Crescent Moon 2 von abgemeldet (Zeit der Stille) ================================================================================ Kapitel 5: Lange Tage (Teil 1) ------------------------------ Lange Tage (Teil 1) Seit Masumis Besuch waren zwei Wochen vergangen. 12 Tage dieser zwei Wochen war Mitsuru verschwunden. Keine Nachricht, kein Lebenszeichen hatte er von sich gegeben. Doch weder Nozomu, noch Katsura oder Mahiru machten sich Sorgen: Er war derart in seine alten Verhaltensmuster zurückgefallen, dass dieses Verschwinden schon typisch für ihn war. Der Tagesablauf verlief sogar wesentlich ruhiger und entspannter. Man spürte nicht mehr die hektische Gereiztheit, die seit etwa 4 Monaten den Alltag bestimmte. Es war nicht mehr die Angst da, schon morgens angefaucht zu werden wegen Nichtigkeiten - und Mahiru fühlte sich zum ersten Mal wieder wohl in der Bar. Zwar gab es abends, wo die Bar an Gästen fast überlief, Probleme mit der Bedienung, aber diese hatten sich schnell gelöst, als Nozomu nur noch einen Abend in der Woche sang und dafür seinen weiblichen Gäste erfreute, wenn er sie direkt ansprach und fragte, was er ihnen für Getränke bringen durfte. An einem dieser Abende bediente Mahiru wie eh und je. Sie schlüpfte zwischen Stühlen hin und her, nahm Bestellungen auf, eilte zur Theke, wo Katsura die Cocktails mixte und alles andere managte, während eine Gastband die Gäste unterhielt. Es war eine neue Gruppe aus Tokio, die Katsura in einer Annonce gefunden hatte. Nachdem sie vollends, wegen Mitsurus Ausfall, den Thekendienst übernehmen musste, hatte sie sie für zwei Abende in der Woche geordert. Sie nannten sich "Broken Stones", und sie bestand aus vier Bandmitgliedern: Dem Sänger Tai Ozora, Kenshin Tanaka, der das Schlagzeug spielte, Joanna Kingsley, einer Keyboard spielenden Engländerin und ihrem Bruder Alan, der für die E-Gitarre zuständig war. Die beiden letzten Bandmitglieder waren Kinder eines englischen Diplomaten, und nachdem sie die internationale Schule in Tokio abgeschlossen hatten, hatten sie sich der Musik verschrieben. Später waren die jungen Japaner Tai Ozora, 23 Jahre alt, und Kenshin Tanaka, 22 Jahre, dazu gekommen: Die Band "Broken Stones" war gegründet. Nachdem sie Katsura vorgespielt hatten, hatte sie ihnen die Stelle in der Moonshine-Bar zugesichert. Sie wollte der jungen, aufstrebenden Gruppe behilflich sein, die nach ihrer Meinung große Talente waren. Mahiru war sich noch nicht sicher, was sie von den "Broken Stones" halten sollte. Tai war ein eher ruhiger, zurückhaltender Typ, der aber voll aus sich herausging, wenn er auf der Bühne stand. Aus dem japanischen Jurastudenten wurde dann so etwas wie ein kleiner Rockstar, der besonders bei schneller, rhythmischer Hardrockmusik aufblühte und gar nicht genug von ihr bekommen konnte. Kenshin war der nette Junge von neben an, immer für Scherze gut und doch auf seine Art ernst. Joanna war eine typische Engländerin, mit hellem Haar und wasserblauen Augen, klein und zierlich gebaut. Sie war so ganz anders als ihr Bruder Alan. Er war dunkelhaarig, mit lustigen, braunen Augen. Im Gegensatz zu Joanna war er extrovertiert, und nutzte wie Nozomu jede Chance bei den Frauen, die ihm reihenweise zu Füßen lagen. Und vor allem war er unkompliziert. Er verhielt sich immer so, wie man erwartete. "Was darf ich Ihnen bringen?", fragte Mahiru, und schrieb sich einen Rotwein auf. Der Nachbar der jungen Frau, die die Bestellung aufgegeben hatte, wollte einen Cocktail. "Ich bringen es Ihnen gleich", sagte Mahiru freundlich lächelnd, und lief dann zur Theke zurück. Dort