upside down von Traumweber ================================================================================ Kapitel 5- "wind of change" part 2 ---------------------------------- Kapitel 5 - „wind of change“ part 2 Einige Zeit gingen sie schweigend nebeneinander her, bevor Joèl die Stille brach. Seine Gedanken hatten ihn vollkommen in ihrer Gewalt gehabt,erst als er jetzt stehen blieb und Shateis Blick begegnete bemerkte er, wie dieser ihn forschend und mit einem Anflug von Sorge musterte. „Was immer es für eine Bitte ist Shatei, kann es bis morgen warten? Ich bin sehr müde.“ Ein Mundwinkel zog sich zu einem Grinsen nach oben. „Müde? Ach wirklich? Wo hast du dich herumgetrieben Joèl, du riechst nach Staub und irgendetwas Merkwürdigem.“ Joèl fuhr innerlich zusammen, lies sich aber nichts anmerken. Dieses Merkwürdige war natürlich der Geruch von Weihrauch. Aber welche Erklärung sollte er dafür anbringen, dass er in einer Kapelle war, ohne von Andrea zu erzählen. Wusste Shatei überhaupt von dieser Kapelle? „Ich bin ein wenig herumgelaufen und habe zugegebener Maßen irgendwann die Orientierung verloren. Also bin ich dann wieder umgekehrt.“ Shatei musterte ihn noch einen Moment, doch er ahnte nicht, dass ihm Joèl etwas verschwieg. Nichts außer dem Schmerz, dessen Shatei sich dennoch so vollkommen bewusst war. Irgendwann, wenn ein wenig mehr Zeit vergangen war, so war er sich sicher, würde Joèl sein Leben an seiner Seite akzeptieren können und auch genießen. Irgendwann würde er sein Herz für sich gewinnen, die Chancen standen doch gar nicht so schlecht, oder? „Komm mit!“ Er legte dem Braunhaarigen einen Arm um die Schultern und zog ihn mit sich. Ihr Ziel war ein kleiner Raum, der mit einer großen Couch, zwei Sesseln und einem wunderschönen Flügel vollkommen ausgefüllt war. „Eigentlich hatte ich beabsichtigt, dich zu bitten, für mich zu spielen, doch da du müde bist, drehen wir das Ganze einfach um.“ Er schob den jungen Mann zu der Couch und nahm dann selbst am Flügel platz. Joèl lies sich auf das weiche Polstermöbel sinken und zog die Beine an. Bereits als Shatei die ersten Klänge anschlug lies er sich zur Seite sinken und machte er sich mittels ein paar Kissen bequem. Er schloss kurz die Augen, um die Musik zu verinnerlichen, doch öffnete sie schneller als er es selbst wirklich bewusst registrierte wieder. Er wollte Shatei nicht nur zuhören, sondern auch zusehen. Das schwarze schulterlange Haar hatte er zu einem Zopf im Nacken zusammengebunden, er trug eine schwarze Stoffhose, dazu ein dunkelrotes Seidenhemd. Ein schwarzes Lederband war um seinen Hals gebunden, daran ein silberner Anhänger, der schon etwas angelaufen wirkte. Seine Finger flogen über die Tasten, sein Spiel war sauber und präzise. Es war so angenehm, hier zu liegen und den Klängen zu lauschen und dabei diesen wunderschönen und imposanten Mann zu betrachten. Doch wie sehr er diese Momente auch genießen 'wollte', Erique drängte sich immer wieder in seine Gedanken. Warum waren die Beiden in letzter Zeit so oft beisammen? Was war mit Rendall? So oft wie Shatei sich Joèl immer wieder aufgedrängt hatte, war es irgendwie auffällig, wie leicht er ihm in den letzten Nächten aus dem Weg gehen konnte. „Dass du mich so verhasst musterst liegt an Erique, nicht wahr?“ Joèl stutzte. Er hatte nicht bemerkt, dass Shatei seine Augen,die er während des bisherigen Spiels geschlossen hielt, geöffnet, geschweigedenn ihn angesehen hatte. Er saß da und spielte, wie schon die ganze Zeit. Der Student spürte Röte in seine Wangen steigen. Warum schämte er sich dafür, Shatei einen hasserfüllten Blick zugeworfen zu haben? Aus einem ihm unerfindlichen Grund tat es ihm weh, dabei erwischt worden zu sein. „Du musst nicht antworten. Ich weiß auch so, dass es wegen ihm ist.“ Warum? Warum nur klang er bei diesen Worten so.... verletzt? Und warum wurde Joèl bei diesem Klang so unangenehm heiß? „Du liebst ihn noch, das kann ich hinnehmen. Ich kann verstehen, wenn du mich dafür hasst, dass ich euch hier festhalte, für diese Wette, die du unmöglich gewinnen kannst, dafür, dass ich die mir zur Verfügung stehenden Mittel einsetze, um dich zu verführen und in meinen Bann zu ziehen, aber das du mich so anschaust, weil du glaubst, ich täte ihm etwas an...“,er hörte auf zu spielen, klappte langsam die Abdeckung der Tasten herunter und stand auf, um zu Joèl hinüber zu gehen. Er setzte sich zu dem 21-jährigen auf die Couch, während dieser sich ebenfalls aufsetzte und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die kühlen Finger so sanft und zärtlich, der Blick in diesen braunen Augen ein warmes Glühen mit einem lodernden Funken darin. Schmerz? „...das tut weh, Joèl. Schätze mich nicht falsch ein. Ich bin nicht nett, sanft oder freundlich, ich bin auch nicht gerecht und selten fair, aber ich bin ehrlich. Ich werde keinen der beiden Anrühren, bis der Ausgang unserer Wette steht.“ Was war das? Warum nur wollte er ihm jetzt so gerne glauben, die Arme um ihn schlingen und ihm genau das zuflüstern? Stattdessen griff Joèl nach der Hand des Vampirs und zog sie, wenn auch sanft, so doch bestimmend, von seiner Wange fort, hielt sie aber weiter fest. „Worüber sprecht ihr Abend für Abend? Was geht da vor Shatei? Was willst du von ihm?“ Nun lachte sein Gegenüber leise in sich hinein. Nur kurz, doch es reichte aus, um Joèl wieder Wut in die Augen zu treiben. „Wirklich rein gar nichts, Joèl. Du zerbrichst dir vollkommen unnötig deinen hübschen Kopf.“ Der Student seufzte. In Ordnung. Er würde sich für heute zufrieden geben müssen. Man merkte schnell, wenn Shatei nicht bereit war, mehr als nötig zu erzählen. Die dunkelbraunen Tiefen musterten ihn eingehend. „Aber das ist nicht das Einzige, dass dich beschäftigt. Wo warst du wirklich Joèl? Ich weiß, dass ich diesen Geruch kenne.