Die Dunkelheit von Deepdream (Eine Altraverse) ================================================================================ Kapitel 4: Rise --------------- <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> [DARKNESS] <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Eine Deepi-Produktion. Korrigiert mithilfe Kiavalous. Ohne jedwede Rechte in den Charakteren. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Kapitel 4 – Rise <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Wash away the decay of your life... Feel the light of your eyes... Find the way through the darkness tonight... By Disturbed ... Ein harter, diagonal ausgeführter Hieb wurde mit einem Klirren pariert. Mit einem schleifenden Geräusch zog die Klinge blitzschnell an einer anderen metallenen Oberfläche entlang, ehe sie aus der Hand ihres Führers hätte gerissen werden können. Schützend verharrte sie vor der Gestalt ihres Anwenders. Regentropfen glitten über die Schnittfläche. Der graue Himmel spiegelte sich darauf. Ein paar Meter entfernt schwankten drei lange, gebogene Klingen merklich im Regen. „Ein wahrlicher Invalidenfall. Nicht nur der Erblindung, sondern auch der Arthritis verfallen“, spottete die Gestalt mit dem zwei Ellen messenden Samuraischwert. Vom Schaft aus der Spitze entgegen, ließ sich eine unmerkliche Verjüngung in der Breite feststellen, wenn man die Waffe als Betrachter musterte. Die Spitze selbst fehlte jedoch und machte einer schrägen fünfzig Grad Bruchstelle Platz, die an ihrer Stelle das Schwert zierte. Ihr Besitzer stand ruhig und kontrolliert im Regen. Der Verspottete selbst zeigte sich unbeirrt, schnaufte nochmals lautstark und zog die silberne Tigerklaue auf Augenhöhe. Auf diese Weise verharrten die drei Klingen, eine jede davon, eine Elle im Maß, parallel zum Haupt des Besitzers. Der andere Arm zitterte in einer Waagerechte, zu den nassen Gräsern unter ihm, vor der Brust. Die Anspannung auf seinem Gesicht stand im krassen Gegensatz zu der überheblichen Ruhe auf dem des Schwertkämpfers. „Fühlt man sich imstande das Gefecht fortzuführen?“, spottete letzterer abermals. Die Gestalt mit den Handgelenksklingen stürzte abermals auf die mit dem glänzenden Schwert zu und attackierte geschickt. Während der Schlag von oben mit der Kralle durch die Klinge effektiv geblockt wurde, traf jedoch der Ellbogen des ungenutzten Armes gegen die ungeschützte Brust des Kontrahenten. Jener keuchte vor Schmerz auf, drehte sich jedoch im selben Atemzug mit Schwung zur Seite, ließ den Ellbogen über die Rippenbögen abgleiten und rammte seinerseits seine Schulter ins Gesicht seines Angreifers. Dieser taumelte getroffen zurück, stabilisierte sich allerdings sofort wieder und warf sich erneut in den Kampf. Die Dreifach-Klingen schossen vor, so dass sich der Schwertkämpfer augenblicklich in Abwehrhaltung begab, da zuckte der Körper des anderen urplötzlich im Bereich der Taille. Das enorme Vorwärtsmoment wurde brutal ausgenutzt. Während der rechte Stiefel sich in den nassen Erdboden hinein grub, wurde das linke Bein unmenschlich in die Horizontale gehoben, das rechte Knie beugte sich beträchtlich, dann stieß sich der dazugehörige Fuß vom Boden ab. Wassertropfen stoben aus dem morastigen Boden auf als sei ein schwerer Stein auf diese Stelle geworfen worden. In der regenschweren Luft beschrieb das ausgestreckte, linke Bein eine perfekte Diagonale, wodurch der Angreifer Salto und Angriff verband und krachte mit der Ferse auf dem linken Schulterblatt des Schwertkämpfers nieder. Dieser konnte einen erstickten Aufschrei nicht verhindern und ging von der Wucht des modifizierten Axttritts in die Knie. Dabei zog er jedoch sein Schwert von der Kraft des Schmerzes angetrieben vor und rammte das Heft des Schwertes in den Unterschenkel des Angreifers. Das linke Bein, das beim vorherigen Manöver noch wuchtig das Schulterblatt des Schwertführers getroffen hatte, knickte im Kniegelenk ein und die Schwerkraft forderte ihren Tribut. Der waghalsige Angriff endete damit, dass der Aggressor schmerzhaft auf dem Rücken aufschlug. Ihm blieb sichtlich der Atem weg und so musste er, unfähig einen Konterversuch zu unternehmen, mit ansehen wie die Schneide mit einem Zischen auf seine Kehle zusauste. Und unmittelbar davor verharrte. Leicht vibrierte das geschliffene Metall in der Luft. Der Besiegte blickte mit einem erschöpften Grinsen auf die Schnittfläche. Und der Schwertkämpfer stand nicht minder außer Atem über ihm, hielt das Heft umklammert und schwankte unmerklich im prasselnden Niederschlag. Die jungen Männer betrachteten einander. Es verging ein Augenblick. Dann fingen ihre Lippen an, sich simultan zu einem beidseitigen breiten Grinsen zu formen. „Vortrefflich, ein ganz phantastischer Angriff“, warf Tatewaki dem am Boden liegenden Mu-Tsu mit gespieltem Pathos entgegen. Besagter grinste ihn breit an und sprach nicht ohne Stolz: „Na, da hat dir der Invalide aber ins Hinterteil getreten.