Das Tatsumi-Gen von DJ_Vierauge (*NEU* Rick & Phil-Special!) ================================================================================ Kapitel 12: RICK & PHIL-SPECIAL: The Men I Love ----------------------------------------------- Autor: DJ Vierauge Titel: „RICK & PHIL-SPECIAL: THE MEN I LOVE“ (Extra-Story zu „Das Tatsumi-Gen“) Serie: Fanfiction zu den Serien „Verliebter Tyrann“ und „Küss mich, Student!“ von Hinako Takanaga Pairings: Phil x Rick, Steven x Rick, Rick x Phil; Kurokawa + Tomoe, Rick + Tomoe, Soichi + Tetsuhiro Genre/Warnungen: Shounen-ai/Yaoi, Lime, Romantik, Waff/Fluff, etwas Drama, etwas Humor, evtl. leicht OOC (Rick, und vermutlich auch Phil?), OC, Language (ein paar wenige englische Worte) Rating: ab 16 Jahren Disclaimer: Alle Personen sind das Eigentum von Hinako Takanaga. Ausnahmen sind Jamal Rahim, die Blumenhändlerin, Steven und Ricks Vater, die ich dazu erfunden habe. Ich verdiene kein Geld mit dieser Geschichte. Zusatz-Warnungen: Ungeschützter Geschlechtsverkehr kann Folgen haben! Rauchen im Stall ist gefährlich! Alkohol trinken ist schädlich! Nicht nachmachen! ^_^ Anmerkung: In diesem Kapitel ist es genau umgekehrt: In den kursiv geschriebenen Sätzen wird Japanisch gesprochen. INHALT: Da Phil so stark erkältet ist, lässt Rick ihn für ein paar Tage bei sich wohnen. Ob die beiden sich nun endlich näher kommen? Es sei nur soviel gesagt: Es werden Tränen fließen… (Tipp: Dieses Kapitel schließt ungefähr da an, wo das vorangegangene aufgehört hat. Zum besseren Verständnis empfehle ich, noch einmal die wirre E-Mail zu lesen, die Tomoe am Schluss des letzten Kapitels an Soichi geschickt hat: Kapitel 11/Seite 10/letzter Absatz) Rick ging die Treppe zum Atelier hoch. Es war im Dachgeschoss eines renovierungsbedürftigen Wohnblocks. Phil teilte sich das Atelier mit zwei befreundeten Malern. Im Gegensatz zu diesen verließ er es aber nicht abends, sondern blieb über Nacht. Er hatte keine Wohnung mehr. Diese war ihm vor einiger Zeit fristlos gekündigt worden, und er war vor etwas mehr als einer Woche dort ausgezogen. Sein gesamter Besitz befand sich nun in einem Berg von Umzugskartons, die in einer Ecke des Ateliers aufgestapelt waren. Schon auf dem letzten Treppenabsatz stieg Rick der Geruch von Ölfarbe in die Nase. Als er oben an die Tür klopfte, von der der alte graue Lack abblätterte, antwortete ihm eine verschnupfte Stimme: „Herein.“ Rick trat ein und hielt erst einmal die Luft an. „Hallo Rick“, begrüßte Phil ihn lächelnd. Im gelblichen Licht einer von der Decke hängenden Glühbirne stand er vor einer großen Staffelei. Draußen war es längst dunkel geworden. „Schön, dass du mich besuchst.“ „Wie hältst du es hier bloß aus? Lüfte mal!“ „Aber dann wird es noch kälter. Ich friere so schon.“ Phil trug einen dicken schwarzen Rollkragenpullover und hatte sich zusätzlich einen Schal um den Hals gewickelt. „Egal“, sagte Rick und ging zu einem der großen Fenster, um es zu öffnen. „Hier muss dringend Sauerstoff rein, sonst erstickst du.“ „Gut. Wenn du meinst…“ Seine sonst so sanfte Stimme war heiser und kratzig. Rick sah sich in dem Raum um. In einer Ecke lagen ein paar große alt aussehende Wolldecken übereinander. „Schläfst du da etwa?“, fragte er ungläubig. „Ja.“ „Und da wunderst du dich, wenn du dich erkältest!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. Es war wirklich kalt hier drin, und die Luft, die von draußen hereinströmte kühlte den Raum noch weiter ab. Das Wetter war schon seit Tagen so schlecht. Normalerweise war es im März um einige Grad wärmer. „Warum nimmst du dir keine Wohnung? Oder ein Zimmer?“ „Hab auf die Schnelle nichts gefunden“, sagte Phil mit klappernden Zähnen. „Das kann man ja nicht mit ansehen“, meinte Rick bei seinem Anblick und schloss das Fenster wieder. „Möchtest du etwas trinken? Ich mache dir gerne einen Tee oder Kaffee.“ Phil deutete auf den kleinen 2-Platten-Herd, der auf dem Fußboden unter einem Waschbecken stand. „Du wirst gar nichts machen“, sagte Rick entschlossen. „Pack ein paar Sachen zusammen. Du kommst jetzt mit mir mit.“ „Sachen?“ „Pullover, Hosen, Unterwäsche. Was man halt so braucht.“ Phil nickte und wollte sich daran machen, die Sachen in eine große Tragetasche zu packen. Doch als er einen der Kartons öffnete, brach er in einen heftigen Hustenanfall aus. Eilig lief Rick zu ihm. „Mist, das hört sich ja echt schlimm an“, sagte er, als es nach einer Weile besser geworden war. „Und deine Haut ist ganz heiß. Seit wann ist das so?“ „Seit gestern“, antwortete Phil. „Ich habe es heute morgen kaum zur Uni geschafft.“ Er setzte sich auf den Holzboden und lehnte sich gegen den Kartonberg. Seine Stimme war jetzt noch kratziger als zuvor. Rick nahm die Tasche vom Boden und begann, einige Kleidungsstücke aus dem Karton hineinzulegen. Phils Rasierapparat, der auf einer Ablage über dem Waschbecken lag, tat er auch noch dazu. Das Zahnputzzeug konnte da bleiben. Davon hatte er bei sich zuhause ein zweites Set, da Phil des Öfteren bei ihm übernachtete. „Hast du irgendwas dagegen genommen?“ „Nein.“ Phil stand auf und ging zu seiner Schlafstätte. Mit einem Stapel Bücher, der dort gelegen hatte, kam er zurück und wollte ihn oben in die Tasche packen. „Die Bücher kannst du hier lassen“, sagte Rick. „Die brauche ich aber für die Uni. Ich habe bald wieder Prüfungen.“ „Was du brauchst, sind Schlaf und Erholung. In deinem Zustand kannst du in den nächsten Tagen sowieso nicht zur Uni. Außerdem macht es nichts, wenn du ein paar Tage nicht da bist.“ Er nahm ihm den Stapel ab und stellte ihn auf den Boden. „Okay, ich hab alles. Zieh deine Jacke an und komm mit.“ „Wohin gehen wir?“, fragte Phil, nachdem sie den Wohnblock verlassen hatten und den Fußweg entlang gingen. „Zu dir?“ „Ja, zu mir“, antwortete Rick gleichgültig. „Bist du immer noch böse auf mich?“ Phil spielte auf das an, was er in San Francisco mit ihm gemacht hatte, nachdem er ihn mit seinem Einverständnis ans Bett gefesselt hatte. „Ich habe doch sofort aufgehört.“ „Du hattest ja noch nicht mal richtig angefangen.“ Rick sah in sein schuldbewusstes Gesicht. „Schon gut. Ich bin dir nicht mehr böse. Ich hatte es dir ja erlaubt. Aber ich war einfach nicht in der Stimmung für so was.“ „Danke“, sagte Phil erleichtert. „Ich liebe dich.“ „Ja, ja“, sagte Rick nur. Er würde Phil nicht erzählen, dass dieser es Tomoe zu verdanken hatte, dass er ihn aus seinem kalten Atelier herausgeholt hatte. Vor einer Stunde war Tomoe bei ihm gewesen und hatte ihm wegen Phil ins Gewissen geredet. Und wie so oft war er dem Charme seines Freundes erlegen und hatte eingewilligt, Phil wenigstens für ein paar Tage bei sich wohnen zu lassen. Im Gegenzug hatte Rick ihn darum gebeten, seinen defekten Videorecorder zu reparieren, und Tomoe, der in solchen technischen Dingen sehr versiert war, hatte das Gerät gleich mitgenommen. Beim Gedanken an Tomoe erschien ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht. Phil entging das nicht. „Hast du dich mit Tomoe getroffen?“ „Was? Woher weißt du das?“ „So lächelst du nur, wenn du mit Tomoe zusammen bist.“ „Ich liebe ihn nun mal!“, gab Rick zurück. „Ich weiß“, sagte Phil. „Und? Bist du gar nicht eifersüchtig?“, fragte Rick schnippisch. Ihm war klar, dass es Phil jedes Mal einen Stich versetzte, wenn er so verliebt von Tomoe sprach. Auch, wenn Phil es sich nicht anmerken ließ. „Nein. Ich finde es nur schade, dass du dich ausgerechnet in Tomoe verliebt hast. Er will ja nichts von dir.“ „Und wenn er was von mir wollte, wäre das dann besser?“ „Ja. Es würde dich bestimmt glücklich machen.“ „Aber dich nicht“, setzte Rick nach. „Doch. Wenn du glücklich bist, bin ich es auch“, sagte Phil selbstlos. Schweigend gingen sie nun weiter. Zwischendurch blieb Phil immer wieder stehen, weil er stark husten musste. Bis zu Ricks Apartment war es jedoch nicht weit. Dort angekommen zeigte Rick gleich auf die offene Schlafzimmertür. „Ins Bett.“ „Okay.“ „Oder willst du erst duschen?“ Phil zuckte schwach mit den Schultern. „Was dir lieber ist. Wenn du möchtest, dass ich vor dem Sex erst dusche, mache ich das natürlich.“ „Wer hat was von Sex gesagt?!“ „Ich dachte, du hättest mich deswegen hergeholt.“ Seit sie aus San Francisco zurückgekehrt waren, hatte Rick ihn alle paar Tage zu sich in die Wohnung geholt, wo die beiden miteinander geschlafen hatten. „Du bist hier, weil du krank bist! Und weil ich nicht will, dass aus deiner Erkältung eine Lungenentzündung wird und du meinetwegen stirbst, weil ich dich auf deinem Dachboden gelassen habe.“ „Ach so.“ Bibbernd ging Phil ins Schlafzimmer. Er stieg aus seinen Sachen und legte sie fein säuberlich über eine Stuhllehne. „Du kannst von mir aus ein paar Tage bleiben. Bis es dir wieder gut geht“, fügte Rick, der ihm gefolgt war, hinzu. Trotz seiner Krankheit strahlte Phil ihn nun an. „Danke.“ „Aber wirklich nur, bis es dir wieder besser geht! Dann suchst du dir eine eigene Wohnung!“ Rick nahm einen Schlafanzug aus der Tasche und warf ihn auf das Bett. „Vielleicht wäre es doch besser, du würdest erstmal heiß duschen. Du zitterst ja am ganzen Körper.“ Er nahm eine zweite Decke oben aus dem Kleiderschrank und breitete sie über der Bettdecke aus. Während Phil folgsam ins Badezimmer ging, rief Rick ihm nach: „Ich gehe noch mal runter zur Apotheke und hole dir was. Kommst du solange ohne mich klar?“ „Ja.“ „In Ordnung. Ich bin gleich wieder da.“ Als Rick eine Viertelstunde später wiederkam, lag Phil schon im Bett. Er hatte sich ein Handtuch auf das Kopfkissen gelegt, damit es von den langen frisch gewaschenen Haaren nicht durchnässt wurde. Rick stellte ein Paket Papiertaschentücher für Phils verschnupfte Nase und drei kleine Packungen auf den Nachtschrank. Er hielt dem Kranken ein Glas Wasser hin. „Du nimmst von den beiden hier jeweils zwei Tabletten. Wenn du heute Nacht wach wirst, nimmst du noch mal was.“ Phil tat, was er gesagt hatte und sah zu der dritten Packung hin. „Das ist gegen den Husten“, erklärte Rick. „Damit reibst du dir die Brust und den Rücken ein. Oder, nein, lass mich das besser machen. Setz dich hin.“ Nachdem er den nach Eukalyptus riechenden Balsam auf Phils Oberkörper verteilt hatte, sagte er: „Ruh dich aus, und versuch, ein wenig zu schlafen. Und wenn du dich morgen immer noch so fühlst, gehst du zum Arzt. Die Apothekerin hat mir auch noch einen Kräutertee mitgegeben. Ich gieße ihn dir gleich auf.“ Dankbar sah Phil ihn an und lehnte sich in das warme Bett zurück. „Du bist wirklich sehr lieb. Die anderen denken immer, du wärest nie nett zu mir. Aber das stimmt nicht.“ „Die anderen?“ „Tomoe, Mitsugu, Tetsuhiro, Soichi…“ „Ach, lass die doch reden“, meinte Rick. Sowohl er als auch Phil nannten Kurokawa schon seit einiger Zeit bei dessen Vornamen. Rick hatte es sich eines Tages angewöhnt, und Phil hatte sich bald angeschlossen. Der Auslöser war gewesen, dass Rick sich darüber amüsiert hatte, dass Tomoe Kurokawa nie „Mitsugu“ nannte. Selbst dann nicht, als sich die beiden miteinander verlobt hatten. Rick hatte damals bei einem Besuch bei Tomoe zuhause gemeint: „Sprich es doch einmal aus. Sag ‚Mitsugu’. ‚Mi-tsu-gu’.“ Daraufhin war Tomoe errötet und hatte nur den Kopf geschüttelt. „Aber ich kann es doch auch“, hatte Rick weitergemacht. „Mitsugu. Siehst du? Es ist ganz einfach!“ In dem Moment war Kurokawa hereingekommen, und Rick hatte ihn fröhlich mit „Hi Mitsugu!“ begrüßt, was Tomoe noch röter hatte werden lassen. Und weil Rick es liebte, Tomoe so rot zu sehen, hatte er von da an nur noch „Mitsugu“ zu dessen Verlobten gesagt. „In meiner Hosentasche ist mein Portemonnaie. Nimm dir das Geld für alles raus“, sagte Phil. „Nein“, war Ricks ablehnende Antwort. Er wollte es nicht zugeben, aber er fühlte sich schuldig, weil es Phil so schlecht ging. Schließlich war er es gewesen, der ihn nach nur einem Tag wieder vor die Tür gesetzt hatte, als Phil vor eineinhalb Wochen bei ihm eingezogen war. „So teuer war das nicht“, meinte er leise, machte das Licht aus und verließ das Schlafzimmer. Ein paar Minuten später kam er mit einem gefüllten Becher, über dessen Rand das Papierschild des Teebeutels hing, wieder und stellte ihn auf den Nachtschrank. „Muss noch etwas ziehen“, meinte er knapp und ging ins Wohnzimmer. In den nächsten beiden Stunden, in denen er sich durch ein Buch für sein Studium arbeitete, hörte er Phil von Zeit zu Zeit husten, niesen oder sich die Nase putzen. Irgendwann hörte es aber auf, und Phil schien endlich eingeschlafen zu sein. Da er noch nicht müde war, setzte Rick sich vor den Fernseher und schaltete durch die Programme. Trotzdem dauerte es nicht lange, bis ihm die Augen fast zufielen. Also stellte er das Gerät wieder aus und ging ebenfalls ins Schlafzimmer. Um Phil nicht aufzuwecken, machte Rick nur die kleine Lampe neben dem Bett an und zog sich leise aus. Das nasse Handtuch war auf den Boden gefallen. Phil lag auf der Seite, hatte die Decke halb über den Kopf gezogen, und nur sein Gesicht und die linke Hand waren zu sehen. Er schlief tief und fest. Im Schein der Lampe sah Rick den glänzenden Ehering an Phils Ringfinger. Nachdem er eine Weile darauf gestarrt hatte, setzte er sich vorsichtig auf den Bettrand und griff nach seiner Hose, die er zuvor auf den Boden geworfen hatte. Tief unten in der Hosentasche war das Gegenstück zu dem Ring. Obwohl er ihn noch nie anprobiert hatte, trug er ihn fast immer bei sich. Phil ahnte nichts davon. Rick fasste sich an den Hals. Dort hing die Kette mit dem halben Goldherz und dem eingravierten „Tomoe“ darauf. Als er seinem geliebten japanischen Freund auf der Hochzeitsfeier die andere Hälfte des Anhängers geschenkt hatte, hatte er sich seinen Teil der Kette ebenfalls umgehängt und seitdem nicht wieder abgelegt. Sogar, als Phil nach ihrer eigenen Hochzeit mit ihm geschlafen hatte, war sie an seinem Hals gewesen. Gedankenverloren bewegte Rick den Ehering, den Phil ihm geschenkt hatte, zwischen Daumen und Zeigefinger. Er war von der Form her schlicht gearbeitet und glänzte silbern. Fünf winzige glasklare Steine, die wie Diamanten aussahen, schmückten die glatte Oberfläche. ‚Glassteine’, dachte Rick. ‚Hat bestimmt nicht mehr als hundert Dollar gekostet. Silber ist ja nicht so teuer.’ Er hielt das Schmuckstück unter die Lampe, um das kleine „Phil Lloyd“ und das Hochzeitsdatum auf der Innenseite besser lesen zu können. Ob er ihn einmal anprobieren sollte? Phil schlief ja und bekam nichts mit. Etwas zögerlich schob er ihn sich auf den Ringfinger der linken Hand. Über das erste Gelenk ging er leicht. Beim zweiten war es ein wenig schwieriger, aber er bekam es hin. Ja, er passte. Wieder hielt er ihn unter die Lampe. Der Steinbesatz glitzerte, und Rick fragte sich, ob der Ring nicht etwas zu auffällig sei. Phil drehte sich im Schlaf. Schnell wollte Rick sich den Ring abziehen, um ihn wieder in der Hosentasche verschwinden zu lassen, doch das Gelenk war im Weg. „Mist!“, fluchte er unterdrückt. „Geh ab, du verdammtes Ding!“ Aber so sehr er es auch versuchte, der Ring ließ sich nicht vom Finger herunterbringen. „Rick?“, krächzte Phil leise. „Was ist?“ „Schlaf weiter“, flüsterte Rick zurück und legte sich mit unter die Bettdecke. Geschwächt setzte sich Phil ein wenig auf, hustete wieder kräftig und räusperte sich danach ein paar Mal. Rick fielen die Medikamente ein. Er nahm vier Tabletten aus den Packungen und drückte sie Phil in die Hand. Der Tee und das Wasserglas von vorhin waren leer. Also ging er mit dem Glas in die Küche und füllte es wieder auf. Als er zurückkehrte und es Phil gab, sah dieser erstaunt auf seine Hand. „Du trägst ja den Ring“, stellte er fest. „Ja, aber das heißt nichts! Ich habe ihn nur nicht wieder abgekriegt.“ „Das macht doch nichts. Er muss ja auch nicht wieder ab“, fand Phil. Er spülte die Tabletten hinunter, und währenddessen rieb ihm sein Mann noch einmal die Brust ein. Da Rick den Balsam jetzt an den Händen hatte, versuchte er mit dessen Hilfe erneut, den Ring über das Gelenk zu bewegen. Doch es wollte immer noch nicht klappen. Phil beobachtete ihn dabei. Dann lehnte er sich über ihn, zog die Nachtschrankschublade auf und nahm eine Tube heraus. „Versuch es doch hiermit“, sagte er und hielt sie Rick hin. „Ich denke, du willst, dass ich den Ring trage. Warum hilfst du mir dann, ihn abzubekommen?“ Rick öffnete die Tube und probierte mit einem Tropfen daraus zum dritten Mal, den Ring vom Finger zu lösen. „Ja!“, rief er. Endlich war es ihm gelungen. Mit einem Tuch wischte er den Ring ab und legte ihn auf den Nachtschrank und die Tube zurück in die Schublade. „Das war eine gute Idee. Wer hätte gedacht, dass das auch dafür zu gebrauchen ist!“ Ein wenig traurig sah Phil auf den Ring. „Warum willst du ihn nicht tragen? Gefällt er dir nicht?“ „Es ist nicht so, dass er mir nicht gefällt“, antwortete Rick ausweichend und stellte das Licht aus. „Schlaf jetzt.“ Er zog sich seine Hälfte der Decke über den Körper und spürte, wie Phil sich an seinen Rücken kuschelte. Das war ein schönes Gefühl. „Schlaf gut, Rick.“ „Gute Nacht…“ Das monotone Piepen des Weckers riss Rick aus seinen Träumen. Die Augen noch geschlossen, tastete er nach dem Verursacher des Geräuschs und stellte das Piepen aus. Während er nun langsam wach wurde, fiel ihm ein, dass er gestern Phil zu sich geholt hatte. Hoffentlich hatte ihn der Wecker nicht wach gemacht. Er drehte sich um, aber er war allein im Bett. Dann war Phil vermutlich im Bad. Müde sah er zum Fenster. Das Rollo war ein Stück hochgezogen und das Fenster einen Spaltbreit geöffnet. Der Duft von Frühstück wehte ihm entgegen. ‚Die Nachbarn’, dachte er und wollte gerade aufstehen, um sich selbst auch etwas zu essen zu machen. Da kam Phil durch die Tür. In seinen Händen hielt er ein voll gepacktes Tablett, und der Frühstücksgeruch im Zimmer wurde gleich intensiver. „Guten Morgen, Rick!“, begrüßte er ihn strahlend. Er stellte das Tablett auf dem Bett ab und gab seinem Mann einen zarten Kuss. „Morgen…“, sagte Rick überrascht. „Wieso hast du Frühstück gemacht?“ „Ich konnte nicht mehr schlafen. Also bin ich aufgestanden und habe welches gemacht. Ich dachte, du freust dich.“ „Ja, tu ich ja… Aber geht es dir denn schon wieder gut? Du hättest doch liegen bleiben können.“ „Es ist viel besser geworden. Die Tabletten haben sehr gut geholfen.“ Er setzte sich mit aufs Bett. Wie so oft, wenn er seinem Mann das Frühstück im Bett servierte, trug er außer einer Küchenschürze nichts anderes. „Ich kann zwar noch nichts riechen, und meine Lunge und mein Kopf tun auch noch weh, aber ansonsten geht es mir gut.