Anime Evolution: Past von Ace_Kaiser (Dritte Staffel) ================================================================================ Kapitel 3: A und O ------------------ 1. "Halte dich gerade", zischte Jora Kalis Megumi Uno zu. "Und sieh starr geradeaus, verstanden?" "Wer bist du, dass ich mich von dir tadeln lassen muß?", zischte Megumi zurück. Die beiden Frauen wechselten einen wütenden Blick. "Ich bin die Ältere, und die große Schwester hat immer das letzte Wort. Das solltest du eigentlich wissen." "Ich hatte nie eine große Schwester." "Was?" Erstaunt schielte Jora zur Frau von der Erde herüber. "Keine große Schwester, mit der du dich wegen Musik gezankt hast? Wegen Filmen und Jungs, die du gut fandest? Keine große Schwester, die dir in den Ohren lag, wie du dich benehmen sollst und wer der richtige Umgang für dich ist? Die dir tonnenweise unnötige Tipps für dein erstes Date mitgegeben hat?" "Nicht wirklich", erwiderte Megumi. "Mann, was hast du alles verpasst." Mitleidig sah die Naguad herüber. Unsicher erwiderte Megumi den Blick. "Ich hatte Akira." "Nun", erwiderte Jora leise, "vielleicht ein guter Tausch." Sie betraten den Hangar, in dem gerade die beiden Mechas Thunderstrike und Archer für den Transport auf die TAUMARA bereit gemacht wurden. Im Hintergrund werkelten die Techs auch an Lady Death. "Pass auf, dass die Schirmmütze nicht verrutscht", murmelte Megumi ernst. Jora nickte dazu. Und beglückwünschte sich zur Idee, das Licht in der Halle dimmen zu lassen. Sie erreichten die Gruppe wartender Menschen, Yoshi, Yohko und Yodama-sama. "Ich nehme Joras Red Team-Banges. Und mit Lady Death könnt Ihr... Könnt Ihr... Es wird sich schon was finden." "Danke, ich danke dir." Jora hoffte, dass man den plötzlich in Megumis Stimme triefenden Sarkasmus nicht höre würde. "Du machst das schon, Mädchen. Hauptsache, Ihr bringt Akira zurück." Ihre Stimme wurde scharf, um diesen besonders wichtigen Punkt in das Gehirn der Jüngeren zu prügeln. Es schien zu wirken, denn die Anführerin von Briareos straffte sich. "Wir können, Admiral." Die beiden Frauen, die sich so ähnlich sahen und im Moment nur durch ihre Haarfarbe und den Schnitt unterschieden werden konnten, trennten sich. Die eine im engen Druckanzug der Mechapiloten, bewehrt mit dem so typischen roten Helm der absoluten Elitepilotin der Erde, folgte Yoshi und Yohko an Bord der TAUMARA. Die andere, mit Uniform und Schirmmütze der UEMF ausgestattet, sah ihnen nach und salutierte auf terranische Art. Soweit, so gut. Ein letzter, spöttischer Blick traf die uniformierte Frau, die unwillkürlich nach ihrer Uniformmütze griff, als sie meinte, Admiral Arogad würde nicht hinsehen. "Ihr hättet auch einfach fragen können, anstatt diesen ganzen Ärger zu riskieren", bemerkte die Admiralin schmunzelnd, während sie auf die Schleuse zuging und nach hinten winkte. Jora Kalis bekämpfte einen Moment das Entsetzen. Verdammt, hatte Akiras Großmutter sie durchschaut? Megumis Vorbereitungen, um sich an Bord der TAUMARA schmuggeln zu können, Joras Bereitwilligkeit, hier die Rolle des terranischen Aß zu spielen, war das alles aufgedeckt, bevor es richtig geklappt hatte? Das wurmte die Frau aus dem Haus Daness. Gegen die Arogad zurückstecken zu müssen wurmte jeden Daness. Aber Megumi war nun als Jora Kalis auf dem Weg an Bord der Fregatte, und Jora als Megumi Uno hier in der Axixo-Basis, um ihre Rolle zu spielen. Also war es zumindest keine Niederlage. Keine vollkommene. Die Haare färben würde sie dennoch müssen, wenn sie weiterhin Megumi spielen sollte, ging es ihr durch den Kopf. Zum Glück hatte ihre jüngere Hausschwester alles vorbereitet. Jora schmunzelte. Es hätte so ein schönes Husarenstück werden können. Andererseits war Megumi bereits in Erklärungsnotstand gekommen, als sie in voller Pilotenmontur und aufgesetztem Helm auf die Fregatte gewechselt war. "Viel Glück, Schwester. Und bring Akira und Joan sicher wieder nach Hause", murmelte sie. Auch wenn er nur ein Arogad war. Allerdings ein ganz besonderer. ** "Komm mal her, du!" Kraftvoll griff Yoshi zu, langte der Mecha-Pilotin in den Nacken und zog sie aus dem Banges-Hangar mit. Bevor es sich die junge Frau versah, zerrte der große blonde Eagle-Pilot sie schon über diverse Gänge und anschließend in eine schlampige, unaufgeräumte Kabine, die lauthals schrie: Hier wohnt ein Mann. "Hey, Moment mal, Yoshi, was soll das alles?" In der Mitte des Raumes ließ der Major die Frau stehen und nestelte an ihrem Helm. Erschrocken legte sie beide Hände darauf. "Y-yoshi! Lass das! Ich..." "Stell dich nicht so an, Megumi! Beeilen wir uns lieber!" Erschrocken starrte sie den Freund an, während die Tür aufging und zwei junge Frauen den Raum betraten. Aria Segeste und Yohko Otomo kamen herein. "Du hast sie ja immer noch nicht aus ihrem Anzug rausgepellt, Yoshi. Dabei sagt Yohko doch immer, sie kriegst du ganz schnell aus ihren Klamotten", scherzte Aria. Yoshi gewann gerade den Kampf mit dem Helm und zog ihn der Frau im Druckanzug vom Kopf. "Ganz ausziehen überlasse ich euch Mädchen, sonst kriege ich Ärger mit Akira." Erschrocken, eher entsetzt sah Megumi in die Runde. Unbewusst versuchte sie ihre Haare zu verdecken. "Also doch", stellte Yohko fest. "Mädchen, du hättest wenigstens färben können. Genug Zeit hattest du ja." "Ha, hast du schon mal versucht, auf einer militärischen Basis schwarze Tönung aufzutreiben?", konterte Megumi bitter. "Wie habt Ihr es gemerkt?" "Wir wussten es von Anfang an", gestand Yoshi und öffnete die Tür zu seinem Badezimmer. "Ehrlich gesagt wäre ich jetzt sehr enttäuscht gewesen, wenn du nicht du wärst, sondern Jora. Aber da Colonel Uno ja mal wieder eine Show veranstalten musste anstatt laut und deutlich zu sagen, dass sie auf die Expedition mit will, wirst du Jora spielen müssen, bis wir das System verlassen haben. Und Jora wird die ganze Zeit dich spielen müssen. Bist du dir darüber im klaren, was du deiner Schwester da aufgebürdet hast?" Betreten sah Megumi zu Boden. "Ja. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass sie mir... Das sie mir ohne zu zögern geholfen hat. Das Ihr mir ohne zu zögern helfen wollt." "Nun geht da schon rein", tadelte Yoshi, "bevor ich gestandener Mann noch in Tränen der Rührung ausbreche. Schwarze Tönung liegt bereit, dazu ne frische Uniform. Oder wolltest du die ganze Zeit im Druckanzug mit Helm herum laufen?" Aria zog eine lange, schmale Schere hervor. "Außerdem habe ich hier das perfekte Utensil, um deinen Haarstil von Megumi auf Jora zu ändern. Ich bin da recht begabt. Wenn ich nicht das Universum hätte erobern wollen, wäre ich Haarkünstlerin geworden." "Ach ja? Hm. Und wie war das neulich, als du mich zwanzig Zentimeter Haar gekostet hast, weil du meinen Saum nicht gerade gekriegt hast?", tadelte Yohko. "Wenn ich ehrlich bin, war das eine Bestellung von Yoshi. Er meinte, so würdest du besser aussehen. Also hat er mich mit Süßigkeiten bestochen und ich..." "Wie dem auch sei!", sagte Yoshi hastig und schob die drei Frauen ins bereit stehende Bad. "Gebt euer Bestes! Banzai!" Er schloss die Tür und begann eilig in seinen Sachen zu kramen. Wenn diese Tür wieder aufging, dann würde Yohko potentiell tötungsbereit sein, egal ob ihr ihre kürzeren Haare gefielen oder nicht. Und Yoshi hatte nur eine Waffe, die ihm das Leben retten konnte. Oder zumindest den Sex der nächsten Wochen und Monate. 2. Der Weg zum Sprung war lang, unendlich lang. Jede Sekunde dehnte sich zur Minute, jede Minute zur Stunde, und jede Stunde kam ihr vor wie ein Tag. Und Megumi war erst einen Tag an Bord. Ihr kam es aber schon vor wie eine geschlagene Woche. "Träum nicht", tadelte Aria Segeste und stieß die junge Frau in die Seite. "Hey", beschwerte sich Megumi. "Genau da bin ich kitzlig." "Träum trotzdem nicht." Die Naguad blieb vor einer Kabinentür stehen, auf der fünf goldene Sterne angebracht waren. "Denn ein Fehler hier drin kann dich deine Karriere kosten." Unsicher sah Megumi auf die Tür. Die Tür von Eri Yodama, Akiras Großmutter. Und wie sie seit einiger Zeit wusste, der Hauptfinanziererin der gesamten Expedition. Eine Person aus dem Hintergrund, die wie eine geschickte Puppenspielerin die Fäden gezogen hatte, unerkannt, geheim und verborgen, während sie alle nach dem Zug dieser Fäden agiert hatten. Ihr schauderte vor Eri Yodama. Wie würde sie sein? Sie waren zusammen auf der AURORA gewesen, für Wochen, aber einander nie begegnet. Und jetzt flog sie mit dieser Frau auf einer Expedition ins Ungewisse. Unwillkürlich kochten in Megumi die üblichen Zweifel hoch, die ein gestandener Militär empfand, wenn er von einem Zivilisten Befehle entgegen nehmen musste. "Du machst das schon." Aria zwinkerte ihr zu. "I-ich wünschte, ich wäre Raucherin. Jetzt irgendetwas in der Hand halten zu können würde mich wirklich beruhigen." Die Naguad runzelte die Stirn. "Glaub mir, das willst du nicht. Du riechst nach Tabak, du schmeckst permanent den Tabak, und jeder der dich küsst, schmeckt den kalten Rauch." "Ich will es mir ja nicht angewöhnen", fauchte Megumi. "Ich will nur was für meine Nerven. Ich habe schon gegen eine eins zu zehn-Übermacht gekämpft. Ich habe schon feindliche Fregatten im Alleingang zerstört. Ich wäre mehrere Male beinahe gestorben. Und ich war an einer Schule, an der mich alle, die Elite-Pilotin der Menschheit, wie einen gefährlichen Hund behandelt haben. Ich habe zweimal den Mars angegriffen! Zweimal! Und ich habe die Hekatoncheiren aufgebaut aus einem Haufen Kinder, Halbstarker und Typen die meinten, sich als Soldaten verstehen zu dürfen. Aber jetzt, genau jetzt habe ich Angst wie noch nie in meinem Leben. Gott, ich fühle mich, als müsste ich jemanden um seine Hand anhalten." Aria gluckste. "Im gewissen Sinne stimmt das ja auch. Vergiss nicht, dass diese Frau Familie für dich wird, wenn du dir Akira krallst." "Falls ich ihn mir krallen kann, weil die Naguad was von ihm übrig gelassen haben." "Hier." Aria legte die Linke auf Megumis Schulter und hielt ihr die Rechte hin. Die junge Elite-Pilotin nahm das Päckchen Alu-Folie entgegen. "Bitte?" "Das ist Schokolade. Nun, keine terranische Sorte. Aber die Anelph machen ein paar Süßigkeiten, die ganz ähnlich sind und auch ähnlich wirken. Auf jeden Fall ist jede Menge Zucker drin und... Hey, du könntest mir zumindest zuhören." Aber die Terranerin hatte die Packung bereits aufgerissen und ein gewaltiges Stück des schwarzen Riegels abgebissen. Hastig begann sie zu kauen und zu schlucken. Nur langsam stellte sich Genuss ein. "Danke", murmelte sie mit vollem Mund. "Mädchen, Mädchen", tadelte Aria, zog ein Taschentuch hervor und wischte Megumis Mundwinkel ab. "Musst du verzweifelt sein." "Komm mir nicht zu nahe!", blaffte Yohko, während sie schnell, sehr schnell, durch den Laufgang schritt. Yoshi, an den die Worte gerichtet waren, sah ihr mit einem Blick nach, der Steine schmelzen konnte. "Schatz, alles was ich will ist doch..." "Ich will es nicht hören! Ich