Au Clair de la Lune von QueenLuna ================================================================================ Prolog: Prologue ---------------- Au Clair de la Lune Prolog Es knackte hinter ihm. In Panik rannte er weiter durch den dunklen Wald. Seine Schritte hallten laut zwischen den Bäumen wider. Sie wussten, wo er war, hatten ihn schon längst gewittert. Etwas raschelte im Gebüsch. Erneut stolperte er, fing sich aber wieder, um weiterzulaufen. Er durfte nicht halten, sonst würden sie ihn fangen. Er kämpfte sich weiter durch das dunkle, kaum sichtbare Dickicht, schließlich war es eine mondlose Nacht - wie immer. Hier in dieser bergigen Gegend schien nie die Sonne oder der Mond, es war immer duster und bewölkt. Erneut knackte es hinter ihm, diesmal näher als beim letztem Mal. Eine neue Woge von Panik überkam ihn, lähmte ihn fast und doch zwang er sich zum weiterrennen. Zitternd vor Angst gewahrte er das Rascheln von Gewändern. Ein Flüstern drang an sein Ohr. Erschrocken schaute er sich im Laufen um. Ein Fehler. Er sah nicht mehr, wohin er lief. Auf einmal stolperte er und fand sich am Boden wieder. Aus geweiteten Augen versuchte er sich zu orientieren. Erneut dieses Flüstern durchzogen mit höhnischem Kichern. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu, schreien konnte er nicht. Er versuchte sich aufzurappeln, doch schon waren die Geräusche heran. Sie versperrten jegliche Möglichkeit zur Flucht. Todesangst lähmte ihn. Schwarze Schatten schlichen auf ihn zu, begannen ihre Kreise um ihn zu ziehen. Plötzlich kicherte jemand nahe an seinem Ohr. Er fuhr herum und starrte direkt in das maskenhafte Gesicht einer der Gestalten. Ein Hauch streifte sein Gesicht. „Du entkommst uns nicht…törichter Mensch…“ Sein Haarschopf wurde gepackt und grob nach hinten gerissen. Er keuchte geschockt auf. Das Letzte, was er sah, waren weiß aufblitzende Zähne. Ein gepeinigter Schrei durchriss die Stille der Nacht. Prolog - Ende Kapitel 1: L'héritage --------------------- Chapitre I L'héritage (Erbschaft) Februar 1758 Es klopfte. Missmutig erhob sich Mana aus seinem Sessel und ging hinüber zu der schweren eisernen Eingangstür. Wer wagte es ihn zu stören? Ungehalten riss er die Tür auf. „Oui?“ (Ja?) Erschrocken sprang der Postbote zurück. Einen Moment lang starrte er den Herrn des Hauses irritiert an. „Excusez-moi, Monsieur. J’ai une lettre pour cette adresse.“ (Entschuldigen, Herr. Ich habe einen Brief für hier.) Der arme Mann versuchte äußerlich gefasst zu wirken, was ihm allerdings nicht ganz gelang. Was auch kein Wunder war, bei diesem abweisenden und seltsamen Gegenüber. Mit zitternder Hand hielt er dem Schwarzhaarigen einen grauen Brief entgegen. Mana sah ihn noch einen Moment ausdruckslos an, nahm dann schlussendlich den Brief an sich. „C’est pour moi.“ (Ist für mich.) Ohne sich zu bedanken oder einen Ausdruck des ‚Abschiedes’ drehte sich der Schwarzhaarige um und knallte die Tür zu. Er lief durch die alte Eingangshalle und begab sich zurück ins Wohnzimmer, um sich in den alten Ohrensessel am erleuchteten Kamin fallen zulassen. Eine Weile starrte er nur regungslos in die Flammen. Das sonst eigentlich sanfte warme Licht ließ Manas Gesicht ungewöhnlich blass aussehen. Seine Haare wurden von einem plötzlichen Windzug in sein makelloses Gesicht geworfen und brachte ihn zum Aufsehen. Er erhob sich also und ging mit langsamen Schritten auf das geöffnete Fenster zu, durch das die kalte Abendluft und ein paar Schneeflocken hereindrangen. Kurz schaute er hinaus, bis er es schließlich schloss und so die Kälte aussperrte. Sein Blick wanderte durch den Raum, bis er schließlich an dem Briefumschlag hängen blieb, der immer noch aus der Sessellehne ruhte. An sich interessierte er sich kaum für solche trivialen Dinge. Wer ihm etwas mitzuteilen hatte, besuchte ihn meist persönlich, was relativ selten vorkam. Mana nahm den Brief an sich, griff dann zu dem alten Brieföffner auf den Kaminsims und öffnete damit vorsichtig den Umschlag. Ein sorgsam zusammengefalteter Brief kam zum Vorschein, den Mana umsichtig entfaltete und zu lesen begann. Nach einer geraumen Weile ließ er das Stück Papier sinken und starrte stirnrunzelnd darauf. Das war doch tatsächlich eine Einladung, die in einem recht holprigen Französisch verfasst worden war. Sein Blick glitt erneut über den Brief und bis er den Verfasser entdeckte... Nicolae Ferrete, Notar. Der Name berührte etwas in ihm. Rumänisch? Der Brief sprach von einer Erbschaft. Mana wusste allerdings nichts von Verwandten oder Bekannten aus dieser Gegend. Er war schließlich allein aufgewachsen. Dennoch entschloss er sich den angegebenen Termin anzunehmen, vielleicht wenn auch nur um Missverständnisse oder Fehler zu klären. Kapitel 2: La Roumanie ---------------------- Chapitre II La Roumanie (Rumänien) Die Räder der Kutsche ratterte unermüdlich über den steinigen Boden und durchbrachen die Stille der Nacht, begleitet vom Schnaufen der Pferde und den klackernden Geräuschen ihrer Hufe. Mana streckte seine müden Glieder. Es war jetzt schon fast drei Wochen her, seitdem er aus Paris aufgebrochen war. Viele Male hatte der Kutscher die Pferde tauschen müssen, denn Mana wollte so schnell, wie möglich sein Ziel erreicht haben. Und dieses Ziel lag tatsächlich mitten in den Bergen Rumäniens. Der Schwarzhaarige öffnete das Fenster und ließ seinen Blick über die kaum zu erahnende Umgebung gleiten. Es war einfach zu dunkel, um Details zu erkennen. Manas Blick wanderte weiter zum wolkenverhangenen Himmel über ihm. Er schimmerte in einem seltsamen rot-braunen Farbton und unterstrich damit nur noch mehr die düstere Stimmung, die sich in jedem Winkel auszubreiten schien. Scheinbar schien hier nie die Sonne, denn die wenigen Leute, die sie bisher angetroffen hatten, waren relativ blass, wenn auch nicht so stark wie Mana selbst. Die Landschaft, durch die er tagsüber gefahren war, wirkte karg und trostlos. Noch nicht einmal Schnee lag. Das Fenster wurde wieder geschlossen und lehnte Mana sich fröstelnd zurück. Ein leises Seufzen kam ihm über die Lippen. Wie verabredet erschien Mana vor vier Wochen zum verabredeten Termin. Als der Notar die Tür öffnete, schien der alte Mann vorübergehend zu erstarren. Schweigend musterte er den ungewöhnlich aussehenden Mann, was dieser ausdruckslos über sich ergehen ließ. Nach einer kleinen Ewigkeit erwachte der Notar blinzelnd aus seiner Starre und erlaubte Mana sein Arbeitszimmer zu betreten, während er selbst noch die passenden Unterlagen herzuholte. Leicht irritiert ließ sich Mana auf einen der bereitstehenden Stühle am Schreibtisch nieder und sah sich um. Scheinbar war er wohl der Einzige, der eine Einladung erhalten hatte. Das Klacken der Tür kündigte die Rückkehr des Alten an, der eine ziemlich verstaubt aussehende Mappe bei sich trug. Die Seiten, die daraus hervorlugten, wirkten sehr alt und vergilbt. Herr Ferrete, der Alte, räusperte sich kurz und begann schließlich Mana über die Umstände aufzuklären. Seit fast 100 Jahren wurde nach einem Erben für ein leerstehendes Gebäude gesucht, dessen letzter Bewohner und Eigentümer unter mysteriösen Umständen verschwunden war und daher für tot erklärt worden war. Direkte Verwandte, die möglicherweise als Erben in Frage kämen, konnten nicht ausfindig gemacht werden, daher wurde der Fall erst einmal auf Eis gelegt, bis vor wenigen Wochen einem eifrigen Mitarbeiter Ferretes jetziger Kanzlei die Akte in die Hände fiel und die Suche von Neuem begann. In der Stimme des Alten klang ein gewisser Stolz mit. Durch einige neue Informationen konnte ein weit entfernter Nachkomme des Erstbesitzers ermittelt werden, der somit auch der einzige Erbe wäre. Mit dieser neuen Erkenntnis war Nicolae Ferrete vor etwa einem Monat aus seiner Heimat aufgebrochen, um nach Paris zu reisen, zur Kanzlei eines Bekannten, um ihn, Mana, den rechtmäßigen Erbe des Anwesens, zu finden. Ein zahnloses Grinsen folgte nach diesen Worten. Der Schwarzhaarige brauchte einen Moment, um das Gesagte sacken zu lassen. Bevor die Stille unerträglich wurde, stellte Mana die entscheidende Frage, wo sich dieses Haus den befände, wenn Ferrete extra nach Paris reisen musste. Rumänien. Und nun war er hier in Rumänien, auf dem Weg zu seinem Erbe. Der Verkündung hatte Mana nicht lang gezögert. Er wollte raus aus der Enge der Stadt, deren Lärm und Menschenfülle in zeitweilig zu erdrücken schien. Da kam ihm dieser abgelegene Teil der Welt doch ganz recht, auch wenn er sich mittlerweile innerlich doch etwas verfluchte, diese lange, beschwerliche Reise nicht genau bedacht zu haben. Mitgenommen zu seinem neuen Wohnsitz hatte der Schwarzhaarige kaum etwas…es gab nicht viel was ihn mit seinem alten Leben in Paris verband. Die schaukelnden Bewegungen der Kutsche und das monotone Rattern lullten Mana bald in den Schlaf. Ein heftiges Rucken weckte ihn. Die Kutsche stand still. Noch leicht im Dämmerzustand richtete sich Mana auf, öffnete das Fenster und sah hinaus. Vor ihm erhob sich ein älteres Haus mit hell erleuchteten Fenstern, was Mana als kleines Gasthaus identifizierte, nach dem Geräuschpegel, der ihm daraus entgegenschallte und den verschwommenen Umrissen von Menschen, die sich hinter den Fenstern bewegten. Als er den Kopf ein wenig wandte, erblickte Mana dutzende andere Häuser, die die schmale Straße säumten. Die Kutsche hatte am Anfang eines Dorfes gehalten. Wahrscheinlich war dies das Ziel ihrer Reise. Neben sich vernahm er eine raue Stimme, die auf den Kutscher einredete, der allerdings kein Wort verstand und nur hilflos zu seinem Fahrgast aufschaute. Mana öffnete die schwarze Kutschentür und trat in die kalte Nacht hinaus. Sofort schlang er seinen Mantel enger um sich und musterte sein unbekanntes Gegenüber. Der Besitzer der Stimme, ein Mann mittleren Alters in einfacher Kleidung, begegnete seinem Blick misstrauisch. Hinter ihm gewahrte Mana noch fünf weitere Dorfbewohner. „Kann ich ihnen helfen?“, fragte er. Die Leute sahen ihn etwas irritiert an. Möglicherweise hatten sie nicht erwartet, dass er rumänisch konnte. Einmal mehr kam es dem Schwarzhaarigen zugute, dass er die letzten Jahre fast ausschließlich in seinem eigenen vier Wänden verbrachte hatte und die Bibliothek mehr als einmal durchgelesen hatte. Die Männer schüttelten ihre Köpfe und entfernten sich fluchtartig von der Kutsche. „Fahren Sie weiter!“, sagte Mana zum Kutscher, bevor er einstieg. Der schwarze Wald raste an ihm vorbei und das schon seit fast einer halben Stunde. Das Haus war wirklich weit vom Dorf entfernt, so wie es ihm der Notar gesagt hatte. Aber diese Tatsache hatte etwas Gutes – Ruhe und Ungestörtheit. Nach einer weiteren kleinen Ewigkeit traten die Bäume vermehrt zurück und machten einer großen Lichtung Platz. In der Ferne waren schwach die Umrisse der Karpaten zuerkennen. Mana erstarrte. Vor ihm schälte sich ein stockdunkles Ungetüm aus der Schwärze der Nacht. Die Kutsche wurde langsamer, bis sie schließlich stehen blieb. Ehrfürchtig stieg Mana aus der Kutsche und blieb regungslos stehen, um die Einzelheiten des Gebäudes vor sich aufzusaugen. Die vielen Erker und Vorsprünge warfen lange, unheimliche Schatten auf das alte Gestein, die Bäume des Waldes rauschten entfernt im Hintergrund. Etwas knallte hinter Mana und ließen ihn erschrocken aus seiner Betrachtung aufschrecken und umdrehen. Der Kutscher hatte die Koffer auf den Boden geworfen und war panisch auf seinen Bock geklettert. Er warf noch einen letzten, angsterfüllten Blick auf das unheimliche Gebäude, ehe er die Peitsche schwang und mit dem Wagen in den Wald zurück raste. Mana blieb allein in der Dunkelheit zurück. Nach einem kurzen Aufseufzen nahm er seine Koffer auf und stieg langsam die Steinstufen zur massigen Eingangstür hoch. Die Tür war nicht verschlossen und schwang knarrend auf. Mit einem lauten Krachen fiel die Tür hinter ihm ins Schloss, nachdem er eingetreten war. Dunkelheit umgab ihn, so tastete er blind an der Wand entlang, bis er schließlich einen Kerzenhalter fand und daneben die passenden Zündhölzer erspürte. Licht flackerte auf und gaben einen Teil einer Eingangshalle frei. Lange Schatten bewegten sich unruhig durch den Raum. Mana entzündete noch einige weitere Kerzen an der Wand und bald darauf konnte er die riesigen Ausmaße der Halle deutlicher erkennen. Spinnweben hingen von der Decke und eine Staubschicht bedeckte das Treppengeländer, das wenige Meter vor ihm nach oben führte. Nur der Fußboden wirkte sauber. „Hallo?