“ Rick gähnte und besah sich das Tablett, auf dem gleich zwei Teller mit dampfendem Essen standen. Auf einem war ein großer Pfannkuchen mit Ahornsirup, auf dem anderen zwei Scheiben frisch geröstetes Toastbrot und ein Spiegelei. Aus einem Becher mit Kaffee stieg ebenfalls leichter Dampf auf. „Das ist ja sehr lieb von dir, aber du musst dich doch nicht gleich wieder überanstrengen. Ich hätte uns auch was zu essen machen können.“ „Aber ich mache das gerne. Es war keine große Anstrengung.“ „Na gut. Danke“, sagte Rick, setzte sich hin und begann zu essen. Für einen kurzen Moment blieb sein Blick an Phils Oberarm haften. Das Tattoo, das er sich in San Francisco hatte stechen lassen, war inzwischen gut verheilt. „Ich habe dir auch eine Lunchbox für die Uni zurechtgemacht.“ „Hm, hm“, meinte Rick mit vollem Mund. Es sollte wohl „Danke“ heißen. Phil nahm sich ein Stück Pfannkuchen vom Teller und aß mit. Als Rick einen Schluck Kaffee getrunken hatte, sagte er: „Zieh die Schürze aus. Männer in Schürzen sehen albern aus.“ „Das hat meine Mom früher auch immer gesagt. Sie hat mich auch immer aus der Küche gescheucht, wenn ich ihr dort helfen wollte.“ „Wieso das denn? Normalerweise wollen Mütter doch immer, dass man ihnen in der Küche hilft.“ Rick erinnerte sich daran, wie seine Mutter ihm in seiner Kindheit oft den Abwasch und andere ungeliebte Hausarbeit aufgehalst hatte. „Sie hat immer gesagt, dass ein Mann nichts in der Küche zu suchen hat.“ „Da ist sie sicher todtraurig, dass ihr Sohn nun doch dort gelandet ist, was?“, fragte Rick ironisch. „Nein, eigentlich nicht. Ich habe ihr gesagt, dass ich jetzt mit dir verheiratet bin. Und dabei habe ich erwähnt, dass ich wohl das Kochen übernehmen werde, wenn wir erst einmal zusammengezogen sind. Allerdings habe ich ihr auch erklärt, dass ich ebenfalls kochen würde, wenn ich mit einer Frau zusammen wäre. Solche Dinge haben nichts mit dem Geschlecht zu tun.“ Rick stellte den Kaffeebecher ab. „Du hast ihr gesagt, dass wir geheiratet haben? Wann?“ „Gleich, nachdem wir aus San Francisco zurückgekehrt sind. Dad habe ich es auch gesagt.“ „Und wie haben sie reagiert?“, fragte Rick skeptisch. Er wusste, dass Phils Eltern, die ländlich auf einer abgelegenen Ranch lebten, mitunter recht altmodische Ansichten vertraten. „Erst waren sie ein wenig traurig.“ „War ja klar. Sie haben wohl insgeheim immer noch gehofft, dass du irgendwann eine Frau heiraten, mit ihr Kinder kriegen und den Hof übernehmen würdest.“ „Nein. Sie waren traurig, weil wir sie nicht eingeladen hatten. Sie wären gerne dabei gewesen. Aber ich habe ihnen gesagt, dass es eine spontane Entscheidung war und keine Zeit blieb, jemanden einzuladen.“ „Soll das heißen, sie finden es okay, dass du mich geheiratet hast? Sie waren doch sonst immer gegen unsere Beziehung.“ „Sie waren dagegen, weil wir ein Paar waren, ohne miteinander verheiratet zu sein. Jetzt, wo wir es sind, sind sie damit einverstanden. Mom meinte, wenn der Staat unsere Partnerschaft gutheißt, wird es schon in Ordnung sein.“ „Ah ja…“ Rick hatte seine Eltern noch nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass er Phil geheiratet hatte. Nicht etwa, weil seine Eltern nicht damit einverstanden gewesen wären. Im Gegenteil, sie kannten Phil seit knapp drei Jahren, verstanden sich blendend mit ihm und luden ihn auch stets zusammen mit ihrem Sohn zu sich nachhause ein, wenn es etwas zu feiern gab. Sie ahnten nicht, dass die Beziehung zwischen den beiden bis vor wenigen Wochen eigentlich gar keine richtige gewesen war. Der Grund, dass er ihnen nichts von seiner Heirat gesagt hatte, war, dass er sich selbst noch nicht sicher war, ob diese Ehe überhaupt eine Zukunft haben würde. Phil stand nun auf, legte die Schürze ab und nahm sich frische Sachen aus der Tasche, die sie gestern mitgenommen hatten. „Willst du nicht auch aufstehen? Du kommst sonst zu spät zur Uni.“ „Ja, ja, gleich…“, sagte Rick und sah zur Seite. Die Art, wie Phil sich eben die Schürze ausgezogen hatte und nun nackt im Zimmer stand, hatte seinen Körper gegen seinen Willen auf diesen Anblick reagieren lassen. Es war schon ein paar Tage her, seit sie das letzte Mal miteinander geschlafen hatten. Kein Wunder, dass er nun Verlangen in sich aufkommen spürte. Da Phil nichts davon merken sollte, zog er die Bettdecke ein Stück höher. Noch einmal beugte sich dieser zu der Tasche hinunter, um nach weiterer Kleidung zu suchen, was Rick das Blut heiß ins Gesicht trieb. „Zieh dich endlich an!“, sagte er laut. „Es ist sehr ungesund, hier die ganze Zeit nackt herumzulaufen. Du bist schließlich immer noch erkältet.“ Phil drehte sich zu ihm um. Ein kurzer Blick genügte, und er wusste, warum Rick von ihm verlangte, sich anzuziehen. Er legte die Sachen auf die Tasche und ging entschlossen zurück zum Bett. „Nein!“ Rick sprang förmlich aus dem Bett, bevor der andere bei ihm war. Jetzt war es auch egal, wenn Phil alles sah. „Ich mache das gleich selber unter der Dusche.“ „Aber ich kann doch…“ „Du bist krank! Und ich habe eben schon gesagt, du sollst dich nicht überanstrengen! Ich will nicht daran schuld sein, wenn deine Erkältung schlimmer wird!“ Er wollte zur Schlafzimmertür gehen, doch Phil schnitt ihm den Weg ab und ließ sich vor ihm auf die Knie fallen. Mit großen bittenden Augen sah er Rick an und befeuchtete sich mit der Zungenspitze verführerisch langsam die Lippen. „Darf ich? Bitte“, hauchte er, und seine ungewohnt raue Stimme klang dabei überaus sinnlich. Wie hätte Rick da ablehnen können? „Verdammt, ja“, antwortete er ganz automatisch, obwohl er eigentlich „Nein“ hatte sagen wollen. Aber jetzt war es zu spät, seine Antwort noch einmal zu korrigieren, denn Phil hatte schon angefangen. Genießerisch seufzend schloss Rick die Augen und überließ sich ihm. Und dann, Rick wusste selbst nicht genau warum, stellte er sich vor, dass es nicht Phil, sondern Tomoe sei, der da vor ihm kniete und ihn liebevoll verwöhnte. „Mmh…“, machte er lang gezogen und streichelte Phil ein paar Mal über den Kopf. „Oh Darling, yeah…!“ Im ersten Moment durchfuhr Phil ein Gefühl des Glücks. Doch die Erkenntnis, dass nicht er gemeint war, sondern ein anderer, folgte unmittelbar. Rick nannte ihn nie „Darling“. So redete er mit Tomoe, und auch Tetsuhiro hatte er so genannt. Wahrscheinlich war er in Gedanken gerade bei einem der beiden. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, machte Phil unbekümmert weiter. Es störte ihn nicht, dass Rick an jemand anderen dachte. Solange er nur bei ihm sein durfte, war alles andere egal. Natürlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn Rick ihm die gleiche bedingungslose Liebe entgegen gebracht hätte, wie er es bei ihm tat. Doch daran war nun mal nichts zu ändern. Es war in Ordnung, so wie es war. „Ja, Phil!“, rief Rick bald darauf und gab so dem anderen zu verstehen, dass er wieder ganz bei ihm war. „Danke“, sagte Phil. „Seit wir zurück aus San Francisco sind, hast du es mich nicht machen lassen.“ „Ja? War mir gar nicht so bewusst“, meinte Rick. Aber es stimmte natürlich nicht. Er hatte Phil absichtlich nicht alles tun lassen, was dieser wollte. Er hatte ihn auch nie den passiven Part übernehmen lassen, wenn sie miteinander geschlafen hatten. Obwohl er genau wusste, dass Phil es viel lieber hatte, wenn dieser sich ihm hingeben und Rick die volle Kontrolle überlassen konnte. Rick war, bis er ihn gestern in seinem Atelier abgeholt hatte, schlicht und ergreifend sauer auf ihn gewesen. Einmal war es wegen dieser Sache, die Phil kurz nach ihrer Hochzeit mit ihm gemacht hatte. Eigentlich hatte er keinen Grund dazu, Phil deswegen einen Vorwurf zu machen. Dieser hatte es ja nicht gegen seinen Willen getan, sondern vorher von Rick die Erlaubnis dazu erhalten. Ohne sein Einverständnis wäre er nie soweit gegangen. Aber Rick war betrunken gewesen, und das hatte Phil ausgenutzt. Der zweite Grund für Ricks schlechte Laune war die Hochzeit selbst, zu der Phil ihn gedrängt hatte. Und auch das war nur möglich gewesen, weil Rick unter Alkoholeinfluss gestanden hatte. Tomoe hatte das schon ganz richtig erkannt. Er hatte ihn ja darauf angesprochen, ob Rick deswegen verstimmt gewesen sei, was er aber abgestritten hatte. Mehr als das. Er hatte zudem abgestritten, Phil überhaupt geheiratet zu haben, so sehr missfiel ihm diese Hochzeit, an die er sich zu allem Überfluss nicht einmal mehr erinnern konnte. Noch vor dem Rückflug nach Los Angeles hatte er Phil klipp und klar auf den Kopf zu gesagt, dass er sich eigentlich schon am Abend vor der Hochzeit von ihm hatte trennen wollen. Er hatte ihm ausdrücklich klargemacht, dass er ihn nicht liebe und nur mit ihm zusammen war, weil Phil ihm nach dem Valentinstag so zugesetzt hatte, wieder eine Beziehung mit ihm einzugehen. Für Phil war das keineswegs eine Überraschung gewesen. Er hatte immer gewusst, dass Rick ihn nicht liebte. Auch, wenn er sich manchmal das Gegenteil einzureden versuchte. Das Nächstliegende wäre natürlich gewesen, dass Rick umgehend die Scheidung eingereicht hätte. Oder dass er sich erst einmal von Phil abgewendet, sich von ihm getrennt hätte. Das war bisher jedoch nicht geschehen. Und warum war es nicht geschehen? Weil die neue Art, wie Phil nach ihrer Hochzeit mit ihm geschlafen hatte, Rick so beeindruckt hatte, dass er auch in Zukunft nicht darauf verzichten wollte. Es war der Inbegriff der Perfektion gewesen. Aber wegen all der Punkte, in denen er sich über Phil geärgert hatte, hatte Rick das Bedürfnis gehabt, es ihm heimzuzahlen. Und das hatte er dann auch getan, indem er ihm im Bett nicht seinen Willen gelassen hatte. Doch jetzt hatte genug davon. Er war nicht so ein nachtragender Mensch wie etwa Soichi. Außerdem war es ihm zu mühsam, ständig böse auf Phil zu sein. Wieder streichelte er ihm über die Haare. „Ich bin dann mal in der Dusche“, meinte er, drehte sich um und ging ins Bad. Nachdem er fertig war und sich angezogen hatte, sagte Rick: „Ich gehe jetzt zur Uni. Ich rufe nachher deinen Professor an und sage, dass du den Rest der Woche nicht kommst.“ „Danke.“ „Und bleib ja im Bett, verstanden? Oder leg dich meinetwegen aufs Sofa und guck Fernsehen. Oder mach Videospiele. Aber lösch mir bloß nicht meine Spielstände!“ Er nickte zu der Spielkonsole hinüber, die er am Wochenende angeschlossen hatte. Das Gerät war zwar schon rund zwanzig Jahre alt, aber Rick hatte eine Vorliebe für diese alten Spiele. „Und komm mir nicht auf die Idee, hier irgendwas im Haushalt zu machen oder aufzuräumen, klar? Ich will, dass du dich erholst.“ Phil nickte. „Ja, natürlich.“ Dass er das Geschirr abgespült hatte, während Rick unter der Dusche gewesen war, erwähnte er lieber nicht. „Im Kühlschrank ist genug zu essen, wenn du Hunger hast. Im Tiefkühlfach ist auch noch was. Ich werde dich nicht anrufen und fragen, wie es dir geht, weil ich dich nicht aufwecken will, falls du schläfst. Wenn du willst, kannst du mich heute Mittag anrufen. Dann bin ich in der Mensa und esse.“ „Alles klar. Mach ich.“ „Ruf aber nur an, wenn du wach bist! Ich will nicht, dass du dir extra den Wecker stellst!“ „Ja, ja.“ Rick steckte den Schlüssel zum Atelier ein und öffnete die Wohnungstür. „Ich bringe auf dem Rückweg noch welche von deinen Klamotten mit“, sagte er im Hinausgehen. „Warte“, sagte Phil und eilte zu ihm. Er nahm ihn sanft in die Arme und drückte ihm einen liebevollen Kuss auf die Lippen. „Bis heute Abend, Darling.“ Unter dem hellen Braun seiner Haut schien Rick ein wenig rot zu werden. „Das wollte ich schon immer mal zu dir sagen.“ „Bis heute Abend“, sagte Rick, trat hinaus auf den Flur und machte die Tür hinter sich zu. Rick saß in der Mensa und war, nachdem er die Hälfte seiner Portion gegessen hatte, schon satt. Das Lunchpaket, dessen Inhalt er zwei Stunden vorher verspeist hatte, war so üppig gewesen, dass er jetzt keinen Hunger mehr hatte. Und das, obwohl er der festen Überzeugung gewesen war, dass das vegetarische Essen, das Phil ihm mitgegeben hatte, gar nicht satt machen könne. Die Ellenbogen auf dem Tisch und den Kopf in die Hände gestützt trank er mit einem Strohhalm ein paar Schlucke Kakao aus dem Glas vor sich. Aber auch dafür war nicht mehr viel Platz im Magen. Abwesend pustete er Luft durch den Halm in das halbvolle Glas, sodass sich Blasen auf der Oberfläche bildeten und teilweise über den Rand quollen. Die Studenten am Nebentisch sahen amüsiert zu ihm herüber, doch er bekam nichts davon mit. „Hey, Coldman!“, rief jemand. Rick sah auf. Es war Jamal Rahim, ein guter Bekannter, der ebenfalls an dieser Universität studierte. „Hi Rahim. Wieder im Lande?“ „Ja, seit Montag. War wieder mal toll in Marokko. Meine Großeltern hätten mich am liebsten dabehalten. Und?“ „Was, und?“ „Ist es wahr, was man so hört?“ „Keine Ahnung, wovon du redest“, sagte Rick, ahnte aber, worum es ging. „Nein? Ich habe gehört, dass ein gewisser Rick Coldman einen gewissen Phil Lloyd geheiratet haben soll.“ Rick stand schnell auf und legte einen Finger auf die Lippen. „Woher weißt du das?“, fragte er flüsternd. „Hat Phil dir das gesagt?“ „Dann ist es echt wahr?“ Jamal schüttelte ihm beglückwünschend die Hand. „Nein, von Lloyd weiß ich es nicht. Mir ist dein kleiner Japaner, mit dem du immer zusammen bist, über den Weg gelaufen. Der mit der Schlaumeier-Brille.“ „Tomoe…“, brummte Rick. „Und ich habe ihm extra gesagt, dass er den Mund halten soll! Weiß außer dir noch jemand davon?“ „Ich habe es ein paar Freunden erzählt. War das falsch?“ „Na toll“, sagte Rick bissig und setzte sich wieder. „Ich wollte, dass das nicht groß herumgetratscht wird. Jetzt weiß bald jeder hier auf der Uni, dass ich von den über drei Milliarden Männern auf der Welt ausgerechnet Phil geheiratet habe!“ Endlich bemerkte er die Reste der Kakaoblasen, die auf dem Tisch gelandet waren und wischte sie mit einer Serviette weg. „Du klingst ja nicht sehr begeistert. Was stimmt denn nicht mit ihm? Behandelt er dich irgendwie schlecht?“ „Nein, im Gegenteil. Er liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Heute Morgen hat er mir mal wieder das Frühstück ans Bett gebracht. Obwohl er total erkältet ist. Und danach hat er mir… warte mal, das muss ja nicht jeder hören.“ Jamal beugte sich neugierig zu Rick hinunter, und der flüsterte ihm leise zu, was Phil nach dem Aufstehen mit ihm gemacht hatte. „Das macht er freiwillig?“, fragte Jamal fassungslos. „Natürlich! Denkst du, ich zwinge ihn dazu? Nein. Ich bin ein Gentleman.“ „Wow. Du hast es gut, Coldman! So was würde meine Freundin garantiert nie machen. Die meint, wenn ein Mann das von einer Frau verlangt, sei das frauenfeindlich. Und dabei habe ich es gar nicht verlangt.“ „Kann sein“, meinte Rick. „Kenn mich mit Frauen nicht aus. Willst du dich nicht setzen?“ „Danke, nein, hab nicht soviel Zeit. Also, es muss doch irgendwas geben, was dich an ihm stört.“ Rick brauchte nicht lange zu überlegen. „Ja, eine Sache. Er ist nicht Tomoe.“ „Das ist alles?“ „Hm… nein. Es gibt da noch so ein paar Kleinigkeiten. Eigentlich passen wir gar nicht zusammen.“ „Und warum bist du dann überhaupt mit ihm zusammen? Und sogar mit ihm verheiratet? Ich meine, dann kannst du dich doch genauso gut wieder scheiden lassen. Oder die Ehe annullieren lassen. Was hält dich denn bei ihm?“ Achselzuckend meinte Rick: „Er ist gut im Bett. Der Beste.“ Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah Jamal ihn an. „Weiß er, dass du nur deswegen mit ihm zusammen bist?“ „Klar weiß er das. Ich mache ihm nichts vor.“ Da klingelte Ricks Handy, und er ging dran. „Ich bin’s“, meldete sich der Anrufer, bevor Rick etwas sagen konnte. „Hi Phil. Wie geht es dir?“ „Danke, gut.“ „Hast du noch mal die Tabletten genommen?“ „Ja“, antwortete Phil. „Von dem Tee habe ich auch noch ein paar Tassen getrunken.“ „Gut. Ich habe vorhin deinen Professor angerufen und gesagt, dass du frühestens Montag wieder da bist. Er lässt dir schöne Grüße und gute Besserung ausrichten.“ „Vielen Dank. Rick, hättest du etwas dagegen, wenn ich kurz einkaufen ginge?“ „Ja, das habe ich! Bleib zuhause und leg dich hin! Wenn du was brauchst, bringe ich es dir auf dem Rückweg mit. Was willst du denn haben?“ „Fliesenreiniger.“ „Fliesenreiniger?“, wiederholte Rick. „Ja. Die Flasche ist leer.“ „Hast du den etwa benutzt? Ich habe dir doch gesagt, du sollst im Bett bleiben und dich ausruhen!“ „Ich weiß. Aber als du weg warst und ich mit dem Duschen fertig war, habe ich hinterher noch schnell die Dusche saubergemacht.“ „Die hättest du auch einfach so lassen können!“ „Dann wären aber an den Wänden Kalkablagerungen von den Wassertropfen zurückgeblieben.“ „Als ob du in deinem Zustand keine anderen Sorgen hättest! Es hätte auch gereicht, einmal mit dem Handtuch nachzuwischen. War das alles, oder hast du noch mehr geputzt?“ „Weil ich gerade dabei war, habe ich das restliche Bad auch noch saubergemacht. Danach war ich aber ziemlich müde und habe mich wieder ins Bett gelegt. Das Bett habe ich übrigens auch neu bezogen.“ Rick unterdrückte einen missmutigen Seufzer. „Mach dir bitte keine Sorgen“, beruhigte Phil ihn. „Ich habe mich nicht übernommen.“ „Na schön.“ „Wann kommst du nachhause?“ „Ah, vermisst du mich schon?“ „Ja“, war Phils ehrliche Antwort. „Ich bin gegen fünf zurück.“ „Also noch viereinhalb Stunden… Sag mal, hast du deinen Ring mitgenommen? Auf dem Nachtschrank liegt er nicht mehr.“ „Ja, ich hab ihn hier.“ „Gut. Ich dachte schon, er wäre verloren gegangen.“ „Ist er nicht.“ „Dann trägst du ihn jetzt also doch?“, fragte Phil. Rick fasste in die Tasche seiner Jeans und nahm den Ring heraus. „Nein. Ich habe ihn in der Hosentasche.“ Er warf ihn spielerisch in die Luft und fing ihn wieder auf. „Pass bitte auf, dass du ihn nicht verlierst. Er ist schließlich ein Symbol unserer ewigen Liebe.“ „Ewige Liebe…“ Ein wenig geringschätzig sah Rick auf den silbernen Ring. „Weißt du, Tomoe und Tetsuhiro und die Männer der beiden haben goldene Eheringe. Wenn du mich wirklich so liebst, warum kriege ich dann nur einen Silberring? Du hättest ruhig ein bisschen tiefer in die Tasche greifen können. Vor allem, nachdem du neulich 6000 Dollar für dein Bild bekommen hast.“ „Aber das ist Platin, kein Silber.“ „Platin?!“, rief Rick laut, und die Studenten an den umliegenden Tischen drehten sich zu ihm um. Auch Jamal, der sich inzwischen doch dazugesetzt hatte, horchte interessiert auf. „Also… wenn das Platin ist, dann sind die Steine wohl auch nicht aus Glas?“, fragte Rick vorsichtig. „Brillanten. Hochfeines Weiß, lupenrein, 0,05 Karat. Eingefasst in Platin 960.“ „Aha“, meinte Rick, der nicht ganz verstand, wovon Phil redete. Aber es hörte sich teuer an. „Und… der Preis?“ „2750 Dollar. Es sind außerdem Designerstücke.“ Beinahe wäre Rick der Ring aus der Hand gefallen. „Sag das noch mal. Du hast 2750 Dollar für die Ringe ausgegeben?!“ Wieder hatte er so laut gesprochen, dass sich weitere Studenten in seine Richtung drehten. Einige standen von ihren Plätzen auf und traten näher, um das wertvolle Stück aus der Nähe zu betrachten. „Dann sind ja von dem ganzen Geld nur noch… äh… 3250 Dollar übrig!