“ Beide brachen in ein heiteres Gelächter aus, befanden sich unter dem grauen Himmel und spürten ihre Herzen im rasanten Tempo gegen den Brustkorb hämmern. Das Trainingsmatch war zu Ende gegangen. Die im Regenschleier schimmernde Klinge wurde zurück in die schlichte Lederscheide geschoben, ehe sich Tatewaki herabbeugte und Mu-Tsu seine Hand anbot. Dieser ergriff sie und ließ sich aus dem nassen Gras hochziehen. Akolyth Kuno strich sich mit dem Handrücken über die Stirn, wischte kaltes Regenwasser und heißen Schweiß von der narbigen Haut und warf einen selten bei ihm anzutreffenden, erheiterten Blick auf den großen, von runden Steinen eingekreisten Koi-Teich. Im Moment ließ sich keiner der Zierkarpfen an der vom Regen aufgerauten Oberfläche sehen. Über das unruhige Wasser krümmte sich eine kleine Brücke aus schwarzem Holz. Unbekümmert rann der Regen an beiden Neigungen und mitunter auch an den Seiten herab. Konzentrisch bildeten sich Kreise auf der Wasseroberfläche darunter. Das noch fahle Morgengrau versprühte sich schüchtern darauf und wurde schemenhaft reflektiert. Tatewaki fühlte wie der Sprühregen an ihm hinunterlief und seine vom warmen Schweiß durchdrungene Kleidung abkühlte. Hinter ihm knarrte es. Der Schwertführer warf einen knappen Blick über die Schulter zur Eingangstür. Ein vom Schiefergrau des Himmels angeschienenes Stück Stoff verschmolz mit der Dunkelheit; Mu-Tsus Robe. Von einem Moment zum nächsten war auch diese eins mit dem Gebäude und dessen Atmosphäre geworden. Tatewaki sagte dieser Aphorismus nicht sonderlich zu. Oft wog er den Gedanken ab, gänzlich in diesem Clan aufzugehen, der ihm ein Zuhause und eine Aufgabe bot. Doch sah er sich vornehmlich als eine eigenständige Person, die durchaus fähig war, auf sich selbst Acht zu geben. Seine Lippen verzogen sich im Anflug einer zynischen Regung. „Einst war ich dies...“, hauchte es über seine Lippen, ehe er den Mund hätte schließen können. Aber wozu abstreiten? Seine Autonomie hatte er am Tag seiner Alpträume abgelegt. Und so wie er die Vergangenheit hinter sich gelassen hatte, so sollte auch sein ehemaliger Charakter gemeinsam mit dieser verwesen. „Sich dem Hunger der Würmer hingeben wie...“. Seine Stimme brach und er verfiel ins Schweigen. Erinnerungen wallten in ihm auf. Währenddessen hatten sich seine Augen auf das nasse Gras unter ihm geheftet. Feucht und ohne Willen starrte es zurück. Hier würde er keine Antworten finden. Nicht, dass er das wollte. Alles wonach ihm der Sinn stand, war zu vergessen. Das wegzufegen, was einst war und auf sauberem Grund seine Zukunft bestreiten. Er nickte unbestimmt und wandte sich vom Anblick des gepflegten Teiches ab. Seine Rechte ballte sich geistesabwesend. Mu-Tsus Schritte verhallten im Korridor als er verharrte. Er befand sich vor einer schmucklosen Tür aus Eiche. Kein Holz konnte kälter wirken. Er musste es wissen. Schließlich kannte er die respektive Besitzerin, wenn schon nicht der Tür, dann zumindest des Mobiliars dahinter. Ob sie wohl schlief? Möglich wäre es, schließlich war sie nach Colognes Informationen erst vor kurzem von der Infiltration zurückgekehrt. „Soll ich klopfen?“, fragte er in die Stille. Schief grinsend schüttelte er den Kopf. „Bin ich blöd?“ Seine Schultern fielen sichtlich. Und mit einer Mischung aus Resignation und Freude blickte er die Tür an. „Bin ich wohl.“ Seine zusammengeballte Hand fiel auf das ebenmäßige Holz. Ein lauter, geradezu unheiliger Laut erschallte. Und verlor sich. Keine Reaktion erfolgte. Verwirrt lauschte er in die Ruhe. Da war tatsächlich nichts. Kein Poltern, keine unfreundlichen Ausrufe und auch sonst nicht, was auf Leben schließen ließ. Irritiert zog sich seine Stirn kraus und ohne, dass er es registrierte, fiel seine Faust ein zweites Mal gegen das Holz. Abermals krachte der Laut in der Stille. Ob sie wohl doch nicht anwesend war? Spätestens jetzt hätte er eine ihrer schweren Waffen spüren müssen. Und zwar im Gesicht. Aber wo war sie? Für einen knappen Moment wog er ein weiteres Anklopfen ab, unterließ es jedoch. Wenn sie ihn vorhin ignoriert hatte, so würde sie es auch jetzt tun. Mit einem schweren Seufzen und hängenden Schultern wandte er sich von der Tür ab. Missmutig dreinblickend, ließ er daraufhin seine Schuhe über den Teppich schaben. Die Schritte wurden leiser. Solange bis sich auch das Echo schlussendlich verlor, im Korridor verhallte. Eine Lanze aus Licht stach in einem abgedunkelten Raum. Staubflocken tanzten darin wie