Ekelpack von winterspross (Shortstories) ================================================================================ Kapitel 1: 1: Werk ------------------ Hallo~ Hier ist also mein erster Text. Das Thema war, dass es irgendwo auf der Welt einen Menschen gibt, der im gleichen Rhythmus lebt. Wir hätten eine Erzählung zu diesem thema verfassen sollen. Hier mein Ergebnis. Ach ja, der Text spielt in Graz, der Landeshauptstadt der Steiermark. Nicht, dass sich hier noch jemand über die lustigen Straßennamen wundert. ~~ Werk O|pus, das; -, Opera ([musikal.]) Werk (Duden) ~~ Endlich ist es vollbracht. Ich habe mein Werk, wie es meinem Wesen entspricht, minutiös geplant und ausgearbeitet. Es kann nichts schief gehen. Langsam erhebe ich mich aus dem Ohrensessel, schlüpfe in die kuscheligen Hausschuhe, die mir meine Freundin zum Geburtstag geschenkt hat und schlurfe ins Badezimmer. Alles liegt bereit, die verwaschene Jeans, das unauffällige schwarze Hemd, die braune Umhängetasche, in der sich die neueste Ausgabe des Dudens und Spraydosen befinden. Gestern habe ich alles vorbereitet, um ja nichts zu vergessen. Ich muss mich nur noch anziehen, alles einpacken, was ich brauche und dann kann es losgehen. "Gehst du schon, Günther?", murmelt Sophie hinter mir und drückt sich an mich. Ihr zartes Parfüm hüllt mich ein. Ich lehne mich zurück. "Ja, ich muss. Heute ist eine Vorlesung, die ich auf keinen Fall verpassen darf." "Schade", stellt sie fest und lässt mich los. Ich drehe mich um und lächle sie an. Was für ein Glück ich doch habe, mit ihr zusammen zu sein. Was für ein Glück ich doch habe, dass sie mich versteht. "Ich komme bald wieder", verabschiede ich mich und küsse sie kurz zum Abschied. Nein, heute gehe ich nicht auf die Uni. Heute habe ich etwas viel Besseres vor. Ich werde endlich das umsetzen, was ich schon seit Jahren geplant habe. Es ist etwas Großartiges, etwas Wunderbares und vielleicht auch etwas Verrücktes. Aber eines ist sicher, ich werde damit in die Geschichte dieser kleinen Stadt eingehen. Man wird in Schulbüchern von mir lesen. Hermann Nitsch und Otto Mühl werden sich vor mir verneigen. Ich muss grinsen. Fast höre ich Sophie "Jetzt komm wieder auf den Teppich, Günther!" murmeln. Und sie hätte ja Recht. Ich versinke gerade in einem einzigartigen Tagtraum. Aber was soll ich denn tun? Der Tag, auf den ich so lange gewartet habe, ist endlich da. Und er wird wunderbar werden, dessen bin ich mir sicher. Ich schlendere vom Jakominiplatz aus die Herrengasse entlang. Sogar an einem gewöhnlichen Dienstagvormittag ist hier etwas los. Leute, schwer mit Einkäufen beladen, kommen mir entgegen. Ich hoffe inbrünstig, dass ich hier niemanden treffe, der mich kennt. Ich würde definitiv in Erklärungsnot geraten, warum ich hier unterwegs bin und nicht in meiner wichtigen Vorlesung sitze. Gott sei Dank entdeckt mich niemand. Ich kann ungestört den Weg vom Hauptplatz in die Sporgasse und Richtung Stadtpark einschlagen. Hier werde ich es vollbringen und in die Riege der Aktionskünstler aufgenommen werden. Wie lange ich das Ganze schon geplant habe? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich schon immer von Wörtern und Wörterbüchern fasziniert war. Und jetzt will ich diese Faszination mit meinen Mitmenschen teilen, ich bin mutig genug und wage es. Meine Mutter war, kurze Zeit, nachdem ich sprechen gelernt hatte, am Rande des Wahnsinns, weil ich Dinge wissen wollte, die ihr nicht ganz koscher vorkamen. "Gibt es ein Synonym für dieses Wort und für das vielleicht auch?", fragte ich sie und wartete auf eine Antwort. Doch die kam nicht. Sie war entsetzt darüber, dass ich schon so jung das Wort ,Synonym' kannte. Anstatt sich darüber zu freuen, ging sie mit mir zum Arzt, der bei mir eine leichte Form von Autismus diagnostizierte. "Inselbegabung", nannte er meine Liebe zu Wörtern, eine Begabung, die nur einen kleinen Teilbereich umfasst. Es gibt Menschen, die unvorstellbar hohe Zahlen im Kopf multiplizieren können. Manche malen ein Bild nach einmaliger Betrachtung detailgetreu nach. Sie alle haben Inselbegabungen. Meine Begabung ist, dass ich mir sämtliche Wörter, seien es nun deutsche oder anderssprachige, durch einmaliges Lesen einpräge, lerne und versuche, Synonyme für sie zu finden. Weiters liebe ich Sprichwörter und Redewendungen. Mein Lieblingsbuchstabe ist das ,S'. Die weiblichen Rundungen machen es unbeschreiblich schön... Vielleicht ist auch das einer der Gründe, warum ich mich in Sophie verliebt habe? Als ich noch jünger war, war ich manchmal so verzweifelt über meine Besessenheit, dass ich nur noch "Gebt mir Wörter" brüllen konnte und darauf wartete, dass mir irgend jemand ein neues Wörterbuch in die Hand drückte. Durch hartes Training lernte ich, mit meiner Begabung umzugehen. Heute spreche ich sieben Sprachen und studiere Russisch, die achte. Dass ich ob meines Wissens noch nicht ,vollkommen durchgeknallt' bin, wie es der Psychologe ausdrücken würde, bei dem ich jede Woche einen fixen Termin habe, liegt wahrscheinlich an meiner wunderbaren Freundin Sophie, die mich schon seit mehreren Jahren erträgt und versteht, dass ich mir als psychisch labiler Mensch schwer tue, ihr zu zeigen, dass ich sie wirklich über alles liebe. Das Grün der Blätter fasziniert mich. Ich mag es, wenn alles ruhig und friedlich ist. Der Stadtpark ist für mich ein Ort der absoluten Entspannung. Ich steuere einen Platz an, der normalerweise von Punks und Tauben bevölkert ist. Auch ein paar schaulustige Touristen haben sich sicher dorthin verirrt, schließlich ist es Frühsommer und sehr warm. Wo könnte man sich besser ausruhen als im Schatten der uralten Bäume? Und wo könnte man mir besser zusehen, wie ich mein Werk vollende? Es ist fast zwölf Uhr. Ich muss beginnen, wenn ich meinen persönlichen Zeitplan einhalten will. Doch was ist hier los? Die Hölle, das muss es sein. Der Platz mit dem großen Brunnen ist wie leer geräumt, nur in einer Ecke drängt sich eine große Menschenmenge zusammen. Neugierig komme ich näher, dränge mich durch schwitzende Menschenleiber. Ekelhaft. Am inneren Rand des Kreises angekommen, muss ich erst einmal schlucken. Was soll denn das?! Hier besitzt doch tatsächlich jemand die Frechheit, am Boden zu hocken und mit vollkommener Gelassenheit meine Wörter auf den Boden zu sprühen, genau wie ich es geplant hatte! Entsetzt mustere ich den Kerl. Er trägt verwaschene Jeans, ein unauffälliges schwarzes Hemd. Irgendwie bin ich mir sicher, dass sich in der braunen Umhängetasche, die neben ihm auf der Erde steht, ein Duden und noch ein paar Spraydosen befinden. Wie kann er es wagen, meinen grenzgenialen Plan zu durchkreuzen? Oder hatte er den gleichen etwa ebenso wie ich schon seit seiner Kindheit? Er sieht mich an. Das Einzige, an das ich in diesem Moment denken kann, ist, dass er wenigstens nicht