“, durchbrach er die Stille. Dabei erschrak er selbst vor seiner Stimme, die einen unheimlichen Hall in dem alten Gebäude erzeugte. Natürlich antwortete niemand. Leicht zittrig löste er sich aus seiner Schreckensstarre und lief zu den restlichen Kerzenhaltern in der Eingangshalle, um die Dunkelheit noch mehr ein zudämmen. Es war definitiv nicht die beste Idee gewesen, bei Nacht ein leerstehendes Gebäude zu betreten, aber er hatte nun einmal ankommen wollen und der Kutscher hatte ihn ja schlussendlich im Stich gelassen, so gab es kein Zurück. Langsam stieg der Schwarzhaarige die Treppe zum Obergeschoss hoch und entzündete auf seinem Weg immer neue Kerzen. Oben angekommen ging er auf eine Tür zu, öffnete sie und leuchtete vorsichtig hinein. Eine Art Schlafzimmer. Dieser Anblick weckte die unsägliche Müdigkeit in ihm. Er hatte seit einiger Zeit nicht mehr ordentlich schlafen können. langsam trat er auf das schwarz überzogene Bett zu und legte sich hinein. Wenige Augenblicke später übermannte ihn der Schlaf. Er merkte nicht einmal, dass nirgends Staub lag und dass das Bett frisch überzogen war. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Etwas raschelte. Verschlafen öffnete der Schwarzhaarige die Augen. Was war das gewesen? „Juka-Sama?“ Der Schwarzhaarige seufzte und richtete sich in seinem Sessel auf. „Was ist so wichtig, Saka, dass du mich wecken musst?“ Er richtete seine hellen Augen auf eine dunkle Kellerecke, aus der wenige Herzschläge später eine schwarze Gestalt im langen Mantel mit gesenktem Kopf heraustrat. „Verzeiht...“ Juka lächelte leicht, darauf wartend, dass der Jüngere weitersprach. „Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass sich jemand im Haus befindet… wahrscheinlich ein Mensch.“ Bei diesen Worten sah er seinen Meister direkt an. „Danke, ich werde mich darum kümmern. Du darfst gehen.“ Saka verbeugte sich und im nächsten Moment flog etwas kleines Schwarzes davon, schwach beleuchtet vom Kerzenschein. Juka leckte sich über die Lippen. Er hatte es gerochen. Dieses neue Wesen in diesem Haus. Blut! Erschrocken riss er die Augen auf und rief sich selbst zur Ordnung. Nein, er durfte nicht – er durfte nicht diesen grausamen Instinkten folgen. Er würde diesen törichten Menschen nicht töten. Er hatte sich von dieser Art des Stillens abgewandt. Doch interessierte es ihn, wer es sich getraute in dieses Gebäude zu gehen, um das sich die gruseligsten Geschichten ranken. Nicht, dass er da kein bisschen nachgeholfen hatte – aber er wollte schließlich seine Ruhe. Seit Ewigkeiten war niemand mehr hier gewesen, jedenfalls kein Mensch. Die Angst war zu groß. Juka lächelte leicht. Diesen Narren wollte er sehen. Sein langer Mantel bauschte sich auf, als er sich aus dem Sessel erhob. Elegant schritt er auf die Kellertreppe zu, die verborgen hinter einem Steinvorsprung, in die nun erleuchtete Eingangshalle führte. Er stockte kurz. Wenn er einen letzten Beweis bräuchte, dass sich ein Besucher hier aufhielt, dann wäre es eindeutig dieser, denn Juka selbst entzündete fast nie die Kerzen. Suchend sah er sich um und lauschte. Ein leises Atmen drang in sein Ohr. Das Obergeschoss. Er schritt die breite Treppe nach oben, an einigen Türen vorbei und blieb schließlich vor einer dunkelroten stehen, die zu einem der vielen Schlafzimmer führte. Die Tür war leicht angelehnt. Bevor er eintrat, warf er einen Blick in den Gang, auf dessen anderer Seite, sich sein eigentliches Gemach befand. Dieses Haus besaß mehr Zimmer als nötig, aber es war ja auch nicht für ihn erbaut wurden, sondern er hatte sich nur eingenistet, weil er den Keller für so schön befand. Und doch versuchte er das Haus nicht herunterkommen zulassen, räumte daher immer wieder die Zimmer auf. Nur die Eingangshalle ließ er ‚verkommen’ - als Abschreckung, sollte sich doch jemand hinein verirren und der nicht zu seinen Anhängern gehörte, die sich manchmal hier versammelten. Vorsichtig drückte er die Tür auf und trat hinein. Auf dem Bett lag eine Gestalt. Das Kerzenlicht von draußen berührte sanft ihr gleichmäßiges Gesicht. Dieser Anblick faszinierte Juka unmittelbar, so trat er an das Bett heran und beugte sich hinunter. Das konnte unmöglich ein Mensch sein. Dieses ebenmäßige, makellos schöne Gesicht, die zarte Gestalt… Nein, das war kein Mensch. Dessen war sich Juka sicher. Aber was dann? Einen anderen seiner Art hätte er bemerkt. Vielleicht… Bevor er seinen Gedanken zu Ende führen konnte, ertönte vor dem Haus Lärm. Erschrocken fuhr er hoch. Wer konnte es wagen...?! Sekunden später stand er am Eingang und öffnete die schwere Tür ohne Probleme. Ein bärtiges Gesicht eines älteren Mannes starrte ihm entgegen. Juka versuchte den Impuls, die Nase angewidert zu rümpfen, zu unterdrücken. Dieser säuerliche und beißende Geruch stach ihm in die Nase. „Ja, bitte?“ Juka setzte ein falsches Lächeln auf und versuchte möglichst unschuldig zu klingen. Doch wusste er schon, warum die Leute aus dem Dorf sich den Weg gemacht hatten und hergekommen waren. Der Bärtige trat ein paar Schritte zurück, sein Blick blieb allerdings an Jukas bleichem Gesicht hängen. Juka lächelte stoisch weiter, auch wenn es langsam schmerzhaft wurde und blickte derweil über die mäßige Schulter des äußerlich Älteren zu den restlichen Dörflern. „Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte er noch einmal nach. Endlich löste der Andere sich aus seiner Starre und fand sogar seine Sprache wieder. „Verzeihen Sie, dass wir zu so früher Stund‘ stören…“ Dabei verwies er auf die Berge, die in einen sanften hellen Schein getaucht wurden. Die Dämmerung. Und doch würde es über den Tag nicht viel heller werden – wie immer. „... aber einige unserer Mitbürger berichteten, dass eine Kutsche mit nem Fremden hierher gefahr‘n is.“ Juka versuchte einen neutralen Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern, obwohl es in seinem Inneren gänzlich anders aussah. Er musste aufpassen, nicht loszulachen. Zum einen klang die versucht gewählte Ausdrucksweise des Anderen sehr gestellt und zum anderen waren Verwechslungen immer so eine Sache. Manche Verwechslungen könnten sogar tödlich ausgehen. Der Bärtige fuhr fort. „In dieser Gegend sin‘ Neue selten, da sie sehr abgelegen liegt oder die Meisten Angst habn...“ Er unterbrach sich und sah Juka erwartungsvoll an. Was wollte dieser Kerl, was er jetzt tat? Also zwang sich Juka zu einem „Aha... und warum?“ Nach der Reaktion des Mannes zu urteilen, war das die richtige Reaktion gewesen, denn er sprach hastig weiter. „Es verschwinden immer wieder Menschen oder sterben... Mit sichtbaren Bissspuren am Hals und voller Blut... “ Er machte eine bedeutungsschwangere Pause. Juka stöhnte innerlich auf, schlug aber extra für die Dörfler erschrocken die Hand vor den Mund und brachte ein „Oh Gott, wie schrecklich!!!“ heraus. Gute Schauspielerei war es zwar nicht, aber sie kauften es ihm ab. Der Alte nickte eifrig. „Ja und genau deshalb wolltn wir Ihnen Bescheid gebn... Es gibt hier Vampire. Sie ermorden wahllos und alles, was ihnen über den Weg läuft...“ Bei diesen Worten wäre Juka am liebsten auf sein Gegenüber losgegangen, aber sein Gesicht zeigte keine Regung. „...Erst vor einem Monat wurde ein alter Mann tot im Wald gefunden… mit Bissspuren.“ Die Stimme des Bärtigen sank zu einem Flüstern herab. „Es heißt außerdem, dass die vorherigen Besitzer dieses Hauses verschwundn seien... wahrscheinlich auch ermordet.“ Er brach ab. Juka riss sich zusammen, ihn nicht zu korrigieren, dass nur einer hier gewohnt hatte, aber er ließ es lieber. Stattdessen bedankte er sich mit gezwungenem Lächeln für diese Warnung, schloss die Tür, nachdem der Andere sich umgedreht hatte. Dann stellte er sich ans angrenzende Fenster und sah den Dorfbewohnern hinterher, wie sie nach und nach im Wald verschwanden. Wie hätten sie reagiert, wenn sie gewusst hätten, wen sie da warnten? Ein Schmunzeln schlich über seine Lippen. Hach, waren sie einfältig. Dachten sie wirklich, dass wenn sie in so einer großen Gruppe durch den Wald rannten, bessere Überlebenschancen hatten? Wohl eher schlechtere. Plötzlich gewahrte er eine Spieglung in der Scheibe. Oben am Treppenabsatz stand jemand, beobachtete ihn. Er fuhr herum und blickte in dieses anmutige Gesicht der, bis vor kurzem noch schlafenden Schönheit. Diese sah ihn allerdings nur aus gleichgültigen Augen entgegen. Stille drückte auf die Eingangshalle, nur Jukas Gewand raschelte leise, als er auf die Treppe zutrat und begann langsam hinaufzusteigen. Die Schönheit rührte sich immer noch nicht, bewegte nur die Lippen. „Wer bist du?“ Fasziniert blieb Juka vor dem Fremden stehen. Diese sanfte, tiefe Stimme... Diese Anmut... Das war kein normaler Mensch. „Ich... “ Juka dachte nach. Was sollte er antworten? Doch dann... ... ließ er sich vor den Füßen seines kleineren Gegenübers auf die Knie sinken. „Ich bin Ihr Diener. Mein Name lautet Juka.“ Was ihn zu dieser Aussage getrieben hatte, konnte er im Nachhinein nicht mehr sagen. Keine Reaktion ließ sich aus dem Gesicht des anderen entnehmen. „Mana“, war das Einzige, was der Fremde sagte. Dann geschah etwas, womit Juka nicht gerechnet hätte. Mana hielt ihm die Hand entgegen. Der Wind peitschte gegen die Fenster, die Dämmerung war hinter den stetigen Wolken vergessen. Kapitel 3: L'invitation ----------------------- Chapitre III L'invitation (Einladung) Herbst 1758 Wieder raschelte es. Und das kam nicht nur von den herum wehenden Blättern, die von draußen gegen die Fenster flogen. Kleine schwarze Tiere bewegten sich durch die Nacht, über die Wipfel des Waldes. Fledermäuse... Juka starrte hinaus durch die Glasscheibe in das bewölkte Dunkel. Bald würden sie hier sein. Hier in diesem Haus, in dem Mana und er seit einem guten halben Jahr lebten. Es war nicht mehr viel Zeit. Juka wandte sich ab und verließ das Zimmer. Vor Manas Tür angelangt, trat er nach kurzem Zögern ein. Die Vorhänge vor dem geöffneten Fenster bewegten sich leicht im Nachtwind. Wie erwartet lag Mana im Bett, schlafend. Bevor Juka sich aufs Bett setzte, schloss er leise die Fenster. Lächelnd betrachtete Juka diesen Engel, der ihm damals ohne Nachfrage gestattet hatte, hier zu bleiben und noch nicht einmal die angebotenen Dienste annahm. Er stellte keine Fragen, nie wohin Juka manchmal so schnell verschwand oder warum er nicht aß. Er blickte ihn einfach immer nur ausdruckslos an, wenn er wieder einmal des Nachts auf der großen Treppe saß, wartend darauf, dass der Größere zurückkäme. Dann stand der Kleinere schweigend auf und ging in sein Zimmer. Es war wie ein Ritual für sie beide. Der Ältere streckte dabei die Hand aus, um Mana vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Der Schlafende strahlte eine tiefe innere Ruhe aus, die Juka in seinem Inneren berührte. Seufzend stand er auf und sah ein letztes Mal auf die Schönheit im Bett. Sein Blick blieb an dessen hellen Hals hängen. Blut! Mit Mühe riss er sich von diesem verlockenden Anblick los. Nein, es würde nichts bringen. Er hatte es schon einmal versucht, Herr über diesen Hals zu werden. Und genau dafür hasste er sich. Wie war es nur dazu gekommen, dass er fast seinen Schwur gebrochen hätte, wie eine Bestie im puren Blutrausch über einen Unschuldigen hergefallen wäre? Das Einzige, was ihn wiedererweckt hatte, war eine unsichtbare Mauer, die sich genau im richtigen Moment schützend um das Opfer gelegt hatte. Und das war definitiv gut gewesen, denn verziehen hätte er sich nie, wenn der Schwarzhaarige durch ihn gestorben wäre. Oder wenn er durch diese Dummheit sein wahres Gesicht Mana verraten hätte. Juka verließ das Zimmer und ging hinunter in die Eingangshalle. Dort standen sie. Schwarzgekleidete Gestalten, die zu ihm blickten - seine Anhänger. Er ließ seinen Blick über die Runde gleiten, die sich höflich vor ihm verbeugte. Juka trat an ihnen vorbei, ging zielsicher in Richtung des großen Saals hinter der Eingangshalle. Die Anderen folgten ihm durch den Gang, vorbei an der kleinen Küche. Sei betraten den großen Raum, in dessen Mitte ein langer Tisch stand und an dem die ein Dutzend Personen Platz nahmen. Hinter Juka, an einem Ende des Tisches flackerten Kerzen auf und tauchten den Saal in dämmriges Licht. Es hatte wieder begonnen - die Versammlung der Einen. Nach einem Moment des Schweigens stand einer der Versammelten auf und richtete das Wort an Juka. „Juka-Sama… Es gibt neues zu berichten… von Ukashi.“ Er unterbrach sich kurz, bevor er weitersprach. „Wie einige von uns zu erzählen wussten, planen sie vermutlich etwas Großes. Bisher waren es nur einzelne Übergriffe, aber das scheint für ihren Blutdurst nicht mehr zu reichen.“ Juka sah ernst auf. „Das Dorf?“ Der Andere nickte stumm. Dann fragte er: „Was gedenken Sie zu tun?“ „Ich weiß es nicht... Wir werden es kaum verhindern können. Es gibt zu viele.“ Während er sprach, entstand erregtes Gemurmel. Ein Anderer ergriff das Wort. „Aber wir können es doch nicht einfach zulassen! Niemand würde überleben... Sie hassen sie doch!“ „Ich kenne die Umstände. Aber genauso, wie Ukashi und sein Gefolge die Menschen hassen, verachten sie uns. Sie haben sich abgewandt. Es ist nicht mehr wie früher... Sie haben sich von uns getrennt. Es existiert nur noch eine Mauer zwischen uns. Sie würden nie auf das hören, was wir ihnen zu sagen haben.