Irrlichter. Unentwegt flogen sie durcheinander. Der gelbe Strahl hob sich stark von der restlichen Dunkelheit ab. Eine Dunkelheit, die nur das Wahrnehmen von blassen Schemen möglich machte. Einige dieser erinnerten von ihrer Form her an Kisten. Andere waren wiederum überhaupt nicht zu bestimmen. Es raschelte und quietschte in dem Wald aus Silhouetten. Darauf folgte ein atonales Scheppern, das kurzzeitig lauter wurde und dann abrupt abbrach. Danach kehrte Stille ein. Eine unangenehme Stille, die schwer auf der Szenerie wog. Dunkelheit und Lautlosigkeit dominierten diesen Ort. Er war surreal und lud Kindheitsalpträume ein. Es machte den Anschein, als wäre er seit Jahren ohne Verwendung gewesen. Und doch spürte man stechende Blicke auf sich ruhen. Blicke, denen man nicht den Rücken zudrehen würde. Denn wer weiß schon, was für Hände sich einem auf die Schulter legen könnten. Es raschelte. Dann war es wieder still. Still und dunkel. Die Nacht war bemerkenswert kühl und frisch. Das fahle Licht der Straßenlampen spiegelte sich in den Pfützen; auf der Oberfläche trieben Blätter. Das Wasser war schmutzig und ruhig, der Regen war er vor einigen Stunden abgeklungen. Äußerst widerwillig hatte sich das Stakkato aus Regentropfen in seiner Heftigkeit abgemildert. Erst noch wild und ungestüm hatten die Dachziegel unter der Wucht zu zittern gehabt, doch als der Tag zur Neige ging, plätscherte es nur noch sanft. Fast so, als wollte der Niederschlag seine ehemaligen Opfer wie ein manischer Sadist nach vielen brutalen Stockhieben urplötzlich voller Zärtlichkeit streicheln. Der Horizont war beunruhigend rot gewesen. Alsbald hatten sich die Schleusen des Himmels zur Gänze geschlossen. Es war Ruhe eingekehrt. Eine trügerische Ruhe, die eine knappe Stunde später von einem Motorgeräusch gebrochen wurde. Der Laut wirkte so deplatziert auf den verwaisten Straßen, das man ihn leicht als Einbildung hätte abtun können. Denn zu dieser Zeit noch unterwegs zu sein, konnte sehr gefährlich werden. Keiner gestand es ein, aber auch niemand stritt es ab. Vor allem seit dem Vorfall mit den Leichen. Den blutleeren Leichen. Mit einem unheilvollen Platschen rauschten die Autoreifen über die Schlaglöcher und durch die Pfützen. Der linke Scheinwerfer warf einen weiten Lichtkegel, der rechte glomm dagegen geradezu erbärmlich. Wenn der Wagen unter dem kalten Blick der Laternen passierte, reflektierte sich das schummrige Gelb auf der ausgebeulten Motorhaube. Diese gehörte zu einem heruntergekommenen Pick up. Unscheinbar fuhr er durch die engen Straßen. Vorbei an den hohen Steinmauern. Und den Eisenspitzen obenauf. Seine Lackierung war ein dunkles Grün, das bereits an vielen Stellen abgeplatzt war. Vorwiegend oberhalb der Reifen zeigten sich deshalb bereits Rost und Metall. Das, was das verwahrloste Auto jedoch wirklich seltsam erscheinen ließ, war die schwarze Kunststoffplane. Straff war sie über ein erst später angebrachtes Gestell geschnürt und gespannt worden. Einige Schweißnähte blickten noch unter der Plane hervor. Es war ein einfacher, aber effizienter Weg, die Ladefläche zu verhüllen. Der Subaru Brat rumpelte ungehört in die Dunkelheit hinein. Die wenigen Straßenlaternen blickten ihm kühl hinterher. Irgendwo in der Nacht bellte ein Hund. Der Hafen war ein unbedeutender Rest der ehemaligen Industrie Nerimas. Sein Anblick erinnerte an einen vergessenen Sandkasten, in dem sich Unrat und kaputtes Spielzeug sammelten. Genauso ärmlich war der Anblick der wuchtigen Lagerhäuser. Aus angerostetem, grauen Wellblech und einige andere aus verfaultem Holz. Die Dächer eingebrochen oder eingedellt. Die meisten seit langer Zeit unbenutzt und unbegangenen. Die letzte Straßenlampe endete drei Meter vor der Umzäunung. Harter, teils verbogener Stacheldraht schützte das Gelände vor nächtlichen Besuchern. Nicht, dass er seiner Funktion gerecht wurde. Etwa achtzehn Meter neben dem eisernen Schiebetor war der Stacheldraht gekappt worden. Saubere und präzise Schnitte, wahrscheinlich mit einem Seitenschneider oder etwas ähnlich geeignetem. Kalt und rau wehte der Wind über die Straße. Eine Zeitung flatterte lustlos durch die kühle Luft. Der Pick up stand mit brummenden Motor vor dem Eingangstor. Ein hässliches Grün vor einem toten Grau. Die Fahrerkabine war stockdunkel. Niemand hielt sich darin auf. Beide Scheinwerfer waren deaktiviert. Es ratschte in der Nacht. Dann erzitterte die Kunststoffplane unmerklich. Ein durchdringendes Pfeifen erklang und wurde unmittelbar darauf von einem lauten Knirschen begleitet. „Ausgesprochen hässlich“, proklamierte ein Unbekannter fröhlich. Ein brachiales Krachen erklang. „Vollidiot! Spiel doch gleich die chinesische Hymne!