xxx von Himeka ================================================================================ Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Kapitel 7 Mamoru tat, was Kanae zu ihm gesagt hatte. Er ging wortlos in sein Zimmer, nahm sich seine Tasche aus dem Schrank, die er der Ordnung halber dort hinein gestellt hatte und begann zu packen. Eigentlich war es ihm ja klar gewesen. Das es so Enden würde. Take hatte schließlich eine Freundin. Das war unveränderlich gewesen. Außerdem waren sie schon lange zusammen, hatten vielleicht sogar vor zu heiraten... Mamoru nahm sich seine Sachen und schmiss sie einfach in die schwarze Tasche. Etwas in ihm sträubte sich dagegen zu gehen, andererseits wollte und konnte er Kanaes Gegenwart nicht länger ertragen. Sie machte ihm jeden Augenblick klar, dass er Take nicht kannte, nicht gut genug für ihn war und es eigentlich gar nicht verdient hatte zu Leben. Als er alles gepackt hatte, nahm er sich die Tasche und wollte gerade die Tür öffnete, um ins Zimmer zurückzugehen, als er bedeutende stille vernahm, die kurze Zeit später von Take gebrochen wurde. „Also gut, dann...“ „...dann muss Mamoru gehen.“ Es war Take schwer gefallen, das zu sagen, aber er hatte sich entschieden. Er hatte immer gewusst, dass das mit Mamoru schön und aussichtslos war und das letztendlich Kanae die Richtige für ihn war. Trotzdem fühlte er sich so elend, als hätte er eben ein Todesurteil gesprochen. Deswegen zuckte er auch wie unter einem Schlag zusammen, als er die offene Tür zum Arbeitszimmer bemerkte. „Mamoru, ich...“ Der Junge hatte Takes Antwort genau gehört, hatte sie sich im Grunde schon gedacht. Er hängte sich die Tasche über den die Schulter, öffnete die Tür dann ganz und ging, ohne ein Wort an die beiden Personen im Raum zu richten. Die Tür schien seltsam fern zu sein, dabei musste er doch gehen. Er musste sogar schnell gehen, sonst würde er hier nicht loskommen... Er griff nach seiner Jacke und verließ schließlich Takes Wohnung, ohne einen Blick zurück zu werfen. Er rannte die Treppe herunter und aus dem Haus, einfach die Straße entlang, ohne zu wissen, wohin sie ihn führen würde. Mamoru war weg und an ihm vorbei, bevor Take seinen Satz zu Ende bringen konnte. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und Take wollte ihm instinktiv nachlaufen, doch Kanae hielt ihm am Arm zurück. „Lass ihn. So ist es besser für uns alle. Ohne zermürbende Abschiedsszenen.“ Take wehrte sich nicht länger und ließ es einfach geschehen. Den Rest des Tages verbrachte er in einem seltsamen Dämmerzustand. Er half Kanae ihre Sachen auszupacken und räumte alles weg, was ihn an Mamoru erinnerte, wobei er jedes Mal einen Stich spürte. Mamoru rannte immer noch die Straße entlang, spürte Tränen in sich aufsteigen und letztendlich auch über sein Gesicht laufen. Er liebte Take. Zu sehr, um ihn zu verlassen. Er wollte und konnte sich gegen diese Gefühle nicht wehren. Er rannte weiter, auch als er außer Atem war und kaum noch atmen konnte, hörte er nicht auf. Er war verzweifelt. Was sollte er jetzt tun? Er kannte niemanden und er besaß auch nichts, womit er sich am Leben würde halten können. Kurz schwenkten seine Gedanken ab, ein Gesicht tauchte in seinem Kopf auf. Toya... Ja, sein Bruder war noch da. Aber Mamoru würde wohl kaum zu ihm gehen. Toya hasste ihn schließlich... Warum sollte er ihm gerade jetzt helfen? Mamoru verlangsamte sein Tempo und lief nun gemächlich weiter. Was sollte er jetzt machen? Er durchsuchte seine Tasche und zählte das Geld was er noch finden konnte. Er durchwühlte jede Stofffalte, die ihm einfiel bzw. in welcher er mal Geld versteckt hatte. Letztendlich hatte er noch knapp 10.000 Yen. Damit