will es nicht hören! Ich will es nicht hören!" "Yohko-chan. Nur eine einzige Minute. Eine Minute deiner kostbaren Zeit!" Die beiden Frauen starrten dem Paar irritiert hinterher. "Müsste nicht eigentlich Yoshi vor Yohko davon laufen? Wegen der Haare und so?", fragte Aria ernst. Megumi schob sich gerade den letzten Rest des Schokoriegels in den Mund. "Verstehs auchnich." "Hm. Yoshi muß irgendetwas gefunden haben, wovor Yohko panische Angst hat. Wirklich panische Angst. Spinnen? Mäuse? Raclas?", zählte sie ihr Lieblingsungeziefer auf. "Keine Ahnung, aber einer von beiden wird es uns schon erzählen." Megumi nahm ihre Uniformmütze ab und verstaute sie unter der linken Armbeuge. Sie trug die Uniform, die Jora Kalis als Lieutenant zustand, aber richtig wohl fühlte sie sich nicht damit. "Kann ich so reingehen?" Mit Kennerblick und erfahrenen Händen richtete die Naguad die Uniform der Jüngeren her, glitt durch den Kragen und musterte sie kritisch. "Bestanden." Unwillkürlich sah Megumi auf die Kabinentür. Ihre Hände begannen zu zittern. "Hast du noch ne Schokolade?" "Hasenfuß." Aria schmunzelte. Diesen terranischen Fluch mochte sie besonders. Sie klopfte an die Tür. "Ma´am, Lieutenant Kalis ist nun hier." "Danke, Aria. Sie können gehen. Kalis kann eintreten." Aria öffnete die Tür einladend einen Spalt und nickte Megumi aufmunternd zu. "Du machst das schon." Danach schob die Naguad die Jüngere mit Gewalt in die Kabine. Für einen winzigen Moment dachte Megumi ernsthaft an Flucht - umdrehen, die Tür aufreißen und wieder raus auf den Gang. Aber hätte das etwas gelöst? Widerstrebend orientierte sie sich. Ein ungemachtes Bett, ein unaufgeräumter Schreibtisch, ein halbes Dutzend teilweise geleerter Reisetaschen, im kleinen Badezimmer brannte Licht... Okay, die Kabinen an Bord waren mit dem Komfort an Bord der AURORA nicht einmal ansatzweise zu vergleichen. Aber hätte Yodama-sama sich nicht ein Büro nehmen können anstatt die junge Mecha-Pilotin in ihre Privatkabine zu bestellen? Eri Yodama lugte kurz hinter der offenen Schranktür hervor. Sie lächelte. "Komm rein, Megumi-chan. Ich habe gleich Zeit für dich. Ich wollte nur schnell noch die alten Sachen anprobieren. Ich hoffe, ich passe noch rein, immerhin habe ich sie fast dreihundert Jahre nicht getragen. Auf dem Schreibtisch steht eine Kanne mit grünem Tee." Unwillkürlich verbeugte sich die beste Pilotin der UEMF und machte sich gehorsam auf den Weg zum Schreibtisch. So, das war also Eri Yodamas Reich? Und Yodama-sama, Akiras und Yohkos Großmutter, war nur wenige Schritte von ihr entfernt. Akiras Großmutter und Tante Helens Mutter. Megumi spürte ihre Wangen heiß werden. Dies war das erste Mal, dass sie einander begegneten. Gehorsam setzte sie sich und goss zwei Tassen mit Tee ein. "Zucker, Ma´am?" "Nein, danke. Ich trinke ihn pur. Aber tu dir keinen Zwang, an, Megumi-chan. Irgendwo auf dem Schreibtisch müssten Zucker und Milch herum liegen. Und entschuldige bitte den Zustand hier. Ich bin noch nicht dazu gekommen, ernsthaft aufzuräumen." Sie kam hinter der Schranktür hervor. "Und? Was denkst du? Passt die alte Uniform noch?" Megumi spürte, wie ihr die Kinnlade herabsackte. Eri Yodama trug eine himmelblaue Uniform mit goldenen Akzenten. Sie war reichlich behangen mit Ehrenabzeichen und Kampagnenbändern. Auf dem linken Ärmel lief ein rotes Band herab, welches in Nag-Alev beschriftet war, der Hauptsprache des Imperiums. Die Buchstaben formten zusammen den Namen Arogad. Akiras Naguad-Haus. Und auf der linken Brust lag ein weiteres rotes Band, auf dem fünf goldene Sterne befestigt waren. Die Rangabzeichen dieser Uniform. Megumi hatte sich alleine schon aus der Notwendigkeit heraus mit dem Militär des Imperiums beschäftigt und wusste bereits eine Menge. Zum Beispiel, dass sie hier eine so genannte Hausuniform vor sich hatte, eine Uniform die von Offizieren getragen wurde, die von ihrer Familie an das Militär der Naguad verliehen worden waren - Beitrag zum Imperium. Die Hausuniform war natürlich die des Hauses Arogad. Wie hatte es auch anders sein können. Und die fünf goldenen Sterne kennzeichneten Eri Yodama als Volladmirälin. Megumi beschloss, angemessen beeindruckt zu sein. "Die Uniform passt tadellos, Ma´am." "So? Das freut mich. Oder sagst du das nur, um bei Akiras Oma Punkte zu sammeln, Megumi-chan?" "Das ist nicht meine Art", versicherte die Kommandeurin des Briareos-Regiments. Eri schmunzelte und setzte sich auf das Bett. Vorsichtig langte sie nach der zweiten Tasse und nahm einen langsamen Schluck. "Es macht mich richtig nostalgisch, wieder in einer Hausuniform zu stecken. Es gab Zeiten da hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, eine reale Uniform anzuziehen und mir lieber eine KI-Rüstung angelegt. Aber ich konnte einfach nicht widerstehen. Diese Uniform wurde für mich nach Maß gefertigt, damals, vor fast fünfhundert Jahren." Ihr Blick schien in ferne Vergangenheiten zu reichen, zu weit entfernt als dass Megumi ihr hätte folgen, sie hätte verstehen können." "Du siehst Jeter sehr ähnlich, weißt du das, Megumi-chan? Und ich mag deinen Großvater wirklich. Wenngleich er ein ungehobelter, dummer Klotz ist. Meistens, jedenfalls." "Jeter?" "Ach, richtig. Du kennst deine Naguad-Verwandten ja gar nicht." Eri seufzte und legte eine Hand auf Megumis Schulter. "Es tut mir Leid. Ich bin sicher, deine Eltern hätten dir einiges darüber erzählt, wenn sie die ersten Angriffe der Kronosier überlebt hätten, aber leider haben sie das nicht, und ich und Michael haben leider nicht unsere Pflichten erfüllt und dich an ihrer Statt über dein Bluterbe aufgeklärt." Sie atmete frustriert aus. "Ich bin sicher, wenn ich dir einrede, es hätte an zuwenig Zeit gelegen, würdest du es mir glauben. Aber das ist nur zum Teil wahr. Die meiste Schuld hat Michaels und meine Angst, dir in die Augen zu sehen, Megumi-chan. Dir nicht nur die Wahrheit zu sagen, sondern in deine Augen zu sehen und deine Eltern in ihnen wieder zu erkennen." Siedendheiß fiel Megumi bei diesen Worten etwas sehr wichtiges ein. Sie war ja nicht als Megumi Uno hier, sondern als Jora Kalis und... "Versuch es gar nicht erst, Megumi-chan", sagte Eri nachdrücklich. "Der Tag, an dem ich zwei Menschen anhand ihrer Auras nicht mehr auseinander halten kann ist der Tag, an dem ich mich auf den Gipfel eines Berges zurückziehe, um den Rest meines Lebens zu meditieren." "Aber ich bin..." "Was habe ich dir gerade gesagt? Noch habe ich dich nicht offiziell entlarvt und nach Hause geschickt. Aber ich könnte es mir noch überlegen, Megumi-chan. Also?" Mit glühenden Wangen senkte Megumi den Blick. "Jawohl, Ma´am." "Sehr schön. Ich habe, wohlgemerkt, nichts dagegen gesagt, dass du die Rettungsexpedition für Akira und die arme Joan begleitest. Wahrscheinlich hätte ich selbst drauf kommen sollen, wahrscheinlich wäre das viel besser gewesen. Aber ich bin es nicht, du bist es aber, und Jora war dir eine willige Helferin. Und deswegen haben wir jetzt das Dilemma." Eri Yodama erhob sich. "Megumi Uno, ich bin Eridia Arogad-Lencis, Flaggoffizier in der imperialen Flottes des Naguad-Imperiums, Mitglied im Rat des Hauses Arogad, Meisterin des AO, Tochter des Vorsitzenden des Hausrates der Arogad, Oren Arogad und der kaiserlichen Admirälin Aris Ohana Lencis, Mutter von Helen Otomo und Großmutter von Akira Otomo und Yohko Otomo. Es freut mich sehr, dich kennen zu lernen, Megumi Uno. Oder sollte ich dich bei deinem anderen Namen nennen, Solia Kalis des Hauses Daness?" "I-ich wusste nicht, dass...", stammelte Megumi. "Was? Das ich auf Naguad Prime eine so wichtige Person bin?", fragte Eri ohne Spott in der Stimme. "Oder das ich deine Herkunft kenne, bis ins kleinste Detail?" "Beides." "Ich kann dir eine Menge über deine Familie erzählen. Nun, zumindest, soweit ich es als Arogad weiß. Die Daness sind mit den Arogad im ständigen Wettstreit, mal Verbündete, mal Rivalen, mal führt das eine Haus, mal das andere. Deshalb sind die Daness nicht wirklich freigiebig mit Informationen, weißt du? Das meiste ist also Hörensagen oder was ich von deinen Eltern weiß." Megumis Augen füllten sich mit Tränen. Ihre Eltern... Die alten, schattenhaften Erinnerungen an sie lebten wieder auf, die schrecklichen Momente, als sie beide starben, in der unwirklichen Schlacht um Tokio, als Akira sie gerettet hatte, all das brach über ihr zusammen. Als sie sich wieder halbwegs beruhigt hatte, brannten ihre Augen und ihre Wangen wegen der vielen Tränen, die sie hinab geflossen waren, fühlte sich ihr Hals an, als würde ihn eine eiserne Spange einschnüren. Ihre Stimme klang rau und holprig; noch vor Minuten hatte sie damit geschluchzt. Sie blinzelte, um die letzten Tränen aus ihren Augen zu vertreiben und erkannte endlich, wo sie sich befand: In Eris inniger Umarmung, fest auf die Brust gepresst. Im ersten Reflex wollte sie sich losreißen, Akiras Oma diese Demütigung durch ihre Schwäche ersparen, aber Eri roch so gut, war so warm. Und die Hände, die Eri um sie gelegt hatte, waren auch so warm und gaben ihr ein Gefühl der Geborgenheit. "Es tut mir so leid, mein Kind", hauchte Eri und streichelte durch Megumis gefärbte Haare. "Es tut mir so leid, dass Michael und ich dich so lange alleine gelassen haben. Wir hatten wichtige Gründe dafür, aber du hättest darunter nicht leiden sollen. Vor allem nicht, nachdem Yohko auf dem Mars verschollen war und Akiras Gehirn teilweise gelöscht worden war. Du hattest niemanden, wirklich niemanden, der dich einfach so in den Arm genommen hat, der dir zugehört hat, mit dem du sprechen konntest, während du gleichzeitig wieder und wieder Angriffe der Kronosier mit deinem Hawk abwehren musstest. Es tut mir so leid, Megumi-chan. Deine Einsamkeit..." "Ich war nicht völlig einsam", sagte Megumi mit rauer Stimme. "Nicht völlig. Da waren Sakura und Makoto, da waren Eikichi und Karl. Jerry war da und Yoshi... Und auch wenn Akira nicht mehr alles wusste, so war er doch wenigstens da für mich. Sie waren meine Familie. Aber... Ma´am?" "Sag Eri zu mir, Tochter", antwortete die Naguad mit einer warmen und sanften Stimme, die Kindern Geborgenheit und potentiellen Schwiegersöhnen die Grenzen aufzeigte. "Eri-sama. Können wir noch etwas so bleiben?" Eri umarmte die junge Frau noch etwas fester. "Natürlich, Megumi-chan. So lange, wie du willst." Wenn man es mal nüchtern und ernsthaft betrachtet, dann war Megumi Uno ein Mädchen mit einer der härtesten Kindheiten, die man sich vorstellen konnte. Es gab Waisenkinder genug auf dieser Welt, einige waren es von Geburt an, andere verloren ihre Eltern durch Widrigkeiten später im Leben. Wie bei Megumi hatten viele Kinder einen Elternteil, beide, oder Geschwister verloren, als die Kronosier die großen Städte angriffen - bevor die Erde genügend Potential hatte, um diese Angriffe in den Erdorbit zurück zu drängen. Mit der Helium3-Förderung und dem Transport zur OLYMP-Plattform hatte man später ein wesentlich lohnenderes