“ „Nein, 500. Die Ringe haben pro Stück soviel gekostet. Der Juwelier wollte erst 6120 für beide haben, aber ich konnte ihn auf 5500 runterhandeln. Der Ring ist also eigentlich 3060 Dollar wert.“ Rick starrte auf das runde Metall in seiner Handinnenfläche. Über 3000 Dollar. Und er hatte den Ring die ganze Zeit über einfach in seiner Hosentasche gehabt. Einmal hatte er ihn sogar nach dem Sport im Umkleideraum vergessen. Er war schon an der Ausgangstür der Sporthalle gewesen, als ihm die Putzfrau nachgelaufen war und ihm den Ring zurückgegeben hatte. Es war kaum zu fassen, dass er tatsächlich so viel wert war. Rick, der meistens knapp bei Kasse war, hatte schon von Kindesbeinen an nie viel Geld zur Verfügung gehabt. Seine Mutter arbeitete als Verkäuferin in einem Convenience Store und hielt so die Familie finanziell einigermaßen über Wasser. Und sein Vater, der aufgrund einer Verletzung, die er sich als Jugendlicher zugezogen hatte, arbeitsunfähig war, bekam nur eine kleine Rente von wenigen hundert Dollar im Monat. „Bist du noch dran?“, fragte Phil. „Ja… Moment…“ Rick legte das Handy auf den Tisch und steckte sich den Ring an. So konnte er ihn auf keinen Fall verlieren. Er hielt das Handy wieder ans Ohr. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass er soviel wert ist?“ „Ich dachte, das wäre nicht so wichtig. Und du hast ja auch nicht danach gefragt. Aber Tomoe hat mich gefragt, und ihm habe ich es gesagt.“ Einen Augenblick schwieg Rick. Dann sagte er leise: „Danke.“ Er hatte sich nämlich bisher noch nicht bei Phil dafür bedankt. „Ich… muss gleich zurück in die Vorlesung. Wie gesagt, um fünf bin ich zurück. Bye.“ „Bye-bye!“, verabschiedete sich Phil. Mit offenem Mund sah Jamal Rick an. „Coldman, du spinnst.“ „Was?“ „Lass mich mal aufzählen. Er bringt dir das Frühstück ans Bett. Und wo wir schon vom Bett reden, da ist er auch der Beste, wie du sagst. Und er macht das“, Jamal grinste, „was meine Freundin nie im Leben machen würde. Und hast du nicht mal erzählt, dass er bei dir bleibt, obwohl du dauernd fremdgehst? Dann putzt er dir die Wohnung. Er kauft dir diesen teuren Ring. So, wie es sich eben anhörte, zählt er die Stunden, bis du nachhause kommst. Kurz gesagt, er vergöttert dich. Also was um alles in der Welt hast du an ihm auszusetzen? Der Mann ist perfekt!“ „Ja, das ist er“, musste Rick zugeben. „Ich weiß.“ Und während er über die Worte seines Bekannten nachdachte und dabei wieder von seinem Kakao trank, ertönte die Glocke, und Jamal verabschiedete sich eilig. Auf dem Nachhauseweg kam Rick an mehreren Verkaufsständen vorbei, die entlang der Straße aufgebaut waren. An einem wurden Blumen angeboten, und ein Mann und eine Frau, ungefähr in seinem Alter, standen davor. Der Mann bezahlte und drückte seiner Freundin einen Strauß Rosen in die Hand, woraufhin sie ihm glücklich um den Hals fiel und ihn abküsste. Händchen haltend und lachend gingen sie an Rick vorbei, der ihnen erst nachsah und dann seine Augen auf den Blumenstand richtete. „Treten Sie nur näher“, forderte die ältere Frau, der der Stand gehörte, ihn freundlich auf. Etwas unsicher kam Rick der Aufforderung nach. Ob er ihm wirklich einen kaufen sollte? Das hatte er noch nie gemacht. Gut, er hatte seiner Mutter zwei oder dreimal einen Blumenstrauß zum Muttertag geschenkt. Aber Phil? Verstohlen streifte sein Blick den Ring an seinem Finger. Er konnte es immer noch fassen, dass Phil fast 3000 Dollar dafür ausgegeben hatte. Wenn man die Sachen, die er gestern in der Apotheke gekauft hatte, einmal außen vor ließ, waren die Handschellen das letzte Geschenk gewesen, das er Phil gemacht hatte. Und für die hatte er nicht einmal etwas bezahlen müssen. Sein Bekannter vom FBI hatte sie ihm gegeben, nachdem diese dort ausgemustert und durch neue ersetzt worden waren. Wieder sah er auf die Sträuße. Es waren so viele verschiedene Blumen in so vielen verschiedenen Farben. Welchen sollte er da nur nehmen? Und – sollte er überhaupt einen nehmen? Er dachte an Tomoes strahlendes Gesicht, als Kurokawa ihm neulich Blumen mitgebracht hatte. Rote Rosen waren es gewesen. „Für welchen Anlass soll es denn sein?“, fragte die Verkäuferin, die merkte, dass Rick sich mit der Entscheidung schwer tat. „Für Ihren Freund?“ Sie hatte das Paar schon öfter an ihrem Stand vorbeigehen sehen. „Ja“, meinte Rick leise, obwohl die Bezeichnung „Freund“ ja eigentlich nicht mehr stimmte. Zielsicher griff sie in die Blumenmenge und überreichte Rick einen Strauß aus fünfzehn dunkelroten Rosen, die von großen Blättern umgeben waren. Er glich dem, den Tomoe bekommen hatte. Skeptisch drehte Rick den Strauß in seiner Hand. Ob er ihm gefallen würde? Eine Rosenranke war es ja auch, die sich Phil auf den Arm hatte tätowieren lassen. Die nächste Kundin war inzwischen dabei, sich etwas auszusuchen. Endlich gab Rick sich einen Ruck, holte sein Portemonnaie hervor und bezahlte die 19,95 Dollar. „Vielen Dank“, sagte die Verkäuferin und nahm den Strauß noch einmal kurz entgegen. Mit einem scharfen Messer schnitt sie die Stiele unten ein kleines Stück ab, wickelte eine schützende Hülle aus Papier um die Rosen und gab sie Rick zurück. „Da wird sich der junge Mann aber freuen!“ „Bestimmt. Danke“, sagte Rick, verabschiedete sich und ging weiter. Als der Stand außer Sichtweite war, wurde ihm erst richtig bewusst, was er gerade getan hatte. Irgendwie war es ihm jetzt peinlich, dass er Phil diese Blumen gekauft hatte. Bei Tomoe wäre es etwas anderes gewesen. Er überlegte, ob er sie nicht lieber diesem schenken sollte. Aber heute würde er ihn wohl nicht mehr treffen, und morgen wären die Blumen vielleicht nicht mehr so frisch. Na gut, dann bekam Phil sie eben doch. Es war ja auch nur, weil er gerade krank war. Der angenehme Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee erfüllte die Wohnung, als Rick um halb sechs nachhause kam. Auch nach Kuchen roch es leicht, und aus der Stereoanlage erklang ruhige Musik. „Bin wieder da!“ Er legte die verpackten Blumen und die Post, die er zuvor aus dem Briefkasten genommen hatte, auf einer schmalen Kommode neben der Tür ab. Mit der Kaffeekanne in der Hand kam Phil aus der Küche. „Hallo Rick!“ Er stellte sie auf den Wohnzimmertisch, auf dem sich unter anderem schon zwei Teller mit Kuchen, zwei Tassen und eine brennende Kerze befanden. „Hattest du einen harten Tag?“, fragte er und küsste ihn zur Begrüßung auf die Wange. Er nahm Rick die Tasche ab, die mit ein paar Sachen aus seinem Atelier voll gestopft war. Dabei sah er erfreut, dass sein Mann wieder seinen Ehering trug. Erschöpft ließ sich Rick auf die Couch fallen und lehnte den Kopf zurück. „Diese verdammte Vorlesung! Der Professor hat kein Ende gefunden.“ Ihm fiel ein, dass er auf dem Rückweg nicht mehr an den Fliesenreiniger gedacht hatte. Aber der war jetzt unwichtig. „Schöne Grüße von Pierre und Pascal“, sagte er. Das waren die Namen der beiden Maler, mit denen sich Phil das Atelier teilte. Rick war ihnen dort begegnet, als er die Sachen abgeholt hatte. „Danke. Du hast Blumen gekauft?“, fragte Phil und nahm den Strauß von der Kommode. „Wie? Ach so. Ja. Kannst du ins Wasser stellen“, sagte Rick beiläufig. Vorsichtig entfernte Phil das dünne Papier und atmete den süßen Duft der Rosen ein. Inzwischen konnte er wieder ein bisschen riechen. „Sie sind wirklich schön.“ Er lächelte Rick an. „Tomoe freut sich bestimmt sehr darüber.“ „Die sind für dich“, murmelte Rick unterdrückt. „Für mich?“, fragte Phil nach, der das, was er gerade gehört hatte, nicht glauben konnte. „Ja, für dich. Da im Schrank sind Vasen. Nimm dir eine raus.“ Phil suchte eine passende Vase aus, ging damit in die Küche und füllte Wasser hinein. Er kam zurück, stellte die Vase mit den Rosen auf den Tisch und setzte sich neben Rick. „Versteh das nicht falsch! Du bist erkältet, und ich habe dir zur Aufmunterung Blumen mitgebracht“, stellte Rick wenig glaubhaft klar. „Da ist nichts dabei.“ „Natürlich. Ich danke dir“, sagte Phil sanft lächelnd. Er wusste, dass Rick nicht die Wahrheit sagte, ließ sich aber nicht anmerken, dass er ihn durchschaut hatte. „Ich liebe dich.“ Zärtlich legte er die Fingerspitzen an seine Wange und gab ihm einen Kuss. Wie von selbst öffnete Rick seine Lippen und gab ihm damit zu verstehen, dass er mehr als nur einen flüchtigen Kuss von ihm wollte. Seine andere Hand legte er in Ricks Nacken und drang mit der Zunge leicht in ihn ein. Ricks Mund kam ihm ein wenig kühler vor als sonst. Oder war er es, dessen Körper heißer war? „Du hast Fieber“, sagte Rick, den Kuss unterbrechend. „Nur etwas erhöhte Temperatur. Das ist normal zum Abend hin.“ „Gestern Abend hattest du das nicht. Willst du nicht doch besser zu einem Arzt gehen?“ „Nein“, antwortete Phil, den es wirklich rührte, dass Rick sich solche Sorgen um ihn machte. „Ich habe mich heute gut erholt. Mir geht es schon viel besser als gestern. Und du wirst sehen, morgen oder übermorgen bin ich wieder gesund.“ Er schenkte ihnen beiden Kaffee ein und reichte Rick seine Tasse, in die er zuvor Milch und Zucker getan hatte. „Hier. Der wird dir gut tun.“ „Danke“, sagte Rick, pustete zur Abkühlung in die Tasse und nahm ein paar kleine Schlucke. „Ah, genau das, was ich jetzt brauche!“ Der Kaffee war wirklich gut. Nicht zu stark, nicht zu schwach. Die Zuckermenge stimmte aufs Gramm, und auch die zugefügte Milch war richtig abgemessen. „Sehr gut.“ In einer Schale neben der Kerze glühte schon die ganze Zeit ein kleines Stück Kohle vor sich hin. Phil gab nun zwei Körnchen aus einem Glas mit der Aufschrift „Weihrauch – Liebeszauber-Mischung“ hinzu und legte einen Deckel mit mehreren Löchern auf die Schale. Sogleich stiegen dünne Rauchfäden dadurch auf und gaben den wohligen Geruch des Harzes frei. Mit seiner Kaffeetasse in der Hand lehnte er sich an Ricks Seite, und der strich ihm, den Blick gedankenverloren auf den Rauch gerichtet, durch die Haare. Eine Weile saßen die beiden einfach nur da und hörten der entspannenden Musik zu. Rick bemerkte, dass Phil in der letzten Zeit öfter gelächelt hatte als sonst. Für gewöhnlich hatte er sein Pokerface aufgesetzt, sodass man nicht erkennen konnte, was er wirklich fühlte. Er kannte Phil nun schon fast drei Jahre, aber er wusste immer noch nicht genau, ob dieser sich absichtlich verschloss oder ob es einfach ein Teil seiner Persönlichkeit war. Verglich man ihn mit Tomoe, so hätten die Unterschiede nicht extremer ausfallen können. Tomoe wurde, wenn ihn etwas in Aufregung versetzte, entweder tief rot oder furchtbar nervös, er fing an zu heulen oder freute sich wie ein kleines Kind. Bei Phil hingegen war das strahlende Lächeln, das er seit ihrer Hochzeit des Öfteren gezeigt hatte, das Höchstmaß an Euphorie, das bei ihm möglich war. „Wirklich sehr gut“, meinte Rick noch einmal, als er den Kaffee ausgetrunken hatte. Dann fing er an, den Kuchen zu essen. „Woher hast du den? Ich hatte doch keinen hier, oder?“ „Tomoe hat ihn mitgebracht.“ Ricks Miene hellte sich auf. „Tomoe war hier?“ „Ja. Er hat die DVD zurückgebracht, die du ihm am Valentinstag geliehen hattest.“ Er zeigte auf die Ablage neben dem Fernseher, auf der die DVD lag. „Ich soll dir schöne Grüße von ihm bestellen.“ „Mein Tomoe war hier, und ich war nicht da“, seufzte Rick. „Zu dumm!“ „Er sagte noch, dass er gestern Abend deinen Videorecorder repariert hat.“ „Hat er ihn wieder hingekriegt?“ „Fast. Irgendwas stimmt mit den Tonköpfen nicht. Da muss noch mal ran. Aber er meinte, er bekommt den Rest auch hin.“ „Super!“, freute sich Rick. „Tomoe ist wirklich ein Genie!“ „Ich hätte ihn dir auch reparieren können. Warum hast du mich nicht gefragt?“ „Weil du krank bist.“ Phil schmiegte sich noch näher an ihn. „Du bist so lieb…“ „Wollte Tomoe sonst noch was?“, fragte Rick und ignorierte die Worte, die Phil gesagt hatte. „Er hat ein paar Reiseprospekte für uns hier gelassen. Mitsugu und er überlegen noch, wo sie ihre Hochzeitsreise verbringen wollen. Und wir beide wissen ja auch noch nicht, wo wir…“ „Zeig mal her“, unterbrach Rick ihn, nahm den Stapel Prospekte vom Tisch und sah ihn durch. „Hawaii… Dominikanische Republik… Sri Lanka… Paris… Kreuzfahrt… Schloss Neuschwanstein, ha, typisch Japaner!“ „Kanako hat mir geschrieben“, sagte Phil, der zwei Stunden zuvor seine E-Mails über Ricks Computer abgerufen hatte. „Ich habe dir die Mail ausgedruckt.“ Er deutete auf ein Blatt, das ebenfalls auf dem Tisch lag. „Wahrscheinlich hat sie nur wieder was von ihrem Pferd geschrieben“, meinte Rick gelangweilt. „Sie hat auch ein neues Foto mitgeschickt. Tetsuhiro ist mit drauf. Ich dachte, du würdest dich darüber freuen.“ Rick packte die Prospekte zurück und schnappte sich das Blatt. Das Foto war im Stall aufgenommen worden. Es zeigte Kanako auf ihrem Rappen, der viel zu groß für das zierliche Mädchen zu sein schien. Davor stand Tetsuhiro und neben ihm, mit einer dicken qualmenden Zigarre im Mundwinkel, Soichi. „Wieso stehen eigentlich alle kleinen Mädchen auf Pferde? Ich begreife das nicht. Meine Cousine Rebecca ist genauso drauf. Hey, vielleicht sollte ich sie und Kanako mal miteinander bekannt machen. Dann können sich die Kleinen den ganzen Tag Pferde-E-Mails schreiben“, sagte er in einem Ton, als würde er über Sechsjährige sprechen und nicht über zwei fünfzehnjährige Mädchen. „Leite die Mail doch einfach an Becci weiter.“ „Gerne. Weißt du, Pferde sind wundervolle Tiere“, sagte Phil schwärmerisch. „Ich habe früher oft stundenlange Ausritte unternommen. Das wäre bestimmt auch etwas für dich. Wollen wir beide nicht einmal zu meinen Eltern auf die Ranch fahren? Du warst noch nie dort.“ „Ich soll zu dir nachhause?“ „Nein. Mein Zuhause“, Phils ohnehin schon sanft blickende Augen nahmen einen noch sanfteren Ausdruck an, „ist hier bei dir.“ Rick bemühte sich, nicht zu lange in die verliebten tiefblauen Augen seines Mannes zu sehen und murmelte nur: „Danke fürs Ausdrucken.“ „Ist das nicht ein bildschöner Hengst?“, fragte Phil, auf das Foto sehend. „Ja…“ Ricks Blick verweilte kurz auf Tetsuhiros Gesicht. „Ein toller Hengst.“ Er legte das Blatt wieder auf den Tisch, erhob sich und ging zur Kommode neben der Tür. „Wo wir gerade von Fotos sprechen…“ Rick nahm ein großes Schwarzweiß-Bild aus der Kommode. „Hier, das wollte ich dir noch zeigen. Ich habe es vor ein paar Tagen wieder gefunden, als ich nach etwas gesucht habe.“ Er gab Phil das Foto. Es zeigte eine junge Frau, eher noch ein Mädchen, mit langer platinblonder Dauerwelle. Ihre Haut wirkte weiß wie die einer Porzellanpuppe, was durch die fehlenden Farben auf der Fotografie noch verstärkt wurde. Neben ihr stand ein hoch gewachsener dunkelhäutiger Mann. Er trug das Kostüm eines altägyptischen Pharaos und war ein paar Jahre älter als sie. Im Hintergrund war ein Teil eines Zirkuszelts zu sehen. „Deine Großeltern“, sagte Phil. „Ja. Das ist das einzige Foto, das ich von meinem Großvater habe. Grandma war damals gerade sechzehn geworden.“ „Er sieht dir sehr ähnlich“, sagte Phil. „Die gleichen schönen Augen, die langen Wimpern, sein Lächeln.“ Er hatte ihn bisher nur aus Erzählungen von Ricks Großmutter gekannt. Sie hatte sich in den schönen Artisten verliebt, doch dieser war wenige Tage, nachdem das Foto entstanden sein musste, mit seinem Zirkus weiter gezogen. Ihn hatte sie nie wieder gesehen. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung davon gehabt, dass sie von ihm schwanger gewesen war. Und neun Monate später war dann Ricks Mutter geboren worden. Rick legte das Foto zurück in die Kommode und widmete sich der Post. „Werbung“, meinte er und warf den ersten Brief beiseite. „Rechnung…“ Er hielt inne und starrte auf die beiden anderen Briefe, die nicht an ihn, sondern an Phil adressiert waren. „Wieso kommt deine Post bei mir an?“ „Ich habe mich umgemeldet“, antwortete Phil, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Wieso?!“ „Als ich letzte Woche aus meiner alten Wohnung ausgezogen bin, musste ich einen neuen Wohnsitz angeben, sonst hätte ich als obdachlos gegolten. Und da ich ja bei dir eingezogen war, habe ich diese Adresse hier angegeben.“ „Heißt das, wir wohnen jetzt offiziell zusammen?“ „Ja. Ich sagte doch gerade, mein Zuhause ist hier.“ „Warum hast du mir nichts davon erzählt?! Oder mich wenigstens gefragt, ob es mir recht ist? Das ist schließlich meine Wohnung!“, regte sich Rick auf. „Du hast doch gesagt, du willst, dass ich meine Entscheidungen alleine treffe und dich nicht bei allem frage.“ „Ja, ja! Wenn es um Kleinigkeiten geht. Aber doch nicht bei solchen wichtigen Sachen! Und außerdem will ich nicht mit dir zusammenleben!“ „Überleg doch bitte. Es bringt viele steuerliche Vorteile, wenn wir als verheiratetes Paar zusammenleben“, sagte Phil. „Mich interessieren im Moment keine steuerlichen Vor- oder Nachteile! Die Wohnung ist auch viel zu klein für uns beide.“ „Wäre eine größere Wohnung denn okay? Ich zahle natürlich die Hälfte der Miete, jetzt, wo wir zusammenwohnen.“ „Wie wär’s mit der ganzen?“, gab Rick zurück. Phil nickte. „Wenn du das möchtest?“ „Im Ernst?“, fragte Rick, obwohl es ihn eigentlich nicht überraschte, dass er darauf eingegangen war. „Ja“, bestätigte Phil. Ohne das Thema weiter zu vertiefen, warf Rick die beiden Briefe auf das Sofa. „Deine Post.“ Phil las kurz die Absender, legte dann den dünnen Brief auf den Tisch und riss den dicken Umschlag auf. „Ah, der neue Katalog“, meinte er und fing an, darin zu blättern. Rick warf einen Blick auf das Titelblatt, auf dem ein dickes „Nur für Erwachsene!“ prangte und sah mit in den Katalog. „Das muss ich Tomoe mal zeigen. Der arme Kleine kriegt glatt einen Schock fürs Leben! Ich wette, er weiß nicht mal, dass es so etwas überhaupt gibt. Du hättest mal hören sollen, wie sein Bruder losgekreischt hat, als er gesehen hat, was wir im Hotel so alles in unserer Schublade hatten.“ „Das hast du Soichi gezeigt?“, fragte Phil ohne aufzusehen. „Klar. Tetsuhiro auch. Übrigens hat er mir geschrieben, dass er unsere Geschenke schon an Soichi ausprobiert hat.“ Rick grinste schadenfroh. „Und Soichi hat es gefallen. Auch, wenn er es am nächsten Tag abgestritten hat.“ „So?“ Noch immer sah Phil nicht auf. „Dir hat es ja nicht gefallen.“ „Ich sagte doch gestern schon, dass ich nicht in der Stimmung war! Ich… ich mache uns mal was zu essen“, lenkte er ab. „Hab ich schon gemacht. Steht auf dem Herd. Gemüsepfanne mit Reis. Es muss nur noch einmal aufgewärmt werden.“ Wortlos verschwand Rick in der Küche. Ein paar Minuten verstrichen, und dann klingelte es an der Tür. Da in der Küche die Dunstabzugshaube lief, hatte Rick nichts davon mitbekommen. Auf seinen dicken Socken ging Phil zur Tür und öffnete. „Hi!