Das Tatsumi-Gen von DJ_Vierauge (*NEU* Rick & Phil-Special!) ================================================================================ Kapitel 2: Eine stressige Woche, das Omiai und Soichis Entscheidung ------------------------------------------------------------------- (Disclaimer, Warnungen etc.: siehe Kapitel 1) Erst am Montag sahen sich Soichi und Morinaga in der Uni wieder. Am Freitag, als Vater Tatsumi gegangen war, hatte sich Soichi direkt schlafen gelegt, ohne ein weiteres Wort über das Omiai zu verlieren, und am Samstagmorgen, als Morinaga wach geworden war, hatte sich Soichi schon auf den Heimweg gemacht. Morinaga atmete tief durch und öffnete die Labortür. „Guten Morgen, Soichi.“ „Morgen. Du bist spät. Da sind die Kulturen, fang an.“ „Ja. Hat dein Vater…“ „Er ist schon wieder weg. Ich habe ja gesagt, er bleibt nur über das Wochenende.“ „Und?“ „Was, und?“ „Tu nicht so.“ „Meinst du das Omiai?“ „Gehst du hin?“ „Das weiß ich noch nicht.“ „Soichi, ich möchte…“ „Hör mal zu. Wir sind hier, um zu arbeiten und nicht, um Privatgespräche zu führen. Lege die Schalen hier in den Brutschrank und stell ihn auf 39 Grad.“ „Soichi… dein Vater hat doch gesagt, dass alle Männer bei euch…“ „Was kümmert es mich, was der alte Sack sagt?“ unterbrach er ihn wütend. „Ich bin nicht so! Das habe ich dir tausendmal gesagt! Tu jetzt, was ich dir sage!“ Und damit reichte er ihm zwei Schalen mit Bakterienkulturen, die Morinaga entgegennahm. „Bitte… ich halte das nicht mehr aus. Sag mir jetzt, was du machen wirst!“ „Ich sagte bereits, ich weiß es noch nicht! Mein Vater tut so, als wäre ich ein kleines Kind, dem man Befehle erteilen kann. Er meint, er bestimmt einfach, dass ich diese Frau treffe, und ich mache, was er sagt. Ich hasse es nun mal, wenn man mich zu etwas zwingen will.“ „Also gehst du nicht?“ „Wie oft soll ich es noch sagen?“ Morinaga stellte die Schalen beiseite und nahm Soichis Hand. „Ich will nicht, dass du dahin gehst.“ „Ja, sag mal, jetzt geht es wohl los, was? Glaubst du etwa, ich lasse mir das von dir verbieten? Lass mich los!“ Energisch schüttelte er Morinagas Hand ab. „Ich bitte dich. Geh nicht.“ „Hör auf jetzt! Du, ich kann mir auch ganz schnell einen anderen Assistenten suchen!“ „Warum bist du denn so böse?“ Morinaga musste an den Streit mit Professor Suzuki denken. „Ist… wieder irgendwas gewesen?“ Soichi zuckte zusammen. „Hol die Gläser mit den Chemikalien vom Regal.“ Seufzend gehorchte Morinaga. „Hier.“ Gedankenverloren nahm Soichi einen der Behälter mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit und wollte den Inhalt in einen zweiten, mit einer dampfenden Substanz gefüllten, gießen. „Nicht!“ Morinaga hielt Soichis Arm fest. „Pass doch auf!“ „Was?“ „Wenn du das zusammengeschüttet hättest, wäre uns das ganze Labor um die Ohren geflogen!“ Erschrocken stellte Soichi den Behälter zurück auf den Tisch. „Verdammt.“ „Was hast du?“ „Ich kann nun mal nicht arbeiten, wenn alle auf mir rumhacken! Erst das mit Suzuki und dann…“ Er schluckte. „Als ich heute Morgen hier angekommen bin, fingen alle an zu tuscheln, als ich an ihnen vorbei ging. Ich nehme an, du hast noch nicht gelesen, was am Schwarzen Brett steht?“ Morinaga schüttelte den Kopf. „Nein, da war ich gar nicht.“ „Das hängt eine Mitteilung, so groß, dass man sie nicht übersehen kann. ‚Wir freuen uns, bekannt geben zu dürfen, dass unser ehemaliger Mitarbeiter Professor Miyoshi in Hongkong mit dem International American And Chinese Science And Research Award ausgezeichnet wurde!’ Ein paar von den Idioten, die mir auf dem Weg zum Labor begegnet sind, haben es sich nicht nehmen lassen, mir ein paar dumme Bemerkungen nachzurufen.“ „Was haben sie…“ „Einer hat gefragt, ob ich auch stolz darauf bin, dass unserer Uni jetzt das Geld verloren gegangen ist.“ „Welches Geld?“ „Das Preisgeld. Der Award ist mit 500.000 US-Dollar dotiert, die jetzt die Uni in China einstreicht. Tja, und wäre diese Ratte noch hier, könnte sich jetzt Suzuki das Geld unter den Nagel reißen.“ „Hast du… denen was getan? Ich meine, du hast denen doch keine rein gehauen, oder?“ „Da hätte ich viel zu tun gehabt. Das waren einige. Suzuki und ein paar andere Professoren waren auch dabei.“ „Ein Glück.“ „Ich hätte es aber tun sollen.“ „Was hätte das gebracht?“ „Sag mal, fängst du schon wieder an? Würdest du dich denn an meiner Stelle nicht wehren?“ „Soichi, es bringt nichts, wenn du jedem eine reinhaust, der etwas gegen dich sagt. Und schon gar nicht einem wie Professor Suzuki.“ „Ja, ich weiß, du würdest vermutlich wieder vor ihm auf den Knien rutschen.“ „Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich das nicht gerne getan habe. Aber du hast eben selber gesagt, dass wir hier sind, um zu arbeiten. Da muss man eben einiges hinnehmen, auch wenn’s schwer fällt. Ich weiß ja selber, dass das scheiße ist. Außerdem ist die Sache vom Freitag längst erledigt. Vergiss das jetzt endlich.“ „Willst du denn ewig so weitermachen? Einerseits behauptest du, ganz normal zu sein, und andererseits lässt du dich behandeln, als wärst du der letzte Dreck. Wenn du wirklich zu dir stehen würdest, würdest du dir das nicht bieten lassen.“ „Ich verstehe dich nicht.“ „Was meinst du?“ „Du sagst doch auch immer solche Sachen. Dass ich nicht normal bin und so.“ „Wenn ich das sage, ist das was ganz anderes! Ich kann das nur nicht ab, wenn andere dich fertig machen. Da kannst du mir noch so oft erzählen, dass dir das nichts ausmacht. Wenn du immer nur einsteckst, wirst du eines Tages noch krank werden.“ „Du…“ Plötzlich ging Morinaga ein Licht auf. „Du bist so lieb. Du machst dir immer Sorgen um mich.“ „Hör auf, so was zu sagen! Ah…!“ Morinaga hatte ihn gepackt und drückte ihm zärtlich einen Kuss auf die Lippen. „Du bist wirklich lieb. Wir schaffen das schon gemeinsam.“ „Wir… müssen jetzt weiterarbeiten. Aber eins lass dir gesagt sein, Morinaga.“ Soichi wand sich aus seinem Griff. „Wenn ich schwul wäre, würde ich mir das nicht bieten lassen!“ Die Woche verlief ausgesprochen schlecht. Ein Experiment nach dem anderen ging daneben, und auf dem Flur vor dem Labor blieben ständig Leute stehen, die durch das laute Fluchen von Soichi irritiert waren. Morinaga hatte in dieser Woche viel zu leiden, denn sein Senpai machte ihn wie immer für alles verantwortlich. Dazu kam, dass er ihm jede noch so kleine körperliche Annäherung verweigerte, und wegen des Omiais, das am Samstag der nächsten Woche stattfinden sollte, hatte er ihm immer noch keine Antwort gegeben. Am Freitag schließlich wurde es Morinaga zu dumm, und er stellte Soichi zur Rede. „Du beschwerst dich, dass ich mir von anderen zu viel gefallen lasse, behandelst mich aber keinen Deut besser! Was kann ich denn dafür, wenn du so zerstreut bist und alles falsch machst?“ „Schnauze! Die ganze Woche habe ich mir Vorwürfe von diesen Idioten anhören müssen! Und du bist schuld!