Clinging to habits von Tsutsumi ================================================================================ Kapitel 6: Eiskalt ------------------ Titel: Clinging to habits Teil: 6/7 Autor: Tsutsumi Disclaimer: Alle Charaktere aus Yu-Gi-Oh!, die ich hier benutze, gehören nicht mir. Ich leihe sie mir nur aus und gebe sie hoffentlich unbeschädigt zurück. Ebensowenig verdiene ich Geld hierfür. Pairing: Tristan x Joey Kommentar: Diese FF hier ist die Antwort auf Rei17´s und Maddles Päckchenchallenge "7 Angewohnheiten" vom "Challenge"-Zirkel hier auf Animexx. Ich hoffe, ich kann sie gebührend beantworten^^ Warnung: sappy, Shounen Ai Eiskalt Jemand hat mein Gehirn ausgeschaltet. Ich wandle durch schwarze Schleier in meinen Träumen. Das ist nicht metaphorisch gemeint, nein; es sind wirklich Schleier. Schwarze Schleier, Samtvorhänge mit Kordeln, Theatervorhänge, Kinovorhänge... Pausenlos laufe ich hindurch, nur um durch noch weitere zu gehen. Gardinen passiere ich ebenso wie Türvorhänge. Es ist seltsam. Zwei-, dreimal spüre ich Bewegungen an mir, ohne richtig aufwachen zu können. Dann nehme ich ein Schlucken wahr und Stimmen, die durch all meine Verwirrung und unendliche Erschöpfung klingen. Etwas Flüssiges rinnt meine Kehle hinunter, erst dann bemerke ich, dass das Schlucken zuvor mein eigenes war. Es ist, als ob mein Bewusstsein nur mit den Fingerspitzen an der Realität tastet und dann gleich wieder abtaucht. Der Schlaf ist unbarmherzig. Die Träume nehmen überhand, ich spüre, wie ich selbst schon mit Gewalt aufwachen will. Doch eine seltsame, ungekannte Macht steckt in mir. Wie Dornröschen schlafe ich dahin. Vollkommen erschöpft. Als wäre ich gestorben. ~~~*~~~ Dann, als ich aus der Ohnmacht erwache, ist es kalt. Trotz Bettdecke, in die mich irgendwer eingewickelt hat. Trotz der Kissen, in denen ich liege, die ich mit meinem verräucherten, ekligen Geruch eingestunken habe. Nur ganz langsam kann ich die Augen öffnen. Das Licht sieht alt aus. So muss sich ein Mensch fühlen, der aus dem Koma erwacht. Alles ist bekannt- und doch so fremd. Die Lichtstrahlen, die beim ersten Blinzeln blenden, die dir zeigen, dass du dich gerade von einer Welt in die andere bewegt hast. Das ist der Moment, in dem man überlegt, welche dieser Welten die realere ist. Dann beginnt man zu fühlen. Die Finger, Arme, Beine erspüren die Umgebung. Und schließlich zerrt das Bewusstsein das Herz hinterher, die Seele, die bis dahin vielleicht in Träumen steckte. Ich trete durch den letzten Vorhang. „Na, endlich aufgewacht?“ Als ich aufsehe, bemerke ich das Gewicht an der Seite des Bettes und das Gesicht meiner wahrscheinlich inzwischen einzigen Freundin. Und ich bin irgendwie so unendlich erleichtert, dass ich nicht ganz allein bin. „Ist okay, lass dir Zeit.“ Tea lächelt sanft. Neben mir auf dem Nachttisch tickt altbekannt mein Wecker. Doch allein den Kopf zu wenden und nach der Uhrzeit zu sehen ist ein einziger Akt der Verzweiflung für mich. Die hämmernden Kopfschmerzen sind wieder da- und schlimmer denn je. „Es ist halb acht, falls du das wissen möchtest.“ Sie hat ja schon richtig Schwesternmanier, stelle ich erstaunt fest. Professionell wickelt sie meinen schwitzenden Körper aus der Decke. Irgendjemand hat mir Jeans, Schuhe und T-Shirt ausgezogen. Ich setze mich ganz langsam auf. Langsam genug, um vom aufkommenden Schwindel nicht wieder ausgeknockt zu werden. „Abends halb acht?