Anime Evolution: Past von Ace_Kaiser (Dritte Staffel) ================================================================================ Kapitel 7: Die beiden Türme --------------------------- 1. „Warum bist du noch wach, Akarin?“ Michi Tora kam in das spärlich erleuchtete Studierzimmer und setzte sich rittlings auf einen Stuhl. Er musterte seine Freundin, die ihre Haare hochgesteckt und eine Lesebrille aufgesetzt hatte. Eigentlich übertrieben bei einer Sehkraft von einhundert Prozent, aber Michi fand, dass sie im Streber-Outfit eine gute Figur machte. Eigentlich in allem, was sie trug. „Du bist noch nicht in deiner Stube?“ Akari sah kurz auf, lächelte für ihn und widmete sich wieder ihrer Studie. „Ich arbeite gerade ein paar historische Daten auf, die Erde und den Konflikt mit den Kronosiern betreffend. Wenn es dich interessiert, ich versuche herauszufinden, wann Megumis Eltern zur Erde gekommen sind. Was für eine Zeit das war. Wie ihre Eltern auf Akiras Eltern getroffen sind und wie Opa und Oma da rein passen.“ Michi lächelte dünn. Er hatte einen eigenen Raum auf der Axixo-Basis, ebenso wie Akari. Nicht, dass sie aus ihrer innigen Beziehung ein Geheimnis gemacht hätten. Nicht dass es jemanden gab der es nicht wusste. Nicht dass sich ihnen auch nur ein einziger Mensch, Naguad oder Anelph, in den Weg stellen konnte, wenn sie beschlossen, sich fortan einen Raum zu teilen. Oder sogar… Michi spürte, wie er errötete. Er dachte in letzter Zeit immer öfters an Sex mit Akari, und er fragte sich, ob dies auf Kosten der Liebe war, die er für die junge Frau, die einst ein Oni war. Hastig schob er den Gedanken beiseite. „Wie kommst du voran?“ „Leidlich. Ich muß mich auf sekundäre Informationen verlassen. Es gibt ja in der offiziellen Geschichtsschreibung keinen direkten Hinweis auf sie, und Oma ist auf Naguad Prime und Opa mit der AURORA irgendwo auf halbem Weg nach Hause. Wen sollte ich also fragen?“ Michi zuckte die Achseln. „Wie wäre es mit Makoto? Ich habe eigentlich immer das Gefühl, dass unter der Frauenklamotten liebenden, niedlichen Fassade nicht nur ein ernsthafter, sondern auch sehr kontrollierter Mensch schlummert, der diese Kontrolle auch gerne auf seine Umgebung ausdehnt.“ Michi lachte leise auf. „Immerhin leitet er den ganzen Laden hier, oder?“ „Das wäre natürlich eine Idee, Micchan“, murmelte Akari nachdenklich. „Ich sollte ihm eine Notiz schicken und um einen Termin bitten.“ „Akarin, er ist dein Cousin. Dass ihr nicht blutsverwandt seid, zählt hier überhaupt nicht. Denn Akira und Yohko sind es ja auch nicht. Diese familiären Bindungen sind eher geistiger Art, aber nicht weniger fest.“ Eine geistige Bindung, die mittlerweile sogar ihn erfasst hatte, den Sohn von Juichiro Tora, jenem Mann, der als der Magier mit den Kronosiern kollaboriert hatte, um die Erde zu unterwerfen. Und der beinahe die junge Frau vor ihm vernichtet hätte. Nicht, dass er begann seinen Vater zu hassen. Zu selten hatten sie sich gesehen, gerade nach Mutters Tod. Aber die wenigen Momente die sie zusammen verbracht hatten, waren… Angenehm gewesen. Nun musste sich der junge Mann, ausgestattet mit den kronosianischen Genen, genauer gesagt dem Genotyp des Naguad-Hauses Elwenfelt, mit einem zwiespältigen Bild auseinander setzen. Einerseits war da der Vater, der selten für ihn da war, dennoch die wenige Zeit mit so viel Liebe erfüllt hatte wie ihm möglich war. Andererseits seine neue Familie, die eine neue und vollkommen berechtigte Sicht auf Juichiro hatte, als Feind, als Verräter. Es gab eine Zeit, da hatte er Akira dafür töten wollen, dass er ihm Vater genommen hatte. Bis Michi herausgefunden hatte, dass es Akari gewesen war, seine Akari, dieses hübsche, intelligente und warmherzige Mädchen, in das er sich auf den ersten Blick hoffnungslos verliebt hatte, beim ersten Mal, als er sie in der Schule gesehen hatte. Die Schule, ja, sie war so weit entfernt, so unendlich fern, dass er sich fragte… Dass er sich fragte, wieso er weiterhin den Schulstoff lernen musste und von Makoto und den anderen Offizieren auch noch regelmäßig abgefragt wurde! Und dann diese Ankündigung, dass der Unterricht demnächst über die Standverbindung zur Erde fortgesetzt werden würde! Was war er? Ein KI-Spezialist, der Akari Otomo unterstützen sollte oder ein High School-Schüler? Gut, er war kein Militär, aber beim Kampf um den Antrieb der AURORA gegen die KI-Meister der Naguad hatte er seinen Wert bewiesen. Hatte er die Effektivität von Akira Otomos hartem Training bewiesen. Hatte er… „Was?“ „Komm mal wieder in die Wirklichkeit, Micchan“, sagte Akari und schnippte mit der rechten Hand direkt vor seinen Augen. „Ich spreche dich schon das dritte Mal an. Wo hängst du schon wieder mit deinen Gedanken? Muss ich eifersüchtig sein?“ „Das kommt drauf an“, meinte der junge Mann amüsiert. „Ich dachte an die Hausaufgaben.“ „Oh. Ja. Da bin ich eifersüchtig. Du hast mich in der letzten Arbeit um drei Punkte geschlagen.“ „Und davor um fünf, um zwei, in japanisch sogar um sechs Punkte. Ich bin jetzt im Schnitt bei dreiundneunzig Prozent, Akarin.“ „Mach mich nicht schlechter als ich bin, Micchan. Ich bin im Schnitt auch bei siebenundachtzig Prozent, und mit den mündlichen Nachprüfungen kann ich auch noch über die Zweiundneunzig Prozent-Marke hüpfen.“ Sie deutete auf ihren Bildschirm. „Dafür mache ich das alles ja. In Geschichte wackelt meine Eins, und wenn ich Initiative beweise und etwas Innovatives vorlege, kann ich mich vielleicht den Rest des Jahres zumindest in diesem Fach beruhigt zurücklehnen. Darum will ich einen Termin bei Mako. Als Referenzangabe.“ „Aha. Mal sehen, ob uns die Naguad das Schuljahr zu Ende durchstehen lassen.“ „Ach, die. Hausaufgaben sind schlimmer“, erwiderte Akari und winkte ab. „Viel schlimmer.“ Michi schüttelte sich. Als es klopfte, fuhr Michi herum, als hätte ihn jemand bei etwas verbotenem erwischt. Zu seinem Ärger spürte er, wie ihm das Blut bis in die Haarspitzen zu steigen schien. „Herein“, sagte Akari. Die Tür öffnete sich, und unwillkürlich fühlte sich Michi erleichtert. Der große, grauhaarige Mann, der gerade durch die Tür trat, war Okame-tono, einer der beiden Dämonenkönige, die sie auf dieser Reise begleiteten und im Kanto-System geblieben waren, um den Planeten Lorania und die junge Rebellion verteidigen zu helfen. Okame ächzte wie ein alter Mann, ließ sich nach einem stummen Nicken in den nächsten Sessel fallen, wehrte ebenfalls mit der Geste eines alten Mannes das Glas Wasser ab, das Akari ihm anbot und stöhnte unterdrückt. Dann öffnete er die Augen. Michi fühlte sich übergangslos fixiert, geradezu nackt, ohne jedes Geheimnis vor diesen Augen. Okame war ein Dämon, dazu ein unerreichter Meister in der KI-Beherrschung. Soweit Michi wusste, und das hatte er von Akira persönlich, bestand der grimmige, große Mann sogar aus KI. Was erklärte, warum er öfter mal in die Gestalt eines Wolfes schlüpfen konnte. „Was für ein Tag“, brummte der sonst so wortfaule Mann. Dabei zog er eine Leidensmiene, als würde er gerade kräftig durchgeprügelt werden. „Ist etwas passiert?“ argwöhnte Akari. „Hat die Raider-Flotte Letus verlassen?“ Die Raider-Flotte. Akira-o-nii-sama hatte über die neu etablierte Standleitung nach Naguad Prime von der Existenz der Flotte erfahren und sie verifiziert. Die Raider, Kampfschiffe der Core-Zivilisation, die sporadisch immer mal wieder Planeten und Schiffe im Imperium angriffen. Soweit die Aufzeichnungen des Kanto-Systems zurückreichten, hatte es nie einen Raider-Angriff auf dieses System und seine Welten gegeben, und der letzte Vorfall eines Angriffs im Imperium selbst lag schon wieder vierhundert Jahre zurück. Dementsprechend war die Information über die Existenz dieser Schiffe, ja der Core-Zivilisation behandelt worden. Ein gravierender Fehler, wie die sich sammelnde Flotte nun bewies. Keiner der Verantwortlichen im Kanto-System, egal ob Naguad oder Anelph, Mensch oder Dämon, zweifelte daran, dass sich die eleganten Rochenschiffe nicht sammelten, um von hier aus tiefer in das Reich vorzudringen. Später vielleicht, wenn hier kein Stein mehr auf dem anderen war. „Nein, sie bewegen sich bisher nicht. Und es scheint auch nicht, als hätten sie unsere Korvetten die sie überwachen entdeckt. Aber alles andere schafft mich.“ Wieder seufzte der Riese. „Ich nehme jetzt doch das Wasser.“ Akari schenkte ihm ein und Michi nickte dem Dämon auffordernd zu, damit er mit seinem Bericht fort fuhr. „Diese verdammten Naguad schaffen mich. Fünf Divisionen Banges sind auf dem Weg hierher.“ „Fünf Divisionen?“ staunte Michi. Das war eine Menge Holz, bildlich gesprochen. Eine Division umfasste sechshundert Mechas plus unterstützendes Personal. Im ganzen System gab es fünftausend Banges zusätzlich zu den stationierten Truppen, also acht Divisionen. Eine von ihnen, Ehre oder Tod, auch bekannt als 5. Banges, war zu ihnen desertiert. „Ja, sie kommen auf Befehl der Regionaladmiralität auf Laccus, der neunten Welt. Da wir ja nun alle Akiras Eigentum sind, und die Gerichtsbarkeit im Nag-System diesen Umstand noch nicht widerrufen hat, haben sich die fünf Divisionen auf den Weg gemacht, um die alten Verteidigungsstellungen einzunehmen, die sie vor unserer Attacke rund um Lorania innehatten. Im Klartext, sie schützen das Eigentum eines Naguads. Außerdem haben die Naguad-Truppen auf Lorania ihre Kasernen verlassen und nehmen gerade Verteidigungsstellungen gegen Weltraumangriffe ein. Diese verdammten Naguad bereiten sich darauf vor, dass die Raider über Lorania herfallen. Und dabei ist es ihnen verdammt egal, dass der Angriff auch dem Hauptquartier auf Laccus gelten könnte.“ Okame trank sein Wasser in einem einzigen Zug aus. „Ich sehe es noch kommen, dass sie die Axixo-Basis wiederhaben wollen. Aber Makoto-tono wird sie nicht rausrücken, auch wenn sämtliche Naguad-Truppen in diesem System plötzlich zu Haus Arogad wechseln. Es ist halt alles vertrackt, auch wenn wir die fünf Divisionen wahrscheinlich sehr gut gebrauchen können.“ „Das klingt wirklich nicht gut“, bestätigte Akari nachdenklich. „Stellt euch doch nur mal vor es fällt ein unbedachter Schuss zwischen den Hekatoncheiren und den Imperialen. Was dann hier los sein wird.“ „Und Mordred und Arthur trafen sich mit gleich starken Heeren“, zitierte Michi leise. „Da keine Seite einen Vorteil hatte, trafen sich die Anführer in der Mitte, um über den Abzug zu verhandeln. Da kam es aber, dass eine Natter einen Ritter Arthurs angriff. Dieser zog sein Schwert und tötete die Schlange. Jedoch missverstanden Mordreds Ritter dies als Angriff und zogen ebenfalls ihre Schwerter. Am Ende entbrannte die Schlacht, die eigentlich keiner wollte.