“, schnaubte einer zweiter Schatten aufgebracht. „Jungs, beruhigt euch. Ihr müsst euch zusammennehmen, dass ist kein Spiel“, mahnte eine dritte Stimme. Sie klang sonor und erwachsen. Stille kehrte widerwillig ein. „Ihr habt maximal zwei Stunden. Beeilt euch. Und kommt heil zurück.“ Bis auf den Mondschein existierte keine Lichtquelle diesseits des Zauns. Taschenlampen waren ein unnötiges Risiko. Die größte Überraschung für einen Feind war es, wenn man scheinbar hilflos in sein Terrain eindrang. Denn dies weckte Überheblichkeit. Und oftmals war es diese Empfindung, die einen Feind zu Fall brachte. Eine wichtige Lektion, die man nie früh genug lernen konnte. Es aber meist erst zu spät tat. Die Stiefelsohlen knirschten über den Untergrund aus Kies. Jeder Tritt machte ihre Ankunft umso deutlicher. Doch keiner würde mit ihnen rechnen. Das war ihr Vorteil. Wenngleich auch nur ein winziger. Die drei Schemen waren im wenigen Licht kaum auszumachen. Einer rannte voraus. Unmittelbar hintendran liefen die beiden anderen Unerkannten. Der Vordere blieb abrupt stehen und deutete dann mit seiner Linken in die entsprechende Richtung. Der eine Schemen verschwand in der vollkommenen Dunkelheit. Daraufhin wies der andere Arm nach rechts. Auch der zweite verschmolz mit der Nacht. Die Figur verharrte einige Momente in der Stille. Seltsamerweise konnte man nicht einmal Wasserrauschen hören. Und das obwohl keine dreißig Meter entfernt Wellen gegen Beton brachen. Es war einfach nur still. Beunruhigend und unwirklich. Scheinbar unwillkürlich marschierte schließlich auch der letzte der drei los. Seine Gestalt blieb vom Mond angeleuchtet. Dann verschwamm sie im Schatten eines Warenlagers. Und mit einem brutalen Knall wurde die Ruhe gebrochen. Mitsamt der Tür des Warenlagers. Es konnte losgehen. Das schmale Gässchen zwischen zwei besonders unförmigen Bauten war totenstill. Undeutlich stachen Silhouetten aus der intensiven Dunkelheit. Man konnte Holzpaletten und Tonnen ausmachen. Es konnte aber auch etwas gänzlich anderes sein. Im Schatten wusste man nie. Was wie ein rostiges Stück Müll aussah, konnte einen Moment später lachend seine Zähne in einem vergraben. Bevorzugt im Bereich der Halsschlagader. Weniger Widerstand und eine wunderbare Quelle. „Immer vorausgesetzt man behält beim Tanken seinen Kopf auf den Schultern“, höhnte eine plötzlich durch die Gasse sprintende Gestalt. Bedenkenlos rannte sie auf die deutlich hervorstechenden Hindernisse zu. Und sprang mit einem gewaltigen Satz darüber. Erstaunlicherweise lautlos berührten die Stiefel den Untergrund. Die Figur Mu-Tsus bahnte sich ihren Weg überall hindurch. Egal ob umgestürzte Objekte den Durchgang versperrten oder anderweitige sichtbedingte Probleme auftraten. Unbeirrt setzte er seine Füße durch die Dunkelheit. Fast, als wäre er nicht auf Licht angewiesen. Als ob er seine Augen nicht bräuchte. Das tat er nämlich auch nicht. Für ihn war seine Umwelt eine konturlose weiße Fläche. Hin und wieder zeichneten sich dunklere Kontraste und Linien ab. Aber brachten diese etwas? Mu-Tsu schon, denn dies war seine Vision, seine Wahrnehmung. Die subtilen Striche im Weiß zeichneten Häuserkanten und die Kontur von Gegenständen ab. Die Kontraste gaben ihm einen Anhaltspunkt über Tiefen und Wölbungen. Es war eine komplexe Struktur aus Tälern und Bergen. Mu-Tsu konnte sie lesen. Und somit sehen. Dies war eine seiner Gaben. Und er danke Dei für seinen Beistand. Denn er war sein Hirte, sein Vater, sein Herr und Beschützer. In seinem Namen riskierte er sein Leben und das anderer. Es war eine Pflicht. Und ein Geschenk. Es war seine Mission. Eine ungewöhnlich breite Allee aus leer stehenden Lagerhallen. Trotz der guten Geräumigkeit blieb alles sehr dunkel. Hier regierte nicht der Mond, sondern sein Schatten. Zumeist bildeten hohe Tore den Eingang zu den leeren Gebäuden. Wie schwerfällige Ungetüme flankierten sie den breiten Weg. Weitgehend waren die Torschlösser intakt. Was man von den Fenstern nicht behaupten konnte. Oftmals waren selbst die Quer- und Längsverstrebungen aus Holz herausgebrochen worden. Der Grund dafür blieb unklar. Das leicht aufgeschobene Tor grüßte mit Dunkelheit. Eine vollkommene Pechschwärze. Tatewaki bezweifelte, dass eine Taschenlampe diese hätte durchdringen können. Dieses Schwarz war fast stofflich. Es schien gar nicht so abwegig, darüber Vermutungen zu äußern, ob man die Dunkelheit ergreifen könnte. „Soll ich mein Glück probieren?