Ziel geschaffen und die kurze Zeit des Schreckens schnell in Vergessenheit geraten lassen können. Nur für Megumi hatte es kein Vergessen gegeben. Zwölf Jahre alt, die Eltern, beide Militärs, verloren, war sie nach Akira die erste gewesen, die auf Kompabilität mit der KI eines Mechas getestet worden war. Ihre Werte waren ähnlich hoch gewesen wie die des jungen Otomos, und damit hatte ein Weg begonnen, der unendlichen Schrecken bedeutet hatte, unendliches Leid, von ihr gesehen, von ihr verursacht. Ohne Familie, die ihr Rückhalt gab. Ihre Großeltern kannte sie nicht. Wie denn auch, denn wie sie jetzt wusste, lebten diese - falls sie noch lebten - auf Naguad Prime oder der terraformten Welt Daness. Sie war allein gewesen, hatte einen der brandneuen Hawks gesteuert und war an Akiras Seite in die Kämpfe eingestiegen. Als Waise. Das Militär hatte sie hochoffiziell adoptiert, was ihr die Möglichkeit gegeben hatte, abseits der staatlichen Fürsorge zu leben. Selbstständig zu werden, mit nicht einmal ganz dreizehn Jahren, nebenbei die Welt zu bereisen, um mit ihrem Hawk die überall angreifenden Kronosianer zurück zu treiben, es war eine furchtbare Zeit gewesen. In diesen Tagen hatte sie sich oft genug bei Akira ausgeheult - und Yohko in den Armen gehalten, weil Akira nichts davon wissen sollte, wie viel Angst seine kleine Schwester wirklich hatte - bei Makoto, bei Sakura, hatte sogar Eikichi gehabt. Und letztendlich auch Jerry Thomas, ihren und Akiras Lehrmeister. Aber hier, in diesem Moment, in dieser Kabine an Bord einer geenterten naguadschen Fregatte, in den Armen einer über sechshundert Jahre alten Frau, brach all das über sie herein, was sie die letzten Jahre so schmerzlich vermisst hatte. Sie fühlte sich auf eine seltsame Art geborgen. Nicht besser oder schlechter als in Akiras Armen, irgendwie anders. Es erschien ihr einfach normal und richtig zu sein. "Megumi-chan, ich habe eine Bitte", sagte die Arogad unvermittelt. Die Anführerin von Briareos sah auf. "Megumi-chan, kannst du es einmal für mich sagen?" "Was sagen, Eri-sama?" Verlegen sah die Admirälin zur Seite. "Kannst du mich bitte Oma nennen? Nur ein einziges Mal." Ein wenig überrumpelt löste sich Megumi von der Älteren und musterte sie. "Eri-sama, das Wort ist so... unpassend. Sie sehen nicht einen Tag älter aus als dreißig." "Na, das hört eine Frau doch gerne", lachte die Naguad. Etwas leiser fügte sie hinzu: "Bitte, Megumi-chan. Die letzten Jahre musste ich die meisten Kontakte mit Eikichi und den Kindern Michael überlassen. Ich wurde bei... Ich wurde an anderer Stelle gebraucht. Ich habe sie kaum getroffen, obwohl ich es wollte. Ich habe dich nie gesehen, obwohl ich dich immer in unsere Familie aufnehmen wollte. Ich kann dir deine Eltern nicht ersetzen. Das kann niemand. Aber ich kann dir vielleicht die Großmutter ersetzen, die du nie hattest. Bitte. Nur ein einziges Mal." "Aber... Aber..." "Egal, was im Nag-System auf uns wartet, Schatz. Du gehörst zur Familie. Also. Bitte." Megumi fühlte wie Blut ihre Wangen füllte, wie sie zu brennen begannen. Unsicher sah sie zur Seite. "I-ich weiß nicht, Eri-sama. I-ich habe so was noch nie gesagt." "Komm, Megumi-chan. Der alten Eri zuliebe." Ihre Stimme klang schmeichelnd, verlockend, freundlich, hatte diesen samtigen Ton, der Mütter zu eigen ist und wischte all ihre Widerstände davon. Megumi sah noch immer weg, erhob sich und sah verlegen zur Seite. "O...", begann sie. Ermunternd nickte Eri ihr zu. "Oooooo..." "Komm schon, du kannst es." Megumi fand die Kabinentür plötzlich sehr interessant. Aber dann griff sie sich ein Herz. "Oma!" Wieder füllten Tränen ihre Augen, und sicherlich hätte sie sich wieder an den Busen der Älteren geschmiegt, wenn die nicht freudestrahlend nach der Mecha-Pilotin gegriffen hätte, und sie nun wieder an sich drückte. "Du bist so ein gutes Mädchen. Mein kleiner Akira hat ja gar keine Ahnung, was für ein Glück er mit dir hat." "Mit einer Psychopathin, die man in einen Mecha gesetzt und die über zweihundert intelligente Wesen getötet hat", hauchte Megumi. "Was für ein Quatsch. Hätte ein anderer das über dich gesagt, hätte ich ihn schon in zwei Hälften zerbrochen", tadelte Eri ernst. "Du bist Megumi Uno, und die Menschheit verdankt dir mehr, als sie dir jemals zurückgeben kann." Bei diesen Worten konnte Megumi nur atemlos schluchzen. Es dauerte lange, bis sie sich zumindest wieder soweit gefangen hatte, dass sie etwas sagen konnte. "Eri-sama, du bist so nett zu mir." "Oma heißt das", tadelte die Arogad. Sanfter fügte sie hinzu: "Es war ein weiter Weg bis zu dem Punkt, an dem ich nun stehe. Würdest du mir glauben, dass ich in meiner Jugend das arroganteste, widerlichste und selbstüberzeugteste Biest war, das jemals in dieser Milchstraße unterwegs war? Das meine Arroganz locker einen Mond berührt hätte, während ich auf der Oberfläche des entsprechenden Planeten stand?" "Nein, das kann ich mir nicht vorstellen", erwiderte Megumi, und fügte zögernd hinzu: "Oma." Eri Yodama lächelte. "Setz dich ordentlich hin und nimm dir noch etwas Tee. Ich will dir ein wenig über mich erzählen. Über den schlimmsten Menschen, den ich je kennen gelernt habe. Mich selbst." 3. "Oren, es ist grauenhaft. Selten habe ich einen übleren Raufbold, Trinker und Lebemann kennen gelernt. Nicht mal ich in meinen Flegeljahren habe mich je so aufgeführt, geschweige denn die Chance dazu gehabt. Und ich habe mich schon mal mit dem kompletten Haus Elwenfelt angelegt!" Selten erlebte man Luka Maric, den Stabschef des Haus-Meisters Oren Arogad so außer sich. "Und als wenn das noch nicht genug wäre, hat dieser üble Raufbold, Trinker und Möchtegern auch noch eine eigene Bande aufgestellt, die ihm beim terrorisieren der umliegenden Türme hilft. Oren! Tu etwas!" Der Vorsitzende des Rates der Arogads sah zum Grund von Lukas Wut herüber und schüttelte den Kopf. Langsam, nachdrücklich erhob er sich und ging auf die kleine Couchecke zu, Luka Maric im Schlepp. Sein Ziel polierte derweil desinteressiert die Fingernägel. Doch Oren entgingen nicht die Handvoll vorsichtiger, taxierender Blicke, die ihm und seiner Stimmung galten. Mit einem Seufzer ließ sich Oren seiner Tochter gegenüber auf der Couch nieder. Luka setzte sich neben ihn, die junge Frau fixierend, als wäre sie eine potentielle Attentäterin. "Eridia. Was soll ich nur mit dir machen?" Die Angesprochene knurrte verärgert. "Was muß ich hier rum sitzen? Seg und Vortein wollten mich vor einer Stunde vor dem Imperidrom treffen. Wir wollten einen Zuma trinken gehen." "Ihr wolltet Morgain Koromando und seiner Gruppe auflauern, um ihnen die angedrohte Tracht Prügel zu verpassen!", warf Luka ein und bewies damit wieder einmal, wie gut sein Nachrichtennetz wirklich war. "Was soll ich denn machen? Sie haben Line und Tellenk verprügelt! Soll ich das vielleicht unbeantwortet lassen? Wenn jemand meine Untergebenen angreift, dann ist das ein Angriff auf mich! Und so etwas kann ich nicht auf mir sitzen lassen? Oder soll ich etwa Vaters kostbare Arogads den gewalttätigen Idioten der anderen Türme ausliefern?" Berechnend sah Eridia zu ihrem Vater herüber, wohl in der Hoffnung herauszufinden, ob ihr Argument zog und zu ihrer Entlastung beitragen würde. Es war allgemein bekannt, dass Oren Arogad rein gar nichts von den Koromando hielt, seit sie einen planetaren Aufstand in einer Mark unter ihrer Verwaltung blutig niedergeschlagen hatten. Oren Arogad schmunzelte. "So, so. Du wolltest dich mit den Koromando anlegen?" Die junge Frau, halb Iovar, halb Naguad, sah freudestrahlend auf. Ihr triumphierender Blick galt Luka Maric, eigentlich neben ihrem Vater der einzige Naguad, dem sie wenigstens zuhörte. "Ja, Vater." "Gut, dann wird es dich freuen zu hören, dass du dazu demnächst ausreichend Gelegenheit haben wirst. Du kommst auf die Flottenakademie." "Was? Auf die Akademie? Was sollen die stinkenden Naguad mir denn schon beibringen können, was ich nicht schon auf Iotan gelernt habe?", blaffte sie entrüstet. Natürlich ging sie zu weit. Natürlich wusste sie es. Aber ihr Blut war heiß und ihr Verstand störrisch. Eigentlich beste Eigenschaften für einen Daness, dachte Oren bitter, aber nicht unbedingt für einen Arogad. "Zum Beispiel Demut!", sagte er scharf zu seiner Tochter. "Demut?" "In diesem Jahr kommen ungewöhnlich viele Koromando an die Akademie. Die Kadetten der Arogad dürften es ziemlich schwer haben, vor allem nach deinen jüngsten Aktionen, Eridia. Es ist nur recht und billig, wenn du auf sie aufpasst." "Demut", presste sie statt einer Antwort hervor. "Aris Taral wird in diesem Jahr ebenfalls an die Akademie gehen. Ich war so frei, seine Akte den Koromando zukommen zu lassen und..." "DEMUT!", schrie sie ihren Vater an. "DEMUT SOLL ICH LERNEN? DANN LERNE ICH EBEN DEMUT! UND WENN ICH DAFÜR DIE GANZE AKADEMIE AUSEINANDER REIßEN MUß!" Wütend sprang die junge Frau auf. Mit verzerrtem Gesicht stürmte sie durch das Büro ihres Vaters, zum Ausgang. "War das ein ja, Eri?", fragte Oren leise. Die Halb-Iovar blieb kurz stehen. "Ja, Vater." Als sich die Tür hinter ihr geschlossen und sie in die untere Spitze des Turms gegangen war, lehnte sich Luka weit nach hinten. "Bei den Pulsaren von Neporit, Oren, hast du so ein Glück oder bist du einfach nur wahnsinnig? Beim ersten Versuch hast du es geschafft, deine vermaledeite Tochter auf die Akademie zu bringen. Hey, wollen wir nicht als nächstes versuchen, auf der Sonnenkorona zu schwimmen? Komm, das ist doch jetzt ein Klacks für dich." "Vorsicht", mahnte das Oberhaupt der Arogad den Freund und Vertrauten, "Vorsicht. Es ist mir nicht leicht gefallen, sie zu erpressen. Aber sie ist jetzt seit vier Jahren hier, und je länger sie hier ist und keine richtige Aufgabe hat, je mehr sie glaubt, sie läuft mit der Brandmarkung herum, nur ein halber Naguad zu sein..." "Worauf sie einige innerhalb und außerhalb des Hauses zu gerne aufmerksam machen." "Sicher. Solange das der Fall ist, wird sie weiter Ärger machen. Oder den Vorsitz des Hauses übernehmen und das Imperium in einen Bürgerkrieg stürzen. Luka, dieses vermaledeite Mädchen hat genügend Energie, um ein eigenes Imperium zu gründen. Und wenn sie nur einen Hauch von Feingefühl hätte, dann hätte sie es wahrscheinlich schon getan." "Ihre Lehrer sagen es immer wieder. Sie ist extrem geschickt, schlau, hat ein hervorragendes Gedächtnis und eine ausgeprägte Kombinationsgabe. Nun, sie ist kein Genie, jedenfalls keines, welches die Normen sprengen würde. Aber das Mädchen, das dir deine Iovar-Gefährtin vor vier Jahren zur Erziehung geschickt hat, ist vielleicht der größte Schatz, den Haus Arogad gerade hat. Wenn sie die Akademie übersteht, dann könnte sie dich wahrscheinlich locker ablösen." "Dafür muß sie sich erst einmal durch die Akademie kämpfen. Wenn sie das geschafft hat, wenn sie ihre Arroganz und ihr Temperament im Griff hat, wäre ich eventuell sogar bereit, ihr meinen Posten abzutreten." Die beiden Freunde sahen sich in die Augen, bevor sie anfingen schallend zu lachen und sich dabei auf die Schenkel zu klopfen. "Ich hätte es dir fast geglaubt", sagte Oren grinsend. "Wäre ja schön, wenn sie wirklich so talentiert wäre. Aber im Moment ist sie nur eine große böse junge Frau ohne Orientierung, die sich ziellos durchs Leben treiben lässt." "Trotzdem, das mit der Nachfolge klang gut. Wir hätten dann Zeit für einen Ausflug. Wie wäre es mit Iotan? So für ein, zwei Jahrhunderte?" Oren Arogad nickte. "Schön wäre es schon. Ach, lass sie einfach durch die Akademie gehen. Vielleicht wird sie ja etwas ruhiger." "Vielleicht. Womit hast du sie eigentlich erpresst, wenn ich fragen darf?" "Mit Aris Taral. Ich weiß genau, dass sie an dem Jungen einen Narren gefressen hat. Er ist der einzige Arogad außer mir, vor dem sie jemals geweint hat. Er ist für sie mehr Familie als alles andere auf dieser Welt, auf diesem Turm. Vielleicht sogar mehr als ich." "So eine Erkenntnis frustriert, was? Wo sie doch ihren Vater und niemanden als ihren Vater abgöttisch lieben und verehren sollte", spottete Luka. Der AO-Meister und persönliche Vertraute von Oren Arogad hatte einen gespielten Wutausbruch erwartet, vielleicht etwas Tadel. Stattdessen sah der Vorsitzende des Rates deprimiert zu Boden. Zufälligerweise konnte er so durch den voll verglasten Boden seine Tochter sehen, die gerade auf einen Aufzug wartete. "Ja, Luka. Das schmerzt." 