Bekanntschaft zu machen", begrüßte er ihn und reichte ihm seine Hand. Hiroi schüttelte sie. "Freut mich ebenfalls." "Das ist Villo...", sagte Kail schmunzelnd zu Hiroi und wies dabei auf den Engländer der sich desinteressiert auf einen der Barhocker gesetzt hatte. "Schweigsamer Typ?", fragte Hiroi ironisch. "Immer", sagte Kail trocken. "Na dann, kann ja lustig werden, wieder Zuhause zu sein", murmelte Hiroi und sah sich dabei schmunzelnd um. Am späten Abend war die Geburtstagsfeier schon im vollen Gange, als gerade ein Liebeslied von Mirai Koko gespielt wurde und Kojiko mit Kail zu tanzen begann. Lycel trat währenddessen an den Tresen heran. "Ojiro, könntest du das Geschenk holen?", fragte sie den Barkeeper, der daraufhin in seinem Zimmer verschwand. In der Zwischenzeit gesellte sich Hiroi an die Bar zu Lycel. "Du bist bestimmt Kojikos große Schwester, oder nicht?", fragte er sie. Lycel nickte lächelnd. Hiroi seufzte "Hast du ein Glück. Ich hab mir schon immer eine kleine Schwester gewünscht. Doch gekriegt hab ich nur einen großen Bruder. " "Sei froh, kleine Schwestern sind das Nervigste überhaupt auf der Welt!", entgegnete Ceyel, der neben den Beiden saß, während er an seiner Cola schlürfte. "Was soll das denn heißen?", fragte Kojiko empört, da sie nach dem Lied wieder an die Bar gekommen war und somit gehört hatte, wie er diesen Satz aussprach. "Tut mir leid, war gerade in Gedanken versunken." Ceyel sah sie lächelnd an. "Hab lieber Spaß und feiere! Man wird schließlich nicht jeden Tag 16 Jahre alt!" Noch breiter grinsend sah er sie an, bevor er sie an sich drückte und ihr wild durch die Haare fuhr. "Lass das!" Kojiko rammte Ceyel einen Ellbogen in den Bauch, woraufhin dieser zusammenzuckte und sein Lächeln sogleich verschwand. "Da ist es, ich habe noch eine Schleife darum gemacht ", sagte Ojiro, als er wiederkam und Lycel einen kleinen Pappkarton mit Löchern und einer blauen Schleife überreichte. "Danke sehr" Lycel nahm es an sich und sah zu ihrer kleinen Schwester. "Kojiko, ich habe etwas für dich. Alles Gute zu deinem Geburtstag!", sagte sie freundlich lächelnd und gab ihr den Karton. "Wirklich? Toll!" Sie nahm das Geschenk und packte es vorsichtig aus. Sofort erstrahlten ihre Augen, als sie den Inhalt erblickte. "Lycel, das ist ja eine...", fing sie an und nahm das kleine, haarige Tier aus der Schachtel, "... eine Ratte", freute sie sich und setzte sie sich auf die Schulter, um dann ihre Schwester zu umarmen. "Du wolltest doch ein Haustier. Eine Katze ging nicht, aber schön, dass du dich freust, Kleine", sagte Lycel lächelnd. "Und wie soll sie heißen?", fragte Kail. Kojiko streichelte das Tier und überlegte kurz. Nach einer Weile sagte sie: "Spike!" "Kojiko? Ich hab auch noch ein Geschenk für dich." Sayuri ging auf das Mädchen zu und überreichte ihr ein kleines Geschenk mit rotem Papier und gelber Schleife. "Ich hoffe, es gefällt dir." Verwundert sah Kojiko sie an und nahm es entgegen. Vorsichtig öffnete sie es. "Oh, toll!" Kojiko band sich den rot-schwarz-gestreiften Schal um, und lächelte. "Guckt mal, mit Bommeln!", freute sie sich. "Danke schön", sagte Kojiko, grinsend an Sayuri gewand. "Gern geschehen" Sayuri lächelte. Bei dem Anblick den Kojiko bot, konnte sie auch gar nichts anders. Wann sah man noch Kinder, die noch wirklich ehrlich lachen konnten? In der Welt der Auftragskiller war dies schon fast ein Ding der Unmöglichkeit. Sie hoffte, dass der kleinen, unschuldigen Kojiko noch für lange Zeit ihr unbeschwertes Lächeln bewahrt blieb. Nachdem die Feier schon so gut wie zu Ende war und die müde Kojiko noch eine letzte Runde Billard mit Lycel, Kail, Hiroi und Sayuri spielte, saßen Villo, Kaya und Ceyel dagegen zusammen an der Bar. "Das war ein schöner Tag", seufzte Kaya, bevor sie weitersprach. "So einen hatten wir hier schon lange nicht mehr, oder Ceyel?" "Mmh", gab er ihr als Antwort und sah sie grinsend an. Der Brite sah zu den Beiden. "Kennt ihr euch schon lange?" Beide sahen Villo an und dann sich gegenseitig. Dabei hatten sie erneut ein breites Lächeln im Gesicht. "Lange", sagte Ceyel. "Sehr lange" "Um genau zu sein 4 Jahre" Kaya war in Gedanken versunken. Ja, es war schon eine lange Zeit her, als sie ihren heutigen Partner kennen und lieben lernte... Kapitel 3: Surprises in the autumn ---------------------------------- Noch grausamer und unbarmherziger, als den Tag zuvor wehte der Wind den Regen gegen das Gasthaus im Wald, nahe Tokios. Unbeherrscht grollte der Donner, kurz nachdem ein gleißender Blitz den Schankraum erhellt hatte. Vor dem Kanehara Inn bildeten sich große Pfützen, die schier das gesamte Gebäude umzingelten. Seufzend sah Kaya aus dem Fenster, an dem sie schon seit geraumer Zeit saß, und lehnte sich an die Heizung, um sich ein wenig zu wärmen. Sie hasste solches Wetter und wollte sich bei so einem Unwetter am Liebsten nur noch unter ihrer Bettdecke verkriechen. Von ihrem in der Ecke gelegenen Tisch ließ sie den Blick kurz durch die Bar schweifen. Noch immer hingen einige Luftschlangen von der Geburtstagsfeier am gestrigen Tag an der Decke und sie lächelte bei dem Gedanken daran. Ja, das war eine angenehme Ablenkung gewesen. Gerade zuckte wieder ein Blitz vom Himmel und sie erschrak, als sie das Donnergrollen vernahm. Schon wieder sah sie sich mit diesem Sturm konfrontiert und sie seufzte erneut, bevor sie auf einmal zu schmunzeln begann. Nicht alles an diesem Wetter war grässlich. Auch schöne Erinnerungen verband sie damit. Denn genauso ein Wetter tobte auch an diesem einen Tag. Ein Tag, der wie jeder andere sein sollte, an dem sich jedoch ihr komplettes Leben änderte. Der Tag, an dem Ceyel auftauchte... Als sie gerade daran dachte, öffnete sich die Tür zum Kanehara Inn. Kaya wurde aus ihren Gedanken gerissen und sah auf zu Kail, der vollkommen durchnässt in die Bar trat und sie so zum Lächeln brachte. Ja, auch Ceyel schritt damals durch diese Tür. Und er sah genau wie Kail aus; durchnässt bis auf die Knochen. "Ja", hauchte Kaya. "Wie im Herbst vor vier Jahren." Eine junge Japanerin saß an der Theke, genau vor dem Barkeeper. Er betrachte sie, doch sie sah nur starr vor sich hin. "Was hast du denn, Kaya-chan?", fragte der andere sie. "Es ist so langweilig und dieses Wetter ist einfach nur bescheiden!" Kaya seufzte und sah dann zu Ojiro auf, der gerade seine Gläser polierte. "Ja, das Wetter ist wirklich nicht das allerbeste", meinte er, während er aus dem Fenster sah, doch dann blickte er wieder zu Kaya und lächelte sie an. "Aber wie sagt man so schön: Der Regen bringt neue Überraschungen in den müden Alltagstrott." Wortlos sah die Schwarzhaarige ihn an, bis sich ihre Stimme wieder erhob. "Solch einen dämlichen Spruch habe ich echt noch nie gehört! " Eingeschnappt wand sich Ojiro wieder seinen Gläsern zu und murrte: "Da versucht man dich mal aufzuheitern..." Nun musste Kaya doch grinsen und beugte sich über die Theke leicht zu ihm. "Ach, Ojiro-kun, du weißt doch, dass-" Doch sie kam nicht dazu ihren Satz zu beenden, da in diesem Moment die Tür zu der Bar geöffnet wurde und ein junger Mann herein trat. Kaya sah zu ihm und schätzte ihn in etwa auf 20 Jahre. Er hatte blondes Haar, welches ihm aufgrund des Regens im Gesicht klebte und wirkte generell durchnässt. Als er schließlich die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ und auf die Theke zukam hinterließ er eine Wasserspur auf dem Holzboden. Am Tresen setzte er sich dann auf den Barhocker direkt neben Kaya. Gespannt beobachtete diese jede seiner Bewegungen. Wie er sich neben sie setzte. Wie er den schwarzhaarigen Barinhaber zu sich winkte. Und wie er sich dann eine Cola bestellte. Als Ojiro ihm sein Glas hingestellt hatte, trank der junge Unbekannte einen Schluck und stellte es dann wieder zurück auf die Theke. Gemächlich drehte er sich daraufhin zu Kaya um, die ihn immer noch fasziniert anstarrte. "Hi!" Er lächelte sie leicht an, während er sprach. "Hallo..." Kaya war sichtlich über seine offene Art überrascht. Noch nie hatte sie jemand einfach so angesprochen. Sie war wirklich... ... überrascht. Anders konnte man es gar nicht ausdrücken. "Was macht denn eine schöne Dame wie du allein in so einer Bar?" "... trinken?", murmelte Kaya als Antwort, doch sogleich hätte sie sich dafür in den Hintern treten können. ‚Natürlich trinkt man in einer Bar, Kaya! Doch du glaubst doch wohl kaum, dass er danach gefragt hat, also reiß dich zusammen! Der will bestimmt was von dir, sonst hätte der dich doch nicht angesprochen!’ "Ja, trinken" Er belächelte Kayas Antwort nur und sah amüsiert wie nervös sie schien. "Wie heißt du denn?" "Watase... Watase Kaya..." "Das ist ein schöner Name. Ich heiße Yamazaki Ceyel. Freut mich dich kennen zu lernen." Wieder lächelte er sie an und Kaya erwiderte dieses Lächeln mit einem "Mich auch" Nach diesem holprigem Anfang begannen die Beiden ein wenig zu reden und bemerkten schnell, dass sie sich gar nicht so unterschiedlich waren und dasselbe mochten. Die Nacht, die ihre dunklen Schatten über Tokio warf... Der Mond, der den Nachthimmel immer wieder aufs Neue erleuchtete... Und jede noch so kleine Überraschung, die das Leben veränderte... Nach einer ganzen Weile, die den Beiden gerade mal wie Minuten vorkam, leuchtete die Sonne wieder und es hatte aufgehört zu regnen. Ceyel sah aus einem der Fenster hinaus und begann zu schmunzeln. Er wand sich nun an Kaya. "Würdest du mit mir spazieren gehen?" Lächelnd nickte diese ihm zu und meinte dann, er solle schon einmal vorausgehen. Als er schließlich die Bar verlassen hatte, drehte sich Kaya zu Ojiro um. Vom einen zum anderen Ohr grinsend meinte sie: "Der Regen bringt wirklich tolle Überraschungen in den müden Alltagstrott!" Danach lief sie Ceyel hinterher aus der Bar und ließ den verdutzen Ojiro alleine. "Sieh doch mal, Ceyel-kun, es hat aufgehört zu regnen!" Dieser Aufruf Sayuris riss Kaya komplett aus ihren Gedanken und Erinnerungen. Verwirrt sah sie sich um und entdeckte die junge Frau an einem der Fenster. Diese lehnte sich gerade auf eine der Fensterbänke und blickte hinaus in den Himmel. Lächelnd drehte sie sich um und ging auf die Theke zu, an der Ceyel auf einem Hocker saß und sein Glas Cola trank. Sayuri wollte sich an Ceyel lehnen, doch er wich ihr aus. Nun nicht mehr ganz so fröhlich, fragte sie ihn, ob er mit ihr spazieren ging. Nachdem er nicht darauf reagierte, murmelte sie noch etwas, das Kaya nicht verstand. Genervt stöhnte der junge Mann auf, trank dann aber doch sein Glas leer und stand auf, um mit der Blonden zur Eingangstür zu gehen. Kurz sah er durch den Raum und entdeckte Kaya, mit der er für einen Moment Augenkontakt hatte. Freundlich lächelte er sie an, bevor er auch schon mitsamt Sayuri das Gebäude verlassen hatte. "Ach, Ojiro-kun, Ceyel ändert sich wahrscheinlich nie.", seufzte Kaya in Richtung des Barkeepers. Dieser sah sie erstaunt an. "Wie meinst du denn das?" "Er lässt sich noch immer von Frauen überall hin mitschleifen. Genau wie damals." Noch immer sah sie der Barinhaber irritiert an und fragte sich, was sie damit meinte. Kaya dachte nur daran, wie es bei Ceyel und ihr damals war und musste unwillkürlich schmunzeln. Ja, zu der Zeit hatte sie ihn wirklich zu jeder Attraktion mitgenommen. Von Kino über Jahrmarkt bis hin zur Eisbahn. Schon seit geschlagenen fünf Wochen verbrachten Kaya und Ceyel ihre gesamte Freizeit miteinander. Tag für Tag kam er zu ihr in die Bar, am Rande der Landeshauptstadt Japans. Bei Regen blieben sie dort und unterhielten sich stundenlang, doch sobald die Sonne schien gingen sie hinaus und spazierten. Oft überredete Kaya ihn, mit ihr etwas zu unternehmen, ob nun eine Fahrt mit dem Riesenrad, ein Besuch beim Kino oder einfach nur ein Einkaufsbummel durch die überfüllten Straßen Tokios. Nur gelegentlich verschwand er für einen Tag und Kaya wunderte sich, wo er doch blieb. Allerdings kamen ihr diese Momente meistens recht, da sie selbst einiges zu "erledigen" hatte. Doch davon abgesehen war alles in einen einigermaßen belanglosen Tagesablauf gekommen, auch wenn Ceyel es immer mal wieder gelang, sie zu überraschen. Doch genau das war es, was Kaya immer wieder aufs Neue so an ihm faszinierte und ihn in ihren Augen