“, murmelte er amüsiert zu sich. Aufmerksam beobachtete er den Spalt. Mit einem Kopfschütteln wandte er sich ab und schritt weiter. Ohrenbetäubend klang das Geräusch nach. Ein unangenehmes, aber unvermeidliches Geräusch. Denn wenn er sich schon auf eine Hetzjagd begab, so wollte er doch zumindest den Haupteingang benutzten. Zuallererst konnte Ryoga nur Schwärze erkennen. Es war eine Dunkelheit, die wahrscheinlich sogar dem Sonnenlicht trotzten konnte. Fest und undurchdringlich. Fast wie Materie. Ein Grinsen kroch auf seine Lippen. Der Griff um seine Waffe wurde fester. Die Knöchel der Hand traten weiß hervor. Er war bereit. Mit zielgerichteten Schritten ließ er die Düsternis über sich zusammenschlagen. Seine Atmung war ruhig und ausgeglichen. Sein Brustkorb hob und senkte sich rhythmisch. Die Augen waren fixiert. Dann hörte er es und explodierte in eine Bewegung. Mit einem gewaltigen Satz sprang er vorwärts, vollführte eine Rolle und schwang sich um 180° herum. Ein Schemen hatte den Platz eingenommen, an dem er sich noch vorhin befunden hatte. Zwei Rubine brannten im Schwarz der Düsternis. Und selbst das Mondlicht kontrastierte die Konturen nur sehr schwach. Ryoga grinste und brachte seine schwere Waffe vor sich. Gerade als der Bambusschirm eine Diagonale zum Betonboden bildete, reagierte das Wesen. Mit einem unmenschlichen Schrei schoss es ihm entgegen, die Hände wie Klauen verformt. Die Augen glühten wie die eines Wolfes. Eines Wolfes aus seinen Träumen. Hier schien nichts zu sein. Mit einem übertriebenen Schulterzucken verließ die Gestalt ein Lagerhaus. Im Inneren war es dunkel. Dunkel aber unbewohnt. Und eine erstaunliche Wärme schlug der Person entgegen, als sie ins Freie trat. „Also ein Fehlschlag“, resümierte Mu-Tsu und ließ die Schatten hinter sich. Er gab es nicht gerne zu, aber er war dennoch froh, wenn er auf keinen von ihnen traf. Es war nicht die Angst vor dem Kampf. Sondern die Angst vor den Besiegten. Vor denen, die er geläutert hatte. Jenen, die durch seine Hand starben. Aber konnte man es so nennen? Sterben? Waren sie denn nicht schon längst tot? War es nicht das gestohlene Blut, das sie laufen, sprechen und wiederum töten ließ? Das war eine Frage für Philosophen und sofern er wusste, war er keiner. Vielleicht würde ja Tachi einmal eine Abhandlung darüber schreiben. Vorausgesetzt dieser legte sein Katana einmal aus der Hand. Mu-Tsu wurde aus seiner Träumerei gerissen. Nur ein Reflex hatte ihn vor der unerwarteten Attacke bewahrt. Der metallische Klang zerstörte die erhoffte Stille. Vom Drall des Angriffs zurücktrieben, distanzierte er sich durch einen Rückwärtssalto und landete geschmeidig mit den Stiefeln auf einer rostigen Tonne. Der milde Protest des Metalls blieb unerhört. Unterhalb seines Arms glänzte es. Und als der Chinese seine Armbeuge ohne jedwedes Zittern anspannte, offenbarte sich der Blick auf drei lange, scharfe Metallklauen. Die auch der Grund dafür waren, dass er noch lebte. Die grässliche Karikatur einer Frau betrachtete ihn. Ihre Haltung war gebeugt und ihre Finger zu Klauen verformt. Sie wirkte mehr wie ein wildes Tier, denn ein ehemaliger Mensch. Ihre Augen liefen über die Konturen seines Körpers. Er konnte das Prickeln spüren. Gier lag in ihrem Blick. Ein rein animalischer Wunsch danach zu fressen. Die Zähne in eine Ader hineinzustoßen und zu saugen. Sich an den Schreien des sterbenden Opfers zu weiden. Sich daran zu weiden wie ein entarteter Blutegel. Brennende Wut erfasste ihn bei diesem Anblick. Dumme Gier starrte zurück. Für sie war er nur ein weiteres mögliches Opfer. Beute. Und wie viele Hilflose waren wohl bereits durch sie qualvoll krepiert? Denn den Tod durch ein solches Monster konnte man kein Sterben mehr nennen. In seinem Magen zog sich alles zusammen. Die Augen waren zu Schlitzen verengt und trotzdem verharrte er noch. Er wusste, dass es ihm nichts als den Tod bringen würde, geradewegs auf das Wesen zuzustürzen. Er benötigte Kontrolle über jede seiner Handlungen. Er begann vor sich hin zu flüstern. „Ruhe bindet den Zorn. Ruhe lenkt den Zorn. Ruhe entfesselt den Zorn. Ruhe bewahrt den Zorn. Ruhe wird zu Zorn.“ Und fügte nach einem Augenblick an: „Zum richtigen Zeitpunkt.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. An die Stelle der Wut trat eine kühle Ruhe. Die Art von Ruhe, die jemand empfindet, wenn er verfolgt, wie ein Auto auf ihn zurast. Und die Sicherheit, die dieser jemand spürt, wenn er die Scheinwerfer sieht und weiß, dass sein Gegenüber bremsen wird. Oder ausweichen. Oder gegen ein Hindernis rasen und dabei selbst umkommen. Es gab kein ankündigendes Fauchen, noch nicht einmal ein Beugen der Knie. Die Kreatur sprang kopflos auf ihn zu. Die Finger weit gespreizt. Ein zerrissener Faltenrock flatterte um deren Beine. Die Augen glühten rot und die Lippen waren zu einem siegessicheren, manischen Grinsen verzogen. Der Mond beschien eine mit bloßem Auge kaum wahrnehmbare Bewegung Mu-Tsus. Ein kurzes Zucken des Ärmels. Ein