“ „Du weißt ja nicht, was du da redest! Komm mal wieder runter!“ „Du hast mich doch in diese Rolle gedrängt! Wenn du mich von Anfang an in Ruhe gelassen hättest, hätte ich jetzt diese Probleme nicht!“ „Soichi…“ „Und sag nicht Soichi zu mir! Ich weiß sowieso nicht, wie du plötzlich dazu kommst, mich so zu nennen!“ „Dein Vater hat gesagt, wenn man jemanden liebt…“ „Sei endlich still!“ Soichi hatte sich jetzt so in seine Wut hineingesteigert, dass er dunkelrot angelaufen war. „Mir reicht’s! Ich will das alles nicht mehr! Ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen!“ „Was?“ „Ich werde zu diesem verdammten Omiai gehen, und wenn ich es für richtig halte, werde ich diese Frau heiraten. So!“ Die Worte trafen Morinaga wie ein Schlag. „Nein…“ „Hör auf, mir zu widersprechen! Ich… ah…“ Soichi trat unsicher einen Schritt zurück und hielt sich am Tisch fest. Morinaga war sofort bei ihm, um ihn zu stützen. „Was hast du?“ „Lass mich los! Mir ist nur schwindelig.“ „Setz dich besser.“ Er schob ihm einen Stuhl hin, und Soichi ließ sich darauf fallen. „Soll ich dich auf die Krankenstation bringen?“ „Nein! Es ist nichts. Das hatte ich gestern Abend auch schon mal. Das geht gleich wieder weg.“ „Red keinen Unsinn. Wir gehen jetzt zur Krankenstation und du legst dich hin.“ „Ich…“ „Ruhe. Wenn du nicht willst, trage ich dich notfalls.“ Widerwillig stand Soichi auf und ließ sich, von Morinaga gestützt, auf eines der Krankenzimmer bringen. Die junge Schwester legte das Thermometer auf den Nachttisch. „Sie haben etwas erhöhte Temperatur. Eine Grippe scheint es den ersten Anzeichen nach nicht zu sein. Ich tippe auf Überarbeitung. Sie sollten das aber auf jeden Fall von einem Arzt überprüfen lassen. Haben Sie viel gearbeitet in letzter Zeit?“ „Auch nicht mehr als sonst“, antwortete Soichi. Er lag in einem Bett auf der Krankenstation der Universität. Die oberen Knöpfe seines Hemds waren aufgeknöpft. „Hatten Sie vielleicht viel Stress?“ „Ich habe nur Stress. Und besonders seit einer Woche“, fügte er mit einem bösen Seitenblick auf Morinaga, der an der Bettkante saß, hinzu. „Nun, Sie sollten sich für ein oder zwei Wochen beurlauben lassen und versuchen, zu entspannen.“ „Ich schreibe an meiner Doktorarbeit, wie stellen Sie sich das vor?“ „Tut mir leid, ich sage nur, wie es ist. Wenn so etwas noch öfter passiert, könnte das ernsthafte Folgen für Ihre Gesundheit haben. Überlegen Sie es sich also, ob Sie nicht etwas kürzer treten wollen. Außerdem rauchen Sie, oder? Da sollten Sie auch etwas ändern. Ich lasse Sie jetzt alleine. Ruhen Sie sich bitte aus. In einer Stunde komme ich wieder.“ Als die Schwester die Tür hinter sich geschlossen hatte, nahm Morinaga Soichis Hand in seine. „Soll ich… lieber auch gehen?“ „Nein. Bleib ruhig hier, wenn du willst.“ „Es tut mir so leid. Ich habe nicht gemerkt, wie sehr dich das alles mitnimmt.“ Morinaga senkte den Kopf und sah zu Boden. Was hatte Soichi vorhin gesagt? ‚Du hast mich doch in diese Rolle gedrängt! Wenn du mich von Anfang an in Ruhe gelassen hättest, hätte ich jetzt diese Probleme nicht.’ Vielleicht hatte er ihn wirklich in eine Rolle gedrängt, die Soichi tief im Inneren widersprach. Egal, was sein Vater erzählte, Soichi musste deswegen nicht zwangsläufig auch so sein. Bevor Morinaga weiter darüber nachdenken konnte, sagte Soichi leise: „Es tut mir leid, was ich eben gesagt habe. Du bist nicht schuld.