attraktiv erscheinen ließ. Kaya wusste nicht, was genau sie für ihn empfand, doch sie glaubte, sich in ihn verliebt zu haben. An diesem Abend wollte sie es ihm endlich gestehen. Sie kam nie dazu. Schon wieder überraschte Ceyel sie. "Kaya, ich bin ein Auftragskiller!" Dieser eine Satz hat so vieles verändert... Kaya seufzte. Vieles hatte sie von ihm vermutet, wirklich vieles; doch nicht etwa, dass er ein Mörder war. Ja, er hatte sie mal wieder überraschen können, sie abrupt aus ihren Gedanken gerissen mit dieser Aussage. Dabei war dieser Tag perfekt. Die Sonne schien den ganzen Tag und keine noch so winzige Wolke ließ sich am Himmel blicken. Dafür, dass es Herbst war und fast ständig eisige Winde über das Land wehten, war es an diesem Tag mild und so warm, wie im späten Frühling. Ceyel hatte Kaya wieder abgeholt und ging mit ihr an seiner Seite in die Stadt. Zusammen besuchten sie den Jahrmarkt, der die Beiden mit seiner besonderen Atmosphäre wie immer verzauberte. Sie fuhren mit einigen Karussells und gingen an vielen Imbissbuden entlang. Etwas später hielten sie an einem der Schießstände an. "Oh, Ceyel-kun, sieh dir mal das Hündchen da an! Ist das nicht niedlich?", fragte Kaya und deutete fröhlich auf einen blauen Plüschhund zwischen den ganzen anderen Preisen. Ceyel lächelte sie an. "War das jetzt so eine versteckte Botschaft für: ‚Gewinn den Hund für mich’?", zog er sie auf. Kaya streckte ihm die Zunge entgegen und meinte dann eingeschnappt: "Selbst wenn es so wäre, hast du etwa was dagegen?" "Schon gut, schon gut, du hast gewonnen. Jetzt lächle doch bitte wieder. Ja?" Er sah sie flehend an und bei dem Anblick konnte Kaya gar nicht anders, als zu schmunzeln. Schließlich bezahlte Ceyel und der Mann vom Schießstand überreichte ihm ein Gewehr. Als Ceyel schließlich das Gewehr anlegte, wusste Kaya erst gar nicht genau, was es war, dass sie störte. Sie überkam eine Gänsehaut, die sie einfach nur erzittern ließ und dann wusste sie es. Es war dieser Blick, den Ceyel aufgesetzt hatte. So unberechenbar... So kalt... So... mörderisch... Kaya verstand nicht warum. Was war nur auf einmal mit Ceyel los? Sie war so sehr in Gedanken vertieft, dass sie richtig erschrak, als Ceyel den ersten Schuss abfeuerte. Rastlos schoss er eine Kugel nach der anderen ab und es schien dabei, als wenn er überhaupt nicht nachdachte, als wenn er nur seine Gefühle leiten ließ. Noch mehr, als bei dem Schussgeräusch selbst, schauderte Kaya bei der Tatsache, dass Ceyel selbst bei dieser ruhlosen Schießerei jedes noch so kleine Ziel traf, welches er sich ersuchte. Nach dem letzten Schuss legte er das Gewehr schließlich auf den Tresen zwischen sich und dem Budenbesitzer. Kurz schloss er die Augen und Kaya sah, dass als er diese wieder öffnete, sein Blick wieder warm und fürsorglich war. Dankend nahm er den Hund entgegen, drehte sich zu Kaya um und überreichte ihn ihr. "Danke", murmelte sie, nahm den Hund in die Arme und streichelte ihn. Schließlich sah sie Ceyel fragend an. "Warum kannst du so gut schießen?" "Das ist nur Übung. Ich gehe oft an solche Schießbuden", antwortete er lächelnd. "Aber du kannst das doch bestimmt genauso gut! Versuch es doch selbst einmal!" Schon als er das sagte, bezahlte er für Kaya und ließ ihr gar keine andere Wahl. Also legte sie sein Geschenk beiseite und nahm dafür das Gewehr in die Hand. Schnell legte sie es an und schoss. Es überkam ihr ein vertrautes Gefühl, schließlich hielt sie fast täglich eine Waffe in der Hand, wenn auch nicht so eine. Es war für sie also auch kein Wunder, dass sie jedes Mal traf. Sie war nicht umsonst eine geübte Auftragsmörderin. Doch schon wieder überraschte Ceyel sie. Kaya legte das Gewehr weg und suchte sich ein weiteres Kuscheltier aus, einen rosa Hasen. Dann drehte sie sich zu Ceyel um und blickte in seine Augen. Diese Augen, die kein Stück erstaunt waren über ihr Können. Denn er lächelte sie einfach nur verständlich an. "Gehen wir weiter?", fragte er und reichte ihr seine Hand. Verwirrt nahm Kaya sie und ließ sich von ihm mitziehen, weiter weg von dem Trubel und hinein in den Park, der vom Mond beschienen wurde. Bei dieser Umgebung hob sich Kayas Stimmung immer mehr und ihr Herz fing an zu rasen. Ja, hier wollte sie es ihm offenbaren. Keiner sonst war hier außer den Beiden. Der Ort war nahezu perfekt. Kaya schloss ihre Augen. ‚Bitte, Ceyel, fühle genauso für mich, wie ich für dich. Bitte weise mich nicht ab. Du bist etwas Besonderes für mich!’ Sie öffnete die Augen wieder und blickte zu Ceyel auf, der ihren Blick direkt erwiderte. Zaghaft begann sie zu reden. "Ceyel-kun, ich-" "Kaya, ich bin ein Auftragskiller!" Geschockt weiteten sich Kayas Augen. Unbewusst umschloss ihre Hand seine noch etwas mehr, doch auch das machte seinen Satz nicht weiter verständlich. Was hatte er da gerade gesagt? Es schien, als wüsste er, was in ihrem Kopf vorging. Und so wiederholte er seine Worte noch einmal, diesmal leiser. "Ich bin ein Auftragsmörder." Vier Worte, die das Verhältnis zwischen zwei Personen komplett ändern können. Vier Worte, die jemandem Angst einflößen. Vier Worte, die verstehen lassen... Entsetzt befreite Kaya ihre Hand aus seiner und wich vor ihm zurück. Sie ließ die beiden Kuscheltiere fallen, als sie aus ihrer Jacke hektisch ihre Pistole hervorzog. Diese richtete sie auf Ceyel und entsicherte sie. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, in der die Beiden sich nur gegenüber standen und nichts sagten, bis Ceyel schließlich doch anfing zu sprechen. "Kaya-" "Sei still!", zornig blickte sie ihn an, "Wurdest du beauftragt mich zu... zu töten?!" Kurz starrte er sie nur an, schüttelte dann jedoch den Kopf. "Nein, das wurde ich nicht." "Du weißt aber, dass ich ebenfalls eine Auftragskillerin bin. Stimmt das?" Sehnsüchtig wartete sie auf die Antwort und hoffte, ja sogar betete, dass er verneinen würde. ‚Lass es ihn bitte nicht gewusst haben. Er darf nicht nur deswegen auf mich zugegangen sein. Er soll es mir nur gesagt haben, weil er keine Geheimnisse vor mir haben wollte. Bitte...’ Nach einer schier endlosen Zeit begann er zu antworten. "Ich wusste es von Beginn an." Ceyel senkte den Kopf gen Boden. Er wollte sie wirklich nicht so verletzen. "Ich bin deswegen zu dir gekommen." "Warum?" Kayas Stimme zitterte, genauso wie ihr ganzer Körper. In ihren Augen sammelten sich einige Tränen, doch sie wollte jetzt wirklich nicht weinen. "Bitte helfe mir. Werde meine Partnerin und erledige mit mir zusammen Aufträge. Ich kann das nicht allein. Ich bitte dich." "Hilfe von mir? Wieso sollte ich dir helfen? Du hast mich belogen." "Hättest du denn ‚Ja’ gesagt, wenn ich dir gleich gesagt hätte, wer ich bin?", fragte Ceyel und lächelte sie an, "Wenn du mir hilfst, kann ich außerdem auch dir helfen. Es würde uns viel bringen. Bessere Aufträge, bessere Bezahlung, ein besseres Leben." Kaya dachte nach. Es war wirklich einfacher und schon länger hatte sie sich einen Partner gewünscht, der ihr in der Not Deckung geben konnte. Zudem mochte sie Ceyel eigentlich doch. Es war nur ein großer Schock. Eine ganze Weile starrte sie Ceyel einfach nur an und senkte dann ihre Pistole. Knapp nickte Kaya als Antwort. "Danke, Kaya, du bist niedlich." "Sag mal, Ceyel-kun, meinst du das ernst?" Verwundert sah Ceyel sie an. "All das, was bisher zwischen uns war, war das gelogen? Wolltest du dich nur einschmeicheln, um dein Ziel zu erreichen?" "Nein, das war nicht gelogen. Ich mag dich wirklich sehr. Du bist ein ganz besonderes Mädchen." "Ceyel, ich..." Sie ging auf ihn zu. "Ich hab mich in dich-" Doch bevor sie ausreden konnte, hatte er ihr einen Finger auf den Mund gelegt und deutete ihr, es nicht auszusprechen. "Kaya, ich kann das nicht erwidern. Ich liebe eine Andere. Sie ist für mich das Wichtigste im Leben! Ich würde für sie alles geben! Also vergiss es bitte. Vergiss bitte, was du für mich fühlst, denn so würdest du dir nur selbst schaden. Außerdem bin ich es doch auch gar nicht wert, dass du so für mich fühlst. Es gibt Millionen Männer, die besser sind und dich nie verletzen werden." Verstehend schloss Kaya die Augen und schluckte. Eine Andere. Ein Mädchen, für das er alles geben würde. Kaya war nicht die, für die er sterben würde. Also musste sie vergessen... Und tatsächlich vergaß Kaya schnell. In den vielen Aufträgen, die die Beiden gemeinsam erledigten, wuchs schnell das Vertrauen zu Ceyel. Doch auch merkte sie, dass sie nur noch Freundschaft für ihn empfand. Starke Freundschaft... Und auch er empfand so. ‚Ja, bis heute sind wir wirklich wahre Freunde und so wird es wohl auch immer sein.’ Kaya lächelte, als sie Ceyel und Sayuri beobachtete, die gerade wieder in die Bar kamen. Sayuri setzte sich an die Theke und plauderte ein wenig mit Hiroi, während sich Ceyel gegenüber von Kaya an den Tisch setzte. "Na, warum lächelst du so?" "Ich musste an unsere erste Begegnung denken.“ Verträumt sah Kaya ihn an, wobei er anfing breit zu grinsen. "Ja, das war echt amüsant!" "Ceyel?" Überrascht über den sanften Ton Kayas, sah er sie wieder ernst an. "Ist Sayuri dieses besondere Mädchen?" Kurz sah Ceyels sie verwirrt an, doch schnell begriff er, was sie und lächelte wieder. Doch Kaya kam es so vor, als wenn es ein unechtes Lächeln war. Es war, als würde er etwas verheimlichen. "Ja, sie ist es." Er blickte über seine Schulter und beobachtete Sayuri, die mit Hiroi eifrig in ein Gespräch vertieft war und anfing zu kichern. "Ich wünsche euch alles Gute, Ceyel." "Danke, Kaya." Ceyel legte seine Hand auf ihre und strich zärtlich darüber. "Du bist die Beste." "Ja, ich w-" Bevor Kaya jedoch ihren Satz beenden konnte, wurde sie von einem plötzlich lautem Geräusch aufgeschreckt, das der Fernseher von sich gab, der gerade von Ojiro angeschaltet wurde. "Hey, du Idiot! Mach den Fernseher gefälligst leiser!", schrie Kojiko ihn aufgebracht an, da sie von ihrer Geburtstagsfeier immer noch Kopfschmerzen hatte. Schnell gehorchte Ojiro und schaltete den Ton leiser. Durch das Theater aufmerksam geworden, sahen nun auch Kaya und Ceyel, sowie die Anderen in der Bar, zu dem Fernsehapparat. Gerade trug eine Frau vom Nachrichtendienst die Berichterstattungen vor. "Und das war es zum Wetter in den nächsten Tagen", erzählte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. "Oh" Gerade bekam die Nachrichtensprecherin einen Zettel zugeschoben und las ihn kurz durch. Dann sah sie wieder direkt in die Kamera, jedoch war ihr Lächeln gänzlich verblasst. "Gerade eben ereilte uns die Nachricht, dass eine weitere Leiche im Falle ‚Aiusa’ entdeckt wurde. Nachdem vor einem Monat der berühmte Geschäftsmann und Firmenchef Aiusa Azuma ermordet in seiner Villa entdeckt wurde, hat man heute am frühen Morgen auch seinen Sohn, Kitahara Aiusa, tot in dessen Wohnung aufgefunden." Abwehrend hob Sayuri ihre Hände. "Okay, ich war es definitiv nicht.