“ Na wunderbar. Zum Teufel mit dem feinen Geruchssinn eines Vampirs. Vielleicht würde eine Halbwahrheit seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, wobei der junge Mann nicht genau wusste, warum er auf Andreas Forderung niemandem von seinem 'Leben' zu erzählen einging. „Ich sagte dir doch, dass ich mich in den Gängen verlaufen habe. Man merkt halt doch immer wieder, dass dieses Schloss zum größten Teil nur noch eine Ruine ist.“ Er bemühte sich, seine Stimme gleichgültig klingen und sich nichts von seiner Aufregung, wenn er nur an den hellhaarigen Vampir dachte, anmerken zu lassen. „Frag mich nicht, wie lange ich da herumgeirrt bin, letztendlich bin ich in einer Kapelle gelandet.“ Verflucht! Shateis Augen verengten sich zu Schlitzen. „In Ordnung Joèl, dir bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder du sagst mir jetzt die Wahrheit, oder ich sehe mich gezwungen, auf anderem Wege meine Antwort zu erhalten.“ Joèl senkte den Blick. Er rechnete schon jeden Augenblick mit dem stechenden Kopfschmerz, der das Durchbrechen seiner Barriere begleitete, doch er kam nicht. Als er wieder aufsah blickte Shatei gelassen abwartend auf ihn herab. Er gab ihm Zeit.... „Es ist schade, dass du es mir nicht selbst erzählen willst, er scheint von seiner beeinflussenden Wirkung auf Andere nichts eingebüßt zu haben. Wie geht es Andrea?“ Joèl muss wohl restlos alle Farbe aus dem Gesicht gewichen sein. Was sollte das? Was war das wieder für ein krankes Spiel, dass hier mit ihm gespielt wurde? „Ganz ruhig mein Hübscher. Natürlich weiß ich, dass Andrea sich in der alten Kapelle aufhält. Felix entstaubt dort regelmäßig alles, selbstverständlich weiß er nicht, dass ich durch diesen schon vor Jahren erfahren habe, dass er dort ist.“ „Warum? Was ist damals zwischen euch vorgefallen? Er sagte, er habe wegen dir das Schloss verlassen.“ Die Fragen sprudelten einfach so aus ihm hervor. Seit er die Kapelle verlassen hatte, hatte ihn nichts Anderes beschäftigt. „Ein paar dumme Umstände. Fakt ist, dass wir alle froh sein können, wenn er da bleibt, wo er ist.“ War das Angst in Shateis Augen? „Und wenn nicht?“ „Vorsichtig Joèl, wie sehr ich dich auch begehre, lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster.“ Joèl atmete noch einmal tief durch, er wusste es war riskant, aber er musste das Risiko eingehen. Er konnte einfach nicht widerstehen. „Du hast also Scheu davor ich könnte es schaffen, ihn zur Rückkehr zu bewegen?“ Er wollte noch etwas anhängen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. „Ich will dir nicht drohen Shatei, vermutlich kann ich das auch gar nicht.... ich.... verdammt es macht mich nur völlig krank, was willst du von Erique? Warum sehe ich euch Nacht für Nacht zusammen?“ Shatei hatte seine Hand längst befreit und legte Joèl nun beide Hände an die Wangen, musterte ihn eindringend. „Ich will rein gar nichts von ihm, mein Liebster. Dein kleiner Schatz ist es, der mir nachläuft. Glaube mir doch endlich, wenn ich dir sage, dass es dir hier besser gehen wird, als mit ihm. Ich habe nichteinmal vor, ihn hier festzuhalten. Lass ihn zurückkehren zu seinen Autorennen und den tollen Freunden, die du doch ohnehin nicht ausstehen kannst.“ Das hatte gesessen. Joèl fühlte sich, als habe man ihm den Boden unter den Füßen fortgezogen. Wiedereinmal. Er war hin- und hergerissen, Shatei einfach an sich zu ziehen und in einem Strudel von Lust und Hitze einfach für ein paar Momente alles zu verdrängen, und ihn von sich zu stoßen, anzuschreien, zu toben und wüten, bis er keine Energie mehr hatte. „Du bist wirklich erschöpft, Joèl. Ruh dich aus, ich lasse dich bis morgen Nacht in Ruhe.“ Er hauchte ihm noch einen Kuss auf die Stirn, bevor er dem jungen Mann seine Hand entzog, aufstand und den dämmrigen Raum verlies. Einige Sekunden lang noch starrte Joèl auf die geschlossene Tür, ohne sie wirklich zu sehen, dann krampften sich seine Hände in das Polster, doch der Schrei, der sich in seiner Kehle zusammenkrampfte, brach nicht hervor. Ja, er hatte Eriques Freunde nie gemocht.... Mit einem Seufzen lies er sich rücklings auf die Couch fallen, lag nun auf dem Rücken und starrte an die Decke als er den Erinnerungen gestattete über ihn hinweg zu rollen. Es war schon kurz vorm Ende des ersten Mathematik-Semesters in dem er Alan kennen gelernt hatte. Nun, was heißt kennen gelernt. Er war ihm nicht wirklich sympathisch. Man sprach mal in der Mensa miteinander, aber mehr auch nicht. Er war einer von diesen Typen Marke Arschloch, die cool daher redeten und gewiss auf Typen wie Joèl, die nicht 'normal' waren, gleich einschlugen, vorausgesetzt sie hatten genügend Mitstreiter hinter sich stehen, damit sie nicht selbst einen über kriegten. So zumindest hatte Joèl ihn zu der Zeit eingeschätzt, und ja, er war stets ein sehr voreingenommener Mensch gewesen, der lieber allein lebte. Erique war dann später eine ungeplante Ausnahme. Als Erique den Job bei Professor Rendall angenommen hatte, musste er Alan wohl irgendwie auf dem Uni-Gelände begegnet sein. Er begann Abends wegzugehen.... mit Freunden. Joèl stellte erst keine Fragen, er wollte seinen Freund schließlich nicht bemuttern, doch als dieser Name fiel... da wurde Joèl neugierig. Ein- bis zweimal die Woche trafen Erique, Alan und ein paar andere Jungs sich, um mit aufgemotzten Wagen Landstraßen entlang zu heizen, die um die Uhrzeiten meist leer waren. Aber eben nur meist.... Später kam es immer wieder mal vor, dass man in der Zeitung las, wie knapp jemand einem nächtlichen Raser noch entgangen war bevor sich beide im Krankenhaus oder Mausoleum wiedergefunden hätten. Für Joèl war stets klar, dass Alan Erique irgendwie beeinflussen musste. Erique war einfach nicht der Mensch für solch riskante und vor allem dumme Dinge. Es hatte dann aber auch nicht lange gedauert, bis Alan ihn nach einer Vorlesung angesprochen hatte, ob er nicht mal mitkommen wollte. „Um mir anzuschauen, wie ihr euch in den Straßengraben katapultiert? Vielen Dank, aber ich verzichte.