Kurzgeschichten von Karopapier (das, was ich in ruhigen Minuten fabriziere) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Brief -------------------- Ihr fragt euch, warum ich es getan habe. Ihr fragt euch, warum ich euch das ohne irgendeine Erklärung oder Vorwarnung angetan habe. Bestimmt tut ihr das, und ich werde euch eine Antwort darauf geben. Für euch war ich ein nettes Kind, schusselig, unberechenbar und manchmal nervig, aber gut erzogen, höflich, zuvorkommend. Faul, aber trotzdem sozial engagiert. Ihr habt euch auf mich gestützt, auf mich vertraut, wart sicher, dass ich ein nahezu problemloses Leben hatte. Vielleicht hattet ihr ja Recht. Vielleicht war es ja einfach zu problemlos. Ihr fandet es toll, wie ruhig ich Umgang mit anderen war. Ihr wart begeistert, wie gut ich mich benehmen kann. Stolz, als ihr hörtet, dass ich mich gegen Nazis engagiere. Aber in meinen Träumen lief Blut, viel Blut, mein Hass war groß und meine Gedanken voller Gewalt. Ihr konntet mich vor Gefahren schützen, die von außen kamen, aber nicht vor mir selbst. Wisst ihr noch, wie ich die Katze von der Straße aufgelesen und zum Tierarzt gebracht habe? Ihr habt mich für meine Tierliebe, für mein Handeln ohne zu zögern gelobt, aber warum ich das wirklich tat, wisst ihr nicht. Ich tat es, um eine Ausrede zu haben, das Blut zu sehen, zu sehen, wie die Katze verreckte. Es lag nicht an der Kate,der Verlust war schade, aber sie hätte so oder so nicht überlebt. Das alles, diese Gedanken und Gefühle, an denen bin ich kaputtgegangen. Und ihr habt es nicht gemerkt. Ich bin an der ganzen Gesellschaft verzweifelt, angeblich nicht oberflächig, aber dann doch auf Kleidung und Schminke und Ideale aus. Ich wollte das nicht anerkennen, habe es anders gemacht. Und ihr? Ich bin nicht hässlich. Ich seh nur anders aus als ihr. Trotzdem wollt – oder könnt ihr das nicht wahrhaben. Dabei meine ich niemanden speziell, jeder von euch ist so. Alle, ohne Ausnahme. Speichellecker, Arschkriecher, Spielbälle der Gesellschaft. Und das Schlimmste: Ihr tut nichts dagegen. Schaut in den Spiegel und ihr seht, was mich so weit getrieben hat. Schaut in den Kleiderschrank und ihr seht, was mir den Mut gab. Macht den Fernseher an und ihr hört den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich werde euch nie verzeihen. Niemals. Denn ihr seid verantwortlich - für meinen Tod. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)