“ "Ich auch nicht ", murmelten die Anderen zustimmend. "... weshalb die Polizei davon ausgeht, dass es sich hierbei um ein- und denselben Täter handelt", verkündete die Stimme der Nachrichtensprecherin weiterhin. Alle in der Bar drehten sich nun in Richtung Villos und sahen ihn entsetzt an. "Du", riefen sie, wie im Chor und zeigten mit ihren Fingern auf ihn. Doch Villo blieb gelassen, trank kurz einen Schluck aus seinem Glas und sagte dann ohne aufzusehen: "Ich hab ihren Alten nicht angerührt. Mirai hat ihn ausgeschaltet." "Aber", verwirrt sah Lycel durch den Schankraum, "warum sollte sie uns dann beauftragen?" Kurz war es ruhig, bis sich Kaya murmelnd zu Wort meldete. "Vielleicht will sie uns zu den Verdächtigen machen." "Wie bitte? Was meinst du denn damit? Die Kameras haben wir doch ausgeschaltet", protestierte Kojiko. "Aber was ist, wenn sie doch an waren? Was ist, wenn es einen weiteren Videoraum gab oder ihr sie doch nicht richtig abgeschaltet habt?" "Ich verstehe schon, was du meinst, Kaya. Wir wären aufgeschmissen. Mirai würde auf den Videos nicht auffallen, da sie dort früher gelebt hat und er nun mal ihr Vater war, doch wir...", meinte Kail nachdenklich. "Heißt das, sie hat uns reingelegt? Es war von Anfang an geplant, dass wir so benutzt werden? Wir sollten die Wachen als mögliche Zeugen ausschalten und gleichzeitig als ‚Mörder’ ihres Vaters dienen, während sie sich davonstiehlt und noch über unsere Dummheit lacht? " Sayuri war entsetzt. "Anscheinend ja", seufzte Ceyel, "Was für eine Blamage! Sieben professionelle Auftragsmörder lassen sich von einer kleinen Popsängerin aufs Kreuz legen." "Dann müssen wir noch einmal zurück zu der Villa und alles untersuchen, bevor es zu spät ist.", meinte Lycel. Kapitel 4: Rain in my life -------------------------- In jungen Jahren hat Mirai das durchgemacht, was vielen in Jahrzehnten geschieht. Mit 16 Jahren fand sie ihre große Liebe. Als sie 18 Jahre alt wurde, nahm dieser Mann sie zur Frau. Und im Alter von 19 Jahren wurde ihr die Liebe ihres Lebens genommen. Jeder hat seine Methoden, um für sich selbst zu verkraften, was geschehen ist. Mirai hat sich Rache geschworen. Rache an dem Mörder ihres Mannes, den sie mehr als alles andere liebte, denn das ist das Einzige, was sie noch am Leben erhält. Aus der Liebe, die früher ihr Herz erhellte ist nun Hass geworden. Hass an denen, die sie damals immer in ihrer Nähe wusste. Diejenigen, die ihren Geliebten töten ließen. Die Leute, die sich ‚Familie’ schimpften. Doch am Meisten verabscheute sie ‚ihn’. Den, der ihn umbrachte. Den, der von ihrer Familie beauftragt wurde. Den Mörder ihres Mannes. Regen... Es regnete. Mirai dachte, dass dieses Wetter ihrer Seele wohl am Besten entsprach. Sie litt höllische Qualen. Sie wollte schreien. Einfach alles ausschreien. Doch sie konnte nicht. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Wie konnte es nur geschehen? Wie konnte er nur sterben und sie alleine zurücklassen? Langsam schritt Mirai den Sargträgern hinterher. Der Regen durchnässte ihre schwarze Kleidung. Ihr Gesicht verbarg sie unter einem verhüllendem Schleier. Ohne Miene sah sie auf den Sarg. "Totoa", murmelte sie in Gedanken. Sie wollte weinen, doch ihre Tränen waren längst versiegt. Die Sargträger hielten vor einem tiefen Loch an und mit ihnen die kleine Gruppe Menschen, die ihnen gefolgt war. Jemand hielt eine Rede, doch Mirai verstand kein Wort. Zu sehr war sie in Gedanken versunken. Sie träumte von der Zeit mit ihrem Totoa. Das Einzige, was sie vernahm war das Rauschen des Regens. Den Regen, den sie so sehr hasste. Nach der Totemandacht wurde der Sarg in die Tiefen der Erde herabgelassen und die Menschen um Mirai verließen so langsam den Platz. Nur noch sie und Ryo standen vor seinem Grab. Mirai warf eine Rose in das Loch und murmelte "Lebwohl, Geliebter...", bevor auch sie allmählich davon schritt. Das letzte, was sie noch vernahm war Ryos Stimme. "Totoa, bitte verzeih mir. Ich wollte das wirklich nicht. Ich wollte das nicht tun. Es tut mir leid." Sie drehte sich um, doch Ryo war fort. Und mit ihm auch der Friedhof. Nur noch der Regen ließ an die vorige Situation erinnern. Der Regen, der Mirai nie alleine ließ... Sie schreckte aus ihrem unruhigen Schlaf auf. Mirai sah sich schweratmend in ihrem Zimmer um. "Schon wieder dieser Traum..." Sanft stützte sie ihren Kopf in ihren Händen ab. "Schon wieder habe ich von deiner Beerdigung geträumt, Totoa. Von den Worten Ryos, die er zu dir sprach und welche ich immer noch nicht verstehe... Kannst du sie mir erklären? Vielleicht sollte ich ihm auch ein wenig helfen, seinen Schmerz zu überwinden. Er war schließlich dein bester Freund. Ihr ward wie Brüder. Doch nun bist du nicht mehr..." Eine einzelne Träne lief über Mirais Wange. "Warum nur hast du mich verlassen? Wie konnten sie dir das nur antun? Wieso haben sie das getan? Du gehörst doch zu ihrer Familie! Schließlich bist du doch ihr Schwiegersohn!!! Doch sie haben dich einfach umbringen lassen. Das werd ich ihnen nie verzeihen! Niemals!" Mirai atmete tief ein und lächelte anschließend. "Weißt du, was er gesagt hat, bevor ich ihn umbrachte? ‚Nicht Mirai! Ich bin doch dein Vater!’ Mein Vater? Das ich nicht lache! Er hat mich doch immer allein gelassen und war nie für mich da!!! Immer hat er mich belogen und betrogen, genauso wie er mich stets ausgenutzt hat. Doch jetzt kann er mich nicht mehr belügen. Ja, jetzt ist er endlich still. Endlich ist es ruhig..." Die Augen schließend sprach Mirai weiter. "Totoa... Warte bitte auf mich! Nur noch die Anderen und ich bin endlich wieder mit dir vereint. Nur noch der Rest meiner kranken Familie. Und dann muss ich deinen Mörder finden. Das Schwein, dass dich ermordet hat. Und schließlich werde ich zu dir kommen." Mit einem Schwung warf sie die Bettdecke zurück und stand auf. Von einem Kleiderhaken neben dem Bett nahm Mirai einen Bademantel und zog ihn an. Sie schritt durch den Raum vor eine Wand mit Bildern. Auf jedem war eines ihrer Familienmitglieder zu erkennen. "Sie sind so krank!" Aus einer der Manteltaschen zog sie eine Pistole und richtete diese auf eines der Fotos. Auf diesem war ein älterer Mann zu erkennen. Mirai entsicherte die Pistole und hielt ihren Finger fest am Abzug. "Ciao, Papi!" Sie feuerte ab und betrachte grinsend ihr Werk. Auf dem Bild prangte nun genau dort, wo vorher der Kopf war, ein großes Einschussloch. "Und als nächstes kommt mein großes Brüderchen. Ich freu mich schon richtig auf unser Wiedersehen..." Mirai sah nun auf das Bild, neben dem ihres Vaters, mit einem jungen schwarzhaarigen Mann. Am späten Nachmittag klingelte es an der Tür einer kleinen Wohnung am Stadtrand Tokios. Ein junger Mann sah von seiner Zeitung auf, die er gerade gelesen hatte. Seufzend legte er seine Zeitung beiseite und stand vom Küchentisch auf. Langsam ging er aus der Küche heraus, den Flur entlang und fragte sich innerlich schon wer es sein könnte. Normalerweise bekam er Sonntags nie Besuch. Vorsichtig blickte er durch den Türspion. Was oder viel mehr wen er da sah ließ ihn nicht schlecht staunen. Er öffnete die Tür und blickte in das Gesicht seiner kleinen Schwester. "Eh! Was machst du hier?!" "Hallo, Brüderchen! Ich hab dich so vermisst!!!", quiekte das Mädchen und warf sich ihm um den Hals. "Mi-na? Oh, tut mir leid..." "Was tut dir leid?", fragte das rothaarige Mädchen, während sie ihm hinterher ging und dabei noch die Tür hinter sich schloss. "Als ich durch den Türspion gesehen hab, dachte ich tatsächlich zuerst du wärst Mirai. Dabei müsste ich euch, als euer Bruder, ziemlich gut auseinander halten können.", erklärte er schmunzelnd, während er vor ihr in die Küche ging. "Ja, das könnte man meinen...", auch sie schmunzelte, als sie die Tür samt Schlüssel und Vorhängeschloss verriegelte und den Schlüssel dann ihrer Tasche verschwinden ließ. Danach ging sie ihrem großen Bruder hinterher. "Was führt dich denn hier her, Mina?", fragte er, nachdem sie sich ihm gegenüber an den Tisch gesetzt hatte. "Ich habe Angst..." "Wieso hast du Angst? Wovor...?" Das Mädchen schluckte. "Kitahara... Ich glaube Vater wurde von ‚ihm’ umgebracht." "Von... wem?" "Dem Mörder von Totoa!", sagte sie nun und sah betroffen zu Boden. "Von... Das kann nicht sein! Nein, niemals!!!", meinte er nervös. "Wieso nicht? Vielleicht wurde er ja von Mirai beauftragt." Kitahara wollte gerade etwas erwidern, als er stockte. "Wenn du wirklich Mina wärst, wüsstest du, dass Mirai ‚ihm’ nie einen Auftrag geben würde. Also hör auf, so zu tun, als wärst du Mina, Mirai!!!!" Das Mädchen sah nach unten. "Schade... Du hast mich ja doch erkannt, Brüderchen!" Mirai sah auf und grinste fies. "Warum würde ich ‚ihn’ nicht beauftragen? Sag es mir!", sprach sie zu ihm und kippelte leicht mit dem Stuhl. Kitahara sah zur Seite. "Das werd ich dir nicht sagen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du einen anderen Auftragskiller engagieren würdest!" "Weißt du was, Kitahara? Du liegst total falsch!!!" Er stutzte und sah sie verwirrt an. Nun lehnte sich Mirai nach vorne, stützte sich auf dem Tisch ab und sah ihrem Bruder direkt in die Augen. Langsam begann der Regen gegen die Fensterscheibe zu prasseln. Mit der Zeit wurde er immer lauter und ein Gewitter erwachte zum Leben. "Wa-was meinst du damit?", fragte Kitahara. "Das ich niemanden beauftragt habe, der Vater umbringt." Ein Blitz erhellte den Himmel. Im gleichen Moment wurde es in der Wohnung dunkel. "ICH habe Vater umgebracht!" Donner grollte und ließ die Szene bedrohlicher wirken. "Das... stimmt doch gar nicht! Das könntest du nie!", meinte Kitahara mit zitternder Stimme. "Du hast gar keine Ahnung, was ich kann oder nicht! Du weißt überhaupt nicht, zu was ein einsamer und verletzter Mensch fähig ist!!!", schrie sie nun schon fast. Mirai stand auf und schob den Stuhl langsam an den Tisch. Ihr Blick fixierte dabei die ganze Zeit ihren Bruder. Kitahara sah dabei zu, wie sie den Stuhl heranschob und bemerkte, dass sie Handschuhe trug. "Mirai, was hast du vor?!" Kitahara zitterte am ganzen Körper. Er hatte Angst. Das erste Mal in seinem Leben hatte er vor seiner kleinen Schwester Angst. "Was ich vorhabe? Genau dasselbe, was ihr auch mit Totoa getan habt! Ich werde dich töten! Genauso, wie ich Vater getötet habe! Genauso, wie es auch mit Mutter und Mina geschehen wird. Und genauso, wie mit ‚ihm’!!!" "Du bist verrückt, Mirai!" "Ich? Das ich nicht lache. Wer hat denn meinen Mann umgebracht?" Kitahara schluckte. "Er... war ein... schlechter Einfluss für dich." "HÖR AUF!", brüllte sie und schlug dabei auf den Tisch. "Vater hat genau denselben Müll gelabert! Doch ihr liegt total falsch. IHR seit der schlechte Einfluss. Ihr und eure bekloppte Familie. Die Familie hat doch eh nie wirklich existiert. Schon immer haben wir getrennt gelebt. Noch nie konnte man das ‚Familie’ nennen! Wenn ich einen schlechten Einfluss hatte, dann wart es ja wohl ihr, die mich stets allein gelassen habt! Ich war immer einsam und verlassen. Doch als ich endlich jemanden gefunden hatte, habt ihr ihn mir auch noch weggenommen!!! ALSO HÖRT ENDLICH AUF ZU SAGEN, TOTOA WÄRE SCHLECHT FÜR MICH GEWESEN!!!" Mirai atmete schwer ein und aus. Ihr Blick fixierte immer noch ihren Bruder. "Hört endlich auf...", murmelte sie noch. "Mirai..." Schon wieder wurde der Raum durch einen gleißenden Blitz erhellt. "Bald wirst du auch ruhig sein. So ruhig wie Vater jetzt ist. So schön ruhig..." Mirai lächelte süß, bei diesen Worten. Dann griff sie in ihre Jackentasche und zog eine Pistole hervor. "So schön ruhig..." "Mi-Mirai..." Sie richtete die Waffe auf ihn. "Einfach nur ruhig..." "Nein! Tu das nicht!" Kitahara stand auf und warf dabei seinen Stuhl um. Rückwärts stolpernd verließ er die Küche und tastete sich in der Dunkelheit auf den Flur hinaus. Er fand schließlich die Tür und wollte sie öffnen, doch es ging nicht. Immer und immer wieder versuchte er sie rüttelnd zu öffnen, doch sie war verschlossen. Nun stieg Panik in ihm auf. Was sollte er nur tun? Er vernahm Schritte und drehte sich um. Mirai schritt auf ihn zu. Immer noch hielt sie die Pistole in der Hand, die auf ihn gerichtet war. "Einfach ruhig sein..." Sie blieb direkt vor ihm stehen und entsicherte die Waffe mit einem Klicken. "Bitte... nein... verschone mich..." Bibbernd vor Angst kniete sich Kitahara auf den Boden. Er kauerte sich direkt vor Mirais Füße und flehte um Gnade. "Tu es nicht... Bitte... Mirai..." "Ganz ruhig..." Ein Schuss. Donnergrollen. Ruhe. Angewidert sah Mirai auf Kitaharas leblosen Körper hinab. "Warum sollte ich so etwas wie dich verschonen? Du bist es nicht wert! Ihr alle seit nichts wert. Ihr seit nur ein schlechter Einfluss für mich!" Mirai steckte ihre Pistole ein. Sie zog den Schlüssel aus ihrer Tasche, entriegelte die Tür und verließ die Wohnung. "Bye, bye, Brüderchen!" Sanft ließ sie die Tür ins Schloss fallen. Die Wohnung keines Blickes mehr würdigend ging Mirai die Treppe hinunter und schritt durch den Haupteingang des Hauses auf die Straße hinaus. Noch immer regnete es in strömen und Mirais Kleidung wurde durchweicht. "Regen... Schon wieder regnet es..." Zornig sah Mirai auf die Regentropfen vor sich. "Ich hasse dich, Regen! Lass mich endlich alleine!" Wütend ging sie durch den Regen davon und ließ ihren Bruder, der einst ein Teil ihres Leben war, hinter sich. "Nachdem vor einem Monat der berühmte Geschäftsmann und Firmenchef Azuma Aiusa ermordet in seiner Villa entdeckt wurde, hatte man gestern am frühen Morgen auch seinen Sohn, Kitahara Aiusa, tot in dessen Wohnung aufgefunden. Ob