“ Wie konnte Erique solch einen Quatsch mitmachen? „Komm schon Joèl. So prüde habe ich dich gar nicht eingeschätzt. Hälst du deinen Lebensgefährten für so bescheuert, dass er mitführe, wenn er es sich nicht zutrauen würde?“ Wie gerne hätte er Alan schon da seine Faust ins Gesicht gejagt. Was immer er in der Situation gesagt hätte, es hätte gegen ihn verwendet werden können. Er hatte erneut die Einladung ausgeschlagen und wütend den Hörsaal verlassen, war aber am Abend dann doch mitgekommen. Erique hatte nicht gerade den Eindruck gemacht, als hätte er ihn dabei haben wollen. Es war merkwürdig, wie anders er sich benahm, umgeben von diesen Möchtegern-Rennfahrern, die mit ihren Autos prahlten, die Motoren aufheulen ließen. Es gefiel Joèl ganz und gar nicht was er da sah, bis Erique dann plötzlich vor ihm stand, sich das blonde lange Haar, das ihm der Wind ins Gesicht blies, nach hinten strich und liebevoll aus seinen großen blauen Augen ansah. Wie ein Engel, sanft, unschuldig..... „Geh nach Hause, Liebster. Du fühlst dich hier nicht wohl, und mir tut es weh, wenn du mich so ansiehst. Glaube mir, ich tue nichts, was mich davon abhalten könnte, heil zu dir zurückzukommen.“ Wenn er ihn so ansah.....? Sein wütender Blick galt nie Erique. Er hatte seit jeher Alan die Schuld dafür gegeben, dass Erique die Nächte ohne Führerschein mit teils 200 Stundenkilometern am Steuer eines Sportwagens ohne Airbags verbrachte. Wahrscheinlich noch unter dem Einfluss von Alkohol, obwohl er ihm versprochen hatte, selbst nach dem kleinsten Schluck nicht mehr zu fahren. Er war ja auch desöfteren Beifahrer, nicht wahr? Erique gingen soeben dieselben Gedanken durch den Kopf. Er hatte lange nicht mehr daran gedacht. Und schon gar nicht daran, dass sein Leben vor Joèl nicht anders ausgesehen hatte. Eigentlich hatte er komplett abschließen wollen. In dem Moment in dem er Joèl das erste Mal gesehen hatte, hatte er sich entschieden. Er war ihm nachgeschlichen, hatte ihn beobachtet. In diversen Szenebars hatten sie sogar schon miteinander gesprochen und auch getanzt, doch entweder war Joèl zu desinteressiert oder zu betrunken gewesen, um sich später an ihn zu erinnern, oder aber Erique war es gut genug gelungen, mit den hochgebundenen und damals auch noch dunklen Haaren anders auszusehen, als später, regenüberströmt mit gebleichtem blonden Haar, dass offen über seinen Rücken wallte. Nachdem er Jahrelang dunkle Kontaktlinsen getragen hatte, lies er nun endlich seine blauen Augen ihre Wirkung tun, und dass das mit dem plötzlichen Gedächtnisverlust nach der Masche 'ich bin eine ausgesetzte Katze, nimm mich mit nach Hause' so gut funktionieren würde, hätte er sich damals nicht zu träumen gewagt. Doch es hatte sich gelohnt. Er hatte sich so unrettbar in den Dunkelhaarigen verliebt und jeden Tag mit ihm in vollen Zügen genossen. Warum hatte er nun wieder alles kaputt gemacht? Warum hatte es nicht so bleiben können? Und wenn Joèl nun erfahren würde, dass ihr Kennenlernen auf einer Lüge beruhte.... würde er ihm dann je wieder auch nur den Hauch einer Chance geben? Waren die wenigen Jahre für Joèl ebenfalls intensiv genug gewesen, um über alles hinweg zu sehen, nur um wieder beisammen zu sein? Alexander schaute Erique einen Moment lang an, öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder und stand wortlos auf. Er hatte aufgegeben Erique zu stören, wenn er in Gedanken war. Dieser Junge war ihm in den wenigen Tagen so erschreckend fremd geworden. Er fühlte sich allein und orientierungslos. Alles was ihn noch ausfüllte war sein Schuldgefühl. Er hatte den Raum verlassen und war versunken in seinen Schmerz – nein, den Schmerz der beiden jungen Männer, die er hier hineingeritten hatte – die Gänge entlanggegangen. Ein paar Bücher in den Armen, die er zur Bücherei zurückzubringen gedachte und die nun zu Boden fielen, als eine tiefe Stimme hinter ihm ihn begrüßte. Er glaubte beinahe den Atem des Anderen in seinem Nacken spüren zu können. „Warum so schreckhaft Professor? Sie sollten mittlerweile wissen, dass ich nicht beiße... zumindest nicht so ohne Weiteres und ohne Vorwarnung.“ Shatei war um ihn herumgegangen und hatte sich niedergekniet um die Bücher einzusammeln, während Alexander wie festgefroren dastand. Der Vampir richtete sich langsam auf und drückte dem Professor die Bücher in die zitternden Hände. Nach einem Räuspern schaffte dieser es dann nun auch ein heiseres „Auch Ihnen einen guten Abend.“ hervorzubringen. „Sie sehen aus, als ob Sie einen Tee vertragen könnten, Professor.“ Shatei hatte einfach keine Lust die Nacht allein oder noch schlimmer, mit einem der anderen Untoten zu verbringen. Warum auch? Der arme Alexander wurde doch gewiss vollkommen vernachlässigt, und da war noch etwas: Dieser aufrichtige Schmerz, diese Schuld die ihm aus jeder Pore strahlte, machte Shatei rasend. Warum auch immer, aber er konnte sich nicht mit ansehen, wie dieser Gelehrte an etwas zerbrach, woran er nicht zerbrechen sollte. Alle Alarmglocken klingelten bei Alex, und doch folgte er dem Schlossherrn in einen kleinen gemütlichen Raum, mit einer Sitzgruppe aus einladenden dunkelgrünen Polstermöbeln. Der Tisch und ein schöner alter Schrank mit Barfach, sowie eine Kommode und ein Sekretär mit einem Stuhl davor, dessen Polsterung ebenfalls in dunklem grün gehalten war, waren aus massivem, poliertem Holz. Alexander hatte gerade die Bücher auf dem Tisch abgelegt und sich in einen der Sessel gesetzt, als Shatei ohne erkennbaren Ausschlag zur Tür ging und sie öffnete. Felix betrat den Raum und stelle ein Tablett mit einer dampfenden Kanne und einer Tasse auf dem Tisch ab, bevor er mit einer Verbeugung wortlos wieder verschwand. „Telepathie ist meist doch mehr als praktisch.