“ Juka schwieg kurz, ehe er fortfuhr. „Das Einzige, was möglich wäre... Man könnte versuchen die Dörfler zu warnen. Allerdings bezweifle ich stark, dass sie dieser Warnung Folge leisten würden, besonders wenn herauskommt, von wem sie kommt.“ Er lachte kurz und humorlos auf. „Sie würden uns töten, Juka-Sama?“ „Genau, so ist es. Jedenfalls würden sie es versuchen. Außerdem laufen wir Gefahr, Ukashis Häschern in die Arme zu laufen. Es ist ihnen schließlich egal, woher sie ihre Nahrung bekommen... Obwohl sie uns wahrscheinlich nur töten würden, da sie uns nicht aussaugen können.“ Die Worte blieben im Raum stehen. Nach einer Weile stand Juka auf und mit ihm die restlichen Versammelten. Das Treffen war beendet. Jukas Augen folgten die letzten Fledermäuse, die soeben in der Ferne mit der Schwärze der Nacht verschmolzen. Nur noch das weit entfernte Rauschen von Flügeln war zu vernehmen, wobei es auch vom Wald stammen könnte. Ein Räuspern drang an sein Ohr. „Juka-Sama?“ „Ja, Saka?“ Langsam drehte er sich zu dem Kleineren um. „Ich wollte vorhin nicht vor den Anderen fragen, allerdings stellte sich für mich die Frage, was aus...“ Der Andere verstummte. „... was aus demjenigen geworden ist, der es vor einem halben Jahr gewagt hatte, hierher zu kommen?“, vollendete Juka den Satz. „Ja. Es interessiert mich. Denn ich habe einen fremden Geruch in diesem Haus wahrgenommen und wollte die Anderen nicht darauf aufmerksam machen.“ „Danke. Du hast Recht. Dieser Jemand ist noch hier. Aber mehr brauchst du nicht zu wissen“, fügte Juka noch hinzu, als Saka den Mund öffnen wollte, um etwas zu sagen. Ein stummes Nicken folgte. Plötzlich erschall hinter ihnen ein Geräusch. „Juka?“ Erschrocken fuhren beide herum, wobei Sakas Erscheinungsbild kurz verschwamm, dann wieder klar wurde. Am oberen Treppenabsatz stand Mana, lediglich in ein dünnes Schlafgewand gehüllt und blickte auf sie hinab. Der Angesprochene fasste sich schnell, lächelte sanft zu Mana hinauf, obwohl sein Inneres aufgewirbelt war. Wie viel hatte der andere mitbekommen? „Mana, du bist wach…“, stellte er stattdessen fest. „Das Geräusch der Tür hat mich geweckt.“ Dabei sah er zur Eingangstür und schaute dann direkt zu Saka, welcher erschrocken zurückzuckte. Als Juka dem Manas Blick folgte, schluckte er. Was sollte er auf diese stumme Frage antworten? „Das ist... ein Bekannter von mir. Er ist auf Durchreise und wollte uns so eben verlassen.“ Bei diesen Worten ruckte Sakas Kopf in Jukas Richtung, sah ihn überrascht an. Doch schien dies Mana nicht zu interessieren, denn er hatte sich schon zum Gehen gewandt und war um die Ecke zu seinem Zimmer verschwunden. Wenige Augenblicke später fiel die Tür hörbar ins Schloss. „Schlaf gut... Mana“, flüsterte Juka mehr zu sich selbst. Stille senkte sich über die beiden Zurückgelassenen, bis sie irgendwann verdaut hatten, was gerade passiert war. „Was sollte das???!!!“ Saka fuhr zu seinem Herrn herum. „Wieso konnte er mich sehen? Das kann nicht sein! Das kann kein Mensch sein!!!!“ Er klang schon fast hysterisch. Beruhigend hob der Größere die Hand, letztendlich hatte sich der Jüngere dann wieder vom Schock erholt. „Saka. Genau das ist einer der Gründe, warum ich hierbleibe und mit ihm zusammenwohne, denn das Haus gehört ihm. Diese Macht Sachen geschehen zu lassen, die wir erwarten - es ist schon faszinierend. Wir haben ihn beide nicht kommen spüren…“ Saka schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich werde jetzt besser gehen, Juka-Sama, bevor die Anderen Verdacht schöpfen. Ich glaube, das wäre wirklich nicht gut…. Und ich werde schweigen“, fügte er leicht lächelnd hinzu, bevor er sich zum Gehen wandte. „Gut… das habe ich auch nicht anders erwartet. Ach und Saka…?“ „Ja, Juka-Sama?“ „Haltet euch in nächster Zeit bereit. Schließlich wissen wir nicht genau, ob unsere Befürchtungen eintreten.“ Einen Wimpernschlag später war der Jüngere verschwunden. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Dumpfe Schläge hallten in der Eingangshalle wider. Mana warf sich schnell einen Mantel drüber, bevor er die Treppe hinuntereilte, um die Eingangstür aufzuschließen. Er blickte in ein grimmiges, bärtiges Gesicht. „Sie wünschen?“ Der Mann sah ihn an und rang sich ein schiefes Lächeln ab. „Wir kenn‘ uns noch nicht…“ Er wartete auf eine Bestätigung, aber als diese nicht kam, fuhr er fort. „Wir warn schon einige Male hier, aber jedes Mal schein‘ Sie nicht da gewesen zu sein, denn immer hat Ihr… äh… Mitbewohner geöffnet.“ „Das kann schon sein…“ Desinteresse schwang in der Stimme des Schwarzhaarigen mit. Plötzlich wurde ihm eine Hand entgegengehalten, die Mana nur verständnislos musterte. „Schön Sie kennen zulernen.“ Mana sah ihn weiter nur ausdruckslos, machte keine Anstalten die Hand anzunehmen, woraufhin der Ältere sie wieder sinken ließ. „Was wollen Sie? Ich habe wenig Zeit.“ Während der Herr des Hauses sprach, gewahrte er eine sachte Bewegung aus den Augenwinkeln. Allerdings schenkte er ihr keine weitere Beachtung. Der Dörfler versuchte derweilen einen Blick ins Innere des Hauses zu werfen, aber aufgrund Manas kalten Blick, der auf ihn ruhte, schnell inne. Ein Stottern folgte. „Wir…das Dorf…nein…im Dorf…“ Der Bärtige seufzte schließlich und holte noch einmal Luft, um endlich sein eigentliches Anliegen vortragen zu können und das in ordentlicher Form. „Also, im Dorf wird in zwei Tagen n Fest stattfindn und wir würdn uns freun, wenn Sie komm‘ würdn und – “ „Ich werde es mir überlegen“, unterbrach Mana die Rede wenig höflich und schloss die Tür, ohne auf weitere Erklärungen zu warten. Er hatte Kopfschmerzen von dieser nervigen Kratzstimme des Bärtigen bekommen und der kalte Schweißgeruch hing ihm noch in der Nase. Widerlich. Er wandte sich zur Treppe um, wo, wie erwartet, Juka lässig am Geländer lehnte. Überrascht war Mana nicht, dass Juka erneut einfach so aus dem Nichts aufgetaucht war. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, wie laut los der Andere sein konnte. „Was wollte er?“ Mana trat auf den Größeren zu, bevor er antwortete: „Es gibt bald ein Fest im Dorf…“ „Und? Willst du hingehen?“ Mana zögerte und blickte Juka in die Augen. „Ich weiß nicht…“ Ein Schmerz durchzuckte urplötzlich Manas Kopf und er zog scharf die Luft ein. „Was ist?“ Jukas besorgte Stimme streifte ganz nah sein Ohr, genau wie dessen Hand über seine Wange strich. „Lass das! Ich habe Kopfschmerzen“, fuhr ihn der Kleinere an, was allerdings nur von einem Lächeln quittiert wurde. „Siehst du… ein Grund mehr, dort nicht hinzugehen. Außerdem würde es dir nicht bekommen. Es ist etwas… sagen wir … barbarisch, wie sie die Schweine schlachten. Sie brüllen rum und lassen sich gehen. Glaub mir, es würde dir nicht gefallen.“ Mana machte sich von ihm los und ging langsam die Treppe hoch. „Mag sein… Ich werde mich eine Weile hinlegen. Weck mich heute Abend.“ Mit diesen Worten war er um die Ecke verschwunden. Juka seufzte. Irgendetwas beunruhigte ihn und das war auch der Grund gewesen, warum er nicht wollte, dass Mana dorthin ging. Etwas würde geschehen, schon sehr bald. Kapitel 4: Le Banquet --------------------- Chapitre IV Le Banquet (Festessen) Gelächter erscholl laut zwischen den Häusern des Dorfes, vermischt mit kleineren Gesängen und Gesprächsfetzen. Wäre es auch nur wenige Sekunden still gewesen, hätte man ein leises Rauschen vernehmen können, das allerdings nicht von den mittlerweile fast kahlen Bäumen stammte. Das ganze Dorf war in ausgelassener Stimmung. In der Mitte dieser Häuseransammlung von in etwa vier Dutzend Gebäuden befand sich ein freier Platz, der an diesem Abend mit kleineren Ständen gefüllt war. Die Händler und Bauern des Dorfes priesen ihre Waren lautstark und voller Wetteifer an. Dabei lieferten sie sich zahlreiche Wortgefechte, um sich gegenseitig zu übertrumpfen. Dies war einer der wenigen Tage im Jahr, an denen man all sein Hab und Gut verkaufen konnte und man vielleicht auch Glück hatte, dass Fremde oder Bewohner aus den Nachbardörfern Interesse daran zeigten. Wie zu erwartend, war der unbekannte Sonderling aus dem alten Herrenhaus nicht erschienen. Nach den Erzählungen des bärtigen Dorfsprechers war dies nicht sehr überraschend, denn seiner Meinung nach, war die Reaktion des Neuen nicht sehr positiv gewesen. Wahrscheinlich hatte es auch etwas Gutes, denn viele der Dorfbewohner hatten ziemlichen Respekt und teils aus Misstrauen ihm gegenüber vor ihm, obwohl sie ihn bisher nur einmal kurz und von weitem gesehen hatten - am Tage seiner Ankunft. Der Bärtige stand mit einigen anderen Männern in der Mitte des Platzes, unterhielten sich über belanglose Dinge, warfen zwischendurch immer wieder einen Blick hinter sich. Die Ungeduld stieg spürbar. Endlich war es so weit. Die Menge teilte sich und brach in Jubel aus. Vier Männer traten hervor, auf ihren Schultern trugen sie zwei große Schweine, die mit langen Spießen durchbohrt waren, um sie dann wenig später, über dem Feuer unmittelbar vor dem Bärtigen aufhängen zu können. Der Geruch von brutzelndem Fleisch erfüllte bald darauf die Luft, alle freuten sich auf den Schmaus, der schon seit langem geplant war. Hätte nur einer von ihnen seinen gierigen Blick vom Essen abgewandt und leicht nach oben gerichtet, wäre ihm eine schnell näherkommende schwarze Wolke über den Wipfeln des Waldes aufgefallen. „Mami! Mami! Schau mal!“ Das kleine Mädchen kam auf ihre Mutter zu gerannt, die bei ihren Nachbarn am Feuer stand. Die Kleine zerrte am Rockzipfel ihrer Mutter, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Maaaamiiiiii!!! Schau doch mal!!!“ Ihre Mutter hockte sich zu ihr runter, auch die Anderen sahen neugierig auf die Kleine hinab. „Was ist denn?“ Die Kleine wandte sich um und streckte den Arm in Richtung des dunklen Himmels aus. „Da, schau mal! Was ist das?“ Die Mutter hob den Blick gen Himmel und was sie erblickte, ließ sie erstarren. Eine große schwarze Wolke raste auf das Dorf zu. Auch Umstehende waren aufmerksam geworden, das Gelächter wurde weniger, stattdessen hob aufgeregtes Gemurmel an. Hände streckten sich nach oben, Köpfe ruckten in diese Richtung. Das Essen war vergessen. Es wurde still, totenstill. Als würde jeder die Luft anhalten. Nur das Rascheln unzähliger kleiner Flügel war zu hören. Die Wolke war heran, viele schwarze heranschnellende Körper waren zu erkennen. Plötzlich zerriss ein hoher angsterfüllter Schrei diese bedrückende Stille. Alle fuhren herum. Am Rand des Platzes wand sich eine junge Frau auf dem Boden. Sie schlug blind um sich. Doch dann - ihr Blick wurde leer, sie zuckte noch einmal, ihre Bewegungen erstarben. Sie war tot. Etwas kleines Schwarzes fiel von ihr ab, zu Boden. Sekunden später war es verschwunden. Stattdessen stand dort eine Gestalt mit langem wehendem Mantel und wischte sich mit einem Ärmel über den roten Mund. Ein bösartiges Grinsen war zu erkennen. Augenblicklich brach Panik an. Es war zu spät. Unzählige Fledermäuse regneten auf die Dorfgemeinde herab, doch kurz bevor sie den Boden oder ihre Opfer erreichten, verwandelten sie sich in weißhäutige Gestalten mit schwarzen Gewändern, die sich auf alles stürzten, was sich bewegte, atmete oder einfach nur lebte. Egal ob Tiere oder Menschen, solange es Blut in den Adern hatte. Die Dorfbewohner rannten durcheinander, versuchten sich zu retten. Weinende, zurückgelassene Kinder standen da, schreiend nach ihren Müttern, bevor sie von dunklen Umhängen verhüllt wurden und wenige Augenblicke später blutüberströmt auf dem Boden liegend ihren letzten Atemzug aushauchten. Hysterisches Gekicher war zu hören. Überall lagen tote Körper. Blut färbte den Platz und die Wege dunkelrot. Aus den Häusern schlugen lichterloh die Flammen. Über den Dächern schwebte eine einsame Gestalt. Ukashi. Seine roten Augen verfolgten das Geschehen. Mit einem Mal lachte er gehässig auf. „Ihr entkommt uns nicht!!!! Juka, du wirst niemanden retten können, versprochen… HÖRST DU??? DU WIRST KEINEN EINZIGEN RETTEN KÖNNEN!!!!“, rief er über das Getöse seines „Festessens“ hinweg. Dann stützte er sich hinab. Neben einem kleinen weinenden Kind blieb er stehen. Das Kleine kniete über ihren toten, grausam zugerichteten Eltern, es hatte ihn nicht bemerkt. Gewaltsam riss er es an den Haaren zu sich hinauf, wobei er freudig den gepeinigten Schrei in sich aufsog. Ärmchen und Beinchen schlugen auf ihn ein, doch er zuckte noch nicht einmal zurück. Er schlug seine Klauen in die verletzliche Kinderhaut, hielt es fest. „Keine Angst, mein Kleines…“, säuselte er dem Mädchen zu, das ihn aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. „Bald bist du glücklich…“ Er schlug seine Zähne in den schmalen Hals. Das Kind zappelte noch einige Male, den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet. Dann erschlaffte der Körper. Nachdem Ukashi seinen Durst gestillt hatte, ließ er es fallen. „… Sie haben sich noch nicht einmal für die Erlösung aus diesem minderwertigen Leben bedankt…Das machen sie nie… wie undankbar.