“ Akari starrte ihren Freund aus großen Augen an. „Mach mir keine Angst, Micchan.“ „Zu spät“, murmelte der Junge mit den kronosianischen Genen ernst und müde. „Viel zu spät.“ Die drei wechselten einen langen Blick. „Gut, also“, sagte Okame und versagte kläglich bei dem Versuch zu lächeln. „Die Raider und die Naguad sind noch weit entfernt. Wir kümmern uns darum, wenn die Zeit gekommen ist. Also, hier bin ich. Frag mich was du willst, Akari-tono.“ „Fragen was sie will?“ argwöhnte Michi. „Wirklich was sie will? Über die Vergangenheit, die Gegenwart, das Wechselspiel der Dämonenwelten, einfach alles?“ „Natürlich“, erwiderte der Wolf. Er grinste breit. „Ob ich drauf antworten kann, steht auf einem anderen Blatt.“ „Und hängt von der Art der Frage ab“, schloss Akari resolut. Sie lächelte selbstsicher. „Ich habe siebenundvierzig Fragen im Katalog. Bereit, Okame-sama?“ „Worauf habe ich mich hier eingelassen?“ klagte der Wolf. „Komisch, das habe ich auch gerade gedacht. Siebenundvierzig Fragen?“ „MICHI!“ tadelte Akari, halb belustigt, halb amüsiert. „Ich werde sie beantworten“, versprach der Dämonenkönig. „Wo ich kann, mit Akira-tonos eigener Sicht.“ 2. Lady Death war nicht einfach nur ein Name. Auch nicht einfach eine Institution, die für den Kampf gegen die Kronosier oder einen der erfolgreichsten Hawk-Mechas des Krieges stand. Lady Death war eine Legende. Und diese Legende versuchte gerade, die internen Probleme zu beheben, die sich mit dem Einbau naguadscher Banges-Teile in die interne Struktur ergeben hatten. Im Moment stand der Mecha, die Legende, die selbst eine Legende in so viele Schlachten getragen hatte, in einem Bodenhangar des Daness-Turms. Vergessen, verraten und verkauft. Vielleicht auch nur vergessen. Lady Death konnte es verstehen, soweit es ihr die Programmierung erlaubte. Immerhin war Megumi, ihre erfahrene und doch so junge Pilotin mit Akira Otomo wiedervereinigt worden. Offiziell waren die beiden erst seit zwei Jahren und ein wenig ein Paar. Aber wenn Lady Death ihre Logs checkte und die letzten Seufzer, achtlos ausgesprochenen Worte und Verwünschungen heranzog, dann konnte das Verhältnis von Megumi und Akira durchaus mit einer Ehe mithalten, wenn man einschlägige Fernsehserien als Vergleich heranzog. Mit einer Ehe, die eigentlich mehr Tiefen als Höhen gehabt hatte. Aber Ironie gehörte eigentlich nicht zu ihrer Programmierung als Künstliche Intelligenz des Rotlackierten Hawk-Mechas, der neben Primus und Blue Lightning gefürchtet wie kein zweiter unter den kronosianischen Piloten und ihren Söldnern gewesen war. Sie und ihr Mädchen, wie Lady Death die junge Pilotin gerne nannte, waren zusammen erst die richtige, wirkliche Lady Death geworden. Tödlich, effizient, gnadenlos. So effizient, dass Megumi mehr als einmal so leise wie möglich in diesem Cockpit geweint hatte, weil sie ihre eigenen Taten nicht mehr ertragen hatte. Die Subroutine schloss ab und Lady Death wandte sich einer neuen Aufgabe zu. Die neuen Waffen, die von den Naguad eingebaut worden waren, mussten noch besser koordiniert werden, um ihre Effizienz zu erhöhen. Extrem zu erhöhen, denn da sah Lady Death enormes, nicht genutztes Potential. Die Kommunikation, die sich nebenbei etablierte und Peripherie-Daten auf Sensor-Ebene mit ihr austauschte, fiel ihr dabei anfangs gar nicht auf. Bis sie registrierte, nach geschlagenen acht Tausendstel Sekunden, dass diese Kommunikation mit Hilfe eines Überrangcodes etabliert worden war – und das auf einer UEMF-Gefechtsfrequenz, die der Kommunikation der Künstlichen Intelligenzen im Einsatz vorbehalten war. Und es gab nur eine Institution auf dieser Welt, die dazu in der Lage war – falls es sich nicht um den Versuch handelte, sich in ihren Computerkern einzuhacken. Prime Lightning, den Mecha von Division Commander Akira Otomo. Die anfänglich rudimentäre Verbindung wurde erweitert, neben den Sensorlogs tauschten sie aktuelle Daten und Protokolle der letzten drei Wochen aus. Und dann etablierte Prime eine Sprechverbindung. Es war natürlich keine normale Sprechverbindung, immerhin waren sie beide künstliche Intelligenzen, die tausendmal so schnell kommunizieren konnten wie Menschen. Dementsprechend hastig erfolgte ihre Unterhaltung. Aber wie das so war mit Intelligenzen, egal ob künstlich oder natürlich entstanden, irgendwann landeten sie beim Small Talk und unterhielten sich mit ihren normalen Stimmen bei normaler Geschwindigkeit. „Wie hast du das denn geschafft, alter Junge?“ fragte Lady Death als erstes. „Eine Verbindung auf einer UEMF-Frequenz, quer durch diesen Moloch von Stadt, durch die Abschirmung von zwei Türmen. Das würde ich auch gerne können.“ „Was denn, was denn, hast du überhaupt nicht dran gedacht, einfach eine offizielle Verbindung zwischen den Türmen zu benutzen? Oder anders ausgedrückt, ich habe den Daness-Turm schlicht und einfach angerufen und mich von der Turm-Intelligenz hier runter durchstellen lassen. Sie überwacht natürlich unsere Kommunikation, aber wichtige Daten tauschen wir ohnehin nur chiffriert aus.“ „Punkt für uns“, stellte Lady Death zufrieden fest. „So sieht man sich also wieder. Okay, zumindest hört man sich.“ Der rotlackierte Mecha – wie oft hatte sie ihrer Kleinen vorgeschlagen, doch mal eine andere Farbe auszuprobieren, so ein netter Camouflage-Ton, ein Karmesin-Rot oder ein düsteres Violett – genauer gesagt die KI, stutzte. „Und was ist mit der KI deines Turms, drüben bei den Arogads?“ „Commander Otomos Mutter überwacht meine Kommunikation auch. Aber sie garantiert meine Privatsphäre.“ „Commander Otomos was? Und wer nimmt Rücksicht auf… Auf die Privatsphäre eine Künstlichen Intelligenz?“ „In den Datenpaketen, die ich dir geschickt habe, sind Informationen erhalten, die du bei der nächst besten Gelegenheit an die nächste UEMF-Einheit weitergeben musst. Einer von uns beiden wird schon durchkommen.“ Übergangslos klang die Stimme von Prime alt, und Lady Death fragte sich, warum der aufgemotzte Daishi mit der KI eines Hawks den Synthesizer seiner Stimme derart bemühte. „Darunter sind auch Informationen über Helen Otomo. Einiges über ihre Familiengeschichte, ein paar Details zu ihrer Genetik. Und Informationen darüber, dass sie schwer verletzt in einer Krankenstation des Turms in einem Biotank liegt, während ihr Geist mit der eigentlichen Turm-KI vernetzt ist. Sie steuert den Turm. Und das schon seit sieben Jahren. Sie sagte, sie als allererste kann die Bedürfnisse einer künstlichen Intelligenz nachempfinden und… Jedenfalls gibt sie mir Freiraum. Soviel Aufmerksamkeit bin ich von NIs gar nicht gewohnt.“ „NIs? Nützliche Intelligenzen? Nötige Intelligenzen?“ versuchte Lady Death zu erraten. „Natürliche Intelligenzen. Halt mich nicht für so zynisch wie manch andere ältere KI. Die Verbindung mit den Überresten von Primus´ Computerkern hat mich nur weiser gemacht, nicht arroganter.“ „Was denn, was denn, die Symbiose der beiden wichtigsten KIs der Menschheit ergibt Bescheidenheit? Ich bin verwundert“, spottete Lady Death. „Nicht Bescheidenheit. Nur Demut. Ich denke, das war die erste Emotion der NIs, von der ich mir eingebildet habe, sie zu verstehen. Wenn ich mir Commander Otomo ansehe, wieder und wieder, wenn ich sehe, was er ertragen, was er leisten musste, dann bin ich entsetzt, dass ich zu diesen Leiden beitragen muß. Aber ich bin auch froh, dass ich es sein darf, der ihn begleitet. Er ist meine NI, und ich bin seine KI. Wir sind ein Team und ein sehr gutes dazu, und mit ihm zu dienen bedeutet für mich, ihm zu dienen. Das ist Demut. Mit meinen begrenzten Fähigkeiten habe ich versucht, ihm so viel wie möglich abzunehmen, ohne seine Genialität einzuschränken. Und dennoch blieb so vieles für ihn über.“ „Ich denke, ich verstehe. Als meine Kleine und ich bei der Ankunft im Kanto-System vor dem Lauf dieser riesigen Kanone landeten und das Mistding auch noch feuerte, da war meine Hauptrechenoperation, mich so zu drehen, dass der Schaden auf das Cockpit minimiert wurde. An meine Existenz habe ich zuletzt gedacht, ganz zuletzt. Ich kann dir das Rechenoperationsprotokoll schicken, wenn du möchtest.“ „Ich glaube dir auch so. Mit dieser Aktion hast du Colonel Uno wahrscheinlich die eine Sekunde erkauft, die sie brauchte, um ihre KI-Rüstung zu aktivieren und dich per KI-Sprung zu verlassen. Sehr gut gemacht, Lady Death.“ „Würde das eine andere KI als jene sagen, die Akira Otomo bis hin zur eigenen Vernichtung beschützt hat, würde ich es als Schmeichelei klassifizieren. Aber nicht bei dir, Prime.“ Die beiden Mechas schwiegen geraume Zeit. „Übrigens, hat dir schon mal jemand gesagt, dass die Sache mit den KI äußerst verwirrend ist, wenn man zugleich über künstliche Intelligenzen redet? Selbst ich muß immer erst ein paar tausendstel Sekunden nachrechnen, bevor ich mir sicher bin, was gemeint ist.“ „Warum sollen wir es auch leichter haben als die NIs.“ „Prime, kann es sein, dass dich jemand auf Ironie programmiert hat?“ „Und wenn es so wäre, Lady Death?“ „Besorg mir einen Termin. Im Umgang mit meiner Kleinen kann ich sie gut gebrauchen.“ „Ich glaube, ich muß mir ein Programm-Update besorgen, eines das mir erlaubt zu lachen. Ich bin mir ziemlich sicher, du hast gerade einen rüden Scherz gemacht.“ „Du etwa nicht?“ konterte die künstliche Intelligenz von Lady Death. „Touché.“ „Hey, fang jetzt nicht mit den Fremdsprachen an, ja? Wo hast du das überhaupt wieder aufgeschnappt?“ „Im Gefecht gelernt. Damals über Tobago. Die drei Fregatten, die Richtung Kuba unterwegs waren, um Havanna zu bombardieren. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Kuba um Hilfe rief. Wie es seine Luftflotte aufsteigen ließ, um sich wenigstens gegen sechzig Daishis wehren zu können. Und wie ihm niemand zu Hilfe kam. Für die Russen war die Strecke einfach zu weit, die Amerikaner wollten nicht.“ „Ich erinnere mich. Du warst schon drei Monate im Einsatz und ich hatte meine Feuertaufe mit meiner Kleinen hinter mir. Unsere Piloten waren die einzigen, die etwas tun wollten.“ „Ja. Die einzigen, die es nicht hinnahmen, dass eine Millionenstadt eingeäschert wird, nur weil die Politik Vorrang haben sollte. Wir starteten von der SARATOGA, ohne Erlaubnis der Amerikaner. Und benutzten einen französischen Träger, der zu ihren westindischen Kolonien unterwegs war, als Zwischenstation für eine letzte Orientierung für den Angriff.