“, ächze ich erschöpft. „Scheiße...“ Tea rutscht ein bisschen näher, schiebt mir Bettdecke bis zur nackten Brust hoch. Und auch wenn ich noch nicht ganz da bin, ich habe ihren sorgenvoll schweigenden Ausdruck in den Augen schon längst gesehen. „Hier, trink mal!“, befiehlt sie mir mit routinemäßiger Stimme. „Du bist nämlich total ausgetrocknet.“ Kein Wunder, dass das Licht so alt aussieht. Die Sonne steht schon ganz tief, zerfließt in der Silhouette der Häuser der Stadt. Die Amseln schreien auch schon. Und über allem thronen ein paar Federwolken, die das warme Sommerwetter über das Land tragen, als stumme Zeugen. Ich habe über zwölf Stunden geschlafen. „Seht mal, wer wieder unter den Lebenden weilt!“ Wie ein Ausstellungsstück präsentiert Tea mich den anderen, als sie mir ein weißes T-Shirt überhilft und mich ins Wohnzimmer schiebt. Völlig verdutzt bleibe ich stehen. Nein, vielmehr möchte ich mich eigentlich umdrehen, wieder zurück ins Bett taumeln und einschlafen. Auf der kleinen, vollgekrümelten Couch stapeln sich Joey, Yûgi und Serenity. Viel schlimmer hätte es nicht kommen können. Obwohl, hätten sie Kaiba mitgebracht... Die drei machen Riesenaugen als sie mich sehen; als wäre ich irgendein Weltwunder oder ein Bild von Dali, an dem man zuerst erschreckt, weil es so komisch aussieht, bis man zu interpretieren beginnt. Nun, der Zeitpunkt ist günstig für sie. Für uns alle eigentlich. Denn jetzt können sie mich, schwächlich und kränkelnd wie ich bin, bei der Gelegenheit gleich zusammenschlagen. Besonders Yûgi und Serenity. Joey könnte noch oben drauftreten und dann räumt Tea meine sterblichen Überreste weg. Pragmatisch, praktisch, gut. Wortlos stehe ich da und schäme mich. Dafür, dass hier drei Leute sitzen, von denen ich zwei wie Dreck behandelt habe. Dafür, dass ich mich Joey so präsentieren muss. Dafür, dass Tea mich bemuttern muss. Dafür, dass ich stinke und furchtbar aussehe. Warum nur sind die alle hier? Eine Eiseskälte durchfährt mich. „Es geht dir gut, was für ein Glück!“, quietscht Serenity, dass es mir in den gefolterten Ohren dröhnt. „Da muss ich dir gleich einen Tee machen!“ Ihre langen Haare fliegen vergnügt mit als sie hochspringt und in die Küche flitzt. „Warte, lass mich dir helfen!“, ruft Yûgi leise. Er strahlt direkt, als er sich an mir umständlich vorbeischiebt, mich anlächelt- mit diesem furchtbar erleichterten Blick- und mir vorsichtig auf die Schulter tastet. Und ich verstehe die Welt nicht mehr. Habe ich die letzten beiden Tage etwa nur geträumt? Habe ich mir lediglich eingebildet, Serenity stehengelassen und Yûgi beschimpft und geschubst zu haben? Stimmt meine insgeheim ausgeheckte Theorie mit einem Paralleluniversum am Ende doch? Oder gehen die jetzt nur in die Küche, weil sie jetzt endlich das Öl heißmachen können, welches sie nachher über mir auskippen wollen? Regungslos starre ich den beiden hinterher, mit offenem Mund und wenig intelligentem Blick. Beinahe verzweifelt schon sehe ich Tea an, stumm, mit dieser nonverbalen Frage: `Was zum Teufel ist hier los?