“, sagte der Mann, der davor stand. Er war Anfang zwanzig und von oben bis unten schwarz gekleidet. Dadurch hob sich der leuchtend rot gefärbte Irokesen-Haarschnitt, den er mit Haarspray in die richtige Form gebracht hatte, besonders ab. Der Rest des Kopfes war kahl rasiert. Er war noch ein Stück blasser als Phil, und in seinem Gesicht und den Ohren befanden sich weit über zehn Piercings. „Ich bin Steven. Du musst Phil sein.“ „Ja, bin ich. Hallo.“ Bei seinem Anblick musste Phil an einen der schwarzen Hähne denken, die auf der elterlichen Ranch lebten. „Ist Rick da?“ Phil nickte. „Rick? Du hast Besuch!“, rief er in Richtung Küche, woraufhin Rick herangeeilt kam. „Hey, Steve! Sorry, ich hab dich nicht gehört. Ich war in der Küche.“ „Hi Rick!“ Steven legte einen Arm um Ricks Taille und drückte ihm einen mehr als nur freundschaftlichen Kuss auf den Mund. „Kein Problem. Dein Bruder hat mir schon aufgemacht.“ „Mein Bruder?“, wunderte sich Rick. „Ihr seht euch gar nicht ähnlich. Seid ihr Halbgeschwister?“ „Ich bin nicht Ricks Bruder“, sagte Phil und hielt seine Hand hoch, sodass Steven den Ring sehen konnte. „Ich bin sein Ehemann.“ „Oh…“ Peinlich berührt lief Steven rot an und suchte nach den richtigen Worten. „Tja… ich war zufällig in der Gegend und wollte nur fragen, wie es Rick so geht…“ „Bemühe dich nicht, eine Ausrede zu finden. Phil weiß, dass ich nichts von Treue halte.“ Erleichtert atmete Steven auf. „Okay. Ich wusste gar nicht, dass du geheiratet hast.“ „Jetzt weißt du es ja. Wie kommst du darauf, dass Phil mein Bruder ist?“ Steven zeigte auf das Namensschild unter der Türklingel. „Weil hier ‚Richard Coldman und Phil Coldman’ steht.“ „Was?“ Rick trat auf den Flur hinaus und nahm das Schild in Augenschein. Dann warf er Phil einen bösen Blick zu. „Wann hast du das gemacht?“ „Heute Vormittag, als du weg warst. Ich dachte, wenn ich hier wohne, kann auch mein Name an der Tür stehen.“ „Wieso steht Ricks ganzer Name da und deiner nur abgekürzt?“, fragte Steven, bevor die beiden anfangen konnten zu streiten. „Müsste da nicht ‚Phillip Coldman’ stehen?“ „Das ist keine Abkürzung. Ich heiße Phil.“ „Also, das habe ich ja noch nie gehört, dass jemand…“ „So, genug diskutiert. Komm rein“, schnitt Rick Steven genervt das Wort ab und schloss die Tür hinter ihm. Dieser sah sich im Wohnzimmer um. „Mensch, bei euch sieht es ja wirklich aus wie bei einem richtigen Ehepaar! Kerze auf dem Tisch, Rosen, Kaffee und Kuchen…“ „Wir sind ein richtiges Ehepaar“, sagte Phil. „Das war nicht abwertend gemeint“, verteidigte sich Steven schnell. „Ich hätte es nur nie für möglich gehalten, dass Rick jemals heiratet.“ „Glaub mir“, sagte Rick, „ich auch nicht.“ Wieder legte Steven einen Arm um ihn. „Du hattest unser Date wohl vergessen, was?“ „Ja, total. Ich hatte so viel um die Ohren, und dann ist da auch noch Phils Erkältung. Ich hab echt nicht mehr dran gedacht.“ „Wollen wir lieber zu mir gehen? Haben wir ja sonst auch immer so gemacht.“ „Nein, lass mal“, meinte Rick. „Wir bleiben hier.“ „Möchtest du ein Stück Kuchen?“, bot Phil höflich an. „Oder einen Kaffee mittrinken?“ „Kaffee? Klar, warum nicht. Hätte zwar lieber ’n Bier, aber was soll’s…“ Steven schlenderte zum Sofa. Mit einem Seitenblick auf den Katalog fragte er: „Steht ihr etwa auf dieses Zeug?“ Dann meinte er zu Rick: „Davon hast du mir noch nie etwas erzählt.“ Phil sah zu Boden. Das alles klang ja ganz so, als ob die beiden sich schon länger kennen würden. „Ich hole dir eine Tasse“, sagte er leise, ging in die Küche und lehnte die Tür hinter sich an. „Na, der hat ja die Ruhe weg“, merkte Steven an, sodass Phil ihn gerade noch hörte. Kaum war er alleine mit Rick, raunte er diesem zu: „Du bist so verdammt heiß! Unser letztes Mal ist wie lange her? Einen Monat?“ „Kommt wohl hin…“ Gierig schob er eine Hand unter Ricks Hemd und fing an, ihn am Hals zu küssen. „Ich halt’s keine Minute länger aus. Los, wo ist dein Schlafzimmer? Da?“ Er sah zu einer der Türen hin. „Ja, aber wolltest du nicht erst einen Kaffee…“ „Den kann ich auch hinterher trinken. Oder wollen wir auf deinen Mann warten und es zu dritt machen? Wäre mir auch recht.“ „Phil schläft nur mit mir“, lehnte Rick ab. Er hörte, wie in der Küche die Dunstabzugshaube abgestellt wurde. „Gut, dann nur wir beide. Los, komm endlich!“ Steven nahm Ricks Hand und drängte ihn ins Schlafzimmer. Da Rick nicht hundertprozentig überzeugt zu sein schien und etwas widerwillig mitging, flüsterte er ihm noch zu: „Keine Sorge, ich bring dich schon in Fahrt!“ Phil kam gerade noch rechtzeitig aus der Küche, um zu sehen, wie die Tür hinter den beiden zufiel. Der dabei entstandene Luftzug war so stark, dass er die Flamme der Kerze ausblies. Mit der Kaffeetasse in der Hand blieb er einen Moment stehen, um das Gesehene zu verarbeiten. Vor ein paar Minuten hatten Rick und er noch gemütlich auf dem Sofa gesessen. Jetzt war er mit diesem Steven verschwunden, und es war klar, was die beiden vorhatten. Nein, er würde nicht einschreiten und die beiden stören. Oder eifersüchtig werden. Er hatte es Rick vor ihrer Hochzeit versprochen, und er würde sich daran halten. Richtig eifersüchtig war er zwar nie gewesen, aber er hatte Rick oft Vorwürfe wegen seiner zahlreichen Affären gemacht. Langsam ging er zum Tisch und stellte die Tasse ab. Der andere Brief lag noch immer dort. Im Zimmer nebenan war das Geräusch des Lattenrosts zu hören, das unter dem Gewicht der beiden Männer knarrend nachgab. Mit dem Brieföffner, der auf der Kommode lag, schnitt er den Umschlag auf, faltete den Brief auseinander und überflog ihn. Aus dem Schlafzimmer vernahm er, wie Rick schmerzhaft aufstöhnte, ja, fast schon schrie und Steven daraufhin etwas Entschuldigendes sagte. Seufzend faltete er den Brief wieder zusammen und steckte ihn zurück in Umschlag. Noch einmal hörte er Ricks Stimme, diesmal weniger schmerzhaft, aber immer noch alles andere als entspannt. Phil löschte das Kohlestück im Räuchergefäß, stellte die Stereoanlage aus und ging zur Garderobe, um sich Schuhe und Jacke anzuziehen. Er schlang sich seinen Schal um den Hals, steckte den Brief ein und verließ das Apartment. Die Zähne zusammengebissen bemühte sich Rick, nicht noch einmal aufzuschreien. Vorne übergebeugt kniete er auf der Matratze, stützte sich auf den Ellenbogen ab und starrte auf das Kopfende des Bettes vor sich. Die Kette mit dem „Tomoe“-Anhänger baumelte von seinem Hals, und die kleinen Brillanten des Eherings funkelten schwach. Es war das erste Mal seit der Hochzeit, dass er sich von jemand anderem als Phil berühren ließ. ‚Warum tue ich das hier eigentlich?’, fragte er sich innerlich, denn es war nicht so wie bei seinen früheren Treffen mit Steven. Er hatte kein bisschen Lust, und es tat einfach nur weh. Als Phil nach ihrer Hochzeit erstmals wirklich aus sich herausgegangen war, hatte es zuerst auch wehgetan, und die anderen gemeinsamen Nächte danach waren anfangs auch etwas schmerzhaft gewesen. Doch inzwischen wusste Phil genau, welches Tempo Rick wollte. Stevens große Hände hielten ihn fest an den Hüften gepackt und verkrampften sich, als dieser nun zum zweiten Mal einen befriedigten Schrei ausstieß, während es bei ihm selbst noch nicht ein einziges Mal soweit war. „Was ist denn heute los mit dir?“, fragte Steven außer Atem und legte sich neben Rick. „Ist es, weil dein Kerl nebenan ist?“ Ohne etwas zu sagen, schüttelte Rick den Kopf und ließ sich langsam auf den Bauch sinken. „Oder hab ich dir wehgetan?“ „Ach, merkst du das jetzt auch schon?!“, fuhr Rick ihn an. „Hey, ich hab’s genauso gemacht wie immer!“, rechtfertigte sich Steven. „Gib nicht mir die Schuld, wenn dir jetzt was wehtut!“ Etwas angesäuert stand er vom Bett auf und ging zurück ins Wohnzimmer. „Sieht so aus, als hätten wir deinen Mann nun doch vergrault“, stellte er fest und schloss sich seine Hose. Er hatte sich vorher nicht die Mühe gemacht, sich ganz auszuziehen. „Wieso?“ „Er ist nicht mehr da.“ Sich ebenfalls den Reißverschluss hochziehend, kam Rick hinzu. „Dieser Idiot“, brummte er und blickte zur Garderobe. Die Jacke und der Schal waren weg, die Schuhe auch. Der Atelier-Schlüssel war noch da. Aber das musste nichts heißen. Um diese Zeit waren Pierre und Pascal für gewöhnlich noch dort und würden Phil sicher reinlassen. „Und ich habe ihm extra noch gesagt, dass er nicht rausgehen soll, so erkältet, wie er ist! Und Fieber hatte er vorhin auch.“ „Also, verübeln kann ich’s ihm nicht“, meinte Steven und setzte sich breitbeinig aufs Sofa. „Hast du keine Milch da?“, fragte er, während er sich Kaffee eingoss und gleichzeitig ein großes Stück Kuchen in den Mund schob. „Im Kühlschrank.“ Steven nahm die halb gefüllte Tasse mit in die Küche, wo er sich den Kaffee mit der gleichen Menge Milch verdünnte. „Vielleicht ist er zum Atelier gegangen, hat sein Motorrad geholt und ist zu Tomoe gefahren“, überlegte Rick und zog sich sein Hemd über. „Ruf ihn doch auf dem Handy an.“ „Er hat keins.“ Steven lachte auf. „Jeder hat ein Handy.“ „Phil nicht!“ „Ziemlicher Hinterwäldler, was?“ Er nahm den letzten Schluck, stellte die leere Tasse auf den Küchentisch und kam zu Rick zurück. „Na ja, wenigstens war der Kaffee gut. Wollen wir noch zu mir gehen? Oder wie wär’s, wenn wir in ein paar Clubs…“ „Hau einfach ab, okay?“ „Was?“, fragte Steven, erschrocken über Ricks harten Ton. „Du sollst abhauen!“, wiederholte Rick entschieden. „Verzieh dich, und komm nicht wieder! Da ist die Tür!“ „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ „Und ob. Verschwinde!“ Rick öffnete die Wohnungstür. „Machst du jetzt plötzlich einen auf feste Beziehung oder was? Das nimmt dir sowieso keiner ab! Alle wissen, dass Rick Coldman mit jedem ins Bett springt, der nicht bei drei auf den Bäumen ist!“ „Und? Was geht dich das an? Das ist allein meine Sache!“ Steven schüttelte leicht den Kopf, noch immer in der Hoffnung, dass das alles nur eine Laune von Rick war, die wieder vorübergehen würde. „Soll das heißen, das war’s?“ Mit einem Kopfnicken deutete Rick erneut zur Tür. „Weißt du was? Du kannst mich mal!“, fauchte Steven ihm beim Hinausgehen zu. „Auf so einen zickigen Typen kann ich gut verzichten!“ „Und ich erst recht!“, antwortete Rick und knallte die Tür zu. Die Wohnung kam ihm schrecklich leer vor, jetzt, wo auch noch Steven weg war. Am besten, so überlegte er, wäre es sicher, wenn nach unten ginge und nachsah, ob er Phil irgendwo fand. Aber er hatte immer noch leichte Schmerzen, und in diesem Zustand würde er es nicht weit bringen. Langsam legte er sich auf das Sofa. Und dann wurde es ihm bewusst. Er machte sich tatsächlich Gedanken darüber, wohin Phil verschwunden war! Noch vor einem Monat wäre er froh gewesen, Phil mal für eine Weile los zu sein. Jetzt war es endlich soweit, aber er fühlte sich überhaupt nicht gut dabei. Dazu kam, dass er wegen Steven ein schlechtes Gewissen hatte. Nein, so unfreundlich hätte er wirklich nicht zu ihm sein müssen. Es war sonst auch gar nicht seine Art, sich so zu benehmen. Schließlich hieß er nicht Soichi, bei dem ein solches Verhalten an der Tagesordnung war. Eilig vertrieb er jeden Gedanken an Steven aus seinem Kopf. Er wollte gerade nach dem Telefonhörer greifen, um Pierre anzurufen, für den Fall, das Phil dort auftauchte, als er den Schlüssel in der Tür hörte. Mit beneidenswerter Gelassenheit kam Phil herein, stieg aus seinen Schuhen, hängte die Jacke an einen Garderobenhaken und legte den Schal darüber. „Wo warst du?“ So gut es ging, versuchte Rick, ruhig zu klingen. In diesem Augenblick kam es ihm geradezu lächerlich vor, dass er einen Moment lang geglaubt hatte, Phil sei auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ausgerechnet Phil, der natürlich nie freiwillig von seiner Seite gewichen wäre. „Ich war kurz spazieren. Ich musste über etwas nachdenken. Hier.“ Er griff in die Jackentasche und holte zwei Zettel heraus. „Als ich am Zeitungsstand vorbeigekommen bin, habe ich uns Lotterielose für die Ziehung heute Abend gekauft. Eins für dich und eins für mich.“ „Lose?!“ Nun war Rick vollends aus dem Konzept gebracht. „Steven kam mir auf der Straße entgegen“, sagte Phil und setzte sich zu ihm. „Er sah ziemlich wütend aus. Hattet ihr Streit?“ „Kann man so sagen.“ „Und? Wie war er?“, kam Phil ohne Umschweife zur Sache. „Hatte ihn besser in Erinnerung.“ Rick legte sich etwas bequemer hin. „Au…“ „Hat er dir wehgetan?“ „Was ist das für eine Frage? Du hast doch gehört, dass ich geschrieen habe, oder?“ „Ja.“ Mit fiebrig glänzenden Augen sah Phil ihn an. „Dann hat es dir also nicht gefallen?“ „Natürlich nicht! Ich bin nicht so ein Masochist wie du.“ Rick wandte den Blick ab. Einerseits rechnete er es Phil hoch an, dass er sie vorhin nicht gestört hatte. Andererseits konnte er nicht verstehen, wieso Phil nach seinem Schrei nichts unternommen hatte. Wenigstens an die Tür klopfen und kurz fragen, ob alles in Ordnung sei, hätte er doch können. Aber nein, Phil war einfach weggegangen. War es nicht damals in Japan so ähnlich gewesen? An einem sonnigen Tag hatte er mit Tomoe im Park gesessen, beobachtet von Phil, Kurokawa und Isogai. Und als er Tomoe dann geküsst hatte, war Kurokawa nicht davor zurückgeschreckt, mit einem gewaltigen Fußtritt auf ihn loszugehen. Auch da hatte Phil nicht eingegriffen. Gut, zu dem Zeitpunkt waren sie kein Paar gewesen. Aber jetzt waren sie eines. Konnte man nicht von seinem Partner erwarten, dass er einem in so einer Situation half? Wie es aussah, nicht. Tröstend griff Phil nach seiner Hand. „Dein Herz rast ja…“, sagte er, als er den beschleunigten Puls spürte. „Nur, weil ich mich über Steve geärgert habe.“ „Warum hast du ihm nicht einfach gesagt, dass er aufhören soll? Mir sagst du es ja auch, wenn es dir zuviel wird.“ Rick antwortete ihm nicht. Er war Phil knappe drei Wochen vollkommen treu gewesen. Eine kurze Zeit, sollte man denken. Für Ricks Verhältnisse jedoch kam es einem rekordverdächtig langen Zeitraum gleich. Und als er gestern auf dem Weg zur Universität Steven begegnet war, hatte er die Gelegenheit wahrgenommen und sich mit ihm für heute verabredet. Aber jetzt fragte er sich, warum er das eigentlich getan hatte. Schließlich bekam er von Phil alles, was er wollte. Kein anderer Mann konnte da mit ihm mithalten. Vermutlich – das musste sich Rick eingestehen – nicht einmal Tomoe. Hatte er womöglich nur aus Gewohnheit mit Steven geschlafen? Weil er sich eingeredet hatte, dass er neben Phil noch andere Männer brauchte? Er hatte vorhin ja genau gespürt, dass er eigentlich gar kein Verlangen nach Steven gehabt hatte. Und trotzdem hatte er ihn nicht gebeten, aufzuhören. Etwa, weil er sich damit eingestanden hätte, dass ihm Phil als Partner ausreichte? Nein, das konnte doch nicht sein… Rick fühlte, wie sein Herzschlag noch schneller wurde. Das alles konnte nur an Steven liegen. Es musste so sein! Sobald Phil wieder gesund war, würde er es mit anderen Männern probieren, nahm Rick sich vor. Dann würde er ja sehen, dass alles so war wie immer. „Seid ihr zusammen?“, fragte Phil nach einer Weile. „Nein. Wir haben uns Anfang Dezember im ‚Challengers’ kennen gelernt und uns seitdem ein paar Mal getroffen.“ Phil erinnerte sich, wie er Rick im letzten Jahr spontan eingeladen hatte, mit ihm einen Kurzurlaub für ein paar Tage oder eine Woche zu verbringen. Das war um den 20. Dezember herum gewesen. Doch ohne einen Grund zu nennen, hatte Rick abgelehnt. Das war Phil schon damals seltsam vorgekommen. Schließlich hatte Rick ihn wenige Tage zuvor regelrecht bekniet, ihn zu einer Feier mit seiner Familie zu begleiten, was Phil natürlich liebend gern getan hatte. Rick hatte nämlich eine sehr aufdringliche Tante, die ihn stets mit irgendwelchen Frauen verkuppeln wollte, wenn sie ihn bei Familienfesten alleine antraf und in ihre Finger bekam. Sie weigerte sich einzusehen, dass ihr Neffe kein Interesse an Frauen hatte. Indem er aber jedes Mal Phil mitbrachte und als seinen über alles geliebten Freund präsentierte, direkt vor ihren Augen mit ihm flirtete und Händchen hielt, blieb er von ihren Kuppelversuchen halbwegs verschont. Phil wusste natürlich, dass Rick den Verliebten nur spielte. Und eigentlich war es ja seine eigene Idee gewesen, Ricks Tante auf diese Weise auf Abstand zu halten. Auf Phils Wunsch hin hatten sie dieses Theater einige Monate zuvor das erste Mal ausprobiert, und da es so gut geklappt hatte, war es schnell zur Gewohnheit geworden. Es war nicht so, dass Phil deswegen eine Art Gegenleistung von ihm verlangt hätte. Aber die Stimmung zwischen ihnen beiden war auf diesem Fest so harmonisch gewesen, dass Phil gerne ein paar weitere Tage nur mit ihm allein verbracht hätte. Nach der Absage war Rick dann ganz plötzlich ohne Phil verreist. Doch Phil hatte seine Urlaubspläne trotzdem umgesetzt. Er hatte kurzerhand einen Last Minute Flug nach Crescent City im Norden Kaliforniens gebucht und war von dort aus weiter zu seinen Eltern gefahren, wo er bis Januar geblieben war. „Ende Dezember, warst du da bei ihm?“, sprach er endlich seine Vermutung aus. Langsam zog Rick seine Hand zurück. Erst jetzt wurde ihm richtig bewusst, dass Phil sie die ganze Zeit gehalten hatte. „Ja. Ich bin mit ihm übers Wochenende weggefahren.“ Und mit hörbar schlechtem Gewissen fügte er hinzu: „Aber er hatte mich vor dir gefragt!“ „Liebst du ihn?“ „Nein.“ Er tastete nach der Herzkette an seinem Hals. „Ich liebe Tomoe.“ Dann sah er zum Wohnzimmertisch, auf dem nach wie vor das Foto lag, das Kanako geschickt hatte. „Und ich mag Tetsuhiro.“ Er ließ die Kette los und berührte flüchtig seinen Ehering. Ja, früher… Da hatte er auch Phil geliebt. Oder war wenigstens in ihn verliebt gewesen. Er hatte es ihm gesagt, öfter sogar. Aber die Liebe war so schnell verflogen, wie sie gekommen war, und er hatte sich von Phil getrennt. Erst, als dieser ihm nach Japan gefolgt war, waren sie sich wieder näher gekommen. Es war an dem Tag gewesen, den er mit Tomoe im Park verbracht hatte. Nach der Attacke von Kurokawa war er mit Phil in seine Wohnung zurückgekehrt und hatte sich noch ein bisschen mit ihm gestritten. Am Abend war es Phil dann irgendwie gelungen, mit ihm im Bett zu landen. Für Rick war das eine einmalige Sache gewesen, ein unbedeutender Zeitvertreib. Ein kleiner Trost, der ihn für einen Augenblick lang die herbe Niederlage im Kampf um Tomoe hatte vergessen lassen. Doch Phil hatte danach geglaubt, dass es von da an wieder so zwischen ihnen werden würde wie früher. Natürlich hatte er ihn nicht in dem Glauben gelassen und ihm klargemacht, dass er keine Beziehung mit ihm wollte. Dass er unehrlich zu ihm gewesen wäre, konnte Rick sich wirklich nicht vorwerfen. Er hatte ihm keine falschen Hoffnungen gemacht. Trotzdem war Phil erst Monate später zusammen mit ihm nach Amerika zurückgeflogen. Und bis dahin war es, entgegen Ricks Vorsätzen, nicht bei dem einen Mal geblieben. Zuhause angekommen, hatten sich ihre Wege zunächst wieder getrennt, aber auch das war nur von kurzer Dauer gewesen. Phil hatte ständig seine Nähe gesucht, und so war irgendwann doch wieder eine Art Beziehung entstanden. Phil atmete tief durch. Er hatte natürlich gesehen, wie Ricks Finger den Ring gestreift hatten. Nun wartete er darauf, dass er weiter sprach. Doch das passierte nicht. „Hast du Hunger?