“ „Zwei Hawks gegen sechzig Daishi der Alpha- und Beta-Serie, von den drei Fregatten der November-Klasse ganz zu schweigen. Es war Wahnsinn.“ „Ja, das war es. Aber Commander Otomo wäre lieber gestorben, als es nicht zumindest zu versuchen. Ich weiß noch, wie er Colonel Uno überreden wollte, auf dem Träger zu bleiben – vor Dutzenden Franzosen, die sich nicht erklären konnten, wie Kinder die gefährlichsten Piloten der Menschheit sein konnten, und warum diese Kinder schon so schrecklich erwachsen waren.“ „Ha, ja, das war eine Geschichte. Erst wollten sie beide nicht fliegen lassen und dann haben sie versucht, den Commander zu unterstützen und meine Kleine an Bord zu behalten. Und damit haben sie genau das Gegenteil erreicht. Ja, wenn mein Mädchen erstmal in Fahrt kommt, dann hat nicht mal eine Fregatte eine Chance.“ „Das ist wahr. Sogar der Commander musste sich geschlagen geben. Ich weiß noch, Colonel Ino und Lieutenant Colonel Otomo waren auf dem Weg zu uns, mit den anderen beiden Mechas der Menschheit um uns zu unterstützen, aber es war abzusehen, dass sie zu spät kommen würden. Dennoch wollte der Commander starten. Und mit ihm Colonel Uno.“ „Niemand konnte es ihnen verbieten. Und letztendlich… Ich habe mir damals die Akte von Capitaine Jean Muller angefordert, der uns mit seinen Kampfbombern „Begleitschutz“ geben wollte, bis wir in internationalem Luftraum waren. Er hatte ein Kind. Eine Tochter, im Alter des Commanders.“ „Wie ich hörte“, sprach Prime leise weiter, „wurden er und die gefallenen Piloten der Franzosen hoch geehrt. Aufnahme in die Ehrenlegion, hohe Orden. Großzügige Pensionen für die Hinterbliebenen. Verdammt, wenn die Amerikaner nicht so verbohrt gewesen wären, dann hätten nicht elf Kampfflieger der Franzosen dran glauben müssen! Wären sie eine halbe Stunde früher gekommen, nur eine halbe Stunde.“ „Oder erinnerst du dich an Oberst Wang? Ein exzellenter Mann und hervorragender Pilot auf der MiG. Die Chinesen haben mit ihm jemanden verloren, der die Daishis wirklich verstanden hatte.“ „Vor allem hatte er verstanden, dass die Menschheit damals zu dem Zeitpunkt nicht auf den Commander und Colonel Uno verzichten konnte. Er hat eine Entscheidung getroffen und die Konsequenzen getragen. Wie ich, wie du. Nur ihn konnte niemand mehr zusammenflicken.“ „Macht das die zerbrechlichen Menschen nicht größer als uns?“ „Nanu, Lady Death, ein Philosophie-Update?“ „Nur eine gute Beobachtungsgabe, Prime. Nur eine gute Beobachtungsgabe…“ 3. „Ich verlange eine Erklärung!“ Siryen Kalis stemmte wütend seine Hände auf den Schreibtisch. Mit vor Zorn funkelnden Augen sah er die Frau dahinter an. Im Hintergrund stand Meia Daness, unfähig, auf den Wutausbruch ihres Gefährten zu reagieren. „Und ich verlange eine verdammt gute Erklärung!“ „Eine Erklärung wofür, Daness?“ „Nenn mich nicht Daness, Arogad! Ich habe einen Namen, ich habe eine Identität!“, blaffte Siryen wütend. Der große, kräftig gebaute Mann mit dem Gesicht eines Preisboxers versuchte seinen Gegenüber nieder zu starren. „Eine Erklärung wofür, Siryen Kalis?“, antwortete sie ungerührt. „Für all das, für alles was uns passiert ist! Wir sind eine Rettungsexpedition, ausgesandt vom Rat, um dich aufzuspüren, falls du noch lebst, Admiral! Was ja wohl noch der Fall ist! Dich zu retten! Und was erwartet uns? Eine blamable Enterung, die Konfiszierung unseres Schiffes, die Internierung unserer Mannschaft! Und zu allem Überfluss werden ich als Expeditionsleiter und Lady Meia als Mitglied der Hauptfamilie auch noch inhaftiert!“ Eridia Arogad sah den Naguad lange an. Dann nickte sie. „Also gut, es geht wohl nicht anders. Ich kann euch hier nicht guten Gewissens festhalten und ich kann euch auch nicht nach Hause schicken.“ Sie erhob sich, kam um den Schreibtisch herum und ging zu Meia Daness. Sie verbeugte sich leicht vor der Frau, wie es Gleichgestellte bei den Naguad taten und bat sie an den Schreibtisch. Sie wies der Daness einen Sessel zu und bat dann Siryen ebenfalls Platz zu nehmen. „Was ich euch jetzt erzähle, wird diesen Raum nur einmal verlassen. Ihr werdet es nur ein einziges Mal erzählen.“ „Na, da bin ich aber gespannt“, raunte der Elitesoldat. ** Ein Jahr später trafen sie sich im gleichen Büro erneut. Siryen Kalis war ungewöhnlich ernst, aber nicht besonders zornig. „Der Pakt gilt, Eridia Arogad“, stellte er tonlos fest. „Die KOMAS, das Schiff, das uns hergebracht hat, wird sein Fluglog automatisch löschen, sobald es unser Heimatsystem erreicht hat. Kein Daness wird in der Lage sein, ohne einen Arogad herzufinden, wo sich diese Welt befindet. Dieses System ist zu wichtig, um… Wir haben uns im Rat nicht vor der Wahrheit verschlossen. Aber.“ „Aber?“, fragte Michael Fioran amüsiert. Der Ehemann von Eridia schmunzelte, er ahnte, was nun kommen würde. „Aber der Rat will nicht, dass dieses Spiel nur von Fioran und Arogad gespielt wird. Der Rat besteht darauf, dass ihr zwei einen Daness als Aufpasser akzeptiert. Dieser Daness werde ich sein.“ Michael nickte. „Ein guter Mann für eine wichtige Aufgabe. Dann musst du dich aber beeilen, Meia. Die KOMAS läuft in drei Stunden aus.“ Die junge Frau, Mitglied der Hauptfamilie, legte eine Hand auf den Arm des Kalis. „Ich werde ebenfalls hier bleiben. Siryen und ich haben geheiratet. Wir… Wir erwarten ein Kind. Und die Erde ist eigentlich ein so friedlicher Ort, dass wir dachten… Wir wollen keine hundert Jahre getrennt sein. Wir ziehen unser Kind hier auf und sehen einfach mal, was passiert.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ist das in Ordnung?“ „Warum nicht?“, murmelte der Fioran amüsiert. „Von Torah haben wir schon lange nichts mehr gehört und die Raider lassen sich seit Jahrhunderten hier nicht mehr blicken, was uns zur Vermutung bringt, dass wir sie damals wirklich schnell genug zerstört haben. Die Erde brodelt von internen Konflikten, aber in einigen Ländern lässt es sich sehr gut leben. Wenn ihr beide es wünscht, werden wir Tarnidentitäten für euch erstellen.“ Eridia Arogad lächelte sanft. „Wir stellen euch genügend terranisches Geld zur Verfügung, damit…“ „Nein!“, brauste der Kalis auf. „Nein. Danke, aber es ist nichts für mich, auf einem hohen Ross zu sitzen und innerlich zu vergammeln. Ich würde mich gerne nützlich machen. Etwas tun.“ Er sah zärtlich zu Meia herüber und seine harten Züge wurden ungewöhnlich weich. „Ich will mir jeden Tag verdienen, was ich hier habe.“ Eridia und Michael wechselten einen schnellen Blick. „Die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte?“ „Akzeptiert. Ich lasse meine Kontakte arbeiten.“ „Wovon redet ihr zwei?“ „Von eurem zukünftigen Leben, meine liebe Meia. Und jetzt kommt. In einer Stunde beginnt die Taufe unseres Enkels. Ihr seid herzlich eingeladen.“ „Ein Enkel, hier auf der Erde geboren?“ Meia lächelte sanft. „Es wäre doch schön, wenn euer Enkel und unser Kind in dieser Welt Freunde werden.“ „Ja, das wäre nett. Es ist ein Junge. Er wird Akira Aris heißen.“ „Nicht gut“, brummte Siryen. „Ihm den Namen eines kriegerischen Iovar-Kaisers zu geben ist ein schlechtes Zeichen.“ „Du musst nicht kommen“, stellte Michael pikiert fest. Abwehrend hob der Kalis die Hände. „So war das nicht gemeint. Wirklich nicht, Michael. Unser Kind wird übrigens ein Mädchen. Wir werden sie Solia nennen.“ „Als Zweitnamen“, warf Meia ein. „Als Erstnamen wird sie einen terranischen Namen bekommen.“ Michael lächelte sanft. „Ich habe das Gefühl, uns stehen goldene Jahre bevor. Trotz der Tatsache, dass wir auf einem randvollen Pulverfass sitzen.“ 4. „Aber das ist Wahnsinn!“, blaffte Jeremy Thomas Eikichi an. „Purer, Menschenverachtender Wahnsinn!“ „Denkst du mir gefällt das? Denkst du mir macht das Spaß? Wir reden hier über meinen Sohn! MEINEN Sohn! Helen ist noch keine zwei Jahre fort, und ich bin gezwungen, ihn in das da raus zu schicken! In das Chaos, in die Verwüstung! Dennoch tue ich es! Und weißt du auch warum, Jerry?“ „Nein. Sag es mir. Sag mir warum!“ Eikichi machte eine hilflose Geste. „Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung.“ Die beiden Männer wechselten einen langen Blick miteinander. „Tee, alter Junge?“ „Gerne.“ Der Amerikaner und der Japaner saßen sich gegenüber und starrten dumpf an die Decke, während sie ihren Tee tranken. „Es ist unfair“, begann Jerry ernst. „Wir waren darauf vorbereitet, uns gegen die Truppen der Core-Zivilisation zu stellen. Wir waren auf einen unvorstellbaren Geheimdienstkampf eingestellt, im Verborgenen, aber mit unglaublicher Zahl. Wir haben erwartet… Wir haben vieles erwartet, angefangen von angreifenden Raidern, die unsere Städte bombardieren bis hin zu einer kollabierenden Dämonenwelt. Warum waren wir nicht darauf vorbereitet? Warum nicht?“ Eikichi nickte in Richtung der Fotos auf seinem Schreibtisch, die etliche Daishis beim Kampf mit Jagdmaschinen der verschiedenen Luftwaffen der Erde zeigten. „Darauf? Auf eine Horde Banges, die aus dem Nirgendwo kommt und uns angreift mit dem ausschließlichen Ziel, Verwüstungen zu verursachen und Terror zu verbreiten? Die Proklamation, dass die Erde sich ergeben soll, um ab sofort ein steuerpflichtiges Protektorat zu sein? Niemand hat damit gerechnet. Niemand hat damit gerechnet, dass euer Imperium uns angreifen wird.“ „Unser Imperium, bitte“, mahnte Jerry. „Durch die Hochzeit mit Helen bist du Mitglied der Arogad-Dynastie geworden, mein Junge.“ „Nicht, dass ich diesen Job gewollt habe. Nur das Mädchen“, erwiderte Eikichi bissig. „Hört, hört.“ Eikichi enthielt sich einer direkten Antwort. „Also, wer ist es? Wer greift uns an? Und warum holen wir nicht einfach eine, zwei Divisionen Banges herüber und räuchern ihr Nest aus?“ „Das können wir nicht. Die gefangenen und toten Piloten der Banges tragen das genetische Erbe der Elwenfelt. Du weißt selbst, dass sie Verbündete des Hauses Arogad sind, und das seit Jahren. Das Imperium kann uns in diesem Fall nicht helfen, einmal ganz davon abgesehen, dass wir selbst etwas tun müssen, weil Hilfe frühestens in acht Monaten hier sein könnte. Viel zu spät, um auf der Erde noch etwas zu retten.“ „Die Elwenfelt also. Ich wusste nicht, dass sie so rücksichtslose Eroberer sind.“ Jerry schüttelte den Kopf. „Sind sie auch nicht. Sie sind Pragmatiker, aber keine Massenmörder. Auch wenn Eri an ihnen nie ein gutes Haar lässt, sie sind nicht ohne Grund Verbündete der Arogad.