“ Ukashi setzte sich wieder in Bewegung, auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. ~~~~~~~~~~~~~~ Ein paar Kilometer entfernt starrte eine Gestalt aus den großen alten Fenstern. Manas Blick glitt über die Umrisse des Waldes, die sich gut sichtbar von dem flackernden Feuerschein aus Richtung des Dorfes absetzen. Ein Arm legte sich von hinten um seine Hüften, ein Kopf betete sich auf seine Schulter. „Juka, lass das…“ Statt dieser Aufforderung Folge zu leisten, fragte dieser ruhig: „Was hast du, Mana?“ „Was machen die in dem Dorf?“ „Feiern, was sonst?“ Nach leichtem Zögern kam die leise Antwort. „Ich weiß nicht, aber ich hatte so ein seltsames Gefühl.“ Juka nickte leicht. „Das liegt bestimmt an der Müdigkeit. Geh ins Bett…“ Mit diesen Worten löste er sich von dem Kleineren. Wenig später erfüllte ruhiges Atmen die Stille des Zimmers. Mana war eingeschlafen. Juka hingegen stand noch eine Weile am Fenster. Seine schlimmste Befürchtung war eingetreten. Das Dorf existierte nicht mehr. Kapitel 5: La Fuite ------------------- Chapitre V La Fuite (Flucht) Ein lautes Hämmern zerriss die entspannte Stille des alten Herrenhauses. Mana öffnete langsam die Augen und runzelte leicht die Stirn. Wie spät es wohl war? Sein Blick glitt zum Fenster, wo allerdings die langen Vorhänge die Sicht nach draußen verdeckten. Mühsam rappelte er sich auf und stieg aus seinem Bett. Müde trat er ans Fenster, zog die Vorhänge ein wenig zur Seite, um hinaus spähen zu können. Nichts. Nur tiefschwarze Nacht. Es waren bestimmt erst ein oder zwei Stunden vergangen, seit er auf Jukas Rat hin ins Bett gegangen war, um nach etwas Schlaf zu suchen. Leider hatte seine Erholungsphase nicht lange angehalten - nur so lange, bis es irgendjemand gewagt hatte, spät nachts die Ruhe dieses Hauses durch wiederholtes Klopfen an die Eingangstür zu stören. Wer es wohl war? Jedenfalls musste es wichtig sein, denn dieser Jemand hämmerte nun schon eine geschlagene Ewigkeit gegen das massive Holz. Seufzend drehte sich Mana vom Fenster weg. Wieso war Juka nicht schon längst zur Tür gegangen? Wo war er schon wieder? „Juka?“ rief er, doch nichts tat sich. Eigentlich hätte er um diese Zeit noch wach sein müssen. Wenn er denn überhaupt mal schlief, denn bisher hatte Mana ihn noch nie im Bett gesehen. Mana zog sich seinen Morgenmantel über und machte sich auf den Weg durch den mit Kerzen spärlich erleuchteten Gang bis zur Treppe, die hinunter in die Eingangshalle führte. Das Hämmern hielt weiterhin an. Zögernd legte der Schwarzhaarige seine Hand auf die Klinke der alten, eichernen Tür, nur um sie wenige Augenblicke später vorsichtig herunterzudrücken. Ein vom Wetter gegerbtes Gesicht blickte ihm entgegen, die Faust für den nächsten Weg zur Tür weiterhin erhoben. Der Mann, den der Jüngere noch nie zuvor gesehen hatte, starrte ihn weiter aus – angsterfüllten – panischen? - Augen an. Mana fand das richtige Wort dafür nicht. Gehetzte Augen? Er wusste es nicht und selbst wenn er es gewusst hätte, wäre trotzdem die Frage nach dem Warum geblieben. Mit einem „Ja? Bitte?“ durchbrach der Kleinere die drückende Stille, die sich zwischen ihm und dem Mann aufgebaut hatte. Der Ältere zuckte zusammen und blinzelte sich zurück in die Realität. Hastig senkte er seine Faust, die schon langsam eine bläuliche Handkante vom Klopfen aufzeigte und trat einen Schritt zurück. Nun konnte Mana auch andere Leute mit Fackeln erkennen. Die meisten von ihnen standen auf den steinernen Treppenstufen, die zum Eingang führten. Die Restlichen standen dahinter, reckten die Köpfe umzuhören, was oben am Treppenende gesprochen wurde. Ein Räuspern brachte Mana dazu, seine Aufmerksamkeit wieder seinem Gegenüber zu schenken. „Ähm... Mein Herr, entschuldigen Sie bitte die späte Störung.“ Er verbeugte sich kurz, sprach dann hastig weiter. „Wir hätten auch nicht gestört, doch es ging nicht anders. Wir wussten nicht, wo wir uns sonst hinwenden sollen... Dürften wir bitte kurz Ihre Zeit in Anspruch nehmen?“ Mana nickte leicht, aber mit einer hochgezogenen Augenbraue. Ihm war es neu, dass die Dorfbewohner, es waren wohl welche, denn Mana hatte einige Gesichter erkannt, sich so gewählt ausdrücken konnten. Sein Gesprächspartner zwang scheinbar regelrecht zu dieser Ausdruckweise. „Dürften wir dazu vielleicht hineinkommen, hier draußen ist es nicht mehr sicher.“ Daraufhin legte der Herr des Hauses seinen Kopf leicht schräg und musterte skeptisch, so gut es bei der Dunkelheit ging, die Gesichter der Übrigen. Nach einer Weile trat er dann zurück, öffnete die Tür weiter, um schlussendlich zur Seite zu treten und ihnen Einlass zu gewähren. Vorsichtig kam einer nach dem Anderen in die Halle, sahen sich ehrfürchtig um. Manas helle Augen streiften über jeden der Neuankömmlinge, wobei er bemerkte, dass jeder von ihnen scheinbar arg mitgenommen aussah. Alle, egal ob es nun die paar kleinen und weinenden Kinder waren oder die Erwachsenen, unter denen sich allerdings, nicht mehr wie bisher, ältere Leute befanden, sondern höchstens noch welche die zwei Drittel ihres Lebens schon weg hatten. Sie alle waren total verschmutzt, an manchen klebte Blut, die Meisten trugen zerrissene Sachen und an eigenen Stellen blutete es aus kleineren Wunden. Als schließlich alle eingetreten waren, bevölkerten etwa zwei Dutzend Personen die ehemals saubere Eingangshalle. Unzählige lehmige Fußabdrücke verschmutzen den sonst so blanken Boden. Mana ließ die Tür laut ins Schloss fallen, um sich Gehör zu verschaffen. „Bitte warten Sie einen Moment. Ich werde gleich zurück sein.“ Mit diesen Worten stieg er die Treppe hinauf. Er wollte sich umziehen, denn nur im dünnen Morgenmantel wollte er kein Gespräch beginnen, egal wie wichtig es wäre. In seinem Zimmer angekommen, tauschte er sein Schlafgewand in ein langes, dunkles Kleid. Doch als er den Raum wieder verlassen wollte, kam nicht weit, denn an den Türrahmen gelehnt, stand eine schwarze Gestalt. Juka. „Wieso hast du sie hereingelassen, Mana?“ Statt zu antworten, fragte Mana ruhig: „Wie lange stehst du schon hier?“ „Hm... jedenfalls lange genug, um eine schöne Erinnerung mehr zu haben“, kam es leicht schmunzelnd über die Lippen des Anderen, gefolgt von einem Zwinkern. Missbilligend zog der Kleinere eine seiner fein geschwungenen Augenbrauen hoch. „Juka... Könntest du solche Sachen bitte unterlassen? Du weißt, dass ich so etwas nicht mag.“ „Ich werde es versuchen, aber nur weil du es bist.“ Sein Lächeln verschwand genauso schnell wieder, wie es gekommen war, als Juka gleich darauf seine erste Frage wiederholte. „Weil du nicht zur Tür gegangen bist und weil sie darum gebeten haben“, kam es leise über Manas Lippen. Juka seufzte. „Sag, Mana ... was wäre, wenn es nicht die Dörfler gewesen wären, sondern jemand anders mit schlimmerer oder gar böser Absicht? Du hättest dich nicht wehren können. Du kannst doch nicht jeden hereinlassen, nur weil er darum bittet.“ Langsam kam er auf den Kleineren zu, blieb dann direkt vor ihm stehen. Er ließ seine Finger über Manas Wange gleiten, über seinen Hals bis hin zu seiner Schulter. Mana zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern sah dem Anderen weiter in die Augen. „Woher willst du wissen, ob ich mich hätte wehren können oder nicht? Außerdem wäre es dir doch wahrscheinlich egal, oder? Du warst doch nicht da, um mich retten zu können…“ Juka schwieg einen Moment, bis er antwortete: „Ich weiß es einfach. Ja, ich wäre wahrscheinlich nicht da gewesen, aber so etwas ist mir nicht egal, glaub mir.“ Einen Moment schwiegen beide, bis Juka die Stille erneut durchbrach. „Mana? Gehst du jetzt wieder runter in die Eingangshalle?“ „Ja, das hatte ich vor. Also, könntest du mich jetzt bitte durchlassen?“ Bei diesen kühlen Worten erhielt der Größeren einen leichten Stoß vor die Brust, der ihn mehr aus Überraschung zurücktaumeln ließ. Als er sich wieder gefasst hatte, stand Mana schon in der Tür und sah ihn mit einem seiner undeutbaren Blicke an. „Juka, ich denke schon, dass ich mich zu einem gegebenen Zeitpunkt wehren könnte, wenn ich es wollte. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie lange ich es könnte.“ Juka musste leicht bei diesen Worten lächeln. Mana würde also doch Hilfe wollen. „Gut. Das werde ich mir merken. Wenn du jetzt runter gehst, sag den Dörflern nicht, dass ich da bin.“ Mana sah ihn weiter ausdruckslos an, nur eine kleine Frage schlich sich in seine Augen. Juka schüttelte leicht seinen Kopf. „Mach es einfach. Sie werden mich eh nicht bemerken, daher würde es nichts bringen. Ich komme gleich nach.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte sich der Andere um und ging dann zügigen Schrittes den Gang entlang. Juka würde schon seine Gründe haben, ihm so etwas zu sagen. Als die Eingangshalle in Manas Sichtfeld kam, hatte sich nichts verändert, die Dörfler standen nach wie vor halb erstarrt da, blickten sich ehrfürchtig um und getrauten sich nicht, irgendetwas anzufassen. Langsam schritt er die Treppe hinunter, was den Männern und Frauen unten in der Halle nicht verborgen blieb und sie ihn nur scheu musterten, bis er am Treppenende angekommen war. Er hob den Blick, ließ ihn über die Gesichter der Leute vor ihm schweifen, während diese sich schnell senkten. Dann ging er durch die Menschenmasse, welche sich bereitwillig teilte. Neben der Treppe führte ein längerer, dunkler Korridor in die anderen Räume des Hauses. Mana nahm eine Kerze von einer der Halterungen an der Wand und ging mit den Worten „Folgen Sie mir bitte.“ in den gemauerten Gang hinein. Immer wieder blieb er kurz stehen, entzündete eine Kerzen nach der anderen in den Wandhalterungen, um mehr Licht zu schaffen. Da er die dahinter liegenden Räume bisher noch nie genutzt hatte, war es auch unnütz hier den ganzen Tag die Kerzen brennen zu lassen. Juka nutzte, seines Wissens nach, diesen Teil des Hauses selten und wenn dann machte er kein Licht. Soviel Mana bei einem seiner ersten Rundgänge durch das Gemäuer gesehen hatte, befand am Ende des Ganges ein großes Speisezimmer, das auch als Versammlungsraum genutzt werden konnte. Von diesem ging noch eine weitere Tür ab, hinter der ein Gang zur Küche führte und von dort aus weiter in verschiedenste Lagerräume und Keller. Er war nur ein paar Male dort gewesen, da Juka bisher immer Essen gemacht hatte und er somit nicht gezwungen war, diese unheimlichen Räume, zu denen auch in gewisser Weise die Küche zählte, zu betreten. Mit einem lauten Knarren, das die Dorfbewohner zusammenzucken ließ, öffnete er die große Eichentür am Ende des Ganges, trat einen Schritt zur Seite, um die Anderen eintreten zu lassen. Als endlich der Letzte den riesigen Raum betreten hatte, schloss er geräuschvoll die Tür und ging auf den langen Banketttisch in der Mitte des Raumes zu und nahm, nachdem sich auch die Dörfler gesetzt hatten, an der Stirnseite des Holztisches gegenüber des Kamins Platz. Die Kinder schienen sich nicht mehr so sehr einschüchtern zu lassen, wie och zu beginn, denn sie hatten sich von den Erwachsenen losgemacht und rannten jetzt lärmend durch den Raum. Wahrscheinlich brauchten sie, wie Tiere ihren Auslauf, mutmaßte Mana in Gedanken. Wie sie doch nervten. Vorsichtig rieb sich Mana über die Schläfen. Seine Kopfschmerzen waren zurückgekehrt. Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine leichte Bewegung, die aus der Nähe der schräg hinter ihm liegenden Tür zur Küche, kam. Als er sachte den Kopf drehte, gewahrte er Juka an der Wand lehnend, den Blick auf ihm gerichtet und sanft den Kopf schüttelnd. So schenkte Mana seine Aufmerksamkeit den Leuten vor ihm am langen Tisch. Er suchte den Mann von vorhin, um dann das Wort an ihn zu richten. „Was führt Sie zu ... mir?“ Innerlich runzelte der Schwarzhaarige die Stirn. Fast hätte er „zu uns“ gesagt. Ein solcher Fehler war ihm bisher noch nicht unterlaufen. Hatte er sich schon so an Juka gewöhnt? Sein Kopf pochte schmerzhaft. Die Stimme des älteren Dörflers riss ihn aus seinen Gedanken. „Sie wundern sich vielleicht, dass unser Dorfsprecher nicht hier bei uns ist, wie die sonstigen Male...“ Auch wenn es Mana egal war, wer hier war und wer nicht, nickte er, um zu zeigen, dass er wusste, um wen es sich handelte. Wobei sich diese Handlung als Fehler erwies, denn seine Kopfschmerzen nahmen schlagartig noch mehr zu, so dass er scharf die Luft einzog. Allerdings schien der Sprecher diese Reaktion Manas mit etwas anderem in Verbindung bringen, wahrscheinlich interpretierte er das als erschrockene Reaktion auf irgendeine schlimme Vorahnung, denn er fuhr eifrig nickend fort. „Er ist tot.