“, fragte er schließlich. Geistesabwesend nickte Rick. „Du kannst ruhig liegen bleiben. Ich hole uns das Essen her“, sagte Phil und stand auf, um in die Küche zu gehen. „Ich habe mit Steve Schluss gemacht.“ Phil blieb stehen. Er drehte sich um und sah Rick an. „Es war sowieso nichts Ernstes zwischen mir und ihm“, sagte Rick. „Ich brauche ihn nicht mehr.“ „Okay.“ Mit diesem einen nüchternen Wort war für Phil die Sache erledigt, und er holte das Essen. Nachdem sie im Wohnzimmer zu Abend gegessen hatten, stellte Rick den Fernseher und die Spielkonsole an. Er musste zwar noch jede Menge für sein Studium lernen, aber jetzt wollte er sich erst einmal etwas ablenken. Verwundert sah auf den Bildschirm. „Hey! Du hast meinen Highscore geknackt! Und Tomoe auch.“ „Als er vorhin hier war, haben wir ein paar Runden gezockt.“ „Ja, das sehe ich.“ An erster bis fünfter Stelle war der Name „Phil“ eingetragen, mit einigem Abstand auf Platz sechs und sieben „Tomoe“ und auf acht und neun wieder „Phil“. Sein eigener Name stand weit abgeschlagen auf der Zehn. „Du bist besser als Tomoe.“ Auf Phils Gesicht erschien wieder das Lächeln, das er in den letzten Wochen so oft gezeigt hatte. Dass Rick jemals so etwas zu ihm sagen würde… „Wie habt ihr das gemacht? Habt ihr geschummelt?“ „Nein, das war ganz einfach.“ Rick drückte Phil, der wieder neben ihm auf dem Sofa saß, den Controller in die Hand. „Das will ich sehen.“ Ruhig und konzentriert spielte sich Phil durch die Level. Es schien ihn auch nicht zu stören, dass Rick den Kopf in seinen Schoß gelegt hatte und dem Spielverlauf zusah. Dadurch konnte er den Controller zwar nicht besonders gut halten, aber Ricks Nähe machte das wieder wett. Die Punkteanzeige stieg und stieg, und als am Ende „Game over“ eingeblendet wurde, hatte er seinen eigenen Highscore überboten. Er wollte gerade „Phil“ eingeben, als Rick ihm den Controller wegnahm und stattdessen seinen eigenen Namen eintrug. „Platz 1: Rick“, sagte dieser zufrieden, speicherte das Spiel ab und stellte die Konsole, die vor ihm auf dem Tisch stand, aus. Jetzt hatte er keine Lust mehr zu spielen. „Als du vorhin wiedergekommen bist, hast du gesagt, dass du draußen über etwas nachdenken musstest. Worüber?“ „Über das hier.“ Phil zeigte auf den dünnen Briefumschlag, den er zusammen mit den Losen auf den Tisch gelegt hatte. „Sie haben mir eine Stelle im Amerikanischen Institut für experimentelle Molekularphysik angeboten.“ Damit konnte Rick nicht wirklich etwas anfangen, verzichtete aber darauf, es Phil noch einmal wiederholen zu lassen. „Und wo ist dieses Institut?“ „In Miami.“ „Aha.“ „Ich werde ablehnen.“ „Wieso?“ „Weil ich nicht von dir verlangen kann, dass du mitkommst. Du müsstest dann von Tomoe weg. Das kann ich dir nicht zumuten. Ich weiß ja, wie sehr du ihn liebst.“ „Und wenn du alleine gehst?“, schlug Rick vor, obwohl er genau wusste, wie die Antwort ausfallen würde. „Die zahlen dir bestimmt ein gutes Gehalt.“ „Ohne dich gehe ich nicht.“ Liebevoll streichelte Phil ihm über die Haare. „Außer, du willst, dass ich gehe.“ „Nein…“, sagte Rick leise. „Davon abgesehen, möchte ich dort nicht arbeiten. Mir genügt es, wenn ich weiterhin als Künstler mein Geld verdienen kann. In den letzten Jahren habe ich gut davon leben können, und ich habe eigentlich nicht vor, das zu ändern. Vor allem kann ich mir so meine Arbeitszeit selbst einteilen und habe mehr Zeit für dich. Ich habe das ganze Studium nur gemacht, weil meine Eltern es so wollten.“ „Ja, und deswegen waren sie auch nicht gut auf mich zu sprechen, nachdem du es meinetwegen hast sausen lassen.“ „Dafür sind sie dir jetzt umso dankbarer, dass du mich überredet hast, den Abschluss nachzuholen.“ „Ich? Also, eigentlich war es ja Tomoes Vater.“ „Du hattest aber keine Einwände, dass ich weiterstudiere.“ „Als ob du meine Erlaubnis bräuchtest!“ „Weißt du, am liebsten würde ich das machen, was du heute Morgen zu mir gesagt hast“, meinte Phil. „Heute Morgen hab ich ’ne Menge zu dir gesagt.“ „Du sagtest, meine Eltern hätten wahrscheinlich von mir erwartet, dass ich heirate und die Ranch übernehme. Nun, geheiratet habe ich.“ Rick setzte sich auf. „Vergiss es! Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich mit dir auf diesen Bauernhof ziehe? Ich habe mich da heute Morgen geirrt. Es kann gar nicht sein, dass sie wollen, dass du zurückkommst. Sonst hätten sie wohl kaum darauf bestanden, dass du Physik studierst. Dann hätten sie dich Landwirtschaft oder so etwas in der Richtung studieren lassen.“ „Zuerst wollten sie das auch. Aber Dad kennt einen Professor, der ihn solange überredet hat, bis Mom und er sich letztendlich dafür entschieden haben.“ „Dich hat wohl keiner gefragt, was?“ „Nicht wirklich. Im Nachhinein bin ich aber doch froh, dass mich meine Eltern hierher nach L. A. geschickt haben. Sonst wäre ich dir nie begegnet.“ Wieder streichelte Phil ihm über die Haare. „Auch, wenn ich es später nicht beruflich nutzen sollte, werde ich das mit dem Studium jetzt durchziehen.“ „Mach das. Ich muss auch noch was für die Uni lernen“, sagte Rick und verließ das Sofa. Den Abend verbrachte Rick also mit Lernen. Phil hatte es sich mit einer Decke auf dem Sofa gemütlich gemacht, sah sich im Fernsehen einen herzzerreißenden indischen Liebesfilm an und trank hin und wieder etwas von seinem Kräutertee. Rick, der Phils Begeisterung für diese Filme nicht nachvollziehen konnte, hatte Phils Vorschlag dankend abgelehnt, ihn sich mit ihm zusammen anzusehen. Ihm hatte schon der Anblick des Titels gereicht, um zu wissen, dass das kein Film für ihn war: „Wo meine Liebe ist, da ist mein Herz“. Nachdem der Film über zwei Stunden gelaufen war, verfolgten sie während einer Werbeunterbrechung die Ziehung der Lottozahlen im Fernsehen, und Phil gewann tatsächlich knappe neunzig Dollar. Rick ging leer aus. „Was machst du mit dem Geld?“, fragte er. „Wir könnten uns etwas bestellen“, meinte Phil und sah auf den Katalog. „Oder ich gebe dir das Geld. Dann kannst du Tomoe etwas Schönes davon kaufen.“ „Hm…“, machte Rick, den es allmählich zu nerven begann, dass Phil anscheinend der Meinung war, dass für ihn nur Tomoe zählte. Aber war das ein Wunder? Schließlich schwärmte er bei jeder Gelegenheit von ihm. Da musste Phil ja denken, dass es außer Tomoe niemanden gab, der ihm etwas bedeutete. Leise seufzte Phil. „Aber egal, wie viel Geld ich dir geben würde, deinen größten Wunsch könnte ich dir damit trotzdem nicht erfüllen.“ „Und der wäre?“ „Dass aus dir und Tomoe ein Paar wird.“ „Okay, jetzt reicht’s.“ Rick stand von seinem Sessel auf. „Hör auf, immer nur von Tomoe zu reden!“ „Wieso denn?“, fragte Phil verwundert. „Du denkst doch die ganze Zeit an ihn. Heute Morgen auch. Oder hast du an Tetsuhiro gedacht?“ Rick verschränkte die Arme. Phil hatte es also gemerkt. „Ja, ich habe an Tomoe gedacht.“ „Ich habe kein Problem damit“, beruhigte Phil ihn. Er stand auch auf, fasste um Rick herum und legte seine Hände an dessen Rücken. „Hast du nur an ihn gedacht, oder hast du dir richtig vorgestellt, ich sei er?“ „Hab nur kurz an ihn gedacht“, log Rick, denn er hatte sich ja wirklich Tomoe vorgestellt. Er ließ die Arme sinken, woraufhin Phil ihn etwas näher an sich heran zog. „Soll ich mal so tun, als ob ich Tomoe wäre?“ Belustigt lachte Rick auf. „Du? Wie soll das denn gehen? Tomoe ist klein und niedlich, und du bist… völlig anders.“ „Du wirst sehen, dass ich es kann.“ „Ach ja?“, fragte Rick lächelnd. „Also gut. Mach es.“ Phil nahm seine Arme zurück und fasste sich mit einer Hand verschämt an den Mund. Mit gesenktem Kopf sah er Rick von unten an. „Rick… Wenn Kurokawa erfährt, dass ich bei dir bin, wird er bestimmt furchtbar böse“, imitierte er Tomoes hohe kindliche Stimme, die bei Aufregung immer etwas zitterte. Sogar das leicht Weinerliche bekam er hin. Damit es echter klang, hatte er Japanisch gesprochen. Nur den kratzigen Unterton, den die Erkältung seiner Stimme verliehen hatte, konnte er nicht überspielen. „Das machst du verdammt gut…“, musste Rick zugeben. Phil hörte sich tatsächlich fast wie Tomoe an. Wobei das Kratzige eher an Soichis Raucherstimme erinnerte. Er streckte eine Hand aus und streichelte ihm über den Kopf. Das hatte er vor ein paar Tagen bei Tomoe genauso gemacht, als er ihm beim Haare färben geholfen hatte. Dabei hatte er festgestellt, dass Tomoe eine unglaublich empfindliche Kopfhaut besaß. Er hatte jedes Mal aufgestöhnt, als Rick bestimmte Stellen hinter seinen Ohren und im Nacken berührt hatte. Und jedes Mal war Kurokawa daraufhin ins Bad gekommen, um nachzusehen, was Rick dort mit seinem Mann anstellte. Am Ende war Kurokawa ganz im Bad geblieben und hatte gewartet, bis die beiden mit dem Färben fertig gewesen waren. „Mein süßer kleiner Tomoe. Mitsugu wird nichts erfahren“, sagte Rick ebenfalls auf Japanisch, da er sich mit Tomoe meistens in dessen Sprache unterhielt. Seine Hand glitt Phils Hinterkopf hinunter und verweilte in seinem Nacken. „Nicht, Rick“, hauchte Phil mit Tomoe-Stimme. „Nur Kurokawa darf mich so berühren.“ „Magst du es denn nicht, wenn ich dich berühre? Tomoe…“ Er näherte sich mit dem Gesicht Phil, der so tat, als wehre er ihn leicht ab, und küsste ihn sanft mit geschlossenem Mund. „Sind meine Berührungen nicht viel schöner als Mitsugus?“, fragte er, und seine Lippen streiften dabei die von Phil. „Es ist nicht richtig, was wir tun…“, wich Phil ihm aus. Noch einmal küsste Rick ihn und drängte ihn dann, ähnlich wie Steven es vor ein paar Stunden mit ihm selbst gemacht hatte, ins Schlafzimmer. „Was hast du vor, Rick?“, fragte Phil voller Unschuld, nachdem Rick ihn auf das Bett gestoßen hatte. „Tja, was wohl…?“, antwortete Rick scheinheilig und machte sich daran, Phils Sachen auszuziehen. Als das erledigt war, entkleidete auch er sich. „Uncle Rick wird dir zeigen, was wahre Liebe ist.“ Eigentlich ging alles viel zu schnell. Wenn er Tomoe in der Realität jemals ins Bett gekriegt hätte, wäre es mit Sicherheit nicht in diesem Tempo vonstatten gegangen. Doch genau wie heute Morgen, sprach sein Körper auch jetzt wieder eine andere Sprache als sein Verstand. Während er bei Steven vorhin nur Lustlosigkeit verspürt hatte, war ihm jetzt, als lodere ein Feuer in ihm. Die Vorstellung, dass es wirklich Tomoe sei, der hier vor ihm lag, war ja auch einfach zu schön! Den Gedanken, dass es alleine Phil war, der seine Leidenschaft entflammt hatte, verdrängte er so gut es ging. Plötzlich musste er an dessen Erkältung denken. Diese hatte er ganz vergessen. „Ist es dir nicht zuviel?“, fragte er und unterbrach ihr Spiel damit kurz. „Nein, es ist gut. Lass uns einfach weitermachen. Ich will dich jetzt.“ „Und was ist mit deinem Film? Willst du ihn dir nicht erst zu Ende ansehen?“ „Er läuft noch drei Stunden.“ „Wir könnten den Rest aufnehmen.“ „Das geht nicht. Tomoe hat deinen Videorecorder.“ „Ach ja, Tomoe…“ Erneut begannen sie sich zu küssen, sanken gemeinsam auf das Laken, Phil mit dem Rücken nach unten, Rick auf ihm. Dieser griff nebenbei in den Nachtschrank, um die Tube herauszunehmen. Er legte sie neben das Kopfkissen und fasste zum zweiten Mal in die Schublade, suchte nach etwas, fand es aber nicht. „Oh, verdammt.“ Rick ließ von seinem Mann ab und warf einen Blick in das Fach. Er nahm seine Hose vom Fußboden und durchsuchte die Taschen. Auch ohne Ergebnis. „Das darf doch nicht wahr sein“, stöhnte er. „Ausgerechnet jetzt! Ich hab sonst immer welche dabei.“ Mitten auf dem Nachschrank lag noch die leere Kondomverpackung, die von dem Treffen mit Steven übrig geblieben war. „Wie’s aussieht, hab ich vorhin das letzte verbraucht.“ „Kein Problem“, meinte Phil. Enttäuscht ließ sich Rick neben ihn fallen. „Dann machen wir jetzt halt was anderes. Oder ich gehe schnell runter und kaufe welche.“ „Nein, ich meine, ich habe kein Problem damit, wenn wir es so tun.“ Rick machte eine verneinende Kopfbewegung. „Wir tun es nie so. Ich gehe schließlich auch noch mit anderen Männern ins Bett.“ „Was soll denn schon passieren?“ „Siehst du? Genau deswegen will ich nicht, dass du fremdgehst. Du achtest einfach nicht darauf, dich zu schützen.“ „Nur deswegen?“, fragte Phil. „Nicht, weil du mich für dich allein haben willst?“ Als Rick ihm eine Antwort schuldig blieb, sprach er weiter. „Aber ich will ja gar keinen anderen als dich. Und es kann wirklich nichts passieren. Du schützt dich doch immer, und ich bin dir treu.“ „Trotzdem…“ „Heute Morgen haben wir auch keins genommen.“ „Ja, aber das war…“ Schüchtern zur Seite blickend flüsterte Phil: „Du wolltest mir zeigen, was wahre Liebe ist, Rick.“ „Hör auf, Phil. Wenn du so redest, machst du es mir nur noch schwerer.“ „Ich bin nicht Phil, ich bin Tomoe.“ Er reichte Rick die Tube. „Das ist die Gelegenheit! Vielleicht hat Kurokawa schon herausgefunden, wo ich bin. Er könnte jederzeit hier auftauchen. Wir sollten uns beeilen.“ „Ach, komm. Tomoe würde nie so rangehen.“ Rick nahm die Tube entgegen. Nach einem langen Zögern öffnete er sie. „Nicht wahr, Tomoe?“ Er legte sich auf ihn und verstaute die wieder verschlossene Tube im Nachtschrank. Phil umarmte ihn, zog ihn ganz auf sich herunter. „Du hast recht. Ich weiß auch nicht, was mich das hat sagen lassen.“ Auffordernd legte er seine Beine um die Taille des anderen. Doch Rick war sich immer noch nicht sicher, ob sie das Richtige taten. „Noch kannst du zurück“, bot er an. „Sag mir, dass ich aufhören soll.“ „Nein. Tu es“, hauchte Phil in sein Ohr und ging dann wieder in Tomoes Rolle über. „Bitte!“ Überwältigt von Phils Schauspiel, wischte Rick den letzten Hauch von Vernunft beiseite. Kein Laut kam über Phils Lippen, als Rick ihm endlich wieder das gab, was er ihm rund drei lange Wochen vorenthalten hatte. Die Augen geschlossen, den Mund einen Spaltbreit geöffnet, lag er ein paar Sekunden da und genoss das Gefühl, so von Rick begehrt zu werden. Dann wurde seine Umarmung fester, und er passte sich dem Rhythmus des anderen an. Der Anhänger der Kette traf ein paar Mal sein Kinn, bis Rick es bemerkte und den Anhänger nach hinten auf seinen Rücken drehte. „Und… wie gefällt es dir, Tomoe? Bin ich besser… als Mitsugu?“ „Ich weiß nicht… Es ist ganz anders als mit Kurokawa…“, antwortete Phil, ihn mit Armen und Beinen fest umschlossen haltend. Als Rick gerade mit dem Gedanken spielte, eines der beiden Piercings auf der Brust vor sich zwischen die Zähne zu nehmen, die Stelle mit leichten Bissen zu reizen und mit der Zunge zu verwöhnen, sagte Phil leise: „Du brauchst dich nicht zurückzuhalten.“ Ihm war es nicht entgangen, dass Rick nicht mit vollem Körpereinsatz dabei war. „Ich halte mich nicht zurück. Ich kann nur nicht mehr“, antwortete Rick, der noch immer die Nachwirkungen von Stevens Besuch spürte. „Oh Rick… Du bist so gut… Hör nicht auf!“ Das war genau das, was Rick hören wollte. „Nein… Tomoe…“ Mit weiteren Küssen bedeckte er Phils Hals, die Schultern und dann wieder den Mund. „Wen liebst du… Tomoe? Mitsugu oder mich?“ Sanft tasteten sich Phils Fingerspitzen Ricks Nacken hoch und hinein in die Haare. „Ich liebe… Kurokawa.“ Fordernd presste Rick seine Lippen auf den Mund des anderen, küsste ihn leidenschaftlicher als zuvor und hörte erst auf, als ihnen beiden der Atem knapp wurde. „Wen liebst du?“, fragte er noch einmal. „Ich liebe…“, begann Phil, der jetzt merkte, dass Rick kurz davor war, fertig zu werden. „Ich liebe… dich! Ich liebe dich, Rick!“ „Oh, Tomoe… ich liebe dich!!“, stieß Rick aus, stöhnte dabei so laut, dass man es sicher in den anderen Wohnungen um sie herum hören konnte, und blieb dann heftig atmend auf Phil liegen. „Ich liebe dich…“ Beim letzten Satz war er wieder zurück ins Englische verfallen. Noch immer waren Phils Finger in den Haaren des Oberen. „Ich liebe dich auch, Rick.“ „Wir sind echt krank…“ Rick lachte auf. „So zu tun, als wärst du Tomoe… Erzähl ihm das bloß nie!“ „Werde ich nicht“, versprach Phil, Ricks Kopf streichelnd. „Wie war es für dich?“ Der Ausdruck in Phils Augen sagte alles. Um sich Gewissheit zu verschaffen, sah Rick an ihm herunter. Nein, für Phil war es nicht so erfüllend gewesen, wie für ihn selbst. Und er war daran schuld. Er hatte nicht darauf geachtet, Phil so zu berühren, dass dieser auch etwas davon hatte. „Es macht nichts.“ „Natürlich macht es was“, widersprach Rick, rückte ein wenig zum Ende des Bettes hin und wandte sich Phil Brustwarzen zu, wie er es vorhin schon vorgehabt hatte. Er hatte gerade die Zungenspitze durch einen der Ringe geschoben, als ihm der Anhänger der Kette wieder nach vorne rutschte. Er griff in seinen Nacken, um den Verschluss der störenden Kette zu öffnen. Doch ohne sein Zutun hatte er sie plötzlich in der Hand. Verwundert nahm er die Kette ab und sah sie an. Der Verschluss war noch zu. „Ist sie kaputt?“, fragte Phil. „Ja. Sie ist gerissen.“ Einen Augenblick lang sah Rick auf die Kette, legte sie dann neben das Bett und widmete seine Aufmerksamkeit wieder Phil. Mit der Spitze seiner Zunge fuhr er die Konturen des Tattoos nach, das Herz, die Rosenranke, den Schriftzug mit seinem Namen. Er hörte Phil laut einatmen. „Magst du das?“ „Ja…“ Seine Zunge glitt über den gezeichneten Pfeil in der Mitte des Bildes. „Wie fühlt es sich an?“ „Ah…“ Phil war, als würde Elektrizität durch seinen Körper hindurchgejagt. „Das kann ich nicht beschreiben. Die Haut ist zwar verheilt, aber sie fühlt sich dort trotzdem noch anders an. Du müsstest dich schon selbst tätowieren lassen, um es herauszufinden.“ „Ich? Nie im Leben. Ich bin nicht scharf auf irgendwelche Schmerzen.“ Rick ließ nun seine Lippen über die breite Brust des anderen streifen, leckte an seinem Bauch hinunter, bis er das Piercing im Bauchnabel erreicht hatte. Anfang Januar hatte Phil es sich in Crescent City stechen lassen. „Was war schlimmer? Das Tätowieren oder das Piercen?“ „Schwer zu sagen. Richtig schlimm fand ich eigentlich beides nicht. Die Piercings gehen ja immer sehr schnell. Du musst es doch wissen. Du hast ja auch welche.“ „Ja, Ohrringe. Das war nicht so schlimm.