“ „Jerry, ich… Wie viele Arogad und Fioran haben wir auf dieser Welt? Es muß doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht ein einziger Banges-Pilot unter ihnen ist, der weitaus besser geeignet wäre, gegen die Elwenfelt zu kämpfen als mein Sohn. Wenn wir schon auf uns allein gestellt sind, dann lass wenigstens die Erwachsenen kämpfen und nicht die Kinder!“ „Es tut mir Leid, aber Primus lässt sich nur von Akira steuern. Du weißt was fast mit deiner Nichte Sakura passiert wäre, wenn die Verbindung zur Künstlichen Intelligenz nicht von außen unterbrochen worden wäre.“ Eikichis Miene wurde mürrischer. „Du willst mir sagen, dass die Naguad diese Banges nicht steuern können.“ „Richtig. Nur jemand mit Elwenfelt-Genom kann sie steuern. Frag mich nicht warum. Aber dein Sohn ist der einzige, der es umgehen kann. Verdammt, wir brauchen ihn.“ Eikichi Otomo atmete sichtbar aus. Er lehnte sich nach hinten und begann die Tafeln der Deckenverkleidung zu zählen. „Ich hasse euch Naguad.“ „Er tut es nicht für die Naguad. Er tut es für die Menschen. Und ich habe noch eine schlechte Nachricht für dich. Wir müssen Siryen und Meia fragen, ob wir ihre Tochter testen können. Meias Mutter war eine Elwenfelt, bevor sie in den Daness-Turm gekommen ist.“ Eikichi schlug in stummem Entsetzen die Hände vor sein Gesicht. „Nein, nicht auch noch Megumi. Demnächst kommst du und willst auch noch Yohko haben.“ „Das wird hoffentlich niemals nötig werden. Wir haben Prime in den Gefechtspausen lange genug studiert, um eine eigene Mecha-Reihe aufzubauen. Wir haben genügend Wracks der Kronosier geborgen, um uns Anregungen und Ideen dafür zu holen. Akira wird schon bald auf den ersten Mecha dieser Klasse…“ „Banges. Es sind Banges.“ „Banges klingt zu sehr nach Naguad. Aus diesem Grund nennen wir sie Mechas. Jedenfalls sind die neuen Mechas vom Typ Hawk weit stärker als die Daishis. Akira wird auf seinem Hawk noch viel gefährlicher sein. Und sobald wir Primus auseinander nehmen können, finden wir vielleicht einen Weg, wie wir Menschen die Hawks steuern lassen können, ohne dass sie halbe Naguad sind. Es ist ein Trick dabei und wir werden ihn finden.“ „Ich freue mich auf den Tag, an dem ich meinen Sohn aus diesem Stahlmonster zerren kann und er nie wieder eines steuern muss.“ Jerry nickte ernst. „Dieser Tag wird kommen. Bis dahin brauchen wir ihn, um diese gottverdammte Welt zu retten. Eikichi, er ist jetzt bereits eine Legende. Er hat in Europa gekämpft, in Amerika, über dem asiatischen Kontinent und oft genug über Japan und Australien. Sein Kampfname, Blue Lightning, steht immer für gravierende Niederlagen der Kronosier. Wo er auftaucht, erhalten die Truppen einen Motivationsschub, steigt die Zuversicht. Er ist ihre Hoffnung. Und wer hinter sein Geheimnis kommt und erkennt, dass er ein vierzehnjähriger Junge ist, der mit Gewalt erwachsen wurde, beschützt dieses Geheimnis mit seinem Leben.“ „Du spielst auf den Zwischenfall in der Yamato-Kaserne an, als kronosianische Agenten versucht haben, seinen Spind zu plündern“, stellte Eikichi amüsiert fest. „Sieben Tote, nur um seine Identität zu schützen, drei davon auf unserer Seite. Und Akira ist… Akira ist… Gott, Helen, hilf mir. Ich schaffe es nicht alleine. Ich werde hier noch wahnsinnig. Einfach wahnsinnig.“ Der erfahrene Soldat und jetzige Industriekapitän sah den Amerikaner an. „Alter Freund, ich hoffe doch sehr, dass die United Earth Force bald die United Earth Mecha Force sein wird, weil wir mehr als einen Piloten haben. Und bitte lass es kein Kind sein.“ „Not…“, begann Jerry Thomas leise, „…kennt kein Gebot. Aber es gibt etwas Gutes. Der Rat gibt dir das Kommando über die UEMF. Außerdem greifen wir auf die anvisierte Energiequelle, Hochangereichertes Helium 3 vom Mond zurück. Und wir bauen dein Plattformensystem. Teufel, die Welt investiert in dich in diesem Jahr dreihundert Milliarden Dollar. Dafür kannst du doch…“ „Was, meinen Sohn hergeben und ihn kämpfen lassen? Ihn sterben lassen oder noch schlimmer, ihm beibringen, dass töten Spaß macht?“ Mit einer wütenden Handbewegung räumte Eikichi seinen Schreibtisch leer. „Wenn es keinen anderen Weg gibt so sei es. Aber die Erde wird nie mehr dieselbe sein, nachdem ich sie in Händen hatte! Das schwöre ich dir, Seg Mitur!“ „Und das“, sagte der Naguad in der Maske eines amerikanischen Offiziers bedächtig, „ist dein ganzes Recht, Eikichi Otomo!“ ** Die Attacke kam für mich nicht überraschend. Es war nicht das erste Mal, dass einer von Onkel Jerrys Begleitoffizieren versuchte, mich aus der Flanke oder von hinten zu attackieren, während ich mit meinem Katana trainierte. Also verzog ich nur gering schätzend den Mund, passierte Jerrys Karatake-Hieb und ließ den angreifenden Offizier ins Leere laufen. Der junge Mann stolperte leicht, fing sich aber wieder. Er schenkte mir ein bewunderndes Lächeln und trat wieder an den Rand unseres kleinen Kampffeldes. „Gut, gut“, brummte der Amerikaner und senkte seine Klinge. „Dem bist du wirklich gut ausgewichen. Wir machen hier Schluss.“ Ich brummte unwillig. Normalerweise behandelte mich Onkel Jerry als Gleichwertigen, sprich: als Erwachsenen. Was ja auch wohl das Mindeste war für den einzigen Mecha-Piloten der Erde. Aber manchmal neigte auch er dazu, mit erhobenem Zeigefinger auf mich zuzugehen und zu sagen: Du bist doch erst vierzehn, Akira. Ich hasste es, wenn er das tat. Ich kämpfte gegen sie, die Kronosier, wo immer ich auf sie traf, wohin auch immer ich geschickt wurde. Ich wusste, dass mindestens dreißig verschiedene Agenten darauf angesetzt waren um herauszufinden, wohin mein Mecha als Nächstes verlegt wurde, damit die nächste Offensive der Kronosier nicht direkt in meine Richtung ging. Welche Ehre. Ich ging kaum zur Schule, und wenn war ich übermüdet und geistesabwesend, weil ich eine Arbeit leisten musste, die noch kein Mensch vor mir bestritten hat. Meine Freundschaften litten darunter ebenso sehr wie das Familienleben. Ich arbeitete, verdammt, und als solcher wollte ich behandelt werden. Na ja, Familienleben. Vater war eh die meiste Zeit bei seinen Projekten und seit neuestem dabei, die ersten Mondbergwerke zu planen und einzurichten. Und Yohko… Manchmal hatte ich Angst, dass ich nach Hause kam und sie die Polizei rief, weil sie mich für einen Einbrecher hielt. „Wenn es nach mir ginge, würde ich dich noch ein wenig durch die Mangel drehen“, gestand Jerry grinsend. „Aber Yohko spricht den Rest der Woche nicht mehr mit mir, wenn sie nicht auch mal ne halbe Stunde von deiner Zeit bekommt.“ Ich grinste matt. Okay, den Punkt konnte ich dann wohl abhaken. Sie vermisste mich. Aber das war ja auch verständlich. Auch wenn Sakura uns den Haushalt führte, auch wenn Mako ständig reinschaute, damit sie nie wirklich alleine war – sie musste auf mich verzichten. Zugleich füllten die Berichte über den Krieg die Medien und die Geschichten über Blue Lightning, das Topass der Verteidiger mehrten sich. Es musste Yohko ganz schön pricken bei dem Gedanken, dass sie mit mir nicht angeben durfte. Aber das hätte sie nur zum Ziel gemacht und unsere ganze schöne Geheimhaltung gleich mit. Was meinen Tod bedeutet hätte. Okay, zumindest wäre ich ins Fadenkreuz gerückt und hätte jederzeit mit einem Scharfschützen rechnen müssen. Oder Schlimmerem. Ich nickte also und trocknete Gesicht und Nacken mit einem Handtuch ab. Die Klinge in meiner Hand, ein Erbstück von Eikichis Mutter, steckte ich mit Respekt und Vorsicht wieder weg. Die Waffe war rasiermesserscharf und brandgefährlich. Eigentlich genau wie ich. Jerry musterte mich einen Moment, bevor wir auf die Holzveranda traten. „Warte mal. Hier, fang.“ Eine kleine blaue Schachtel landete in meinen Händen. Ich öffnete sie und fand einen goldenen, fünfstrahligen Stern an einem in weiß, blau und rot längs gestreiften Band vor. Fragend sah ich meinen Mentor an. „Der Silver Star. Für herausragende Tapferkeit in der Schlacht um New York. Es war, soweit ich weiß, Admiral Henrys letzter Befehl, bevor er starb.“ Die New York-Kampagne… Ich erinnerte mich daran, erinnerte mich, wie ich in einer Aktion, die ihresgleichen suchte, mit einer Horde Russen und Deutscher über Kanada in den Luftkampf um die Millionenmetropole eingegriffen hatte. Es war der größte Schlag gewesen, der jemals von den Kronosiern geführt worden war. Drei Fregatten, elf Korvetten und fast zweihundert Daishis der Klassen Alpha und Beta hatten den Angriff geführt. Die Amerikaner, bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Kampf mit den Kronosiern gewesen, hatten sich unendlich schwer getan, sich auf die Strategien der Daishis einzustellen. Nicht so die Russen und Deutschen, die bereits über Wladiwostok und München gegen sie gekämpft hatten. Nun, die Amerikaner lernten schnell, aber sie brauchten Zeit, um das Erlernte auszuprobieren. Und vor allem mussten sie lange genug überleben, um zu lernen. Ich erinnerte mich daran, dass wir über zweihundert Jets aller Klassen verloren hatten, bevor sich die letzten siebzig Daishis mit der überlebenden Fregatte und den restlichen Korvetten abgesetzt hatten. Auf dem Rückmarsch vernichteten die Amerikaner noch einmal zwanzig Daishis. Und für diese Schlacht, die achtzehn Stunden gedauert hatte, sollte ich nun diesen Orden bekommen? Ich schloss meine Hand fest um das Metall, bis sich die Strahlen des Sterns in mein Fleisch bohrten. Siebenundvierzig unserer Piloten waren da draußen gestorben. Hätten sie Mechas besessen, was wäre dann gewesen? Nur zögerlich öffnete ich die Hand wieder. „Ich nehme an“, brummte ich tonlos. Jerry legte mir eine Hand auf die Schulter. „Du ehrst die Piloten, die mit dir in der Schlacht waren, mein Junge.“ „O-nii-chan! Tee ist fertig!“ Unwillkürlich musste ich lächeln. Das war Yohko, wie sie leibte und lebte. Grinsend bat ich Jerry und seine beiden Offiziere herein. Wie immer gingen ihre Blicke zuerst zu Sakura, dem hübschesten Ding diesseits des Pazifiks. Das ging meistens solange gut, bis Jerry sich räusperte. Meistens nach… „Ähemm!“ …Nach fünf Sekunden, was dazu führte, dass die Männer verlegen den Blick senkten und nicht mehr aufsahen, bis sie das Haus verlassen hatten. „O-nii-chan“, säuselte Yohko im Ich will mehr Taschengeld-Tonfall. Ich spürte, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. „Ja, Yohko?“ „Wann darf ich es auch mal probieren? Ich meine, ich bin doch deine Schwester. Wenn es wirklich nach Gehirnstruktur geht, dann müsste ich es doch auch können. Oder? Oder?“ „Moment, Auszeit, Auszeit“, bat Jerry. „Yohko-chan, das klingt gerade so als würdest du Akira darum bitten, dich einmal an Primes Kontrollen zu lassen.