4. Aris Taral war sicher nicht mehr der Jüngste. Mit seinen knapp fünfundzwanzig Jahren gehörte er eigentlich schon zu den Erwachsenen, zu den abgeklärteren. Zu denen, die ihren Weg im Leben bereits gefunden haben sollten. Dass er nun in die Akademie eintrat, deren Eintrittsalter eigentlich bei achtzehn lag, war für viele eine Überraschung. Nur nicht für seine Eltern. Aris Taral war durch und durch ein Taral, sprich, er war ein Bluthund. Er war dazu ausersehen, mit all seiner Kraft und seinen Fähigkeiten die Familie zu beschützen. In seinem Fall hieß das, Eridia Arogad zu beschützen, denn Oren hatte sie ihm gegeben. Ihm persönlich, um auf sie zu achten, auf sie aufzupassen. Was eine Nähe bedeutete, die schon intime Züge annahm. Aris dachte für einen Augenblick daran, wie sehr sie ihn gehasst hatte, die ersten Tage, Wochen und Monate auf dieser Welt. Wie sehr sie ihm ihre Verachtung für alle Naguad entgegen geschleudert hatte. Und er erinnerte sich daran, wie sehr es ihn geschmerzt hatte. Aber all das hatte sich geändert, in einer einzigen Nacht, in einer einzigen Stunde, in der er sie weinend überrascht hatte. Und ihr Opfer geworden war, das sie einfach nur in den Armen gehalten und getröstet hatte. Er hatte nie jemandem von dieser Nacht erzählt und sie gegenüber Eridia niemals wieder erwähnt. Aber seit sie sich ihm gegenüber verletzlich gezeigt hatte, war sie ihm gegenüber anders geworden. Genauer gesagt hatte sie mehrfach versucht, ihn zu verführen, und es war ihm verdammt schwer gefallen, diese Avancen abzuwehren. Nicht unbedingt weil er ein Bluthund war. Seine Gene und ihr Erbe waren weit genug auseinander um eine Beziehung zuzulassen. Nein, er hatte sie abgewehrt, weil sie ihn vollkommen und absolut überrannt, niedergewalzt und dann als Trophäe an die Wand gehängt hätte. Der Mann, der dieser Frau gewachsen war, musste erst noch geboren werden. Aber das war nicht der einzige Bezugspunkt zwischen ihnen gewesen. Es gab auch Vertrauen, tiefes Vertrauen darüber hinaus. Dies war auch der Grund für seinen späten Eintritt in die Akademie. Um für sie da zu sein, um sie noch effektiver beschützen zu können, wollte er sich so viel Wissen aneignen wie möglich, noch mehr Techniken im bewaffneten und waffenlosen Kampf erlernen, seine Begabung für das AO ausbauen und verbessern. All dies ermöglichte ihm die Akademie. Auch wenn dies bedeutete, Eris Schutz ein paar Jahre jemand anderem anzuvertrauen. "Sag mal, hörst du schwer, oder was? Ich habe gesagt, warte!" Aris Taral wandte sich um. Irgendwie war ihm diese Stimme bekannt vorgekommen. Und sie schien ihm gegolten zu haben. Tatsächlich, das war Eri. Sie hielt direkt auf ihn zu, stellte sich neben ihn, stützte beide Hände auf den Oberschenkeln ab und atmete schwer. Dann sah sie auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Musst du so rennen? Bis ich dich eingeholt hatte..." Aris Taral zog die Augenbrauen zusammen. "Eri, du trägst eine Kadettenuniform." Die junge Frau, noch immer schwer atmend, formte die rechte Hand zum naguadschen Zeichen für Sieg. "Kadettin im ersten Jahr, Eridia Arogad, meldet sich zur Stelle. Auf gute Zusammenarbeit, Aris Taral." "Was, bitte? Sag mal, Eri, spinnst du jetzt total? Was willst du denn an der Akademie? Der Kram, den die hier unterrichten ist doch Lichtjahre unter deinen Fähigkeiten. Willst du hier was lernen oder selbst unterrichten?" Die junge Halb-Iovar verzog die Lippen zu einem Schmollmund. "Ich dachte, du freust dich, dass wir zusammen auf die Akademie gehen." "Ja, sicher freue ich mich, aber hast du schon mal dran gedacht, was das bedeutet? Die Akademie ist groß, verdammt groß. Hier werden Offiziere, Unteroffizere, Techniker, Ingenieure, Wissenschaftler und Spezialisten jeglicher Art ausgebildet. Es befinden sich permanent zwanzigtausend Naguad-Schüler und gute zweitausend Lehrer in der Akademie. Du machst es mir reichlich schwer, dich dort zu beschützen." "Wer sagt denn dass du mich beschützen sollst?", beschwerte sie sich. "Es ist eher umgekehrt. Ich beschütze lieber dich, damit du dich voll und ganz aufs Studium konzentrieren kannst." "Ja, du beschützt mich, klar. Hast du schon mal drüber nachgedacht, dass das überhaupt nicht deine Aufgabe ist, Eri?" Wütend sah sie ihn an. "Und hat dir schon mal jemand gesagt, dass man manche Aufgaben nicht wählen kann, sondern von ihnen erwählt wird? Hör mal, du bist vier Jahre durch die Hölle gegangen, weil dir jemand gesagt hast, du musst mein Bluthund sein. Und ja, ich habe dir die Hölle bereitet. Anfangs durch meine Niederträchtigkeit, danach durch meine Penetranz. Ich verspreche dir, das wird besser, viel besser. Und jetzt will ich's dir alles zurückgeben. Mit Zins und Zinseszins. Du bist doch Aris Taral, mein..." Verlegen sah sie zur Seite. "Mein..." Der Bluthund würgte an einem dicken Kloß im Hals. "Eri, ich..." Übergangslos trat er einen Schritt vor und schloss sie in die Arme. "Hey, Aris, das geht aber etwas flott." "Halt die Klappe und lass mich dich einfach nur umarmen. Die vier Jahre waren keine Hölle, und dich zu beschützen war die eine große Aufgabe, die mich gefunden hat. Nicht umgekehrt." "Wenn du jetzt erwartest, dass ich gerührt bin, dann hast du dich aber geschnitten, Aris Taral. Für keinen verdammten halbintelligenten Naguad würde ich jemals so etwas tun." "Na, dafür drückst du mich aber ganz schön." Verlegen fügte er hinzu: "Kleine Schwester." Sie lösten sich halb voneinander, weil Eri einen Lachanfall hatte. Der wollte nicht einmal enden, nachdem Aris ihr heftig auf den Rücken geklopft hatte. Insgeheim bereitete sich Aris auf eine Demütigung vor, einen bissigen, ihrer Art als Iovar entsprechenden Kommentar, der ihn mit den Primaten auf dieser Welt in eine Linie stellte. "Weißt du", japste sie schließlich, "warum ich dich anfangs so gehasst habe, Aris?" Der brauchte nicht lange zu überlegen. "Weil ich den gleichen Vornamen habe wie deine Mutter." "Und wie mittlerweile vier verstorbene Kaiser, einer davon weiblich. Ich dachte, Vater gibt mir eine Aufpasserin an die Seite, eine Freundin. Ein Mädchen! Und was kriege ich? Einen breitschultrigen Klotz mit dem messerscharfen Verstand eines Geheimdienstanalytikers und dem Herzen eines ausgewachsenen, fünf Tonnen schweren Bovil-Rindes. Aris, du bist mein Bruder. Zumindest habe ich dich die letzten drei Jahre so betrachtet. Das du mich ähnlich siehst... Macht mich sehr zufrieden." Sie tätschelte seine Wange, etwas härter als es sich für eine zärtliche Geste gehörte, die sie eigentlich sein sollte. Aris beschloss, sein Gesicht im nächsten Spiegel auf rote Flecken zu untersuchen. "Du bist mein bester Verbündeter, Aris Taral." Die Augen des jungen Mannes verengten sich. "Dann lass mich jetzt meinen Job tun." Durch die Menge drängten sich fünf junge Männer im Kobaltblau der Hausuniform von Logobodoro. Ihre Kadettenabzeichen wiesen sie als Mitglieder des vierten und damit letzten Jahres aus. "Na, wen haben wir denn hier? Einen Beschützerköter und die Blutauffrischung von Iotan", spottete der Anführer, ausgerechnet Gerdon Logobodoro persönlich, einem Vertreter der Hauptlinie des Hauses. ** "Das klingt jetzt aber nicht so fürchterlich arrogant, Eri-sama", gab Megumi zu bedenken. Nein, im Gegenteil, es klang eher so, als wäre die Zeit zwar hart, aber lustig gewesen." Eri Yodama lächelte sanft. "Nun, zu dieser Zeit fühlte ich mich meistens als Opfer und war permanent in der Verteidigung. Und als Verteidiger gestand ich mir Dinge zu, die ich einem anderen nie erlaubt hätte. Ich war permanent im Kampf. Und dabei machte ich Dummheit auf Dummheit." ** Aris Taral hätte sich das niemals träumen lassen - bereits am ersten Tag direkt vor den Stuhl von Admiral Venc Idori zitiert zu werden, dem Leiter der Akademie. Aber daran schuld musste die Aura von Eridia schuld sein. Was sie anfasste wurde entweder zu Gold, oder zu Asche. Der Admiral ließ sie vor seinem Schreibtisch stehen und im eigenen Saft schmoren, während der stellvertretende Schulleiter - Hissop Arogad, ein entfernter Cousin von Eri - sie kopfschüttelnd betrachtete. Dabei las Venc Idori in einem Bericht. "Es dürfte Sie interessieren, junge Dame, das die Schlächterrechnung feststeht. Wir haben dem Himmel sei dank keine Toten zu beklagen. Aber es kam zu siebenundachtzig Knochenbrüchen, neunhunderteinundvierzig blauen Flecken, zweihundertneununddreißig Zerrungen, neunundsiebzig blauen Augen, dreihundertelf ausgeschlagenen Zähnen und etwas über fünftausend Abschürfungen und Schnitten durch Nägel. Gratuliere, junge Dame, Sie haben es geschafft, knapp fünfhundert Kadetten aller Jahrgänge in eine Massenprügelei zu verwickeln." "Ich habe nicht als erste um Hilfe gerufen", zischte sie zwischen verkniffenen Lippen hervor. "Das stimmt. Es waren die Logobodoro, die Kameraden aus ihrem Haus und später potentielle Verbündete des Hauses Bilas und Grandanar zu Hilfe gerufen haben. Aber denken Sie nicht, dass diese, nun, Aktion den Sinn der Akademie, nämlich die Nähe der Häuser untereinander zu fördern anstatt die Kluft zu vergrößern, sabotiert?" "Bei allem Respekt, Admiral, aber ich dachte, auf der Akademie lernt man kämpfen, Krieg führen und vermeiden. Nicht etwa Gruppenkuscheln! Dass die Logobodoros so schlaff waren beweist doch nur, was für Weicheier ihr Naguads doch seid, wenn sie nicht mal mit einem Mann und eine Frau fertig werden!" "Eri!", ermahnte Aris scharf. "Ist doch wahr! Als fünf nicht gereicht haben, haben sie um Hilfe geflennt! Und wenn Seg Mitur und Vortein