war Katsura beschäftigt, alle möglichen Cocktails anzusetzen, für die die Moonshine-Bar berühmt war. Nozomu durchstreifte irgendwo im hinteren Teil die Bar, flirtete mit der einen oder anderen Dame, und strahlte mal wieder sein gewinnendes Lächeln aus. "Er ist ganz in seinem Element", grinste Katsura, und deutete in einer kurzen Pause auf Nozomu. "Wir hätten ihn schon früher für die Bedienung einsetzen sollen, anstatt ihn nur singen oder hinter der Theke zu lassen." "Nein, ich denke, die vorherige Reglung war schon ganz gut; was meinst du, wie viele Frauenherzen er schon gebrochen hat?", scherzte Mahiru. "Alleine der Frauenwelt zu liebe sollten wir ihn, sobald Mitsuru wieder da ist, in seine alten Dienste zurück befördern." "Mitsuru? Mahiru... ich denke...", begann Katsura nachdenklich, allerdings rief in diesem Moment einer der Gäste Mahiru, sodass sie ihr ein entschuldigendes Lächeln schenkte und sich von der Theke abstieß. "Später, Katsura, später." Im Gastraum stank es nach kaltem Zigarettenrauch. Obwohl es lange nach Mitternacht war, riss Mahiru weit die Fenster auf. Im Juli war es besonders mild, sodass fast noch zwanzig Grad draußen herrschten. Zufrieden, aber erschöpft, machte Katsura Kassensturz für diesen Abend und entdeckte, dass ihre Finanzen nichts zu Wünschen übrig ließen. Der Laden lief perfekt. Tai, Kenshin, Joanna und Alan waren gerade dabei, ihre Musikinstrumente abzubauen. Wie jeden Dienstag und Freitag würde Katsura ihnen noch ein kaltes Bier spendieren, zum Ausklang des Abends. Obwohl es erst dreimal vorgekommen war, war es rasch zu einer Gewohnheit geworden. Mahiru war sich nicht sicher, ob sie heute Nacht daran teilnehmen sollte. Sie war zu müde, als dass sie sich noch einmal eine halbe Stunde hin setzen können. Mit einem Kopfnicken verabschiedete sie sich deshalb: "Gute Nacht." Bevor sie jedoch die Treppe hinauf in die Privaträume gehen konnte, war bereits Nozomu an ihrer Seite und zog sie mit an den Tisch, wo die "Broken Stones" und Katsura bereits Platz genommen hatten. "Du kannst nach so einem fabelhaften Abend doch nicht einfach verschwinden!", sagte Nozomu und drückte sie auf einen der freien Stühle. "Nozomu", begann sie, während er vor ihr ein Glas abstellte und Wein eingoss. "Ich will..." "Keine Widerrede! Jetzt stoßen wir an, Mahiru!", unterbrach Nozomu sie, und hob sein eigenes Glas in die Höhe. Die Band und Katsura taten es ihm gleich, und zögernd folgte Mahiru seinem Beispiel. Na gut, sagte sie zu sich selbst, nur dieses eine Glas. Sie trank einen zügigen Schluck, und hätte sich beinahe daran verschluckt. Mahiru war Alkohol nicht gewöhnt, genau wie eigentlich Nozomu und Katsura: Ihr Getränk war nur augenscheinlich Wein; tatsächlich handelte es sich um Johannisbeersaft, der aussah wie Wein. Und mir, dachte Mahiru grimmig, haben sie richtigen Wein eingeschenkt. Obwohl sie mittlerweile zwei Jahren zusammen lebten, war ihr Verständnis für Menschen in gewissen Bereichen noch immer begrenzt: Für sie tranken Menschen nun mal Alkohol, und es gab keine Ausnahme dabei. Waren das beste Beispiel dafür nicht Tai, Kenshin, Joanna und Alan? Sie freuten sich über jeden Drink, den Katsura ihnen hinstellte. "Auf eine weitere erfolgreiche Zusammenarbeit." "Du hast Recht. Wenn es weiter so gut in der Bar läuft, wird es nicht lange dauern, und wir haben unseren Plattenvertrag!", erklärte Tai siegessicher, und hob sein Glas erneut in die Höhe. "Und dann geben wir an, dass die Moonshine-Bar der Ort ist, wo die "Broken Stones" berühmt geworden sind! Was werdet ihr dann für einen Zulauf haben! Und