unmerkliches Blitzen im Mondschein. Und mit einem Mal hatte sich die Kreatur ihrer Art des Angriffs angepasst. Bluttropfen glitzerten in den Mondstrahlen. Die Augen waren ungläubig aufgerissen. Der Körper fiel plump und leblos zu Boden. Erst einen Moment später schlug auch der Kopf mit einem widerwärtigen Geräusch auf dem harten Untergrund auf. Daraufhin segelten die langen, schwarzen Haare lautlos hernieder. Mu-Tsu sah das Feuer des Unlebens verlöschen. Die Konturen, die vorher noch dunkelrot hinterlegt gewesen waren, verblassten allmählich. Das wilde Feuer erstarb. Wie eine Silhouette bei Nacht, der man Stück für Stück die Schärfe nahm. Solange, bis sie schließlich selbst zu einem Teil der Dunkelheit wurde. Eine Dunkelheit, die er nur allzu gut kannte. Mu-Tsu trat unbekümmert vor und ging in die Knie. Seine Robe glitt über den unebenen Grund. Seine Hand griff zielsicher in eine matt schimmernde Pfütze aus Blut. Sorgsam hob er das Wurfmesser auf. Es war durch den Widerstand abgelenkt worden und hatte deutlich an Bewegungsenergie verloren. Außerdem war es eine Sonderanfertigung. Reines, hochprozentiges Silber. Scharf und effizient. Und daher kostbar. Ungeniert streifte er es an der Innenseite seines linken Ärmels ab und hielt es scherzhaft vor seine weißen Augen. Er erlaubte sich ein spöttisches Grinsen. Er würde das Silber nie glänzen, die Farbe von Blut oder ein Lächeln sehen können. Er war seit dem ersten Tag seines Lebens blind. Doch auf seine eigene Weise. Wenngleich die Welt um ihn weiß war, so konnte er doch Körper sehen. Doch waren es für ihn keine Leiber, sondern vielmehr Fackeln in der jeweiligen Form des Lebewesens. Und die Farbe der Fackeln befähigte ihn zum Unterscheiden. Grün war das Lebendige. Also Tiere, Menschen und zu einem gewissen Teil auch Pflanzen. Nur war deren Lebensenergie nicht so stark ausgeprägt wie das bei den anderen beiden Kategorien der Fall war. Ihr Grün wirkte blässer, ihre Konturen vager. Und Rot war das Untote. Das, was eigentlich für ihn unsichtbar sein sollte. Für Sterbliche unsichtbar sein sollte. Doch er sah es. So sehr er sich auch manchmal das Gegenteil wünschte. Mu-Tsu entließ einen Schwall warmer Luft. Und stand auf. „Stacheldraht.“ Tatewaki betrachtete den Zaun abschätzig. Während er der - ihm zugewiesenen - Route gefolgt war, hatte er letztendlich mit dem Begrenzungszaun Bekanntschaft gemacht. Und stand nun davor. Der Draht war an vielen Stellen gerostet. Was an den Jahren der Vernachlässigung ebenso hing, wie an der Nähe zum Wasser. Nicht, dass er es für nötig hielt, nachzusehen. Er wusste, dass sich wenige Meter zu seiner Linken eine gewaltige Wasserfläche erstreckte. Denn er konnte das Platschen der Wellen durchaus hören. Akolyth Kuno wandte sich uninteressiert ab. Bis jetzt war er noch auf keine dieser Kreaturen getroffen. Ob sie wohl Angst vor ihm hatten? Mit einem schwachen Grinsen schüttelte er den Kopf. Über diese Kindheitsidiotien war er hinaus. Denn für diese Träumereien hatte er einen teuren Preis bezahlen müssen. Ein paar Meter von ihm entfernt, ragte eines der Lagerhäuser auf. Die Wände bestanden aus Holz. Einem Holz, das schon bessere Tage gesehen hatte. Gemächlichen Schrittes näherte sich der junge Jäger dem Eingangstor. Dasselbige war durch ein Vorhängeschloss gesichert. Ein Schloss aus robustem Eisen. Zumindest musste es einmal robust gewesen sein. Denn nun hing es nur noch zur Zierde am Riegel. Es war aufgebrochen worden. Und zwar mit enormer Kraft. Tatewakis Lippen formten ein Lächeln. Mit einem schleifenden Geräusch zog er sein Schwert aus der Scheide. Die Metallfläche glänzte im Mondschein. Behutsam überbrückte er den verbleibenden Meter zur Tür. Dann verharrte und lauschte er. Nichts. Zumindest machte es den Anschein. Einen Anschein, der trog und schon viele vor ihm das Leben gekostet hatte. Deswegen entfernte er das Schloss auch mit Mittel- und Ringfinger, während Zeigefinger und Daumen das Heft des Schwertes umschlossen hielten. Dann warf er die defekte Türsicherung achtlos hinter sich, lockerte den eisernen Riegel und schob die Tür mit einem kräftigen Schwung seiner Rechten auf. Das Holz scharrte laut über den Boden. Man konnte hören, wie sich Unmengen an Splittern auf dem Untergrund abschabten. Man konnte es sehr gut und sehr laut hören. Ein Fauchen aus der Dunkelheit des hallenähnlichen Baus genügte als Bestätigung. „Welch’ rudimentäre Behausung. Du bevorzugst es rustikal, oder?