“ „Ach Quatsch. Das ist doch Blödsinn.“ Ich atmete auf. Ein Soldat in der Familie reichte völlig. „Ich will nur mal mit der KI synchronisieren. Ich kann ja einen Hawk nehmen, sobald die fertig gebaut sind.“ Erschrocken sahen Jerry und ich uns an. „Yohko, das sind Top geheime Informationen! Ich habe sie dir nicht erzählt, Jerry bestimmt nicht und Sakura weiß nicht mal was davon!“ „Ist doch egal woher ich es weiß. Ich will es ja nur mal probieren. Immerhin hast du Megumi-chan auch mit Prime synchronisieren lassen.“ „Du hast was? Akira, du hast was?“ „Ruhig Blut, Onkel Jerry. Ruhig Blut. Wir haben es ja nur mal probiert. Es war der komplette wissenschaftliche Stab dabei und wir hätten den Versuch jederzeit abgebrochen. Außerdem hatte ich Sakuras Okay dazu.“ „Sakura?“ „Was sollte ich machen? Sie hat mich erpresst, die niedliche kleine Megumi.“ Sakura versuchte desinteressiert an uns vorbei zu sehen. „Sie hat gesagt, dass sie aller Welt verrät, wer Blue Lightning ist, wenn ich es verbiete. Und entschuldige bitte, Akira ist gerade der beliebteste und gehassteste Mann der Welt. Die einen lieben ihn für seine Leistungen im Kronosier-Krieg, die anderen hassen ihn, weil sie denken, nur wegen ihm dauert der Krieg überhaupt noch an. Es war ja nur ein Experiment. Ein Spaß, um ein junges Mädchen, das zufällig gesehen hat, wie Akira Otomo in einen Daishi kletterte ruhig zu stellen. Ihre Eltern wissen Bescheid. Als Militärangehörige habe ich ihnen einen Schweige-Eid abgenommen.“ Frustriert schnaubte Jerry aus. „Schweige-Eid. Schweige-Eid. Mein Gott, wie konntest du dieses Mädchen, ausgerechnet dieses Mädchen auf das Gelände lassen? Sakura? Wir reden hier von Solia!“ „Solia?“, fragte ich verwundert. „Megumi Uno, meinte ich.“ Resignierend starrte der amerikanische Offizier in seine Teetasse. „Und, wie war ihre Synchronisation, gemessen an Akira?“ „Fast hundert Prozent.“ Entsetzt sah Jerry mich an, dann Sakura. Ich hob abwehrend die Arme. „Ich habe nicht vor, sie in einen Hawk zu lassen!“ „Als wenn wir bei dir die Wahl gehabt hätten!“, blaffte Jerry wütend und schlug auf den Tisch. „AKIRA! IDIOT, MANN!“ „Und deshalb will ich auch! Ich bin sicher ich synchronisiere auch so gut wie O-nii-chan und Megumi-chan mit der KI. Wir brauchen doch Piloten, oder?“ „Sicher, wir brauchen Piloten. Aber doch nicht dich oder Megumi!“ „Aber dich brauchen sie, was, O-nii-chan? Ich will dir doch nur helfen! Megumi-chan will dir doch nur helfen! Du kannst doch nicht alles alleine schaffen, das geht doch nicht! Sogar Sakura-O-nee-chan wollte dir helfen und wäre deshalb fast gestorben!“ „Yohko“, mahnte die Ältere sanft. „Ist doch wahr. Du vergehst doch jedes Mal vor Angst, sobald er aufsteigen muß, weil du ihm nicht helfen kannst! Aber Megumi kann es vielleicht. Und ich vielleicht auch! Warum lasst ihr uns nicht? Wir wollen doch nur, dass…“ „Moment! Vergiss nicht, was du sagen wolltest, Yohko-chan“, sagte Jerry und griff in seine Uniformjacke. Er zog sein Handy hervor. „Ja? Kommodore Thomas hier. Blue Lightning ist hier, ja. Ein Handy ist immer an, seins oder meins, das wissen Sie doch, Captain. Ja. Ja. Ja. Hm. Ja. Okay.“ Er sah ernst zu mir herüber. „Tokio oder Kobe, in zwanzig Minuten. Wagen steht bereit. Prime wird vorbereitet. Du musst in achtzehn Minuten im Cockpit sein.“ „Ist gut“, erwiderte ich und erhob mich. Es ging also wieder einmal los. „O-nii-chan!“, begehrte Yohko auf. „Du wolltest dich doch mit Megumi-chan am Hafen treffen!“ „Woher weißt du das denn?“ „Ihr wolltet ihre Mutter besuchen, schon vergessen?“ Ihre Mutter! Stabsdienstlerin bei den Selbstverteidigungsstreitkräften! Während Tokio vielleicht Ziel eines kronosianischen Angriffs wurde! Gehetzt eilte ich zur Tür. Mein Magen verkrampfte sich und fühlte sich plötzlich eiskalt an. Nein, oh nein, alles, nur das nicht! Wenn etwas schief ging, und alle Zeichen deuteten darauf, dann griffen die Daishis Tokio an, und alles, was sich in der Nähe der militärischen Basen aufhielt! Und damit auch… „MEGUMI!“ ** Die Geheimhaltung um Blue Lightning, den einzigen Mecha-Piloten der Menschheit war extrem aufwändig. Wenn ich von Japan aus startete, benutzte ich die neu erbaute Yamato-Basis, im Prinzip eine von einem enorm dichten Wachkordon umgebene Riesenhalle, in der man problemlos Zeppeline hätte bauen können, umgeben von einem Dutzend Gebäude, über die man die Halle durch schwer bewachte Tunnel betreten konnte. Der beste Schutz gegen visuelle Aufklärung von außen und aus dem Weltraum. Wenn Primus startete, stellte sich für Beobachter die Frage, welche der eintausend Personen, die in einem der Gebäude arbeitete, wohl in diesem Mecha steckte. Auf den Sohn des Wissenschaftlers und Geschäftsmann Eikichi Otomo achteten sie nicht. Noch nicht, und ich hoffte, es würde noch lange so bleiben. Meistens wechselte ich während der Anfahrt das Fahrzeug oder die Nummernschilder wurden gewechselt. Manchmal holte mich auch ein Helikopter irgendwo aus Tokio ab. In diesem Fall startete ich mit einer Bell direkt vom Dach eines Hochhauses, zog noch während des Fluges meinen Druckanzug an – der in solchen Situationen vorsorglich an Bord war – und landete mit dem Transporthubschrauber mitten in der Halle. Kurz darauf stürmte ich in das Getümmel. „Lieutenant! Primus ist bereit und voll aufmunitioniert! Die Selbstverteidigungsstreitkräfte sind informiert! AZ des Feindes bei Fünf Dreiunddreißig!“ „Fünf Minuten, dreiunddreißig Sekunden? Das ist nicht viel!“ Wir erreichten meinen Mecha, meinen Primus. Ich erklomm eine kleine Bühne, um in das Cockpit zu kommen, welches im Bauchbereich installiert war, direkt unter dem Fusionsreaktor, der Primus nahezu unerschöpfliche Energien garantierte. Und darüber hinaus mit einem ordentlichen Gewicht belastete. Die Hawks, unsere Weiterentwicklungen, würden mit Energiezellen betrieben werden. Reaktoren, die mit Helium 3 betrieben würden, sollten die Aufladespannungen liefern, um einen Hawk mit Energie für einen Tag oder länger zu versorgen. Ich hielt es für einen Vorteil, nicht mit einer kleinen Bombe über dem Kopf unterwegs zu sein. „Bewaffnung?“ „Gatling Gun mit achttausend Schuss pro Minute mit panzerbrechenden Rounds. Viertausend Schuss sind geladen. Artemis-Lanze mit ultrahoch vibrierendem Carbonblatt. Vierzig Selbstlenkende Raketen. Weitere Fragen?“ „Keine weiteren Fragen, Colonel Hatake. Wünschen Sie mir einfach nur Glück und lassen Sie mich von der Leine.“ Tatewaki Hatake, ein Freund meines Vaters, nickte wirsch, konnte aber ein flüchtiges Grinsen nicht verbergen. „Treten Sie denen kräftig in den Arsch, Lieutenant.“ Ich nickte dazu, während Karl meinen Druckanzug mit dem Cockpit verband. Zum Schluss etablierte ich die Verbindung zur Künstlichen Intelligenz. „Guten Morgen, Primus.“ „Guten Morgen, Sir. Der Feind kommt schneller näher als wir erwartet haben. Um es präzise auszudrücken, ein Teil der Feinde scheint schon in der Stadt gewesen zu sein.“ Ich fluchte leise. Diese Taktik hatten sie schon mal gebracht, damals in Rotterdam, beim Angriff auf London. Nur hätte ich nie erwartet, dass die Kronosier auch in Japan komplette zwölf Meter hohe Kampfroboter einschmuggeln konnten. Doch darum würde sich der Geheimdienst kümmern müssen. Die Hangartore öffneten sich, die Haltevorrichtung um Primus löste sich. Ich warf den Mecha herum und verließ im Laufschritt den großen Hangar. Draußen gab ich den Impuls für die Sprungdüsen und der Mecha erhob sich auf einem ultraheißen Plasmastrahl in den Morgenhimmel über Tokio. „HQ meldet Angriffe auf die Yamato-Basis, Sir.“ Ich orientierte mich kurz auf der Basis. Drei Daishi Alpha griffen das Gebäude mit Raketenbeschuss an, aber fünf Goblin-Panzer, Neuentwicklungen für den Kampf gegen Daishis, hielten sie nicht nur auf respektvollem Abstand, sondern holten auch die Raketen weit vor der Basis runter. Sehr effektiv, diese Dinger. Nur leider wurden sie noch nicht in Massenproduktion hergestellt. „Nicht ablenken lassen, Lieutenant! Im Moment sind die Stellungen am Hafen unter Feuer! Beeilen Sie sich!“ Ich ließ mich nicht lange bitten, ging auf die Frequenz der Selbstverteidigungsstreitkräfte. „Blue Lightning, hier Blue Lightning. Komme von zwo sieben null ins Kampfgebiet.“ „Major Itachi hier! Sie kommen genau richtig! Der Angriff der Daishis aus dem Lagerhallensektor am Hafen kam mehr als überraschend für uns, und wenn wir gegen sie kein Mittel finden, dann brechen die Hauptstreitkräfte durch!“ „Wie sieht es mit weiteren Verstärkungen aus?“ „Die SARATOGA ist in Reichweite und schickt uns alles was fliegen kann. Zudem steigt gerade alles auf, was Japan zu bieten hat!“ „Wie viele Angreifer sind es gleich noch mal?“ „Hat Sie niemand informiert, Blue Lightning? Es kommen fünf Fregatten auf uns zu, dazu dreihundert Daishis beider Klassen. Wir werden hier oben mächtig zu tun bekommen.“ „Das glaube ich auch!“ Schnell erreichte ich den Hafen. Noch drei Minuten, bis die Hauptmacht angriff. Über der Tokio Bay sah ich zwei TomCats brennend ins Meerwasser stürzen. Weitere Trümmer, von Daishis und anderen Jets schwammen bereits brennend in der Bay. Ich orientierte mich kurz und sah meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Diese Bastarde, die vom Hafen aus gestartet waren, hatten es auf das Hauptquartier abgesehen! Ich… Konnte nur noch mit ansehen, wie ein Bündel Raketen das Gelände verwüstete. Die drei Daishis, die für diesen Beschuss verantwortlich waren, begannen nun Jagd auf Bodentruppen zu machen! Wütend warf ich die Artemis-Lanze, auf eine Distanz von vierhundert Meter traf ich den ersten Alpha mittig, spießte ihn auf und pfählte ihn an einer Stahlbetonwand. Der Treffer ging mittig durch sein Cockpit, der Pilot konnte unmöglich überlebt haben! Der Nächste! Ich kam heran gerauscht, während die beiden übrig gebliebenen Daishis noch immer Jagd auf die Überlebenden machten. Yohkos Worte hämmerten plötzlich in meinem Kopf, dass ich mich mit Megumi hatte treffen wollen, um ihre Mutter im Stab zu besuchen. Von tiefer Angst erfüllt suchte ich das Gelände ab und fand Megumi tatsächlich! Wie ein hypnotisiertes Kaninchen stand sie vor einem Daishi und starrte zu ihm auf. Ich bildete mir ein hören zu können, wie sie nach mir rief. Primus ließ die Gatling fahren, wütend brüllte ich auf und fuhr auf den Alpha nieder. Die Hände des Mechas zuckten vor, bohrten sich in die Panzerung des Daishis. Dann zerriss ich die Maschine in zwei Hälften. Einen Teil warf ich dem dritten Mecha zu, der gerade noch mit seinen Raketen Infanteristen gejagt hatte. Die Maschine wurde getroffen, kam herum, wollte feuern, aber da hatte ich selbst schon eine volle Salve Raketen ausgelöst. Sie schlugen auf kürzester Distanz ein, schlugen mir eine Bresche. Und die Faust von Primus nützte diese Bresche, um das Cockpit und den Piloten auszulöschen! Hastig begann ich mich abzuschnallen. Megumi! Hoffentlich war ihr nichts passiert! „Blue Lightning hier. Gebt mir eine Minute!