könnte er zwei, drei Tage überleben, wenn er sparsam wäre. Nach ein paar Metern entdeckte er nahe der Straße ein öffentliches Gebäude und beschloss, es näher zu begutachten. Er versuchte sich den Menschen entgegen in die Halle zu drängen und stellte dann mit überraschtem Blick fest, dass er direkt am Hauptbahnhof von Tokyo gelandet war. Mamoru drehte sich auf dem Absatz um, und verließ den Bahnhof sogleich wieder, als ihm bewusst wurde, wo er sich befand. Zu viel hier erinnerte ihn an die vergangenen tage, an Take. Ein Stich durchbohrte sein Herz, als ihm erneut klar wurde, dass er Take verloren hatte... Wieder auf der Straße lief er weiter nach Norden. Er wusste nicht, was ihm passieren würde und wo er ankommen würde und eigentlich war es ihm eh egal. Sein ganzes Leben war egal. Beim nächsten Kiosk, der seinen Weg säumte, hielt Mamoru an und holte sich etwas zu trinken. Seine Kehle war vom Laufen wie ausgedörrt... Wieder auf der Straße blickte der Junge zum Himmel, welcher immer dunkler wurde. Die Sonne ging unter... Langsam sollte er nach einem Schlafplatz Aussicht halten, wenn er die Nacht nicht auf der Straße verbringen würde wollen. Wie zur Bestätigung begann es über ihm zu grummeln und dunkle Wolken begannen den klaren Himmel zu verdecken. Eigentlich störte es ihn wenig, drehten sich seine Gedanken doch einzig und allein um Take. Er wollte zwar auch nicht unbedingt nass werden, aber das war reine Nebensache. Trotzdem beschleunigte er seine Schritte und wurde schon nach ein paar Minuten fündig. Sein Unterschlupf würde ein Kaufhaus sein. Trotz der späten Stunde war es noch hell erleuchtet. Mamoru trat durch die große Glastür und kniff fast im gleichen Moment die Augen zusammen, konnte er die Helligkeit doch nicht ertragen. Im Inneren war es nicht warm, aber auch nicht so kalt wie draußen. Hier würde er die Nacht auf jeden Fall überleben... Und vielleicht würde der nächste Morgen ja ganz anders aussehen. Das plötzliche Gewitter, das über die Stadt hereinbrach, traf genau Takes Laune am Abend dieses Tages. Sie war schlecht gewesen und kontinuierlich gesunken, proportional zum Level des gegenseitigen Ärgers, der zwischen Kanae und ihm knisterte, seit hinter seiner Affäre die Tür ins Schloss gefallen war. So war es nun, da sein Magen vor Hunger rebellierte - weil Kanae in einem Anflug von Biestigkeit (und vielleicht etwas Neid auf Mamorus bessere Kochkünste), das schon fertige Mittagessen weggeworfen hatte, gab es eben kein Essen – eine Kriegsfront, gleich der eines Ehekrachs, bei der Take auf alles gereizt antwortete, was Kanae zu ihm herüberzickte. Nachdem sie nach alter Manier eine Pizza hatten liefern lassen, die sie in schweigender Übereinkunft tonlos verspeisten, packte Take eine seltsame Unruhe. Kanae hatte einen versöhnlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt und schien ihn unter ihren schweren Augenliedern heraus zu beobachten, während er begann, ziellos durch die Wohnung zu tigern. „Sei nicht mehr böse, Taketo.“ Sie war hinter ihn getreten und ließ ihre weiche Stimme direkt in sein Ohr fließen. Er kannte diesen Ton; früher hatte er darauf gewartet ihn zu hören, aber heute machte sie ihn damit plötzlich mehr als nervös. Sie wollte sich versöhnen und Kanaes Art sich nach einem heftigen Streit wie dem heutigen zu versöhnen war meistens heißer Sex. Da kam sie schon, drehte ihn herum, küsste ihn. Er ließ es geschehen – für einen Augenblick, dann stand er plötzlich im Badezimmer und küsste Mamoru. Die Erinnerung war so schnell über ihm, das er Kanae unwillkürlich wegstieß. „Sorry, mir ist grad nicht danach.“ Und bevor er richtig nachgedacht hatte, hatte er seine Jacke übergestreift. „Ich gehe aus.