“ Kuno hörte das Knirschen von Steinchen auf Staub. Und er vernahm das Rascheln von Kleidung, noch ehe er die glühenden Kohlen in der Dunkelheit sah. Mit einer raschen Bewegung vollzog er einen Ausfallschritt und zog sein Schwert in einer gewaltigen Diagonalen von unten nach oben. Und verfehlte. Die Kreatur, die er selbst jetzt, da sie sich dem Eingang bis auf wenige Schritte genähert hatte, nur schemenhaft wahrnehmen konnte, war behände zurückgewichen. Sie starrte ihn nun aus rot glühenden Augen an wie als wollte sie ihn verspotten. Vielleicht wollte sie das ja auch. Oder sie war einfach nur dämlich und ihr kurioser Blick Zufall. Gerade noch rechtzeitig duckte sich Tatewaki, um eine Klaue über sich hinwegsausen zu lassen. Knapp verfehlte sie sein Schwert, das noch immer ziellos in die Luft ragte. Dann hieb er mit seinem Schwert herab. Ein widerwärtiges Geräusch erklang. Fast so als hätte jemand in eine überreife Orange gebissen. Ohne die Schale zu entfernen. Ein unmenschlicher Schrei und brutaler Tritt ließ Kuno zurücktaumeln. Während er seine Balance richtete, fixierte er seinen Kontrahenten. Und spürte einen Schauder über seinen Rücken laufen. Vor ihm stand mit einem entsetzen Gesichtsausdruck ein Mädchen. Sie war noch jung und ihre Haut unnatürlich blass. Bis auf die Stelle, wo sich vorhin noch ihr linker Arm befunden hatte. Ein bleicher Stumpf, aus dem tiefrotes Blut quoll. Ihren mageren Körper bedeckte eine zerfetzte Schuluniform und ihr schwarzer Rock hing an der einen Hüfte so tief, dass man ihre Scham erahnen konnte. Kuno sah für seinen Geschmack zu viel. Und spürte seit langer Zeit wieder Übelkeit und Ekel. Der Mond ließ seinen Schein unbarmherzig niederfallen. „Sie ist so jung wie Kodac...“, wanderte es über seine Lippen; ehe er unterbrochen wurde. Es zischte einmal und dann ein zweites Mal. Beide Male zuckte Tatewaki zusammen. Vor ihm stieß das Mädchen ein wütendes Gurgeln aus. Aus ihrem Bauch stürzte das Blut geradezu. Ihre weiße Bluse verfärbte sich unterhalb des Schnitts stark rot. Dann schrie sie abermals, setzte einen weiteren zittrigen Schritt auf ihn zu und starrte ihn wahnsinnig an. Das Glühen in ihren Augen verschwand. Ihr Oberkörper fiel vor ihm mit einem dumpfen Laut zu Boden. Der Griff um sein Schwertheft verkrampfte sich. Eine quälende Sekunde später kippte der Unterkörper rückwärts. „Tot...“, hauchte der junge Akolyth und sah verständnislos auf die Gestalt vor ihm. Langes, schwarzes Haar, ungewaschen und ungekämmt. Eine Schuluniform, die in Fetzen ihren Leib bedeckte. Nun wirkte die Gestalt wieder so hilflos wie sie es vielleicht einmal gewesen war. Denn nun war sie tot. Behände wich Ryoga einem auf seinen Kehlkopf abgezielten Klauenschlag aus, ergriff das Handgelenk und zog es mit einem brachialen Ruck zu sich. Es knackste spröde und die Kreatur kam ihm unfreiwillig näher. Ihr wütendes Fauchen war nur kurzweilig, denn Ryogas Ellbogen rammte sich ihr brutal gegen die Schläfe. Ohne zu stoppen, ließ er das gebrochene Handgelenk los und rammte seinen Schirm in den Brustkorb des Wesens. Abermals knackte es und der Körper wurde fortgeschleudert. Mit einem Poltern kollidierte das Wesen mit einer Holzkiste, die sich für einen kurzen Moment nach innen hin wölbte und dann in Splittern zerbrach. Die Gestalt schrie erbost und rappelte sich auf. Die zwei glühenden Augen fixierten Ryoga abermals. Doch nun lag in ihnen ein Schimmer des Verstehens. Es hatte verstanden, dass es sich bei seinem Kontrahenten nicht um ein Opfer handelte, sondern um einen Jäger. Zwar fiel nur wenig Mondlicht in das Lagerhaus, doch konnte Ryoga das irre Grinsen auf den Lippen der Kreatur sehen. „Komm her du Bastard“, Ryoga brachte seinen Schirm abermals vor sich und wartete ab. Die Kreatur andererseits entließ ein wahnsinniges Gelächter und bewegte das gebrochene Handgelenk. Für einen kurzen Moment knackte es laut. Dann bewegte sich das Gelenk wieder einwandfrei. Das Biest funkelte ihn an, fast so, als erwartete es sich Applaus. Ryoga tat ihm nicht den Gefallen und blieb regungslos stehen. Währenddessen wanderten seine Augen vorsichtig. Behutsam, um die Gestalt seines Gegners jeden Moment im Auge zu haben. Die Halle war nur mittelgroß. Anhand der vielen kastenförmigen Berge ließ sich leicht erkennen, dass hier einstmals ein großes Depot gewesen sein musste. Ryoga entschloss sich, nach dem Ableben seines Gegenübers einen kleinen Blick in die Kisten zu werfen. Man konnte schließlich nie wissen, ob sich darin nicht etwas Brauchbares befand. Aus dem Augenwinkel registrierte er die Bewegung. Es war kaum mehr als ein Zucken. Doch es war hell genug, um auch dieses zu erkennen. Mit konzentrierter Miene erfasste Ryoga den Angriff. Die Kreatur war schnell. Schneller als üblich. Und sie besaß eine verstärkte Regenerationsrate. Für gewöhnlich benötigten die meisten von ihnen mindestens eine Nacht, um sich von gebrochenen Knochen zu erholen. Dieses Exemplar jedoch hatte das zerstörte Knochengewebe innerhalb weniger Minuten wieder hergestellt gehabt. „Interessant.