“ ____________________________ Kleine Kinder rannten an ihm vorbei, spielten wohl fangen. Wie einfallslos. Juka stöhnte genervt auf. Konnten diese nervtötenden Gören nicht einmal ihren Mund halten und stillstehen. Warum tat er sich das eigentlich an? Das fragte er sich immer wieder. Nur um noch einmal zu hören, was er eh schon wusste, nämlich dass es das Dorf nicht mehr gab. Und? Was machten sie für einen Aufstand darum? Sollten sie sich doch ein neues Zuhause suchen. Er verstand die Menschen einfach nicht. Eigentlich hätten diese kleinen Kröten vor ihm trauern müssen und zwar ruhig, aber nein, ihnen schien es schon wieder richtig gut zugehen, so wie sie rumtollten. Irgendwie verabscheute Juka dieses Verhalten. Diese Menschenkinder kannten keine Ehrerbietung. Langsam wandte er seinen Blick von den Kleinen ab, hinüber zu dem langen Tisch, an dem Mana und die übrig gebliebenen Dörfler saßen. Leicht musste er bei Manas Anblick schmunzeln, denn dieser schien nicht wirklich von dem Gespräch angetan zu sein, sondern es sah eher so aus, als ob er nur noch aus purer Höflichkeit dasaß und mit seinen Gedanken nicht mehr ganz bei der Sache war. Jukas Blick wanderte weiter und betrachtete die Nacht draußen vor einem der geöffneten Fenster. Doch bevor er wieder mit seinen Gedanken abschweifen konnte, bemerkte er etwas Neues. Etwas kleines Schwarzes hing gut getarnt vor einem, der dunklen Vorhänge von der Decke. Jukas Blick saugte sich an dem kleinen Etwas fest. Eindeutig. Eine Fledermaus. Diese Erkenntnis ließ ihn sich hart auf die Lippen beißen. Was zum Teufel machte die hier? Das Schlimme war, dass es auch niemand von seinen Leuten sein konnte. Denn die waren momentan weit weg. Ukashis Spitzel? Das durfte nicht sein. Er durfte nicht zu lassen, das Ukashi noch mehr Wind von den Bewohnern des Hauses bekam. Vorsichtig stieß sich Juka von der Wand ab und schritt bedächtig auf die Fenster und somit auf das Wesen zu. Diese schien natürlich die Veränderung des Raumes sofort wahrzunehmen, wenn sie Juka nicht schon die ganze Zeit beobachtet hatte. Elegant breitete sie ihre Flügel aus, ließ sich von der Decke fallen, um dann wenige Sekunden später provozierend an Juka vorbei zu fliegen und zu verschwinden. Juka rührte sich nicht, versuchte alle nicht wichtigen Geräusche aus seiner Umgebung und seinem Kopf zu verbannen. Da! Ein leises Flügelschlagen drang an sein Ohr, das lauter wurde je mehr er sich darauf konzentrierte. Er drehte sich um, bewegte sich auf den Gang Richtung Küche zu. Dann trat er ein. ___________________________________ „Er ist tot!“ Gespannt auf Manas Reaktion sahen ihm die Dörfler entgegen. Was erwarteten sie von ihm? Dass er in Tränen ausbrechen und herzliches Beileid wünschen würde? Er hatte den Mann gerade mal ein, zwei Male gesehen und sympathisch war der Eindruck auf ihn nicht gewesen. Es war ihm also relativ egal, was aus ihm geworden war. Dennoch zwang er sich zu einem knappen, verständnisheuchelnden Nicken und fragte dann: „Wieso?“ Auf dieses Wort schien der Mann vor ihm gewartet zu haben, denn er legte sofort los, etwas von Überfall, Vampiren, Feuer und ähnlichem zu faseln. Mana schaltete gedanklich ab. Dieses Gerede beruhigte seine Kopfschmerzen bei weitem nicht, eher im Gegenteil. Eine Bewegung aus den Augenwinkeln zog seine Aufmerksamkeit auf sich, so wandte er seinen Blick vorsichtig von der Tischplatte ab, um seinen Kopfschmerzen nicht noch mehr Anlass zu Beschwerden zugeben, und suchte nach der Ursache dieser Bewegung. Juka. Er stand mitten im Raum und schien zu lauschen. Allerdings war das Einzige, was Mana hörte, das Gerede des Dörflers, der sehr vertieft in seine Rede war. Plötzlich drehte sich Juka um und verschwand in Richtung Küche. Der Kleinere war für einen Moment irritiert, kümmerte sich allerdings nicht weiter darum. Juka würde schon seine Gründe haben. Wenn seine Kopfschmerzen bloß nicht wären. ____________________________________ Seine leisen Schritte hallten durch den leicht bergab führenden Gang. Immer wieder blieb Juka stehen, um in die Stille zu horchen. In der Ferne nahm er das Flügelrascheln wahr. Von irgendwoher klirrte etwas, so dass er stehen blieb, um erneut zu lauschen. Es war wieder still, dem leisen Geräusch folgte kein zweites. Juka seufzte auf. Das konnte ja heiter werden, wenn rauskam, dass es in diesem Haus noch Überlebende aus dem Dorf gab. Urplötzlich zerstörte ein lautes Scherbeln die Stille vor ihm. Juka runzelte die Stirn und ging weiter, bis er den Durchgang zur Küche erreichte. Hier war doch jemand! Momentan war nichts zu sehen, aber die Scherben eines Tongefäßes am Boden verrieten, dass bis vor wenigen Augenblicken jemand hier gewesen war. Juka trat in den spärlich eingerichteten Raum ein und sah sich um. Die Person war noch hier, das spürte er ganz deutlich. Er trat um den Tisch herum und erblickte... ... ein kleines Dorfmädchen vor einem der Regale hockend. Ihr braunes Leinkleid war verdreckt, ihr Haar verfilzt. Brot und diverses anderes Essen lagen auf dem Boden verstreut. „Was machst du hier?“ Mit diesen Worten ließ Juka seine Tarnung fallen. Erschrocken sah das Mädchen auf. Schuldbewusst wich es seinem Blick aus, bevor es leise antwortete. „Oben war es langweilig... und ich hatte solchen Hunger.“ Das kleine Wort ‚Hunger’ löste in Juka etwas aus. Sein Blick glitt über das Mädchen und blieb schließlich an ihrer Halsschlagader hängen. Blut! Dem Mädchen schien diese Veränderung nicht aufzufallen, denn es fragte etwas zutraulicher: „Wer bist du? Hab dich noch nie gesehen...“ Juka riss sich von dem köstlichen Anblick der pulsierenden Ader los, um in die großen Augen der Kleinen zu sehen. Er hockte sich vor das Mädchen hin. „Ich wohne hier...“ Vorsichtig strich er über ihren Mund, um die Essensreste fort zu wichen. Verschreckt versuchte sich das Mädchen seinen Händen zu entziehen. Blut.... Wie lange hatte er nun schon nichts mehr getrunken gehabt? Schon zu lange. Und Tierblut stillte das immerwährende Verlangen nie völlig. „Wieso bist du nicht oben geblieben? Hier ist es doch gefährlich...“ Seine sanfte ruhige Stimme halte von den Wänden wider, während seine Hände tiefer zu ihrem Hals wanderten. Das Mädchen hockte wie versteinert da, konnte sich nicht bewegen. „Das Dorf wurde überfallen... was ist mit deinen Eltern?“ Nach einer Zeit des Schweigens drang ein leises Schluchzen an Jukas Ohren. „Tot!“ „Vermisst du sie?“ Ein Nicken. Der Schwarzhaarige lächelte leicht, neigte dann seinen Kopf langsam hinunter zum Hals der Kleinen. Blut! Köstlich! „Also würdest du sie gerne wieder sehen...“ Das Mädchen erzitterte, als der kühle Atem ihren Hals streifte. Langsam senkte er seine Zähne an die warme Haut. Vergessen war sein Versprechen, keinen Menschen zu töten. Der Instinkt, das Verlangen nach Blut hatte gesiegt. Juka schlug seine Zähne in das Fleisch unter ihm. Blutgeschmack machte sich in seinem Mund breit. ____________________________________________ „Und Sie wollen was jetzt tun?“ Etwas genervt lehnte sich Mana in dem großen Sessel zurück. Wahrscheinlich hatten sie gewollt, dass er genau das fragte, denn sein Gesprächspartner setzte ein Lächeln auf, was wohl gewinnend wirken sollte. Leider Fehlanzeige. Oh Gott... hätte er bloß nichts gesagt... jetzt würde der Andere wieder ununterbrochen auf ihn einreden. „Also, da es ja jetzt ziemlich schlecht aussieht und auch die Umgebung - “ „Kommen Sie zur Sache“, unterbrach ihn der Schwarzhaarige genervt. „Wenn es darum geht, dass Sie momentan nicht wissen, wo Sie hinsollen... ja, meinetwegen, können Sie erst einmal hier bleiben... mit einigen Einschränkungen...“ Der letzte Satz ging im Jubel der Dörfler unter. Mana stöhnte auf. Ging das nicht auch ein bisschen leiser? Außerdem… wie konnte man sich nur so freuen? Ätzend… Nachdem sich der Lärm etwas gelegt hatte, räusperte der Schwarzhaarige sich kurz und fuhr fort: „Die Einschränkungen: Sie dürfen sich frei im Haus bewegen, ausgenommen davon, sind die Räume im Obergeschoss, meine Privaträume... darum verbitte ich es mir, dort irgendeinen Besucher zusehen. Außerdem sind die -“ Sein Satz wurde durch einen entsetzten Schrei unterbrochen. Erschrockene Stille trat ein. Manas Kopf fuhr herum, in Richtung des Kellergangs, der an der Küche vorbeiführte. Kein Zweifel. Der Schrei war von dort gekommen. Chaos brach in dem Raum aus. Die verbliebenen Frauen zerrten die Kinder zu sich, alle riefen durcheinander. Mana sprang auf, rannte auf die Tür zu und eilte den Gang hinunter. Irgendetwas lähmte ihn innerlich... er fühlte sich leer. Warum wusste er nicht... eine Vorahnung? Er rannte weiter. Seine Schritte klangen laut in seinen Ohren, sein langes schwarzes Kleid raschelte leise. Irgendwo weiter oben knallte eine Tür auf, aufgeregte Stimmen drangen herunter, Schuhgetrappel. Also hatten sie sich endlich gefasst und waren ihm gefolgt. Ihm war es egal. Endlich hatte er den Durchgang erreicht und – - blieb erstarrt stehen. Sein Blick wurde starr. Der Boden war rot, blutrot. Der Tisch in der Küche war umgestoßen worden. Die Möbel mit Blut bespritzt. Doch selbst das nahm Mana nur am Rande wahr. Seine Augen waren auf das Geschehen hinter dem umgefallenen Tisch gerichtet. Eine Gestalt lag am Boden... er kannte sie nicht, aber dafür die andere, die sich über sie beugte, mit Blut verschmierten Mund. Juka. Dieser richtete sich gerade auf, durch die neue Präsenz im Raum in seinem Mahl gestört, und blickte Mana mit ausdruckslosen Augen an. Der Kleinere starrte nur in das Gesicht dieses blutrünstigen Monsters, das ein solches Blutbad angerichtet hatte und das er nicht mehr kannte. Eine einsame, kleine Frage schlich sich in seinen schmerzenden Kopf: ‚Warum?’ Doch er sprach sie nicht aus, nur seine Augen baten flehend um eine Antwort. Langsam kehrte auch das Leben in die Augen des Vampirs zurück. Juka wurde sich langsam klar darüber, was er getan hatte und was für einen Anblick er bot. Blut tropfte vor seinem Kinn, seine Kleidung und die seines Opfers, sowie der Boden waren blutgedrängt. Wie in Zeitlupe hob er den Arm und wischte sich den Mund ab. Als er die verzweifelte Frage in Manas Augen las, musste er hart schlucken. Doch bevor er etwas sagen konnte, drang ein Schrei an sein Ohr. Sein Blick schnellte zur Tür, neben der Mana an der Wand lehnte. Die Dörfler. Eine Frau hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und kreischte. Nach den ersten Schrecksekunden fielen die Ersten aus ihrer Erstarrung. Die Männer fingen an zu brüllen, zeigten hasserfüllt auf ihn und bewegten sich hastig auf ihn zu. „VAMPIR!!!“ Juka nahm es nur in Zeitlupe wahr. Er suchte wieder nach Manas schönen, klaren Augen. Ihre Blicke trafen sich... „Es tut mir leid...“ Geflüsterte Worte. Dann war Juka verschwunden, in Luft aufgelöst. Die Dörfler hatten die Leiche des Mädchens erreicht. Die Frau kniete von Heulkrämpfen geschüttelt neben ihr, rief immer wieder den Namen des Mädchens. Mana hingegen starrte weiter auf die Stelle, wo Juka ihn verlassen hatte. Er fühlte nichts mehr, nur noch eine tiefe Leere. Seine Kopfschmerzen ließen nach. Ein kleines schwarzes Wesen löste sich von der Decke des Raumes und flog durch den Schacht des Herdes hinaus in die Nacht. Kapitel 6: La Trahison ---------------------- Chapitre VI La Trahison (Verrat) Es knackte unter seinen Füßen. Es war nur ein vertrockneter Ast, der auf dem Stoppelfeld herumlag. Der Wind zerrte an seinen Kleidern und seinem Haar, doch es machte ihm nichts aus. Er hatte heute Nacht schon zu viel verloren, als dass ihn so etwas unwichtiges noch tangieren würde. Gleich nachdem er überstürzt aus dem Haus geflohen war, hatte Juka Kontakt zu Saka aufgenommen, um dessen Aufenthaltsort zu erfahren. Allein auf „Feindesgebiet“ herumzuirren wäre tödlich, außerdem musste er seinen Gefährten beichten. Das war er ihnen schuldig. In einiger Entfernung konnte er die gesuchte Baumgruppe, den Treffpunkt, erkennen. Juka konnte sich bewegten Schemen dazwischen erkennen, die eindeutig zu einer Versammlung von Personen gehörten. Gedämpfte Stimmen waren zu vernehmen. Schließlich hatte er den Treffpunkt erreicht. Die Stimmen verstummten und Köpfe wandten sich zu ihm um. Saka hielt sich im Hintergrund, als würde er schon etwas ahnen. Je länger die Blicke auf Juka gerichtet waren und niemand das Wort ergriff, desto angespannter und unruhiger wurde die Lage. Er stand da, ruhig und erhaben wie immer. Die Blicke der anderen Vampire musterten ihn misstrauisch und glitten an ihm hinab. Natürlich hatten sie es bemerkt, es war schließlich ihr Instinkt, solche Sachen zu erkennen und zuzuordnen. Einer der Vampire trat näher und nahm das blutdurchtränkte Gewand zwischen seine Finger, senkte seinen Kopf, um daran zu riechen. „Menschenblut?“ Er sah Juka von unten fragend ins Gesicht. Sein Blick hatte sich gewandelt. Etwas Lauerndes lag in ihm. „Was hat das zu bedeuten?!“ Juka schwieg beharrlich weiter. Der Andere packte ihn am Kragen und zog Juka zu sich ran. „Was soll das werden?!“ Er klang erbost. „Immer predigst du uns, dass wir keine Menschen töten sollen... auch wenn sie nichts wert sind!!! Und du???