“, sagte er schwammig und verließ die Wohnung, in der eine gekränkte Frau zu verstehen begann, dass sie möglicherweise verloren hatte. Toya war gerade dabei gewesen, einen Abend vor dem Fernseher zu planen, als es klingelte. Er freute sich immer über Besuch und besonders über diesen: Take stand vor der Tür. „Hey altes Haus, was geht?“, begrüßte Toya seinen triefnassen Freund grinsend. „Hast ganz schön was abgekriegt von dem Mistwetter, was?“ Take machte einen düsteren Eindruck, als er ohne zu antworten an ihm vorbei in die Wohnung trat. „Toya... Du bist doch mein Freund, oder? Kann ich heute bei dir schlafen?“ /Oho, da gibt’s wohl Ärger im Paradies... Kanae-chan muss wie ne Bombe reingeplatzt sein./ „Klar, kein Problem, wenn das Sofa dir reicht?!“ „Bestens.“, war die knappe Antwort und Toya hatte auf einmal das Gefühl, mit Take wäre eine dunkle, unbehaglich kalte Wolke von schlechter Laune in seine Wohnung geschwappt. Er war offensichtlich nicht in Plauderlaune, aber Toya war neugierig wie sich sein Eingreifen ausgewirkt hatte. Er hatte die denkbar einfachste Lösung seines Bruder-Problems über die Bühne gebracht, indem er Kanae einen kleinen Anruf gewidmet hatte. So wurde er Mamoru los und Take war hoffentlich nicht mehr so von ihm besessen. Das war der Plan. „Was ist passiert? Steht deine Wohnung unter Wasser?“ fragte er scheinheilig. Take hatte sich auf´s Sofa gesetzt und blickte ohne hinzusehen auf den Fernsehbildschirm. Er antwortete nicht und Toya fand sich damit ab, nachdem er Takes Gesicht eingehend studiert hatte. Er begann sich zu fragen, ob er vielleicht einen furchtbaren Fehler gemacht hatte, indem er sich eingemischt und gleich zwei Beziehungen seines Freundes zerstört hatte. Er hatte plötzlich Schuldgefühle und das mochte er gar nicht, doch er mochte es noch weniger, Take so niedergeschlagen zu sehen. Aus einem Impuls heraus setzte er sich neben ihn und nahm ihn in den Arm. Take reagierte überhaupt nicht darauf. Nach einer Ewigkeit fragte er plötzlich: „Kann ich dich mal was fragen?“ „Mhm, klar...“ „Was ist Liebe?“ Toya war irritiert – sprach Take jetzt über Kanae oder Mamoru? „Ich weiß nicht... Warte. Liebe ist... wenn man sich ohne Worte versteht... wenn die Zeit stehen bleibt, wenn man sich küsst... wenn es wie körperlicher Schmerz ist, wenn man getrennt ist und wenn man selbst in einem riesigen Saal voller Menschen nur Augen für diese eine Person hat.“ Stille. Toya fühlte sich blöd und kam sich furchtbar kitschig vor. Er wollte gerade hinzufügen, dass er das gar nicht ernst gemeint und einen Witz gemacht hatte, als Take sanft die Hand auf seinen Arm legte und ihn weg schob. Er rieb sich über die Augenlieder und stand auf, einen seltsam entschlossenen Ausdruck in den Augen. „Danke. Toya.“ Take stand auf und ging zur Tür, tätschelte dabei freundschaftlich Toyas Kopf. Als die Tür hinter ihm zugefallen war, kam Toya die Wohnung groß und leer vor; er fühlte sich auf einmal einsam. Langsam lief Mamoru die Gänge entlang und besah sich die Schaufenster. Keines sprach ihn besonders an, sodass er bald in den zweiten Stock ging. Gerade als er den Fuß auf die letzte Treppenstufe setzen wollte, verlosch das Licht. Der braunhaarige Junge stand still da und schärfte seine Ohren, nahm jedoch nichts verdächtiges wahr. Wahrscheinlich waren die letzten Mitarbeiter jetzt gegangen. Das hieße, er war völlig allein... Mamoru ging noch ein paar Meter den Gang entlang, bevor er sich auf den Boden setzte und an eines der Schaufenster lehnte. Wie ein Blitz schlug Takes Bild in seines Gedanken. Er hatte versucht, die Nahe Vergangenheit zu verdrängen, scheiterte aber kläglich. Er konnte den Älteren einfach