“ Überrascht sah Morinaga ihn an. Noch nie zuvor hatte Soichi sich bei ihm entschuldigt. Eine Weile schwiegen sie, und Soichi starrte an die Decke. Seine Augen waren glasig und seine Wangen leicht gerötet. Wie verletzlich er jetzt aussah, dachte Morinaga. Ja, verletzlich, sanft, schön… und wehrlos. Und plötzlich, er schämte sich entsetzlich für diesen Gedanken, spukte da eine ganz unpassende Fantasie durch Morinagas Kopf. Wie er sich auf diesen hilflosen Kranken stürzte, ihm die Kleider vom Leib riss, und ihn… „Morinaga!“ „Soichi…“ „Du hast schon wieder diesen Blick!“ Soichi zog seine Hand aus der des anderen. „Du bist so ein Schwein! In dieser Situation an so was zu denken!“ Er wollte aufstehen. „Nein, bleib liegen, bitte! Ich mache nichts, versprochen!“ „Das glaube ich dir nicht! Du machst das immer, wenn du so guckst! Ich kenne dich!“ Morinaga drückte ihn zurück auf die Matratze. „Bleib liegen! Ah…“ Sein Gesicht berührte jetzt fast das von Soichi. „Einen Zentimeter näher und ich rufe die Schwester!“ „Es… ist schon eine Woche her…“ „Also willst du doch! Von wegen, ‚ich mache nichts, versprochen’! Lügner!“ „Aber wir sind hier ganz allein. Die Schwester kommt erst in einer Stunde wieder.“ Er legte eine Hand auf Soichis Bein. „Ich will aber ni…“ Er kam nicht dazu, weiter zu sprechen, denn Morinaga hatte angefangen, ihn zu küssen. Geschwächt, wie er war, brachte er es nicht fertig, ihn von sich wegzustoßen. Mit den Fingerspitzen der anderen Hand begann Morinaga nun, leicht die Kopfhaut hinter seinen Ohren und dann seinen Nacken zu berühren, was Soichi halb wahnsinnig machte. Die Hand, die eben noch auf seinem Bein gelegen hatte, war inzwischen hoch gewandert und öffnete seine Hose. „Ich… will nicht…“ „Dein Körper sagt aber was anderes.“ „Nein, ich will wirklich nicht. Bitte. Nicht hier.“ „Wollen wir zu mir gehen?“ „Nein! Außerdem kann ich… damit…“, Soichi errötete noch mehr, als er verschämt das offensichtliche Ergebnis von Morinagas Berührungen betrachtete, „…doch nicht durch die Uni laufen…“ „Gut, dann will ich dafür sorgen, dass ich das schnell wegkriege.“ „Ah! Nimm deine Hand da weg! Wenn jetzt jemand…“ „Scht. Sei ruhig. Es kommt schon keiner.“ „Also… gut“, gab er sich geschlagen. „Das man dich auch immer erst überreden muss…“ Erneut drückte er seinen Mund auf den Soichis und verhinderte damit, dass ein Aufstöhnen die Schwester auf den Plan rief. Und tatsächlich, er gab keinen Laut von sich, während er Morinagas Händen ihren Willen ließ. Als er ein paar Sekunden später fertig war, und sich Morinaga vom Bett erhoben hatte, um sich die Hände an dem kleinen Waschbecken, das im Zimmer war, zu waschen, bat Soichi: „Mach nicht weiter. Ich fühl mich echt nicht gut. Ich will nach hause und mich in mein Bett legen. Und zwar alleine.“ Die letzte Bemerkung konnte er sich nicht verkneifen. Schweren Herzens sah Morinaga ein, dass es besser war, Soichi zu nichts weiterem zu drängen. „Schon gut. Ich bring dich nach hause.