“, kommentierte der Vampir Alexanders unausgesprochene Frage, während dieser mit zitternden Händen versuchte, sich Tee ein zu schänken. Leise kichernd schüttelte Shatei den Kopf und nahm dem 39-jährigen die Kanne ab, um das mit dem Tee für ihn zu übernehmen. Es lies Röte in seine Wangen steigen, dass er sich in Shateis Nähe, wie ein kleiner nervöser Junge benahm. Joèl und Erique konnten so ruhig bleiben, wenn er mit ihnen sprach. Warum war ausgerechnet er, der sie doch hierhergebracht hatte, ein solch elender Feigling? „Seien Sie nicht so streng mit sich, Professor.“ Mitfühlend ruhten seine braunen Augen auf dem Mann vor ihm, in dessen Haar sich schon die ersten grauen Strähnen abzeichneten. Merkwürdig, dem Blick eines Vampirs entgeht selten etwas, hatte er sie wirklich übersehen, oder stresste sein Aufenthalt hier den Uni-Lehrer so sehr, dass die grauen Haare ein Resultat seiner Zeit in diesem Schloss waren? Nun, sehr wundern würde es ihn nicht. Behutsam nahm Alex die Tasse entgegen, vermied es aber, Shatei anzusehen. Sein Herz raste, das Blut rauschte in seine Ohren und seine Nackenhaare stellten sich auf, wann immer er den Blick des Anderen auf sich zu spüren glaubte. Shatei seufzte. „Wovor fürchten Sie sich so sehr, Professor? Doch wohl kaum davor, dass ich Sie anfallen und ihr Blut trinken könnte, oder?“ Doch eigentlich, so banal es war, hatte er damit ins Schwarze getroffen. Natürlich fürchtete er sich davor, von dem furchteinflößenden und geheimnisvollen Wesen, dass in dem Sessel ihm gegenüber saß, gebissen und getötet zu werden. Das war doch auch nur ein natürlicher Instinkt, nicht wahr? Die potenzielle Beute, deren Sinne sich in Gegenwart eines Raubtieres schärften, und für Vampire standen Menschen nun einmal an erster Stelle auf dem Speiseplan. „Geht es Ihnen besser, wenn ich Ihnen sage, dass Sie nicht mein Typ sind? Eigentlich vermeide ich solche Sätze in höflicher Konversation, aber vielleicht hilft es ja?“ Alexander hob den Blick und sah Shatei zögernd an. Er senkte den Blick direkt wieder atmete aber einmal tief durch, um sich etwas zu fassen. Es war anders, hier allein mit ihm, als in der Bücherei in der, zwar auch nur Vampire, aber dennoch andere Personen anwesend waren. „Es beruhigt mich irrationaler Weise nicht wirklich, aber es ist dennoch gut zu wissen.“ Er mühte sich zu einem schwachen Lächeln und trank vorsichtig einen Schluck von seinem Tee. Shatei lies noch ein paar wenige Sekunden verstreichen, doch bevor Rendall sich wieder mehr und mehr in seiner Nervosität verlieren konnte, nahm er das Gespräch am besten gleich am Kernpunkt wieder auf. „Sie machen sich zuviele Gedanken um Ihre beiden Schützlinge, die doch eigentlich gar nicht Ihres Schutzes bedürfen. Warum?“ Nun endlich schaffte Alexander es, den Blick seines Gesprächspartners zu erwidern. Hatte er ihn allen Ernstes gefragt, warum er seine Reisegefährten schützen wollte? Abgesehen davon, ob er es konnte? „Ich...fühle mich für sie verantwortlich. Wenn ich mir nicht diese Reise in den Kopf gesetzt hätte, nicht so besessen von meinen Studien gewesen wäre, dann könnten die Beiden jetzt daheim zusammensitzen und ein normales Leben führen. Wenn ich es auch nicht rückgängig machen kann, so will ich wenigstens so viel für sie tun, wie ich zu tun vermag.“ Dieser Blick, dieser Ton in der Stimme.... diese feste Entschlossenheit, obwohl er sich der Aussichtslosigkeit dieses Wunsches bewusst war... Das alles machte einen stärkeren Eindruck auf Shatei als er wirklich zulassen wollte. Doch er musste sich wohl oder übel eingestehen, dass er eine gewisse Zuneigung zu dem Mann vor ihm entwickelte. „Was soll das bitte sein, was in Ihrer Macht steht, was Sie für sie tun könnten? Joèl wünscht keine Hilfe von Ihnen und schon gar kein Mitgefühl. Er würde Ihnen wahrscheinlich am liebsten nie wieder begegnen. Und Erique.... tja, Erique ist wohl ein komplizierter Fall für sich, aber glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Sie sich nur selbst verletzen werden, wenn Sie versuchen, ihm zu helfen.“ Warum fühlte es sich so merkwürdig grausam an, ihm diese Worte entgegenzuwerfen? Er entwickelte doch wohl keine Skrupel? „Wahrscheinlich haben Sie recht. Nein, Sie haben ganz sicher Recht, immerhin kennen Sie ja die Gedanken und Gefühle der Beiden, die mir verschlossen bleiben, aber dennoch kann ich nicht tatenlos zusehen. Und wenn das Einzige, was ich für die Beiden tun kann, hoffen und beten ist, oder an meinen Schuldgefühlen ersticken, das ist alles besser, als gar nichts zu tun und gefühllos und unbeteiligt zuzusehen, wie zumindest einer von ihnen zunehmend den Verstand zu verlieren scheint.“ Kopfschüttelnd stand Shatei auf und kam auf den Professor zu. Er ging langsamen Schrittes um den Sessel herum hinter ihn und lies dabei eine Hand den Oberarm seines Gastes hinauf zu dessen Schulter gleiten. Der Körper unter seiner Berührung spannte sich augenblicklich an. „Sie sind es, der hier derzeit am meisten leidet. Aus einem mir unerklärlichen Impuls heraus würde ich Sie gerne für einige Momente von diesem Leid ablenken.