“ „Was ist passiert? Sir, was ist passiert?“ „Sie haben das HQ erwischt. Alle Einheiten sollen auf UEF-Frequenz wechseln, ich wiederhole, UEF-Frequenz. Die Yamato-Basis übernimmt ab sofort die Koordination.“ „Verstanden, Sir. AZ der Hauptmacht in eins siebzehn!“ „Das reicht mir, Major Itachi.“ Ich stürzte aus dem Cockpit, lief auf Megumi zu. „Megumi!“ Ich drückte sie an mich, in der Hoffnung, dass sie unverletzt war, das sie überleben würde. „Megumi, geht es dir gut?“ Als Antwort weinte sie und drückte sich an mich. „Dreißig Sekunden, Sir!“, meldete Primus und erinnerte mich wieder an meine Pflicht. Da stand ich, drei Daishis zerstört, über mir eine Luftschlacht, die bald mit dreihundert Maschinen dieses Typs aufwarten würde, in den Armen ein Mädchen, das mir ebensoviel bedeutete wie meine Familie. Ich spürte die Last der Verantwortung schwer auf mir lasten. Und ich traf eine Entscheidung. ** „Blue Lightning, hier Blue Lightning! Entschuldigt die Verspätung, aber ich musste noch schnell drei Alpha vernichten!“ „Schon in Ordnung, Lieutenant. Es wäre aber nett, wenn Sie uns jetzt zur Hand gehen könnten.“ „Akira!“ Megumi sah auf einmal anders aus. Konzentriert, ausgewechselt. Und so kühl, dass ich mir unwillkürlich ans Herz griff. Oh Gott, was hatte die Welt ihr angetan? Was hatte ich ihr angetan? Was hatten die Kronosier ihr angetan? „Akira, der linke November ist fast schutzlos. Ihn verteidigen nur drei Beta! Wenn man dir diese Tür aufmacht, dann kannst du die Fregatte vernichten!“ Ich pfiff anerkennend. Das war eine bemerkenswert gute Analyse gewesen. Zudem korrekt. „Wer spricht da, Lieutenant?“ „Das war mein Strategieoffizier, Major Itake“, erwiderte ich süffisant und erntete den Hauch eines Lächelns von der jungen Frau, die sich zwischen meinen Sitz und die Cockpitwand gezwängt hatte. „Und er hatte eine sehr gute Idee. Detachieren Sie die beiden Falcon Fulcrum auf meiner Flanke und lassen sie sie die drei Beta beschießen, die ich ihnen markiere. Danach breche ich zur Fregatte durch.“ „Zur Fregatte? Aber das ist Selbstmord! Selbst für Sie, Blue Light…“ „AUSFÜHRUNG!“ „Lieutenant Yorinaga hier! Fox two!“ Die beiden Fulcrum-Piloten beschossen die anvisierten Ziele mit Mavericks, woraufhin die drei Daishis seitlich auswichen. Ich ging auf maximale Beschleunigung, durchbrach ihre Linie und befand mich in Waffenreichweite der Fregatte. Ich warf Primus herum, entging dem Waffenfeuer der großen Partikelgeschütze. „Hey, mit Kanonen auf Spatzen schießen, das habe ich gerne!“, blaffte ich wütend. „Dieser Spatz hat aber ein extrem gefährliches Schwert in den Krallen“, gab Megumi zu bedenken. Ich grinste flüchtig. Dafür, dass ich sie in meinem Cockpit mitgenommen hatte, würde Jerry mir die Hölle heiß machen, das wusste ich. Aber ich hatte sie da unten nicht zurück lassen können. Ich hätte die Ungewissheit niemals ertragen. Raketen schossen aus den multiplen Werfern hervor, gingen mich an. Ich fixierte die einzelnen Kondensstreifen binnen weniger Augenblicke und die Raketenabwehr begann zu arbeiten. Was Primus nicht zerstören konnte, wurde von mir ausgetanzt. Dann war ich über den Aufbauten der Fregatte, feuerte die Gatling Gun ab, jagte die panzerbrechenden Runden in den kalten Stahl der kronosischen Fregatte. Zwei Geschütztürme explodierten, ein weiterer wurde derart arretiert, dass er sich nicht mehr bewegen ließ. Dann war ich direkt vor der Brücke. Ich konnte hinein sehen, erkannte Kronosier, die panisch zu mir heraus sahen… Und Menschen. Menschen? Söldner? Verräter an unserer Rasse? Die Artemis-Lanze in der linken Hand von Primus zuckte vor, durchbrach das Panzerglas der Brücke. Dann aktivierte ich den Vibrationsmodus der Klinge und trieb sie durch den Boden. Stromleitungen wurden zerfetzt, elektronische Geräte explodierten, Feuer brach aus, die Fregatte begann seitlich zu gieren. Dann riss ich die Waffe hoch, aktivierte den Vibrationsmodus erneut und perforierte die Decke der Brücke. Meiner schlanken Stabwaffe folgte die Glutwolke einer Explosion. Die Fregatte sackte durch, verlor rapide an Höhe. „Major Itachi“, sagte ich leise, „bevor der Maschinenraum die Steuerung übernimmt, sollten wir diesem Kahn den Rest geben.“ „Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte… Du bist wirklich Blue Lightning! Sofort auf meine Höhe zurückfallen, Lieutenant! Ein amerikanischer Aegis-Kreuzer gibt der Fregatte den Gnadenstoß.“ Ich bestätigte und startete vom verwüsteten Deck der November-Klasse. Schnell zog ich mich zurück auf die vage Linie, die von den Jets der Erdstreitkräfte eingehalten wurde. Im Gegensatz zu den Daishis konnten sie nicht einfach so in der Luft stehen bleiben. Dann jagten die Schiffsraketen des Aegis heran, drei auf einmal, trafen die Fregatte schwer im Triebwerksbereich und in den unteren Aufbauten. Kein Abwehrfeuer schlug ihnen entgegen. Stattdessen verging ein einstmals stolzes Schiff im Feuer und stürzte in die Bucht von Tokio. „Gut gemacht, Blue Lightning“, erklang die Stimme des Majors. „Mein Strategieoffizier hat die Lücke gesehen, nicht ich“, wehrte ich ab. Megumi lächelte grimmig. Ob ich jemals wieder ein sanftes Lächeln von ihr sehen würde? Nach diesem für sie so furchtbaren Tag? „Und wir sind noch lange nicht fertig! Ich brauche freie Flugbahn zur zweiten Fregatte!“ „Verstanden, Blue Lightning! Fox two! Fox two!“ Eine Wand aus fünfzig Mavericks, Sidewinder und Darts schoss auf die Daishi-Abwehrstellung zu, die vor der zweiten Fregatte auf meinem Speiseplan stand. Grimmig beschleunigte ich. ** Zurück auf der Basis, nach über neun Stunden Kampf, wollte ich eigentlich nur eines. Nach Hause gehen, schlafen, schlafen, schlafen. Aber ich konnte es nicht. Ein eisiges Gefühl fraß sich durch meine Eingeweide, und jede Sekunde, in der ich Megumis Hand hielt, wurde es schlimmer. Ihr stand schreckliches bevor. Ich spürte es, ich wusste es. Es war so furchtbar, dass Jerry mich nicht einmal dafür getadelt hat, dass ich sie in meinem Cockpit mitgenommen hatte. Und das machte mir Angst. Kommodore Thomas kam zu uns herüber. Von Onkel Jerry sehr gut zu unterscheiden an der extrem steifen Miene und dem Funkeln von Trauer in den Augen. „Uno-kun, ich…“, begann er und brach wieder ab. „Meine Eltern sind tot, nicht wahr?“, fragte sie tonlos. Mir drehte sich der Magen um. Ihre Worte, ihr Blick, alles war so kalt, so eisig kalt. Wäre da nicht ihre Hand gewesen, die sich furchtbar fest um meine krampfte, ich hätte dieses Mädchen nicht mehr wieder erkannt. Jerry nickte schwer. „Sie sind beide bei dem Angriff gefallen. Mein aufrichtiges Beileid, Uno-kun.“ „Verstehe. Wann holen sie mich ab?“ „Wer holt dich ab?“ „Die von der Fürsorge. Jetzt, wo ich eine Waise bin und…“ Wieder krampfte ihre Hand um meine. Ich drückte nicht minder fest zu. Sie wollten mir Megumi wegnehmen? Niemals! Wenn mein Status als Blue Lightning für irgendetwas gut war, wenn nicht dann, um sie zu beschützen? „Niemand holt dich ab, Megumi-chan“, sagte Jerry ungewöhnlich sanft. „Niemand holt dich hier weg.“ Entsetzt sprang ich auf, ließ ihre Hand aber nicht fahren. „Nein, Jerry! Nein!“ „E-es wurde bereits alles arrangiert. Eikichi hat es erledigt, noch während du die zweite Fregatte vernichtet hast. Er hat gesagt, Megumis ruhiges Auge hat deine Performance um dreißig Prozent verbessert und…“ „Nein, Jerry, nein. Nicht Megumi!“ „Es ist nicht deine Entscheidung und leider auch nicht mehr meine.“ Er sah Megumi in die Augen. „Megumi-chan. Ich biete dir hiermit an, als Offiziersanwärter und Mecha-Pilot in die UEF einzutreten. Wir liefern diese Woche vier Hawks aus, und Akira wird einen übernehmen.“ Ich hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Ich hatte gewusst, dass ich Primus nicht für immer steuern würde. Primus, diesen mächtigen Verteidiger der Menschheit. Der weiße Mecha, der dem Feind Tod und den Menschen Hoffnung gebracht hatte. „Einen sollst du übernehmen. Deine Synchronisationswerte waren ganz hervorragend. Und du hast deine Feuertaufe nun schon hinter dir.“ „Wann kann ich anfangen?“ Entsetzt riss ich an ihrer Hand, zog ihren Körper zu mir herüber und drückte sie an mich. „Megumi, verdammt, ich mache das alles doch nur aus einem Grund! Damit mir liebe Menschen wie du und Yohko nicht in diese Maschinen steigen müssen!“ „Und genau deshalb will ich in diesen Hawk klettern.“ Sie sah mich an, Tränen schimmerten in ihren eisigen Augen. „Damit du das nicht mehr alleine tun musst. Damit du jemanden hast, der dir den Rücken deckt. Damit nicht noch mehr Kinder ihre Eltern verlieren. Zu zweit können wir soviel mehr erreichen.“ „Megumi…“ „Akira, ich…“ „Wie dem auch sei. Für heute haben wir genug getan. Komm, wir fahren zu mir nach Hause. Ich bin sicher, das Essen wartet schon auf uns. Und mein Cousin Makoto ist auch gerade da.“ Ich stand auf, zog Megumi auf die Beine. Dann ließ ich ihre Hand fahren. „Ist da okay, Onkel Jerry?“ „Ich will dir nicht zur Last fallen, Akira“, sagte sie mit schwacher Stimme. „Heute wirst du es, ob du willst oder nicht. Also, wie ist es, Onkel Jerry?“ „Ich kümmere mich um eine eigene Wohnung für dich, Megumi-chan. Und jetzt geht, ihr zwei. Beim aufräumen müsst ihr wirklich nicht mehr dabei sein.“ Erleichtert atmete ich auf und setzte mich in Bewegung. Megumi spürte ich dabei wie eine gewaltige Hitzequelle immer einen Schritt hinter mir. Ihre Hand griff plötzlich nach meiner, hielt sie ohne dass wir beide stoppten. Und so gingen wir weiter durch den Hangar. Ich wusste nicht, ob ich froh oder zutiefst bestürzt sein sollte. Ich brachte sie in Gefahr. Ich raubte ihr die Seele. Ich, nur ich allein. 5. Mit einem dünnen Lächeln saß ich auf Blue Lightnings Fuß und las meine Korrespondenz. Im dreizehnten Monat der Kämpfe war ich reifer und erwachsener geworden. Ein frühzeitiger Wachstumsschub hatte mir fast die Größe eines durchschnittlichen Erwachsenen beschert und die ewigen Kämpfe einen äußerst trockenen Humor. „Worüber lachst du, Akira?