“ Soichi erholte sich über das Wochenende, war aber am Montag noch immer zu erschöpft, um zur Arbeit zu gehen. Darum meldete er sich die Woche über krank, und am Samstag, als das Omiai war, ging es ihm wieder gut. Morinaga, der täglich angerufen und sich nach seinem Befinden erkundigt hatte, war es trotz aller erdenklichen Mühen nicht gelungen, ihn von dem Treffen mit der Heiratskandidatin abzubringen. Die junge Frau war außergewöhnlich schön, das konnte Soichi nicht verleugnen. Sie war zwei Jahre jünger als er, also genau so alt wie Morinaga. Ihre großen mandelförmigen Augen, ihre dezent geschminkten vollen Lippen und ihre langen schwarzen Haare, die sanft ihren Rücken hinunterflossen und leicht im Licht der Kerzen schimmerten, verliehen ihr ein nahezu unwiderstehliches Aussehen. Sie war intelligent und gebildet und strahlte eine betörende Ruhe aus, wenn sie mit ihrer tiefen, jedoch nicht unweiblich wirkenden Stimme sprach. Soichi hatte in den vergangenen zwei Wochen genügend Zeit gehabt, sich über eine mögliche Ehe Gedanken zu machen. Sein Vater wollte das alles nur, damit er einige Nachkommen in die Welt setzte. Aber was wollte er? Mit einer Frau Kinder zeugen? Jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, wie es sein würde, mit einer Frau zu schlafen, kam ihm das irgendwie falsch vor. Nachdem sie in der gemütlichen Ecke des Restaurants gegessen und einige höfliche Worte miteinander ausgetauscht hatten, räusperte sie sich und sah ihn gerade heraus an. „Ich bin sehr froh, dass dein Vater und meine Eltern uns durch dieses Omiai zusammengebracht haben. Aber ich will aufrichtig zu dir sein. Ich bin nicht an einer Partnerschaft interessiert.“ Er sah sie erstaunt an. „Ich möchte Kinder haben. Am liebsten viele. Ich liebe Kinder über alles. Darum möchte ich heiraten. So wären meine Kinder finanziell abgesichert. Weißt du, Männer interessieren mich nicht. Oh, Frauen auch nicht“, fügte sie hinzu, als sie seinen fragenden Blick sah. Er musste an die Worte seines Vaters denken. ‚Du machst ihr einfach ein paar Kinder, und die Frau ist glücklich.’ Waren Frauen wirklich so? Er hatte da keine Erfahrung. Nie hatte er eine Freundin gehabt. Er hatte immer nur gelernt, gearbeitet und geforscht, für anderes war keine Zeit. Oder war es einfach so, dass er soviel Zeit in seine Forschungen gesteckt hatte, um nicht über eine Beziehung mit einer Frau nachdenken zu müssen? War ihm nicht schon als Kind klar gewesen, dass er… „Wir würden die Ehe nicht vollziehen“, fuhr sie fort. „Heutzutage gibt es andere Möglichkeiten, Kinder zu zeugen. Sollte es dazu kommen, dass wir heiraten, will ich diesen Punkt auf jeden Fall in unserem Ehevertrag festhalten, denn ich möchte auf keinen Fall, dass du später darauf bestehst, dass ich meinen so genannten ehelichen Pflichten nachkomme.“ „Ich verstehe“, sagte er und fühlte sich auf einmal wie von einer schweren Last befreit. „Wir wären nur auf dem Papier verheiratet. Ich nehme deinen Namen an und bekomme deine Kinder. Wir müssten nicht einmal zusammen leben. Die Kindererziehung könntest du komplett mir überlassen, das wäre mir sogar lieber. Ich wäre zufrieden und dein Vater und meine Eltern auch. Wenn du nebenher noch eine richtige Beziehung hast, kümmert mich das nicht.“ Fragend sah sie ihn an. „Was denkst du darüber?“ „Ich… bin mir noch nicht sicher“, antwortete er ausweichend. „Ich muss mir das alles genau überlegen.“ „Es ist, weil ich nicht mit dir schlafen will, habe ich Recht?“ „Nein. Das ist es nicht.“ „Dann interessieren dich diese Dinge auch nicht? Ich habe mir schon so etwas gedacht. Darf ich dich offen etwas fragen? Bist du homosexuell?“ „Natürlich nicht“, sagte er ganz automatisch, aber er klang nicht ehrlich dabei, was ihr nicht verborgen blieb. „Wie kommst du darauf?“ „Dein Vater hat so was angedeutet.“ „Was fällt dem… ich meine, wie kommt er nur auf solche Sachen?