es sich bei ihm auch um Ermordung handelt, steht noch nicht 100%ig fest, doch ist man sich dessen trotzdem ziemlich sicher. Außerdem vermutet die Polizei, dass es sich hierbei um ein- und denselben Täter handelt. Beide wurden sofort durch gezielte Kopfschüsse getötet, was darauf schließen lässt, dass es sich bei dem Mörder um einen sehr geübten und trainierten Killer handelt. Des weiteren konnten an den Tatorten keine weiteren Spuren sichergestellt werden, mit denen man auf den Täter hätte schließen können. Aufruhr verbreitet sich nun unter den Fans, der als ‚Mirai Koko’ bekannten Popsängerin, Mirai Aiusa, die die Tochter des berühmten Azuma Aiusas ist. Da es sich bisher nur um Morde innerhalb der Familie Aiusa handelte, glaubt die Polizei, es könnte zu weiteren Ermordungen der Aiusas kommen. Mit in der Schussbahn befinden sich auch Kanoe Aiusa, die Tochter einer Adelsfamilie, wie auch ihre Tochter Mina Aiusa, die Mirais Zwillingsschwester ist. Wie dieses Szenario ausgeht weiß noch niemand. Doch wir werden sie weiterhin auf dem Laufenden halten.", sprach die Nachrichtensprecherin. Mirai schaltete den Fernseher aus. Nun saß sie im Dunkeln ihres Zimmers. "ICH weiß, wie es ausgeht." Langsam stand sie auf und ging zu der Wand mit den Fotos. "Alle werden sterben, bis es endlich ruhig ist!" Mit ihrer Pistole schoss sie nun auch ihrem Bruder auf dem Foto den Kopf weg. Noch einmal betrachtete sie die Bilder mit den Einschusslöchern und wand sich dann dem Bild ihrer Mutter zu. "Hallo, Mami. Lange nicht mehr gesehen." Mirai grinste böse, drehte sich schließlich um und verließ den Raum. "Doch erst mal muss ich Ryo helfen...", murmelte sie noch. Eines Abends in einem kleinen Appartement in einem etwas abgelegenem Stadtteil Tokios. Ryo stand am Fenster und sah wie so oft zum Sternenhimmel hinauf. "Totoa..." Er dachte an seinen verstorbenen Freund. Plötzlich klingelte das Telefon, doch Ryo rührte sich kein bisschen. Es klingelte immer weiter. Dreimal, viermal, fünfmal... Der Anrufbeantworter sprang an. "Hier ist der Anrufbeantworter von Ryo Tori. Leider bin ich zur Zeit nicht erreichbar. Ruf doch später noch mal an, wenn ich wieder da bin, oder hinterlass mir eine Nachricht nach dem Piepton... -PIEP-" "Ähm... Ryo? Bist du vielleicht doch da? Ich bin’s, Mirai. Bitte nimm den Hörer ab!", sprach nun ein Mädchen auf das Band. Verwundert sah Ryo nun zu seinem Anrufbeantworter. "Mi-Mirai?!" Kurz überlegte er noch, ging dann jedoch auf das Telefon zu und wollte gerade den Hörer abnehmen, als... "Nein! Stop... Lass es bitte doch lieber. Nimm nicht ab!!" Der junge Mann hielt inne. Er war verwirrt. "Tut mir leid, aber ich glaub, ich wüsste nicht, was ich sagen sollte, wenn du abnimmst. Lass mich lieber so zu dir sprechen. Wenn du da bist, hör mir bitte zu." Kurz stoppte das Mädchen um tief Luft zu holen. "Es ist nicht deine Schuld! Was auch immer zwischen dir und Totoa vorgefallen ist, vor seinem Tod, es war nicht deine Schuld. Nicht du bist an seinem Tod Schuld!" Ryo erschrak, als er diese Worte hörte. "Weiß sie es? Weiß sie etwa, was geschehen ist? Aber... woher?" "Es ist nicht deine Schuld!", wiederholte sie noch einmal mit einem gewissen Nachdruck in der Stimme. "Mirai..." "Er wird euren Streit bestimmt verzeihen. Immerhin seit ihr Freunde! Ihr seit wie Brüder! Schon seit eurer Kindheit. Er wird es bestimmt verstehen und schon gar nicht mehr daran denken. Ihr seit Freunde und an genau das wird er jetzt denken. Also gib dir bitte nicht die Schuld!", sprach sie zu ihm. Ryo musste bei diesen Worten lächeln. "Oh, Mirai. Nun tröstest du mich, obwohl ich dir helfen wollte." "Auch wenn Totoa nicht mehr unter uns weilt, weiß ich, dass er immer in unserer Nähe sein wird. Trotzdem wirst du ihn vermissen... Und das verstehe ich auch..." Ein Schniefen war zu vernehmen. "...?!" Er sah nun wieder verwundert auf den Apparat. "Ich... ich vermisse ihn auch sehr..." Mirai begann leise zu schluchzen. "Ich... will... ihn auch... wieder bei mir... haben... Ich... Ich..." Er konnte nicht mehr. Als er hörte, wie sie weinte, konnte er nicht anders und griff nach dem Telefonhörer. "Mirai! Bitte weine nicht!" "..." Mit mal war es am anderen Ende ruhig. "Es tut mir leid, Mirai, aber ich will nicht, dass du weinst. Und genau das ist es, was auch Totoa nicht wollte. Darauf wolltest du doch hinaus. Bitte verzeih mir, dass ich deine Rede nun unterbrochen habe, aber ich konnte nicht anders. Ich kann auch verstehen, wenn du jetzt auflegst, doch eins will ich dir noch sagen: Danke! Du hast mir mit deinen Worten sehr geholfen. Doch vergiss bitte nicht, dass ich auch für dich da bin, wenn du Hilfe benötigst." Kurz lauschte Ryo dem leisen Atem Mirais am anderen Ende der Leitung. "Danke...", sagte er noch. Kurze Zeit später vernahm er ein Klicken und wusste, dass Mirai aufgelegt hatte. Er legte den Hörer zurück auf den Apparat und lächelte. Langsam ging er zurück ans Fenster und sah erneut auf in den Himmel. "Danke, Mirai." Zur selben Zeit am anderen Ende Tokios in Mirais Villa. Immer noch stand sie neben ihrem Telefon, die Hände fest um den Hörer gekrallt. "Meine Güte! Hab ich mich erschrocken, als Ryo auf einmal mit mir gesprochen hat." Sanft legte sie den Hörer auf Apparat, sah jedoch immer noch nicht davon weg. "Ich hoffe, er hört jetzt auf sich die Schuld an allem zu geben. Trotzdem konnte ich ihn verstehen." Nun wand sie ihren Blick ab und ging aus dem Zimmer hinaus in die große Eingangshalle. "Wenn man sich mit einer Person streitet und dieser Person dann kurz darauf etwas geschieht, gibt man sich die Schuld daran, dass man im Streit auseinander gegangen ist. So etwas kann einen furchtbar quälen, auch wenn es nur eine Kleinigkeit war, weshalb man sich gestritten hatte... Ich hoffe, dass es Ryo jetzt besser geht. Ich bin froh ihm geholfen zu haben. Immerhin ist er die einzige Person, der ich trauen kann. Alle anderen haben mich schließlich hintergangen und verraten. Nur er war mir stets treu!" Mirai seufzte. "Nun muss ich aber zu meiner Mutter. Seit Kitaharas Tod sind nun schon 2 Monate vergangen, bis ich ihre derzeitige Adresse finden konnte. Ich sollte mich beeilen, damit ich so schnell wie möglich zu dir kann, Totoa." An der Gardarobe nahm sie sich einen Schal, den sie sich umband und zog dann ihre Jacke an. Auch Handschuhe zog sie sich an. "Hoffentlich kann mir wenigstens meine Mutter sagen, wer dich umgebracht hat.", meinte die junge Frau noch, bevor sie die große und leere Villa verließ. Am späten Abend kam Mirai an einem Hochhaus im Zentrum Tokios an. Sie sah an ihm hinauf. "Tss... Luxus pur! Typisch Frau Mama!!!" Angewidert bemerkte sie, dass es vor ihr zu tropfen begann. "Du schon wieder!" Immer mehr Regentropfen fielen auf den Boden. Nach kurzer Zeit war der gesamte Boden durchnässt, auch Mirai. Ihre feuchten Haare klebten ihr im Gesicht. Während sie den Regen, der sich vor ihr in einer Pfütze sammelte, anstarrte, sprach sie weiter. "Nie lässt du mich alleine. Ständig verfolgst du mich. Seit Totoas Tod. Seitdem ich seinen leblosen und kalten Körper gefunden habe. Seitdem bist du ständig bei mir! Hör auf!" Nun war Mirai sauer. Sie wollte nicht mehr von ihm verfolgt werden. Wütend trat sie in die Pfütze vor sich. "Geh! Lass mich allein! Ich will, dass du mich zu Frieden lässt! Immer bist du da, lässt mich nie in Ruhe! Du kotzt mich an! Ich hasse dich! Lass mich endlich in Ruhe an Totoa denken!!! Geh endlich!!!" Mirai war völlig in Rage, als sie nun endlich die Tür des Hausblocks öffnete und hinein schritt. "Scheiß Regen!" Eilig hetzte sie die Treppen zu der Wohnung ihrer Mutter hoch und klingelte. Kurze Zeit später wurde die Tür von einer Frau mit langem schwarzem Haar geöffnet. Als diese Mirai erkannte erschrak sie. "Was... was tust du hier?!" "Ich suche Rache!!!" Ohne jedwede Emotion hielt sie ihrer Mutter ihre Pistole an den Kopf. "Und du bist nun als nächste dran!" Langsam drängte Mirai ihre Mutter in die Wohnung und schloss dann hinter sich die Tür. "Sag bloß, du bist erschrocken?", fragte Mirai trocken. "Ihr hättet euch von Anfang an denken können, dass ihr nicht einfach so davon kommt! Oder dachtest du das tatsächlich?!" Sie entsicherte die Pistole, die immer noch an die Stirn ihrer Mutter gepresst war. "Wer hat Totoa getötet? Wer war das?!" "Ich... ich..." Ihre Mutter schluckte. "Ich kann es dir nicht sagen..." "Was heißt hier, du kannst es nicht?!" "Das ich es nicht will..." "Können und wollen ist ein Unterschied! Denn auch wenn du nicht willst, werd ich dich dazu zwingen!" Mirai lächelte. "Nein!" Ihre Mutter schüttelte den Kopf. "Lieber sterbe ich!" "Ach, liebe Mutter. DAS wirst du so oder so!" Nun drückte Mirai ihre Mutter an die Wand. "Ich habe noch nie jemanden gefoltert, aber es soll ja ganz amüsant sein. Nur hoffe ich, dass du mir nicht zu schnell abkratzt, verehrte Frau Mama. Immerhin bist du ja mein erstes Folteropfer... Mein Versuchskaninchen!" "Mirai, lass das! Ich werde es dir nicht verraten!" "Warum eigentlich nicht? Es kann euch doch egal sein, ob er nun stirbt oder nicht." Mirai sah an ihrer Mutter hinab. "Wo schießen wir denn als erstes hin? Wie wär’s mit den Beinen?! Dann kannst du mir nicht mehr davon laufen..." "Er tut mir aber leid..." "Halts Maul!" Mirai schoss in das linke Bein ihrer Mutter. Diese fiel daraufhin schreiend zu Boden. "Wie kann dir der Mörder Totoas leid tun?! Wie kannst du es nur wagen?" "Er wollte ihn nicht umbringen! Auf keinen Fall wollte er das...", stöhnte ihre Mutter vom Boden hinauf. "Ach! Und warum ist Totoa nun tot? Ist er einfach so umgekippt? Nein, das ist er nicht. Er wurde ermordet! Und du bist Schuld!!!", schrie Mirai bevor sie ihrer Mutter auch ins andere Bein schoss. Diese schrie erneut auf. "Na? Sag schon! Kam auf einmal wie aus dem Nichts eine Kugel, die ihn umbrachte? Nein! Er ist durch die Hand dieses Mannes gestorben. Des Mannes, den ihr beauftragt habt!" Vor Wut schoss sie ihrer Mutter nun auch in den linken Arm. Erneut ließ diese einen Schmerzensschrei von sich. Kurz verschnaufte sie und schluchzte dann: "Ich wollte nicht, dass er stirbt. Dein Vater hat das eingefädelt! Ich wollte es wirklich nicht." Noch ein Schuss. Nun war auch ihr anderer Arm getroffen und die einst so starke und graziöse Frau kauerte nun gebrochen, schwach und kraftlos, wie ein Häufchen Elend am Boden. Mirai hockte sich neben sie und zog ihren Kopf an ihren Haaren in die Höhe. Sie sah ihrer Mutter ins Gesicht. "Aber etwas dagegen unternommen hast du auch nicht! Du bist genauso zum Kotzen, wie der Rest dieser Sippe!" Ihre Mutter sah ihr direkt in die Augen. Die Augen, die Mirais gesamten Schmerz vereinten. Die Augen einer einsamen und liebenden Frau, die ihren Mann verloren hat. "Es tut mir leid...", sagte Mirais Mutter noch mit einem traurigen Lächeln. Das war das letzte, was sie sagte, denn kurz darauf schoss Mirai ihrer Mutter in den Kopf. So wie bei den Anderen zuvor. Sie stand auf und sah auf ihre tote Mutter hinab. "Davon kann ich mir auch nichts kaufen!", murmelte Mirai. "Und Totoa wird davon auch nicht mehr lebendig..." Traurig ließ Mirai den Kopf sinken. Plötzlich vernahm sie ein Geräusch und drehte sich blitzschnell um, die Waffe dorthin gerichtet, woher das Geräusch kam. Genau da, wo ein Mädchen stand, welches Mirai am besten kannte. Ein Mädchen, das ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war. Ihre Zwillingsschwester... "Mina..." "Mirai..." Mina zitterte am ganzen Leib und sah abwechselnd von ihrer Mutter zu Mirai und wieder zurück. "Wieso..." "...habe ich sie umgebracht?", vervollständigte Mirai die Frage. "Weil sie auch Totoa hat umbringen lassen!" "Aber sie wollte das nicht! Genauso wenig wie ich oder ‚er’..." Mina begann zu schluchzen. "Verdammt! Sag mir wer es war!", schrie Mirai, lief auf Mina zu und presste sie gegen den Türrahmen. "Er wollte es doch gar nicht!" "Was heißt hier immer: ‚Er wollte es nicht!’