´ Vielleicht kommt gleich einer mit der versteckten Kamera heraus und ich laufe demnächst im Fernsehen, mit wüsten Haaren, dreckigen Shorts und kalkweißem Gesicht. So total verdutzt bin ich, dass ich Joey so spät so nahe an mir bemerke, dass ich erschreckt aufkeuche. Seine braunen Augen sind ganz ernst und verschlossen. Es ist seltsam, diese verdrehten Rollen. Sonst war ich doch immer der Vernünftigere von uns beiden und habe ihm Vorträge gehalten über das, was er zu tun und zu lassen hat. Sonst habe ich doch immer diesen besorgt-tadelnden Blick im Gesicht gehabt. Nicht er. Langsam und bestimmt fühlt er sich an, als er mich einfach in seine Arme zieht. Das ist so ungewohnt, dass mein Herz zu rasen beginnt, dass ich geradezu Schweißausbrüche bekomme, erbebe wie so ein kleines Schulmädchen, wenn sein Lieblingslehrer ihm mal zuwinkt. Und Joey ist so wunderbar warm. Seine Haut riecht sonnengebadet, seine Haare nach diesem Rosenduft-Shampoo, welches er nie zugibt zu benutzen. Ich muss die Augen schließen, um diesem Moment überhaupt gerecht werden zu können. „Mach so was nie wieder!“ Seine Stimme ist genauso ernst wie sein Blick. Und seine Arme, seine Hände liegen schon beinahe zärtlich auf meinem Rücken, meinen Schulterblättern. „Das Zeug hätte dich vielleicht sogar umgebracht, wenn du noch lange so weitergemacht hättest!“ Mein Kopf dröhnt so sehr, so furchtbar. Ein Schwindelanfall jagt den nächsten. Er hat ja recht. Genau genommen hat Joey immer recht. Was für ein Freund bin ich denn, wenn ich mich genauso beschissen verhalte wie sein Vater? Ganz bestimmt stinke ich nach Bier; und trotzdem hält er mich, weil er so froh ist, dass ich noch da bin. Und diesem Augenblick fällt es mir wieder ein, wie eine Gedächtnislücke, die sich von allein wieder schließt. Mein Herz überschlägt sich geradezu so dass es wehtut. In der letzten Nacht habe ich ihn geküsst. „Es tut mir Leid!“, murmele ich und höre, wie Tea so diskret ist und das Zimmer verlässt. „Tut mir wirklich Leid, Joey!“ Das Maß ist voll. Hier und jetzt. Ich bin so wahnsinnig erschöpft. Nicht nur von den Drogen; auch davon, immer den verständnisvollen, lieben Kerl zu spielen, der keine Bedürfnisse hat. Mein Zement-Grinsen tut weh, wenn ich es ziehe. Meine Gedanken sind nun mal voll mit Gehässigkeiten, mit dunklen Seiten. Ich kann nicht mehr so tun, als wäre alles eitel Sonnenschein. Müde und kraftlos lasse ich meinen Kopf auf Joeys Schulter sinken. Es kommt bestimmt nicht oft vor, dass Männer aus Frustration und zum Stressabbau heulen. Aber ich bin gerade der lebende Beweis dafür, dass es das auch gibt. Und selbst wenn ich die einzige Memme bin, die so was tut, ich habe keine Gedanken mehr dafür übrig, mich deswegen minderwertig zu fühlen. Wortlos lasse ich heiße Tränen laufen. ~~~*~~~ Später, beim gemeinsamen Essen erfahre ich, dass sie sogar einen Arzt geholt haben. Dass Joey ständig die Hand über meine Nasenlöcher hielt um zu prüfen ob ich noch atme. Das haben wir zusammen im Erste-Hilfe-Kurs in der Schule gelernt, das weiß ich noch. Serenity soll wohl alle verrückt gemacht haben, immerzu mit dem Telefon in der Hand, bereit, die Notrufnummer zu wählen. Ich kann mir das Chaos richtig vorstellen. Während sie eine Horrorgeschichte nach der anderen auspacken, möchte ich zwischenzeitlich am liebsten in der Tomatensuppe versinken, die Tea und Serenity gekocht haben. Ich schäme mich entsetzlich. Scheinbar übertreibe ich, wenn ich mal über die Stränge schlage, immer gleich. Inzwischen ist mir klar geworden, dass ich heute Nacht in der Disco nichts anderes war als ein sabbernder, wild um sich schlagender Idiot. Kein Wunder, dass ich ständig geschubst wurde. Mich hat auch niemand angelächelt, das war wahrscheinlich ebenso Drogentrip-Nebenwirkung wie die Farben und die sichtbaren Töne. An das Schlimmste von allem allerdings möchte ich gar nicht denken. Wahrscheinlich war das im Rausch nur eine Frage der Zeit. Wie oft hört man Frauen, die sich an jeden Kerl schmeißen, wenn sie breit oder betrunken sind; wie oft finden sich heterosexuelle Kerle am Morgen danach neben einem Mann wieder? Einen Moment grübele ich, ob mir das Küssen im Normalzustand wohl auch gefallen hätte. „Dann haben wir dir zwischendurch Wasser eingeflößt“, erählt Tea munter über dem Rest ihrer Suppe. „Ich wette, du hast vorher noch nie im Schlafen getrunken!“ „Wenn das denn Schlafen war!“, ergänzt Serenity besorgt. „Ich glaube ja eher, es war eine Ohnmacht!“ „Kann man denn stundenlang ohnmächtig sein?“, mischt sich Yûgi ein. „Unsinn! Hast du schon mal einen trinkenden Ohnmächtigen gesehen?“ Wie gut, dass Tea wenigstens einen kühlen Kopf bewahrt. Wir sitzen beieinander und reden ohne Unterlass. Worüber weiß ich später gar nicht mehr. Es sind so belanglose Sachen, dass sie einem sofort wieder entfallen. Das Wetter. Neue Spiele. Gerüchte über Leute in der Schule. Wir machen allesamt einen Riesenslalom um all das, was hier so furchtbar präsent ist, dass es mir halb die Kehle zuschnürt. Dass ich gestern breit war und einen ganzen Tag dehydriert im Bett rumlag. Dass ich mich einfach nicht überwinden kann, Yûgi und Serenity vor allen um Entschuldigung zu bitten, zumal die beiden den anderen scheinbar kein Wort erzählt haben. Sonst wäre Joey vorhin bestimmt nicht so nett zu mir gewesen. Draußen ist die Sonne längst untergegangen. Es ist als ob die Zeit dahin rast; ich bin darauf gar nicht eingestellt. Eben noch habe ich mich klasse gefühlt und mit Farben und Formen getanzt. Eben noch war da dieser schmierige Kerl, der unter seiner Lederjacke bunte Pillchen mit durchschlagender Wirkung verkaufte. „Ich bringe Serenity nach Hause.“ , sagt Joey irgendwann, nachdem er alle meine Salzstangen aufgegessen hat. Gut, dass ich die noch irgendwo ganz hinten im Küchenschrank gefunden habe. Ganz aufgetaut ist mein Freund die gesamte Zeit hinüber nicht. Sicherlich hat er wie immer seine Witzchen und Späße getrieben, versucht, Yûgi Salzstangen in die Nase zu stecken und Tea beinahe heißen Tee über den Schoß gegossen. Doch der verschlossene Ausdruck bleibt bis zuletzt in seinen Augen. Sogar bis zu dem Moment, in dem wir beide im Türrahmen stehen und uns eigentlich die Hände zum Abschied reichen. Das macht mir Angst. „Hey, trödel nicht so rum, Serenity!“, treibt er seine Schwester an. „Mama schimpft wieder, wenn ich dich zu spät zu Hause abliefere!“ Er grinst sie schelmisch an, weil sie nicht schnell genug ihre feinen Schuhe mit den scheinbar tausend Schnürchen, Schnällchen und Bändchen zukriegt. Und er lehnt locker am Türrahmen, während ich mich, ungewohnt schüchtern, an der Tür festhalte, als gälte es, mich vor Joey zu schützen. Er legt eine Hand auf meine Schulter; „Und dass du es ja nicht wagst, morgen in der Schule zu erscheinen. Du musst dich ausruhen!“ „Ach was.“, winke ich schnell ab. „Das Bisschen! Das wird sicher geh-„ „Nein!