“ Sanft fasste Rick an den Oberschenkel des anderen und streichelte langsam die Außenseite. „Du hast dich ziemlich in meine Hand gekrallt, damals im Piercingstudio“, erinnerte sich Phil. Als sie sich kennen gelernt hatten, waren sie zusammen dort hingegangen. Er hatte sich einen kleinen Metallstab durch die rechte Augenbraue stechen lassen, und Rick, der nicht als Feigling dastehen wollte, hatte sich auf beiden Seiten Stecker in die Ohrläppchen einsetzen lassen. Das hatte Rick dann auch gereicht, und bis zum heutigen Tag hatte er kein weiteres Mal so ein Studio betreten. Seine Hand war inzwischen auf der Innenseite des Schenkels angelangt. Er berührte noch einmal mit dem Mund den Bauchnabel, und dann tat er das mit Phil, was dieser am Morgen bei ihm getan hatte. Die ganze Zeit über gab Phil keinen Laut von sich. Erst, als Rick sich danach an seine Seite schmiegte, und Phil mit seinen Fingern durch dessen Haare streifte, ließ er einen leisen zufriedenen Seufzer hören. Gleichmäßig senkte sich der Brustkorb neben seiner Wange auf und ab, während Rick ganz in Gedanken die zerrissene Kette auf dem Nachtschrank betrachtete. Das Herz glänzte im Schein der Lampe. Er liebte Tomoe wirklich. Auch, wenn dieser ihm die Liebe nicht zurückgab. Im Grunde war er in der gleichen Situation wie Phil, der ihn liebte, ohne zurückgeliebt zu werden. So war es doch, oder? Wieder kam Rick etwas in den Sinn, was er heute und in den Tagen zuvor schon öfter gedacht hatte. Aber das konnte nicht sein. Unmöglich. Er konnte sich doch nicht in Phil verliebt haben? Nein, nur weil er Phil auf einmal treu war – von dem heutigen Besuch mit Steven einmal abgesehen – musste das noch lange nichts heißen. Als sie ihre erste Beziehung miteinander gehabt hatten, war Rick ihm schließlich auch nicht treu gewesen. Obwohl er zu der Zeit wirklich bis über beide Ohren in Phil verliebt gewesen war. Einen Unterschied zu früher gab es aber. Damals hatte Rick ihm nicht treu sein wollen. Das hatte er ihm auch gleich zu Anfang ihrer Beziehung gesagt. Doch nach der alles andere überragenden Hochzeitsnacht war sein Jagdtrieb auf andere plötzlich von heute auf morgen versiegt. Und das bereitete ihm noch mehr Kopfzerbrechen als die Frage, ob er dabei war, sich wieder in Phil zu verlieben. „Es ist alles so anders, seit wir geheiratet haben“, sagte Rick unvermittelt. „Ja“, stimmte Phil traurig zu. „Jetzt, wo ich wieder studiere, habe ich kaum noch Zeit für dich.“ „Das meine ich doch gar nicht!“ „Sondern?“ „Ach, weiß ich selber nicht…“, murrte Rick. „Irgendwas ist anders, und jetzt weiß ich nicht mehr, was überhaupt mit mir los ist.“ Er setzte sich auf und sah Phil geradeheraus an. „Ich habe die ganze Zeit gedacht, dass unsere Beziehung rein sexuell wäre. Die Beziehung, die wir jetzt haben, meine ich. Nicht unsere erste. Wir waren danach zwar wieder zusammen, aber ich habe dich nicht mehr geliebt, und ich hatte immer andere Männer nebenbei.“ „Das weiß ich doch. Ich habe dir auch gesagt, dass ich mit beidem keine Probleme habe.“ „Aber jetzt ist alles anders! Du hast irgendwas mit mir gemacht, irgendwas in mir verändert, und jetzt interessiere ich mich plötzlich nicht mehr für andere Männer. Das ist doch nicht normal!“ „Rick…“ Phil setzte sich ebenfalls auf. „Wir sind noch nicht einmal drei Wochen verheiratet. Das kommt bestimmt wieder. Und wenn nicht, ist es auch kein Weltuntergang.“ „Für mich wäre es aber einer!“ Rick fasste sich an den Kopf, als wollte er sich die Haare raufen. „Ich muss das in den nächsten Tagen abklären, sonst habe ich keine Ruhe!“ „Rick? Du bist nicht gerne mit mir verheiratet, richtig?“ „Was soll denn die Frage jetzt?“ „Ich frage nur, weil ich genau weiß, dass du mich nicht liebst.“ Stöhnend ließ Rick die Arme wieder sinken. „Wie kommst du jetzt darauf?“ „Du hast es doch gerade gesagt.“ „Damals, meinte ich! Vor einem Monat, vor einem Jahr. Und davor in Japan.“ Phil rückte ein Stück näher zu ihm, nahm seine Hand. „Und heute?“ „Das ist es ja eben! Ich weiß es nicht! Du bist mir früher mit deiner Anhänglichkeit tierisch auf die Nerven gegangen. Und jetzt ist es so, dass es mir gar nichts mehr ausmacht, wenn du bei mir bist.“ „Bedeutet das, du magst es jetzt, wenn ich bei dir bin?“ „Das habe ich nicht gesagt! Ich habe nur gesagt, dass es mir nichts ausmacht.“ „Warum hast du mich denn dann rausgeschmissen, als ich bei dir einziehen wollte?“ „Weil ich nicht mit dir zusammenwohnen will. Wenn du für einen Tag oder ein Wochenende hier bist, ist es etwas anderes. Aber als du hier vor zehn Tagen mit gepackten Koffern ankamst, war mir das alles zuviel. Ich bin noch nicht soweit.“ „Ist gut. Ich werde mich bemühen, so schnell es geht, etwas Eigenes zu finden“, versprach Phil. „Und bis du bereit bist, werde ich auf dich warten.“ Er gähnte. „Ja, lass es uns langsam angehen. Ich muss erst einmal für mich selbst herausfinden, was ich will. Und du solltest dich jetzt am besten wieder hinlegen und schlafen“, meinte Rick und drückte ihn zurück auf die Matratze. „Du siehst nämlich verdammt müde aus.“ „Das bin ich auch. Legst du dich mit hin?“ „Gleich. Das kleine Abenteuer mit ‚Tomoe’ vorhin“, er konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, „hat mich ziemlich ins Schwitzen gebracht. Ich stelle mich mal kurz unter die Dusche.“ Auf dem Weg ins Bad kam Rick am Fernseher vorbei. Der Ton war abgestellt, und der Film lief noch. Er schaltete ihn aus und überlegte einen Moment. Ob er Tomoe anrufen sollte, damit dieser den Rest für ihn aufzeichnete? Er warf einen Blick auf die Uhr. Nein, jetzt konnte er ihn nicht mehr stören. Bestimmt hatte er es sich mit Kurokawa gemütlich gemacht und sah mit ihm zusammen fern. Oder tat sonst etwas Schönes. Andererseits war das natürlich erst recht ein Grund, anzurufen. Schließlich ließ er es aber doch sein und ging ins Bad. Während er duschte, dachte er darüber nach, dass Phil wirklich alles für ihn tat. Tomoe würde seine Wünsche wahrscheinlich nicht so ohne weiteres hinter denen von Rick zurückstellen. Phil aber tat es. Und er musste sich nicht einmal dazu überwinden, er ordnete sich Rick gerne unter. Wenn er da an Tomoes Bruder dachte… Dieser war das genaue Gegenteil von Phil. Soichi war dominant, laut und impulsiv. Er kommandierte seine Mitmenschen herum und erwartete, dass man jeder seiner Anweisungen widerspruchslos Folge leistete. Und wenn man nicht aufpasste, konnte es sein, dass man sich am Boden wieder fand, nachdem man von seiner Faust niedergestreckt worden war. Manchmal fragte Rick sich ernsthaft, wie Tetsuhiro es mit diesem Mann aushielt. Da war er mit Phil wirklich besser dran… Bis knapp über Hüften zugedeckt lag Phil schlafend im Bett, als Rick wieder zurück ins Schlafzimmer kam. Vorsichtig zog er die Decke ganz hoch und berührte ihn dabei kurz. Seine Haut war so heiß und im Gesicht gerötet, dass Rick sich Vorwürfe machte. Das alles musste Phil völlig überanstrengt haben. Hoffentlich würde es ihm morgen deswegen nicht schlechter gehen. Er machte das Licht in der Wohnung aus und legte sich zu ihm, ohne, dass Phil etwas davon mitbekam. Ricks Sorgen waren unberechtigt gewesen. Als die beiden am nächsten Morgen erwachten, machte Phil einen wesentlich besseren Eindruck als noch am Tag zuvor. Diesmal war er nicht vor Rick aufgestanden, um Frühstück zu machen, aber das holte er nach, während sein Mann im Bad war. Wieder aßen sie gemeinsam, und dann machte sich Rick auf den Weg zur Universität. Phil begleitete ihn ein Stück, kaufte drei verschiedene Tageszeitungen und kehrte nachhause zurück, wo er die Immobilien-Inserate durchkämmte, zusätzlich das Internet nach Wohnungs-Anzeigen durchsuchte und mit mehreren Maklern telefonierte. Am Abend, als Phil immer noch nicht das Gewünschte gefunden hatte, kam Rick nachhause. Nachdem sie sich begrüßt hatten, zeigte Phil resigniert auf die Zeitungen, die auf dem Tisch lagen. „Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer ist, eine passende Wohnung in L. A. zu finden.“ „Hier, für dich.“ Rick gab ihm etwas in die Hand. Eine DVD. „War gerade zufällig im Sonderangebot.“ „‚Wo meine Liebe ist, da ist mein Herz’“, las Phil den Titel. „Das ist die ungekürzte Version. Die, die gestern Abend lief, war um eine Stunde gekürzt.“ „Danke, Rick. Du bist so lieb.“ Strahlend umarmte Phil ihn. „Du machst mir dauernd Geschenke in letzter Zeit. Gestern die Blumen, heute der Film…“ „Sag mal, dir geht es doch jetzt wieder besser, oder?“ „Ja.“ „Dann kann ich dich heute Abend ruhig alleine lassen?“ Phil war klar, was er damit sagen wollte. „Ja, natürlich.“ Als Rick merkte, dass Phil ihn verstanden hatte, ging er in die Küche. „Ich esse nur schnell was, dann bin ich wieder weg.“ Er nahm sich etwas aus dem Kühlschrank. „Also… du darfst jetzt nicht glauben, dass ich dir die DVD nur gekauft habe, weil ich heute Abend weg will. Als Entschuldigung sozusagen. Ich hätte sie dir auch so gekauft.“ Phil trat neben ihn und drückte ihm lächelnd einen Kuss auf die Lippen. „Ich weiß.“ An diesem Abend und den folgenden setzte Rick sein Vorhaben in die Tat um. Er zog durch verschiedene Clubs und ließ sich Nacht für Nacht von einem anderen Mann mit nachhause nehmen. Einmal ging er sogar mit zweien mit. Aber es war nicht mehr so wie früher. In Gedanken zog er immer den Vergleich mit Phil, und jedes Mal schnitten die anderen Männer dabei schlechter ab. Ja, es schien tatsächlich so zu sein, wie er befürchtet hatte. Er hatte – zumindest im Moment – sein Interesse an allen Männern außer Phil verloren. Aber einen Mann gab es da ja noch. Und bei dem war es ganz sicher anders. „Ich habe eine Wohnung gefunden“, sagte Phil die Woche darauf. Bis auf einen leichten Husten, der mit jedem Tag besser wurde, war er wieder vollkommen genesen. „Vier Zimmer, Küche, Bad. Sie wird zwar erst in zwei Monaten frei, aber dann könnte ich sie gleich übernehmen.“ „In zwei Monaten erst? Und was willst du überhaupt in einer Vier-Zimmer-Wohnung? Die ist doch viel zu groß für dich.“ „Ich dachte, du würdest es dir vielleicht überlegen und mit einziehen. Die Wohnung ist in der Johnson Street.“ Rick horchte auf. Das war die Straße, in der auch Tomoe und Kurokawa wohnten. „Welche Nummer?“ „98. Die Wohnung ist im dritten Stock. Hinter dem Haus gibt es sogar einen kleinen Garten. Da können wir unser eigenes Gemüse anbauen.“ „Und ist das nicht zu weit weg von deinem Atelier?“ Rick versuchte, gleichgültig zu klingen, was ihm nicht wirklich gelang. 98 Johnson Street, das war genau neben Tomoes Wohnung. „Das ist kein Problem. Ich fahre mit dem Motorrad hin. Oder ich richte mir eines der Zimmer als Atelier ein. Da wäre nur noch eine Kleinigkeit.“ „Ja?“ „Die Miete ist zu hoch. Ich kann sie nicht alleine bezahlen. Und meine Eltern können auch nicht allzu viel beisteuern. Es ginge aber, wenn wir das Geld zusammenlegen würden. Für dich wäre es auch nicht mehr, als du für diese Wohnung hier an Miete bezahlst.“ „Okay, können wir so machen“, meinte Rick und musste sich beherrschen, nicht über das ganze Gesicht zu grinsen. Er würde Tomoes Nachbar werden! So nah hatte er nicht einmal in Tokyo bei ihm gewohnt. Damit war es also beschlossene Sache. Sie würden sich eine gemeinsame Wohnung nehmen. Phil wäre glücklich, weil er bei Rick sein würde, und Rick wäre glücklich, weil er bei Tomoe sein würde. Oder war es auch ein bisschen, weil er bei Phil sein würde? Während Rick noch darüber nachdachte, sagte Phil: „Du hast ganz schwarze Ringe um die Augen. Seit ein paar Tagen schon.“ „Ich hab kaum geschlafen in letzter Zeit.“ „Kein Wunder, wenn du jede Nacht durch die Clubs von L. A. ziehst. Vielleicht solltest du es nicht ganz so übertreiben.“ „Ja, da hast du wohl Recht. Heute Abend bleibe ich hier.“ Prüfend sah Rick in den Badezimmerspiegel. „Oh ja, richtig schwarz…“ Dann entdeckte er etwas anderes und zupfte sich an seinen Haaren herum. „Mist, man sieht schon wieder die Ansätze. Ich muss dringend nachfärben.“ „Lass sie doch einfach so“, meinte Phil. „Als wir uns kennen gelernt haben, hattest du auch dunkle Haare.“ „Ja, und du hattest kurze. So wie Tetsuhiro.“ „Möchtest du, dass ich sie mir wieder kurz schneiden lasse? Dann sehe ich Tetsuhiro ähnlicher.“ „Nein, ich will, dass du sie so lang lässt. Das steht dir besser als die kurzen Haare.“ Das Telefon klingelte. Da Rick noch mit seiner Frisur beschäftigt war, hob Phil den Hörer ab. „Phil Coldman.“ Er hörte, wie am anderen Ende ein Mann tief einatmete und nach ein paar Sekunden fragte: „Wie war das bitte?“ „Phil Coldman. Hallo Isaac“, begrüßte er den Anrufer, dessen Stimme er gleich erkannt hatte. „Hallo Phil… Okay. Ganz langsam. Wieso meldest du dich mit ‚Coldman’?“ „Ich habe Ricks Namen angenommen, als wir in San Francisco geheiratet haben.“ Rick, der aus dem Bad gekommen war, als er den Namen seines Vaters gehört hatte, keuchte entsetzt auf. So schnell wie möglich spurtete er zum Telefon und riss den Hörer an sich. „Hallo Dad…“, sagte er vorsichtig. „So, du bist also verheiratet“, meinte sein Vater. Die Enttäuschung in seiner Stimme war nicht zu überhören, und Rick wäre am liebsten in Grund und Boden versunken. „Dad…“ „Tja, jetzt weiß ich wirklich nicht, ob ich mich freuen soll oder nicht.“ „Ich wusste, dass es euch nicht recht sein würde!“ Phil legte tröstend einen Arm um seine Schultern und lauschte dem Gespräch. „Nicht recht?“, wiederholte Isaac. „Aber wie kommst du denn darauf? Es ist nur so, dass ich deiner Mutter jetzt hundert Dollar schulde.“ „Wieso?“ „Wir haben gewettet, ob ihr heiratet, wenn ihr schon mal in San Francisco seid.“ „Ihr habt was?!“ „Abby war fest davon überzeugt, und ich habe dagegen gewettet. Ich kenne doch unseren Sohn und weiß, dass er niemals freiwillig heiraten würde.“ „Das glaube ich jetzt einfach nicht… Ihr wettet auf meine Kosten?!“ „Was heißt hier, auf deine Kosten? Lass uns doch unseren Spaß. Rick, hast du wirklich geglaubt, wir würden etwas dagegen haben? Du weißt doch, dass Phil für uns alle längst ein Teil der Familie ist.“ Sie redeten noch ein paar Minuten miteinander, Phil erzählte von der Hochzeit, Rick von dem bevorstehenden Umzug, und dann legten sie auf. Tief durchatmend und mit klopfendem Herzen lehnte sich Rick an seinen Mann. „Wenigstens brauche ich mir jetzt keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie ich es ihnen sage… Ach so, was wollte er eigentlich?“ Doch bevor Phil antworten konnte, klingelte das Telefon abermals. Diesmal ging Rick dran. „Coldman.“ Wieder war sein Vater am anderen Ende. „Jetzt habt ihr mich so durcheinander gebracht, dass ich vergesse habe zu fragen, ob ihr am Sonntag auch wirklich kommt. Deswegen hatte ich überhaupt angerufen.“ „Wieso? Was ist denn Sonntag?“, fragte Rick. „Der zwanzigste Hochzeitstag deiner Eltern“, antwortete Phil, der so nah neben ihm stand, dass er alles mithören konnte. „Genau“, bestätigte der Vater. „Wenigstens dein Gatte denkt daran. Ihr kommt doch?“ „Klar kommen wir. Phil geht es ja inzwischen wieder gut. Er war erkältet.“ „Ah, deswegen klang seine Stimme eben so anders. Ich hatte mich schon gewundert.“ „Hoffentlich wird meine werte Tante nun endlich Ruhe geben und mir nicht weiter ihre heiratswilligen Weiber aufschwatzen“, sagte Rick wenig charmant. „Ja, meine Schwester… Ich weiß, dass sie dich manchmal damit nervt.“ „Manchmal? Das ist untertrieben.“ „Sie meint es ja nur gut. Aber du hast schon Recht, jetzt wird sie wohl damit aufhören. Weißt du, sie hatte immer den Eindruck, dass du mit Phil nicht glücklich wärest. Und darum dachte sie, du solltest es mal mit einer Frau versuchen.“ „Sie wollte mich auch schon verheiraten, bevor sie Phil kennen gelernt hat.“ „Ja, das stimmt auch wieder. Stell dir vor, einmal hat sie mich gefragt, ob ihr beiden nur so tut, als ob ihr ein Paar wäret.“ Rick warf Phil einen kurzen Blick zu. „Wie sie nur auf so etwas kommt…“ „Tja, ich… oh, Moment“, unterbrach Isaac sich selbst. „da wird gerade ein Paket geliefert. Na endlich! Ich warte seit zwei Wochen darauf. Ich muss Schluss machen. Bis Sonntag!“ „Ja, bis Sonntag, bye!“ Besagter Sonntag war schon bald gekommen. Am Vormittag gegen zehn Uhr klingelte es beim Ehepaar Tatsumi Tomoe und Kurokawa Mitsugu an der Wohnungstür. Kurokawa öffnete. „Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“, fragte er Rick irritiert und vergaß dabei ganz, ihn und Phil, die vor der Tür standen, zu begrüßen. Rick fuhr sich durchs Haar. Statt sie nachzublondieren hatte er sie in seine Naturfarbe zurückfärben lassen. Auch die blondierten Augenbrauen waren jetzt so dunkelbraun, wie sie ursprünglich gewesen waren. „Hatte Lust auf eine Veränderung.“ „Wenn du wegen deines Videorecorders hier bist, Tatsumi ist noch nicht damit fertig geworden.“ Während er das sagte, musterte Kurokawa Phil, der ebenfalls einen ungewöhnlichen Eindruck machte. Er hatte sich die Haare zurückgekämmt und zu einem Zopf gebunden. „Deswegen bin ich nicht gekommen. Wie wär’s, wenn du uns erstmal begrüßt und hereinbittest?“ Kurokawa ließ die beiden eintreten. „Bitte.“ Suchend sah sich Rick um. „Wo ist denn der Herr Gemahl?“ „Im Bad. Er müsste gleich fertig sein.“ Da kam Tomoe auch schon mit nacktem Oberkörper aus dem Badezimmer. Er trug nur eine Jeans und rieb sich die nassen Haare mit einem Handtuch trocken. „Oh, Tomoe!“, stieß Rick verliebt aus und eilte zu ihm. „Dass ich diesen Anblick noch erleben darf!“ „Wie seht ihr denn aus?“, erschrak Tomoe angesichts der schwarzen Anzüge, die die beiden Besucher trugen. „Ist jemand gestorben?“ „Das sind dieselben Anzüge, die wir auch bei eurer Hochzeit anhatten, Darling“, sagte Rick. „Es ist keiner gestorben. Wir sind auf dem Weg zu einer Familienfeier, und meine Eltern erwarten, dass ihr Sohn und sein Mann sich ordentlich anziehen.“ „Was feiert ihr…“ „Meine Eltern sind heute auf den Tag genau zwanzig Jahre miteinander verheiratet.“ „Oh, wie schön! Ihr habt ja heute auch euren Hochzeitstag. Euren einmonatigen“, sagte Tomoe zu Rick, denn dieser war seit heute ganze vier Wochen mit Phil verheiratet. Bei ihm und Kurokawa war es schon am Vortag so weit gewesen. „Ja, aber heute können wir ihn nicht feiern. Wir holen das nächste Woche nach, okay?“, fragte Rick. „Gerne.“ Tomoe sah auf einmal aus, als müsse er über etwas nachdenken. „Du wirst doch in einem Monat einundzwanzig. Dann…“ „Yes. Gut gerechnet, Tomoe.“ Rick stupste ihm freundschaftlich mit dem Zeigefinger auf die Nase. „Uncle Rick war schon auf der Welt, als seine Eltern geheiratet haben.“ Tomoe und sein Mann sahen sich skeptisch an. „Uncle Rick?“, wiederholte Kurokawa mit hochgezogener Augenbraue. Da gab Rick Phil ein kurzes Zeichen mit der Hand, und dieser hakte Kurokawa unter und nahm ihn mit in die Küche. „Sorry, Mitsugu, aber ich muss mit Tomoe etwas unter vier Augen besprechen.“, rief er Kurokawa, der gar nicht wusste, wie ihm geschah, nach. Er versicherte sich, dass die Küchentür geschlossen war, dann schob er Tomoe zum Sofa und setzte sich mit ihm hin. „Was ist denn? Und warum hast du dir die Haare gefärbt?