? Killer haben keinen Willen! Kein Auftragskiller besitzt einen eigenen Willen!" "Ein Killer vielleicht nicht..." Mina stiegen Tränen in die Augen und Mirai war überrascht. "Aber ein bester Freund schon..." Nun begann Mina genau vor Mirais Augen zu weinen. Vor Mirais Augen, die nun das pure Entsetzen widerspiegelten. "Nein!" Mirai wollte ihren Worten nicht trauen. Das kann doch nicht sein. Nicht er! Nicht Ryo! Doch plötzlich wurde ihr einiges klar. Seine Worte. Die Worte an Totoas Grab. ‚Totoa, bitte verzeih mir. Ich wollte das wirklich nicht. Ich wollte das nicht tun. Es tut mir leid.’ Er war es wirklich. Er war es. "Ryo..." Und sie hatte ihn noch getröstet. Ihm gesagt, er hätte keine Schuld. Dabei hat er es getan. Er hat Totoa umgebracht. Mirai ließ Mina los und tappte davon. Taumelnd verließ sie die Wohnung, ging die Treppe hinunter und schritt in den prasselnden Regen, indem sie schließlich auf die Knie fiel. "Ryo... Nein, nicht Ryo..." Mirai begann zu weinen. Verzweiflung stieg in ihr auf. "Wieso nur?! Wieso Ryo?! Verdammt noch mal, du warst sein Freund!" Sie schlug vor Wut und Trauer auf den Boden ein. "Ihr wart wie Geschwister... Und ich habe dir vertraut!" Nun hockte Mirai ruhig am Boden. Sie war allein... Nun war sie ganz allein. Niemandem konnte sie mehr vertrauen. Und sie war ganz einsam. Nein, es stimmte nicht ganz. Es gab noch jemanden. Jemand der immer bei ihr war. Der sie nie alleine ließ, wenn sie traurig oder einsam war. Jemand der sie trösten wollte... Regen... Ja, er war noch da... Und langsam verstand sie. Sie verstand, dass sie ihn gar nicht hasste. Denn er war ihr einziger Freund. Der Einzige, der noch für sie da war... "Danke..." Mit Tränen in den Augen sah sie zum Himmel empor. "Ich danke dir, mein Freund..." Kapitel 5: Pact with a devil ---------------------------- Die Nacht war kühl und düster. Der Himmel, durch die dunkle Wolkendecke verborgen, warf einen finsteren Schatten über das Gelände. Nur gelegentlich trieben die Wolken, durch den eisigen Wind verdrängt, auseinander und gaben die Sicht auf den hellen Sichelmond frei, welcher dann die einsame und dunkel dahinvegetierende Villa eines ehemaligen, großen und berüchtigten Firmenchefs erhellte. Mehr glich sie heute einer Geistervilla, als einer Idylle, die für lange Spaziergänge und romantische Wochenenden einlud. Dies dachte auch Kaya, welche unweit dieses riesigen Gebäudes auf einer großen Eiche kniete und es mit einer Wärmebildkamera betrachtete. "Definitiv unbewohnt", murmelte sie in ein kleines Mikrophon, welches wie eine Art Headset an ihr befestigt war. "Kannst du noch irgendetwas erkennen?", hörte sie die Stimme ihres Partners durch ihren Ohrstöpsel. "Ja, alle Fenster sind vernagelt und ich will mir nicht vorstellen, wie viele Staubschichten sich seit unserem letzen Besuch dort angesammelt haben." Kojiko und Lycel waren derzeit auf der hinteren Seite des Grundstückes, an einem Zaun und spähten zur Villa hinüber. "Kannst du irgendetwas empfangen?", fragte Lycel durch ihr Headset Kail. Dieser saß etwas weiter unterhalb am Straßenrand in einem schwarzen VW-Bus und starrte auf einen Radar. "Nichts. Alles im Grünen Bereich." An der rechten Grundstückseite standen währenddessen Ceyel und Sayuri an einem kleinen Bach und blickten ebenfalls zu dem Gebäude empor. "Fragt sich nur, warum es verlassen ist und nun verrottet. Vielleicht ist es ja auch eine Falle. Oder was denkst du, Ceyel-kun?", fragte die Blonde und blickte dann zu dem jungen Mann hinauf. "Mmh..." Er sah kurz zu ihr und dann wieder zum Gebäude. "Zumindest sollten wir nicht zu unvorsichtig sein. Sie hat es immerhin schon einmal geschafft uns reinzulegen." "Und das wird sie auch noch bereuen!", knurrte Kaya. "Hast du schon etwas entdeckt, Villo?", fragte sie schließlich. "Die Tür", sagte er trocken. Zischend atmete Kaya ein und aus und antwortete gereizt: "Tatsächlich?! Welch begnadetes Wunder!" "Sie ist nicht abgeschlossen", sprach er schließlich kühl weiter, "und ich bin in der Villa." "Eventuelle Schwierigkeiten, Hindernisse oder Videokameras, die doch noch an sind?", fragte Sayuri. "Nicht wirklich. Es ist staubig.", meinte Villo. "Villo!!!", keiften Kaya und Sayuri gleichzeitig. "Die Kameras sind abmontiert", sagte dieser ruhig und ignorierte den genervten Ton der Anderen. Langsam ging er in das Obergeschoss. "Ich seh mich mal oben um." Ceyel sah nachdenklich in das fließende Wasser vor sich. "Abmontiert... Irgendwie ahne ich da was." Die Blonde neben ihm musterte ihn. "Meinst du-" Bevor sie weitersprechen konnte sprach Ceyel allerdings in sein Headset. "Lycel, du und Kojiko wart doch im Videoraum. Könnt ihr noch mal reingehen? Ich glaub-" "- die Videos sind weg", murmelte Kaya entsetzt. Schließlich schlichen auch Kojiko und Lycel in die Villa. "Wir sehen nach den Bändern", sagten sie und gingen Richtung Videoraum. "Und Kaya-", begann Ceyel. "Ist klar. Ich schau mir mal den Tatort an." Daraufhin sprang sie von dem Baum hinunter und machte sich auch auf den Weg in das Gebäude. Villo sah sich gerade im Arbeitszimmer von Mirais Vater um. Er setzte sich an den großen Mahagonischreibtisch, in der Mitte des Raumes, und durchsuchte dessen Schubladen. Gerade als er bei einer der Mittleren war öffnete sich die Tür und Kaya trat, sich umsehend, ein. "Hast du etwas gefunden?" "Papierkram", sagte Villo und las sich einige Unterlagen durch. "Aha." Kaya sah von einem Bücherregal zum nächsten. "Und wo genau stand Mirai damals?" "Dort", sagte er und wies mit seinem Blick zu einer Treppe, die nach oben zu der kleinen Bibliothek führte. Kaya sah kurz dorthin und blickte dann an den Wänden entlang. "Hier hingen auch Kameras", bemerkte sie, nachdem sie die hellen Flecken an den Wänden betrachtete. Erneut blickte sie zu der oberen Etage. "Von da oben hat sie vermutlich nicht geschossen." "Nein, nach der Größe der Eintrittswunde stand sie direkt vor ihrem Vater, als sie ihn erschoss", erklärte er und legte die Unterlagen wieder zurück in die Schublade, "Vermutlich wurde sie dabei gefilmt. Ich nehme an, wenn die Aufzeichnungen nicht hier sind, wird sie sie haben. Sie wird der Polizei entweder nur die Bänder mit uns dagelassen haben, doch dann hätte es im Fernsehen und in der Zeitung Fahndungsbilder gegeben, oder..." "... das Miststück hat sie selbst und hat die Polizei auch hinters Licht geführt. Das würde heißen, sie hätte uns in der Hand. Verflixt!" Kaya sah finster zu dem Platz an dem Mirai damals wahrscheinlich stand und blickte dann zu dem Schwarzhaarigen. "Wir müssen uns die Videos holen." "Dazu müssen wir Mirai finden." "In ihrer Villa ist sie wahrscheinlich nicht mehr, obwohl wir es mal versuchen sollten. Oder was denkst d-" "Da ist wer.", murmelte plötzlich Ceyels Stimme in ihrem Ohr. "Kommt da sofort raus!" Sofort stieß Kojiko Lycel an, die gerade in den Schränken des Videoraums nach den Bändern gesucht hatte. "Los, lass uns abhauen", sagte sie leise. Also schlichen die Beiden schnell die Treppen hinunter und verließen die Villa durch den Hinterausgang. Auch Kaya und Villo wollten in die untere Etage fliehen, um das Gebäude zu verlassen. Gerade als Kaya auf eine der ersten Treppenstufen stieg packte Villo sie und zog sie in einen naheliegenden Raum. Er drückte sie gegen die Wand hinter der Tür und kam ihr ganz nahe. Leise zog er seine Magnum und entsicherte sie. Genau wie er hatte auch Kaya sofort ihre FN Browning HP bereit und lauschte nun zusammen mit ihm. Dabei konnten beide die Schritte hören, die sich nun langsam und gedämpft die Treppe aufwärts bewegten. Kaya sah sich schließlich etwas um und gab Villo dann mit einigen lautlosen Zeichen zu verstehen, dass sie aus dem Fenster verschwinden könnten, das an der anderen Seite des Raumes war. Daraufhin trat Villo von ihr zurück, ging mit ihr auf das Fenster zu und öffnete es so leise, wie möglich. Allerdings ging dieses nur mit roher Gewalt auf und ließ zudem einen lauten Ruck von sich hören. "Schnell!", flüsterte Villo und wies Kaya an, vorzugehen. "Verschwindet alle!", wies er auch die Anderen per Funk an. Mit einem kurzen Blick zurück sprang Kaya auch schon aus dem Obergeschoss. Sobald sie auf der Erde ankam lief sie durch das Gebüsch davon. Zwar kratzten einige Zweige ihre Arme und Beine entlang, doch sie wurde nicht langsamer. Erst als sie bei Villos englischem, schwarzem Leichenwagen ankam hielt sie an. Sie sah sich dort um, während sie ihre Pistole vor sich gestreckt bereit hielt und schwer ein- und ausatmete. Dann war ein einzelner Schuss zu hören, der die Nacht für einen Moment belebte und einige Vögel aus den Bäumen schreckte, doch schnell herrschte wieder eine absolute und erdrückende Stille, bis Kaya nach kurzer Zeit die herannahenden Schritte Villos vernahm, als er zu dem Wagen kam. Indem sie ihn beim näherkommen beobachtete entdeckte sie gleich das Blut, welches an seiner linken Wange klebte. "Steig ein!", sagte Villo und stieg auch schon selbst in sein Auto. Sofort saß auch Kaya in dem Wagen neben ihn. Sie blickte zurück und betrachtete dann wieder seine Wange. "War das wirklich notwendig?" "Er hat mich gesehen." Villo startete den Wagen und legte den Gang ein. Im Rückspiegel sah er noch einmal zu der finsteren Villa und fuhr dann los. Kaya beobachtete ihn kurz, drehte sich dann aber von ihm weg und sprach in ihr Headset. "Ceyel? Seit ihr weggekommen?" "Ja, bei uns ist alles okay", erhielt sie sofort als Antwort. Erleichtert aufatmend wand sie sich wieder an ihren Fahrer. "Was machen wir jetzt?" "Nach Hause fahren", sagte Villo kühl. "Soll ich dich im Kanehara Inn absetzen?" "Ja", antwortete Kaya nachdenklich. "Fragt sich nur, was Mirai jetzt vorhat", begann sie nach einer Weile des Schweigens. "Warum gibt sie die Videos nicht der Polizei, wenn sie doch dann aus dem Schneider wäre. Hat sie etwa vor uns zu drohen?" "Das wäre eine schlechte Idee. Vielleicht hat sie aber mehr vor. Aber ehrlich gesagt... Mirai ist mir egal", sagte Villo monoton. "Tz. Sie hat uns in der Hand, doch dir ist sie egal? Manchmal bist du mir wirklich nur ein totales Mysterium." Sie schüttelte den Kopf und sah dann wieder aus dem Fenster. "Ich finde, wir sollten sie so schnell, wie möglich, ausschalten." "Nur, wenn sie uns droht oder uns an die Behörden ausliefern will", sagte Villo kühl. "Glaubst du etwa, ihr wäre zu trauen, wenn sie sagt, dass sie die Videos nicht ausliefert? Sie ist ein verdammtes Miststück, das sich mit der falschen Branche angelegt hat." Kayas Hände ballten sich zu Fäusten, während sie sprach. "Die ist nicht mehr zu retten!" "Ich habe Mirai nie getraut. Allerdings sollte man bedenken, dass es für uns unklug wäre jetzt auch noch eine gewisse Berühmtheit aus dem Weg zu schaffen. Wir wären dann in erheblichen Schwierigkeiten. Was mich allerdings beschäftigt ist, das sie so viele Killer beauftragt hat, nur wegen der Bodyguards ihres Vaters. Sie hatte ihn uns nie selbst überlassen wollen, denn sie will Rache, soviel ist klar... Aber wieso sie uns alle engagiert hat ist mir unklar." "Als Sündenbock für diese Tat, doch dann hätte sie die Bänder gleich der Polizei gegeben. Allerdings..." Kaya verstummte für einen kurzen Moment und sah Villo dann von der Seite her an. "Allerdings ist sie wirklich auf Rache aus. Kojiko hat solche Andeutungen gemacht, dass ihr Mann ermordet wurde. Scheinbar soll ein Profi dies im Auftrag anderer erledigt haben. Was ist, wenn die Gerüchte stimmen und es wirklich ihre Familie war?" "Das mag sein. Mir ist nur die Anzahl der Killer unschlüssig, die sie beauftragt hat. Einer hätte doch locker als Sündenbock gereicht. Es scheint mir eher so, als hätte ihr jemand Killer aus unterschiedlichen Verhältnissen empfohlen. Fragt sich nur wieso..." Villo fuhr gerade auf den Parkplatz des Kanehara Inns und hielt an. "Vielleicht weiß sie einfach noch nicht, wer genau ihren Mann ermordet hat und sie versucht es nun herauszufinden, um ihn auch auszuschalten. Denn schließlich hat jeder Killer so seinen eigenen Stil. Einige lieben präzise Kopfschüsse und andere lassen ihre Opfer lieber bluten. Auch hat jeder von uns eine andere Waffenmarke und unterschiedliche Kugelgröße. Genauso muss man bedenken, dass viele sehr unsauber arbeiten und nur die Besten wissen, wie man richtig mordet, ohne Fehler zu machen." Kaya strich sich durch ihr Haar. "Na ja, um das herauszufinden, müssten wir schon mit Mirai persönlich sprechen." Sie sah ihren Fahrer an und nickte ihm kurz zu. "Danke fürs herfahren." Sie öffnete ihre Tür