“, fällt er mir ins Wort. Seine Stimme ist fest und beinahe hart und als ich ihm in die Augen blicke, steht die Finsternis wie zusammengezogene Wolken darin. Oh nein. Er ist sauer. „Schone deinen Körper, Tris´! Den hast du schon genug bestraft.“ Bei jedem anderen hätte ich wahrscheinlich Theater gemacht; hätte gesagt, dass es wirklich nicht so schlimm ist, dass es gehen wird, ich nichts vom Stoff verpassen will. Doch gegen Joey habe ich keine Chance, nicht einmal den Hauch einer Chance. Er kennt mich eben doch noch wie seine Westentasche. All meine Macken, meine Komplexe. Sie sind ihm noch immer allgegenwärtig. Das beruhigt mich irgendwo und macht mir zugleich Angst. Weil ich plötzlich vermute, dass er mehr über mich weiß als ich selbst. Ja. Bestimmt weiß er schon die ganze Zeit was mit mir los ist, während ich noch immer im Dunkeln tappe. Er war im Puzzeln schon immer besser als ich. Als Tea, Joey und Serenity gegangen sind, ist es plötzlich so still in der Wohnung, dass ich Angst bekomme. Eigentlich will ich nur zurück auf die Couch, es mir bequem machen, doch mit einem Mal zittere ich am ganzen Körper wie so ein elender Hund im Schneesturm, den man vor´m Supermarkt angeleint hat. „Hier, das hilft bestimmt!“ Yûgi legt mir eine Decke um die Schultern, in die ich mich so bereitwillig einkuschle, dass ich direkt gegen den weichen Stoff bebe. Unglaublich so ein Turkey. Nennt man das so? Ich kann nicht verstehen, wieso Leute so abhängig von diesem Teufelszeug werden können. Zwei Stunden Paradies für zwölf Stunden anschließender Hölle. Aber vielleicht denke ich auch nur so, weil ich die Dinge, die ich im Rausch getan habe, so bereue. „Danke, Yûgi.“, presse ich leise zwischen den Zähnen hervor. Ich fühle mich so dreckig und mies ihm gegenüber. Es ist beinahe elf Uhr dreißig und er hat bis eben trotzdem in meiner Küche das Geschirr abgewaschen. Er hat diese wahnsinnige Engelsgeduld, diese unnormale, enorme Sanftmut, mit der er Tiger zum Weinen bringen könnte. Gestern noch hat mich das in den Wahnsinn getrieben. Doch heute ist das wie Balsam auf meiner verwirrten Seele. „Warum bist du hier?“ , frage ich schließlich in die Ruhe hinein. Das einzige Geräusch ist ein leises Schlürfen, wenn wir unsere heißen Teetassen ansetzen und vorsichtig kleine Schlückchen nehmen. „Wie meinst du das?“ Mit großen Augen guckt er mich an. „So wie ich es sage.“, raune ich ungeduldig. „Du bist hier und spülst mein Geschirr, obwohl ich dich gestern wie den letzten Dreck behandelt habe. Das versteh ich nicht!“ Mir fällt wieder dieser blöde Satz ein, den ich ihm gestern zum Abschied an den Kopf geknallt habe. Von wegen, dass es besser gewesen wäre, ihn doch mal wieder zu verhauen. Ich gebe zu, gestern habe ich das ernst gemeint. Aber jetzt, wo ich scheinbar den allertiefsten Punkt meines Lebens erreicht habe, tut es mir zutiefst Leid. „Naja...“ Yûgi blickt liebevoll in den trüben Tee in seiner Tasse. „Du bist eben mein Freund. Um Freunde kümmert man sich, besonders, wenn es ihnen nicht gut geht.“ Eigentlich hätte ich gleich mit so etwas rechnen können. Aber jetzt kann ich gar nicht genervt sein von dem, was er sagt. Mir geht es viel zu beschissen, und mich plagen viel zu große Schuldgefühle. „Yûgi...ich hab gesagt, dass ich dich gern verhauen würde.“, versuche ich, dem auf den Grund zu gehen. „Hat dich das kein bisschen verbittert gemacht? War es vorhin kein bisschen Genugtuung für dich, mich sabbernd und halbtot rumliegen zu sehen?