“ Angewidert stieß er seinen ‚Anführer‘ weg von sich. Die anderen Vampire tuschelten leise untereinander. Juka erhob das Wort. „Macht und glaubt, was ihr wollt. Ich kann es euch nicht verdenken.“ „Ach, der Meister hat seine Stimme wiedergefunden.“ Es klang verächtlich. „Aber keine Sorge. Wir werden machen, was wir wollen... Jetzt sowieso, nachdem selbst du dich nicht mehr an Vereinbarungen hältst.“ Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Jukas Gegenüber wandte sich zu den Anderen um. „Wer mitkommen will, kann das machen. Wer weiter diesem ...Heuchler glauben will, der bleibt. Ich für meinen Teil habe genug! Ich gehe.“ Einige der anderen nickten zustimmend. Sie waren so leicht zu beeinflussen... Der neue Anführer trat durch die Ansammlung hindurch und ging ohne ein weiteres Wort tiefer in die Nacht hinein. Die Anderen folgten ihm. Die einen unsicher, die anderen bereitwillig. Nur einer blieb unentschlossen stehen. „Geh, Saka. Es ist besser, wenn du dich ihnen anschließt. Es wäre nicht gut, wenn du hierbleiben würdest. Außerdem bin ich ja selbst schuld an meiner Lage.“ Juka lachte kurz bitter auf. „Aber, um ehrlich zu sein, würde ich lieber allein sein...“ „Verstehe, Juka-San. Ich gehe. Viel Glück!“ Er verbeugte sich noch ein letztes Mal, dann drehte er dem Älteren den Rücken zu und folgte den Anderen in die Nacht hinaus. Bald darauf war er verschwunden. Juka seufzte auf. Es war besser so. Es wäre für Saka zu gefährlich gewesen bei ihm zu bleiben. Besonders, da ihn Jukas ehemalige Anhänger und Gefährten genauso verachtet hätten und es außerdem in dieser Gegend zu gefährlich wäre, nicht mit mehreren Personen unterwegs zu sein. Dieses Gebiet gehörte jetzt Ukashi und er hatte es sicher zu seinem Jagdgebiet auserkoren, bevor der Morgen graute, da ihn ja nun niemand mehr im Wege stand. Jukas ehemalige Gefährten würden sich in andere Teile des Landes zurückziehen, wie sie es schon vor einer Weile hatten tun wollen. Juka hatte sie damals noch umgestimmt. Die Begründung war, dass sie Ukashi etwas unter Kontrolle haben sollten und es nicht zu viele Menschenopfer geben durfte. Allerdings hatte Juka sich gerade selbst die Blöße gegeben, denn mit seiner Tat schienen die Menschen ihm nicht wichtig genug gewesen zu sein, um sie am Leben zu lassen. Was auch in gewisser Weise stimmte. War er durch diese Tat selbst zu einem Monster geworden, das aus reiner Blutgier tötete? Wie Ukashi? Er schluckte. Seine Zähne bissen auf seiner Lippe herum. Er hatte sehr viele Leute enttäuscht. Die Dörfler waren ihm egal, aber nicht derjenige, der sich momentan unter ihnen befand. Mana. Er hatte ihn enttäuscht, sein Vertrauen missbraucht und verletzt. Was würde er jetzt von ihm denken? Blutrünstiges Monster? Das sich beim ihm eingeschlichen hatte, um ihn später selbst zu töten? Oder würde er gar nichts denken? Es einfach auf sich beruhen lassen und sich neuen Dingen zuwenden... Juka fand keine befriedigende Antwort auf diese Fragen. _________________________________________ Juka spitzte die Ohren. Da war doch etwas? Stimmen? Möglich... Er hockte nun schon eine Weile auf einem Baum in einem kleinen Wäldchen und dachte nach. Er brauchte Zeit, um sich über das Geschehene klar zu werden. Zwischendurch hatte ihn wahrscheinlich der Schlaf eingeholt. Wieder dieses Gemurmel. Es musste ganz in der Nähe sein. Langsam schlossen sich seine Lider und er lauschte. In der Schwärze hinter seinen Lidern war es still. Nein, das Gemurmel erreichte die Welt in seinem Kopf. Er folgte den Stimmen in seinem Inneren. Schließlich waren sie ganz nah. Vor seinem inneren Auge gewahrte eine beachtliche Anzahl von Leuten, gehüllt in lange Mäntel. In ihrer Mitte schwebte eine Gestalt. Lange dunkelrote Haare wirbelten um sein Haupt. Schwarze, gefährliche Klauen blitzten auf. Ukashi. Seine Stimme hallte über die Lichtung. Doch Juka konnte sich nicht recht auf diese Rede konzentrieren. Nur Bruchstücke erreichten seine Gedanken. Was machten die hier? Sie sprachen über ... über seine ehemaligen Gefährten? Also wussten sie schon, dass sie sich von Juka entfernt hatten. Sie waren schnell. Hämisches Gelächter erschallte. Sollten sie doch lachen. Er brauchte keinen von ihnen. Alleine kam er besser zurecht. Etwas in der Rede zog Jukas Aufmerksamkeit auf sich. „Es gab Überlebende... ein Glück für uns... So geht unsere Nahrung nicht aus!“ Ukashi lachte auf. Die Dörfler! Ukashi wusste, dass noch welche lebten. Und wahrscheinlich war es auch, dass er ihren Aufenthaltsort kannte. Juka fluchte innerlich. Er hatte es doch geahnt. Die Dörfler brachten nichts als Ärger mit sich. Hätte Mana sie doch bloß nicht rein gelassen. Mana... Etwas zog sich in Juka zusammen. Mana... er war in Gefahr... „Im Morgengrauen holen wir sie uns...“ Juka richtete seinen Blick nach oben. Der Himmel war tiefschwarz. Also hatte er noch etwas Zeit, Mana in Sicherheit zu bringen. Er erhob sich von dem Ast, von dem er die Versammlung gedanklich mitverfolgt hatte und blickte hinab. Da war niemand mehr. Die Lichtung war leer. Die Vampire waren verschwunden. Mit einem Mal erhielt er einen Schlag in den Rücken, der ihn nach vorne taumeln ließ. Wenige Augenblicke später schlug er auf den Boden auf und wurde gleich darauf grob herumgezerrt, so dass er auf dem Rücken liegen blieb. „Na, Juka? Hast du uns etwa belauscht?“ Juka blickte kühl in das Gesicht über ihm. Rotes Haar fiel ihm entgegen. „Ja, habe ich, Ukashi...“ Der Angesprochene stieß verächtlich die Luft aus. „Arrogant, wie eh und je. Du hast dich nicht verändert seit unserem letzten Zusammentreffen, Juka. Tja... was mach ich jetzt mit dir?“ Fast schon sanft strich Ukashi Juka über die Wange. Dieser zog scharf die Luft ein. „Wo ist dein Gefolge, Ukashi?“ „Ach die... Die sind schon vorgegangen, um ihr nächstes Festmahl vorzubereiten“, kam die grinsende Antwort. „Wir sind ganz alleine, Juka. Leider, leider habe ich so gar keine Zeit für dich, deshalb...“ Ukashi holte mit seinen Klauen aus. Das Letzte, was Juka für diesen Moment sah, war etwas Silbernes, das auf ihn herabgesaust kam. Sein Schrei hallte durch den Wald. Kapitel 7: La Solitude ---------------------- Chapitre VII La Solitude (Alleinsein) Bedächtigen Schrittes ging Mana den Gang entlang. Ab und zu knarrte der Boden, ansonsten war es ruhig. Die Dörfler hatten sich irgendwo ins Untergeschoss verzogen, um in Ruhe um dieses Mädchen zu trauern. Sollten sie doch! Ihm konnte es egal sein, solange sie ihn in Frieden ließen mit ihrem Geheul. Und so was nannten DIE Trauer... es war Heuchlerei. Dem Mädchen nützte das Ganze so oder so nichts mehr. Außerdem ging Trauer, wenn man es nun so bezeichnen wollte, früher oder später sowieso wieder vorbei, spätestens wenn man eine neue Beschäftigung gefunden hatte. Danach waren die Toten nicht mehr so wichtig. Also war es einfach vergeudete Zeit, die man besser nutzen konnte. Der Schwarzhaarige blieb vor einer der vielen alten Holztüren stehen. Behutsam legte er seine schmale Hand auf das kühle Holz und drückte die Tür auf, die mit leisem Knarren nachgab. Ein modriger Geruch und Dunkelheit schwangen ihm entgegen. Er stieß die Tür komplett auf und betrat den Raum, um sich gleich darauf suchend nach Kerzen oder ähnlichem umzuschauen. Wenig später erhellte gedämpftes Licht den großen Raum. Mana zog umsichtig die Tür hinter sich ran und ließ den Blick schweifen. Der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, die davon zeugte, dass dieser Raum seit langer Zeit verschlossen und unbenutzt geblieben war. An den Wänden und auch vor ihm, in Reihen angeordnet, befanden sich Regale, die bis zur Decke reichten und alle mit Büchern gefüllt waren. Mana war bisher nur einmal in diesem Bibliothekartigen Raum gewesen und das kurz nachdem er eingezogen war. Diese Bibliothek hatte ihn nie wirklich interessiert, da es dort nur uralte Bücher gab, die schon beim bloßen Hinblicken zu zerfallen schienen. Außerdem gab es auch noch andere Räume im Gebäude, natürlich kleinere, in denen interessantere Bücher zu finden waren. Allerdings hatte er bisher sowieso keine rechte Zeit zum Lesen gehabt, da ihn die häuslichen Aufgaben und Juka auf Trab gehalten hatten. Mana stieß verächtlich die Luft aus. Juka! Der Schwarzhaarige biss sich auf die Lippen, um sich nicht jetzt mit dem Kapitel „Juka“ beschäftigen zu müssen, was ohne Zweifel passiert wäre, hätte er noch mehr Gedanken an ihn verschwendet. So ließ er seine Augen ein weiteres Mal über die Bücherreihen schweifen, bis er sich, mit einer Kerze in der Hand, in Bewegung setzte. Langsam schritt er die einzelnen Bücherreihen entlang und betrachtete die alten braunen und vergilbten Bücherrücken, auf der Suche nach Büchern eines bestimmten Themas. Immer wieder ließ er seine Finger an den Einbänden entlang gleiten, wobei manchmal kleinere Staubwölkchen entstanden. Es war wirklich schon lange keiner mehr hier gewesen. Ab und an blieb er stehen, um im Schein der Kerze Titel genauer erkennen zu können. Nach einer Zeit hatte er in etwa das gefunden, was er gesucht hatte. Vorsichtig griff er nach dem Buch und zog es aus dem Regal, um gleich darauf die Staubschicht, die sich im Laufe der Jahre gesammelt hatte, zu entfernen. Nachdem er noch einmal den Titel genauer studiert hatte, ging er zu einem der alten Ohrensessel. Dort stellte er die Kerze auf den kleinen Holztisch davor und ließ sich in den Sessel nieder, der daraufhin verräterisch knarrte. Der aufwirbelte Staub ließ Mana kurz husten. Dann begann er zu lesen. ____________________________________ Seufzend schlug er das soeben gelesene Buch zu. Es war Abend geworden. Zwischendurch war Mana immer wieder aufgestanden, um sich neue Bücher zu holen und zu hoffen, dass diese ihm mehr Aufschluss geben würden als das vorangegangene. So hatte sich in der Zwischenzeit ein beachtlicher Stapel von Büchern auf dem Tisch zusammengefunden. Leider war Mana immer wieder enttäuscht worden, keines der Bücher gab wirklichen Aufschluss darüber, über die Verhaltensweisen eines Vampirs. Warum blieb ein Vampir in der Nähe eines Menschen, ohne ihm etwas zu tun und dafür einen anderen Menschen auf solch eine Art tötet. Lag es daran, dass es ein ganz bestimmter Vampir war? Unwirsch schüttelte Mana den Kopf. Laut einiger Bücher, vielleicht sogar den meisten, hielten sich Vampire in der Regel fast immer nur in der Nähe ihrer Artgenossen oder ähnlichen Wesen auf. Ausgestoßene blieben meist Einzelgänger. Sollten Vampire doch die Nähe der Menschen suchen, ginge es mehr um Beutejagd, als um Bekämpfung der Einsamkeit. Nähe zu Menschen würde das Todesurteil für einen Vampir bedeuten, da es von beiden Seiten eine gewisse Abneigung gegenüber der anderen Rasse gibt. Trotz allem soll es auch Ausnahmen gegeben haben, bei denen es zu Annäherungen kam und wodurch sogenannte „Mischwesen“ entstanden sein sollten. Auf den darauffolgenden Seiten seiner aktuellen Lektüre wurden anschließend unzählige Erkennungsmerkmale und Verhaltensauffälligkeiten aufgelistet, sowohl von diesen Blutsaugern, als auch von den Mischlingen, wie sie von manchen dieser alles wissenden Autoren genannt wurden. Einiges davon war relativ aufschlussreich, z.B. dass sich Vampire nicht gegenseitig und auch keine Mischwesen durch Gewalt aussaugen können. Doch das interessierte Mana nicht. Mit einem tiefen Seufzer erhob er sich und klopfte sich sofort sorgfältig das Gewand ab. Anschließend nahm er einige Bücher, um sie ordentlich an ihren Platz im Regal zurückzustellen. An der Tür wandte Mana sich noch einmal um und ließ den Blick prüfend im Raum umherschweifen. Nachdem er sicher war, dass alles wieder in seiner alten Ordnung war, abgesehen von den Spuren im Staub, verließ er die Bibliothek und schloss hinter sich ab. Langsam ging er den dunklen Gang entlang. An der Treppe blieb er stehen, denn von irgendwoher wehten leise Stimmen. Wahrscheinlich waren es die Dorfbewohner. Vorsichtig und darauf bedacht keine Geräusche zu verursachen, stieg er ins Erdgeschoss hinab. Dort angekommen hielt er wiederholt inne, um zu lauschen, von wo die Stimmen kamen. Danach wandte er sich in Richtung Saal, um von dort aus in die Küche zu gelangen. Der Leichnam des Mädchens sollte inzwischen beseitigt worden sein. Während Mana weiter den Gang zur Küche hinab lief, hörte er auf einmal polternde Schritte hinter sich herrennen. Der Schwarzhaarige wandte sich um und blickte ruhig zu dem Dörfler, der abgehetzt vor ihm stand. Es war ein anderer als der, der sonst immer das Wort ergriffen hatte. Er war jünger, aber wirkte vom Äußeren genauso wild und ungepflegt wie die Anderen. Ohne auf eine Reaktion Manas zu warten oder sich zu vergewissern, ob dieser ihm überhaupt zu hören wollte, fing der Dörfler an zu reden. Da er noch etwas außer Atem war, gestaltete sich seine Aussprache dementsprechend undeutlich, so dass Mana Mühe hatte ihn zu verstehen. Außerdem war seine Sprache relativ feucht, weshalb Mana noch ein paar Schritte zwischen sich und