“ Dann schlug die Kreatur zu. Und verfehlte. Geradezu katzenartig hatte sich Ryoga linksseitig abgerollt, war in der Hocke verblieben und hieb nun mit vollem Schwung nach rechts. Diesmal knackste es nicht nur, es krachte vielmehr. Der Schirm hatte ohne jedwede Mühe die Kniegelenke gebrochen, indem er genau in die beiden Beugen der Beine eingeschlagen hatte. Überrascht fiel die Kreatur nach hinten, während sich deren zerschmetterte Extremitäten geradezu makaber in die Luft hoben und dann dumpf zu Boden fielen. Der Schock des Wesens war kurzlebig. Denn wenngleich es noch gerade den Verlust seiner Mobilität erstaunte, traf Ryogas geballte Faust auf dessen Kopf. Das Ergebnis war das Geräusch einer splitternden Kokosnuss, gefolgt vom Aufplatschen eines Steins im Sumpf. Der junge Diener Deis ignorierte beides und verharrte einen Moment. Seine Hand war mit einem Male kalt. So kalt wie das Innere des Körpers, den er soeben ruhig gestellt hatte. „Schlaf gut.“ Dann erhob er sich und schüttelte seine Rechte angewidert. Vereinzelt tropfte es. Ohne dem Leichnam vor sich jegliche Beachtung zu schenken, wandte sich Ryoga den schemenhaft illuminierten Kisten zu. Es war zu dunkel, um wirklich etwas auszumachen, aber er glaubte, Schriftzeichen zu erkennen. Mit einer geübten Bewegung hieb er auf den Deckel einer der Kisten ein und erntete ein sprödes Brechen des Holzes. Ungeduldig schwenkte er seine Hand, um den aufgewirbelten Staub zu vertreiben und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dann blickte er hinein und erstarrte. Er hätte nicht sagen können, was er sich erwartet hatte, aber mit Sicherheit nicht, was er vorfand. Er kannte sich diesbezüglich nicht sehr gut aus. Aber man musste kein Experte sein, um eine M16 zu erkennen. Das lange Maschinengewehr glänzte im Licht und hatte im ersten Moment wie eine Attrappe oder ein Kinderspielzeug gewirkt. Doch es war weder das eine, noch das andere. Da war er sich sicher. Und es war auch nicht das einzige Objekt in der Kiste. Es hatte nämlich – so wie es schien – auch gleich seine Geschwister mitgebracht. Es war nämlich nicht nur eine M16, sondern dreizehn Stück. „Waffenhandel“, stellte Ryoga mit einem schiefen Grinsen fest, nur um im nächsten Moment herumzuwirbeln und seinen Besucher zu begrüßen. „Wenn wir mal nicht eine so tolle Polizei hätten“, drang eine amüsierte Stimme zu ihm. Die Anspannung des jungen Akolyths löste sich. Und er nahm den schweren Bambusschirm herunter, den er reflexartig zur Abwehr erhoben hatte. „Könntest du dich das nächste Mal anmelden, Mu-Tsu?“, grollte Ryoga und wandte sich wieder den Waffen zu, die unscheinbar im Mondlicht schimmerten. „Was denn? Hat mich unser großer Jäger nicht kommen hören?“, Mu-Tsu grinste als er neben seinen verärgerten Kumpanen trat und einen neugierigen Blick in die demolierte Kiste warf. „Weißt du, wo Kuno ist?“, fragte Ryoga nachdem der eingetroffene Akolyth die oberste M16 aufmerksam mit blinden Blicken bedacht hatte. „Nein. Keine Ahnung. Aber wahrscheinlich schlägt er soeben jemandem den Kopf ein.“ Der Langhaarige grinste und strich leicht über die glatte Oberfläche der Handfeuerwaffe. „Beruhigend zu wissen“, antworte Ryoga und ging vor der Kiste in die Hocke, einen konzentrierten Blick auf das Holz richtend. „T..., Taka..., Tela..., Teno?“, fragte er in die Stille hinein. Wer sollte dieser Teno sein? Gedankenverloren strichen seine Fingerkuppen über den Namen. Einmal, zweimal und plötzlich verharrten sie. „Warte mal.“ Da war eine weitere Rille im Holz. Möglicherweise von einem weiteren Buchstaben, der dort abgedruckt gewesen war. Auf jeden Fall handelte es sich um die westliche Schreibweise. Römisches Alphabet, wenn er sich nicht irrte. „Lass mich mal.“ Ryoga rückte zur Seite und überließ Mu-Tsu seinen Platz. Dieser legte seine Handfläche auf die Holzoberfläche. Mit geradezu entnervender Gemächlichkeit ließ er sie über das raue Holz gleiten. „Und?“, drängelte Ryoga und betrachtete seinen Kumpanen eindringlich. „D“, antworte dieser schlicht. „Wie bitte?“ „Der Buchstabe, den du suchst, ist ein D. Ergo heißt es nicht Teno, sondern...“, Mu-Tsus Stimme verlor sich und wie um sich seiner Aussage zu vergewissern, fuhr er nochmals über die Oberfläche. Sein Freund hingegen blickte geradezu erstarrt in die Stille und vernahm das Schaben von Haut auf Holz. Staub kitzelte in seiner Nase. „Ach du Sch...“, resümierte Mu-Tsu mit belegter Stimme. Ryoga unterbrach ihn unbewusst und sprach aus, was keiner von beiden glauben wollte. „Es hieß nicht Teno.“ Für einen kurzen Moment war es aufs Neue still. „Sondern Tendo.“ ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)