“ Mit dem Daumen deute ich über meine Schulter in Richtung Schlafzimmer. „Du hättest mir in den Arsch treten können und hast es nicht getan!“ Ich grinse und knuffe ihn zärtlich von der Seite an. „Du hast eine einmalige Chance verpasst, Yûgi Muto!“ Jetzt schaut er mich direkt an, mit seinem bezeichnenden traurigen Lächeln, welches einem sagt `Ich weiß genau was mit dir los ist und werde dir das jetzt haarklein offenlegen.´ Das könnte mich noch immer auf die Palme bringen. Eigentlich. „Weißt du, Tristan...“, beginnt er mit heller Stimme. „Ich fürchte, wir kennen uns nicht gut genug, auch wenn wir Freunde sind. Ich weiß, dass ich auf jeden einen Eindruck mache, altklug und erhabener zu sein. Was soll ich sagen, ein Geburtsfehler vielleicht, so wie andere manchmal zu kurze Finger haben oder ein Chromosom zuviel.“ Ich mache große Augen. Hätte nie damit gerechnet, dass er das so sieht. „Ich hab schon mal versucht, cooler zu sein. So wie du. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass Joey mich genau so mag, wie ich bin. Mit all der Dramatik, mit meinem Hang zu großen Reden und mit meiner Gestik und Mimik, die manche Leute in den Wahnsinn treiben. Ich will niemandem altklug kommen, ich meine das nicht arrogant, ganz und gar nicht.“ „Moment mal!“, unterbreche ich Yûgi in seine verzweifelten Rechtfertigungen. „Du wolltest so sein wie ich?“ Der Kleine nickt. „Na klar. Joey hatte immer dich an seiner Seite. Es gibt viele Dinge, für die er dich bewundert. Du bist die Kraft, die ihn in schweren Zeiten trägt. Das könnte ich niemals allein tun.“ Irgendwo rutscht in meinem Brustkorb gerade etwas herunter. Vielleicht wieder mein Herz. Es puckert ganz aufgeregt. „Und trotzdem mag Joey mich,“, fährt Yûgi fort. „Das ist nämlich der springende Punkt.“ Er rutscht mir ein Stückchen entgegen, die Couch ächzt, alt wie sie ist, dumpf. Manchmal habe ich das Gefühl, sie führt ein Eigenleben. Manchmal verschluckt sie auch Sachen wie Socken, Korken, Flaschenöffner und Haushaltsgummis. Davon wird ihr aber irgendwann schlecht und beim nächsten Saubermachen muss ihr das alles operativ entfernen. Trotzdem ist es eine gute Couch. Ich sehe Yûgi an, dass er mich am liebsten bei den Schultern fassen möchte, um eindringlicher mit mir zu reden. Doch er lässt es bleiben. „Tristan“, raunt er; „Joey hat niemals vorgehabt, dich abzustoßen und durch mich zu ersetzen.“ Autsch, das tut weh. Es ist nicht besser geworden seit gestern. Mein Kopf hämmert wie blöde. Am liebsten würde ich Yûgi jetzt ganz weit wegschieben und mich krümmen. Aber ich fühle mich viel zu erschöpft, um überhaupt zornig zu sein. „Mag sein, dass er etwas ungeschickt darin ist, dir entgegen zu kommen.“, fährt Yûgi fort. „Dich immer nur zu Spieleconventions zu schleppen ist vielleicht der falsche Weg. Wahrscheinlich versucht er einfach nur, dich für dasselbe zu begeistern, was er so mag. Damit ihr wieder in ein- und derselben Sache unschlagbare beste Freunde seid.“ Vielleicht musste ich so tief fallen. Vielleicht musste ich mich so in den Ruin treiben, damit ich Yûgi in Ruhe zuhöre ohne ihn gleich aufzuschlagen. Er und ich sind so verschieden, dass es wahrscheinlich zwangsläufig krachen muss. Doch in genau diesem Moment, in dem meine Augen und Ohren vor Erstaunen überlaufen, bin ich einfach nur fasziniert. Und ich kann plötzlich verstehen, warum Joey so sehr an Yûgi hängt. Der Junge ist ein Zauberer. „Meinst du das ernst?