und stieg aus. "Gute Nacht." Sobald die Beifahrertür zufiel, fuhr Villo los. Kaya ging sofort weiter auf die Bar zu. Bevor sie sie betrat hörte sie schon eine heiße Diskussion zum Thema "Mirai". "Wir müssen sie finden und umbringen!", rief Ceyel. Doch sofort kam eine Gegenstimme. "NEIIIN!!!", schrie Kojiko vor Wut und schlug Ceyel gegen den Bauch. "Wie kannst du es wagen so etwas zu sagen?! Sie ist tausendmal besser, als du, und dennoch töte ich dich nicht, obwohl ich gerade übelst Lust dazu hätte!" "Kojiko, beruhige dich", sagte Lycel und hielt ihre Schwester fest. "Ich glaube nicht, dass Mirai uns verraten will", meinte Kail. "Riskieren sollten wir es aber dennoch nicht", sagte nun Sayuri, die argwöhnisch Kojiko betrachtete und dabei näher an Ceyels Seite rutschte. "Ich stimme ihr zu." Kaya betrat den Schankraum und sah die bereits Anwesenden einen nach den anderen an. "Wir sollten zumindest nicht dumm rumsitzen und darauf warten, dass sie uns schließlich doch ausliefert. Dann sind nämlich nicht nur wir am Arsch; so könnten sie auch eine Verbindung zu eurer Organisation entdecken. Oder was denkt ihr, welch Zufall es doch ist, dass so viele Mörder alle das gleiche Tattoo haben, welches doch so sehr für den Tod steht?" Kaya betrachtete Lycels baren, rechten Arm, auf welchem das schwarze Kreuz prangte, das das Zeichen Death.coms war. Kail sah sie kurz finster an, lächelte dann jedoch. "Wer sagt, dass nur wir am Arsch sind? Freischaffende Killer sind auch dran. Außerdem ist unsere Organisation in jeder Hinsicht abgesichert. Wenn einer von uns gefangen wird, dann existieren die Anderen nicht...", erklärte er in einem freundlichen Tonfall. "Wenn ihr erwischt werdet, dann lebt ihr sowieso nicht mehr sehr lange, da euch eure Organisation wohl kaum noch dulden würde. Ihr wäret ein Risiko, das unverzüglich entfernt werden müsste. Höchstwahrscheinlich werden sie eure Leichen dann verbrennen, um jegliche Verbindung zu Death.com zu zerstören." Es war Sayuri, die mit einem eisigen Blick jeden dieser Organisation musterte. "Der Verlust eines geliebten Menschen ist hart, doch man sollte sich von solchen Gefühlen nicht blenden lassen. Wir alle sollten trotzdem rational denken. Mirai zu töten wäre unklug, da sie eine berühmte Persönlichkeit ist. Es würde Aufsehen erregen und dann wäre die Gefahr aufzufliegen viel größer. Wir kommen nicht darum herum einen Deal mit ihr auszuhandeln", sagte Kail zu Sayuri und lächelte. Die Blonde dagegen erwiderte dieses Lächeln nur mit einem kurzen Aufzucken ihrer Mundwinkel, wobei ihre Augen emotionslos blieben. "Macht doch was ihr wollt!", zischte sie und stand dann auf. Ohne die anderen noch einmal anzublicken ging Sayuri energisch auf die Treppe zu und flüchtete in die obere Etage. Ceyel sah ihr mit einem starren Blick nach, bis man die Zimmertür der Beiden zuschlagen hören konnte. "Entschuldigt ihr Verhalten", murmelte er schließlich bitter. "Ich kann sie verstehen", meinte Kail und stand auf. "Bis morgen", sagte er und verließ die Bar in Richtung seines Leihwagens. "Was meinte er damit?", fragte Kaya ihren Partner. Doch dieser schüttelte nur den Kopf. "Ich habe keine Ahnung..." Dann wandte Ceyel sich wieder den Anderen zu. "Wenn ihr die Sängerin unbedingt verschonen wollt, dann spürt sie doch auf und bringt sie auf eure Weise zum Schweigen! Schafft ihr es jedoch nicht, dann schwöre ich, dass ich es auf meine Art mache!" Wie zur Untermauerung dieser Aussage knallte er bei seinen letzten Worte die Pistole, Marke Baby Eagle, auf die Theke, die er immer bei sich trug. "Und ich habe nicht viel Geduld!" Danach stand auch Ceyel auf und verließ die nun kleinere Runde, um ebenfalls in seines und Sayuris Zimmer zu verschwinden. "Vorher musst du an mir vorbei!", schrie Kojiko ihm nach, doch er schwieg. Kaya sah das Mädchen an und blickte dann zu Lycel. "Und was denkst du?" "Ich glaube auch nicht wirklich, dass sie uns verrät. Zwar traue ich ihr nicht, aber ich glaube, sie weiß, dass sie sich in dem Moment auf dünnes Eis begibt, in dem sie uns versucht zu drohen." Die Andere nickte daraufhin und sah dann zu Boden. "Vierzehn Tage..." Lycel und Kojiko sahen Kaya fragend an. "Vierzehn Tage. Mehr wird euch Ceyel wahrscheinlich nicht geben. Ihr solltet euch beeilen." Sie stand auf und ging zu der Treppe am Ende des Raumes. Dort blieb sie stehen und sagte mit dem Rücken zu den Anderen gewandt: "Ich bin auch der Meinung, dass Mirai weiß, mit wem sie es zu tun hat. Darum werde ich euch beistehen, wenn ihr mich braucht." Danach ging auch sie. Indes saß Villo in der Küche seines Apartments und trank ein Glas lieblichen Rotwein. Nachdenklich sah er in das bauchige Glas und sog dabei das süße Aroma in sich auf. Er musste an Kayas Worte denken. "Vielleicht weiß sie einfach noch nicht, wer genau ihren Mann ermordet hat..." Nach seiner Ansicht war dieser Gedanke einfach absurd. Er glaubte dies nicht. Jemand, der so kalt in die Welt blickte, wusste, was sein Ziel war. Villo war sich sicher, dass Mirai wusste, wen sie töten wollte. Am nächsten Morgen kam Kaya in den Aufenthaltsraum und hielt sogleich auf den Tresen zu, hinter welchem Ojiro wie üblich stand und ihr entgegen lächelte. "Guten Morgen, Ojiro-kun." Sie setzte sich zu ihm und lächelte ihn auch an. "Es tut mir Leid, falls wir in der Nacht etwas zu laut waren." "Ach, nicht so schlimm. Ich frage besser auch gar nicht, was los war. Das ist glaube ich auch besser so", meinte der Barinhaber immer noch lächelnd. In dem Moment öffnete sich die Tür der Bar und Kail kam herein. "Guten Morgen." "Guten Morgen." Kaya sah kurz auf und wand sich dann wieder Ojiro zu. "Kann ich dir was bringen, Kaya-chan? Das Übliche?", fragte dieser freundlich. "Nein, ich wollte eigentlich nur wissen, ob Lycel und Kojiko noch da sind." Sie sah den Barkeeper nun intensiv an. "Nein, sie sind schon in der Frühe gegangen. Wieso fragst du denn?" "Ach, nur so...", antwortete sie sogleich und blickte hinunter. Kail setzte sich an den Tresen. "Ich hätte gerne ein Omelett", sagte er zu Ojiro. Der Schwarzhaarige lächelte ihn nickend an und verschwand daraufhin in dem Raum hinter sich. Sobald er aus dem Schankraum verschwunden war, drehte sich Kaya zu Kail um. "Sie suchen Mirai. Ist es nicht so?", fragte sie ihn. "Nur finden werden sie sie bestimmt nicht so leicht." Bedächtig sah Kail seine Gegenüber an, bevor er ihr antwortete. "Das ist wohl wahr, aber sie sind zuversichtlich." "Das nützt ihnen dennoch leider nichts, denn Ceyel wird nicht ewig warten.", murmelte sie und dachte dabei an einige Aufträge, die sie zusammen mit ihm hatte meistern müssen und bei denen er schon öfters bewiesen hatte, dass sein Geduldsfaden bei Weitem nicht der Längste war. "Es ist nicht gut, wenn er so die Beherrschung verliert. Früher oder später könnte er Fehler begehen, die den Mandanten, wie auch Informanten gefährden könnten. Du hast doch selbst gemerkt, dass es schon einmal knapp war." "Das habe ich mir auch gerade gedacht..." Kaya sah, in ihren eigenen Gedanken versunken, starr vor sich auf die blank polierte Tischplatte, bevor sie allerdings wirklich realisierte, was Kail soeben zu ihr gesagt hatte. "Ich habe nie etwas über unsere früheren Missionen offenbart, genauso wenig, wie ich je gesagt hätte, dass er die Beherrschung verloren hätte." Misstrauisch musterte sie ihn, doch er lächelte nur wieder erneut. Schließlich sprach sie ruhig und um jedes Wort bedacht weiter. "Ich habe nicht vergessen, was damals in Mirais Villa war. Auch habe ich nicht vergessen, was Lycel uns vor kurzem erst so schön demonstriert hat und weiß, dass es mehrere Leute dieser Art gibt." Kurz versicherte sie sich durch flüchtige Seitenblicke, dass außer den Beiden tatsächlich Niemand weiter im Schankraum war, bevor sie fortsetzte. "Du hast auch Fähigkeiten." Kails Lächeln erblasste sogleich und eine düstere Kühle begann sich in seinen Augen zu widerspiegeln. "Glaubst du das wirklich?" "Sei dir gewiss, ich mag in euren Augen ein niederes Wesen sein, eine Auftragskillerin ohne Niveau und ohne mächtige Organisation, die meinen Rücken stärkt, doch denke nicht, dass meine Aufschlussgabe all zu getrübt ist, nur weil ich keine elitäre Ausbildung genossen habe. Oh nein, Heseko Kail, meine Aufschlussgabe ist perfekt!", zischte sie ihm entgegen. Nun lächelte Kail wieder freundlich. "Das meinte ich damit nicht auszudrücken..." "Wie du meinst." Sie warf ihr Haar nach hinten und blickte dann zu der zur Hälfte offenstehenden Küchentür. "Zwar vermag ich nicht genau zu wissen, welche Gabe du besitzt, doch definitiv besitzt du eine." "Ich könnte es dir sagen, außer du möchtest raten...", sagte er vergnügt, sie immer noch anlächelnd. In Kayas Kopf ratterte eine Idee nach der anderen durch, doch sie wurden immer bizarrer, bis sie schließlich meinte, dass er einem schlechten Sciencefiction-Film entlaufen sein musste. Oder konnte ein Mensch, ein realer Mensch, tatsächlich die Gedanken anderer lesen? War dies überhaupt außerhalb von irgendwelchen Romanen oder Filmen möglich? Verzweifelt um eine Antwort suchend, drehte sie sich wieder zu ihm und musste feststellen, dass er nickte. "Erraten." Kaya schluckte und blickte ihn dann entsetzt an. "Unmöglich...", hauchte sie. Unterbewusst meinte sie immer noch, dass dies nicht wahr sein konnte. Ein Mensch konnte doch nicht einfach die geheimsten Gedanken eines anderen Menschen lesen können... Und doch wäre es eine Antwort auf ihre Frage. Er konnte wissen, dass sie an diesen einen Auftrag mit Ceyel gedacht hatte, in dem dieser fast den Informanten erschossen hatte, weil der ihnen nicht die Auskunft geben wollte, die sie brauchten. Auch hatte Kail damals in der Villa von Mirais Vater nicht die Schritte der Wächter hören können. Sie selbst hätte sie sonst auch gehört. Nein, er hatte die Gedanken der Männer wahrgenommen. Abrupt stoppte ihr Gedankenfluss, als sie bei Mirai ankam. Mirai... Warum hatte er nicht gewusst, dass sie alle verraten wollte? Er hätte doch wissen müssen, dass sie selbst ihren Vater ermorden wollte. Doch auch diese stumme Frage beantwortete er wieder ruhig. "Mirais Gedanken waren durchaus nicht so leicht zu lesen, wie die anderer Personen. Sie waren undurchsichtig, denn eigentlich dachte sie nur an unseren Auftrag." Mit offenem Mund starrte Kaya den blonden Mann an, während dieser nach dem Barinhaber und seinem Frühstück rief. "Dann stimmt es also? Sind die Killer in eurer Organisation, die Kräfte besitzen, zur Elite aufgestiegen? Etwa auch Villo?" "Villo... Er ist von außen in die Organisation gekommen. Bis vor ein paar Jahren war er... ein Zivilist. Aber ja, auch er gehört zur Elite.", antwortete Kail ernst. "Die Agenten mit Kräften gehören bei uns zu den sogenannten Sondereinheiten, bestehend aus zwei bis drei Agenten. Aus diesen Gruppen hat nicht jeder Kräfte, doch sie werden durch die Personen mit Fähigkeiten unterstützt.", ergänzte er noch und als Ojiro schließlich mit seiner Mahlzeit in die Bar zurückkam, begann er zu essen. Nachdenklich beobachtete Kaya den Mann neben sich, bevor sie jedoch den Mut fasste, das Gespräch fortzuführen. "Wenn du sagst ’von außen’, dann meinst du, dass ihr anders als Villo schon immer zu Death.com gehört habt, oder verstehe ich das hier falsch?", fragte sie in einem leisen Ton, um Ojiro nicht in das Gespräch mit einzubeziehen. Kail legte seine Stäbchen beiseite und antwortete ihr dann ebenfalls flüsternd: "Lycel, Kojiko, meine Schwester und ich wurden in die Organisation hineingeboren." "Deine Schwester?" Kaya sah ihn überrascht an. "Du hast eine Schwester? Warum arbeitest du denn nicht mit ihr zusammen?" Doch Kail antwortete nicht auf diese Frage. Er schüttelte nur den Kopf und murmelte dann: "Frag bitte nicht... Ich hab dir schon genug erzählt." Mit einem fragenden Blick nickte sie und zuckte erschrocken zusammen, als sie feststellte, dass Villo hinter Kail stand und sie kühl ansah. "Guten Morgen, Villo!", stotterte sie schnell. "Guten Morgen", antwortete dieser, bevor er sich neben Kail setzte, welcher ihn anlächelte. "Hast du eine Idee, was wir nun wegen Mirai machen?", fragte Kaya, während sie Villo dabei beobachtete, wie er Kail ein Stück Omelett stahl. "Ich halt mich da raus", antwortete er. "Ich werde sie nicht suchen. Doch wenn ich ihr begegne, werde ich nicht umhin kommen sie zu töten." "Lass das bloß nicht Koji hören", feixte Kail grinsend. Kaya dagegen war dagegen weniger ausgelassen. "Also, an eurer Stelle würde ich sie zumindest vorher anhören wollen. Ich hätte nämlich schon gerne gewusst, was sie mit uns im Sinn hat." "Interessiert mich nicht", sagte Villo kühl. Die Schwarzhaarige seufzte daraufhin. "Dich scheint doch auch nichts zu interessieren!" "Wenn du das sagst...", meinte Villo. Er hatte sich leicht vorgebeugt, um am essenden Kail vorbei zu ihr schauen zu können, doch sie hatte sich von ihm weggedreht und stand auf. "Du bist blöd", murrte sie und ging davon. Villo sah ihr nach und bemerkte erst spät den ihn anstarrenden Kail. "Hör auf meine Gedanken zu lesen!" Zur selben Zeit klingelte kilometerweit entfernt, am anderen Ende Tokios, in einer schier düsteren und riesigen Villa ein Telefon. Das dröhnende Geräusch hallte unnachgiebig durch die hohen Flure, bis eine junge Frau den Hörer abnahm und es somit verstummte. "Ja?", meldete sich die Frau mit einer emotionslosen Stimme. "Aiusa-sama, es gab einen Vorfall in dem verlassenen Anwesen ihres verstorbenen Vaters. Es geht um den Wächter Hamara-san, den Sie beauftragt haben im Gebäude Patrouille zu halten. Er wurde an diesem Morgen in einem der oberen Zimmer aufgefunden. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass er..." "Er ist tot.", hauchte Mirai in den Apparat. Ihr Blick wurde klar und ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Wie sehr sie es doch geahnt hatte. Die verängstigten Kinder waren zu ihrem Meister zurückgekehrt, um ihre Haut zu retten. Sie spielten am Tatort herum, um alle Beweise von ihren bösen Taten zu vernichten, doch Mirai hatte schon gewusst, dass sie wiederkommen würden. Schon seit Beginn des Auftrages, den sie in die Wege geleitet hatte. Genauso hatte sie auch gewusst, was es war, das sie nun suchten. Die Videos... Sie wollten es doch nicht riskieren zu denken, die Überwachungsgeräte in der Nacht ihres Auftrages wären ausgeschaltet gewesen. Denn genau das waren sie nicht. Es stimmte, sie hatten die Stecker gezogen und die Kameras waren von dem übrigen Stromnetz abgeschnitten, doch was sie nicht ahnen konnten war der Notfallgenerator in den Tiefen des Kellers, der eine direkte Verbindung zu den Kameras besaß. Dies war auch der Grund, warum sich die inaktiven Videokameras unbemerkt wieder einschalteten und jedes noch so kleine Detail aufzeichneten. Jede Bewegung des blonden Heseko und der schwarzhaarigen Watase, wie sie nach und nach die Wächter ermordeten. Jeder Wortfetzen des Streites, der die Atmosphäre zwischen Yamazaki Ceyel und Minase Sayuri belastete. Jeden Schuss, den die Hiwatari-Geschwister abfeuerten. Und jeder noch so unbemerkte Atemzug Villos. Doch sie hatte sie nun. Mirai hatte alle Videobänder feinsäuberlich aus den Aufnahmegeräten entnommen und sicher bewahrt, bis es Zeit war Gebrauch von ihnen zu nehmen. "Aiusa-sama?", fragte die penetrant freundliche Stimme ihres Assistenten besorgt. "Gab es Spuren des Täters?" Leicht irritiert von dieser plötzlichen Frage schwieg der junge Mann erst einige Sekunden, bevor der dann überlegend antwortete. "Spuren?", wiederholte er noch einmal. Mirai hörte, wie er in einigen Papieren nach etwas suchte. Scheinbar hatte er die Angaben der Polizei bei sich, als hätte er einmal in seinem Leben etwas richtig machen wollen. Und so machte er es auch nur leichter für Mirai. "Es wurde nichts gefunden, was auf Einbruch hätte weisen können. Anscheinend wurde die Tür nicht sorgfältig genug versperrt und die Alarmanlage war ausgeschaltet worden. Allerdings war das Fenster in dem Raum geöffnet, in dem Hamara-sans Leiche entdeckt wurde. Wer auch immer ihn erschossen hat, scheint auf dem Weg ein- oder ausgestiegen zu sein, jedoch gab es auch dort keine Fingerabdrücke. Die Täter trugen vermutlich Handschuhe." "Sie sagten ‚erschossen’?", fragte Mirai, nun wieder lächelnd, nach. "Jawohl, Aiusa-sama. Es war eine Schusswunde im unteren Stirnbereich. Ein sauberer Eintritt in das Großhirn. Hamara-san war sofort tot." "Gut...", säuselte Mirai verträumt. Sie hatte es schon geahnt. Schon von Vornherein war sie sich sicher zu wissen, wer Hamara ermordet hatte. Nur einer von diesen Leuten war so kaltblütig, dass er es würdig war Killer genannt zu werden. Sinister Villo... Sie war sich nun auch hundertprozentig sicher, denn sie kannte seine Weise zu töten. Ein gezielter Schuss in das Hirn seiner Opfer. Sie hatte es schon etliche Male gesehen. Immer und immer wieder auf den Videobändern, die sie verwahrte. Ja, sie hatte sie sich oft angesehen, bis sie jede Eigenschaft dieser Personen kannte. Bis sie jede noch so kleine Einzelheit in ihren Techniken perfekt eingeprägt hatte. Alles hatte Mirai genauestens studiert, um zu erkennen, ob der Mörder ihres Mannes unter ihnen war. Doch er war es nicht... Ihr Herz schmerzte ihr bei diesem Gedanken, denn nun wusste sie endlich wer es war. "Ryo...", flüsterte sie, doch sie fasste sich schnell wieder. "Kamaguchi, ich habe einen Auftrag für sie. Sie müssen sich mit meinem Informanten treffen. Ich vermute, dass er mehr in Hamara-sans Angelegenheit weiß." "Jawohl, Aiusa-sama.", bestätigte er sogleich. "Ich werde Ihnen zu gegebener Zeit mehr Anweisungen geben.", sagte Mirai und legte dann auf. Ja, es war entschieden. Sie musste Kontakt zu ihm aufnehmen, um ihren Plan zu vollenden. Kurz dachte Mirai dabei an ihren Assistenten Kamaguchi, denn Opfer mussten nun einmal gebracht werden... Es war früh am nächsten Morgen, als der Brite in der Küche seines Appartements saß. In der Hand hielt er ein Glas britischen Rotwein und sah durch das Fenster hindurch dem Sonnenaufgang zu. Ein leiser Seufzer entwich ihm, während er seinen Kopf mit seiner freien Hand abstützte. Kayas Worte geisterten ihm schon die ganze Zeit im Kopf herum. "Dich scheint doch auch nichts zu interessieren!" Doch trotzdessen sie es ihm an den Kopf geworfen hatte, konnte er Nichts darauf erwidern, da ihm nichts Besseres eingefallen war als: "Wenn du das sagst..." Er ärgerte sich. Nicht über Kayas Aussage, genauso wenig über seine stumpfe Antwort. Nein, vielmehr ärgerte es ihn, dass er ganz genau wusste, dass sie Recht hatte. Seit diesem einem Tag vor Jahren interessierte ihn nichts mehr. Dieser schicksalhafte Tag, an dem sich sein ganzes Leben änderte... Nichts konnte sein Interesse mehr wecken, denn seine Gedanken kreisten sich nur noch um sie. Villos Herz zog sich bei der Erinnerung an den schmerzhaften Verlust krampfhaft zusammen, so dass ihm fast die Luft wegblieb. Eigentlich konnte er Mirai verstehen. Diese Art von Verlust konnte man nicht akzeptieren. Diese Ungewissheit, wer für all das Leid verantwortlich ist und man aber doch keine Antwort weiß... Diese Leere, die das Herz erfüllte, zerriss einen schier. Doch trotzdessen vergaß er nicht, dass es Mirai war, die allen eine Falle gestellt hatte. Er hatte ihr von Beginn an nicht getraut und nicht umsonst wurde er geschickt, um ein Auge auf diese ganze Geschichte zu werfen. Villo nippte an seinem Rotwein und sah dabei zu, wie sich der Himmel purpurrot färbte. Langsam stellte er das Glas auf dem Tisch ab und stand auf, um an das Fenster zu schreiten und es zu öffnen. Fast erleichtert atmete er die frische, kalte Morgenluft ein und ließ seinen Blick über einen Großteil Tokios schweifen, denn von seinem 65 Quadratmeter großem Appartement konnte er fast die gesamte Stadt sehen. Obwohl seine Wohnung groß war, war sie doch recht spärlich mit Möbelstücken versehen. Einzig die Küche war voll ausgestattet. Wahrscheinlich war es deshalb auch sein liebster Aufenthaltsort, wenn er schon einmal in seiner Wohnung war. Dagegen befanden sich in seinem Wohnzimmer nur ein Sofa und ein Kleiderschrank. Ein Bett besaß er nicht, da er auf dem Sofa nächtigte. Das eigentliche Schlafzimmer war jedoch abgeschlossen. Den Schlüssel trug Villo stets bei sich, um den Hals gebunden. Es war eine Waffenkammer... Als Villo das Küchenfenster wieder schloss ging er zu genau dieser Kammer. Er öffnete die Tür und trat in den verdunkelten Raum. Nachdem der Brite das Licht eingeschaltet hatte legte er seine Magnum in eines der Regalfächer. Anschließend holte er eine Colt Modell 1903 Hammerless aus einer Schublade, samt Magazine und Schalldämpfer. Diese Utensilien befestigte er an seinem Waffengurt, unter seiner Jacke. Als er das Zimmer verließ schloss er es erneut sorgfältig ab und steckte dann Geld ein, das er ebenfalls aus einer der Schubladen in seiner Waffenkammer entnommen hatte. Daraufhin nahm er sich einen Umschlag von dem Tisch in seinem Eingangsbereich und ging aus seinem Appartement. In diesem Umschlag befand sich ein Bericht seines letzten Auftrages, sowie seinen Aufzeichnungen bezüglich der Bewohner des Kanehara Inns. Schon seit Beginn war er nicht von Mirai beauftragt worden ihren Vater zu ermorden. Nein, vielmehr wurde er von seinem Vorgesetzten in die Sache involviert, um auf alles ein Auge zu werfen und diese recht merkwürdige Kollektion unterschiedlichster Auftragsmörder zu bewachen, sodass er alles berichten konnte. Sobald er dann schließlich an einer Poststelle vorbeikam, ließ er ihn in einem Schließfach hinterlegen. Als er das erledigt hatte, ging er weiter durch die Stadt. Es war mittlerweile später Morgen, als Villo sich in ein kleines Café setzte, um dort zu frühstücken. Nachdem er sich einen Kaffee bestellt hatte breitete er die Zeitung aus, die vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte. Schon auf dem Titelblatt entdeckte er eine große Schlagzeile, die ihn selbst betraf. "Wachmann in verlassener Aiusa-Villa erschossen, doch immer noch kein Täter! Kam der Mörder von Aiusa Azuma zurück?" ‚Das ist überhaupt nicht gut’, dachte Villo bei sich. Es wäre besser für ihn, wenn er sich vorerst aus Allem zurückhielt. Er musste auch den Anderen sagen, dass sie die Füße erst einmal still halten mussten, denn wenn Death.com auffliegen würde, wären sie alle ziemlich verloren. Die Sache schien ernster, als er es zu Beginn eingeschätzt hatte. Viel ernster... Doch was ihn am Meisten ärgerte war, dass Kaya wieder einmal Recht hatte. Zwar beunruhigte ihn die ganze Affäre mit Mirai, doch er hegte immer noch kein Interesse dafür. Er interessierte sich einfach nicht dafür. Der Brite trank ein wenig von seinem Kaffee, während er weiterblätterte und wieder einen Artikel entdeckte. Er war klein, aber dennoch nichts Gutes verheißend. "Polizei hofft auf Hinweise aus der Bevölkerung" Das durfte doch alles nicht wahr sein. Eines war jetzt schon sicher. Mirai war so gut wie tot, beschloss Villo und packte die Zeitung zur Seite, um in Ruhe den Rest seines Kaffees zu trinken, doch bevor er dazu kommen konnte, kam eine der Kellnerinnen auf ihn zu. "Entschuldigen Sie, aber sind sie Sinister Villo?", fragte sie, seinen Namen von einem kleinen Zettel ablesend. Villo sah sie musternd an, ehe er ihr zunickte. Ermutigt durch seine Zusage lächelte sie ihm zu und überreichte ihm dann den Zettel. "Ein junger Herr trug mir auf Ihnen das zu überreichen." "Ein junger Herr?", fragte der Brite verwundert nach und betrachtete dann den Zettel genauer. Auf diesem standen sein Name, sowie eine Handynummer. "Ja, mein Herr. Er war groß...", begann sie zu erklären, doch als sie Villo betrachtete fügte sie noch hastig hinzu: "...zumindest für einen Japaner. Ach, er hatte auch braun gefärbtes Haar. So ein kastanienbraun, mein Herr." Villo hörte ihr zu, bis sie geendet hatte. "Ich möchte zahlen", sagte er dann ruhig. "Wie Sie wünschen, mein Herr. Ich hoffe, es war alles zu Ihrer Zufriedenheit?", fragte die Kellnerin und reichte ihm dann seine Rechnung. Als Villo das Café verlassen hatte, suchte er sofort die nächste Telefonzelle auf. Bevor er allerdings die Nummer eingab, die er auf dem Zettel stehen hatte, zog er sich seine Lederhandschuhe an. Schließlich wählte er die Nummer und wartete geduldig die Rufzeichen ab. "Kamaguchi", meldete sich kurz darauf eine männliche Stimme. "Sie wollten mich kontaktieren?", fragte Villo sogleich kühl. "Jawohl, ist Ihnen 15 Uhr am Beika-Kino