den Mann brachte, um nicht mit dessen Spucke in Berührung kommen zu müssen. Es widerte den Hausherrn regelrecht an, zu sehen wie Speichel aus den Mundwinkeln seines Gegenübers rann. Mit Mühe konnte er den aufkommenden Würgereiz unterdrücken. Angeekelt drehte er sich weg. Es war wirklich abscheulich, wie sich diese Dörfler gehen ließen. Was der Andere gewollt hatte, interessierte ihn sowieso nicht, somit ließ er ihn einfach im spärlich beleuchteten Gang stehen, um seinen Weg in die Küche fortzusetzen. _____________________________________ Knarrend schob Mana seine Zimmertür auf und trat hindurch, um sie gleich darauf wieder hinter sich abzuschließen. Seufzend lehnte er sich gegen die Tür. Die ganze Zeit hatte ihn das Bild dieses Dörflers vor seinem inneren Auge begleitet, es ließ ihn erschaudern. Alle Menschen, die er bisher hier und auch wo anders kennen gelernt hatte, widerten ihn in einem gewissen Sinne an. Mana stieß sich sanft von der Tür ab und ging auf das große Bett zu, um sich darauf niederzulassen. Vorsichtig lehnte er sich in die Kissen am Kopfende, die das eiserne und verschnörkelte Gitter am Bettende abdämpften. Gelangweilt sah er auf den roten Apfel in seiner Hand, den er sich aus der Küche mitgenommen hatte. Behutsam biss er hinein, darauf bedacht nichts von der Farbe, die seine Lippen zierte, zu verwischen. Diese Menschen, die er bisher getroffen hatte, waren alle voller Makel und Unruhe. Schönheit, Eleganz oder innere Ruhe strahlten sie weder aus, noch besaßen sie sie. Bisher hatte er so etwas nur bei einer Person vorgefunden, jedoch konnte man diese nicht als Mensch bezeichnen, obwohl es Mana am Anfang von ihr gedacht hatte. Plötzlich krachte es von irgendwoher und riss Mana somit aus seinen Gedanken. Er sah auf. Es blieb still. Mana erhob sich vorsichtig von dem Bett und ging zum Fenster, um nach draußen zu spähen. Langsam schob er die schweren Vorhänge ein kleines Stück zur Seite. Doch wie so oft war nichts zu sehen. Seufzend wandte er sich um und ging zur Tür. Ein weiteres Mal an diesem Tag verließ er sein Zimmer. Er hoffte nur, dass die Dörfler es nicht wagen würden, ihre neugierigen Nasen ins Obergeschoss zu stecken. Vielleicht war ja seine Sorge auch unberechtigt und die Dörfler hatten gar nichts von dem Geräusch bemerkt. Suchend sah er sich um. Woher war dieses Geräusch gekommen? Stirnrunzelnd bemerkte er, dass es in dem Korridor leicht zog. Kaum merklich, dennoch war der Windzug in der Nähe des Bodens spürbar. Wahrscheinlich war irgendwo ein Fenster zersprungen. Er musterte ein weiteres Mal die Türen, die den weiterführenden Gang hinter ihm säumten. Die Meisten von ihnen waren abgeschlossen, das hatte er schon beim ersten Rundgang durch das Haus bemerkt. Er wandte sich in die andere Richtung. Dort gab es nur einige wenige Durchgänge zu anderen Räumen, auf die er nun jeweils zuging. An jeder Tür fuhr er mit seinen Fingern seitlich den Türrahmen entlang, um mögliche Luftströmungen fühlen zu können. Schließlich wurde er fündig. Mana stockte. Es war Jukas Raum. Jener hatte ihm von Anfang an verboten, diesen zu betreten und da Mana sowieso kein Interesse an Sachen anderer zeigte, fiel es ihm auch nicht schwer, dem Gebot Jukas Folge zu leisten. Doch nun... irgendetwas war geschehen und Mana musste sich vergewissern, was es war. Er biss sich auf die Lippen. Etwas in ihm widersetzte sich vehement gegen den Versuch den Raum zu betreten. Anscheinend war es der Gedanke, damit Jukas Vertrauen ihm gegenüber zu verletzen. Andererseits hatte Juka vor Mana Schlimmeres geheim gehalten, was man ebenfalls als Vertrauensbruch ansehen konnte. Außerdem war er verschwunden und ob er wiederkehren würde, war fraglich. Diese Tatsache versetzte Mana einen leichten Stich. Irgendwie fühlte er sich leer, allein, obwohl sich in diesem Haus noch weitere Menschen aufhielten. Aber vielleicht lag es daran, dass es diese unvollkommenen Geschöpfe waren. Mana holte noch einmal Luft, um sich zu beruhigen, dann griff er nach der Türklinke und drückte die Tür langsam und bedächtig auf. Es war nicht abgeschlossen. Das Heulen des Sturmes kam ihm entgegen und peitschte ihm die Haare ins Gesicht. Im grenzenden Zimmer war es dunkel. Die Vorhänge flatterten im Wind, das Fenster war zerbrochen. Die Scherben lagen verstreut auf dem Boden. Schnell schloss Mana die Tür wieder hinter sich und sah sich danach im Raum um. Alles war nur schemenhaft zuerkennen. Ein großes Bett befand sich schräg vor ihm. Im hinteren Teil des Zimmers konnte Mana einen alten Schrank ausmachen und an der Wand stand etwas, das wie eine Kommode sein könnte. Der Rest verschmolz zu gleichmäßig dunklen Schatten. Vorsichtig, darauf Acht gebend nirgends drüber zu stolpern, trat Mana weiter in den Raum ein, um das Bett herum und bewegte sich auf das Fenster zu. Immer wieder schlugen die langen Vorhänge klatschend gegen die Wand. Es schien, als hätte es angefangen zu regnen. Noch einmal blickte Mana sich um, bis er schließlich vollends zum Fenster treten wollte, doch... ... unter dem Fenster lag jemand. Kapitel 8: La Transformation ---------------------------- Chapitre VIII La Transformation (Wandlung) Langsam öffnen sich seine Augen. Ohne sich zu bewegen, versuchte er etwas Bekanntes zu erkennen. Wo war er? Noch leicht benebelt schaute er sich um. Irgendwie kam ihm der Raum bekannt vor. Es war ein Schlafzimmer. Er lag auf einem schwarz bezogenen Bett, unter sich breitete sich fein säuberlich das schwarze Bettlaken aus. Neben ihm stand eine halb abgebrannte Kerze, die ihr warmes und flackerndes Licht durch den Raum warf. Die Fenster waren von langen schwarzen Vorhängen verdeckt, wie fast überall im Haus. Vorsichtig versuchte Juka sich aufzurichten, allerdings blieb es bei dem Versuch, denn sein Körper schmerzte zu stark, so dass er sich wieder zurück in die Kissen sinken ließ. Seufzend schloss er die Augen. Wie war er hierhergekommen? Müde fuhr er sich mit einer Hand durch sein Gesicht und sog die Luft ein. Ein ihm sehr vertrauter Duft breitete sich in dem Zimmer aus. Der Duft, von dem er nun schon seit fast einem Jahr umgeben war. Langsam hoben sich seine Augenlider und sein Blick wanderte zur Tür. Im Türrahmen lehnte jemand, besser gesagt die Person, der dieser Duft gehörte. „Mana...“, flüsterte Juka mehr zu sich selbst. Dieser betrat nun vollends den Raum. Sein Kleid raschelte leicht, als er hinter sich leise die Tür ins Schloss zog. Dann stand er erneut mit verschränkten Armen,bewegungslos wie eine wunderschöne Statue an die Wand gelehnt und musterte Juka aus unergründlichen Augen. Juka, der immer noch unverändert auf dem Bett lag, musste schwer schlucken. Obwohl es nur wenige Tage her war, vielleicht drei oder vier, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, wurde Juka bewusst, wie sehr er diesen Anblick Manas vermisst. Diese Art, in der er immer da stand, wenn er aus einem der Fenster blickte und draußen die Umgebung beobachtete, während er dabei in Gedanken versank. Wie oft hatte Juka hinter ihm im Hintergrund gestanden und ihn dabei beobachtet... Und jedes Mal hatte Mana ihn wissen lassen, dass er ganz genau wusste, wer ihn da betrachtete, egal, ob Juka sich zu verbergen versuchte oder nicht. Mana spürte sein Beisein meist sofort. In gewisser Weise hatte Juka dieses Wissen damals zufrieden, fast schon glücklich gestimmt. Denn unweigerlich hatte dieses Verhalten Manas Juka gegenüber eine Art Vertrauen vorausgesetzt. Doch ob er sich jetzt nach seinem Handeln noch glücklich darüber schätzen sollte, war fraglich. Denn dass er, dem Mana vertraute, eine andere Person vor dessen Augen tötete und damit wahrscheinlich sogar ausdrückte, dass ihn auch so ein Schicksal ereilen könnte wie dem Mädchen... Das konnte nicht in Manas Willen und Vertrauen gelegen haben. Diesem Vertrauen hatte der Vampir höchstwahrscheinlich mehr als nur ein paar Risse zugefügt. Es lag nahe, dass auch Verachtung daraus eine Folge war. Doch leise Worte rissen Juka aus seinen wehmütigen Gedanken. „Wieso hast du das getan?“ Jukas Kopf fuhr zu Mana herum. Keine Spur von Verachtung. Es klang eher müde und kraftlos. Was war geschehen, dass Mana solch eine Schwäche zeigte, die bisher noch nie da gewesen war...? Juka hatte erwartet, dass Mana, sollte er überhaupt mit ihm sprechen, emotionsloser klingen würde, als sonst, doch nun... Mana seufzte kaum merklich auf, wie als hätte er schon erwartet, dass keine Antwort kommen würde. Erschöpft fuhr er sich mit einer Hand über das Gesicht, bis er sich schließlich erneut mit verschränkten Armen an die Wand lehnte und kurz die Augen schloss. Vorsichtig versuchte sich Juka aufzusetzen, was er zwar auch schaffte, allerdings nicht ohne einmal scharf die Luft eingezogen zu haben. Die Schmerzen in seinem Körper hatte er schon wieder vollkommen vergessen, besonders weil er es nicht gewohnt war, irgendwelche Schmerzen zu haben. Wenn er sich mal verletzt hatte, heilten die Wunden binnen weniger Minuten, wenn nicht gar Sekunden, je nach Schwere der Verletzung. Er spürte Manas Blick auf sich ruhen, sodass er, nachdem er sich vollends aufgerichtet hatte und an das Bettende gelehnt hatte, seine Aufmerksamkeit nun ebenfalls wieder dem Anderen schenkte. Dieser musterte ihn intensiv, was Juka ein wenig frösteln ließ, bis er zum ersten Mal selbst das Wort ergriff. „Entschuldige...“ Mana zog eine Augenbraue nach oben. „Wofür?“ „Dafür, dass ich dich enttäuscht habe ...“ Mana legte kurz den Kopf ein kleines Stück schief, bis er schließlich den Kopf schüttelte. „Du hast mich nicht enttäuscht ...“ Nun war es an Juka verwirrt und fragend dreinzublicken. Mana stieß kaum hörbar die Luft aus, ehe er einatmete und im gleichen Atemzug ruhig hinzufügte. „... nicht in diesem Sinne, indem du meinst mich enttäuscht zu haben ...“ Wieder herrschte einige Sekunden Pause. Schließlich schickte Juka sich an, genauer nachzufragen. „Wie meinst du das?“ „So, wie ich es sagte.“ Mana schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand. „Dass das Mädchen unter deiner Hand starb, ist zwar für die Dorfbewohner schmerzlich, aber es ist nicht zu ändern. Außerdem wird es dich vielleicht interessieren und überraschen, dass mir die Dorfbewohner überhaupt nichts bedeuten und mich von daher ein Verlust auf ihrer Seite herzlich wenig interessiert… Es berührt mich einfach nicht und es erscheint mir als sinnlos irgendwelches Mitgefühl zu heucheln für Leute, die ich nicht einmal kenne und für die ich auch nichts empfinde, weder Verbundenheit noch Vertrauen oder ähnliches.“ Mit diesen Worten verstummte Mana schließlich und sah wieder zu Juka auf. Jener hatte diesem etwas überraschenden Wortschwall aufmerksam gelauscht. Nun zierte ein leichtes Lächeln seine Lippen. Einerseits beruhigte ihn die Aussage ungemein, dass der Tod des Mädchens Mana nicht wirklich etwas ausmachte, jedoch stellte sich nun die Frage, in welchem Sinne er Manas Enttäuschung auf sich gezogen hatte. Diese Frage verließ seine Lippen. „Es hat mich mehr verärgert, dass du nie gesagt hast, dass du kein Mensch bist.“ Er hob abwehrend die Hand, als Juka etwas sagen wollte. „Natürlich liegt es nahe, dass du zwar einem Fremden nichts sagst, aber wir leben nun mal seit fast einem Jahr zusammen in diesem Haus. Du wirst wahrscheinlich auch gemerkt haben, dass ich dem Thema Vampire nicht sehr negativ gegenüberstehe. Von daher habe ich auch nach einiger Zeit gemerkt, dass du nicht als Mensch bezeichnet werden solltest. Eine Bestätigung wäre dennoch schön gewesen. Dass du nach deiner Tat einfach verschwunden bist, war auch nicht sonderlich toll.“ „Die Dörfler hätten mich getötet und dich gleich mit, wenn sie bemerkt hätten, dass du nichts in ihrem Sinne tust!“ Mana runzelte leicht die Stirn. „Du siehst dich nicht in der Lage, dich gegenüber Menschen zu behaupten?“ Daraufhin lachte Juka trocken auf. „Doch. Natürlich sehe ich mich dazu in der Lage. Wenn du mich aber so schon fragst... ich kann dir keine Antwort darauf geben, warum ich geflohen bin. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass es in solch einer Situation normal ist, zu verschwinden, da die Wahrscheinlichkeit einer negativen Reaktion, auf eine solche Tat durchaus angebracht wäre.“ Nach einigen Sekunden des Schweigens stimmte Mana ihm schließlich zu. Juka lachte erneut leise und streckte Mana seine Hand entgegen. „Komm bitte zu mir, Mana.“, meinte er lächelnd. Nach kurzem Zögern wurde die Hand genommen, die Mana nun vor Juka auf die Bettkante hinunterzog. Jener musterte Mana sanft von der Seite, welcher den Blick nicht erwiderte und nur geradeaus in Richtung Wand schaute. Sein Profil schimmerte stolz im Flackern der Kerze. Eigentlich wollte Juka die Stille, die dieser Anblick ausstrahlte, nicht brechen, aber er wollte diese eine unbedeutend erscheinende Frage stellen, weshalb er mit gesenkter Stimme fragte: „Wie komme ich eigentlich in dein Schlafzimmer?