“, presse ich hervor und versuche, nicht allzu aufgeregt zu wirken. Aber in meiner Brust herrscht ein wahrer Hurricane. Könnte das vielleicht sogar ein Herzinfarkt sein, ausgelöst durch zu viele erschlagende Gefühle? „Natürlich meine ich das ernst!“, blinzelt Yûgi verwundert. „Ich verarsche dich doch nicht.“ „Nein, so meine ich das nicht!“, fahre ich ihm dazwischen. „Bist du dir sicher, dass das wahr ist?“ Er nickt heftig und lächelt aufmunternd. „Tristan, was denkst du, was für Gedanken er sich um dich macht!“ Über das ganze Gesicht strahlt Yûgi, während er vor mir das Puzzle zusammensetzt, an dem ich schon seit Tagen verzweifelt herumpule. Ich konnte es auch gar nicht schaffen, stelle ich überrascht fest. Mir fehlten Teile. „Er hat gemerkt, dass da etwas nicht stimmte. Und das hat ihn verunsichert. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, irgendwo sucht er den Fehler ausschließlich bei sich. Vielleicht ist er dir auch deswegen aus dem Weg gegangen.“ „Und ich ihm, weil ich so einen Groll auf dich und die Karten hatte.“, gebe ich bereitwillig zu. Wenn wir schon Wahrsagen veranstalten, kann ich genauso gut mitmachen. „Weißt du, Yûgi, ich bin Gewohnheitsmensch. Ich brauche es, jede Woche in der Schule mit ihm Verstecken zu spielen, egal wie bescheuert ihr das finden mögt. Ich brauche es einfach, mit Joey zusammen zu sein und Dinge zu tun, die wir seit Jahren tun. Es ist eine Sache der Angewohnheit. Und darum bin ich so scheiße wütend geworden, als ihr mir immer wieder in diese Angewohnheiten reingefahren seid.“ Wenigstens kann ich diesen Abend sagen, dass ich heute etwas gelernt habe. Ja, die Lektion des Tages sozusagen. Es ist falsch, sich immer zu verstellen und so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Der Mensch hat Mund, Zunge und Stimmbänder, also bediene er sich dieser Instrumente, wenn ihm etwas nicht passt. Leider scheinen wir Kerle das manchmal zu vergessen. Zurückblickend komme ich mir vor wie der letzte Idiot. „Es tut mir Leid, Yûgi, dass ich gestern so scheiße war.“, sage ich schließlich leise. „Ich hab dich wirklich gern. Wirklich. Wir müssen uns vielleicht noch ein bisschen auf eine Wellenlänge einüben...aber wenn du mir verzeihen magst...“ Yûgi hat seine Tasse zur Seite gestellt. „Das ist okay.“, sagt er lächelnd. Endlich. Endlich, endlich. Ich habe es kaum mitbekommen; aber mit einem Mal ist es, als habe jemand das Fenster aufgemacht und würde warme Luft zur Wohnung hereinlassen. Diese Eiseskälte, die mich die ganze Zeit fest im Griff hatte, beginnt sich zu lockern. Leichter zu werden. Und die Gänsehaut verschwindet endlich... „Aber du, Tristan...“ Yûgi setzt sich nachdenklich zurück, zieht langsam die Knie an seine Brust und starrt auf den ausgeschalteten Fernseher als würde er Geister darauf sehen. „Wenn ich das so sagen darf...“ Seine großen Augen treffen mich wie der Blick eines Weisen. Jetzt wirkt er beruhigend. Einfach wie ein Freund, der die Lage viel früher checkt als man selbst. Ja...ich begreife langsam wieder, warum Joey so an ihm hängt. „Aber ich glaube nicht, dass du Joey so sehr vermisst, weil das eine Angewohnheit ist. Ich glaube, bei dir geht es um etwas ganz anderes...“ To be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)