“ Megumi ließ sich neben mir nieder und nahm einen der gelesenen Briefe auf. „Du ekliger Bastard und Kriegshetzer! Mögest du ins Meer stürzen und von den Fischen gefressen werden… Akira, wer schreibt dir denn solche Briefe?“ Ich zuckte die Schultern. „Kriegsgegner halt, die mich anders hier auf der OLYMP-Basis nicht erreichen können. Lass sie doch. Das sind wenigstens Dinge, die ich nachvollziehen kann.“ Ich deutete auf einen großen, bis zum Rand gefüllten Postsack. „Die da machen mir viel mehr Sorgen.“ Interessiert sah Megumi herüber. „Was ist das?“ „Das ist die zweite Abteilung neben wüster Beschimpfungen für den Kriegshetzer. Das sind die Liebesbriefe.“ „Liebesbriefe?“ Die junge Frau zog die Stirn kraus. „Verstehe ich nicht. Deine Identität wird geheim gehalten, da unten kennen sie nicht mal dein wahres Alter. Was die Welt von dir weiß sind nur deine Einsätze auf Primus und Blue Lightning. Und du kriegst Liebesbriefe?“ „Jede Menge. Jede Menge. Von Frauen, von Männern, von Kriegsfanatikern, du glaubst nicht wie lang die Liste ist.“ Ich grinste sie über den Rand des Briefes an. „Kriegt Lady Death etwa keine Liebesbriefe?“ Sie errötete. „Ein paar vielleicht.“ „Definiere ein paar vielleicht.“ „So um die hundert.“ „Aha.“ „Am Tag.“ Ich wusste für einen Moment nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ein lautes Spektakel enthob mich einer Antwort, als Sakura seufzend zu uns herüber trat und zu ihrem Bruder und meiner Schwester hinüber deutete. „Was ist denn mit denen los?“ Thunderstrike und Zeus, die beiden anderen Mecha-Piloten der Menschheit alias Yohko und Makoto kamen ebenfalls näher, unterbrachen ihren Streit aber nicht für eine Sekunde. „Und ich sage dir, ich hätte ihn auch ohne dich geschafft! Außerdem war dieser Schuss so verdammt knapp, ich wette, auf Thunder sind Schleifspuren von deiner Munition zu finden!“ „Abgesehen davon, dass ich der beste Schütze der Welt bin, Yohko-chan, ich war nicht bereit das Risiko einzugehen, dass du gegen zwei Daishi Gamma vielleicht nicht bestehen könntest! Basta!“ Die beiden schnauften sich wütend an. „O-nii-chan, sag doch auch mal was!“ „Akira, kannst du ihr vielleicht mal erklären, dass die Hekatoncheiren kein Kuschelverein sind? Wenn sie nicht mit der Elite mithalten kann, dann…“ „Ich KANN mit der Elite mithalten! Ich BIN die Elite!“, schrie sie wütend. Laut genug, dass mir die Ohren klingelten. „Yohko“, mahnte ich. Sofort schaltete sie einen Gang zurück, drückte die Zeigefinger aufeinander und murmelte eine Entschuldigung. „Wie war der Einsatz?“ Ich begleitete meine Worte mit einem Blick, der unmissverständlich klar machte, dass ich einen leichten Thema-Wechsel wünschte. „Es lief ganz gut. Wir konnten die KAZE rechtzeitig erreichen. Beide Erzfrachter sind unbeschadet auf der Armstrong Basis gelandet. Wir haben sie und die KAZE dann bis zum Lagrange-Punkt Erde-Mond begleitet und ließen uns dann von der YAMATO ablösen. Die Frachter und die Fregatten treffen hier in zwei bis drei Stunden ein. Keine weiteren feindlichen Ortungen in Reichweite.“ „Wir hatten einen Zusammenprall mit zwei getarnten Korvetten und den zwanzig Daishis, die sie transportieren können. Es waren zwei Gammas dabei“, fügte Yohko hinzu. „Ich war gerade dabei, ihnen so richtig den Arsch aufzur…“ „YOHKO!“ Erschrocken sah sie zu Boden. „Sie so richtig fertig zu machen, da hat Mako so knapp an mir vorbei geschossen, dass ich dachte, er hätte auf mich gezielt!“ „HA! Hätte ich auf dich gezielt dann hätte ich auch getroffen! Großmäuler mit so einem großen Ego sind nämlich meine Lieblingsziele!“ „Wer ist hier das Großmaul? Wer nennt sich denn hier Zeus? Doch nur der größte großmäulige Idiot!“ Die beiden wandten sich brüsk voneinander ab und ich seufzte tief. Diese zwei. Diese zwei. Unmerklich drehte sich Yohko in Makotos Richtung. „Mako-o-nii-chan…“ „Der größte Idiot hört dich, Yohko.“ „Mako-o-nii-chan, ich…“ „Es tut mir Leid, dass ich so knapp an dir vorbei geschossen habe. Ich hatte nur Angst um dich. Da habe ich einfach nur reagiert.“ „O-NII-CHAN!“, rief Yohko, wirbelte herum und drückte sich heulend an Makotos Rücken. „Es tut mir Leid, es tut mir Leid! Ich wollte nicht mit dir streiten! Ich wollte dir keine Sorgen bescheren!“ Makotos steife Haltung schmolz dahin wie Butter in der Sonne. „Yohko-chan, es kommt doch nur darauf an, dass du unverletzt bist.“ „Wirklich?“, hauchte sie und krallte sich in Makos Rücken fest. „Ganz wirklich.“ „Und das sind die gefährlichsten Piloten der Menschheit“, murmelte ich. Aber es war keine Enttäuschung in meiner Stimme. Nur ein wenig Wut, weil ich mit meiner eigenen Rührung zu kämpfen hatte. Diese beiden. „Bevor das ganze hier in Gruppenkuscheln ausartet, kommt zur Abschlussbesprechung. Vater hat uns einiges zu erzählen.“ Ich nickte und verließ den Hangar. „Seht ihn euch an. Wie cool er tut“, flüsterte meine Schwester. „Ja, tut so, als könne ihn kein Wässerchen trüben. Aber ich wette, er würde heulen wie ein Schlosshund, wenn er auch nur in Megumis Richtung hätte feuern müssen“, fügte Makoto hinzu. „Was? Wieso das denn? In meine Richtung? Ich verstehe nichts!“ „Und schon haben wir zwei von der Sorte.“ Mako seufzte laut genug, dass es von den Hangarwänden wiederzuschallen schien. Ich wandte mich halb zur Seite. „Sakura.“ „Verstanden.“ Meine Cousine nickte mir lächelnd zu und wartete auf die drei Piloten. Dann umarmte sie Makoto. „Oh, mein süßer kleiner Bruder, du musstest ja solche Angst um deine niedliche Cousine ausstehen. Wenn ich mir vorstelle, was du durchmachen musstest! Wie schrecklich! Wie gemein! Mako-nii-chan!“ „Schachmatt“, brummte ich gehässig. Das war eine Sekunde bevor sich Megumi an meinen linken Arm hängte. „Was meinte Mako-chan denn damit, dass du heulen würdest wie ein Schlosshund?“ „Du, das ist jetzt wirklich eine schlechte Zeit, um das zu diskutieren“, wehrte ich ab. „Wir reden nach der Besprechung darüber.“ Zu meiner Erleichterung gab sie sich damit zufrieden. Aber vergessen würde sie es sicherlich nicht. ** „Zuerst einmal möchte ich euch für die gute Arbeit danken. Dir, Makoto und dir, Yohko, für den Schutz unserer Flugrouten Erde-Mond. Und dir, Akira und dir, Megumi für den Einsatz im Orbit über Afrika. Ihr habt effektiv bewiesen, dass wir ein zweites Plattformsystem brauchen, wenn wir die Infiltration der Kronosier stoppen wollen. Aber das ist nicht das Hauptthema. Akira, wie sieht es mit deinen Abschusszahlen aus? Wie viele Mechas hast du zerstört?“ Ich kratzte mir nachdenklich am Kopf. „So um die einhundertsieben. Warum fragst du, Eikichi.“ „Vater heißt das, mein Sohn. Soll sich deine Schwester vielleicht diese Unsitte bei dir abschauen? Es sind exakt dreiundsiebzig Alpha und achtunddreißig Beta. Dazu kommen siebzehn Korvetten sowie sechs Fregatten. Damit führst du die Topliste der besten Mecha-Piloten mit weitem Abstand an.“ „Warum erzählst du mir das alles, Eik… Vater?“ Vater sah in die Runde. „Wenn ich all das zusammen zähle, was ihr vier in diesem Jahr vom Himmel geholt und aus dem Weltraum geschossen habt, wisst ihr, zu welcher Erkenntnis ich da komme? Die United Earth Mecha Force hat alleine zweihundertsiebenundachtzig Daishis beider Klassen vernichtet. Dazu achtundzwanzig Korvetten und elf Fregatten – auf euch vier verteilt natürlich. Darüber hinaus haben die Streitkräfte der Erde sowie unsere eigenen Kampfjets vom Typ Hawkeye und unsere Goblin-Panzer noch einmal ungefähr die gleiche Zahl an Mechas vernichtet. Unsere vier Fregatten darüber hinaus zwei gegnerische November und fünf Foxtrott.“ Hinter Vater erwachte der große Bildschirm zum Leben und zeigte die Statistik unserer Vernichtungen. Ich starrte die Zeitangaben und die Verlustzahlen an und stutzte. „Verdammt, das sieht nicht gerade aus, als würden es weniger werden. Das sieht so aus, als würden es von mal zu mal mehr Gegner, mehr Ziele. Mehr Schiffe.“ „Das hat sich die UEMF auch gedacht. Der Vorsitzende Fredriksson hat deshalb ein neues Programm ins Leben gerufen. Sakura.“ Die blonde Frau löste Vater am Sprechpult ab. Sie gehörte als Captain zur wissenschaftlichen Abteilung des OLYMP. Aber ich hatte mir sagen lassen, dass sie auch Schiffsdienst beantragt hatte. Und nebenbei kümmerte sie sich auch noch um uns Mecha-Piloten. Wie schaffte das Mädchen nur dieses Arbeitspensum? Hinter ihr wechselte das Bild. Es zeigte nun einen Hawk-Mecha, aber die Lackierung stimmte mit keinem unserer vier Maschinen überein. Das Bild zoomte hinaus und stellte nun acht Hawks dar, alle im gleichen Schema lackiert. „Was ihr hier seht, sind die Titanen. Angelehnt an die griechische Mythologie sollen diese acht Mechas euch in Zukunft unterstützen.“ Ich atmete erleichtert auf. Endlich erhielten wir Verstärkung. Endlich wurden die Hawks in Massenproduktion hergestellt. Endlich würden wir… „Moment mal, Sakura, Moment mal. Sag mir bitte nicht, dass ihr jetzt noch mehr Kinder in Mechas steckt?“ Unwillkürlich sah ich meine drei Kollegen an. „Wen nennst du hier Kind, eh? Ich bin älter als du!“, blaffte Mako unwirsch. „Nein, natürlich nicht.“ Sakura machte eine beruhigende Handbewegung. „Vier Piloten haben wir schon gefunden, die bereits eifrig auf den Maschinen trainieren. Sie sind alle älter als sechzehn.“ Ich schluckte hart. Okay, das war zwei Jahre mehr als ich auf dem Buckel hatte, aber zählte das schon als erwachsen? „Es hat sich leider herausgestellt, dass wir noch immer keine erfahrenen Piloten auf die Mechas setzen können. Es ist uns noch nicht gelungen, die Künstlichen Intelligenzen weit genug anzupassen, um die reibungslose Synchronisation zu gewährleisten. Sie braten zwar keine Gehirne mehr…“ - unwillkürlich rieb sich Sakura die Schläfen, was mir erhebliche Bauchschmerzen bereitete – „aber die Synchonisationsrate bei Menschen über einundzwanzig ist zu niedrig. Zudem können nur die jungen Leute schnell genug die Synapsen ausbilden, die für die Kommunikation mit den KIs erforderlich sind. Darüber hinaus ist die Suche nach qualifizierten Piloten noch immer eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Und gerade jetzt, wo der Hawk in Serie hergestellt wird, brauchen wir…“ „Sakura-chan, Sekunde. Du willst mir doch nicht erzählen, dass die UEMF zugestimmt hat, nun vermehrt und offen junge Leute für die Hawks zu rekrutieren?