nicht vergessen. Er hatte sich wirklich in ihn verliebt... Und er konnte einfach nicht glaube, dass Take keine Gefühle für ihn gehabt hatte. Und wenn es auch nur ein paar gewesen waren. Während Mamoru still weiter über den Älteren nachdachte, fielen ihm die Augen zu und er versank langsam in unruhigem Schlaf... Als er am nächsten Morgen erwachte, waren seine Beine kalt und steif. Er versuchte einen Fuß zu bewegen, schaffte es jedoch nicht. Es kostete ihn viel Mühe, einfach aufzustehen und sich zu bewegen, so dass das Blut auch wieder in den unteren Teil seines Körpers fließen konnte. Nachdem er sich dann wieder richtig bewegen konnte, machte er sich darauf, dass Kaufhaus wieder zu verlassen. Er konnte hier schließlich nicht ewig bleiben. Sobald er die Straße betrat, blies ihm ein strenger Wind ins Gesicht. Der abendliche Regen hatte sich in einen Sturm gewandelt. Die Bäume bogen sich unter den Böhen und Mamoru hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Was sollte er jetzt machen? Immer wieder tauchte diese Frage in seinen Gedanken auf. Konnte er Take zurückgewinnen? Hatten ihre Gefühle eine Chance? Langsam rann eine Träne über seine Wange. Mamoru hob seinen Arm und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Er sollte nicht weinen… Das würde die Situation eh nicht ändern. Seine Beine trugen ihn fast von allein durch die Stadt und stoppten schließlich vor dem TokyoTower. Überrascht blickte er den großen Turm an. Warum war er gerade hier gelandet? War es wegen… Take? Mamoru erinnerte sich an den Unfall zurück, blickte dann nach unten auf seinen Knöchel. Take hat sich so lieb um ihn gekümmert und ihn gepflegt. Und er selbst war so glücklich gewesen… Und jetzt? Alles vorbei… Er hatte nun das verloren, an dass er sich in Tokyo gehalten hatte. Er hatte niemanden mehr hier, der ihn mochte. Er war allein auf der Welt. Hatte sein Leben überhaupt noch einen Sinn? Sehnsüchtig blickte Mamoru den Turm hinauf. Schritt für Schritt, fast gesteuert, ging er auf den Schalter zu und holte sich schließlich eine Karte für den Fahrstuhl. Er wollte auf die Plattform, wollte die Aussicht genießen… Während er den Aufzug betrat und auf die Höhenanzeige blickte, begann sein Herz schneller zu schlagen. Noch 50 Meter… Was wollte er eigentlich machen, wenn er oben stand? Wollte er sich wirklich in den Tod stoßen? Als er die Türen wieder verließ, war er sich dessen gar nicht mehr so sicher. Nach ein paar Metern gehen, ließ er seine Tasche auf den Boden fallen und setzte sich selbst daneben. Er umschlang mit den Armen die Knie und blickte auf den Boden unter sich. Und nun? Sollte er springen? Oder lieber sitzen bleiben? Die Besucher, die sich die Aussicht von Tokyo anschauen wollten, warfen ihm abschätzige Blicke zu, manche der Kinder zeigten auf ihn. Aber Mamoru scherte sich nicht darum. Diese Leute waren ihm egal. Alle Menschen waren ihm egal. Ausgenommen Take. Der junge Mann schien der einzige Lichtblick in seinem Leben zu sein. Aber er hatte sich von ihm abgewandt und sich ganz offensichtlich für Kanae entscheiden. Mamoru hatte die Worte gehört. Nun begannen die Tränen wieder zu fließen. Diesmal schlimmer. Sie flossen, als hätte man alle Dämme gebrochen, die ihn je am Leben gehalten hatten. „Take… Du Idiot. Ich liebe dich! Und was machst du…?