“ Er stand nun hinter ihm, seine Finger wanderten langsam über die glühende und pochende Haut an Alexanders Hals, während er sich ein wenig vorbeugte, dann jedoch mit einem leisen, aber nicht bosartigem Lachen verschwand die Berührung und Shatei entfernte sich wieder ein paar Schritte von ihm und kam um den Sessel herum zurück zu seinem eigenen Platz. „Aber wahrscheinlich würde Ihnen das eher einen Herzinfarkt bescheren, statt zu helfen.“ Ein riesiger Kloß hatte sich hartnäckig in seiner Kehle festgesetzt und lies seine Stimme wegbrechen, als er kaum hörbar antwortete, „Das ist wohl sehr wahrscheinlich,“ und ebenfalls - kläglich versagend allerdings - versuchte zu lachen. „Ach Alexander, was mache ich nur mit Ihnen? Es droht Ihnen keine Gefahr, auch Ihrem kleinen Erique nicht. Ich habe meine Beute und kein Vampir in diesem Schloss wird es wagen meine Gäste anzurühren. Sie können wirklich aufhören, sich mittels Schals und Rollkragenpullovern bis unters Kinn zuzuschnüren.“ Ein paar Mal tief durchatmend, nickte er bevor er es erneut wagte, den Blick zu heben und den glühenden braunen Tiefen nun erstmalig stand hielt. Der Blick des Vampirs wirkte amüsiert und entspannt, aber dahinter schimmerte etwas, dass Alexanders Aufmerksamkeit erregte. Er war einen kurzen Moment erschrocken, als ihm klar wurde, dass er hier dem einflussreichsten Vampir dieses Schlosses, vielleicht auch ganz Schottlands, offen in die Augen starrte, doch er senkte den Blick nicht, als er registrierte, dass auch Shatei ein wenig darüber erschrak, dass Alexander wohl etwas witterte, was er zu verbergen gedacht hatte. Das stachelte den Wissensdurst des Forschers natürlich noch mehr an... doch die Höflichkeit machte dem dann letztendlich doch ein Ende. „Es....tut mir Leid. Bitte verzeihen Sie, ich wollte Sie gewiss nicht anstarren.“ Alexander hatte mit einer herunterspielenden Erwiderung gerechnet, oder aber auch mit der Beendigung ihres Gespräches, doch nicht damit. „Sie haben einen wachen Blick, Professor. Ich sollte mich wohl in Ihrer Gegenwart in Acht nehmen.“ War das als eine Art Einladung zu verstehen, das Gespräch umzudrehen? Konnte er es riskieren? Eine kurze Zeit überlegte er unschlüssig hin und her. „Drehen Sie, Professor. Wenn Sie nichts riskieren, werden Sie nie etwas erfahren und da Sie die Gabe des Gedankenlesens nicht beherrschen, bleibt Ihnen wohl keine andere Wahl, als Fragen zu riskieren, auf die Sie möglicherweise keine Antwort erhalten.“ 'Keine Antwort nehme ich ja noch gerne in Kauf', ging es ihm durch den Kopf, doch Shatei hatte ihm mehr als ein gutes Argument gegeben, warum er sich darauf verlassen sollte, dass er ihn nicht umbringen würde. Selbst wenn er mit einer Frage mal zu weit gehen sollte. „Was macht Ihnen Sorgen, Shatei? Sie haben drei Sterbliche in Ihrem Schloss, einer von Ihnen ist Ihnen wie es aussieht mit Körper und Seele zu eigen geworden, auch der zweite scheint sich Ihnen kaum entziehen zu können. Wieso sehe ich dann diese Unsicherheit in Ihrem Blick?“ Hatte er das gerade wirklich alles ohne jeden Vorwurf in seinem Tonfall gesagt? Er war wohl selbst mehr überrascht als Shatei, der nun zum ersten Mal seinerseits den Blick abwandte. „Erique befindet sich in keinerlei Bann, dem er sich entziehen können müsste. Und die Bindung zu Joèl steht auf wackeligen Beinen. Natürlich kann ich Eriques Gedanken lesen, seine jedoch verschließt er vor mir und ich kann nicht einschätzen, wie er auf Eriques nächste Schritte reagieren wird. Und auch um Sie, Professor, mache ich mir ein wenig Sorgen.“ „Warum um mich?“ Eine Frage auf die er sich nicht die geringste Antwort denken konnte. Warum sollte sich jemand um ihn sorgen, und vor allem, warum ausgerechnet Shatei? „Weil Sie sich selbst zerstören. Drei Sterbliche in einem Schloss voller Vampire und nicht die Vampire treiben alle drei an den Rand des Wahnsinns, sondern die drei sich gegenseitig. Und Sie Professor, Sie haben das Risiko am Rand des Abgrunds auszurutschen ganz allein in der Hand. Sie reden sich ein, Joèl leide wegen Ihnen. Sie haben ihm seinen Lebensgefährten genommen und der Schmerz und der Hass auf Sie treibt ihn in meine Arme? Sie irren so sehr. Joèl ist verletzt, ja. Er ist wütend. Aber Sie Professor sind ihm egal, so wie ich das sehe. Sie bereiten ihm keine Alpträume und Kopfzerbrechen. Dass schaffe ich schon ganz alleine, mit ein wenig freundlicher Unterstützung von Erique, wie ich allerdings zugeben muss.“ Machte er da Scherze? Sein Ton klang verdammt danach. Wagte dieser Vampir es tatsächlich eine kranke Art von Humor mit in dieses ernste und verletzende Thema zu mischen? Es war mehr Fassungslosigkeit, als Wut, die Alexander überrollte. „Und Erique? In diesem Fall sind doch wirklich Sie das Opfer, oder nicht? Sie haben sich verliebt, gut er hatte einen Freund, aber dazu gehören immer zwei. Er hat doch Sie jetzt sitzen lassen, oder habe ich da etwas falsch aufgeschnappt? Ah, das ist es was Sie so fertig macht? Seine abweisende Art. Sie glauben, wenn schon Joèl Ihnen nicht die Schuld an allem gibt, an der gesamten Situation in der Sie drei sich befinden, dann tut es Erique? Tun Sie ihm nicht so unrecht. Möchten Sie wissen, was in Erique vorgeht? Ich kann es Ihnen verraten.“ Alexanders Kopf bewegte sich fast automatisch zu einem Nicken, doch seine Antwort war ein 'nein'. „Es ist Eriques Entscheidung, ob er mir seine Gedanken und Gefühle mitteilt, nicht die meine und nicht Ihre... Dennoch danke.“ Shatei blickte ein wenig enttäuscht drein, hatte er doch so gehofft Alexanders Reaktion zu sehen zu bekommen, wenn er erfuhr, was wirklich in diesem jungen Mann tobte, den er zu kennen glaubte. „Nun, konnte ich Ihre Schuldgefühle denn zumindest ein wenig reduzieren?