Arogad nicht vorbei gekommen wären, dann hätten sie uns mit ihrer Übermacht wunderbar zu Klump gehauen! Na, wie Sie DAS meinem Vater erklärt hätten, das hätte ich zu gerne gesehen!" "Eridia Arogad, schweig!", rief Hissop lauter als nötig. "Die Arogads sind euch zu Hilfe gekommen, danach die Fiorans, und schließlich haben sich auch noch die Elwenfelt auf eurer Seit eingemischt. Viele sind Kadetten im vierten Jahr, gewohnt Seite an Seite mit Mitgliedern der anderen Häuser zusammen zu arbeiten. Das habt ihr zwei in nur einer Viertelstunde wieder weg gewischt. Und wir stehen vor den Hauslosen ziemlich dumm da. Ich habe mir sagen lassen, sie haben die Kämpfenden noch angefeuert und vom Rand aus zugesehen. Einige haben uns auch geholfen, hatte Eri sagen wollen, ließ es aber. "Kommen wir zu einer anderen Sache. Und ich hoffe da auf deine Mithilfe, Eridia Arogad, damit wir Naguad-Weicheier es auch verstehen können." Der Spott in der Stimme des Admirals war nicht zu überhören und ließ Eri errötet zu Boden sehen. "Aris Taral ist ein Bluthund. Jeder weiß, dass die Tarals Bluthunde sind. Und das sie von den Attentätern der Fioran seit Jahrhunderten ausgebildet werden. Es wundert mich also nicht, dass Aris unverletzt ist. Was mich wundert ist, dass er niemanden getötet hat. Und was mich noch viel mehr wundert ist, warum du nicht eine einzige Schramme hast, junge Dame, obwohl du im tiefsten Getümmel gesteckt hast!" "Antworte, wenn der Akademieleiter mit dir spricht!", tadelte Hissop sehr ernst. "Ich hatte Zuhause meine eigene AO-Meisterin", antwortete Eridia leise. "Ich bin selbst fast auf diesem Level. Ich habe mir einfach einen AO-Schild gemacht und die Idioten dagegen schlagen lassen." "Das erklärt, warum sie dich nicht geschafft haben. Ich war mir ziemlich sicher, ich würde deinem Vater wirklich erklären müssen, warum du, kaum in der Akademie, gestorben bist." Die beiden Männer wechselten einen schnellen Blick. "Zu deiner Bestrafung, Eridia Arogad." "Bestrafung? Jetzt soll ich auch noch bestraft werden? Ihr verdammten Naguad! Ich soll arrogant sein, aber ihr sitzt auf den Banges-Schultern und seht auf mich herab!" "Eri!" "Ist doch wahr! Ich habe Recht!" "Da haben wir uns ja was Schönes eingefangen, was, Hissop?", schmunzelte der Admiral. "Ich würde sie nicht anders haben wollen, Venc. Eridia, du wirst mit sofortiger Wirkung als Ausbilderin in den fünf Kampftechniken eingesetzt, die du heute gezeigt hast. Eine sehr gute Haltung, gezielter und gut dosierter Einsatz deines Körpers und dosierte Kraft, das alles spricht für dich. Wir mögen Weicheier sein, aber wir erkennen Potential, wenn es sich uns offenbart. Und wir sind nicht zu schüchtern, danach zu greifen, wenn wir es sehen. Die Pflicht als Ausbilder erfolg nebenbei, zu deinen Aufgaben als Kadett der Akademie. Du zweigst diese Zeit von deiner Freizeit ab, haben wir uns da verstanden? Und wir reden hier nicht über das erste Jahr. Wir reden über alle vier Jahre. Außerdem wirst du jeden Schüler akzeptieren, den wir dir schicken. Und ich denke da vor allem an die, die du besiegt hast. Die haben eine gute Ausbildung bitter nötig." Eridia Arogad hob zu einer Antwort ab, aber ihr Cousin winkte ab. "Ich will nichts hören." "Aber..." "Nein, das ist deine Strafe. Davon sind wir nicht abzubringen. Und ansonsten erwarten wir beste Leistungen von dir, Eridia. Allerbeste Leistungen. Nein, es wird nicht widersprochen. Sie können wegtreten, Kadett Arogad." Unschlüssig sah die junge Frau in die Runde. Dann grüßte sie vorschriftsmäßig und verließ den Raum. "Und dir, Aris Taral", sagte Lenc Idori mit einem amüsierten Funkeln in den Augen, "geben wir die schlimmste Strafe, die wir uns vorstellen können. Du wirst permanent ein Auge auf Eridia haben und sie soweit zurecht biegen, dass sie auf ihre anderen Ausbilder hört, Herausforderungen wie die heute ablehnt und die beste Schülerin wird, die jemals diese Akademie absolviert. Haben wir uns da verstanden?" "Ich soll sie also komplett brechen und neu aufbauen, wie es ihnen passt?" "Nein, du sollst sie nur etwas umgänglicher machen und das Beste aus ihr rausholen", korrigierte Hissop. "Okay. Das ist vielleicht möglich." Der junge Taral grüßte und verließ das Büro. "Uns stehen sehr aufregende Tage bevor, Hissop", sagte der Admiral nachdenklich. "Umso besser. Seit die Cores nicht mehr bis zur Hauptwelt durchkommen und schon in den Marken gestellt und abgeschlagen werden, ist mir hier sowieso zu langweilig geworden." Die beiden Männer grinsten sich an. Im Endeffekt würde eine Halb-Iovar, die sich gegen die Kadetten der anderen acht großen Häuser durchsetzte die Naguad enger zueinander bringen als dies vier gemeinsame Jahre auf der Akademie gekonnt hätten. 5. Mit großem Interesse musterte der Tireme die große, schlanke Naguad-Frau, die auf ihn zugeschossen kam, mit dem Lächeln einer sphärischen Göttin und der Nachhaltigkeit eines mit Lichtgeschwindigkeit auf ein Schwarzes Loch zurasenden Kometen. Sie trug wie die meisten Anwesenden ein Tablett bei sich. Sie gehörte zur Ich habe gerade geholt-Fraktion, während über die Hälfte der Naguad, die unterwegs waren zur Ich bringe die Reste weg-Fraktion konvertiert waren. Liam Magadolaka Vierzehn musste ein Schmunzeln unterdrücken, auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass die Halb-Naguad seine Mimik nicht interpretieren konnte. Für einen Moment wünschte sich der Tireme, auf ihr Tablett sehen zu können, denn wie sagte einst Logepari Anotiwasa, die große Vordenkerin der Neunten Dynastie: Du bist, was du isst. Die Frau war groß, schlank, reichlich blass, was die Zeit im Weltraum mit sich brachte, aber derart energisch, so aufgeladen, dass sich Liam fragte, ob das AO als Ausrede reichte, um diese Kraft, diese Entschlossenheit zu beschreiben. Als sie nur noch fünf Meter von ihm entfernt war, dachte der Tireme daran, was die Frau wohl gerade sah. Konnte sie die feine Maserung aus braunen und gelben Linien auf seiner freiliegenden Kopfhaut erkennen? Sah sie, wie sich die winzigen grünen Schuppen abspreizten, die nur allzu deutlich machten, das ihm hier etwas warm war - abgesehen davon, dass sie ihn als Nachkömmling von Reptilien identifizierte. War sie irritiert über sein zweites Paar Arme mit den drei Greifdaumen? Über die zurück geschnittenen Krallen seiner dreigliedrigen Hauptarme? Irritierte sie seine kompakte, breitschultrige Gestalt? Wusste sie, dass er seine Schuppen den ganzen Rücken hinab als Kamm aufstellen konnte, der rasiermesserscharf sein konnte, wenn er die Zeit fand, die Ränder zu schärfen? Ein eindrucksvolles Spektakel, um Mädchen aufzureißen. Sah sie seine geschlitzten Augen? Den vorstehenden Mund, in dem die Nase integriert war? Und viel wichtiger, irritierte sie das Fehlen von Ohren? Die Hörmulden, die stattdessen existierten, waren durchaus in der Lage, mit einer Naguad-Hörmuschel mitzuhalten. Oder irritierte sie das Wichtigste an ihm: Die Uniform eines imperialen Kadetten im letzten Jahr? "Hallo. Darf ich mich setzen?", fragte die große Frau freundlich. "Natürlich darfst du das, Eridia Arogad", sagte Liam förmlich und bemerkte zufrieden, dass er ihr den ersten Punkt abgenommen hatte. Ein wenig verstimmt setzte sich die Halb-Naguad und begann mit ihrer Mahlzeit. In Wirklichkeit interessierte sie das Syntho-Steak, welches sie in Würfel schnitt, nicht annähernd wie die nächste Phase ihres Eroberungsfeldzugs gegen ihn. Sie spießte ein paar Laccies mit der Gabel auf, aß das Gemüse und musterte seinen Teller. Natürlich. Er hatte nur Gemüse und Feldfrüchte auf dem Teller. Sein erstaunlicher Metabolismus erlaubte es ihm, auf tierisches Eiweiß zu verzichten. Abgesehen davon mochte er kein Fleisch, nichts was früher einmal einen Namen getragen hatte. Im übertragenen Sinne, denn das Fleisch aus den Zuchtkulturen hatte nicht automatisch den Tod eines Tieres bedeutet. "Es muß schwer sein für einen Tireme", begann sie den zweiten Teil ihrer Offensive. "Was? An der Akademie angenommen zu werden? Durchaus nicht. An uns werden nicht höhere Maßstäbe gestellt als an euch Naguad", stellte er förmlich fest. Sie runzelte die Stirn. Zwei zu null für ihn. "Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Ich bezweifle, dass die Mehrzahl der Naguad die Toleranz aufweist, um mit dir unvoreingenommen umzugehen." Aber du kannst es, eh?, dachte Liam amüsiert. Zumindest versuchst du gerade, es zu beweisen, Eridia Arogad. "Nun, natürlich nicht. Ich bin Nachkomme von Amphibien, die Naguad sind Abkömmlinge von Primaten. Das Universum ist groß und vielfältig in Formen und Wundern. Aber mit den Naguad ist es wie mit allen Dingen. Wenn man sie dazu bringt, fremdes nicht zu fürchten sondern neugierig zu betrachten, dann kommt schnell verstehen hinzu. Und letztendlich bleibt Freundschaft. Das ist hier so wahr wie auf meiner Heimatwelt mit Naguad, die dort in Gemeinschaft mit meinem Volk leben." "Freundschaft?", argwöhnte sie. "Freundschaft", bestätigte Liam sanft. "Zwischen Naguad und dem Vertreter eines unterworfenen Volkes? Ich gebe zu, das ist ermutigend, aber..." Nun musste Liam Magadolaka doch schmunzeln. Hatte er es sich doch gleich gedacht. "Eridia Arogad, deine Sorge in allen Ehren. Aber die Tireme sind kein unterworfenes Volk." "Was? Aber Ihr wurdet doch vom Imperium assimiliert und..." "Das ist falsch. Gewiss, unser Heimatsystem befindet sich innerhalb der Grenzen, die das Imperium definiert. Aber wir wurden weder unterworfen, noch werden wir von den Naguad verwaltet." "Propaganda", warf Eridia herabwürdigend ein. "Keine Propaganda. Das Verhältnis zwischen den Naguad und meinem Volk ist sehr gut. Der erste Kontakt zwischen zwei so fremden Völkern verlief sehr harmonisch und der Austausch von Gedanken und Wissen hat beiden wirklich gut getan. Vor allem wissen wir den Beistand der Naguad zu schätzen, sobald es um die Cores und ihre Angreiferflotten geht. Ohne imperiale Hilfe hätten wir bereits mehrfach Millionen an Toten gehabt. Stattdessen standen tiremischer Raumdienst und imperiale Marine Seite an Seite, bluteten Seite an Seite und schlugen die Truppen der Cores zurück. Wir haben leider nicht die Möglichkeiten, dies zu vergelten, weder wirtschaftlich noch mit Schiffen; dennoch hilft die Marine uns. In einer Mark zu leben ist gefährlich in diesen Tagen." "Das wusste ich nicht. Ich dachte, das Imperium lässt sich die militärische Hilfe mit Wirtschaftsvorteilen bezahlen." "Oh, die Geschichte. Mein Heimatsystem hält nichts von Zöllen. Wir sind und waren schon immer der Auffassung, dass eine freie Marktwirtschaft ein demokratisches Prinzip ist, mit dem ein ganzes Volk seinen Willen demonstriert. Soll doch jeder kaufen, was er für richtig hält. Für die Naguad, die Schutzzölle, Importbeschränkungen und dergleichen kennen und anwenden ist dieses Prinzip natürlich neu. Sie kommen gerne zu uns und verkaufen. Was uns eine enorme Mehrwertsteuer einbringt, die einzige Einnahmequelle