schließlich geben wir hier immer ab und zu Konzerte..." "Ist das nicht ein wenig zu sehr in die Zukunft gegriffen?", meinte Katsura zurückhaltend, aber Alan legte lachend seinen Arm um ihre Schultern, und erwiderte: "Gar nicht! Heute hat uns gerade einer gefragt, ob wir eine CD haben!" "Ja sicher." Diese zweifelnde Äußerung kam von Mahiru. Sie mochte Alans offene Art, jeden gleich wie einen Freund zu behandeln, nicht. Auch Katsura schien die direkte Berührung unangenehm; sie entwand sich Alan mit einem entschuldigenden Lächeln. "Wir werden sehen, was die Zukunft bringt." "Das wird aber eine erfolgreiche Zukunft sein!", warf Alan ein, und stieß mit seiner Schwester Joanna und Kenshin, den alle nur Ken nannten, laut lachend an. Mahiru wurde die lustige Gesellschaft zu bunt. Sie trank ihren Wein, so schnell sie konnte, und verabschiedete sich dann von Katsura, Nozomu und den Broken Stones. Als sie ihr Zimmer erreichte, in die völlige Dunkelheit eintauchte und die Tür hinter sich schloss, atmete sie erleichtert auf. Sie verharrte einige Minuten, bis sie den Lichtschalter betätigte und hinüber zur ihrem Bett ging, um den Schlafanzug unter der Bettdecke hervorzuziehen. Im Moment war ihr einfach alles zu viel. Fast wünschte sie sich, ebenso wie Akira für eine lange Zeit auf eine Reise zu gehen und dem hektischen Alltag zu entkommen. Seit Mitsurus Fortgang waren ihre Überlegungen, welche ihre Zukunft betrafen, wieder in den Hintergrund gerückt. In dieser Situation durfte - und konnte - sie die Bar nicht alleine in Katsuras und Nozomus Händen lassen. Die beiden hätte nie eine Hilfskraft eingestellt, die notwendigerweise dauerhaft bei ihnen hätte wohnen müssen, und vielleicht dann ihr Geheimnis erriet. Mahiru war und blieb der einzige Mensch, dem sie genug Vertrauen entgegen brachten, einen Teil der Geheimnisse der Lunar-Rasse zu wissen. Und dazu hinkam noch Masumis Besuch... der neue Auftrag wegen des gestohlenen Artefakts... und... Mahiru ließ sich auf ihr Bett fallen und seufzte unglücklich. Wenn es so weiter ging, wäre sie noch für einige Jahre an die Bar und ihre Bewohner gefesselt, obwohl sie sie eigentlich alle sehr gern hatte. Ihre erste richtige Entscheidung war gewesen, bei ihrer Tante auszuziehen, und nach einer solchen Entscheidung sehnte sie sich erneut. Sie hörte, wie unten in der Bar Nozomu und Tai ein Lied zusammen sangen, laut und durchdringend. Obwohl Nozomu keinen Alkohol getrunken hatte, führte er sich auf, als sei er betrunken. Diese Band hatte keinen guten Einfluss auf ihn. Mahiru war ein wenig besorgt, aber sie redete sich zu, dass Nozomu ja erwachsen war und wusste, was gut oder schlecht war. Er war sicher verantwortungsbewusst genug, nichts Dummes anzustellen. Sie vergrub ihr Gesicht im Kissen und tastete blind nach dem Lichtschalter über ihrem Bett. Als sie das Licht ausmachte, umgab sie völlige Dunkelheit, und durch das geöffnete Fenster drang das graue, kalte Licht des zunehmenden Mondes. Vor einigen Tagen hatte Masumi ihnen eine Nachricht geschickt, dass sie Akira erreicht hatten und er auf dem Weg zurück nach Tokio war. Mahiru freute sich auf dieses Wiedersehen. Er hatte viele Monate lang nichts von sich hören lassen, und durch seine Fröhlichkeit würde vielleicht ein wenig Abwechslung in der Bar entstehen. ,Das ist, was ich unbedingt brauche', dachte sie, während sie kurz vor dem Einschlafen war. Akira würde wie eine Welle ihren Kummer über Mitsuru, sein Verhalten, und über die aufgeschobene Entscheidung über ihre Zukunft fortschwemmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)