recht?" "Von mir aus...", sagte Villo und legte auf. Wie es ihm von Mirai aufgetragen wurde, hatte sich Kamaguchi mit ihrem Informanten in Verbindung gesetzt und stand, wie mit diesem verabredet schon kurz vor drei Uhr vor dem dicht bedrängten Kino und wartete nun, jedoch nicht lange. Recht bald hatte ihn der schwarzhaarige Engländer entdeckt, ging zielstrebig und leise auf ihn zu, um ihm von hinten auf die Schulter zu tippen. "Mr. Kamaguchi?" Dieser drehte sich um und musterte den anderen, bevor er ihm deutete zu folgen und in eine der naheliegenden Seitenstraßen verschwand, um für eine Unterhaltung dem Lärm der Geschäftsstraßen zu entkommen. Schon während er dem Mann vor sich gefolgt war, hatte sich Villo unbemerkt seine Handschuhe übergezogen und stand ihm nun gegenüber und betrachtete den recht jungen Japaner. "Warum haben Sie mich kontaktiert?", fragte er nun. "Weil sie unser Informant sind.", antwortete Kamaguchi leicht irritiert, doch schließlich drehte er sich von dem Briten weg und beobachtete die Straße, da er sichergehen wollte, dass niemand anders in diese Gasse einbog und so das Gespräch belauschen konnte. "Hm... ach ja... Und wer schickt Sie?", fragte Villo weiter nach. "Das müssten sie doch eigentlich wissen!", äußerte sich Kamaguchi entgeistert und blickte Villo dabei entrüstet an. "Aiusa Mirai." Noch einmal musterte er ihn, bevor er sich wieder der Straße vor sich widmete. "Aber ich verstehe, dass sie sichergehen wollten. Sie können es sich schließlich nicht leisten, Fehler zu begehen." "Da haben Sie Recht." Villo zog lautlos seinen Colt unter der Jacke hervor und schraubte den Schalldämpfer darauf, den er sich mitgenommen hatte. "Und was will Miss Aiusa dieses Mal?", hakte er nach. "Sie sagte, dass sie Informationen bezüglich des Mordes an Hamara-san, dem Wächter, hätten, der Anfang dieser Woche in der Villa ihres Vaters ermordet wurde." "So? Das stimmt wohl..." Villo ließ den Colt an seine Seite sinken und sah an Kamaguchi vorbei auf die Straße. "Und was wissen Sie bereits?" Immer noch die Straße fixierend begann Kamaguchi einige Details aufzuzählen. "Keine Einbruchspuren, keine Fingerabdrücke, präziser Kopfschuss direkt in das Gehirn, Kaliber .32 ACP, anscheinend eine Colt Modell 1903 Hammerless. Ansonsten konnten keine weiteren Anhaltspunkte entdeckt werden, die auf den Täter hinweisen." "Wurde die Polizei schon informiert? Hat Miss Aiusa der Polizei irgendwelche Videobänder übergeben?", fragte Villo kühl. "Videobänder? Von was für Videobändern reden Sie denn hier? Ich habe keine Ahnung, was Sie sagen.", stammelte der junge Mann, immer noch wie starr die Straße vor sich beobachtend. "Na, wenn das so ist... Ich danke Ihnen", sagte Villo kalt lächelnd und ließ sogleich klackend das Magazin in seinen Colt eingleiten, um sie dann zu entsichern. Erschrocken drehte sich Kamaguchi um und erstarrte bei dem Anblick der Waffe. Er dachte an seine Auftraggeberin und den vermeintlichen Kontaktmann. Scheinbar war es eine geplante Falle gewesen. Doch bevor er auch nur Weiteres erfahren konnte war für ihn auch schon alles zu spät. Das Letzte, was er mitbekam war der dunkle Lauf des Colts, der auf ihn gerichtet war und das bedrohliche Geräusch, als der schweigsame Brite auf ihn schoss, bevor er tot zu Boden fiel. Villo sah auf den leblosen Körper von Mirais Assistenten herab und lächelte kühl. Kaum eine halbe Minute nachdem Kamaguchis Körper zu Boden ging begann ein monotones, schrilles Klingeln aus seiner Jackettasche heraus durch die ganze Gasse zu dringen. Der Brite bückte sich und zog ein Handy aus der Tasche seines Opfers, um den Anruf anzunehmen. "Ja, hallo?" "Schön dich mal wieder zu hören, Sinister Villo...", säuselte eine weibliche Stimme. "Ich kann leider nicht ganz die Freude teilen, Mirai. Wenn du deinen Assistenten sprechen willst muss ich dich enttäuschen. Der ist gerade ein wenig tot", sagte Villo trocken und blickte kurz auf, um sicherzugehen, dass Niemand das Geschehen in der Seitenstraße bemerkt hatte. "Und woher du meinen Nachnamen kennst, will ich ehrlich gesagt nicht wissen. Also, wenn du mich entschuldigen würdest. Ich muss mal eben eine Leiche verschwinden lassen", fügte er noch hinzu. "Dass er tot ist weiß ich. Und dadurch hast du mir mal wieder einen Schritt weitergeholfen." Kurz war sie ruhig. "21:30 Uhr, Shōchū-ya." "Nenne mir einen guten Grund, warum ich kommen sollte", meinte Villo kühl. "Noch habe ich die Videos der Polizei nicht überreicht", sagte sie und legte auf. Villo sah stumm auf Kamaguchi, während er das Handy in seine eigene Manteltasche verschwinden ließ. Dann hievte er die Leiche in einen der nahestehenden Müllcontainer und zündete den Müll an, sodass schließlich alles verbrannte. Die Patronenhülse sammelte er ebenfalls auf, bevor er unauffällig aus der Seitenstraße flüchtete. Sobald der Brite sein Appartement betrat schloss er die Tür hinter sich und legte seinen Mantel ab. Gemächlich betrat er seinen Wohnraum, schaltete den Fernseher ein und ließ sich erschöpft auf das Sofa fallen. Nachdenklich verfolgte er die Nachrichten in denen von einem Brand im Zentrum Beikas die Rede war, als es an der Tür klingelte. Villo stand auf und ging zu der Tür. Jedoch sah er erst nur durch den Türspion, bevor er sie öffnete und eine schwarzhaarige Frau gereizt anfuhr: "Was willst du hier?" Kaya sah ihn mürrisch an. "Mit dir reden!", antwortete sie nicht minder gereizt und wartete auf eine Antwort seinerseits. Als jedoch keine kam sprach sie weiter. "Soll ich hier draußen mit dir reden, damit deine Nachbarn auch ja genug mitkriegen, oder hast du vor mich reinzulassen?" Der Engländer sah kühl in ihre Augen, ehe er beiseite trat und ihr Einlass in sein Appartement gewährte. Sie trat ein und er schloss die Tür, um dann wieder in sein Wohnzimmer zu gehen. Während Kaya begann aufs Neue zu sprechen folgte sie ihm. "Lycel und Kojiko haben eine Fährte bezüglich Mirai entdeckt, scheinbar soll sie wieder bei ihrer Mutter in Yokohama leben." "Schön für sie", sagte er desinteressiert und setzte sich gerade abermals auf das schwarze Sofa, um die Nachrichten weiterzuverfolgen. "Du könntest uns dabei helfen." Kaya musterte seinen Wohnraum, indem sie sich langsam einmal herum drehte. "Ich glaube, dass wäre Zeitverschwendung", meinte er kühl und betrachtete Kaya aus dem Augenwinkel bei ihrer Inspektion, die sie nach seinen Worten plötzlich abbrach, um ihn anzusehen. "Du bist viel zu ignorant!" "Bin ich nicht!", sagte er gereizt und funkelte sie böse an. "Natürlich bist du das! Dich interessiert rein gar nichts, denn du hast doch selbst gesagt, dass dir alles egal ist!", zischte sie wütend. "Du weißt gar nichts von mir. Ich will euch nur nicht helfen, weil ich weiß, dass diese ’Fährte’ mit Sicherheit falsch ist." Nachdem er das gesagt hatte stand er auf und stellte sich Kaya gegenüber. Diese sah ihn nun misstrauisch an. "Woher... Woher willst du das denn wissen, wenn es dich doch gar nichts angeht?!" "Ich weiß es eben", antwortete er trocken. "Wie konnte ich es nur vergessen! Mr. Sinister weiß ja alles!", meinte sie, obwohl man ihren zynischen Unterton wahrlich nicht überhören konnte. Sofort antwortete er ruhig in seinem typisch sarkastischen Ton. "Ich weiß mehr, als manch andere hier im Raum." Bevor Kaya darauf etwas erwidern konnte sprach er weiter. "Zum Beispiel das Mirai nicht bei der Polizei war und die Videos noch besitzt." Die Schwarzhaarige sah ihn entrüstet an. "Villo... Woher weißt du da-" Kayas Blick wurde klarer und sie verstand allmählich. Jedoch machte sie das nur noch rasender. "Hast du sie etwa gefunden, ohne uns Bescheid zu geben?" "Weil es euch nichts angeht. Und nein, ich habe sie nicht gefunden...", sagte er trocken. "...aber ihr Handy, beziehungsweise das ihres Assistenten", fügte er noch hinzu und ging dann in die Küche, Kaya hinter ihm her. "Und wann hattest du vor, es uns zu sagen?" "Gar nicht..." Er hatte ihr den Rücken zugewandt und goss sich Rotwein in ein Glas. "Es wäre unnötig euch alle damit reinzuziehen." "Unnötig uns mit reinzuziehen? Falls es dir vielleicht noch nicht aufgefallen ist, wir sind seit Beginn in die Sache involviert! Seitdem Mirai uns alle zu sich gerufen hat!" "So meinte ich das nicht...", erwiderte Villo und nahm einen Schluck Wein zu sich. "Ach nein? Wie meinst du es denn dann?" Ihre dunklen Augen sahen ihn zornig an. Villo betrachtete sie, stellte sein Glas ab und ging auf sie zu. Als er vor ihr stand nahm er sanft eine ihrer schwarzen Haarsträhnen und roch daran. Der Engländer sah ihr direkt in ihre Augen, die sich furchtsam unter seinem Blick wanden. "Warum willst du unbedingt deine Hände mit Blut beschmutzen? Eine schöne Frau wie du sollte nicht töten..." Ihr erst verwundeter Blick wurde zunehmend friedlicher, bevor er wieder aufklarte und Kaya ihn schließlich von sich drückte. "Ich mache das, was ich schon immer mache und keiner wird mich daran hindern, auch nicht du!", spie sie hervor. "Schön, dann wirst du sicherlich verstehen, warum ich mich auch allein um Mirai kümmern werde, denn das ist das, was ich schon immer mache. Alleine arbeiten. Außerdem hat sie ja immerhin mich kontaktiert ", antwortete er kühl. Immer noch sah sie ihn finster an. "Du Idiot! Wenn ich wegen dir noch weitere Probleme bekomme, dann bring ich dich um!" "Ich bitte darum...", sagte er und sah sie mit seinem nichtssagenden Blick an. "Ich bitte dich. Weißt du eigentlich noch, was du da redest?" Wütend schnaubte sie auf. "Du willst mich wohl wirklich verarschen!" "Das würde ich mir nie erlauben", sagte Villo trocken und machte dabei eine abfällige Handbewegung in ihre Richtung. Doch das war Kaya zu viel. So holte sie aus und verpasste ihm mit ihrer flachen Hand eine deftige Ohrfeige. Daraufhin packte der Brite ihre Hände, drängte Kaya zurück und presste sie gegen die Wand. "Pass auf, was du sagst! Du vergisst, wo du bist..." "Ich habe nicht vergessen, bei welch großem Ignoranten ich bin!" "Ich bin kein Ignorant!", sagte Villo wütend und drückte sie nur noch härter an die Wand. Kaya stöhnte kurz auf, bevor sie ihm ein wütendes "Ignorant!" zuhauchte. "Jetzt reicht es!" Er packte sie grob am Arm und zog sie hinter sich her zur Wohnungstür. "Mirai ist meine Sache, mein Auftrag!" Wütend öffnete er die Tür und trieb sie hinaus aus seinen Räumlichkeiten. "Also halte dich da raus und komm nie wieder hier her!" Stocksauer schlug er die Tür hinter ihr zu und wand sich schon ab, um zurück in seine Küche zu gehen, als er noch hörte, wie Kaya durch das gesamte Treppenhaus schrie. "IGNORANT!" Danach vernahm er ihre geräuschvollen Schritte die Treppe abwärts. Es war kurz vor 21:30 Uhr, als Villo am Abend das Shōchū-ya betrat und sofort an die Theke ging, um sich dort auf einen Barhocker zu setzen. Unauffällig sah er sich im Schankraum um und fast augenblicklich trat eine junge, rothaarige Frau auf ihn zu und setzte sich direkt neben ihn an den Tresen. "Was willst du?", fragte er sie kühl, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. "Ryo Tori... Kennst du ihn?" "Nein, sollte ich?" Villo sah sie aus dem Augenwinkel an, doch sie antwortete auf seine Frage nicht. Stille trat zwischen Beide, ehe Mirai wieder sprach. "Die Videos sind weg. Ich habe sie an einen unauffindbaren Ort gebracht und dort werden sie auch immer bleiben, außer...", sie sah ihn ebenfalls kurz mit einem Seitenblick an. "Außer ihr solltet auf die Idee kommen für mein Ableben zu sorgen. Denn in dem Falle wird veranlasst, dass die Bilder der Überwachungskameras an die Polizei ausgeliefert werden. Also überlegt euch gut, was ihr vorhabt." "Dann frage ich noch mal. Was genau willst du?" "Solltest du meine Zwillingsschwester Mina entdecken, dann wirst du mir sofort Bescheid geben. Ich vermute, dass ein Teil von euch sie zu gegebener Zeit auf der Suche nach mir finden wird, denn immerhin beginnen sie ja schon jetzt mit mir Fangen spielen zu wollen." Villo sah sie erneut aus dem Augenwinkel her an und entdeckte dabei ein feines Lächeln, das ihre Lippen umspielte. "Dann hören wir voneinander", gab er ihr zu verstehen und verließ die Bar wenige Minuten, nachdem er sie betreten hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)