des Staates." Der Tireme grinste breit. "Dadurch potenzieren sich unsere Einnahmen, und der vermeintliche Steuervorteil schwemmt mehr Waren auf unseren Markt. Dazu etliche Devisen von potentiellen Käufern. Es ist eben besser das reife Feld abzuernten als es von vorne herein kleiner zu machen." "Äh. Ja. Ja. Sehr interessant. Ich wusste gar nicht, dass die freie Wirtschaft so viele Vorteile hat." "Natürlich nur, solange der Warenfluss konstant ist. Weißt du, richtige Boomzeiten mit Zuwachsraten ab zehn Prozent haben wir eigentlich nicht. Es gibt immer wieder einen Hype, in dem so etwas passiert. Die staatlichen Aufträge gehen in die Höhe, weil auf einem neu erschlossenen Mond Siedlungen vorgefertigt und finanziert werden müssen, ein weiteres Handelshaus des Imperiums schließt Lieferverträge mit uns ab, ein technologischer Schub versetzt uns in die Lage, große Teile unseres Maschinenparks auszutauschen... Ansonsten streben wir Nullwachstum an. Eine konstante Wirtschaft für eine konstante Zukunft. Kontrolle des Bevölkerungswachstums und ein adäquater hervorragender allgemeiner Ausbildungsstand sind die Garanten dafür." "Wirklich. Nullwachstum. Das ganze Imperium schwimmt von Hype zu Hype, von Regression zu Regression und erschließt ein System nach dem anderen um seine mageren zwei Prozent Wachstum zu halten. Dabei wäre alles was sie tun müssten ein stabiles System zu halten", murmelte Eridia nachdenklich. "Es tut mir Leid dich korrigieren zu müssen, aber so einfach ist es nicht. Für uns Tireme ist das sicherlich eine Lösung. Wir sind nur ein System, regiert von einem Rat, der die Exekutive des gesamten Sonnensystems ist. Wir sind auf unsere Innenpolitik beschränkt und können den größten Teil unserer Außenpolitik auf Wirtschaftsfragen und knappe Absprachen mit dem imperialen Rat reduzieren. Aber das Imperium kann das nicht." Er breitete die Arme aus. "Wie du unschwer erkennen kannst, bin ich kein Daima, kein Abkömmling des Urvolks. Ich bin das, was Ihr einen Außerirdischen nennt. Wir euch übrigens auch, aber das nur am Rande. Jedenfalls werden wir vom Core sporadisch attackiert, weil wir Teil des Imperiums sind. Und unser Raumdienst und die Marine des Imperiums schlagen die Raid-Truppen zurück. Die Marine kämpft und vergießt Blut an unserer Seite, und dafür sind wir dankbar. Zugleich aber ist jedes Schiff, das im tiremischen System bekämpft wird nicht in der Lage, Naguad-Systeme anzugreifen. Nenn es einen obskuren Handel, ein Zweckbündnis. Das Imperium aber kann und darf nicht still stehen. Dieser ganze Raumsektor ist erfüllt mit Welten, welche von Daima bevölkert sind. Seit die Daima sich gegenseitig ausgelöscht haben, wissen viele nicht mehr um ihre Vergangenheit, manche Welten sind heute noch nicht wieder in der Lage Leben zu tragen. Aber die, die da sind, werden für den Core zum Ziel. Und jedes System, welches die Core-Truppen erobern, stärkt deren Kraft und wird zum Übergewicht, an dessen Ende die Vernichtung des Imperiums stehen muß - und des Kaiserreichs. Und wenn das geschieht, fallen auch wir." Liam lachte gehässig. "Es ist allgemein bekannt, wofür der Core Intelligenzen benutzt. Entschuldige, aber darauf habe ich keine Lust. Wenn Imperium und Kaiserreich also weiter expandieren, weitere Systeme unter ihren Schutz stellen oder verdammt noch mal erobern, entziehen sie dem Core zukünftige Ressourcen. So sehe ich das." Eridia Arogad nickte. "So habe ich das bisher noch gar nicht gesehen. Eine Aufgabe. Aber ist es richtig, Welten, die nicht ins Kaiserreich wollen, zu diesem Schritt zu zwingen? Oder ins Imperium?" "Nein, natürlich nicht. Es würde auch reichen, wenn diese Welten den anderen Reichen beistehen würden - und umgekehrt. Aber eine vereinte Flotte würde vieles vereinfachen, oder?" Wieder nickte Eridia. "Du hast mir heute viel zum nachdenken gegeben, Liam. Dafür danke ich dir." Sie setzte ihre Mahlzeit fort, war aber nicht bei der Sache. Genauso gut hätte man ihr Papier in Streifen schneiden und vorsetzen können. "Und ich danke dir", erwiderte der Tireme, "das du nicht versucht hast, mich mit Argumenten zu bombardieren, wie schlecht ich hier doch behandelt werde, bis ich es selbst glaube. Stattdessen hast du zugehört und nachgedacht. Genau das gleiche habe ich auch getan, als die Akademie auf meiner Welt nach Kadetten gesucht hat. Alles, was ich hier lerne, was ich mir hier aneigne, Wissen, Kontakte, Erfahrungen, werde ich nutzen, wenn ich nach meiner Dienstzeit zum tiremischen Raumdienst wechsle." Eridia Arogad lächelte verlegen. "Du wusstest, warum ich hier her gekommen bin?" "Natürlich. Ehrlich gesagt habe ich dich schon erwartet. Und um noch einmal ehrlich zu sein, ich habe mich darauf gefreut. Du hast mich nicht enttäuscht, Eridia Arogad. Du hast das Zeug, um hier einmal zu unterrichten." "Ich soll arroganten, selbst verliebten Naguad-Nachwuchs unter..." Sie verstummte bei diesen Worten. Dann sah sie den Tireme an. "Ich mache mich gerade lächerlich, nicht wahr?" "Nicht wirklich. Erkenntnisse sind umso wertvoller, je mehr man selbst sie erlangt. Und das habe nicht ich gesagt, sondern dein Vater Oren, Eridia Arogad." "Er ist... Ein interessanter Mann." "Und du bist eine interessante Frau, die noch einen weiten Weg vor sich hat. Wahrscheinlich werde ich eines Tages im Kreis meiner Nachfahren sitzen und ihnen stolz erzählen, dass ich mit dir studieren durfte." Eridia Arogad prustete los. "Oder du erzählst ihnen von dem Horror, den ich verbreitet habe." "Oder das", pflichtete Liam bei. Sie war definitiv ein besonderes Wesen, dieses Halbblut. 6. "Und? Was passierte dann?", rief Yohko mit vor Aufregung glühenden Wangen. "Ich meine, es passiert ja nicht jeden Tag, dass man einen unterworfenen Fremdweltler trifft und er sich anschließend als freiwillig angeschlossener Freund entpuppt." Erschrocken fuhr Megumi zusammen. "Wo kommst du denn her?" "Sie kam mit uns", sagte Yoshi ernst und angelte nach der Chipstüte in Yohkos Händen. "Vor einer Viertelstunde etwa." "Uns?" "Er meint mich", sagte Aria Segeste bestimmt. "U-und mich", hauchte eine kleinlaute Stimme. Megumi drehte den Kopf und sah neben Aria Gina Casoli sitzen. Verlegen hielt sie eine Hand hinter dem Kopf, während sie mit der anderen eine Tüte Cracker hielt. "Entschuldige, Megumi-chan, aber du warst so vertieft in der Erzählung von Yodama-sama, dass wir heimlich rein geschlichen sind, um deine Konzentration nicht zu stören." "Was machst du denn hier?" "Mamoru war der festen Meinung, hier könnte man mir helfen. Oder ich könnte hilfreich sein. Weißt du, ich habe seit neuesten Stimmen im Kopf." "Genauer gesagt stecken in ihrem Schädel eine der Agentinnen und seit einiger Zeit Ai Yamagata", vervollständigte Eri. Megumi legte beide Hände vor ihr Gesicht. "Und ich dachte, ich hätte schon alles gehört und alles erlebt." Sie warf Yoshi einen Seitenblick zu. "Und was ist mit euch? Bevor ich in diese Kabine ging, hast du Yohko vor dir her gescheucht, als würdest du ihr ein Buch über Diäten aufzwingen. Und jetzt sitzt ihr wieder nebeneinander und kaut gemeinsam Chips?" Yoshis Blick wurde düster. "Wir... Wir haben einen Waffenstillstand. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben." "Fang nicht wieder damit an, Yoshi. Ich will es nicht hören. Ich will es nicht hören!" "Jedenfalls", meldete sich Eri wieder zu Wort; "habe ich auf der Akademie mehr gelernt als ich wollte. Meine Arroganz bröckelte, und das nicht nur deswegen, weil ich Naguad gefunden hatte, die ich nicht nur herumkommandieren, sondern auch lieben konnte. Aber es sollten noch Jahrzehnte vergehen, bis diese Liebe erwidert wurde. Von allen Naguad. Na, zumindest den meisten. Und dies ist der Grund." ** "Die Navigation von Kampfschiffen in einem stabilen Orbit ist eine schwierige Sache und dies aus mehrerlei Gründen. Erst einmal ist das Problem, den Orbit zu halten. Es ist ein Wechselspiel zwischen der Anziehungskraft des Planeten und der Fliehkraft. Man pendelt theoretisch dazwischen, auf die Welt die man umkreist zu stürzen oder von ihr fort geschleudert zu werden, in die Unendlichkeit des Alls. Alle Satelliten und Raumstationen haben schon seit jeher mit diesem Problem zu kämpfen. Hinzu kommt, dass die eigene Geschwindigkeit umso höher sein muß, je tiefer der eigene Orbit, sprich, die Schwerkraft der zu umkreisenden Welt ist. Zugleich legt man sich damit fest, was Kurs und Geschwindigkeit angeht, jede abrupte Korrektur zerbricht dieses Gleichgewicht. Einzige Ausnahme in diesem Spiel sind die Null-Schwerkraftpunkte, so genannt, weil sich in ihnen die Schwerkraft verschiedener Welten aufhebt." Eridia Arogad nickte den Kadetten des ersten Jahres zu. "Naguad Prime hat keinen Mond, also hat diese Welt auch keine direkten Neutral-Punkte, wie wir diese Zonen im Raum auch nennen. Arogad hat zwei relativ große Monde und verfügt über ein komplexes System von neun Neutral-Punkten, Daness hat einen und besitzt fünf Neutral-Punkte. Die Neutral-Punkte von Naguad Prime fluktuieren. Sie treten nur auf, wenn sich die Schwerkraften von Daness oder Arogad im Bezug zur eigenen Gravitation aufheben. Der einzige wirklich stabile NP, den die Hauptwelt hat, besteht zwischen ihr und Nag, dem Zentralgestirn selbst." Hinter Eridia zerfiel das Hologramm, welches ihre Erläuterungen begleitet hatte. "Aber kommen wir zum eigentlichen Thema zurück. Raumkampf in einem stabilen Orbit. Wie jeder von ihnen weiß, hat alles in diesem Universum einen Bewegungsimpuls. Wir fallen dem Planeten entgegen, der Planet umkreist seine Sonne, die Sonne wandert um den Kern dieser Galaxis, die Galaxis bewegt sich innerhalb seines Clusters rotierend, und der ganze Cluster umwandert den Supercluster aus über eintausend Galaxien. Dieser Supercluster wiederum hat ein eigenes Zentrum, welches er umwandert. Wo dies endet wissen wir nicht, aber es kann sein, dass es danach einen noch größeren Supercluster gibt, der das Zentrum des Universums umwandert. Wir haben ihn bisher noch nicht entdeckt, doch das will nichts heißen. Das Licht, das von dem Supercluster, den unsere Galaxiengruppe umkreist, bei uns eintrifft, ist bereits dreihundert bis achthundert Million Jahre alt, ein Supercluster, um den dieser kreist, müsste mehrere Milliarden Jahre alt sein. Aktuelles Licht, vom existierenden Supercluster muß erst bei uns eintreffen. Entschuldigung, aber ich lasse mich zu schnell hinreißen, wenn ich von diesen Dimensionen spreche. Zurück zu den Bewegungsimpulsen. Alle Dinge in diesem Universum haben eine Eigengeschwindigkeit. Und unsere Schiffe im stabilen Orbit haben eine Eigengeschwindigkeit, die sie im Kurs um diese Welt herum führt. Niemand kann von einem Angreifer erwarten, dass er sich diesem Kurs anpasst, um dann geduldig abgeschossen zu werden." Leises Gelächter der Studenten erklang. "Nein, des Problems Lösung wäre normalerweise, über den wichtigsten Planeten und militärischen Zentren Schiffe zu stationieren, die einen