“ „Also nicht, hm. Dann gehörst du zu denen, die ganz in ihrer Arbeit aufgehen und einfach keine Zeit für eine Freundin haben?“ „So könnte man es sagen, ja“, antwortete er, und das war nicht einmal wirklich gelogen, redete er sich ein. Die junge Frau sah auf die Wanduhr. Es war spät geworden. „Nun, lass es dir in aller Ruhe durch den Kopf gehen. Ich weiß, ich verlange viel von dir. Die wenigsten Männer würden sich auf so etwas einlassen.“ „Ich werde darüber nachdenken. Ich melde mich wieder bei dir.“ „Das freut mich. Gute Nacht.“ „Gute Nacht.“ Soichi ging die menschenleere Straße entlang. Das Restaurant war nicht weit von seinem Zuhause entfernt, daher hatte er sich entschlossen, zu Fuß zu gehen. Hoch am Himmel stand eine schmale Mondsichel und spendete kaum Licht, so dass die Sterne zu sehen waren. Es war kälter geworden, und auch in seinem Inneren fühlte sich Soichi befremdlich abgekühlt. ‚Was für eine merkwürdige Frau’, dachte er. Seltsam, kalt, irgendwie unnahbar. So ganz anders als Morinaga… Überhaupt kamen ihm die letzten Stunden eher wie eine Geschäftsverhandlung vor und nicht wie ein romantisches Date, was es ja eigentlich hätte sein sollen. Er überlegte. Die ganzen Vorwürfe, der ganze Stress der letzten beiden Wochen, die tagelange Erschöpfung deswegen… er könnte jetzt mit einer einzigen Entscheidung dafür sorgen, dass so etwas in Zukunft nie wieder geschehen würde. Wenn er diese Frau heiratete, wäre er von allem Ärger befreit. Das hatte er doch immer so gewollt. Schon lange, bevor er Morinaga kennen gelernt hatte. Er dachte an diese Sache damals, als er sich für diesen Weg entschieden hatte. Es war genau zehn Jahre her. Er schloss die Tür zu seiner Wohnung auf. Es war dunkel, seine kleine Schwester war schon lange im Bett. Er ging ins Wohnzimmer, knipste das Licht an, setzte sich auf einen Sessel und nahm den Telefonhörer ab. Ob Morinaga noch wach war? Sein Kohai hatte ihn heute Nachmittag angefleht, ihn sofort nach dem Omiai anzurufen. Aber jetzt war es wohl zu spät, Morinaga schlief sicher längst. Er legte auf, zögerte noch mal kurz und ging dann zu Bett. Eine halbe Stunde lag er wach und fand keinen Schlaf. Er musste die ganze Zeit an Morinaga denken. Wieso nur fühlte er sich ihm derart verpflichtet? Er setzte sich auf und griff nach seinem Handy, das auf dem Nachttisch lag. Vielleicht war Morinaga doch noch wach. Er drückte die Kurzwahl-Taste. Es klingelte zweimal, dann wurde abgehoben. „Hallo?“ „Ich bin’s. Habe ich dich geweckt?“ „Nein!“ rief Morinaga schnell. Wie hätte er an diesem Abend Schlaf finden können? „Wie ist es denn gelaufen?“ Soichi war sich selbst nicht sicher, was er Morinaga eigentlich sagen wollte. „Es war ganz okay. Sie ist sehr nett.“ „Aber du hast abgelehnt.“ „Nein, das habe ich nicht. Ich habe ihr gesagt, sie hört von mir.“ „Warum hast du nicht abgelehnt? Du ziehst das doch nicht wirklich in Erwägung?“ „Ich wüsste nicht, was dagegen spricht“, sagte Soichi unbeabsichtigt kalt. „Ich habe dir immer gesagt, dass es eines Tages dazu kommen wird.“ Morinaga schluckte schwer. „Aber wir beide sind doch zusammen…“ „Das… sind wir nicht. Außerdem will sie gar keine Beziehung haben.“ „Was soll das jetzt wieder heißen?“ Soichi erklärte ihm, auf welche Art sie die Ehe zu führen gedachte. „Und da überlegst du noch ernsthaft? Die will nur dein Geld, und du willst das mitmachen? Das glaub ich einfach nicht!