“ Mana schwieg kurz, ehe er antwortete: „Vor einigen Stunden habe ich dich schwer verletzt unter einem der zerbrochenen Fenster deines Schlafzimmers gefunden.“ Nach kurzer Bedenkzeit fuhr er fort. „Deine Wunden wollten nicht heilen.“ Jukas Brust entkam ein Seufzer. Er hatte schon lange bemerkt, dass die Verletzungen nicht so verheilten wie sonst, denn sein Körper tat merklich weh. Er richtete sich weiter im Bett auf, um so federleicht über Manas Haut streichen zu können. Der Andere bedachte ihn jedoch ausschließlich mit einem kurzen Seitenblick, dann saß er wieder angespannt da. Juka ließ sein Finger über Manas Nacken streifen, während er wieder das Wort ergriff. „Weißt du, Mana, an dem Tag, als wir uns das erste Mal trafen, war ich schon fasziniert von dir.“ Seine Finger glitten über die weiche und kühle Wange. „Die Art, wie du lebst, wie du dich bewegst und dich gibst...sie passt so wenig zu einem Menschen...“ Mana erstarrte merklich unter seinen Berührungen. „Jedes Mal, wenn ich dich beobachtet habe, hast du mich sofort bemerkt, was eigentlich unmöglich ist...zumindest für einen einfachen Menschen...“ Juka hielt kurz in seinen Berührungen inne, um näher an Mana zu rutschen und dann fortzufahren. Seine Finger fuhren behutsam über den Hals bis hin zur Schulter Manas. „Um ehrlich zu sein...als ich das erste Mal deine Anwesenheit in diesem Haus spürte, dachte ich, du wärest irgend so ein törichter Mensch. Es wunderte mich, dass du als Fremder den Weg hierher unbeschadet überstanden hattest und nicht schon vorher von den anderen Vampiren in Stücke gerissen wurdest.“ Jukas eine Hand legte sich von hinten vorsichtig um Manas Schulter, während die andere auf der anderen Seite weiter mit der weichen Haut des Halses spielte. Jukas Stirn legte sich sanft in die sich unter ihm befindende Halsbeuge. Genüsslich roch er an Manas Haut und prägte sich seinen Duft regelrecht ein. Eine leichte Gänsehaut ließ Manas Körper erzittern. Mit leiser Stimme fuhr Juka fort. „Und natürlich hatte ich auch Hunger. Doch leider scheint dein Blut zu wertvoll, denn ich konnte dir noch nicht mal nahe genug kommen, um auch nur ansatzweise zu versuchen von deinem Blut zu kosten. Das fand ich allerdings etwas schade...“ „Ich weiß.“ Der sanfte Hauch der Worte ließen Juka aufblicken und kurzweilig in Manas Gesicht sehen, der den Kopf für einen kleinen Moment in Jukas Richtung gedreht hatte. „Ich habe es bemerkt...einige Male sogar... deine Versuche schlugen fehl, oder?“ Der Angesprochene musste bei diesen Worten schmunzeln. Leise murmelte er ein „Ja, habe ich...doch du hast es nicht zugelassen, oder?“, gegen den Hals des Anderen. Mana spürte sanfte Küsse die seinen Hals hinab glitten. Schlagartig saß er stocksteif da. „Würdest du es jetzt zulassen?“ „Wieso mein Blut?“ „Du sagtest doch, meine Wunden wollen nicht recht heilen...Die Wahrscheinlichkeit, dass Wunden, die durch Silber zugefügt wurden, wie Ukashi es gern verwendet, überhaupt heilen, ist gering. Allerdings beschleunigt Blut der eigenen Linie die Heilung wieder...“ Nach einem kurzen Moment des Schweigens fügte Juka hinzu: „Würdest du mir helfen wollen?“ Mana spürte die Bitte hinter dieser Frage, woraufhin er mit einem kaum erkennbaren Nicken sein Einverständnis mitteilte. Juka seufzte leicht auf und Mana spürte deutlich, wie sich ein mildes Lächeln über die Züge des hinter ihm Befindenden stahl. „Wirklich?“ Mana schwieg einfach. Eine Antwort war überflüssig. Er hörte das Rascheln eines Gewandes und wenig später ein Lachen. „Wie du meinst. Aber dann gehörst du mir...“ Bevor Mana überhaupt noch etwas sagen konnte, spürte er den Atem des Anderen an seiner Halsbeuge und gleich darauf ein kurzes schmerzhaftes Ziehen. Die Hand auf der anderen Seite, die ihn beruhigend über die Haut streichelte, bemerkte er kaum mehr. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihm breit, als ob er schweben würde. Alles kam ihm so unwirklich vor. Mana spürte seine Glieder kaum mehr. Sein Blick war leer geworden, der sich um ihn drehende Raum begann leicht unscharf zu werden und ging mehr und mehr in einer Art Schleier unter. Als er nach hinten umkippte, fing ihn Juka auf und schloss ihn schützend in seine Arme. Die sanfte Zunge, die noch ein letztes Mal über die Wunde glitt, nahm er schon gar nicht mehr wahr. Juka zog den Bewusstlosen gänzlich auf das Bett, dann legte er ihn behutsam hin und ordnete seine Kleider. Lächelnd strich er Mana einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er streckte sich neben ihn aus und stützte sich auf einem Arm ab, um weiterhin das friedliche und schlafende Gesicht neben ihm beobachten zu können. Von irgendwoher hörte er stampfende Schritte, doch es interessierte ihn nicht. Diese Geräusche zogen an ihm vorbei. Sanft strich er mit seinen Fingerkuppen Manas ebenmäßiges Gesicht entlang. Es war kühler als vorher. Diese Erkenntnis ließ ihn mild lächeln. Er würde so werden wie er. Dieser Gedanke faszinierte ihn. Er würde ihm gehören und Mana schien auch nichts dagegen zu haben. Die Tür schlug krachend auf. Ein Dörfler stand in dieser, einige andere hinter ihm, ihr Gestank wehte in das Zimmer hinein. „Verzeihen Sie die Störung, aber es ist dringend. Die Vampire si...!“ Endlich schien dieser Störenfried bemerkt zu haben, dass sich Mana nicht allein im Raum befand. Der Dörfler stockte und riss die Augen auf. Gespenstige Stille trat ein, allerdings nur kurz, denn gleich darauf wurde durcheinandergeschrien und gebrüllt. Mussten diese Menschen immer so laut sein, ging das nicht auch leiser? Bevor sich Juka noch weitere Gedanken über das seltsame Verhalten der Menschen machen konnte, wurde Mana aus seinen Armen gerissen, während er unsanft vom Bett gezerrt wurde und von irgendwelchen Dörflern gegen eine Wand gedrückt wurde. Irgendwer trat ihn, doch das war ihm egal. Sein Blick hing wie gebannt an Mana fest, der soeben auf die andere Seite des Bettes gelegt wurde und von irgendwelchen Frauen berührt wurde. Wut stieg in dem Vampir auf. Wie konnten diese dreckigen Menschenweiber es nur wagen seinen Engel anzufassen?! Was taten sie so besorgt, dabei kannten sie den Schwarzhaarigen noch nicht einmal. Sein Körper zitterte vor Zorn. Die Frauen riefen etwas. Gleich darauf traf ein Faustschlag sein Gesicht. Tiefrotes Blut tropfte zu Boden, aber nur wenig, denn die Wunde begann sich bereits schon wieder zu schließen. Wütend wandte Juka seine Aufmerksamkeit demjenigen zu, der ihn geschlagen hatte. Dieser Jemand, ein älterer bärtiger Dörfler, schrie ihn ohne Unterbrechung an, faselte irgendetwas, das klang wie: „Du hast ihn umgebracht!“, „Elendiges Vampirpack“ Schon nach kurzer Zeit schalteten Jukas empfindliche Ohren ab. Sollte der Kerl doch reden. Ein wenig leiser wäre besser, denn taub war schließlich hier keiner. Es war sowieso immer das Gleiche, immer wieder kamen die gleichen Anschuldigungen. Zwischendurch traten ihn die Männer einige Male in die Seite. Dass er sie ohne viel Mühe hätte töten können oder ihnen entfliehen könnte, ließ er sich nicht anmerken. Mit gesenktem Kopf versuchte er seine Wut zu unterdrücken. Eigentlich wollte er nur Mana sicher wissen und zwar an seiner Seite. Auf einmal wurde es leiser, fast schon still. Irgendetwas schien die Aufmerksamkeit der Dörfler auf sich gezogen zu haben. Noch bevor er sah, was es war, wusste er es. Mana saß kerzengerade auf dem Bett, noch blasser als zuvor und den Dörflern verachtend entgegen blickend. Die Frauen, die vorher um ihn herum gehockt hatten, waren nun erschrocken zur Wand neben den Fenstern zurückgewichen, manche krabbelten erbärmlich von Panik getrieben zu ihren Gefährten. Manas eiskalter Blick glitt über die erstarrten Gesichter der Dörfler. Ihnen schien es langsam zu dämmern, dass der Schwarzhaarige anders war als sie. Wobei… Menschen waren zu dumm, um Sachen schnell zu erkennen und zu begreifen. Immer noch bewegte sich keiner, auch wenn Jukas kaltes Herz im Inneren vor Freude hüpfte, ließ er sich doch nichts anmerken. Doch auch dieser Moment, der so lang schien und doch nur wenige Sekunden gedauert hatte, verging. Das Klirren von Glas war zu vernehmen. Wenige Zimmer entfernt war ein Fenster zu Bruch gegangen. Unten im Erdgeschoss brach Panik aus. Auch im Obergeschoss fingen sich die Dörfler langsam wieder. Es krachte. Scherben flogen durch die Luft und prasselten auf die geschockten Dorfbewohner nieder. Die Frauen kreischten los, versuchten verzweifelt ihre Gesichter mit den Händen vor den herumfliegenden Scherben zu schützen. Die Männer brüllten, einige rannten auf die Frauen am Fenster zu, um sie fortzuzerren. Jukas Bewacher gehörten zu ihnen. In Mitten des Scherbenregens schossen kleine schwarze Körper durch die Lücken herein und stürzten sich sofort auf die am nächsten stehenden Opfer, um sie sofort hemmungslos ihres Blutes zu berauben. Juka trat inmitten des ganzen Chaos auf das Bett zu und beugte sich zu seinem Engel hinunter. „Komm.“ Mit diesen Worten hielt er Mana seine Hand entgegen, der sie mit einem kurzen Blick in Jukas Gesicht nahm und sich vom Bett ziehen ließ. Der Größere legte einen Arm am Manas Hüfte, um ihn besser stützen zu können, da dieser durch den Blutverlust noch etwas geschwächt war. Zusammen gingen sie zum Fenster. Wenige Augenblicke später ließen sie sich in die Tiefe der Nacht fallen. ________________________________________ „Sie entkommen!“ Die Stimme des bärtigen Dörflers ging in den Hilfeschreien der Anderen und dem Kampfgetümmel unter. Er merkte, dass dies jetzt nicht mehr so wichtig schien. Verzweifelt drehte er sich im Kreis, um vielleicht noch eine Fluchtmöglichkeit zu entdecken. Doch es war bereits zu spät. Er spürte, wie sich etwas an seinem Hals vergrub. Vor Panik schreiend schlug er danach. Gleichzeitig sah er aus dem Augenwinkel, wie weitere kleine Schatten auf ihn zu geschossen kamen. In Todesangst trat und schlug er um sich, versuchte die Biester auf diese Art und Weise abzuwehren. Ein Fehler. Er stolperte über etwas weiches und ging zu Boden. Das Letzte, was er wahrnahm, war eine Wolke aus unzähligen kleinen, schwarzen Körpern um ihn herum. Höllische Schmerzen breiteten sich in seinem Körper aus. Ihm war, als würde sein Schädel bersten. Dann wurde es finster. Epilog: épilogue ---------------- Epilog Epilog Leise knackte es unter ihren Füßen, als sie die kleine Anhöhe erreichten. Langsam drehten sie sich um. Ihre Blicke glitten über das Szenario, dass sich unterhalb von ihnen abspielte. Der Feuerschein reichte bis zu ihnen hinauf. Das alte, ehemals ehrwürdige Herrenhaus brannte. Gierige, rote Zungen leckten über poröse Fassade und suchten nach neuer Nahrung. Schreie hallten durch die kühle Nacht. Kleine schwarze Körper schossen durch die Luft, stürzten sich immer von neuem auf ihre Opfer, von denen sich einige verzweifelt versuchten zu retten, indem sie blindlings in den Wald hinein rannten. Doch auch sie blieben nicht verschont. Ihre gepeinigten Schreie zeugten davon. Manchmal mischte sich auch ein gehässiges Gelächter und Gekicher in den Chor aus dem Knistern und Klagelauten. Es krachte. Das Obergeschoss des Hauses war zusammengebrochen. Die Schreie nahmen ab und waren nur noch vereinzelt zuhören. Es wurde merklich ruhiger. Nur das Prasseln des Feuers und das Rauschen von Flügeln und des Windes überdeckte die Stille. Den hungrigen Klauen der Vampire war keiner entkommen. Diese Gegend im Inneren Rumäniens würde wohl für mehrere Jahrzehnte menschenleer bleiben, bis sich die Menschen vielleicht wieder erholt haben würden, um einen erneuten Kampf um ihr altes Territorium zu wagen. Wer der Sieger dieses möglichen Kampfes sein würde, war zum jetzigen Zeitpunkt fraglich. In einigen Jahrhunderten könnte sich vieles verändern. ______________________________________ Seufzend wandte sich Juka vom Geschehen ab. Kurz wanderte sein Blick zum nachtschwarzen Himmel, bis er schließlich die Person neben sich erreichte. Sanft lächelnd musterte er die ebenmäßigen Gesichtszüge Manas, in denen sich keinerlei Reaktionen widerspiegelten, während dieser das Geschehen unter sich beobachtete. Behutsam glitt er mit den Fingern über Manas blasse Wange, der sich daraufhin zu ihm wandte und ihn mit einem leicht fragenden Blick bedachte. Juka schenkte ihm ein besänftigendes Lächeln, bevor er sich zu ihm beugte und ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn gab. Als er sich löste, strich er noch einmal über Manas glatte und kühle Haut, bis er letztlich einen Arm um dessen Taille legte und ihn an sich zog. „Lass uns gehen...“ Ein kaum merkliches Nicken an seiner Schulter kam als Bestätigung. Ohne noch einmal zurückzublicken, verschwanden sie im Dunkel der Nacht. Die Wolkendecke riss ein Stück auf und der Mond tauchte die Landschaft in sein silbernes Licht. Epilog - Ende ~~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~†~~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)