“ Seit Tomoe den Recorder bei ihm zur Reparatur abgeholt hatte, hatte er Rick noch nicht wieder gesehen. „Nur so. Tomoe, Liebster, es geht um Glück oder Unglück. Du bist der einzige, der mir noch helfen kann!“ „Ja? Hat es was mit eurem Umzug zu tun? Du, ich finde es richtig toll, dass ihr nebenan einzieht. Das wird bestimmt lustig!“ „No, no, darum geht es doch gar nicht.“ Rick schüttelte den Kopf. „Weißt du, was mir aufgefallen ist?“ fragte Tomoe auf einmal. „Seit mein Bruder hier geheiratet hat, sagt er nichts Schlechtes mehr über Amerika.“ „Wen wundert’s? Uns Amerikaner lieben früher oder später alle“, sagte Rick selbstbewusst. „Na ja, ich weiß nicht, ob ‚lieben’ das richtige Wort…“ „Wir sind nett, friedlich, hilfsbereit…“, zählte Rick auf. „Das stimmt!“, pflichtete Tomoe bei. Kurokawa und er waren in den USA sehr freundlich aufgenommen worden. Sie hatten nette Nachbarn, mit denen sie sich prima verstanden und die ihnen besonders in der Anfangszeit oft geholfen hatten. „Aber wolltest du nicht über etwas Wichtiges mit mir reden?“ „Ja. Also, kurz und schmerzlos. Ich weiß nicht, wie oder wann es passiert ist. Aber es sieht ganz so aus, als ob ich…“ Rick überlegte, dann fing er den Satz noch einmal an. „Ich bin anscheinend auf dem besten Weg… mich in Phil zu verlieben!“ „Ich wusste es!“, rief Tomoe begeistert aus. „Ich habe immer gewusst, dass du ihn liebst! Außerdem ist es ganz normal, dass man sich liebt, wenn man verheiratet ist. Kurokawa und ich lieben uns ja auch.“ „Ich habe jetzt aber das Problem, dass ich nicht mehr auf andere Männer stehe! Es bedeutet mir überhaupt nichts mehr, mit jemand anderem als Phil ins Bett zu gehen. Ich hatte in den letzten Tagen sechs verschiedene Männer. Und da ist Phil noch nicht mal mitgerechnet.“ „Sechs?“, wiederholte Tomoe mit geweiteten Augen. „Ja. Aber es war langweilig. Es waren keine Gefühle da, nichts! Ich habe die ganze Zeit nur an Phil gedacht!“ „Und wieso findest du, dass das ein Problem ist? Wenn man verheiratet ist, will man doch nur den einen Partner und ist sich treu. Kurokawa und ich…“ „Ich will aber nicht treu sein! Ich bin nicht so wie ihr. Und deswegen brauche ich deine Hilfe! Ich wäre schon beruhigt, wenn ich wüsste, dass ich wenigstens für einen einzigen Mann außer Phil etwas empfinden könnte. Einen anderen… lieben könnte.“ Es fiel im schwer, diese Worte auszusprechen. Er war sich immer noch nicht ganz im Klaren darüber, was er eigentlich für Phil empfand. Richtige Liebe war es nicht, da war er sich ziemlich sicher. Aber es war auch nicht so, dass Phil ihm egal war. „Meinst du etwa mich?“, fragte Tomoe etwas ängstlich. „Natürlich meine ich dich. Du weißt doch, dass ich dich liebe, oder?“ „Ja, schon…“ „Um ganz sicher zu gehen, dass ich dich wirklich liebe, muss ich das nachprüfen.“ „Heißt das… du willst…“ Rick nickte. „Kurokawa!!“, rief Tomoe laut, woraufhin der Genannte gleich angestürmt kam. „Entschuldigung, ich konnte ihn nicht zurückhalten“, meldete sich jetzt das erste Mal Phil zu Wort. „Was machst du schon wieder mit Tatsumi?!“, schrie Kurokawa Rick an. „Nichts!!“, antwortete Rick in der gleichen Lautstärke. Dann sah er Tomoe verständnislos an. „Warum hast du denn bloß so geschrieen?“ „Ja, warum?“, wollte auch Kurokawa wissen. „Rick sagt, er will mit mir schlafen!“ „Das habe ich doch gar nicht gesagt!“, stellte Rick schnell klar, bevor Kurokawa einen Wutanfall kriegen konnte. „Ich wollte dich nur bitten, dass du mich küsst!“ „Dich… küssen?“ „Ja! Mehr nicht.“ „Mehr nicht!“, wiederholte Kurokawa in spöttischem Ton. Mit bittendem Blick nahm Rick Tomoes zarte Hände in seine. „Ich bin doch dein bester Freund. Da wirst du mir diesen kleinen Gefallen doch tun, ja?“ „Ich will nicht, dass du Tatsumi küsst!“, sagte Kurokawa bestimmt. „Ich denke, es ist das Beste, wenn du jetzt gehst!“ „Bitte, Tomoe!“, flehte Rick. Unentschlossen sah Tomoe von Rick zu Kurokawa und dann zu Phil, aus dessen Gesicht sich wie so oft nichts ablesen ließ. „Es ist gar nichts dabei“, versuchte es Rick weiter. „Es ist rein freundschaftlich. Ich werde ihn dir schon nicht ausspannen“, wandte er sich an Kurokawa. „Also… wenn es wirklich nur rein freundschaftlich ist…“, überlegte Tomoe, dem es wie immer schwer fiel, Rick einen Wunsch abzuschlagen, „und Kurokawa nichts dagegen hat… dann würde ich vielleicht…“ „Tatsumi, hör doch nicht auf ihn!“, ging Kurokawa dazwischen. „Das ist nur wieder einer seiner Tricks, um uns auseinander zu bringen!“ „Ich will euch nicht auseinander bringen“, sagte Rick. „Na gut, eigentlich will ich das schon, aber nicht heute. Pass auf, wir machen einen Deal. Wenn du mir jetzt erlaubst, Tomoe einmal zu küssen, dann verspreche ich dir, ihn danach für alle Ewigkeiten in Ruhe zu lassen. Du kennst mich doch. Ich fasse Tomoe ständig an, ich flirte dauernd mit ihm, ich versuche, ihn dir wegzuschnappen. Du hättest dann die absolute Garantie, dass ich das nie, nie, nie wieder machen würde. Okay?“ „Du… du brauchst mich jetzt gar nicht so mit deinen Wimpern anzuklimpern!“ Verunsichert sah Kurokawa zur Seite. „Die Nummer zieht bei mir nicht!“. „Bitte, Mitsugu“, kam nun Phil seinem Mann zu Hilfe. „Sieh doch, wie verzweifelt Rick ist.“ „Wieso unterstützt du ihn in dieser Sache eigentlich auch noch?“, fragte Kurokawa ihn. „Weil ich Rick liebe und alles für ihn tue.“ „Ich schwöre dir, Mitsugu, ich werde Tomoe danach nie wieder belästigen“, wiederholte Rick. „Ehrlich!“ Kopfschüttelnd fing Kurokawa an, im Zimmer auf und ab zu gehen. Er überlegte hin und her, und nach ungefähr einer Minute sagte er: „Also gut. Aber wir halten das vertraglich fest!“ Er holte einen Bogen Papier und einen Kugelschreiber und begann, etwas aufzuschreiben. „Das ist jetzt wirklich übertrieben“, meinte Rick. Kurokawa las vor, was er geschrieben hatte: „‚Ich, Richard Coldman, verpflichte mich, nach Erfüllung der Abmachung Tatsumi Tomoe niemals wieder zu belästigen, zu küssen oder mich ihm in sonst einer Weise sexuell zu nähern. Die Abmachung ist erfüllt, wenn Tatsumi Tomoe mich einmal geküsst hat.’“ Er reichte Rick den Vertrag und den Stift. Als Rick seine Unterschrift auf den Vertrag gesetzt hatte, ging Kurokawa zu einer Kommode, nahm ein Schriftstück aus einer Schublade und legte es vor Rick auf den Wohnzimmertisch. „Das ist die Verfassung der Vereinigten Staaten“, erklärte Kurokawa. „Zumindest eine Kopie davon. Tatsumi und ich haben sie von der Einwanderungsbehörde bekommen, als wir hierher gezogen sind. Darauf wirst du schwören.“ „Soll ich auch noch die Nationalhymne singen?“, fragte Rick sarkastisch. „Aber gut, du sollst deinen Willen haben.“ Er legte die linke Hand auf die Verfassung und fasste sich mit der rechten an die Brust. „Ich schwöre feierlich, dass ich mich an unseren Vertrag halten werde! So, zufrieden?“ „Ja.“ Erst jetzt fiel Kurokawa ein, dass er das Ganze einfach über Tomoes Kopf hinweg entschieden hatte. „Du bist doch damit einverstanden?“, fragte er ihn. „Ja, ja, natürlich!“, beruhigte Tomoe ihn. „Dann können wir ja jetzt endlich zur Sache kommen. Aber ihr müsst rausgehen!“, verlangte Rick. „Nein, besser noch, wir gehen ins Schlafzimmer. Ja, Tomoe, Darling?“ „Oh, nein! Ihr bleibt schön hier“, durchkreuzte Kurokawa seine Pläne. „Ich gehe mit Phil ins Schlafzimmer.“ Phil folgte ihm dorthin. Doch kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, stürmte Kurokawa auch schon mit Phil an der Hand wieder heraus. „Du hast nichts gesehen, klar?!“, rief Kurokawa panisch. „Verdammt, ist das peinlich…“ „Es braucht dir wirklich nicht peinlich zu sein. Rick und ich haben zuhause ganze Schubladen voll davon“, sagte Phil ruhig. „Gehen wir lieber zurück in die Küche…“ Wieder waren die beiden in der Küche verschwunden, und wieder war Rick mit Tomoe allein. Neugierig sah Rick ihn an. „Na, was gibt es denn Geheimnisvolles im Schlafzimmer?“ „Bitte, Rick, frag nicht danach!“ Wie Kurokawa war auch Tomoe tiefrot geworden. „Küss mich jetzt!“, lenkte er ab. „Gleich.“ Rick war etwas eingefallen, über das er in der Vergangenheit schön öfter nachgedacht hatte. „Warum… warum grinst du denn plötzlich so?“ „Ach“, Rick streichelte Tomoe liebevoll über die Wange, „ich frage mich nur gerade, ob du und Mitsugu euch auch mal abwechselt.“ „Wie, abwechseln?“ Das Grinsen wurde zu einem Lächeln. „Du bist so unschuldig. Richtig süß.“ „Aber was meinst du denn? Womit sollen wir uns abwechseln?“ „Im Bett, meine ich. Hast du Mitsugu schon mal flachgelegt?“, fragte Rick ganz direkt. „Was?!“ Tomoe, dessen Gesicht gerade wieder ein wenig heller geworden war, errötete erneut. „Und? Hast du?“ Mit fest zusammengekniffenen Augen schüttelte Tomoe den Kopf. „Das ist aber nicht normal“, sagte Rick fachmännisch. „Man wechselt sich ab. Das macht jeder.“ „Aber wir nicht! Ich will das auch gar nicht!!“, rief Tomoe, ohne zu merken, dass Rick ihn mal wieder auf den Arm nahm. Die Küchentür sprang auf, und wie vorhin kam Kurokawa angestürzt. „Tatsumi, was…“ „Nichts!“, sagte Rick. „Geh wieder zurück in deine Küche!“ Er sah, wie Phil Kurokawa zu sich zog und die Tür zumachte. „Willst du mich jetzt nicht endlich küssen?“, fragte Tomoe mit leicht zittriger Stimme. Doch Rick sah ihn nur verliebt an. „Warum zögerst du?“ „Du möchtest also, dass ich dich küsse?“ „Ja…“, hauchte Tomoe. Langsam hob Rick eine Hand und streichelte Tomoe noch einmal ganz sanft über die Wange. „Du bist so süß“, flüsterte er. „Du hast so schöne große Augen.“ „Danke, Rick. Aber…“ „Lass mich diesen Moment ein wenig genießen. Es ist das allerletzte Mal, dass ich dich so anfassen darf.“ Seine Finger berührten Tomoes weiche rosige Lippen und den Hals, wo er den Pulsschlag seines Herzens spürte. Dann näherte er sich ihm, und Tomoe schloss die Augen. Während die eine Hand, die zuvor noch an Tomoes Hals gewesen war, inzwischen an dessen nackter schmaler Brust angekommen war, legte sich die andere jetzt an dessen Hinterkopf und hielt ihn zärtlich fest. Endlich berührten Ricks Lippen die seines Gegenübers. Tomoes Herz ging schneller, und auch Ricks klopfte ihm bis zum Hals. Ohne Zwang, aber dennoch bestimmt, schob Rick mit seiner Zunge die Lippen des anderen auseinander und drang leicht in ihn vor. Als Tomoe, ob gewollt oder nicht, nun seinerseits seine Zunge bewegte und mit der Spitze davon die von Rick traf, zuckte dieser leicht zusammen. Diese winzige Berührung von Tomoe, sie hatte sich angefühlt, als ob ein Blitz in Ricks Körper gefahren wäre. Ein Blitz, der jetzt auch Rick die Röte ins Gesicht trieb, ohne, dass er sich dagegen wehren konnte. Und das war nicht das Einzige, was er in diesem Moment gerne vermieden hätte. Schon wieder war das Gleiche mit ihm geschehen, was auch vor über einer Woche passiert war, als Phil den Striptease mit der Schürze hingelegt hatte. Hastig brach Rick den Kuss ab. „Was hast du?“, fragte Tomoe unsicher. „Hast du jetzt den Beweis, dass du mich liebst?“ „Könnte man so sagen… ja.“ Bevor Rick näher darauf eingehen konnte, kam Kurokawa aus der Küche. „Seid ihr endlich fertig?“ „Ich glaube schon“, sagte Tomoe. „Kann ich mal kurz euer Bad benutzen?“, fragte Rick und stand auf. „Natürlich“, antwortete Kurokawa. Rot wie Tomoe, lief Rick zum Bad. „Soll ich mitkommen?“, fragte Phil, woraufhin Rick kaum merklich nickte. Tomoe und Kurokawa sahen sich etwas verwundert an, als die beiden miteinander ins Badezimmer eilten. „War es sehr schlimm?“, wollte Kurokawa von seinem Mann wissen und nahm dort Platz, wo vorher Rick gesessen hatte. „Nein, eigentlich nicht. Es war wirklich rein freundschaftlich. Genau, wie Rick es gesagt hat.“ „Dafür lässt er dich jetzt in Zukunft in Ruhe“, sagte Kurokawa, dem nun allmählich doch leichte Zweifel an dem Deal mit Rick kamen. Weshalb hatte er sich überhaupt darauf eingelassen? „Warum habe ich ihm nicht einfach verboten, dich zu küssen oder anzufassen…?“, fragte er sich leise. „Kurokawa…“, meinte Tomoe kleinlaut und nahm die Hand seines Mannes. Dieser sah Tomoe an und bemerkte mit Schrecken, dass zwei kleine Tränen in dessen Augen getreten waren. „Tatsumi… Ist es doch wegen Rick?“ Tomoe schniefte. „Ja…“ „Ich wusste es! Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass er dich küsst! Oh, ich bin so ein Idiot! Ich hätte…“ „Nein, deswegen ist es nicht. Er… hat etwas zu mir gesagt… Er sagte… dass ich…“ Er schniefte erneut. „Aber ich will das nicht machen!!“ „Was denn?“, fragte Kurokawa erschrocken, denn jetzt verstand er gar nichts mehr. „Er sagt… wenn man zusammen ist… muss man sich… sich… abwechseln!“ Die beiden Tränen lösten sich aus seinen Augen und liefen ihm links und rechts die Wangen hinunter. Im Gegensatz zu Tomoe verstand Kurokawa auf der Stelle, was mit „abwechseln“ gemeint war. „Ich will mich aber nicht mit dir… abwechseln! Bitte verlange das auch nicht von mir! Ich will das nicht!!“ Mit seinem Ärmel wischte Kurokawa dem Jüngeren die Tränen von den Wangen und nahm ihn tröstend in den Arm. „Tatsumi… Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Das werde ich garantiert niemals von dir verlangen!“ Langsam wurde Tomoe ruhiger, und kurz darauf öffnete sich die Badezimmertür, und Rick und Phil kamen wieder zu ihnen. „Wir wären dann fertig“, sagte Rick und ging zur Wohnungstür. „Tomoe?“ „Ja?“, fragte dieser. „Danke. Ich liebe dich.“ Rick lächelte erst ihn und dann Phil zufrieden an. „Komm, Darling!“ Verwirrt sah Tomoe ihn an. „Wohin soll ich mitkommen?“ „Oh, ich meinte nicht dich.“ Er winkte Phil zu sich. „Wir gehen dann mal. Bleibt ruhig sitzen, wir finden allein raus. Bye-bye!“ „Auf Wiedersehen“, verabschiedete sich auch Phil. „Bye-bye“, riefen Tomoe und Kurokawa ihnen leise nach. Kurokawa stand vom Sofa auf und ging ans Fenster. Er sah, wie die beiden unten aus dem Haus kamen und zu Phils Motorrad gingen, das in der Einfahrt stand. Tomoe stellte sich zu seinem Mann. Rick griff nach einem Helm, doch Phil sagte etwas zu ihm, woraufhin Rick den Helm auf das Motorrad zurücklegte. Dann gingen die zwei zum Nebengebäude, und die beiden Beobachter verloren sie aus dem Blick. „Vielleicht gehen sie rauf, um sich noch mal ihre neue Wohnung anzugucken?“, vermutete Tomoe. „Nein, dann wären sie doch vorne ins Haus gegangen“, meinte Kurokawa. „Komisch. Na, egal. Ich ziehe mir jetzt erstmal was Richtiges an“ Tomoe verschwand im Schlafzimmer. „Fängst du schon mal an, alles für heute Nachmittag einzupacken?“, rief er ihm von dort aus zu. „Ja, ja…“ Da sich unten auf der Einfahrt nichts mehr tat, kehrte Kurokawa dem Fenster bald den Rücken zu und machte sich daran, die Sachen für den geplanten Ausflug zusammenzusuchen. Quietschend öffnete sich das von Phil aufgestoßene Tor in dem hölzernen Zaun, der den kleinen Garten hinter dem Haus umgab. „Sieht ja alles ganz schön verrottet aus“, meinte Rick, als er sich umsah. Beim Besichtigen der Wohnung vor einigen Tagen war er nicht hier hinten gewesen. „Tritt doch ein“, forderte Phil ihn auf. Dann standen sie mitten im Garten, um alles in Augenschein zu nehmen. Ein einzelner verrosteter Gartenstuhl, bei dem die beiden vorderen Beine abgebrochen waren, lag schief im Gras. Die Büsche wucherten wild durcheinander und bedeckten fast alles, was früher wohl einmal ein gepflegter Rasen gewesen war. Überschattet wurde alles von zwei großen Bäumen, die ihre gewaltigen Äste wie riesige Arme über sie hielten. Obwohl die Sonne hoch am Himmel stand, war es hier dunkel wie in der Abenddämmerung. In einem Gebüsch hinter ihnen fing es plötzlich an zu rascheln, und Rick hätte es nicht überrascht, wenn ein Gespenst oder sonst etwas Unheimliches herausgekommen wäre. Stattdessen stand aber nur ein großer schwarzer Kater vor ihnen, der mindestens genauso erschrocken guckte wie Rick. Die Ränder seiner Ohren waren von Rissen durchzogen, die Spuren jahrelanger Revierkämpfe. In seinem Maul hielt eine Maus und ließ ein drohendes Knurren hören, als ob er befürchtete, Rick wolle sie ihm streitig machen. Um das Ganze noch gefährlicher wirken zu lassen, machte er einen runden Buckel und sträubte das Fell. Rick wollte das Tier gerade wegscheuchen, als dieses die offene Tür entdeckte und von selbst verschwand. Rick warf ihm einen angewiderten Blick nach. „Schreckliches Vieh!“ „Ich finde ihn ganz niedlich“, meinte Phil. „Ist er dir noch nie aufgefallen? Du bist doch so oft hier bei Tomoe. Ich habe ihn jedenfalls schon öfter gesehen. Auf der Ranch hatten wir auch immer Katzen.“ „Wir sind hier aber auf keiner Ranch. Wir sind mitten in L. A.. Und wenn du mit dem Gedanken spielst, dieses Riesenvieh zu behalten, kannst du das gleich abhaken! Das kommt mir unter keinen Umständen in die Wohnung!“ „In der Wohnung will ich ihn auch gar nicht haben. Aber hier im Garten kann er uns sehr nützlich sein. Mäuse können einem die ganze Ernte zerstören.“ „Da spricht der erfahrene Bauer…“ „Wenn wir hier erst einmal Gemüsebeete angelegt haben, werden wir dankbar sein, dass wir ihn haben.“ „Du redest so, als gehöre er schon längst zur Familie!“ „Zur Familie… Das hast du schön gesagt.“ Phil drückte ihm einen sanften Kuss auf die Wange. „Ein paar von den Büschen müssten natürlich weg. Und wenn die Äste der Bäume etwas gestutzt werden, kommt auch wieder Licht hierher.“ „Okay, nun hast du mir den Garten ja gezeigt. Können wir jetzt wieder gehen?“ „Moment noch. Du weißt nun also genau, dass du Tomoe liebst.“ „Ja.“ „Aber hast du das nicht vorher auch gewusst? Warum musstest du ihn unbedingt küssen?“ „Ich musste wissen, ob ich etwas spüre, wenn ich ihn küsse. Oder ob es so sein würde, wie mit den Männern vor einer Woche. Da habe ich nämlich gar nichts gespürt. Als ich sie im ‚Challengers’ und den anderen Clubs gesehen habe, dachte ich bei jedem einzelnen, dass es mit ihm klappen würde. Aber als wir uns näher gekommen sind, war das alles weg. Ich hatte nur noch dich im Kopf.“ „Und als du Tomoe vorhin geküsst hast, war es da auch so?“ „Nein. Da war nur er.“ Rick seufzte verliebt auf. „Es war wunderschön. Ich liebe ihn. Jetzt bin ich mir ganz sicher.“ Phil konnte sich nicht entscheiden, ob er sich für seinen Mann freuen oder darüber traurig sein sollte. „Und was ist mit mir?“ „Ich weiß immer noch nicht, ob ich in dich verliebt bin“, sagte Rick ehrlich. „Ich weiß nur, dass ich in letzter Zeit… gerne mit dir zusammen bin. Und ich liebe es, wenn du mit mir schläfst. Das liebe ich wirklich! Und es fühlt sich schön an, wenn du an meinem Rücken liegst, wenn ich einschlafe. Verdammt, ich klinge wie ein verliebter Teenager…“, fügte er leise hinzu. ‚Er ist gerne mit mir zusammen’, dachte Phil. ‚Vor kurzem hat er noch etwas anders gesagt.’ Er griff in seine Hosentasche und nahm ein kleines Kästchen heraus. „Was denn, noch ein Ring?“ „Nein.