stationären Orbit halten und diese Orte aus den festen Positionen verteidigen. Doch das ist nur eine Möglichkeit. Wie Sie wissen, erreichen unsere Schiffe nicht nur eine adäquate Beschleunigung, sondern vertragen auch abrupte Kurswechsel sehr gut. Ich will ein Beispiel hinzunehmen, damit Sie alle sehen, worauf ich hinaus will. Angenommen ich will eine Angriffsflotte so schnell wie möglich nach Daness führen, und reize die Beschleunigung voll aus, dann muß ich meinen Kurs in zwei Etappen planen. Die Beschleunigungsphase, bei der ich die maximale Geschwindigkeit aufbaue, und die Abbremsphase, die exakt die Hälfte des zurückzulegenden Weges beträgt, und die mit der gleichen Energie die aufgebaute Geschwindigkeit wieder aufzehrt, die ich für die Beschleunigung der Flotte aufgebracht habe. Doch dies sind nur die maximalen Beschleunigungswerte. In einem Kampf im Orbit stehen diese maximalen Beschleunigungswerte ebenfalls zur Verfügung, und diese übertreffen die Energie, die ein Schiff braucht, um den stabilen Orbit zu verlassen um ein Vielfaches. Sprich: Natürlich können unsere Schiffe abrupt ihren Orbit verlassen, natürlich können sie binnen kurzer Zeit auf kompletten Gegenkurs gehen und auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigen. Aber, was in diesem Szenario zu bedenken ist: Alle anderen Dinge, Planeten, Monde, Satelliten, die Sonne und andere Raumschiffe bewegen sich währenddessen weiter. In diesem Kurs lernen Sie die Navigation im tiefen Orbit, im hohen Orbit, den Wechsel auf die Raumstationen, die Landung auf dem Planeten, Wechsel zwischen den Planeten in diesem Sonnensystem. Das ist der Aufbaukurs, der sich ausschließlich auf die Bewegung mit der Fliehkraft befasst. Alle von Ihnen, die ernsthaft vorhaben, den Beruf des Navigators, des Piloten oder sogar des Kommandanten einzuschlagen, werden auch den Nachfolgekurs im nächsten Jahr besuchen. Und dort bringen wir ihnen dann bei, wie man entgegen der Fliehkraft navigiert. Ohne eine Schneise der Zerstörung zu hinterlassen. Fragen hierzu?" Mehrere Dutzend Lampen auf den Studiumterminals glommen auf. Eridias eigenes Terminal meldete zugleich hundertsiebzehn Mailanfragen. Sie ließ den Computer per Zufall jemanden auswählen. "Kommodore, Lyss Mekan vom freien Handelskonsortium. Erzählen Sie uns vom Paradebeispiel der Navigation gegen die Fliehkraft? Vom Kampf um Wordeck?" Dutzende Terminals erloschen wieder, die Mailanfragen wurden fast alle annulliert. Eridia Arogad lächelte dünn. Es war doch jedes Jahr das gleiche mit den Kadetten. "Von Wordeck wollen Sie hören? Vom legendären Raid?" Zustimmendes Gemurmel erklang. Eridia griff nach ihrem Getränk, kam um ihr Terminal herum und lehnte sich dagegen. "Nun, falls ich hier irgendjemanden erwische, der patriotischen Nonsens erwartet, werde ich sofort aufhören. Die Schlacht um Wordeck war hart und lang. Wir haben sie nur mit Glück gewonnen und bezahlten dafür einen furchtbaren Preis." Wieder erklang zustimmendes Gemurmel. "Gut. Dann soll es wohl so sein." ** Wordeck war die fünfte Welt eines Elf Planeten-Systems einer blassgelben Sonne von Normgröße. Sie befand sich knapp außerhalb des Bereichs, den die Naguad als Territorium definierten. Eigentlich hatten sie hier draußen absolut nichts verloren und die Expansionspläne hätten diese Welt, eine karge Sauerstoffwelt mit einer Durchschnittstemperatur, die vier Grad unter der von Naguad Prime lag, erst ein einhundert oder mehr Jahren tangiert. Der Grund, warum nun eine komplette Flotte des Hauses Arogad, flankiert von mehreren Geschwadern schneller Fregatten und Korvetten der imperialen Marine in dieses System sprang, war ein Notruf. Genauer gesagt ein klappriger alter Frachter, der in ein von Naguad kontrolliertes System sprang, dort eine letzte Funkbotschaft abgab und anschließend aufgrund der schweren Schäden an Bord explodierte. Überlebende hatten nicht gefunden werden können. Aber die Botschaft war eindeutig gewesen. Auf Wordeck waren Core-Truppen gelandet und begannen nun, die planetare Bevölkerung zu unterwerfen. Es war kein Raid, es war eine Eroberung. Oren Arogad als Oberhaupt des Hauses hatte schnell reagiert und die einzige in der Nähe befindliche Einheit freigestellt, eine Flotte seines Hauses. Die zufällig von seiner einzigen Tochter kommandiert wurde. Der Rat reagierte ebenfalls und hatte schnell, sehr schnell einige leichte Geschwader detachiert und unter ihr Kommando gestellt. Ein Umstand, der wohl einmalig in der Geschichte des Imperiums war. Zugleich versprachen sie, weitere Schiffe nachzusenden. Im Prinzip war die ganze Aktion nur als bewaffnete Erkundung geplant. Es gab keine Verträge mit Wordeck und irgendein Interesse an Welt und Bevölkerung existierte auch nicht - außer dass sie Daima waren wie die meisten anderen Völker des Imperiums. Eridia jedenfalls war mit klaren Befehlen aufgebrochen - und hatte sie beinahe sofort wieder über den Haufen geworfen, als sie das Chaos sah, in dem sich das System befand. Ein Massensprung in das System war natürlich nicht unbemerkt abgelaufen und die Core-Einheiten schickten bereits erste Boten aus, um selbst Verstärkungen heran zu führen, noch bevor die Kampfhandlungen eröffnet waren. Eridia jagte ihnen die schnellen Schiffe der Marine hinterher, aber ohne große Hoffnung, alle aufhalten zu können. Und dann trafen die ersten Bilder von dieser Welt ein, aufgenommen und versendet von Unbekannten. Klar war nur, dass die Bilder in winzigen Fragmenten von hunderten Sendern verschickt wurden und erst von den Spezialisten der Flotte zusammengesetzt wurden. Eridia Arogad fröstelte bei dem Anblick, der sich ihnen bot. Die gelandeten Core-Truppen trafen auf sehr wenig Widerstand. Beschuss aus dem Orbit hatte die meisten Verteidigungsstellungen ausradiert, und Orte von denen noch immer Widerstand ausging wurden nachträglich bombardiert, egal wie nahe die eigenen Truppen waren. Und wo die hirnlosen Cyborgs fertig waren, kamen die Sammler, nahmen Tote wie Überlebende auf und bereiteten sie vor. Eridia schluckte hart, um ein würgen zu unterbinden. Die Tanks, die hatte sie viel zu gut aus den Erzählungen ihrer Mutter in Erinnerung. Ebenso die Maschine, welche die Daima entkernte. Sprich ihre Gehirne entnahm. Jemand würgte und übergab sich. Dankbar registrierte sie, dass sie selbst es nicht war. "Vorschläge, Herrschaften?", fragte sie ihren Stab. "Hinfliegen. Das Pack ausrotten. Die Welt befestigen und die Menschen in den Tanks retten!", rief Seg Mitur aufgebracht, Kapitän der MITAN, dem zweitstärksten Schiff der Hausflotte. Zustimmendes Gemurmel erklang. "Wie sieht es aus, Vortein?", fragte Eridia den Oberkommandierenden der Bodentruppen im Range eines Colonels. Vortein Arogad lächelte dünn. Bei der schlanken Frau mit dem eigentlich hübschen Gesicht bedeutete dies, dass die Atmosphäre im Raum um fünf Grad abnahm und die Männer im Raum unwillkürlich fröstelten. Diese absolut böse Vorfreude auf den Kampf hatte schon ganz andere Männer in Panik davon getrieben. "Meine Leute sind bereit. Aber ich bitte darum, dass die Marine mir jeden Mann zur Verfügung stellt, den sie erübrigen kann. Da unten kann ich dann ohne weiteres aufräumen, Eri. Doch ihr müsst den Orbit halten, denn ich will nicht, dass mit mir und meinen Leuten das da passiert." Sie deutete auf einen Monitor, auf dem eine eingegrabene Panzerlinie ausradiert wurde. "Gut. Kommodore Liam Magadolaka Vierzehn, stimmen Sie zu?" Der offizielle Kommandant der imperialen Einheiten verzog sein Echsengesicht zu einem Grinsen. Eine wahre Meisterleistung für die eher starre Mimik der Echse. "Du hast das Oberkommando, Eri." "Dann lasst uns dem Core in den Arsch treten!" ** Die Operation verlief wie im Handbuch für erfolgreiche Orbitaloperationen. Zuerst wurden die orbitalen Streitkräfte im Zenit angeflogen und mit Langstreckenwaffen beschossen. Dadurch minimierte sich die Gefahr, dass fehlgeleitete Geschosse auf den Planeten fielen. Und ein Gros der abgeschossenen Schiffe verglühte nicht in der Atmosphäre und würde als Trümmerregen auf die Welt niedergehen sondern von der eigenen Fliehkraft getragen ins All hinausdriften. Nach nur acht Stunden erbitterter Kämpfe hatten die Naguad-Truppen der Marine und des Hauses Arogad absolute Überlegenheit im Orbit und im gesamten System etabliert. Noch während die Kämpfe andauerten, jagt Kommodore Eridia Arogad ihre Bodentruppen mit Gefechtstaxis auf die Planetenoberfläche herunter. Die Core-Truppen hatten sechs Hauptgefechtszonen etabliert, auf jede einzelne Zone hielten um die zweihundert Einheiten zu. Eingewiesen von den Artillerie-Rangern, der absoluten Elitetruppe der Streitkräfte, die vorab in Einmannkapseln gelandet waren und sowohl Landungszonen sicherten als auch Ziele für Orbitalbombardement markierten, begannen die Massenlandungen, der verwundbarste Punkt der Operation. Für den Bodenkampf modifizierte Banges der Arogad flogen Sicherungsangriffe und erste Vorstöße gegen hastig etablierte Verteidigungsstellungen der Core-Truppen, während die ersten Panzerbataillone Stoßkeile formierten und in die großen Städte eindrangen, in denen die Cores gewütet hatten. Infanterie in schnellen Transportern folgte ihnen auf dem Fuß. Nach zehn Stunden seit dem ersten Schusswechsel, war in allen sechs Zonen ein wilder Kampf im Gange, bei dem die Core-Truppen von vorne herein im Nachteil waren. Die Wordeckier, eigentlich schon besiegt und vernichtet, erhoben sich erneut. Es eine Offensive zu nennen wäre vermessen gewesen. Vielmehr glich es einem gigantischen Aufstand, dem zuerst die Sammellager zum Opfer fielen, in denen die Wordeckier ihrer Körper beraubt wurden, und anschließend die Frontlinien. Nach zwanzig Stunden intensiver Kämpfe beschloss Eridia Arogad, auf der Welt zu landen und die verwüsteten Städte persönlich zu inspizieren. Der Tross der Anführerin der Flotte bestand aus fünf Gefechtstaxis allerneuester Bauart, ausgestattet mit den besten Offensiv- und Defensivsystemen, sowie mehreren AO-Meistern, die heimlich die Schildstärke verdreifachen würden, sollte es zu einem Angriff kommen. Sie flogen direkt zu jener Zone, die ursprünglich den hastig errichteten Notgefechtsstand der Wordeckier beherbergt hatte. Er war als einer der ersten überrannt worden und hatte die Chance, den Feind zumindest zu binden, beinahe gegen Null geführt. Als die Taxis landeten, sicherten fünfhundert Infanteristen und zwei Dutzend Banges die Region. Es war früher Morgen, aber von friedlicher Morgenstille war nichts zu erkennen. Noch immer brachen Infanteriependler auf, um ihre Besatzungen in die Kampfzonen zu bringen, noch immer kehrten Einheiten zurück, um erschöpfte, verletzte oder tote Kameraden zurück zu bringen - und Zivilisten, die meisten mehr tot als lebendig. Selten sah Eridia eine der typischen graugrünen Uniformen, welche für die Wordeckianische Verteidigung so typisch war. Der Grund hierfür war, dass die gefangenen Soldaten als erstes