“ Die Worte waren ein Flüstern, eher eine Lippenbewegung, verließ doch kein Ton seinen Mund. Seltsam; Toya hatte trotz all seinem Spaßvogel-Gehabe den Nagel auf den Kopf getroffen. Als Take wieder in den Regen hinaustrat, wusste er, was er tun würde. Kanae war immer an seiner Seite gewesen. Sie hatten zusammen einiges durchgemacht, gelacht, geweint. Sie hatten sich oft gezofft, aber niemals wirklich gestritten. Er hatte Kanae heiraten wollen, sein ganzes Leben mit ihr verbringen wollen… aber in dem Augenblick, als Mamoru den Raum betreten hatte, in dem Take und Kanae geredet hatten, war sie unsichtbar, stumm geworden und Take hatte nur noch Augen für ihn gehabt. Take wandte sich in Richtung seiner Wohnung. Das wichtigste war jetzt, einen klaren Schlussstrich zu ziehen. Er war entschlossen, es musste sein und er wusste, was das bedeutete. Kanae stand schweigend daneben und sah zu, wie er packte. Sie hatte es beinahe befürchtet und obwohl es ein Schock gewesen war, gab sie sich ruhig, während sie mit Take, der über die Schulter mit ihr sprach, die Vermögens-, Sach- und Wohnungswerte klärte. Fürs erste nahm er alles Wichtige mit, was in eine Tasche passte; den Rest packte er in Kartons, die er versprach abzuholen, sobald er eine neue Wohnung gefunden hatte. Des weiteren einigten sie sich darauf, dass Take weiterhin die Hälfte der Miete bezahlen würde, bis auch sie eine passende Wohnung fand – schließlich war er es, der überstürzt auszog und er wollte sie nicht noch mehr belasten. Es tat Take unendlich Leid, aber er wusste, dass es das war, was er wirklich wollte – dass er Mamoru wollte und das hieß, dass er Kanae ganz und gar verlassen musste. Er wusste nicht, ob er Mamoru finden würde – Tokyo war groß und es war schon fast morgen -, doch er würde ihn suchen. Er wusste nicht, was er tun, was er sagen sollte, wenn er ihn fand und ihm dann gegenüber stand und ob Mamoru überhaupt noch Lust darauf hatte, sich mit einem obdachlosen Verrückten einzulassen, dessen Liebesbeziehung zu Mamoru ihn zum gesellschaftlichen Ausgestoßenen machen würde. Take lächelte zynisch. Er gab alles auf, was bisher gut und sicher gewesen war, ohne zu wissen, ob er den, den er wollte, überhaupt bekam. Er schulterte die gepackte Tasche und ging zur Tür. Im Flur blieb er noch einmal stehen. „Wenn du… Wenn irgendwas ist, kannst du mich immer anrufen. Ich… Es tut mir Leid, aber ich kann mein Herz nicht belügen. Pass auf dich auf.“ Als er auf seinem Motorrad die Garage verließ, ging die Sonne auf. Er lächelte leicht, als er seinen Blick blinzelnd Richtung Sonnenaufgang wandte und sich eine scharfe, lange Silhouette in seinen Pupillen widerspiegelte. Er grinste. Vielleicht konnte er Mamoru ja von da oben sehen und wenn er ihn wirklich fand, würden sie zusammen da rauf gehen: auf den Tokyo Tower. Ohne einen weiteren Gedanken an mögliche Szenarien zu verschwenden, lenkte er seine Maschine Richtung Stadtmitte. Mamoru saß weiter auf dem Boden, ignorierte die Blicke der Touristen. Er wusste nicht, was er anderes hätte machen sollen. Er hatte weder Geld, noch eine Wohnung, noch Freunde, die ihm helfen konnten. Er hatte nur Take gekannt… Und dieser hatte ihn verletzt. Stumm liefen ihm erneut Tränen aus den Augen und in gewisser Weise erschreckte es ihn, dass er so wehleidig war. Aber er war schon immer so gewesen und die Wahrscheinlichkeit, dass er sich dahingehend änderte war verschwindend gering. Mit einem leisen Schniefen wischte sich Mamoru über die Wange, vertrieb die Tränen und stand dann auf. Weinen brachte ihn weder weiter noch brachte es ihm Take zurück. Er blickte in den Himmel über sich, sah schwarze Vögel ihre Kreise ziehen. War das ein Zeichen? Oder Zufall? Schicksal? Sollten sie ihm seine Entscheidung erleichtern? Ohne zu wissen was er tat, lief Mamoru ein paar Meter um die Kuppel und steuerte dann auf das Geländer zu. Er legte seine Hände auf das kühle Metall. Was würden ihm sein Leben schon bringen, jetzt wo Take ihn mehr als offensichtlich abgewiesen hatte? Entschlossen stützte er sich auf das Geländer und ließ dann beide Beine über die Absperrung gleiten. Nun stand er vollends außerhalb des sicheren Bereiches. Schon nach einigen Sekunden zeigten die Besucher auf ihn und versammelten sich um den Punkt, an dem er sich befand. Erneut zögerte er, doch dann kam ihm wieder die essentielle Frage in den Sinn: Worin lag der Sinn seines Lebens? Es gab niemanden, für den er leben musste. Sein Bruder hasste ihn. Sein Vater war tot. Seine Mutter hatte ihn verlassen. Take hatte seine Gefühle nicht erwidert und ihn abgewiesen. Langsam löste er seine Arme von dem Geländer und fiel so noch ein bisschen weiter nach vorne… Take hatte durch den frühmorgendlichen Pendlerverkehr fast eine Stunde gebraucht, um den Tower zu erreichen und in dieser Zeit begann er stark zu zweifeln. Hatte er das Richtige getan Kanae zu verlassen und auszuziehen? Würde er Mamoru je wieder finden? Nach vielen Grübeleien hatte er sich entschieden, dass es hatte sein müssen. Zwischen Kanae und ihm hätte es nach dieser Sache nicht mehr funktioniert. Und was Mamoru betraf, galt für ihn jetzt das Sprichwort ´ganz oder gar nicht´. Er stellte sein Motorrad in einer Seitenstraße ab und musste über sich selbst lächeln, als er auf den Tokyo Tower zuging. Es war vollkommen unmöglich, Mamoru von dort oben zu sehen, aber er hatte das Gefühl, seine Suche würde erfolgreicher verlaufen, wenn er hier Glück tankte. Er stutzte, als er vor dem Turm eine aufgebrachte Menschenmenge stehen sah. Hier war es zwar immer voll, doch so früh am Morgen? Er hörte Menschen in vielen Sprachen aufgeregt schnattern. Die meisten hatten den Kopf in den Nacken gelegt und sahen zur Plattform hinauf, viele deuteten mit dem Finger nach oben. „Was ist denn los?“ fragte Take ein paar Leute, die eindeutig nach Japanern aussahen. Jemand antwortete: „Da oben will einer runterspringen. Deswegen ist der Turm gesperrt. Keiner kann rauf und hier unten versuchen die Polizisten die Leute wegzuschaffen, damit niemand getroffen wird, wenn er springt. Aber die Touris wollen nicht abhauen.“ Er deutete um sich herum. Jetzt sah auch Take Blauuniformierte, die versuchten, die Menge zu zerstreuen. Er sah nach oben und blinzelte. Es war kaum etwas zu erkennen, außer einer kleinen Silhouette, die auf der Berüstung stand. /Dann eben nicht./ Take wandte sich um, um zu seine Maschine zurückzugehen. Er drängte sich durch die Menge. „…gehört es ist ein Junge.“ „Ja, noch fast ein Kind. 18 vielleicht.“ Satzfetzen drangen an sein Ohr. Ein junger Mensch wollte sich umbringen – das war furchtbar. Take quetschte sich durch eine Menschentraube, die sich um den Turmwärter drängte. Dieser sagte gerade gestikulierend: „Wenn ich´s ihnen doch sage: Der Junge war schon mal hier. Ist rumgeturnt und gefallen – von da.“ Er deutete auf einen undefinierbaren Punkt am Rande der Menge, da einige erschreckt geraunt hatte, als er >runtergefallen< sagte. „Musste ohnmächtig weggetragen werden. War vor ´n paar Tagen und ich ab alles von da gesehen.“ Diesmal zeigte er auf den Tower. „Ich wusste, der macht ärger.“ Take spürte den Boden nicht mehr unter den Füßen. Ihm wurde schwarz vor Augen und er fühlte sich plötzlich leer und kalt. Das da oben war Mamoru. MAMORU! Take schob unsanft eine Frau beiseite und packte den verdutzten Turmwart am Kragen. „Ich muss darauf!“ presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Hören Sie.“ Sagte der Mann beschwichtigend. „Sie können jetzt nicht auf den Turm. Da ist ein Selbstmörder, der…“ „Ich weiß!!“ Jetzt schrie Take und kam dem Gesicht des Mannes gefährlich Nahe. Er wirkte leicht verrückt. „Dort oben steht mein freund und es ist meine Schuld, dass er da steht. Also, lassen sie mich zum Teufel noch mal darauf!! SOFORT!!