“ „Dann lass es. Sie gibt mir die einmalige Möglichkeit, Kinder in die Welt zu setzen, die meinen Namen tragen, ohne, dass ich… etwas dafür tun muss.“ „Du meinst, mit ihr in die Kiste zu springen!“ „Hör auf, so über sie zu reden! Du kennst sie ja nicht mal. Sie ist eine sehr nette Frau.“ „Nette Frau!“ wiederholte Morinaga aufgebracht. „Und was glaubst du, was dann aus uns wird?“ „Was soll schon werden? Ich heirate sie und der ganze Ärger hat ein Ende. Zwischen uns kann meinetwegen alles so bleiben, wie es ist. Ich habe auch nichts dagegen, ab und zu mit dir zu schlafen. Das können wir bei dir in der Wohnung machen, wo uns keiner sieht. Es ändert sich also nichts. Ich habe dir eben erklärt, dass sie nichts gegen einen Seitensprung einzuwenden hat.“ „Das bin ich also für dich, ein Seitensprung, ja?“ „Ich weiß nicht, worüber du dich so aufregst. Du führst dich auf wie eine Ehefrau, deren Mann sich eine andere genommen hat.“ Morinaga schnaubte amüsiert in den Hörer. „Was gibt’s da zu lachen?!“ „Erst sagst du, ich sei ein Seitensprung, und im nächsten Moment vergleichst du mich mit deinem Ehegatten. Ich glaube, du merkst gar nicht, was du da redest.“ „Du bist ein Idiot!“ „Du bist hier der Idiot!“ Morinagas Stimme zitterte jetzt. „Meinst du etwa, ich mache das mit? Wenn du dich dazu entscheiden solltest, sie zu heiraten, kannst du mich vergessen.“ „Ich sage doch, die Ehe gäbe es nur auf dem Papier. Zwischen uns kann alles so weitergehen, wie bisher.“ „Nein! Dann wäre nichts mehr so wie bisher. Verstehst du nicht? Ich will bei dir an erster Stelle stehen! Der wahre Grund, warum du das machen willst, ist doch, weil du dich dann hinter deiner Ehe-Fassade verstecken kannst. Du stehst nicht zu dir selbst. Du machst mir Vorwürfe, dass ich allen Schwierigkeiten aus dem Weg gehe. Da hast du Recht. Aber das, was du machst, ist viel schlimmer! Du bist ein verdammter Feigling!“ Morinagas Stimme versagte. Weinte er? Soichi war sich nicht sicher. Morinagas Worte hatten ihn hart getroffen. Aber zugeben wollte er es nicht. „Wenn du nicht willst, dann lass es uns beenden.“ „Was?“ „Wir hören auf mit dem, was wir tun und bleiben einfach normale Freunde.“ „Das kann ich nicht“, lehnte Morinaga ab, während ihm zwei heiße Tränen über die Wangen liefen. „Es geht nicht anders. Ich habe mich entschieden. Ich heirate sie.“ „Dann war es das? Du machst… endgültig… Schluss?“ Soichi fuhr ein kalter Schauer wie ein warnender Hinweis durch den Körper. Er atmete tief durch, bevor er sagte: „Ja.“ Er legte auf, in dem Bewusstsein, das Falsche getan zu haben. Morinaga starrte am anderen Ende noch einige Sekunden auf den Hörer, dann sank er zu Boden und ließ seinen Tränen freien Lauf. Wie betäubt ließ Soichi sich zurück aufs Kissen fallen und legte das Handy weg. Er fasste sich an die rechte Brustseite. Das kleine Stück Metall dort kam ihm jetzt fehl am Platze vor. Langsam öffnete er den Verschluss und nahm Morinagas Ring ab. Ende von Kapitel 2 Fortsetzung ist in Arbeit... Oooh, das ist so traurig! *schnief* Soichi ist ja so gemein! *Soichi pack und würg* Wie wird es jetzt weitergehen?? Einigen von euch wird vielleicht nicht entgangen sein, dass Soichi sich hier und da widersprüchlich ausdrückt. Ist er jetzt gegen das Schwulsein oder dafür? Und was war das für eine Sache vor zehn Jahren? Doch nicht etwa… ein Junge, mit dem er was hatte?! Im nächsten (und damit letzten) Kapitel wird sich alles aufklären. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)