“ Nicht wirklich, doch Alexander zog es vor, zu schweigen. Shatei würde die Antwort kennen und er selbst hatte nicht das Gefühl, dem Gespräch noch lange folgen zu können. Er fühlte sich verwirrter als zuvor, ratlos und verloren, und doch, dieser Moment jetzt gerade, der warme Tee, der sein Inneres ein wenig beruhigt und die zwar furchteinflößende aber überaus faszinierende Ausstrahlung von Shatei, der ihn mit einem Blick musterte, der ihm mehr als deutlich sagte, dass er gerade überhaupt keinen Grund zur Furcht hatte, war beinahe entspannend. Heute Nacht würde Joèl sich Shatei nicht so einfach entziehen können. Der Schwarzhaarige hatte sich am Vorabend schließlich mehr oder minder angekündigt. 'Für heute lasse ich dich in Ruhe'. Joèl hatte gelernt, dass das bei ihm nichts anderes hieß, als dass er die nächste Nacht für sich beanspruchen würde. Es war bereits eine Stunde nach Sonnenuntergang und noch war er nicht in Joèls Räumen aufgetaucht, also sah der Student es auch nicht weiter ein, auf ihn zu warten. Er verlies den Wohnraum und trat auf den Gang. Die Vorhänge waren bereits beiseite gezogen und der Mond war fast voll und erhellte den Wald jenseits des Schlossgeländes. „....um das zu erreichen, würdest du mich wirklich töten?“ War das Eriques Stimme? „Geh nicht zu weit, Junge. Du befindest dich auf verdammt dünnem Eis!“ Shatei! Joèl eilte um eine Biegung der Gänge und kam fast stolpernd zu stehen. Shatei hatte Erique gegen eine Wand gedrängt und packte ihn am Hemdkragen. Was jetzt? Was wenn er die Situation falsch einschätzte, was wenn nicht? Wie sollte er sich geben, was würde Shatei beschwichtigen, aber Erique möglichst keine Hoffnungen machen? „Bist du gekommen, um zuzuschauen, Joèl?“ Sein Blick fixierte Shatei wütend. „Jetzt werd nicht gleich Eifersüchtig, nur weil ich mich ein klein wenig mit Erique beschäftige“, neckte er ihn auch noch. „Ein klein wenig mit ihm beschäftigen?! Ich weiß nicht, was hier zwischen euch beiden vor sich geht, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich es wirklich wissen will.“ Er ging näher auf die beiden zu und sah Shatei, der Erique inzwischen losgelassen hatte fest in die Augen. „Du sagtest, du bist ehrlich. Ich möchte dir gerne Vertrauen, aber du macht es mir nicht gerade leicht.“ Mit diesen Worten ging er an den beiden vorbei und lies einen rätzelnden Vampir und einen absolut nervlich erledigten jungen Mann zurück. Hatte er das gerade wirklich so gemeint oder nur gesagt, da Erique dabeistand und er seine Maskerade festigen wollte? Shatei würde sich diese Frage noch einige Zeit stellen müssen, zu seinem Unwissen, Joèl ebenso. Er war sich nicht wirklich sicher, oder er ihm wirklich vertrauen wollte.... fest stand für ihn nur, er konnte es nicht. Seine Schritte führten ihn zu der Kapelle, in der er letzte Nacht Andrea kennen gelernt hatte. Es musste sich etwas ändern, und zwar bald. Andrea schien eine Chance dazu zu sein. Leise drückte Joèl die Flügeltüren auseinander und erschrak, als er feststellte, dass Andrea ihn scheinbar schon erwartete. Er stand vor dem Altar, den Blick in seine Richtung gewandt. „Ich hatte mir schon gedacht, dass du bereits heute wiederkommen würdest, Joèl. Komm herein.“ Der Student nickte, schloss die Türen und ging auf den Eindrucksvollen Mann zu. „Darf ich euch zwei Fragen stellen, Andrea?“ Ein nicken ermutigte ihn, auch wenn der Blick des Vampirs ihn ernst anfunkelte. Joèl fiel auf, dass er wohl getrunken haben musste. Er war immer noch bleicher, als er es von den anderen Vampiren gewohnt war, aber nicht mehr so vollkommen weiß und seine Augen hatten ihren kalten farblosen Schimmer verloren und wirkten wie brennendes Eis. „In welcher Beziehung standet Ihr früher zu Shatei und was war das für eine Auseinandersetzung, die Euch veranlasst hat, Euch in dieser Kapelle einzuschließen und aus dem Schloss zurückzuziehen?“ Innerlich betet Joèl für Antworten, die ihm Hoffnung gaben. Antworten, die ihm sagten, dass er in Andrea jemanden gefunden hatte, der ihnen helfen konnte, zu entkommen. Natürlich müsste er ihn erst auch noch überzeugen, dass zu tun, aber ersteinmal wollte er wissen ob der Andere überhaupt in der Lage wäre zu helfen. „Du wählst deine Fragen sehr zielgerichtet. Aber ich möchte dir darauf Antworten: Shatei und ich waren uns von Beginn an schon nicht wirklich sympathisch. Wir haben uns arrangiert, bis zu dem Tag, an dem er eines meiner Kinder vernichtet hat. In all den Jahrhunderten habe ich nur zwei Sterblichen mein Blut gegeben und sie zu Unseresgleichen gemacht. Einen von Ihnen durch die Hand eines Anderen zu verlieren, konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Von jenem Zeitpunkt an war unsere Feindschaft jedem bekannt, doch wir konnten es uns nicht erlauben offen gegeneinander zu kämpfen. Es ging Jahrelang so weiter, bis ich irgendwann resignierte. Intrigen über Monate und Jahre hinweg sind ermüdend. Niemandem kann man trauen, hinter jeder Mauer des Schlosses das schon Jahrhunderte zuvor mein Zuhause war den Tod lauern zu sehen, ist kräftezehrend. Sind deine Fragen damit beantwortet?“ Joèl schluckte. Er konnte aus den Antworten nicht wirklich entnehmen, was er zu erfahren hoffte, doch zu erfahren, dass sein Gegenüber einen geliebten Menschen, oder Vampir, durch Shatei verloren hatte, schnürte ihm die Kehle zu. „Was möchtest du wirklich wissen, Joèl. Du bist doch heute aus einem bestimmten Grund hierher gekommen, nicht wahr?