“ Der Mann sah ihn einen Augenblick lang völlig verdutzt an, dann sagte er: „Kommen sie. Wir müssen uns beeilen.“ und bahnte ihnen mühelos einen Weg zum Fahrstuhl. Er hielt sich nicht mit unnötigen Erklärungen auf und schob Take in den Fahrstuhl, während er sich zu dem wütend herausstürmenden Polizisten umwandte. Take tigerte hibbelig durch die Kabine des Fahrstuhls und warf ständig nervöse Blicke nach oben. Er fürchtete jede Sekunde Mamorus Körper an sich vorbei gen Erde fliegen zu sehen. Ding. „Aussichtsplattform“ säuselte eine Frauenstimme, aber Take war schon aus der Tür. Ein paar Leute standen in geringem Abstand um das Geländer, aber keiner wagte es näher zu treten, aus Angst er würde springen. Eine Frau, die ein Kind an der Hand hielt, redete ernst auf Mamoru ein. Take stand neben ihr und wusste plötzlich nicht mehr, was er tun sollte. „Mamoru…“ flüsterte er, doch seine Stimme ging in dem allgemeinen Krach der Menge, oben und unten, unter. Mamoru hing nur noch locker an den Fingern am Geländer und schien nichts zu hören. Er sah aus, als würde er jede Sekunde loslassen. Take fasste eine Entscheidung, alles oder nichts (unterbewusst fiel ihm auf, dass er eine Schwäche für drastische Sprichwörter hatte) – er machte drei schnelle Schritte. Die Menge schrie auf, als Mamoru, aufgeschreckt durch das plötzliche metallischdumpfe Stampfen, sich umdrehte und ins Schwanken geriet. Aber da war Take schon bei ihm, packte ihn unter den Achseln und hob ihn problemlos über das Geländer; seine Angst, Mamoru jetzt noch zu verlieren, verlieh ihm die Kraft dazu. Er stellte Mamoru auf den Boden und zerrte ihn dann ohne auf ihn oder die Menge zu achten Richtung Fahrstuhl, weg vom Geländer, weg von der Gefahr. Er starrte Mamoru an, dann holte er aus und gab ihm ohne Vorwarnung eine schallende Ohrfeige. Er war so wütend, dass er es im Augenblick nicht in Worte fassen. Dann kam die Erleichterung. Sie spülte über ihn hinweg und riss ihn mit. „Mamoru, du Idiot! Mach mir keine Angst!“ Er schloss ihn in die Arme, hielt ihn fest und war ganz sicher, ihn nie wieder loszulassen. Seicht ließ er den Wind seinen Körper umspielen. Er schloss die Augen und vor seinem Inneren Auge erschien Takes Bild. Langsam rann ihm eine Träne über die Wange, bis hin zu seinem Kinn und schließlich in die Tiefe. Er öffnete die Augen wieder, blickte noch einmal nach hinten zu den Touristen. Eine der Frauen öffnete und schloss den Mund, schien mit ihm zu reden, aber kein Wort erreichte seine Ohren. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Es schien, als hätte sein Kopf schon mit dem Leben abgeschlossen. Dann hörte er plötzlich hinter sich Schritte und blickte sich um. Take stürmte direkt auf ihn zu! Einen Augenblick weiteten sich seine Augen, dann drehte er sich wieder nach vorn und genau in diesem Moment verlor einer seiner Füße den Halt. Er schwankte kurz, bevor er einen Arm vom Geländer löste und so gefährlich nah am abstürzen war. Fast im selben Augenblick spürte er zwei starke Arme unter den seinen und eh er sich versah, stand er wieder sicher auf der Plattform. Bevor er die Anspannung lösen konnte, die seinen Körper in Gefangenschaft hielt, hatte Take ihn schon bei der Hand genommen und gewaltsam vorwärts gedrängt. Seine Hand begann schon nach ein paar Sekunden zu schmerzen, was allerdings nicht gegen die Ohrfeige war. Sie kam unerwartet und überrascht. Erschrocken hielt sich der Junge die Wange und bekam nur die Hälfte der Worte mit, die Take ihm entgegen schrie. „...Mach mir keine Angst!