“ Phil öffnete das Kästchen. In ihm lag ein kleines goldenes Herz mit zwei dünnen goldenen Ketten daran. Es war genau das gleiche wie das, von dem Rick eine Hälfte Tomoe geschenkt hatte. Nur, das hier nicht „Tomoe“ und „Rick“ eingraviert war, sondern „Rick“ und „Phil“. „Ich habe es von dem Geld aus dem Gewinn gekauft. Möchtest du es haben?“ Unschlüssig zuckte Rick mit den Schultern. „Lass es uns gemeinsam durchbrechen“, sagte Phil. Er fasste die linke Hälfte mit Ricks Namen an, Rick die rechte. Es gab ein kaum hörbares Geräusch, als das Herz zerbrach, und dann hielt jeder der beiden eine Hälfte in der Hand. „Willst du zuerst?“, fragte Phil. „Ja.“ Rick nahm ihm den Anhänger aus der Hand. Er öffnete die Kette, legte sie Phil um den Hals und schloss den Verschluss. Dann gab er ihm den zweiten Teil des Herzens. Auch Phil öffnete die Kette, aber er legte sie Rick nicht gleich um. „Hast du den anderen Anhänger dabei?“, fragte er. Rick fasste sich nun seinerseits in die Hosentasche und nahm das halbe Goldherz mit der „Tomoe“-Aufschrift heraus. Seit die Kette gerissen war, trug er es dort bei sich. Phil nahm es und zog es mit auf die Kette auf. Aus den zwei Hälften war wieder ein ganzes Herz geworden. Links mit dem Namen „Tomoe“, rechts mit dem Namen „Phil“. Lächelnd legte er Rick die Kette um und schloss sie. „Alles Gute zum Hochzeitstag, Rick. Ich liebe dich.“ „Dir auch alles Gute zum Hochzeitstag“, sagte Rick und legte ihm auffordernd beide Arme locker auf die Schultern. „Darf ich dich küssen?“, flüsterte Phil. „Frag nicht immer! Mach es einfach, wenn du es willst.“ Und Phil kam der Aufforderung nach. Der Kuss fühlte sich für Rick einfach nur schön an. Ganz anders als der mit Tomoe, aber irgendetwas war doch gleich. Ja, das Gleiche war, dass sowohl Phil als auch Tomoe Menschen waren, die ihm viel bedeuteten. Dass er für beide starke Gefühle hatte, die er, was Phil betraf, noch nicht hundertprozentig einzuordnen wusste. Doch was machte diesen Kuss so anders? Vielleicht die Gewissheit, dass Phil einzig und allein ihm gehörte. Und die Gewissheit, dass Tomoe für ihn unerreichbar war. Rick spürte den Baumstamm hinter sich, gegen den Phil ihn gedrückt hatte. „Pass auf, mein Anzug“, sagte er, während sie vom Küssen verschnauften. „Hab ich jetzt was von der Rinde am Rücken?“ Phil begutachtete seine Rückseite. „Nein.“ „Hm…“, machte Rick, als er sich überlegend den Stamm ansah. „Hast du ein Messer dabei?“ „In der Werkzeugtasche am Motorrad.“ „Hol es mal her.“ Ohne zu fragen, was Rick damit wollte, ging Phil zu seinem Motorrad und kehrte einen Augenblick später mit einem Taschenmesser wieder. Rick setzte es an den Baum an, aber die Rinde war zu dick, um etwas hineinschnitzen zu können. „Bei dem müsste es gehen“, meinte Phil und zeigte auf einen kleines Bäumchen, das nahe am Zauntor stand. Der Stamm war so schmal, dass Rick Schwierigkeiten hatte, das in die Rinde zu ritzen, was er vorhatte. Aber am Ende war es ihm doch gelungen, und jetzt war der Baum mit einem „R + P“ verziert. „Eigentlich müsste noch ein Herz herum“, sagte Rick. „Und die Jahreszahl fehlt auch.“ „Gib mir das Messer.“ Mit den geschickten Händen eines Künstlers schnitt Phil vier Ziffern unter den beiden Buchstaben in die Rinde und vollendete das Bild mit einem herzförmigen Umriss. „Hoffentlich geht der Baum jetzt nicht ein“, befürchtete Rick. „Glaube ich nicht. Sieh mal, da unten haben Katzen ihre Krallen gewetzt. Und der Baum steht trotzdem noch.“ „Ich kann mir auch gut denken, welche Katze das war.“ Als wüsste er, dass von ihm die Rede war, schaute argwöhnisch der Kater um die Zaunecke. „Wenn er uns so anguckt, erinnert er mich total an Soichi“, sagte Rick. „Der hat auch so einen Blick drauf. Wir sollten ihn Soichi 2 nennen. Ja, er sieht aus wie Soichi in schwarz. Hm… schwarz…“, wiederholte er auf Japanisch. Kuro. „Wie in ‚Kurokawa’. Genau! Kuroichi, das ist es! So heißt er!“ „Findest du es nicht unhöflich, ihm einen Namen zu geben, den du aus den beiden Personen zusammengesetzt hast, die du am wenigsten leiden kannst?“ „Na und? Der Kater versteht das sowieso nicht. Komm, Kuroichi!“, lockte er. Doch der Kater machte nur fauchend einen Buckel und flüchtete. „Hör mal, Phil. Ich habe unsere Initialen da gerade nicht ohne Grund hineingeritzt. Ich glaube…“ Rick brach den Satz ab, sah zu Boden und dann durch die Äste hinauf in den Himmel. „Ich glaube“, begann er erneut und sah dabei Phil an, „dass ich jetzt wirklich bereit für eine Beziehung mit dir bin. Nicht nur so halbherzig, wie es bisher war. Ich will es noch einmal richtig mit dir versuchen. Ich habe einfach gemerkt, dass du mir wichtig bist und mir ausreichst. Nein, ihr“, verbesserte er sich. „Du und Tomoe. Ich werde dir aber keine Treueschwüre leisten, weil ich mich sowieso nicht daran halten kann. Und ich will es auch gar nicht. Im Moment habe ich kein Verlangen nach einem anderen, und ich werde es nicht darauf anlegen, jemanden kennen zu lernen. So wie die ganzen Männer letzte Woche. Aber wenn mir einer gefällt und es sich so ergibt, dann werde ich die Gelegenheit auch nutzen.“ Nach dem Kuss mit Tomoe hatte er ja die beruhigende Gewissheit, dass er nicht allein auf Phil fixiert war. „Ist das okay für dich?“ Phil, der ihn während dieser kurzen Rede die ganze Zeit mit einem glücklichen Lächeln angesehen hatte, nickte wortlos. „Klingt ganz schön verrückt, was? Erst eine Beziehung anzufangen, nachdem man schon geheiratet hat. Normalerweise läuft das umgekehrt.“ „Ist doch egal“, sagte Phil, der noch immer nicht fassen konnte, dass Rick all das tatsächlich gerade zu ihm gesagt hatte. „Und es macht dir wirklich nichts aus, dass ich Tomoe liebe?“ „Nein. Rick?“ „Ja?“ „Darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ „Welchen?“ „Kannst du mir einmal sagen, dass du mich liebst? Auch, wenn du es nicht so meinst?“ „Phil…“ Rick atmete tief durch. „Wenn ich es sage, dann nur, wenn ich es auch so meine. Ansonsten wäre es eine Lüge. Und ich will dich nicht anlügen.“ „Es ist mir egal, ob du mich anlügst. Ich möchte es nur einmal aus deinem Mund hören. So wie früher, als wir das erste Mal zusammen waren.“ Nachdenklich wippte Rick auf den Zehenspitzen auf und ab. Phil bat ihn so selten um etwas. Er begnügte sich üblicherweise damit, Ricks Wünsche zu erfüllen. War es da nicht angemessen, ihm diesen kleinen Gefallen zu tun? „Okay. Phil, ich liebe dich“, sagte er. Zugegebenermaßen, ohne besonders viel Gefühl hineinzulegen. „Danke. Ich hoffe, eines Tages meinst du diese Worte wirklich so.“ Versonnen ließ Phil die beiden Anhänger an Ricks Hals durch seine Finger gleiten. „‚Tomoe’ und ‚Phil’. Das wären dann die Namen der Männer, die du liebst.“ „Die Männer, die ich liebe“, wiederholte Rick lächelnd. „Das könnte auch ein Titel von einem deiner indischen Filme sein.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „Wenn wir noch länger hier stehen, fangen meine Eltern ohne uns an zu feiern. Lass uns jetzt fahren.“ Sie verließen den Garten wieder, Phil schloss das Tor, und dann gingen sie zurück zum Motorrad. Verschlafen streckte Tetsuhiro sich. Er war gerade wach geworden und hatte gemeint, Soichi irgendwo im Nebenzimmer fluchen zu hören. Auf Soichis Kopfkissen neben ihm lag die schneeweiße Katze und schlief. „Soichi?“, rief er. Der Angesprochene kam mit finsterem Blick zu ihm ins Schlafzimmer getrampelt, riss die Schranktür auf und fing an, wahllos Kleidungsstücke in einen Koffer zu stopfen, wobei die Hälfte davon daneben landete. „Sprich mich bloß nicht an! Ich bin so was von in Rage!!“ „Was…“ „Ich muss nach Amerika! Sofort! Ich muss Tomoe helfen!“ Erschrocken setzte sich Tetsuhiro im Bett auf. „Was ist denn passiert?“ Soichi holte sein Notebook aus dem Wohnzimmer und warf es vor Tetsuhiro auf die Bettdecke. „Da! Lies die E-Mail, die er mir geschrieben hat!“ Müde rieb sich Tetsuhiro die Augen und sah auf den Bildschirm. „Was soll ich denn da lesen? Ich sehe nur ein paar Fotos. Auf dem einem ist so eine komische Katze drauf. Auf dem anderen sind ein Mädchen und ein Mann, der sich als Ägypter verkleidet hat. Hm… kann es sein, dass der Typ irgendwie Rick ähnlich sieht? Und auf dem dritten… oh Mann, ist das Rick? Wie sieht der denn aus?“ „Was?“ Wütend warf Soichi einen Blick auf den Computer. Er löschte Tomoes E-Mail mit dem Betreff „Rick mit neuer Haarfarbe, Ricks Großeltern, der Kater von Rick und Phil“ und klickte die richtige Nachricht an. „Das ist sie.“ „‚Hallo Soichi’“, las Tetsuhiro. „‚heute Nachmittag waren Kurokawa und ich am Strand. Ich habe versucht, zu surfen. Aber das hat nicht gut geklappt. Außerdem war es total kalt! Und windig! Kurokawa kann auch nicht surfen. Phil kann gut surfen und Rick auch, aber die waren nicht da. Ich habe eine Sandburg…’“ „Lies das, was er am Schluss geschrieben hat!“, unterbrach Soichi ihn. „‚Heute Morgen waren Rick und Phil hier. Wusstest du, dass Rick eigentlich ganz dunkle Haare hat? Er hat sie sich jetzt dunkelbraun gefärbt. Kurokawa hat mit Rick einen Vertrag gemacht. Da steht drin, dass Rick mich küssen darf. Phil wollte das auch. Dann hat Rick mich geküsst. Kurokawa ist echt lieb. Er hat mich hinterher getröstet, weil ich geweint habe. Viele Grüße von Tomoe!’“ „Dieses Schwein von Kurokawa!“, fluchte Soichi und trat gegen den Koffer. „Jetzt hat der sich auch noch mit diesem Rick verbündet! Und dieser Phil macht auch noch mit! Aber der ist Rick ja sowieso hörig!“ „Jetzt beruhige dich doch mal!“, sagte Tetsuhiro gähnend. „Du hast bestimmt etwas missverstanden.“ „Ich wüsste nicht, was es da misszuverstehen gibt!“ „Hast du denn mal bei ihm angerufen?“ „Nein! Ich kläre das persönlich, wenn ich vor Ort bin!“ Aufgebracht steckte Soichi sich eine Zigarette an. „Aber du kannst doch nicht einfach so da hinfliegen und bei denen einfallen! Überleg doch mal. Kurokawa und Rick können sich auf den Tod nicht ausstehen. Glaubst du wirklich, die beiden hätten sich verbündet? Um Tomoe zu ärgern?“ „Bei diesem Kurokawa weiß man nie! Und Rick ist auch nicht besser!“ Mit diesen Worten verließ er das Schlafzimmer wieder. Da Soichi ganz offensichtlich nicht vorhatte, in Kalifornien anzurufen, griff Morinaga nach dem Telefon neben dem Bett. Er drückte eine Taste, wartete einen Moment, und dann hatte er Tomoe am anderen Ende dran. „Hallo Tomoe! Hier ist Tetsuhiro!“ „Oh, hallo! Schön, dass du anrufst! Wie geht’s euch?“ „Tomoe, dein Bruder ist ziemlich… nun, aufgewühlt wegen deiner E-Mail.“ „Die, die ich ihm letzte Woche geschickt habe? Hat er die erst jetzt gelesen? Habt ihr auch die andere gekriegt? Die mit den Fotos?“ „Ja. Mit unserer Internetverbindung stimmte irgendetwas nicht. Soichi hat die E-Mails erst vorhin bekommen.“ „Und wieso ist er aufgeregt? Weil ich surfen war? Macht er sich Sorgen deswegen? Es war gar nicht gefährlich. Ich hatte ja eine Schwimmweste an.“ „Nein, es ist mehr, weil du geweint hast, weil Rick dich geküsst hat.“ „Ach, das! Das hast du falsch verstanden“, sagte Tomoe und lachte. „Ich habe nur ein bisschen geweint wegen etwas, das Rick zu mir gesagt hat.“ Tetsuhiro wunderte sich ein wenig, weil Tomoe so übertrieben erheitert sprach. „Bist du betrunken?“ „Wer ist betrunken?“, fragte Soichi, der gerade wieder ins Zimmer gestampft kam. „Mit wem telefonierst du?“ „Mit deinem Bruder.“ Tetsuhiro gab ihm den Hörer. „Tomoe?“, rief Soichi besorgt und setzte sich auf die Bettkante. „Was hat dieser Kurokawa dir angetan?“ „Er hat mir gar nicht angetan.“ Wieder lachte Tomoe. „Entschuldige… Rick und ich haben wohl ein bisschen zu viel getrunken.“ „Rick? Wieso betrinkst du dich auch noch mit ihm, nach allem, was passiert ist?!“ „Er tat mir so leid! Er war so traurig, weil er mich nie wieder küssen darf.“ „Ich verstehe nicht…“ „Na, der Vertrag! Kurokawa hat doch mit ihm vereinbart, dass Rick mich nie wieder küssen darf. Er durfte mich nur einmal küssen. Willst du mit Rick sprechen? Er und Phil sind nämlich auch hier. Rick! Kommst du her?“ „Hey, Doc! Ist Tetsuhiro bei dir?“, kicherte Rick in den Hörer. Damit Tetsuhiro nichts sagen konnte, hielt Soichi ihm mit der freien Hand den Mund zu. „Nein, Tetsuhiro ist nicht hier!“ „Schade…“, sagte Rick enttäuscht. „Wait… ich gebe dir Tomoe wieder… Darling, hast du noch was von dem Kakao da?“ „Ja, neben dem Sofa“, antwortete Tomoe, der nun wieder am Apparat war. „Und? Was macht ihr so? Feiert ihr auch? Kurokawa und ich feiern gerade zusammen mit Rick und Phil ihren einmonatigen Hochzeitstag nach. Und unseren auch, weil wir… letzte Woche gar nicht… richtig gefeiert haben… Oh, jetzt habe ich Schluckauf… Ich glaube, ich habe… zuviel von den… belgischen Pralinen gegessen… die Phil in so einem Feinkostgeschäft… gekauft hat. Die waren… total teuer. Aber sehr lecker.“ „Wir hatten letztes Wochenende auch keine Zeit zum Feiern“, sagte Soichi, während sein Bruder anscheinend versuchte, mit Luftanhalten seinen Schluckauf loszuwerden. „Das haben wir gestern Abend im ‚Adamsite’ nachgeholt. Und zuhause haben wir noch ein bisschen weitergefeiert.“ „Oh, Engelchen…“ Hiroto kam langsam ins Schlafzimmer. Er hielt sich einen nassen Waschlappen zur Kühlung an den Kopf. „Was macht ihr denn hier für einen Lärm?“ Er ließ sich neben Tetsuhiro lang ausgestreckt aufs Bett fallen. Die Katze, die gerade das Kopfkissen verlassen hatte, kletterte auf seinen Bauch, wo sie sich zufrieden in sein Hemd krallte. „Nie wieder Alkohol…“ „Wie geht’s Yashiro?“, erkundigte sich Tetsuhiro bei seinem besten Freund. „Der schläft noch auf eurem Sofa…“, antwortete Hiroto. „Weißt du schon das Neueste?“, fragte Tomoe seinen Bruder. „Phil hat gestern und vorgestern zwei ganz wichtige Prüfungen bestanden. Nicht mehr lange, dann ist er Diplom-Physiker. Er war ja schon vor zwei Jahren oder so fast fertig. Aber damals hatte er das Studium abgebrochen. Wegen Rick. Du, Phil hat schon mit vierzehn angefangen zu studieren.“ „Aha“, warf Soichi uninteressiert ein. „Und sein Professor setzt sich jetzt dafür ein, dass er die restlichen Prüfungen so schnell wie möglich machen kann. Siehst du? Wir haben echt viel zu feiern!“, gluckste Tomoe beschwipst. Da hörte Soichi Kurokawas Stimme aus dem Hintergrund: „Lass das mit dem Blasen, Rick! Mensch, guck doch! Jetzt ist das alles auf dem Tisch! So eine Schweinerei…“ „Sorry, hab nicht aufgepasst“, hörte er daraufhin Rick sagen. „Mist, auf dem Teppich ist auch was gelandet“, schimpfte Kurokawa. „Ich hoffe nur, die Flecken gehen wieder raus…“ „Was macht ihr da eigentlich?!“, fragte Soichi in einem nicht gerade freundlich zu nennenden Ton. „Tut mir leid, ich muss da mal eben hin und was zum Aufwischen holen“, sagte Tomoe, ohne auf die Frage seines Bruders einzugehen. „Ruf morgen oder so noch mal an, ja?“ Dann klickte es in der Leitung, und nur noch ein Piepen war zu hören. Tetsuhiro, der einen Teil des Gesprächs mitbekommen hatte, meinte: „Du siehst, es ist alles in Ordnung.“ Soichi knallte den Hörer auf die Gabel und zog verbittert an seiner Zigarette. Kopfschüttelnd stand er auf und sah seinen Mann an. „Ich hatte noch keinen Kaffee heute.“ „Soll ich dir jetzt Kaffee kochen oder was? Mir geht’s total schlecht. Ich will liegen bleiben.“ „Kein Wunder. Nach der Nacht“, fügte Hiroto hinzu. „Dann koch du Kaffee!“, wies Soichi ihn an. „Hey, du kannst Hiroto nicht einfach zum Kaffeekochen abkommandieren!“, beschwerte sich Tetsuhiro. „Er ist unser Gast!“ „Wer soll das denn sonst machen? Du weigerst dich ja, Yashiro schläft, und ich kann das nicht. Und die Katze wird es wohl auch kaum können!“ Hiroto setzte das Tier neben sich und erhob sich vom Bett. „Ist gut. Ich mache eine Kanne.“ Tetsuhiro griff nach seinem Arm. „Nein. Du brauchst das wirklich nicht zu machen. Das wäre ja noch schöner!“ Er stand auch auf. „Ich mache Kaffee.“ „Aber Engelchen, bleib doch liegen, wenn es dir so schlecht geht!“ „Jetzt fangt nicht an zu streiten!“, mischte sich Soichi ein. „Am besten geht ihr beide in die Küche. Dann geht das auch schneller, und ich muss nicht so lange warten.“ Hiroto machte sich auf den Weg in die Küche, und Tetsuhiro folgte ihm. „Frühstück hatte ich auch noch keins.“ Tetsuhiro sah sich um. „Darf es sonst noch etwas sein?“, fragte er in beißendem Ton seinen Mann, der sich soeben auf dem Bett ausgebreitet hatte. Rauchend nickte Soichi hinüber zu dem Chaos vor dem Kleiderschrank. „Aufräumen könntest du auch noch. Aber das hat Zeit bis nachher.“ „Oh, sehr großzügig!“, gab Tetsuhiro zurück und ging dann zu Hiroto. Schnurrend legte sich die Katze auf Soichis Brust und starrte ihn aus ihren halbgeschlossenen bernsteinfarbenen Augen an. Soichi drückte den Rest der Zigarette im Aschenbecher neben dem Bett aus und fing an, die Katze zu streicheln. Ihre Augenlider schlossen sich immer mehr, und auch Soichi hatte Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten. Eigentlich war er noch müde. Die wenigen Stunden Schlaf der letzten Nacht waren nicht genug gewesen. Er gähnte und sah zur Decke. Dann sah er wieder auf die Katze, die sich schon irgendwo zwischen Wachsein und Schlafen befand. Soichi sanken die Augenlider hinunter. „Engelchen! Jetzt sieh dir das an!“, rief Hiroto ein paar Minuten später. Tetsuhiro kam mit einer vollen Kaffeekanne und einer Tasse ins Schlafzimmer. „Na toll. Wir beeilen uns extra, und er schläft!“ Er wollte zum Bett gehen und Soichi wecken, aber Hiroto hielt ihn zurück. „Lass ihn bloß schlafen! Wir gehen jetzt schön zurück in die Küche und frühstücken gemütlich. Ja?“ Verärgert warf Tetsuhiro einen letzten Blick auf den Schlafenden und wandte sich dann seinem Freund zu. „Du hast Recht.“ Und ohne, dass Soichi etwas davon mitbekam, verließen die beiden das Zimmer, um zusammen mit dem inzwischen wach gewordenen Yashiro ein gemütliches Frühstück zu sich zu nehmen. Ende Wie ich’s gesagt habe: Es fließen Tränen! XD Das Ende des Kapitels passte ja nun gar nicht zum Rest. ^^’’’ So, so, Rick & Phil bestellen sich also was aus ’nem Katalog für Erwachsene? Da trifft bei Phil wohl das Sprichwort „Stille Wasser sind tief“ zu. XD Wobei wir ja nicht wissen, was das für ein Katalog ist. Da mögen ja ganz harmlose Sachen verkauft werden. Tja. Mysteriös… X3 Kakaoblasen machen macht Spaß… XD (@ FREISCHALTER/IN: Kurokawas "Lass das mit dem Blasen" bezieht sich natürlich darauf, dass Rick wieder mit nem Strohhalm Blasen in den Kakao pustet! XD ) Es ist übrigens beabsichtigt, dass „Uncle“ Rick Steven mit dem Spitznamen Steve anspricht. Ich habe also nicht das „n“ vergessen. ^_~ Und Rick und Jamal sprechen sich nicht etwa deswegen mit den Nachnamen an, weil sie sich nicht mögen, sondern weil Männer das halt (manchmal) so machen. ^_~ *lol* Sorry, Ricks Vater ist vom Typ her irgendwie genauso geworden wie Soichis Vater… ^^’’’ @ LESER/INNEN: Vielen Dank für die ganzen Kommentare zu dieser FF und die vielen Favos!! ^_________^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)