Kurzgeschichten von Karopapier (das, was ich in ruhigen Minuten fabriziere) ================================================================================ Kapitel 12: Silvesterabend -------------------------- Sie hörte erst am See wieder auf zu rennen. Dort, im Schatten der alten Weide, ließ sie sich frierend und traurig auf die kleine Parkbank fallen. "Entschuldigen Sie", kam es schnarrend von hinten, "ich möchte Sie nicht stören, aber ist es Ihnen Recht, wenn ich mich zu Ihnen setze? Die Bank ist normal mein Schlafplatz..." Sie nickte und das Lumpenbündel, denn nichts anderes erkannte man mehr von dem mann, plumpste neben ihr auf die Bank. "Allein um diese Zeit?", schnarrte es. "In der Nacht zu Neujahr?" Wieder nickte sie. "Probleme zu Hause", sagte sie. Ein mitfühlendes Seufzen von der Seite, dann war es wieder still. "Ich wünschte, ich wäre noch ein kleines, naives Kind", brach es aus ihr heraus. "Dann wäre es so einfach, in meinen Eltern noch die allmächtigen Erwachsenen zu sehen." Der Mann knurrte zustimmend. "Dann wäre jeden Tag eine warme Mahlzeit auf dem Tisch." "Dann könnte ich es hinnehmen, wenn meine Mutter wieder zu viel getrunken hat und lauter wird, weil ich es nicht bemerken würde." "Dann hätte ich einen kleinen fetten Kater namens Kasimir, der mein bester Freund wäre." In stillem Einverständnis schwiegen sie und jeder hing seinen Gedanken nach. "Dann könnte meine Mutter mich nicht einfach beiseite schieben und ignorieren", fuhr sie schließlich leise fort. "Sie müsste auf mich aufpassen und mich beschützen, damit mir beim Böllern nichts passiert. Dann könnte sie nicht mehr alle Verantwortung für die Kinder auf mich abschieben, weil ich selbst noch ein Kind wäre. Dann könnte ich das Feuerwerk Jahr für Jahr bewundern und mich freuen ohne zu wissen, dass das neue Jahr doch nur wieder an das alte anknüpft." "Dann könnte ich darauf vertrauen, es immer warm zu haben", ergänzte er, "dann wäre ich sicher. Dann könnte ich mich mit meinen besten Freunden prügeln und nach zehn Minuten wäre alles wieder im Lot." Der Qualm der Silvesterkracher verzog sich und sie starrten zum Himmel hinauf. Er zog eine Flasche aus seiner Jacke und reichte sie ihr. "Auch nen Schluck?", fragte er. Sie nickte und trank. "Weißt du", murmelte sie deprimiert, "das Leben ist scheiße. Etwas hört auf, das andere baut darauf." Er nickte. "Man hat keine Freiheit, es bleibt stets alles beim alten." Wieder nickte er. Schweigen. Endlich stand sie auf. "Ich muss zurück nach Hause", seufzte sie, "man wird mich schon vermissen. Frohes neues Jahr noch." Glucksend sah er ihr nach. "Ebenso", antwortete er mit einem Hauch Ironie, "ebenso." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)