“ Was sagte er da? Noch ehe er weiter über die Worte nachdenken konnte, spürte er eine Wärme ihn umschließen. Mamoru stand stocksteif da, wusste nicht, was mit ihm geschah. Take hatte ihm gerade gesagt, dass er ihm Angst gemacht hatte… und dann hatte er ihn umarmt, hielt ihn immer noch fest. Langsam hob Mamoru die Hände und bewegte sie zwischen sich und Take und schob den anderen von sich weg. „Was soll das? Warum bist du hier?“ Seine Worte waren ein ersticktes Flüstern und Tränen brannten in seinen Augen. „Wenn es nur aus Mitleid ist, dann kannst du wieder gehen. Du hast dich schließlich für deine Freundin entschieden…“ Fahrig fuhr er sich mit dem Handrücken unter der Nase entlang. Dann lief er ein paar Schritte zurück um noch mehr Abstand zwischen sie zu bringen. Er wollte Takes Mitleid nicht. Mamoru liebte ihn. Er wollte nicht nur mit ihm befreundet sein. Er wollte mehr. Und wenn er das nicht kriegen konnte, wollte er gar nichts. „Idiot! Du bist wirklich unglaublich!“ Takes Wut flammte ganz plötzlich mit noch heftigerer Macht auf und er hätte Mamoru gern noch einmal geschlagen. „Hättest du auch nur eine Sekunde aus deiner Selbstmitleidswelt gefunden, in der du nur dich als Opfer siehst, dann hättest du vielleicht mitgekriegt, dass ich… Zum Teufel, hast du eigentlich noch nie in den Spiegel geguckt? Du bist der unglaublichste Mensch, der mir je begegnet ist.“ Takes Lautstärke war gesunken und er hatte einen resignierten Tonfall angenommen. „Du bist freundlich und begabt und in deinen Augen kann man sich verlieren… Wenn ich nicht so feige gewesen wäre und an meinem gewohnten Leben hätte festhalten wollen, hätte ich gleich dich gewählt, weil… weil…“ Ihm gingen Toyas Worte durch den Kopf. „weil die Zeit stehen bleibt, wenn ich mit dir zusammen bin und für keinen anderen mehr Augen habe und mir schon diese paar Stunden in der Uni, die ich jeden Tag von dir getrennt bin, endlos erscheinen.“ Take merkte erst in diesem Augenblick , wie wahr seine Worte doch waren, denn er sah die vielen Menschen, die aufgeregt tuschelnd um sie herum standen, überhaupt nicht. „Aber hättest du mir ein bisschen Zeit gelassen, darüber nachzudenken und wärst nicht gleich auf und davon gestürmt und auf den nächstbesten Turm geklettert um – ja was eigentlich? Bist du verrückt oder was? Hast du gar kein Selbstwertgefühl? Bedeutet dir dein Leben so wenig, das du es gleich wegwirfst, wenn du mal enttäuscht wirst? Was bist du nur für ein Idiot!!“ Seine Stimme war wieder laut geworden, doch sein Gesicht drückte nur Besorgnis aus, als er Mamoru jetzt an den Schultern packte und leicht schüttelte. „Wenn ich nicht per Zufall hierhergekommen wäre – dann wärst du jetzt tot, für nichts und wieder nichts. Mach das nie wieder, du Idiot!“ Und damit warf er den letzten Rest Anpassung vom TokyoTower und küsste Mamoru vor all diesen Leuten. Mamoru blickte auf den Boden, hörte nach ein paar Minuten Takes Worte wie aus weiter Ferne an sein Ohr dringen. Er wollte gerade den Mund aufmachen, um sich zu wehren, war er doch mit Takes Anschuldigungen an seiner Person gar nicht zufrieden, da setzte sein Herzschlag aus. Er war nach vorn gezogen worden und hatte nicht einmal mehr eine Chance gehabt, etwas zu sagen, geschweige denn sich die Worte auch nur zu überlegen. Er sah Take vor sich, konnte den Kuss aber nicht so recht fassen. Erst nach einigen Sekunden schlang er seine Arme um den anderen und schloss die Augen. Diese Gefühl… war großartig. Nun wusste er, dass er doch nicht verloren war. Und nun verstand er die vergangene Woche. Einzelne Tränen traten aus seinen Augen hervor, rollten die Wangen herab und wurden immer mehr. „Take…. Ich… Ich liebe dich!“ brachte er nach mehreren Minuten hervor, immer wieder unterbrochen von einzelnen Schluchzern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)