“ Ertappt hatte er kurzzeitig das Gefühl, ihm würde Röte ins Gesicht steigen, doch das Gefühl verschwand sofort wieder. Es wäre fatal gewesen, nun rot zu werden und Andrea damit deutlich vor Augen zu führen, dass er kein Vampir war. Falls dieser es nicht schon wusste und alles ohnehin verloren war. „Ich.... ich fühle mich zu Shatei sehr hingezogen, das muss ich zugeben, doch ich fürchte ihn auch. Ich möchte Erique vor ihm beschützt wissen, doch weiß nicht wie. Zugegebener Maßen.... hatte ich mir Hilfe erhofft.“ Zu Joèls Überraschung nickte sein Gegenüber. „Hilfe? Von mir? Wie kommst du auf den Gedanken, dass ich dir in deiner Situation auch nur annähernd helfen könnte?“ „Nicht mir. Erique. Er ist es den ich schützen will. Shatei weiß, dass Ihr hier seid. Glaubt mir ich habe nichts getan, was ihn hätte darauf bringen können, und er machte den Anschein, als fürchte er Euch. Erzählt Ihr mir, warum?“ Andrea lies kurz den Blick sinken und wandte sich dann zum Altar um, wo er eine Kerze entzündete. In einer fließenden Bewegung riss er ein Streichholz an, das kurze Zischen und Knistern des anfachenden Holzes hallte durch die Kapelle. Ein angenehmer Duft von Rauch und heißem Wachs wehte Joèl entgegen. Erst nach einigen Momenten drehte Andrea sich wieder Joèl zu. „Ich denke er fürchtet, dass ich wieder zu Einfluss kommen könnte. Dieses Schloss gehörte meinen Vorfahren. Ich habe es einst geerbt und zu einem Ort gemacht, an dem Vampire sich sicher fühlen können. Viele der Älteren würden mich ohne zu zögern in jeder Hinsicht unterstützen, sie hätten es auch damals bei unserem Streit getan, doch mir war es seit jeher zuwider Macht und Einfluss in einer persönlichen Fehde als Waffe zu wählen.“ Andrea lachte leise. Ein raues, unheimliches Lachen. Joèl kroch ein eisiger Schaue über den Rücken. „Er, wie auch viele Andere, wissen, wozu ich fähig bin, sollte ich es darauf anlegen. Furcht und Schrecken in Augen, die mich anblicken zu sehen, ist mir zuwider geworden. Deine Bitte um Hilfe muss ich leider ausschlagen.“ Die letzten Worte sprach er mit einer eleganten Verbeugung. In Joèl zerbrach etwas. Hatte er sich schon so sehr auf die Unterstützung des Fremden eingeschossen? Er konnte sich doch überhaupt nicht sicher sein, ob dieser Vampir, der es vorzog ein Einsiedlerleben zu führen, Sterblichen überhaupt freundschaftlich gesinnt war. Er konnte seine Einstellung nicht im geringsten Erahnen. Ein Gedankengang, der ihn daran erinnerte, dass sich dies bei Shatei nicht anders verhielt. Auch wenn er ab und an das Gefühl hatte, eine Ahnung von Shateis Intentionen zu erhaschen, so zerstreuten Worte, Blicke, Situationen diese doch immer aufs Neue und ließen ihn in unsicheren Spekulationen zurück. Joèl machte ein paar wankende Schritte rückwärts und lies sich auf eine Bank der Kapelle sinken. Seine einzige Chance war also wirklich, diese Wette zu gewinnen. Andrea wandte sich ab, ging vor dem Altar in die Knie und versank in einem stillen Gebet. Einige Minuten herrschte Stille, als Joèl aufsah, wagte er es nicht, Andrea anzusprechen, also stand er lautlos auf und verlies den großen Raum. Ruckartig wurde er aus seinen Gedanken katapultiert, als eine kräftige Hand ihn packte und gegen eine Wand drücke. Beinahe wäre er dabei über einen Vorhang, der auf dem Boden lag, gestürzt. Erschrocken starrte er in Shateis Gesicht, dass sich nur wenige Zentimeter vor seinem befand, während der Blick des Anderen sich brennend in ihn bohrte. Was machte er hier? So nah bei Andrea, wo er ihm doch nicht begegnen wollte? „Was versprichst du dir von ihm? Warum tust du mir das an?“ Er war wütend, unüberhörbar. Seine Stimme klang gepresst, so als brauche es seine ganze Kraft, nicht zu schreien. Joèl war viel zu erschrocken, um antworten zu können. Zugegebener Maßen auch verängstigt. Er hatte nie vergessen, was Shatei war. Ein Menschenmordendes Wesen, dass man sonst nur aus Horrorstreifen kannte. Ein Mann, der seine Realität mit einem gewaltigen, erbarmungslosen Schlag zerstört und ihn nackt und schutzlos in eine neue und grausamere Welt gestoßen hatte. Shatei kam näher an ihn heran, verringerte den Abstand zwischen ihnen, bis er zur Gänze verlosch, presste ihn nun mit seinem Körper gegen die kalte Steinwand. Sein Atem glühte auf Joèls Haut und beschrieb einen heftigen Kontrast zu der Kälte seines Körpers. „Du hasst mich nicht annähernd so sehr, wie du es gerne würdest, mein Herz. Du würdest nicht so weit gehen, meine Existenz und die aller Anderen in diesem Schloss zu gefährden, nur um deinen kleinen Schatz zu befreien.“ Es waren, wie so oft, keine Fragen, sondern Feststellungen. Shatei war sich stets so sicher mit den Behauptungen, die er aufstellte, und zur Hölle nochmal, er hatte jedes verdammte Mal Recht. Joèl spürte, wie sein Körper zu zittern begann. Seine Stimme kam ihm fremd und weit entfernt vor. „Ich....muss einfach etwas tun.... ich kann doch nicht einfach hinnehmen, was geschieht.“ Er hob die Hände, um sich an Shatei festzuhalten. Seine Kraft schien mit jedem weiteren Atemzug, der über seine Haut wehte, mehr zu schwinden. „Ich habe dir schon einmal geraten etwas zu unterlassen, dass du bereuen würdest und Recht behalten. Höre diesmal auf mich: Du wirst es bereuen, solltest du ihn dazu bewegen können, sich wieder in das Geschehen innerhalb dieser Mauern einzumischen.