entkörpert worden waren, eine schockierende Erkenntnis, welche die Verteidiger mehr verschreckt hatte als es das Orbitalbombardement gekonnt hatte. Viele hatten daraufhin bis zum bitteren Ende gekämpft, einige waren in den Freitod gegangen. Eridia erschauerte bei den vielen Geschichten, die ihr zu Ohren kamen. Die Wordeckianer waren Daima, Daima wie die Naguad, wie die Iovar. Ihre Erinnerungen an die Vergangenheit sprach von einer gigantischen Sintflut, welche sie aus dem Paradies vertrieb und nur eine Handvoll Auserwählter verschonte, was Eridia genug sagte. In der ersten Stunde hielt sie sich nur im Lazarett auf, redete mit eigenen verwundeten Soldaten, mit denen aus der imperialen Flotte, mit den Zivilisten und den Grünröcken, die sie teilweise halbtot aus den Trümmern großer Häuser gezerrt hatten. Eridia Arogad konnte es nicht wissen, aber ihr Ansehen innerhalb des gesamten Imperiums wurde in diesen Stunden vollkommen neu definiert. Danach zog es sie in die zerstörte Stadt, die Hauptstadt Argetum, wie sie nun wusste, vorbei an ausgebrannten Hochhäusern, noch immer lodernden Skeletten großer Türme, vereinzelten Granaten, die am Himmel explodierten. Und an Leichen. Dutzenden, Hunderten, Tausenden. Die meisten trugen keine Uniformen, die zweite große Fraktion waren die graugrünen Uniformen der Grünröcke der Heimatverteidigung. Dann erst kamen die Cyborgs des Cores und hier und da wie ein Farbtupfer die blauen Uniformen der Arogad oder der imperialen Marine. "Aris, bitte sorge dafür, dass die Leichen so schnell es geht geborgen werden, sobald man alle Verletzten behandelt hat. Priorität haben die imperialen Toten und die des Hauses. Sie sind auf meinen Befehl hin gestorben und ich will sie nicht unnötig länger neben den Cyborgs des Cores liegen lassen als unbedingt nötig. Diesen Hohn haben sie nicht verdient." Aris Taral, der als ihr Adjutant fungierte, nickte. "Wie Sie wünschen, Mylady Kommodore." "Danach bergt die Zivilisten und die Grünröcke. Auch sie sollen nicht länger als nötig hier im Dreck liegen müssen. Erkundigt euch, welche Rituale die Wordeckianer für angemessen halten." Wieder bestätigte der hoch gewachsene Taral, machte aber keine Anstalten, fort zu gehen. Stattdessen gab er eine Alarmmeldung ab und beorderte sofort zusätzliche Infanteriegondeln und Banges auf die Position der Kommodore. "Aris, was..." "Wenn Frau Kommodore wieder in das Gefechtstaxi zurückkehren könnte... Alle Mann bereit machen!" Die Truppen, handverlesene Soldaten, reagierten sofort und setzten die Taxis zu einer Igelstellung zusammen. Dazwischen gingen die Infanteristen in Stellung, während Aris Taral sich bemühte, Eridia wieder in den gepanzerten Wagen zu schaffen. Er brach diesen Versuch jedoch ab, als es explodierte. Dann brach die Hölle los. "Unten bleiben, Eri!", rief er seiner Hausschwester zu und feuerte seine Handwaffe ab, während er sie schützend mit seinem Körper zu Boden drückte. Links und rechts der Straße kam Feuer auf die Truppe, zischten Raketen heran und Projektilwaffen entluden sich. "Ein Hinterhalt", erkannte Eridia. "Schießt auf die Gebäudebasis! Lasst die Ruinen in sich zusammen stürzen!" "Gute Idee!" Hastig gab Aris die Befehle weiter und kurz darauf begannen die gepanzerten Begleitfahrzeuge, ihr hungriges Waffenfeuer zu verbünden, um den Gebäuden, aus denen gefeuert wurde, größtmöglichen Schaden in den Erdgeschossen zuzufügen. Tatsächlich brachen schnell drei von ihnen zusammen, das Feuer aus den übrigen Gebäuden erlosch. Aris Taral erhob sich wieder und half seiner Vorgesetzten auf. "Die Verstärkung trifft gleich ein. Eri, geh bitte solange in eins der Taxis!" "Sie kommen!" Der Leibwächter und Bluthund wirbelte herum, folgte dem Laut der Stimme, die geschrieen hatte. Und sah, wie sich die Cyborgs auf der Straße hinter und vor ihnen formierten. Er hatte keine Zweifel, dass auch etliche durch den Schutt der zusammen gestürzten Gebäude kommen würden, die noch immer in dichten Staub gehüllt waren. Kurz darauf brach zum zweiten Mal das Chaos über sie herein. Aris drückte sie in die Deckung eines Bombenkraters, feuerte wieder seine Handwaffe ab. Dann kam der Ansturm. Schnell wurden die vorderen Reihen von den Verteidigern niedergemäht, aber die nachdrängenden Truppen waren zahlreich, zahlreich genug, um den inneren Kreis zu durchbrechen. Aris Taral lächelte gering schätzend, als der Gegner in den inneren Kreis einbrach. Dies war der große Moment für die AO-Meister, der Nahkampf. Zehn von ihnen hatten den Konvoi begleitet, und jeder wog zwanzig Gegner auf. Fasziniert sah Eridia dabei zu, wie diese Naguad des Hauses Arogad durch die Reihen ihrer Gegner fuhren wie ein Messer durch Butter. Dennoch stürmten die Cyborgs weiter voran. Dann erreichten sie die Fahrzeuge, von denen ihnen erbitterte Gegenwehr entgegenschlug. Schließlich erreichten die ersten Aris Taral. Und das war die letzte Handlung in ihren hirnlosen Leben. Als kurz darauf die ersten Banges zur Unterstützung niederstürzten und auf alles feuerten was kein Naguad und kein Wordeckier war, als die zusätzlichen Einheiten mit schnellen Transportern das Gefecht erreichten und von den Piloten direkt über den Linien abgeworfen wurden, war dieser Versuch, die Führungsspitze der Gegeninvasion auszuschalten, vereitelt. Auf jeden nun noch lebenden Cyborg kamen jetzt elf Naguad. Aris Taral reichte Eridia eine Hand zum aufstehen. Eri zögerte, sah die glimmende Aura um den großen, vertrauten, und nun doch so fremden Mann, die auf sie wirkte, als würde Aris von innern heraus glühen wie ein großes Stück Metall. "Bist du verletzt, Eri?" "Nein. Bist du verletzt?" Aris lachte laut auf. "Nein. Die Cores haben heute nichts aufgeboten, was einen AO-Meister mit meiner Erfahrung verletzen könnte." Er zog seine Vorgesetzte auf die Beine. "Hoffen wir, dass dies das letzte Aufbäumen des Cores war." "Wenn nicht, schicke ich dich alleine vor. Du wirst mit denen schon fertig, Aris." "Ein guter Scherz. Es war doch ein Scherz? Eri? Eri?" 7. Eridia Arogad lachte leise, als sie diese Anekdote zum Besten gab. Natürlich hatte sie nicht alles erzählt. Noch immer war das AO so etwas wie ein Staatsgeheimnis, und viele der Kadetten vor ihr würden damit irgendwann in Berührung kommen, aber nicht durch sie und nicht an diesem Tag. "Das Ende vom Lied war, das wir die Core-Truppen fast vollständig ausradierten. Natürlich führten sie eine Verstärkung heran, aber sie liefen unserer eigenen Verstärkung durch Admiral Torum Acati in die Hände, der mit den Feindeinheiten kurzen Prozess machte." Was sie dabei nicht erwähnte war, wie Acati mit den Feinden kurzen Prozess gemacht hatte. Mit Banges Schlachtschiffe anzugreifen und auch noch die Frechheit zu haben zu siegen hatte ihr mehr als einen kalten Schauer über den Rücken gejagt. "Jedenfalls konnten wir in dieser Schlacht einige neue Erfahrungen machen und viele alte bestätigt sehen. Die wichtigste aber ist nach wie vor: Solange du dich nicht selbst aufgibst ist auch alles möglich. Wir halfen den Wordeckianern dabei ihre Infrastruktur wieder zu errichten, die Straßen und Schienennetze ins Hinterland wieder zu betreiben und blieben fünf Jahre mit einer starken Streitmacht im Orbit vertreten, bis die frisch aufgebaute Verteidigung des Planeten stark genug war, um selbst einem Angriff des Cores zu widerstehen. Danach zogen wir ab." "Aber warum ist Wordeck dann Mitglied des Imperiums?", fragte ein Kadett erstaunt. "Nun. Sie kamen zu uns." Eridia Arogad, Admirälin im Dienste des Hauses und zeitweise im Dienst für die imperiale Marine tätig, wie die Lehrstunde bewies, lächelte in die Runde. "Merken sie es sich alle für die Zukunft. Die Expansion des Imperiums hat nicht immer etwas mit erobern zu tun. Manchmal einfach nur mit da sein, helfen wenn es nötig ist und den Menschen einen freien Willen lassen. Der Wordeck-Sektor hat seinen Sprung von der Mark zum festen Teil des Imperiums in nur zehn Jahren getan, weil die Wordeckianer sich diese Einstufung verdienen wollten. Es ist wahrscheinlich die beste Integration geworden, die wir jemals erlebt haben. Und der Grund dafür war nicht der Wunsch, unter unserem Schutz zu leben, sondern Teil dieses besonderen Reiches zu sein. Denn schützen hätten sie sich fortan selbst gekonnt." Sie seufzte schwer. "Leider laufen die Dinge nicht immer so, aber ich werde nicht müde, den jungen Leuten zu erzählen, wie es laufen sollte, und das es mehr gibt, als eine Welt zu erobern, zu unterwerfen. Wie... unsittlich es für ein Imperium ist, so etwas zu tun. Und wie wichtig es ist, Navigation innerhalb des Orbits eines massereichen Objekts wie einem Planeten zu üben." Leises, zustimmendes Gelächter erklang. Vielleicht hatte sie diese Generation erreicht. Vielleicht verstanden diese jungen Naguad, was sie erreichen wollte. Vielleicht. ** "Damals konnte ich es nicht wissen, aber meine Entscheidungen und meine Worte waren maßgeblich für meinen Ruf geworden. Aus der arroganten und überheblichen Halb-Iovar wurde durch einen einzigen Einsatz eine verantwortungsbewusste Kommandeurin des Hauses, die ihre erstklassige Ausbildung und ihr hervorragendes strategisches Können in den Dienst eines ganzen Imperiums gestellt hatte. Natürlich war ich in erster Linie Haus-Offizierin, mit Leib und Seele für die Schiffe und Flotten der Arogad da, und damit für meine Freunde und nächsten Verwandten, die mit mir gelernt hatten und danach mit mir dienten. Aber... Es gibt eine Regel im Imperium. Erst das Haus, dann das Imperium. Leider halten sich alle Häuser an diese Regel, auch die Arogad. Aber ich habe unabhängig davon eine eigene Regel entwickelt an der ich mich orientiere, abseits von Amtseiden, Wünschen, Erwartungen und Regeln." Interessiert beugten sich die jungen Leute vor. "Und was wäre das, Oma?", fragte Yohko erwartungsvoll. "Nun, sie ist eher banal und kurz, aber sie ist vor allem der Grund, warum es dich und deinen Bruder Akira überhaupt gibt, Schatz. Sie lautet: Sei nur deinem Gewissen verantwortlich." "Dann kommt es aber aufs Gewissen an, das man entwickelt hat", bemerkte Yoshi spitzzüngig. "Im Idealfall kann man dann ja... Okay, bin schon still." "Nun, junger Mann, damit hast du natürlich Recht, und wenn ich eine verrückte, mordende und manipulierende Monströsität wäre, dann könnte ich mein Gewissen soweit dehnen, bis es passt, wie ich es mir von Zeit zu Zeit wünsche. Aber das bin ich nicht. Und deshalb erlaubt mir diese Regel, aus allem auszubrechen, was mich einengt. Regeln, Gesetze, Vorschriften, ich setze für mich alles außer Kraft, solange bis die Augen in meinem Spiegel mich nicht mehr so vorwurfsvoll ansehen." "Sehen sie Sie denn vorwurfsvoll an, Ma´am?" Eridia Arogads Blick ging in weite Fernen. "Viel zu oft und viel zu lange", hauchte sie. Ihr Blick kehrte in die Gegenwart zurück, und sie musterte die jungen Leute vor sich. "Aber das ist eine andere Geschichte..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)