“ Sie deutete mit erschreckend bleichem Gesicht auf die Wand hinter sich. „Uns bleibt keine andere Wahl. Du siehst es selbst, für jeden Daishi, den wir zerstören bauen und bemannen sie zwei neue. Zudem haben sie schon herausgefunden, wie auch Erwachsene Menschen die Daishis steuern können. In letzter Zeit sind vermehrt menschliche Piloten aufgetreten. Sprich, die Zahl der Kronosier im Einsatz geht mehr und mehr zurück und die Zahl der menschlichen Söldner schießt in die Höhe. Wir brauchen jeden verdammten Mecha, den wir einsatzklar kriegen können, sonst wird uns diese Welle bald überrollen.“ Schweigen antwortete ihr. Ich persönlich war frustriert. Was trieben unsere Wissenschaftler eigentlich? Wieso waren die Kronosier schon so weit und wir noch nicht? Konzentrierten sie sich ausschließlich auf unsere hochwertigeren Waffen und bessere Panzerung und hatten sie die Synchronisation weit nach hinten geschoben? „Verdammt.“ „Du sagst es, Akira“, brummte Makoto. „Und, Nee-chan, wer sind die Glücklichen vier neuen Piloten?“ „Ein Russe, ein Deutscher, ein Angolaner und ein Chinese. Sie kommen alle vier aus der Offiziersausbildung ihres Heimatlandes und gewöhnen sich relativ schnell an die Hawks. Zur Zeit trainieren sie noch in der Wüste von Arizona, aber in einer oder zwei Wochen werden sie bereit für die Verlegung auf den OLYMP sein. Bis dahin sind ihre Identitäten geheim.“ Sakura runzelte die Stirn, als sie unsere Blicke sah. „Nun, sie sollen euch nicht ersetzen. Nur verstärken. Sie übernehmen die Verteidigung des OLYMP und der Mond-Route, während die Hekatoncheiren und Zeus weiterhin weltweit an den Brennpunkten eingesetzt werden.“ „Das ist es nicht“, erwiderte ich, aber es war eine glatte Lüge. „Was uns zum nächsten Punkt bringt.“ Vater löste Sakura wieder ab, sah uns ernst an. „Die KAZE und die YAMATO haben im Auftrag der UEMF den Mond genauestens abgesucht. Sie sind zur Erkenntnis gekommen, dass sich mit hoher Wahrscheinlichkeit weder Stützpunkte der Kronosier noch Werften für Korvetten und Fregatten auf ihm befinden. Wir haben es bereits anhand der ballistischen Daten bei den Angriffen der Kronosier ermittelt, aber nun haben wir Gewissheit. Der Mond ist nicht die Heimatbasis unserer Feinde.“ „Bleiben noch Venus und Mars.“ Ich kratzte mir nachdenklich den Nasenrücken. „Okay, streicht die Venus. Dort herrscht ein Luftdruck von einhundert Bar auf der Oberfläche. Unter diesen Umständen kann man keine Basis unterhalten, wenn alles, was da unten landen will, zerquetscht wird wie ein Pappkarton in der Druckpresse.“ „Richtig. Bleibt noch der Mars. Und das macht unseren Gegner noch gefährlicher.“ Eikichi kratzte sich nachdenklich auf der Nase. Mist, von ihm hatte ich also diese schlechte Angewohnheit! Na, vielen Dank, Vater. „Nicht nur dass er beständig expandiert und seine Truppe weiter ausbaut, er überwindet für seine Angriffe auch die beträchtliche Distanz zwischen Erde und Mars. Was die zwei Monate Ruhe erklärt, wenn sich die Erde, die sich in knapp dreihundertsechsundfünzig Tagen einmal um die Sonne bewegt, am weitesten vom Mars entfernt ist, der gut vierhundert Tage für diese Tour braucht.“ „Mit der Sonne zwischen uns verständlich“, murmelte Megumi. „Ist ein dreifacher Weg für die Kronosier.“ „Hast du etwa deswegen Mitleid oder sogar Verständnis für die Kronosier?“, neckte ich sie. „Weil sie es bei ihren Angriffen so weit haben?“ „Weit ist relativ“, warf Makoto ein. „Mit unseren hochmodernen Antrieben schaffen wir die Strecke von der Erde zum Mars bei idealer Konstellation in weniger als drei Tagen.“ „Die ideale Konstellation hat aber nur ein Zeitfenster von weniger als einer Woche“, warf Yohko ein. „Einen Tag vor der Konjunktion, die Konjunktion mit dem Mars selbst und die fünf Tage nach der Konjunktion. Da der Mars die Sonne langsamer als die Erde umkreist können wir uns von ihm quasi einholen lassen.“ „Wie dem auch sei“, unterbrach Vater unsere Fachsimpelei. „Wir haben Zugriff auf die Cassini-Sonde bekommen und die Erlaubnis erhalten, sie unauffällig in Richtung Mars zu bewegen. Ihren eigentlichen Auftrag wird sie damit nicht ausführen können, aber die UEMF verfügt nun sowieso über Schiffe, die weitaus schneller sind als der Antrieb der Sonde. Sobald Frieden herrscht, werden wir das gesamte Sonnensystem mit unseren Fregatten erkunden. Die Cassini-Sonde als eher primitive Technologie aus der Zeit vor der Attacke der Kronosier wird jedenfalls hoffentlich lange genug ignoriert werden, bis wir unseren Verdacht bestätigt sehen: Die Kronosier hocken auf dem roten Planeten.“ „Warum fliegen wir nicht gleich selbst mal rüber und machen alles platt was wir sehen? Wir sollten ihnen ein paar Werften zerstören, damit ihr Nachschub an Daishis und Schiffen zusammenbricht.“ „Akira hat Recht. Auf jeden Fall müssen wir uns ansehen, was die Kronosier als nächstes gegen uns aufbieten werden. Wir müssen dringend ihre Technologie und ihre Fortschritte feststellen“, unterstützte mich meine kleine Schwester. „Das werden wir auch. Wir müssen die Kronosier wenigstens weit genug verlangsamen, damit wir technologisch aufholen können. Denn zerstören können wir sie nicht. Noch lange nicht.“ Vaters Blick schien in weite Fernen zu gehen. „So schwer es mir fällt einzugestehen, aber die Kronosier vergrößern ihre Truppen schneller als wir. Und sie haben auch bereits mehr Schiffe als wir. Wenn wir uns nicht Zeit erkaufen, wenn wir nicht einen technologischen Fortschritt erzwingen, wie wir ihn bei den Mechas haben, wird dies vielleicht doch bald eine Kolonie der Kronosier.“ Ich war grimmig und entschlossen bei diesen Worten, denn ich fühlte, dass Vater jedes einzelne Wort gemeint hatte, wie er es gesagt hatte. 6. Fasziniert lauschten die beiden jungen Leute den Ausführungen des Wolf-Dämons. Nie hätten sie erwartet, dass die Vorgeschichte, in die sie beide mehr oder weniger hinein gestolpert waren, so komplex, so aufregend und so gefährlich gewesen war. Okame ließ sich ausnahmsweise mal nicht bitten und war ungewöhnlich redselig. So redselig, dass er neben Akaris siebenundvierzig Fragen auch noch Zwischenfragen und Spekulationen zuließ und nach bestem Wissen beantwortete. Der geheime Pakt zwischen Dämonenwelt und Menschenwelt, federführend von den Arogad übernommen, nachdem die europäischen Großreiche in einem Krieg gegeneinander alle Moral und Menschlichkeit hinter sich ließen, die ewige Gefahr, erneut von der Core-Zivilisation entdeckt zu werden, die geheimen Vorbereitungen für genau diesen Fall, all dies breitete sich vor ihnen auf wie ein bunter Patchwork-Teppich, in dem jeder einzelne Flicken eine besondere Bedeutung einnahm. „Zweitausend Jahre“, hauchte Michi fasziniert. Fasziniert und froh, sich letztendlich für die richtige Seite entschieden zu haben. Die richtige Seite, das waren Akira… Und seine Akari. Der junge Kronosier fühlte eine Hand auf seiner Rechten ruhen. Er sah herüber und blickte direkt in Akaris lächelndes Gesicht. Die Komplexität der Geschehnisse faszinierte sie auch, aber als ehemalige Oni und als langjährige Begleiterin von Akira konnte sie nur wenig erschüttern. Er ergriff ihre Hand und drückte sie fest, die junge Frau erwiderte den Druck innig. Der junge Mann mit den weißen Haaren, die das Genom der Elwenfelt verursacht hatte, spürte, wie er bis unter diese Haare errötete. Akari lächelte süß dazu. Diese Seite an ihm mochte sie besonders, wie sie nie aufhörte zu betonen. Aber Michi fragte sich, wie lange er noch schüchtern bleiben durfte. Oder noch schlimmer, bleiben konnte. „Nicht so eilig, mein lieber Okame-tono“, sagte Michi, ohne in die Richtung des Dämonen zu sehen. Der Wolfskönig, schon beinahe zur Tür raus, blieb stehen, als hätte ihn jemand bei etwas verbotenem erwischt. „Eine letzte Frage haben wir da noch.“ Der junge Kronosier sah zu Okame herüber und seine Augen blitzten auf, als er den Dämonen fixierte. Eine KI-Reaktion, aber von ihm eindrucksvoll in Szene gesetzt. Okame seufzte entsagungsvoll und setzte sich wieder. „Eine noch, okay, aber danach muß ich noch zu einer Besprechung mit Mako-chan.“ „Wieso nennst du Mako-chan eigentlich Mako-chan und nicht Makoto-tono, wie du es sonst bei allen anderen tust?“, fragte Akari. „Bitte, lenk doch nicht vom Thema ab, sonst kann sich der Wolf herauswinden.“ Michi kratzte sich nachdenklich an der Stirn. „Aber diese Antwort interessiert mich auch. Also?“ Okame grinste schief. Das wirkte so unbeholfen und nett, dass die beiden sich unwillkürlich fragten, wo wohl der richtige Okame geblieben sein könnte. „Mako-chan ist einfach viel zu süß. Habt ihr ihn noch nie in Frauenkleidern gesehen?“ „Frauenkleidern? Wieso Frauenkleidern? Akarin, was… Warum wirst du rot und siehst weg? Akarin, was verschweigst du mir?“ „Äh… Ich zeige dir nachher meine Sammlung. Du wolltest Okame doch was fragen.“ „Aber wirklich, ja? Und die Sammlung erklärt es? Echt? Okay, Okame-tono, dann will ich eines wissen: Die Daima…“ „Daina!“ „Daima!“ „Daina!“ Dai-Ma!“ „Nein, es heißt Daina. Mit N.“ „Es ist beides richtig. Die Überlieferungen der Daina-Sprache ist nur phonetisch enthalten. Die Übersetzung selbst ist bei diesem Laut sehr ungenau, sodass man sowohl Daima als auch Daina sagen kann. Leider gibt es keine Daina mehr, die man fragen könnte. Und es gibt auch niemanden, der alt genug wäre, um noch mit einem lebenden Daina gesprochen zu haben. Denn dazu hätte er den Krieg miterleben müssen. Also bleibt es jedem selbst überlassen, wie er den Namen ausspricht. Was willst du über die Daina wissen, Michi-tono?“ „Du hast es gerade beantwortet“, murmelte der junge Kronosier und schüttelte wie benommen den Kopf. „Keine Daima mehr…“ „Daina!“ „Akarin, du hast doch Okame-tono gehört! Man kann es aussprechen wie man will. Ich…“ „Wenn es das jetzt war, dann gehe ich jetzt, meine Kleinen.“ „Was? Ja, danke dir, Okame. Michi, in meinen Hausaufgaben schreibe ich Daima. Und das letzte was ich gebrauchen kann ist, dass mir mein eigener Freund phonetisch in den Rücken fällt!“ „In den Rücken fällt? Akarin, übertreib doch nicht immer so…“ Lächelnd zog der Riese die Tür hinter sich zu und ließ die jungen Leute alleine. Ihr kleiner Streit würde nicht ewig weitergehen. Und sie würden sich sehr schnell wieder vertragen. Außerdem würde jeder verstreichende Tag dazu führen, dass sie der Erkenntnis über die beiden näher kamen. Waren sie für immer Verbündete… Oder wurden sie eine nie geahnte Gefahr? Ihm schauderte als er für einen Augenblick mit dem Gedanken spielte, sie könnten eine Gefahr werden. Aber er hatte ihre Kraft gespürt, damals, im Antriebssektor der AURORA. Bei der Großen Spinne, JEDER hatte sie gespürt. Welch unendliche Macht. Was für ein Schicksal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)