“ Mit diesen Worten löste er sich von dem zitternden Jungen und lies ihn stehen. Er wandte sich ab und lies ihn einfach so zurück... Für Shatei war dies keineswegs leicht, doch so nahe an der Kapellentür, so wenige Meter von Andrea getrennt, fühlte er sich bedroht und unwohl. Nein, Andrea würde ihn weder vernichten, noch würde er ihm auf andere Weise Leid zufügen. Er würde ihm nicht einmal seine so heiß und innig begehrte Beute nehmen. Doch das wusste Joèl nicht. Wie, fragte er sich, kam es aber, dass oèl von der Kapelle wusste? Niemand, der auch nur halbwegs bei Verstand war, würde in diesen verwitterten und verfallenen Gängen herumlaufen, wenn er nicht ein Ziel hätte. Der einzigen Antwort auf diese Frage, derer Shatei sich entsinnen konnte, würde er schon in wenigen Stunden nachprüfen. Es war Riskant, doch gewiss zu Joèls Bestem. Es gibt einfach Dinge, die will man nicht wissen. Hätte Joèl an diesem Abend nicht genau zu dieser bestimmten Zeit die Bücherei betreten, dann wäre ihm eine solche unerwünschte Erfahrung erspart geblieben. Das Buch, in dem er bis eben Lustlos herumgeblättert hatte wurde nun doch von einem Seufzen begleitet beiseite gelegt. Der Student konnte und konnte sich einfach nicht auf den Uni-Stoff konzentrieren, doch die Semesterferien würden auch nicht ewig währen. Mit einem missmutigem Knurren erhob er sich von seinem Sitzplatz und lief einen Moment in seinem Wohnraum auf und ab. Diese innere Unruhe war einfach kaum auszuhalten. Es mochte ihm nichts einfallen, wie er den Tag herumkriegen sollte, denn schlafen konnte er nicht, doch zu sämtlichen erdenklichen Taten fehlte ihm der Elan. Bernard.... natürlich, er hatte sich seit einigen Tagen nicht mehr bei ihm blicken lassen. Als er nun um ein Bücherregal herumging,um zu dem kleinen Nebenraum zu gelangen, hoffte er im einen Moment noch inständig, den tagaktiven Vampir nicht verpasst zu haben, im nächsten aber für eben diesen Vampir, er wäre schon fort gewesen, denn Shatei stieß gerade die Tür auf und lies sie geräuschvoll hinter sich zufallen. Schnell verschwand Joèl hinter einem weiteren Regal und atmete erleichtert auf, als sein unheilvoller Verehrer die Bücherei verlassen hatte, ohne ihn zu bemerken. Zögernd klopfte er an und betrat, nachdem er ein missgestimmtes 'Herein' vernommen hatte mit einem flauen Gefühl den Raum. Bernard sammelte gerade ein paar Unterlagen und Bücher vom Boden auf. Wie es aussah, hatte Shatei ihn nicht eines freundlichen Gespräches wegen aufgesucht. Seine Verwirrung und Besorgnis ob dieser Situation schien Joèl ins Gesicht geschrieben. „Es freut mich, zu hören, dass Andrea wohlauf ist. Doch die Art es zu erfahren hätte angenehmer sein können.“ Er warf seinem Besucher ein aufmunterndes Lächeln zu. „Schau mich nicht so an, Joèl. Shatei war wohl der Auffassung, ich habe dir von der Kapelle erzählt und du habest auf meinen Hinweis hin gezielt nach ihm gesucht. Sei mir nicht böse, aber ich war eigentlich ohnehin gerade dabei, mich zurückzuziehen.“ Bernard legte die aufgehobenen Schriftstücke auf den Schreibtisch und ging an Joèl vorbei durch die Tür. Verwirrt sah er ihm noch eine zeitlang nach und entschloss sich dann aber, noch unruhiger als zuvor wie er war, zu einem erneuten Spaziergang durch das Schloss. Draußen wurde es zunehmend dunkler, was aber nur zu bemerken war, da Felix wohl schon vor ihm in dem ein oder anderen Korridor entlang gekommen war und die Vorhänge dort beiseite gezogen hatte. Er begegnete keinem einzigen Vampir auf seinem Weg hörte aber leise Stimmen aus dem ein oder anderen Raum, in dem sich angeregt unterhalten wurde. Doch etwas war heute entschieden anders als sonst. Die allgemeine Stimmung war aufgewühlt, der Geruch von misstrauischer Erwartung lag in der Luft. Erwartung auf was? Oh, er konnte sich nur zu gut denken, worum sich die meisten Gespräche wohl gerade drehen mochten. Vielleicht war es ein Fehler, vielleicht hatte er es aber auch schon viel zu lange aufgeschoben. Andrea klopfte nur kurz an, betrat dann aber ohne eine Antwort abzuwarten direkt den Raum. Kurz war Erschrecken in den braunen Augen zu sehen, doch schnell wandelte es sich zu einer berechnenden und abschätzenden Kälte, die selbst ihm beinahe Unbehagen bereitet. Aber eben nur beinahe. Mit einem leichten Anflug eines Lächelns nährte er sich Shatei mit langsamen gemessenen Schritten. „Es ist viel Zeit vergangen Shatei, und wie ich sehe hast du nicht dazu gelernt.“ Es kostete Shatei ein wenig Beherrschung, nicht zurückzuweichen und er war zugegebenermaßen Erleichtert, als Andrea mehr als zwei Meter von ihm entfernt stehen blieb. Nicht dass er sich wirklich fürchtete, doch die Anwesenheit, gar nicht zu sprechen von der Nähe, des Anderen war ihm aufs Äußerste Unangenehm. „Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du nicht wegen meines Gespräches mit Bernard hergekommen bist. Also warum spielen wir nicht gleich mit offenen Karten?“ Nun lachte Andrea. Zum ersten Mal, seit er sich zurückgezogen hatte, lachte er wirklich. Es war kein freundliches Lachen, aber es war offen und befreiend, nicht nur ein leiser Anflug, wie bislang. „Mit offenen Karten zu spielen war für dich seit jeher ein weitaus schwierigeres Unterfangen, als für mich. Aber gerne: Ich werde Joèl einen Wunsch erfüllen. Er wünscht sich eine Veränderung ihrer aller Situation. Du wirst sicherlich Ahnen, woran ich dabei denke und wirst eingestehen müssen, du würdest selbst so handeln, wäre dir Joèls Zuneigung nicht so unendlich wichtig.“ Shatei war fassungslos. Nach so vielen Jahrzehnten in denen ihn nichts wirklich überraschen, ängstigen oder schockieren konnte, war er fassungslos. Dann jedoch zuckte ein Mundwinkel nach oben und er senkte den Blick. „Ich hätte es erwarten müssen. Doch ich hoffe du hast nicht vergessen, was beim letzten Mal geschehen ist, als du einem Sterblichen dein Blut gabst, Andrea. Oder ist dir das am Ende gar unwichtig?“ Ein Grinsen in dem so engelsgleichen Gesicht seines Gegenübers lies seine Befürchtung wahr werden und Shatei wurde schlagartig klar, was das bedeuten würde. Für ihn ebenso, wie für Joèl, Erique und Alexander. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)