gleich aussieht wie ich. Irgendwo her kenne ich den Typen. Vielleicht ist er Student, genau wie ich. Aber er studiert sicher nicht Russisch, das kann er wahrscheinlich schon. Andererseits, hat er nicht fast den identischen Haarschnitt? "Günther, du leidest unter Verfolgungswahn...", murmle ich seltsam ruhig, drehe mich um und dränge mich wieder durch den Mob hindurch. Niemand beachtet mich. Dabei hätte das doch mein großer Tag werden sollen, der Tag, an dem ich meine Schüchternheit überwinde und allen Leuten zeige, was mich fasziniert. Dieser... Arsch ist mir zuvorgekommen. Als mir endlich bewusst wird, was geschehen ist, will ich nur noch nach Hause. Die Straßenbahn kommt und ich steige ein. Es ist stickig und heiß, kein Sitzplatz ist frei, also muss ich stehen. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre alt und grau, dann würden die Kinder für mich aufstehen. Mir ist schlecht, die ganze Geschichte hat mich ziemlich mitgenommen. Irgendwie fühle ich mich so schrecklich leer, ganz so, als wäre ich wirklich schon alt und hätte mein Leben bereits gelebt. Als ich aus dem Fenster sehe, bleibt mir fast das Herz stehen. Draußen wartet der andere ebenfalls auf die Straßenbahn, Er will aber anscheinend in die andere Richtung fahren. Seltsamerweise lehnt er in der exakt gleichen Haltung an einer Säule, wie ich es zu tun pflege, wenn ich auf etwas warte. Als er mich entdeckt, zuckt er zusammen. Anscheinend schockt ihn die ganze Sache genauso wie mich. Himmel. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. In Graz läuft jemand herum, der wie ich ist, und ich habe das in all den Jahren nicht bemerkt? "Du musst dringend zu Paulitsch", murmelt Sophie und streichelt mir durchs Haar. In ihren Schoß gekuschelt, kann ich nur leise lachen. Wie soll mir mein Psychologe helfen? Mir kann man nicht helfen. Uns kann man nicht helfen. "Hey, Günther. Sag doch was!" Was soll ich denn sagen, mein Schatz? Ich ertrage langsam aber sicher deine Nähe nicht mehr. Vielleicht drehe ich ja endgültig durch? Durch Durch Durch... ~~ Seltsamer Vorfall in der Steiermark Gibt es solche Zufälle? In der Landeshauptstadt wurden gestern unabhängig voneinander zwei junge Männer in das Landesnervenkrankenhaus eingeliefert. Beide hatten offensichtlich einen Nervenzusammenbruch erlitten und mussten deshalb eingewiesen werden. "Die beiden waren bei ihrer Ankunft vollkommen gleich gekleidet, von ähnlichen Frauen begleitet und zeigten die gleichen Krankheitssymptome. Wie ist so etwas möglich?" Frau S., Pflegerin in der Sigmund Freud Klinik, kann es nicht verstehen. Als sich die beiden Patienten gesehen haben, mussten sie von Pflegern ruhig gestellt werden, da sie aufeinander losgehen wollten. Günther M. und Mario T. beteuern zwar, sich nicht zu kennen, verhalten sich aber wie Geschwister oder Zwillinge. Sie verlangen beide das gleiche Essen und sprechen von denselben Dingen. Anscheinend haben laut Direktor Dr. Schmidt auch beide Patienten eine autistische Hochbegabung, die sich auf Sprachen bezieht. Die Vornamen ihrer Lebensgefährtinnen beginnen mit einem ,S', einem Buchstaben, der laut den beiden eine besondere Anziehung auf sie hat. Was jedoch der gemeinsame Ausspruch "Gebt mir Wörter!" bedeuten mag, ist bis jetzt noch unklar. "Wir werden der Sache auf den Grund gehen", versprach uns Doktor Schmidt. Wir warten gespannt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)